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Das siebenzehnte Capitel.


Nun steht die Stadt in Aufruhrsflammen,
Die Meuterei schlägt drob zusammen;
Im Hause des Herrn Rathmanns Horn
Die Rede geht im Glimpf und Zorn.
Regin', das fromme Jungfräulein,
Gibt auch ein tapfer Wort darein.
Gott schütz' das Herz! Gott schütz' die Stadt!
Adam sein End' gefunden hat.
Auch Markus Horn verstürzt sein Blut;
Doch, – gutes End' macht Alles gut.

Lange Jahre sollte man in der Alten Stadt Magdeburg noch sprechen von diesem Donnerstag nach Judica, diesem neunzehnten März Fünfzehnhunderteinundfünfzig. Delicta, scelera et insania, Schandthaten, Verbrechen und Wahnsinn sollten, wie ein alter Schriftsteller sagt, an diesem Tage die Canzlei unseres lieben Herrgotts erfüllen, und das Geschick der Stadt sollte auf die Schneide eines Schwertes gestellt sein.

Die ersten Stunden des Morgens gingen verhältnißmäßig ruhig hin; die nächtlichen Lärmmacher, Ruhestörer und Meuterer schnarchten in ihren Quartieren oder schliefen in den Kneipen ihren Rausch aus. Auf die wilde Aufregung der Nacht war eine Art Abspannung gefolgt, woraus ein vernünftiger, schnell zugreifender und wohlmeinender Geist gewißlich zum Wohl der Stadt hätte Nutzen ziehen können. Dieser Geist fehlte aber dießmal, und wo er sich in einem Rathschlage spüren ließ, da wurde nicht darauf geachtet. Ein Ehrbarer und Hochweiser Rath beging eine große Unvorsichtigkeit, um nicht zu sagen Thorheit, und die Folgen davon sollten bald zu Tage treten.

Gegen elf Uhr Mittags kehrte der Rathmann Ludolf Horn in der Begleitung Ehrn Nikolaus Hahn's und des Doctors Alberus sehr ernst gestimmt vom Rathhause in seine Wohnung heim und wurde daselbst von seiner Ehefrau und Regina Lottherin mit noch angstvolleren Mienen in Empfang genommen; der Buchdrucker Michael lief, von seiner Unruhe getrieben, in allen Straßen der Stadt umher; Markus hatte todtmüde sich unter der Vorhalle von Sanct Bartholomäus zu einem unruhigen Schlummer niedergelegt.

Mit großer Heftigkeit warf im Hause des Rathmannes der Doctor Erasmus Alberus sein Barett auf den Tisch und rief:

»Ihr Herren, ich wiederhole es, was da eben beschlossen ward, ist meines Erachtens ein übel angebracht Ding, und wer von der Menschen Seele nur ein winzig Stücklein weiß, der kann sicher voraussagen, daß, wenn nicht Gott selbst es wendet, leichtlich ein groß Unheil und das Gegentheil von dem Erwarteten daraus herfürgehen mag.«

»Aber die befahrenen Kriegsleute, städtische und fremde, waren doch alle der Meinung, daß solch ein Beschluß nützlich und von guten Folgen sein werde«, meinte der Prediger von Sanct Ulrich.

»Und wenn Ihr selbst Julii Caesaris testimonia dafür anführtet«, rief der Doctor, »ich bleib' doch bei meinem Worte: Schädlich und verderblich ist's, bei solcher Stimmung des Volks, dasselbige auf einem Platz in Wehr und Waffen zusammenzuführen. Ab eventu wollen wir richten.«

Der Rathmann schüttelte den Kopf und sprach: »Es ist Wahres an den Worten des Doctors, Ehrwürden; ich selbsten hab' auch meine Stimm' gegen den Beschluß erhoben. 'S ist ein gefährlich Ding, kann zum Guten ausschlagen, kann aber auch eben so leicht zum Verderben der ganzen Gemeinheit führen. Des großen Haufens Sinn und Gedanken sind wie Wind und Wetter. Jetzt haben wir noch Macht und Gewalt über zwei Dritttheil' der geworbenen Knecht', wer kann sagen, ob nicht in einer Stund' die losen Buben die ehrenfesten durch Geschrei, Verführung und Gewalt zertrennet oder verderbt und auf ihre Seit' gezogen haben? Lasset zum Ring umschlagen und es wird Keiner in den Quartieren bleiben, sie werden alle zulaufen; aber ob das, was der Rath bieten kann und will, den Brand löschen wird, das ist ein ander' Frag'! Und wer bürget Euch für das Gesindel, von welchem die Stadt leidergotts voll, ja übervoll ist! Lasset nur die Meuterer ihre Stimme auf einmal und an einer Stell' erheben, und Ihr werdet schon gewahr werden, daß wir nicht allein der Stadt geworben Volk zu fürchten haben.«

»Aber sollte nicht der Sold, so der Rath vor den Ohren dieser unruhigen Leut' erklingen lassen will, den Geist des Aufruhrs zurücktreiben?« fragte Ehrn Gallus.

Der Doctor Erasmus zuckte die Achseln: »Ich fürcht' dabei nur, wenn der Haufe seine Vielköpfigkeit und seine Macht gewahr wird, wie es ohn' Zweifel heut auf dem Neuen Markt geschehen wird, so wird er sich nicht genügen lassen an dem, was man ihm in die tausend Mäuler wirft. Darin, mein' ich, liegt grad' der Sach' Gefahr. Die Präludia habet Ihr in vergangener Nacht vernommen, Gott helfe uns, daß uns die Ohren nicht zerspringen, wann die rechte Musica anhebet.«

»Was verlanget aber eigentlich das Kriegsvolk, daß es also von seiner Pflicht und seinem Eid abfällt und die beste Sache also meineidig verlässet?« fragte Frau Margaretha.

»Ach, Frau,« sprach der Doctor Alberus, »von dem Söldnervolk ist ein altes Wort, ibi fas, ubi maxima merces, zu deutsch: da ist's Recht, wo's den größten Sold gibt. Und von Außen locket der Kurfürst und inwendig schleichet der Verrath. O Frau, Frau, es gehen böse Geister durch unseres Herrgotts Canzlei.«

»Das ist das Verderben!« brach der Pfarrherr von Sanct Ulrich zornig los. »Das ist's, was am meisten gen Himmel stinket! Das ist's, weshalb wir in solcher Angst und Sorge schweben müssen. O Du gerechter Gott im Himmel, Du bist Zeuge, daß Deine Diener nicht lässig funden sind, hinzuweisen, wo der Pfahl im Fleische stecke. Herr, Herr, wie haben Deine Diener in Deinem Tempel Zeugniß abgelegt gegen die Verführer und Sünder, gegen die Schlemmer und Ehebrecher, gegen diesen Hauptmann Springer und Alle, so ihm gleich sind. Ist hier nicht auch Sodom und Gomorrha, hier, wo Laster, Undank, Geiz, Gotteslästerung, Fluchen, Lügen und Trügen, Unzucht und Schande am hellen, lichten Tag umgehen und Niemand wagt, die Hand dawider zu erheben. Herr, Herr, Deine armen Diener haben gesprochen sonder Furcht vor den Menschen; aber wie ist ihnen dafür gedienet? Hat man sie nicht abgetrumpfet auf dem Rathhaus als lose, leichtfertige Wäscher und Schwätzer? Ja, ja, Herr Rathmann, ich sage es nicht auf Euch; aber saget selbst: wie hat sich ein Ehrbarer Rath verhalten gegen die Pfarrherren?! Wahrlich, wahrlich, es ist kein Wunder, daß der Stadt Streiten ein Streiten im Feld Harmageddon ist. Nun bricht die Blume des Verderbens giftig auf, und Die, so in Menschenfurcht gehandelt und gesprochen haben, müssen nun in Menschenfurcht unglückselig, verrathen und verkauft sein!«

»Harte Worte sprecht Ihr, Ehrwürden,« sagte der Rathmann, »und leider kann ich nichts dawider aufbringen als der Menschen allgemeine Schwachheit und Mangelhaftigkeit. Wir sind allzumal Sünder vor dem Herrn. Nach meiner Ansicht wär's auch am besten gewesen, wir hätten das Glied, so uns ärgerte, abgehauen vom Rumpf und von uns geworfen. Ja, das ist eine ängstliche, weichmüthige Welt! Wer waget noch ohne Furcht und Hintergedanken zu sprechen: So ist's, so ist's; oder: nein, nein, so ist's nicht. Wer waget noch, das Böse und Schalkhafte beim rechten Namen zu nennen? Wer will die Hand bieten, es auszumerzen? In meinem Haus kann ich Ordnung halten; aber da draußen bin ich nur eine Stimme in einem großen Geschrei, eine Welle in einer großen See.«

Die Frau schüttelte traurig das Haupt und Jungfrau Regina wendete das Gesicht ab.

