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Das vierte Capitel.


Es rennen aneinander an
Markus und Christof Alemann;
Im güldnen Weinfaß führt das Glück
Herzu den Hauptmann Kindelbrück.
Von Hänsel Springer steht zu lesen,
Was ein Gesell der sei gewesen.
Rottmeister wird Herr Mark benennt: –
»Der rothe Hahn! Wanzleben brennt!«

Eiligst führte der Buchdrucker Michael Lotther seine Tochter über die Gasse, schob sie ohne Weiteres in die Thür seines Hauses, zog die Thür hinter ihr sogleich wieder zu und eilte so schnell seine Körperbeschaffenheit – er litt dann und wann ein klein wenig an Kurzathmigkeit – es ihm erlaubte von dannen, um womöglich den Sohn seines Nachbars, des Rathmannes, noch zu finden an diesem Abend. Auf dem Breiten Wege angelangt, sah er sich um, ob er die hohe Gestalt des Markus nicht in dem bewegten Volkstreiben, das auf dieser schönen Gasse noch herrschte, bemerken könne. Da das Zwielicht nicht zur dunkeln Nacht werden wollte, so konnte er zur Rechten und Linken den Breiten Weg übersehen, aber Markus Horn erblickte er nicht mehr. Auf gut Glück stürzte er zuletzt links fort, dem Krökenthore zu, und wie er seine Augen ängstlich hin- und herschweifen ließ, erblickte er endlich den Gesuchten an der Ecke der Marktstraße, wo er stand, regungslos auf sein Schlachtschwert gelehnt, starr vor sich blickend. Schnell trippelte der Buchdrucker auf ihn zu, doch ziemlich schüchtern berührte der gute Bürger den Arm des verstoßenen Sohnes.

»Markus!«

Keine Antwort erfolgte.

»Markus! So höret doch, Markus Horn! Ich sage Euch, Markus, lasset Euch das, was geschah, nicht also sehr zu Herzen gehen. Ich weiß sicher, mit der Zeit wird dem Alten die Reu' schon kommen, und er wird sich schon anders bedenken. Was Teufel, seid Ihr auch kein Gelehrter, so seid Ihr doch ein stattlicher Kriegsmann geworden, und – es gefällt mir schon, daß Ihr zurückkommen seid, der Stadt im Kampf beizustehen; – denn – so ist's doch? ... aber Ihr höret ja nicht!