»O Ludolf,« sprach die Matrone, »wohl hältst Du Ordnung im Haus. O Ludolf, Ludolf, laß aus der leimernen Wand, die Du zwischen Dir und Deinem Sohne aufgericht't hast, nicht ein' eiserne werden!«

»Ja, Herr Rathmann,« sprach Ehrn Hahn, »Ihr könntet's wahrlich in dieser Angelegenheit genug sein lassen; Euer Sohn, der tapfere Rottmeister –«

»Ist ein wackerer Mann!« rief Herr Erasmus Alberus begeistert, »ein leuchtend Exemplum und sein Name ein Loblied in jedem Mund. Stolz solltet Ihr sein, solchen trefflichen Sohn zu haben, Rathmann Horn. Was bedürfet Ihr noch der Zeugnisse für ihn? Habt Ihr nicht gesehen und mit Euern Ohren gehöret, wie die Herren in vergangener Nacht auf dem Neuen Markt ihn lobeten und wie Herr Kindelbrück von ihm sprach? Und sein Verhalten in vergangener Nacht im Kampf und Aufruhr, ist es nicht preisenswerth?«

»Sehet das leugne ich!« rief der Rathmann. »Grad sein Verhalten in verflossener Nacht hat mir recht klärlich bewiesen, daß der alte Geist noch übermächtig in ihm ist. Wer hat den Aufruhr zum Ausbruch gebracht? Wer ist schuld daran, daß die Flammen so verderblich emporschlugen? Markus Horn ist's und kein Anderer. Kann's mir schon denken, wie's ihm roth und dunkel vor den Augen ward, als er diesen Adam Schwartze zu Gesicht bekam. Seinen Aufschrei hab' ich gehört, und der Klang seiner Stimme gellt mir noch in den Ohren. Wohl mag mein Sohn diesen argen Mann hassen und verfolgen bis in den Tod; aber das Heil seiner Vaterstadt darf er nicht dabei auf das Spiel setzen, und solches hat er gethan. Wer kann dawider reden?«

Mit flammenden Augen erhob sich die sonst so stille und schweigsame Jungfrau, daß Alle mit Staunen und Wunder auf sie blicken mußten.

»Ich rede dawider!« rief sie. »Dawider rede ich und sage: Was sollte werden aus dieser Stadt ohne diesen Geist? Nur das Blut, das warm durch die Adern rollet, wird auch freudig verstürzet. Saget Ihr nicht selbst, da sei im Rath keine Hand kühn genug gewesen, sich zu erheben gegen die Bösen und die Falschen? Wie wollet Ihr denn die Feinde innen, die Feinde außen niederschlagen? Nein, Mutter, zupfet mich nicht am Aermel; es ist eine Zeit, wo auch die Unmündigen Zungen bekommen und die Steine auf den Gassen schreien; – nur allzu lang hab' ich in Furcht und Bangen geschwiegen und nur nächtens durch Weinen dem Herzen Luft gemacht. Ich will nicht mehr weinen, und daß mir das Herz nicht breche, will ich reden. Winket mir nicht, Herr Rathmann, frei sag' ich Euch in's Gesicht, Euer Handeln wider Euern Sohn ist ein thöricht Handeln, und diese Stadt Magdeburg würden sie nicht in der weiten Welt Unseres Herrn Gottes Canzlei nennen, wenn es Euch gegeben wäre, nach Euerm Willen und Sinn die Herzen zu beugen und die Hände in Fesseln zu schlagen! Ihr wollet wohl, daß man einstens von Euch spreche wie von dem alten Heiden, so seinem Sohn den Kopf abschlagen ließ, wie in des Vaters Druckerei man meinete? Hütet Euch, daß Gott nicht Eitelkeit und Strenge abwäge gegeneinander, und daß nicht die Wage hinüberschwanke zur ersten. Ja, blickt mich nur an, als sei der Blitz vor Euch niedergefahren; der gute Gott im hohen Himmel ist mein Zeuge, daß ich Euch verehret und gefürchtet hab', wie nur ein Mensch verehrt und gefürchtet werden mag. Aber nehmet diese meine Worte zugleich als Zeugniß, daß aus dem weichsten Thon ein harter Stein wird. Ja, blicket nur so starr mich an, Ihr schrecket mich nicht, obgleich ich nur ein armes, schwaches Mädchen bin. Die Herzen der Jungfrauen müssen hart werden und ihre Worte scharf in solcher Zeit, und Ihr werdet die Regina Lottherin nicht mehr zwingen durch ein Augenzwinkern oder ein leises Wort! Ja, Herr Rathmann, haltet Euern Sohn nur fern von Euch und rühmet Euch in Euerm Herzen darum; ich sage Euch, tausend und aber tausend arme kleine Kinder und viele tausend angstbedrückter Mütter und Jungfrauen in dieser großen Stadt gedenken in ihren Gebeten des Markus Horn, der so gut für sie streitet auf der Mauer und im Feld. Und der Frauen und Kinder Worte wird der gute Gott erhören; aber den starren Vater wird er richten, wie derselbige gerichtet hat. Weinet nicht, Mütterlein, ich kann nicht anders, es muß Alles heraus, zu lang hab' ich's in der Brust verschlossen gehalten; ich weiß es ja, nun wird der harte Mann mich auch verstoßen aus seinem Haus. O Mutter, Mutter, rechnet's mir nicht zu, ich kann nicht anders, und ich – will nicht anders, und auf Adam von Bamberg brenn ich selbst das Feuerrohr ab, wenn ich ihn erschau' vor meinem Fenster!«

Noch einmal faßte die Jungfrau die zitternde sprachlose Matrone in die Arme und küßte sie heiß und heftig, dann ging sie mit festen Schritten gegen die Thür. Eben so sprachlos wie die Frau Margaretha standen die Männer, und es war, als wanke der Rathmann auf seinen Füßen. Beide Hände streckte er gegen das Mädchen aus, als wolle er es zurückhalten; aber sie bemerkte es nicht und schritt aus dem Gemach. Durch die Stadt wirbelten dumpf die Trommeln, welche das Kriegsvolk nach dem Neuen Markt zusammenriefen, alle Gassen waren mit wilden, regellosen Haufen angefüllt, und auch die Schöneeckstraße wurde in diesem Augenblick vollständig erfüllt von dem tobenden Getümmel durchmarschirender Knechte aus den Springer'schen Rotten.

»Um Gott, laßt die Maid nicht gehen!« schrie der Doctor Alberus am Fenster in heller Bestürzung. »Jungfer Regina, um Gotteswillen – nicht unter das Volk!«

Der Tochter des Nachbars nach eilte der Pfarrherr von Sanct Ulrich, aber es war schon zu spät. Die Jungfrau trat schon von den Treppenstufen der Hausthür hinab in die Gasse und befand sich bereits mitten unter den wüsten Gesellen. Der Doctor Erasmus mochte wohl mit Recht einen Angstruf ausstoßen; im höchsten Grade gefährlich war's für ein Weib, jetzt diesem bereits wieder halb betrunkenen Gesindel in den Weg zu treten. Kränkung durch Wort und That mußte gewißlich die Folge davon sein. Seltsamerweise geschah aber der Regina Lottherin nichts dergleichen. Fest und stolz schritt sie quer durch die wilde, verluderte Bande; ihre durch Thränen blitzenden Augen gen Himmel richtend, schien sie vom Irdischen nichts mehr zu sehen und zu hören. Nach rechts und links wichen die aufgeregten Söldner mit stumpfem Staunen ihr aus, den Nächsten blieb die letzte Strophe des Gassenhauers, welchen sie brüllten, im Halse stecken. Es bildete sich eine Gasse vor der Jungfrau, und unangetastet erreichte sie das väterliche Haus. Kein schlechtes Wort, keine gemeine Redensart traf ihr Ohr, der überwältigende Eindruck dauerte noch fort, als die Reihen sich schon längst wieder hinter dem Mädchen geschlossen hatten, und tief bewegt kehrte der Pfarrherr von Sanct Ulrich zu den betäubten Eheleuten und dem Doctor Alberus zurück.

In seinem Sessel saß der alte Rathmann, hatte den Kopf in die Hand gestützt und schien in das tiefste Nachdenken versunken. Die Frau Margaretha saß neben ihm und warf durch ihre Thränen von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Blick auf den Greis. Der Doctor Alberus stand kopfschüttelnd am Fenster und folgte sogleich dem Winke des Geistlichen, als dieser zu ihm trat und flüsterte:

»Lasset uns gehen, Herr Doctor. Es wird am besten sein, wenn wir die Beiden allein lassen.«

Der Doctor nickte und leise schritten die beiden Herren hinaus. Auf dem Vorplatz faßte Herr Erasmus nach der Hand des Pastors:

»Habt Ihr jemals so etwas gehört? Bei allen Mächten, dieses Kindes Rede könnte einen König vom Thron werfen, könnte allein den römischen Kaiser Karolus den Fünften in den Staub drücken! Wie sie diesen Burschen und von dem Träbernfressen heimgekommenen verlorenen Sohn, diesen Meister Markus lieben muß! Bei allen Mächten, Ehrwürden, habt Ihr jemals solch ein Wetterleuchten aus Weiberaugen gesehen?«

Erst eine Viertelstunde später bemerkten die beiden frommen und gelehrten Herren, daß sie, statt über die Widerwärtigkeiten der Stadt Magdeburg, sich immer noch über Jungfrau Regina Lottherin unterhielten. Ein lieblicher Zauber hielt Beide befangen; bis die häßliche Wirklichkeit von Neuem auch über sie hereinbrach, und sie inne wurden, daß in der Viertelstunde, während welcher sie sich über Regina Lottherin unterhielten, in der Canzlei unseres Herrgotts die Ereignisse sich sehr zum Bösen weiter entwickelt hatten.

Mit zitternden Fingern berührte die Frau Margaretha Horn die Schulter ihres Eheherrn, der immer noch die Augen mit der Hand überschattete und stumm und in sich zusammengesunken da saß.

»O sprich zu mir, Ludolf! Sie hat nicht gewußt, was sie sagte; vergib ihr – Du weißt nicht, wie's um ein liebend Frauenherz bestellet ist. Es war nur die Liebe, die brennende Liebe, so aus ihr sprach. Zürne der Armen nicht. Du weißt nicht, in welchem Schmerz sie jetzt liegen wird; ich aber weiß es, und – Ludolf, o Ludolf, horch, horch, wie des Volkes Getös zunimmt – o Gott, ist das nicht schrecklich, daß in solcher Stund, wo man Alles, was man lieb hat, an sein Herz zusammenraffen möcht', daß in solcher Stund' Alles auseinander fällt, und Niemand Einen hat, an welchem er sich halten kann.«

Die Hand nahm der Greis von den Augen und richtete sich in die Höhe:

»Ist es denn wahr? Hat sie denn Recht? Der Frauen und Kinder Gebet um den Markus Horn wird Gott erhören; aber den harten Vater wird er richten, wie derselbige gerichtet hat?! Wie richt' ich denn meinen Sohn? Was war das? Was war das? Weib! Margaretha, sag' mir, ob sie Recht hat; es ist mir, als sei mir auf wilder See das Steuerruder zerbrochen; ich fühl' den Boden fest unter meinen Füßen, und doch glaub' ich nicht mehr, daß er mich sicher trägt. Margaretha, Margaretha, geh', hole mir das Kind – Margaretha, ruf die Regina Lottherin zurück – nein, nein; nicht doch; ruf' sie nicht; ich will zu ihr gehen, sagen will ich ihr –«

Ein gellendes Geschrei durchklang in diesem Augenblick die Schöneeckstraße, händeringende Weiber stürzten an den Häusern hin oder warfen sich in höchster Angst in die Thüren. Schüsse krachten, erst vereinzelt, dann in schnellster Folge vom Breiten Wege her. Ein Laufen und Rennen, ein Brüllen, Heulen, Stoßen, Drängen und Treiben in allen Gassen, auf allen Plätzen! In hellen Flammen loderte die Empörung des Kriegsvolkes auf; Herr Erasmus Alberus hatte Recht gehabt, diese Versammlung auf dem Neuen Markt, diese halbe, zögernde Bewilligung der Forderungen des mißvergnügten Volkes war, wie immer in solchen Fällen, sehr zum Uebeln ausgeschlagen. Das Blut mochte den Bewohnern von Magdeburg in den Adern erstarren bei dem Anblick, den mit einem Mal ihre Stadt darbot.

Auch in das Haus des Rathmanns Horn flüchteten wehrlose Weiber und waffenlose Bürger und hoben, als Herr Ludolf zu ihnen hinaustrat, die Hände:

»Herr Rathmann, Herr Rathmann, rettet, helft! Verloren ist die Stadt! Alles würgen die Meuterer, und Alles schlägt sich zu ihnen. Sie brechen in die Häuser! Gott schütze uns! Ueber geht die Stadt! Gott schütze das arme Magdeburg!«

In diesem Lärm des erschreckten Volkes fand der Rathmann seine frühere Sicherheit wieder. Nach Kräften sprach er den Frauen Muth ein, den Männern gab er Waffen, damit sie im Nothfall das Haus vertheidigen konnten. Dann trat er, ohne auf das Flehen der Gattin zu achten, in seiner Amtstracht hinaus in die Gasse, um im Nothfall sein Leben hinzugeben für die Gemeinde, starrköpfig, tapfer und treu wie ein römischer Senator aus der ersten Zeit der Republik. Einen Blick warf er nach dem Hause des Freundes Lotther hinüber und vergewisserte sich, daß die Druckergesellen und der Meister Cornelius in Abwesenheit ihres Herrn nichts versäumten, das Gebäude in Vertheidigungszustand zu setzen. Feuerröhre und Harnische sah er an den Fenstern und den alten Cornelius mit einem gewaltigen Schwert in der Hausthür. Reginen erblickte er aber nicht und hätte doch im Innersten viel darum gegeben, wenn er der Jungfrau hätte zuwinken können.

Die Schöneeckstraße war in diesem Augenblick vollständig menschenleer und schnell gelangte der Rathmann auf den Breiten Weg; aber bei dem Anblick, der ihm hier vor die Augen trat, entsank der Stab fast seinen Händen. Da wälzten sich Haufen mit Haufen und Haufen gegen Haufen; da raste die wüthende, sinnlose Söldnerschaft der Stadt, gleich einem reißenden Thier, welches von der Kette losgebrochen ist. Die Haken wurden gegen die Luft, gegen die Fenster oder die Widersacher losgebrannt. Ueber Dampf und Qualm, Speerspitzen, Schwertern, Hellebarden schwebten die Fähnlein; aber nicht in der Hand der Fähnriche, sondern der losen Buben, welche sie mit Gewalt den Fähnrichen aus den Quartieren gerissen hatten. Alle drei Banner der städtischen Knechte waren in der Hand der Meutmacher und wehten der Rebellion voran.

In dem Moment, wo der Rathmann Horn auf den Breiten Weg trat, wurde ein Haufe verzweifelt sich wehrender Bürger die Straße hinabgedrängt, und im nächsten Augenblick fand sich Herr Ludolf mitten im Getümmel und unter den Füßen der Menge. Er wäre verloren gewesen, hätte ihn nicht eine starke Hand emporgerissen und ein kräftiger Arm ihn unterstützt. Dem wackern Sebastian Besselmeier eigneten Arm und Hand, und ohne der schmerzhaften Stöße und Tritte, die er bereits erhalten hatte, zu achten, wandte sich der Rathmann sogleich an den Geschichtschreiber des Magdeburg'schen Krieges:

»Was ist denn geschehen? Um Christi willen, Meister, Meister, das ist ja schlimmer, viel schlimmer, als der böseste Traum es vormalen könnt'!«

Wild und verzweifelt lachte der sonst so ruhige Meister:

»Ist das nicht lustig? Ist das nicht für Gottes Wort gekriegt? O Jammer und Bosheit! Wie es angegangen ist? In Wütherei und Schwindelgeist, wie es kommen mußt'. Gedräut haben sie im Ring, und wie es recht war, hat sie der Oberste nach ihrem Gebühren gehießen: Laurer, Hudler, Schelme und Bösewichte! Hui, da war des Teufels Gespinnst fertig, Aufzug und Einschlag. Nun können wir die Hefen des Zornes saufen; 's ist ein Wunder, daß die Thore der Stadt dem Feind nicht schon sperrangelweit aufstehen!«

»Und Niemand mehr, der ihnen wehret!? Und keine Hilfe, kein Einsehen, kein Donner, so zwischen sie schlage!«

»Wohl halten sich noch auf dem Domplatz und im Rathhaus kleine Schaaren der ehrlich Gebliebenen, und Euer Sohn drunter. Und die Bürger sind in Waffen; aber Alles ist zerstreut und nirgends ein Sammeln in der mörderischen Gefahr!«

»Und die Führer, die Hauptleute, der Oberst Alemann?«

Des Rathmanns Stimme verhallte im Getöse; der Meister Sebastian ward im Gewühl von seiner Seite gedrängt; nach dem Altstadtmarkt, nach dem Rathhause wogte der Aufruhr, und ward ein Wirbeln und Kreisen daselbst, einem Meerstrudel vergleichbar.

Auf das Rathhaus hatten sich der Oberst Ebeling Alemann sammt den Musterschreibern gerettet, vor der ersten Wuth des Volkes mit Lebensgefahr durch Christof Alemann und Markus Horn geschützt. Auf dem Rathhause und um das Rathhaus drängte sich Alles, was es mit der Stadt hielt, zusammen und das: »Rette die Stadt, schütze die Stadt!« mischte sich hier auf das Wildeste mit dem: »Nieder mit der Stadt! Herunter mit dem Jungfernkranz! Vivat Kurfürst Moritz!« –

Heillosester Unfug wurde überall in der Stadt ausgeführt; zu den Meuterern schlugen sich »ungezogene Bürgerskinder, lieffen mit jhren Wehren, ein jeder zu seinem Fähnlein, nach mittage umb 1 Uhr. Und wo sich etliche Fähnriche nicht wolten finden lassen, und die Thüren versperreten, do dreweten sie, die thür in drümmern und den Wirth in stücken zu zerhawen – – do schlugen sie um, daß jeder Knecht müsse dabey sein; oder wo man einigen im Losament fände, den wolten sie als einen Schelmen in Stücken zerhawen. Da geschah ein zulauffen, etliche die halb todt waren, etliche auff Krücken, etliche mit halben, etliche mit einem Beine, ein jeder wolte gern darbey sein.« –

Nachricht kam zu dem Obersten Ebeling auf das Rathhaus, das wüthende Kriegsvolk laufe sein Haus mit Sturm an, sei auch wohl schon hineingedrungen, und Niemand möge wehren.

Da raufte der unglückliche Mann in Angst und Verzweiflung sich die Haare aus und schrie nach seinem Weibe und seinen Kindern. Der Fähnrich Christof Alemann stürzte einem Rasenden gleich in das Gewühl, um wo möglich noch Rettung zu bringen. Mit zerrissenen Kleidern begegnete ihm in den Gassen die gemißhandelte Familie seines Oheims; das Haus desselben war von oben bis unten verwüstet, im Keller waren die Fässer eingeschlagen, Kisten und Kasten in den Gemächern zertrümmert; kein Fenster war mehr ganz.

Immer toller ward der Lärm. Herr Hans von Kindelbrück, der alte tapfere Hauptmann, der in sein Quartier ebenfalls hatte fliehen müssen, wurde daselbst aufgesucht, die Treppe hinabgestürzt, mit Hakenbüchsen gestoßen, mit Fäusten geschlagen und in Hosen und Wamms auf die Gassen gerissen und in den Ring gezogen. Da schrie man ihm zu: »Nun haben wir es mit Dir zu thun, Du Schalk, Du grauer Sünder! Wer hat dem Rath widerrathen, nach dem Otterslebener Fang den Knechten einen Monatssold auszuzahlen? Wer hat's widerrathen dem Rath nach dem Fang des Fürsten von Mecklenburg, den wir jetzo aus seinem Gewahrsam holen wollen und mit ihm ziehen zum Kurfürsten!«

Halb bewußtlos von den grausamen Mißhandlungen lag der alte Mann und ehrliche Freund Markus Horn's in dem Kreis, welchen die niederträchtigen Meuterer um ihn geschlossen hatten. Bewußtlos lag er, verlassen von Jedermann in der Gasse, nachdem das schändliche Volk sein Müthchen an dem Greise gekühlt hatte. Zerstreut, abgefallen war sein Fähnlein, schwer verwundet lag sein Fähnrich Junge von München in seinem Losament; seine Rottmeister suchten bis jetzt vergeblich, hie und da ihre Rotten wieder zusammenzubringen; der einzige, dem es gelungen war, hatte auf dem Altstadtmarkt einen überharten Stand. Eine dumpfe Erinnerung hatte der alte Kindelbrück, daß sich, während er so lag, Hans Springer zu ihm niedergebeugt und grinsend gesprochen habe:

»Bigott, da han mer den Einen 'runter. Tusig blutige Tüfel, 's Geschäft und Ding gahet auch ohn' das Adämle, und brauch' i nit amol den Finger drum zu rühra.«

Solche Erscheinung und solche Worte konnten aber auch nur ein Fiebergebild im Hirn des armen Hans von Kindelbrück gewesen sein. Schwören wollt' er nicht auf ihre Wirklichkeit, und zehn Tage nachher, am neunundzwanzigsten März, am ersten Ostertag, ist er bereits an den Folgen der ertragenen Mißhandlungen gestorben.

Hin und wider wirft uns der Geist dieser Geschichte an diesem schrecklichen Tage. Wie zum fröhlichen Feste geschmückt, verläßt die schöne Lagerfrau Johanna, strahlend in ihrem besten Putz, ohne venedische Maske und spanische Gugel, mit dem Lachen der befriedigten Rache auf den Lippen, des Hauptmanns Springer Quartier hinter den Barfüßern. Sie schreitet, von einigen Knechten begleitet, durch die Gassen. Sicher und frei geht sie durch die zitternde Stadt und fürchtet heute keinen Blick, keinen Mund der Ehrbaren; Herrin und Gebieterin dünkt sie sich heut in unseres Herrgotts Canzlei. Gesehen wurde sie auf dem Breiten Wege, dann am Kirchhofe von Sanct Johannis; aber da ist sie verschwunden; Niemand hat sie wieder erblickt. Ihre Begleitung ist von ihr abgedrängt, sie selbst fortgerissen worden von der Menge. Manch ein Leichnam schwamm an diesem Tage die Elbe hinab. Bei Rothensee zogen Knechte des Belagerungsheeres einen nackten, zerfetzten weiblichen Körper mit Haken an das Land; – wer kann sagen, ob das der Leib der schönen Cortesana Johanna von Gent vielleicht gewesen ist?

Mit wirrem, fliegendem Haar irrte der Magister Wilhelm Rhodius durch die Gassen. Zeichen sah er am Himmel und auf Erden, auf feurigen Rossen feurige Reiter in gelben und schweflichten Panzern. Die wahnwitzigen Bilder der Apokalypse schwankten vor seinen Augen, schwarz wurde die Sonne wie ein härener Sack und die sieben Donner redeten ihre Stimmen; los war das siebenköpfige Thier der Lästerung und das zweiköpfige Thier der Verführung. Blatt um Blatt der Offenbarung riß der tolle Prädikant aus seiner Bibel und streuete sie in die Lüfte und schrie durch die Gassen von Magdeburg, und die wildesten Gesellen wichen ihm aus. Da traf ihn vor der Lauenburg eine Kugel, welche der Feind von Diesdorf her in die Stadt schleuderte, und so starb der Magister Wilhelm Rhodius, indem er seufzte:

»Und er zeigete mir einen lautern Strom des lebendigen Wassers, klar wie ein Krystall.«

Herr Flacius Illyricus, welcher das Barett mit einer Sturmhaube vertauscht hatte, über dem schwarzen Scholarenrock einen Brustharnisch trug und ein Schwert an der Seite führte, sah den Unglücklichen fallen, eilte hinzu, doch der Tod war schneller als er, und so konnte er nur den Leichnam zur Seite tragen, daß er von der Menge nicht zertreten werde.

Noch stand Herr Flacius neben der Leiche des Schwärmers, an dem Untergang der Stadt eben so wenig zweifelnd wie dieser Todte daran gezweifelt hatte, als ihm, dem Illyrier, das erste Zeichen ward, daß doch noch nicht alle Hoffnung verloren sei. Aus der Ulrichsstraße hervor klang mit einem Male Trommelschlag, und in geordneten Massen, vollständig gerüstet, mit schwebendem Banner, rückte die Bürgerschaft der Ulrichsgemeinde vor. Mit Bibel und Schwert schritt an der Spitze dieser rüstigen Schaaren Herr Nikolaus Gallus als geistlicher Führer und Berather; neben ihm stieg als weltlicher Befehlshaber Meister Michael Lotther, der Buchdrucker; jeder Bürgerrottmeister war an seinem Platz, und Zug auf Zug fällte, im Harnisch rasselnd, die langen Spieße beim Austritt auf den Breiten Weg. Niedergeworfen wurden die ersten Haufen des Pöbels und der Meuterer, Raum gaben die übrigen. Rotte auf Rotte in ruhiger, stattlicher Ordnung zog auf, dem leisesten Wink ihrer Führer gehorchend, und bald standen über achthundert treffliche Männer in Schlachtordnung auf der Hauptstraße der Stadt. Unsäglichen Ruhm und Preis hatten sich Meister Michael Lotther und Nikolaus Hahn um die Stadt Magdeburg erworben. Sie hatten die Bürger ihres Kirchspiels, welches der Aufruhr nicht so ganz wie die andern Gemeinden überschwemmt hatte, aus ihrer Betäubung gerissen, sie hatten die ersten zwanzig, die ersten fünfzig, die ersten hundert muthfassenden Herzen zusammengebracht; von ihnen ging der erste Strahl wiederkehrender Besinnung aus.

Zu dem Buchdrucker und dem Pfarrherrn sprang Herr Flacius mit der Bitte, daß man auch ihn hierbei zum Besten der Stadt verwende. Aus allen Häusern den Breiten Weg entlang vorstürzend, schlossen sich Bürger, hoch und niedrig, den geordneten Schaaren an.

»Es geht gut! Es geht gut!« schrie der Buchdrucker, das Schwert schwingend. »Für unseres Herrn Gottes Canzlei! Vivat Magdeburg, Magdeburg, Magdeburg!

Tausendstimmig riefen jetzt die Schaaren die Worte nach.

»Vorwärts im Namen Gottes nach dem Alten Markt, daß wir das Rathhaus aus der Hand der Bösen und Falschen erretten!« rief der begleitende Prediger von Sanct Ulrich.

»Halt, halt, Ehrwürden,« sprach aber der kriegskundige Buchdrucker und bewies, daß in der That ein Feldherrngeist in ihm stecke. »Jetzt theilen wir die Armada. Ihr mit der Hälfte haltet hier, haltet Wacht vor Sanct Ulrich, daß uns zu Haus kein Schaden geschiehet, haltet uns den Rücken frei und bleibt Herren des Breiten Weges. Ich marschir' weiter mit meinen Freunden, Nachbarn und Gevattern, und deren sind wohl fünfhundert. Gottes Tod, wir wollen den eidbrüchigen Hallunken und dem übrigen Gesindel auf die Köpfe fahren wie das böse Wetter.«

»Wohl gesprochen!« sagte der geistliche Herr, ohne den Fluch des Meisters Michael zu rügen. »Hier diesen Platz halt' ich bis in den Tod. Gott schütze die Stadt!«

Ausgeführt wurde das Wort des Buchdruckers. Ein Haufe von vierhundert Mann, der aber bald auf sechshundert wuchs, schützte den Breiten Weg. Mit den übrigen Kämpfern setzte sich Meister Michael Lotther wieder in Bewegung, gegen den Altstadtmarkt anrückend. Ihm schloß sich der Magister Flacius an und vernahm nun auch noch, daß Herr Galle von Fullendorf mit tausend treugebliebenen Knechten Mauer und Wall in guter Wacht halte gegen den äußern Feind, daß eine genügende Streitkraft das Ulrichsviertel schütze, daß für das Haus des Buchdruckers der Factor Cornelius, für das Haus des Rathmanns Horn der Doctor Erasmus Alberus ihr Bestes thun würden, daß die Weiber – er meinte die Frau Margaretha und sein Töchterlein – wenn auch etwas ängstlich, doch ziemliche Herzhaftigkeit bewiesen.

Wir lassen jetzt den Meister Michael und den illyrischen Magister mit ihren muthigen Schaaren vorwärts ziehen und wenden uns nach dem Rathhaus.

Hier ließen sich die Sachen immer bedenklicher an. Wer sich nicht den Aufrührern angeschlossen hatte, war von dem Markt geflohen, und der Platz befand sich vollständig in der Gewalt der Meuterer; auch das städtische Zeughaus hatten sie erbrochen und beraubt; mehrere der umliegenden Bürgerhäuser waren ebenfalls bereits geplündert. Mißmüthig erhob der Roland über diesem heillosen Wesen das Schwert, schmerzlich schien der Kaiser Otto von seinem Roß auf das Gewoge herabzublicken. Von allen Seiten war das Rathhaus von den Angreifern umschlossen, und keiner der darin Befindlichen wußte, wie es in der übrigen Stadt stand.

Von oben bis unten war das alte Gebäude mit Menschen gefüllt. Massenhaft hatte sich das Volk, Männer, Weiber und Kinder durcheinander, hineingeflüchtet; in den Gängen, auf den Treppen lagen, saßen und standen weinende und zitternde Gruppen; die Fenster waren mit Schützen besetzt, die Thüren mit Pikenträgern, welche Markus Horn befehligte. Mit Hämmern und Aexten, mit Spießen und Stangen liefen die Meuterer die Vertheidiger an. Die Büchsen krachten. Sinnbetäubendes Geschrei – Gebrüll stieg zum Himmel.

»Steht fest für die Stadt! Im Namen Gottes steht fest für die Stadt!« ließ sich immer von Neuem Markus Horn's Stimme vernehmen, wie er keuchend, in namenloser Angst um die Theuern, deren Geschick er sich auf's Gräßlichste ausmalte, hier, fern von ihnen und doch so nah, seinen Posten behauptete. Böse Wunden schlug heut sein Schwert, stieren, wirren Auges blickte er auf die Angreifer und schlug sie nieder, der Braut, der Mutter, des Vaters gedenkend:

»Stehet fest für die Stadt! Haltet fest für die Stadt!«

»Hie für die Stadt, für die Stadt!« schrie's plötzlich mitten unter den Meuterern, und dann rang sich bei einem Zurückweichen derselben ein blutender junger Knecht, der einen Greis halb trug, halb auf dem Boden nachschleifte, aus dem Getümmel los. Mit letzter Aufbietung aller seiner Kräfte schleuderte Bernd Kloden den Rathmann Horn, den Vater seines Rottmeisters, diesem in den Arm, um in demselben Augenblick unter den Spießen und Kolben todt zusammenzubrechen. So schnell ging Alles, daß Markus Horn sich nicht die mindeste Rechnung ablegen konnte, wie es geschah. Er konnte nur seinen ohnmächtigen Vater hinter sich werfen in die Arme Jochen Lorleberg's, um dann eben so schnell den Kampf wieder aufzunehmen.

»Haltet aus für die Stadt! Hie Magdeburg, Magdeburg!«

Im großen Saale des Rathhauses kam Herr Ludolf Horn wieder zum Bewußtsein inmitten schreckensbleicher Gesichter und verzweiflungsvoller Geberden. Da irrte mit gerungenen Händen Herr Hans Alemann, der eine Bürgermeister, im Saale herum. Herr Ulrich von Embden, der andere Bürgermeister, saß auf seinem Amtsstuhl, finster, mit zusammengebissenen Zähnen und blickte starr nach der Decke. Rathleute, Innungsmeister, Secretäre, alte Bürger saßen und standen rathlos umher. Der Oberst Ebeling Alemann hatte sich einer Hakenbüchse bemächtigt und feuerte wie ein einfacher Schütz aus einem Bogenfenster auf die Meuterer; seinem Beispiel folgte Herr Kaspar Pflugk, der böhmische Herr. In einem Winkel des Saales aber stand ein Mann, den man hier nicht vermuthet hätte – Herr Hans Springer. Der Ausbruch der Empörung am Morgen hatte ihn wieder in seinem gewohnten Rausch gefunden. Halb betrunken wurde er im Getümmel hin- und hergeworfen, hatte den Hauptmann Kindelbrück mißhandeln sehen, und während die meuterischen Knechte seinen Namen als Feldgeschrei brüllten, schleuderte die Ironie des Geschicks den armen Hänsel mit der Fluth der Flüchtenden in das Rathhaus, wo er nun wie in einem hohnneckenden Traum befangen stand und umherstarrte. Diese Bosheit des Fatums enthielt aber doch zugleich ein Glück für den Mann, und der Hauptmann war wenigstens klug genug, den Vortheil, der darin steckte, herauszufinden. Wer durfte es fürder noch wagen, den Hauptmann Hans Springer der Theilnahme an dieser großen Rebellion des neunzehnten März zu bezichtigen, ihn als einen der geheimen Urheber derselben hinstellen und anklagen? Wir finden auch, daß die Vorwürfe der Chronisten um die Zeit kurz nach der Meuterei verstummen, bis sie mit dem Tode des Mannes wieder aufleben, ganz entgegen dem alten Wort: De mortuis nil nisi bene, welches übrigens auch ein dummes Wort ist, da man über einen Schuft auch nach seinem Verscheiden nicht schlecht genug reden kann.

Eine lange Zeit starrte der Rathmann Horn, in den Armen eines alten Schöffen liegend, auf die umstehenden Gruppen, auf die langen Reihen in Oel gemalter Bürgermeister an den Wänden, ehe er sich klar wurde, über den Ort wo er sich befand, und die Art und Weise, wie er hierhergekommen sei. Der Lärm des Kampfes, der Pulverqualm, der in die hohen Fenster drang und unter der Decke des Saales hinzog, thaten das Ihrige, die Betäubung zu verlängern. Ein gewaltiges Schreien: »Vivat Markus Horn! Vivat Markus Horn!« gab ihm zuerst die Fähigkeit zu sprechen wieder:

»Was ist's? Was rufen sie?« fragte er mit matter Stimme den greisen Schöffen, der ihn auf dem Fußteppich des Rathssaales so freundlich unterstützte.

»Sie rufen Euern Sohn, der uns so gut vertheidigt! Horcht nur, horcht!«

Ein neues Rufen und ein neues Krachen der Feuerröhre.

»Mein Sohn! Mein Sohn!« murmelte Herr Ludolf. »Wieder mein Sohn! O Regina, Regina, wenn Du wüßtest – –«

Er schloß die Augen von Neuem und fiel wieder in die vorige Bewußtlosigkeit zurück. Als er abermals aufwachte, war eine tiefe Stille rings umher, und es war dunkel um ihn; er lag auf weichen Kissen, und als er sich regte, schlug eine kleine Hand einen Vorhang seines Lagers zurück und zwei Frauenköpfe beugten sich vor, umflossen von einem Strahl der Abendsonne. Der Rathmann Ludolf Horn sah, daß er sich in seiner eigenen Kammer befand, daß er auf seinem eigenen Bette lag. Die beiden Frauen aber, welche sich über ihn beugten, waren sein Gemahl Frau Margaretha und Regina, des Nachbars Töchterlein. Der neunzehnte März des Jahres Fünfzehnhunderteinundfünfzig neigte sich seinem Ende zu; – zu Ende war die große, unheilvolle Meuterei, und unseres Herrgotts Canzlei war nicht über den Haufen geworfen worden; hoch hielt die Magdeburg'sche Wappenjungfrau ihr Kränzlein über alle Schrecken.

Einen Blick von unendlicher Liebe und Zärtlichkeit warf der Greis auf seine Frau und die holde Maid; das Haupt der Letzteren zog er mit beiden Händen hernieder zu sich und küßte die weiße, kluge Stirn und den süßen Mund, der so bittere Wahrheiten sagen konnte.

Dann forderte der Rathmann Bericht über das, was geschehen war während seines Geistes Dunkelheit; aber wenig wußten die Frauen zu sagen. Noch seien alle Straßen besetzt – sagten sie – die gesammte Bürgerschaft stehe unter den Waffen; der Factor Cornelius habe die Nachricht gebracht, Herr Albrecht von Mansfeld habe der Stadt siebentausend Gulden vorgeschossen, damit habe man einen Theil des meuterischen Volkes zufriedengestellt, einen andern Theil habe man aber mit gewaffneter Hand niederlegen müssen. Der Vater Lotther sei noch nicht heimgekehrt; dessen Lobes sei aber Jedermann voll; er habe mit den Männern der Ulrichsgemeinde zuerst die Sache zum Besten gewendet; er habe das Rathhaus gerettet; wo er aber jetzt sei, wisse man nicht.

»Und wo – wo ist – mein Sohn Markus?« fragte zuletzt der Rathmann, mit leiser Hand lächelnd der Jungfrau die Locken aus der Stirn streichend.

Da ward Regina Lottherin purpurroth und konnte nichts hervorbringen als:

»O Vater!«

Und die Frau Margaretha legte freudig weinend dem Gatten die Arme um den Hals.

»Gehet nur, Ihr Weiblein,« sprach der Greis dann; »jetzt will ich aufstehen: die Püffe und Knüffe, so ich empfangen hab' im Gedräng', sind verwunden. Sorget für einen Imbiß und einen guten Trunk, daß wir, wenn der Nachbar mit seinen Lorbeeren, wenn – mein – der Rottmeister Horn kommt, zusammen anklingen auf das Heil und Glück dieser alten, guten Stadt Magdeburg.«

»Aber, Ludolf, willst Du nicht lieber im Bett bleiben?« rief die besorgte Matrone. »'S wird doch besser für Dich sein!«

»Nein, nein,« rief der Rathmann. »Ich weiß schon, was mir gut ist; ich will aufstehen. Hier vergeh' ich vor Unrast. Geht, sorget für ein Mahl und einen Becher Wein. Den tapfern Jungen, der mich zuerst aus dem Wirrwarr zog, muß ich auch haben, müssen sie mir auch bringen. Lasset mich, Ihr Weiblein, ich bitte Euch!«

Da die Frauen sahen, daß der Alte auf seinem Willen bestand, so verließen sie das Gemach. Da lag der Rathmann Ludolf Horn im Schein der Abendsonne noch eine Weile und hielt die Hände auf die Brust gefaltet. Er betete – für die Stadt – für alle ihre tapfern, treuen Vertheidiger. Feierlich und freudig war seine Seele; er hatte solch ein Gefühl in seinem ganzen langen Leben nicht gespürt.

Dann erhob er sich und trat fest auf seine Füße, reckte sich und fühlte nichts mehr von Schwäche.

Er ärgerte sich eigentlich, daß er aus dem bösen Kampfe, in welchem so mancher gute Mann sein Blut in Strömen vergossen hatte, nur einige blaue Flecke davontrug.

»Und dazu in eine Ohnmacht fallen, wie ein Weib; ich schäme mich ordentlich vor der Lottherin,« brummte er, als er die Treppe hinabstieg. Nieder saß er im Wohngemach und erfuhr nun noch von den Frauen, daß er durch Landsknechte in's Haus getragen sei, und Regina fügte hinzu, daß es Knechte aus des Markus Rotte gewesen seien.

»So, so, Kindlein, und Du kennst wohl jeden Mann in des Knaben Rotte?« lächelte der Alte, und wiederum erröthete die Jungfrau.

Einen Becher Rheinwein trank Herr Ludolf Horn, allein beim zweiten leistete ihm schon der Doctor Erasmus Gesellschaft, zum dritten kam der Magister Flacius Illyricus und brachte die Nachricht mit: Nur um das Zeisigbauer herum scharmützele man noch ein wenig, sonsten sei es ruhig. Bei und in dem Zeisigbauer sei aber die Grundsuppe des Uebels zusammengeflossen; da kämpfe man noch mit dem Gesindel, den Spitzbuben, Gurgelschneidern und dem schlechtesten Auswurf des städtischen Kriegsvolkes; aber auch Das werde bald zu Ende sein, und am besten werde man thun, wenn man Käficht und Vögel in Flammen aufgehen lasse, verloren sei nicht das Allergeringste dran.

Man unterhielt sich nun von den Erlebnissen des Tages. Jeder hatte das Seinige davon zu erzählen. Die beiden Frauen hielten sich an den Fenstern und blickten bei jedem Lärm in die Gasse, jedesmal wenn sich Fußtritte näherten, schnell hinaus; aber noch immer erschienen Markus und der Vater Lotther nicht. Nicht mit einem Male kam die große Stadt zur Ruhe; ein stufenweises Sinken der Aufregung ließ sich bemerken. Schaarwachen durchzogen fort und fort die Straßen; Verwundete brachte man in Spitäler; Frauen und Kinder irrten weinend umher und suchten vermißte Gatten und Väter. Es wurde immer dunkler, und noch wollten Markus und der Meister Michael nicht erscheinen, und immer ängstlicher wurden die Mienen der Frauen.

Der Factor Cornelius kam mit der Nachricht: eben dringe man in das Zeisigbauer, der Oberst Ebeling Alemann führe die Angreifer in eigener Person; es müsse daselbst auch Feuer ausgebrochen sein; der Himmel werde blutroth dort hinaus. – Ein Nachbar brachte die Botschaft: auf dem Neuen Markt zahle Graf Albrecht von Mansfeld im Ring bei Fackelschein dem Volke den versprochenen Monatssold, und die Bürgermeister hätten leidergottes doch den reuigen Meutmachern angeloben müssen, Niemanden um den heutigen Tag zu strafen.

Immer einsilbiger ward die kleine Gesellschaft im Hause des Rathmanns Horn; zuletzt sprach Niemand mehr. Abschied nahmen die Herren Alberus und Flacius, und so saß denn endlich Herr Ludolf mit den beiden Frauen allein, wartend in Schmerzen.

Niemand dachte daran, die Lampe anzuzünden; dicht aneinander drängten sich Frau Margaretha und Jungfrau Regina, und jede suchte die eigene Bedrückung dadurch zu überwinden, daß sie der Andern mit leisester Stimme Trostworte zuflüsterte. Den Greis überkamen nun doch zuletzt die Folgen des Tages; vor großer Ermattung sank ihm das Haupt zurück, und wie er sich dagegen auch wehren mochte, er schlummerte ein und schlief bald tief und fest.

So verging noch eine bange Stunde, und es war ganz und gar Nacht geworden, als der alte Mann aus tiefstem Schlafe im jähesten Schreck wieder emporfuhr. Rothe Flammen tanzten vor seinen Augen, eine dunkle Mannsgestalt stand mitten in der Stube und sprach, doch der Rathmann war noch nicht im Stande zu begreifen, was sie sagte. Aufgeschrien hatten die Frauen; Fackeln leuchteten in der Gasse, und ihr Schein flackerte an der Decke des Gemaches; Waffen blitzten und klirrten, schweigendes Volk drängte sich in Menge in der Schöneneckstraße und füllte den ganzen Raum zwischen den Häusern des Buchdruckers und des Rathmannes. Vor die Thür des Letzteren wurde eine Bahre gebracht, und darauf lag Markus Horn mit blutigem Haupt, ohne Besinnung, unterstützt von Herrn Nikolaus Gallus, dem Prediger von Sanct Ulrich. Aus der Hausthür stürzten die Frauen; der Mann im Gemache faßte den auf den Füßen schwankenden Greis in den Arm; es war der Buchdrucker Lotther, bestaubt, geschwärzt, blutbespritzt.

»Ruhe, Ruhe, Nachbar«, rief er. »Todt ist er nicht. Gott wird es ja wohl zum Besten kehren. O Markus, mein guter, tapferer Markus!«

»Mein Sohn! Mein Sohn!« schrie der Rathmann Ludolf Horn mit solchem Ausdruck wahrsten Schmerzes, tödtlicher Angst, daß der Buchdrucker ganz bestürzt zurücktrat.

»Mein Sohn! Mein Markus! Ich habe ihn getödtet! Wehe, wehe, er ist todt, todt!«

»Nein, nicht todt, Nachbar!« rief der Buchdrucker. »Einen tüchtigen Klaps hat er freilich weg; aber Gott wird doch nicht zulassen wollen, daß der wackre Junge dran verscheide. Beruhigt Euch, Ludolf. Kommt zu den Frauen; – sie bringen ihn schon die Trepp' herauf. Ruhig, Mann, ruhig; macht die Weiber nicht noch wahnwitziger, als sie schon sind.«

In das Vaterhaus ward Markus Horn von Jochen Lorleberg getragen, Peter Rauchmaul und Veit Brachvogel; das gute Schwert trug ihm laut heulend Fränzel Nothnagel, das Pfeiferlein, nach. Auf dem Bett, von welchem sich der Vater vorhin erhoben hatte, lag nun der schwerverwundete Sohn. Es kamen Doctoren und Wundärzte, gaben aber wenig Hoffnung; der Vater und die Mutter wichen nicht von dem Lager des Kindes. Einen bejammernswertheren Mann als den Rathmann Ludolf Horn hatte die Alte Stadt Magdeburg lange nicht gesehen. Regina Lottherin zeigte, so lange das Schwanken zwischen Leben und Tod dauerte, eine wahrhaft männliche Fassungskraft, sie brach erst zusammen, als das Geschick des Geliebten sich zum Bessern wendete, und kränkelte bis in den September, bis zum Ausgang der Belagerung. Sie erfuhr von ihrem Vater noch an demselben Abend die Art, wie Markus seine Wunde erhalten hatte.

Am Tag nach der Meuterei erst waren der Rathmann und die Frau Margaretha fähig anzuhören und zu begreifen, wie das Unglück sich zugetragen hatte. An diesem Tage, als dem zwanzigsten März, dem Freitag nach Judica, kamen die Pfarrherrn aller Kirchen mit den fremden Geistlichen, dem Doctor Erasmus Alberus und dem Magister Flacius zwischen sechs und sieben Uhr Abends auf das Rathhaus und brachten über die Meuterei »jhren Christlichen Trost für einen ganzen sitzenden Rath«. Da hat das Wort Herr Lucas Rosenthal, der Pfarrer zu Sanct Johannis, gehalten.

Das Exordium ist gewesen von dem Glück, welches Gott gegen den auswärtigen Feind der Stadt gegeben hatte, und dem Leid und Neid des Teufels, der »nun gerne durch geschehene Meuterey hat wollen was Arges stifften.« Auf daß aber Niemand verzage, »waren die Argumenta von der Sedition unnd Tumult der Israelitarum wider den Mosen und Aaronem

Als der Buchdrucker Michael Lotther von diesem feierlichen Acte heimkehrte, trat seine Tochter zu ihm und sagte:

»Wolltet Ihr nicht mit zum Nachbar hinüberkommen? Er verlangt nach Euch, sitzet wortlos und kümmerlich da, aber will doch jetzt hören, wie das Schreckliche geschah.«

Der alte, tapfere Meister Michael seufzte tief und schwer, hing sein Amtskleid als Innungsmeister an den Nagel und folgte der bleichen Jungfrau zum armen Ludolf Horn.

»Wie geht's mit ihm?« fragte er leise und theilnehmend beim Eintritt, und der Rathmann zuckte die Achseln und sagte:

»Er ist noch immer ohne Besinnung. Seine Mutter ist bei ihm. Setzet Euch, Michael; setzet Euch, Regina. Willst Du mir jetzt erzählen, Michael, wie's gekommen ist?«

»Das will ich wohl,« sprach der Buchdrucker. »Ihr wißt, Ludolf, wie wir aus der Ulrichsgemeinde von der einen Seite die Meuterer und das Lumpenpack auf dem Markt umstellten, und wie der Mansfelder Graf und der Ritter von Wulffen vom Heiligengeistviertel herdrangen mit den treugebliebenen Reisigen. Ihr wißt, wie wir durch Gewalt, und der Graf Albrecht durch Versprechungen den großen Haufen zertrennten und Euch im Rathhause freimachten. Wir hatten keine Zeit, uns viel um Euch zu kümmern, und schickten wir Euch nach Hause auf den Schultern von einigen verläßlichen Gesellen. Der Markus war aber sehr besorgt um Euch und hätte Euch am liebsten selbsten in seinen Armen heimgetragen. Das ging aber nicht an; wir hatten noch ein schweres Stück Arbeit vor uns und konnten seine tüchtige Faust nicht missen. »Hiergeblieben, Markus!« rufe ich dem Jungen zu; »der Alte wird schon sicher nach Hause kommen. Den tragen jetzt vier Schneider heim.« Ich wollte, das Maul wäre mir in demselben Augenblick zugewachsen. Aber das Gebrüll ging auch schon wieder los. Ein gut Theil des Galgenpacks hatte noch keine Lust, Friede zu geben; so gingen wir denn von Neuem daran wie das Wetter. Die Johannisbergstraße fegten wir herunter, trieben sie in einem Knäuel über'n Brückthorplatz, und die Thorwache pfefferte auch wacker drein. Da warf sich ein Theil nach Sanct Gertrauden, wurde aber mit Haken, Spießen, Schwertern und Faustkolben wieder herausgeholt. In den verdammten Winkeln, Sackgassen und Katerstiegen gab's heilloses Spectakel. Aber wir machten reine Bahn, drangen vor auf die Werftstraße und trieben Alles nach dem Zeisigbauer zusammen wie bei einem Kesseltreiben. Beim Goldnen Handfaß treff' ich wiederum mit dem Markus zusammen, und ich sage zu ihm: »Rottmeister, jetzt halten wir zusammen und wenn wir meinen Herrn Vetter und Schwiegersohn in spe hier finden sollten, 's sollt' mir auch schon recht sein.« Euer Sohn, Rathmann, drückt mir die Hand, daß Ihr noch die Flecke merken könnt. Er hat eben von dem vernommen, was dem Kindelbrücker geschah, und sein Zorn ist in hellen Flammen. So geht's hinein in des Teufels Brütnest. Was regnet uns alles auf die Köpfe! Gottes Tod, 's ist nicht zu sagen. Und ein Spuk wie aus der Hölle: Weiber, Hexen, halbnackte Dirnen mit Messern, Beilen, Knitteln! Heißes Wasser, Feuerbrände, Steine, Schemel! Kinder wie die Kobolde werfen sich Euch zwischen die Beine und beißen Euch in die Waden, wenn Ihr welche habt; große Hunde springen Euch nach dem Halse. In meinem Leben hätt' ich nicht geglaubt, daß es so etwas in dieser frommen, züchtigen Stadt, so sich die Canzlei unseres Herrn Gottes nennen läßt, gäbe. Schritt vor Schritt dringen wir vor. In den Häusern oder Höhlen setzen wir uns fest; so kommen wir immer tiefer in diese Räuberhöhle und Hölle und überwältigen Gespenster, Kerle, Weiber, Dirnen, Kinder, Hunde, Knittel, Töpfe, Feuerbrände, Messer und Alles, was uns sonsten in den Weg kommt. Des Markus Augen leuchten umher wie Blitze; wir kommen in Häuser, wo wir im Blut ausglitschen, über Leichen stolpern; wir durchsuchen eine Schenke, den lustigen Gugelfrantz, von oben bis unten, finden aber nirgends eine Spur von meinem Herrn Bamberger Vetter, Adam Schwartze, meinem Teufelsvetter; wir fragen gefangenes Gesindel aus, aber das Zeug grinst nur und weist die Zähne. Noch ein Gebäude hält sich und dorthin zieht sich aller Streit zusammen. Nahe bei kommt Feuer aus, und die Flammen leuchten uns. In Trümmer fällt hier auch die Thür, über Bollwerke von Fässern und Hausgeräth gelangen wir in das Loch. Sechs wilde Kerle werden über den Haufen gestochen und verlangens auch nicht anders; die Treppe geht's hinauf, den Fliehenden nach. In einem Gemach finden wir noch einige Gesellen, so aus dem Fenster geschossen und den Metzgermeister Hasenreffer zu Tod verwundet haben. Die fliegen nun selbst aus den Fenstern in die Spieße, und dann kommen wir in ein ander Gemach, und da finden wir den unsaubern Verräther Adam Schwartze! Aber ich wollt' doch, ich wär' unten geblieben, daß ich ihn so nicht gesehen hätt'! Er lag schier ganz nackt, mit Stricken an Händen und Füßen bis auf's Blut geschnürt und blutig gegeißelt auf dem Boden, und ein vor Angst halb wahnwitziges Weib kauerte im Winkel und sagte aus: vor einer halben Stunde schon sei er gestorben; geschlagen und gefesselt habe man ihn, um ihn zu bändigen, denn er sei ganz wüthig und vom Teufel besessen gewesen und die Arme habe er sich selbsten zerbissen ... Indem wir so in Schauder stehen, läßt sich draußen ein Rufen hören: »Heraus, heraus, wer nicht verbrennen will!« Das Feuer ergreift auch dieses Nest, und mit Gewalt muß' ich den Markus fortziehen. Er hatt' sein Schwert fallen lassen, er war wie betäubt über das Erschauete. Das Weib und des Leutnants Leichnam ließen wir, wo sie waren. Wie wir jetzt wieder in's Freie treten, entsteht mit einem Mal ein höllisches Geschrei; als man Anstalt macht, die Gefangenen wegzuführen, bricht wie auf ein gegeben Zeichen der zusammengedrängte Haufen los, stürzt sich in einer Masse gegen den Ausgang nach Bartholomäus zu und sucht also zu entkommen. Da ging der Spectakel von Neuem los, und die Verzweiflung des Volkes macht den Tanz nur noch wilder. Aber Markus steht in dem Gewühl, als ginge ihn jetzt die Sache nicht das Geringste mehr an, läßt die Arme herabhängen und kriegt so von hinten den Schlag mit einem Fausthammer, der ihn zu Boden streckt. Was dann geschah, das –«

Der Buchdrucker brach seine Erzählung auf den Wink seiner zitternden Tochter ab; der Rathmann Ludolf Horn hatte beide Hände vor das Gesicht geschlagen und stöhnte:

»O Gott, Gott und nimmer wird er auf Erden noch erfahren, wie lieb ich ihn gehabt habe! O Gott, Gott im Himmel, nur Du kannst es ihm jetzt noch sagen, wenn Du ihn droben aufnimmst in Deine Gnade! O Gott, nimmer wird er erfahren, wie ich meinen Stolz auf ihn seit seiner Heimkehr mit Gewalt niedergedrückt habe. Ach wehe mir, daß ich es that. O Markus, mein Sohn, mein Stolz und meine Liebe, gehe nicht so fort von Deinem alten Vater, der Dich so liebte und Dir solch ein eisern Herz und steinern Gesicht zeigte!«

Dem Buchdrucker liefen die hellen Thränen über die runzligen Wangen; in höchster Bewegung kniete Regina vor dem armen Vater Markus Horn's, und bedeckte mit Küssen und Thränen die zitternden Hände und flüsterte:

»Er kann nicht sterben, er wird nicht sterben; ich liebe ihn ja auch so sehr!«

Ganz spurlos ging das letzte Geschick des Verderbers der Scheuerin an den Seelen dieser Menschen in dieser Stunde vorüber!


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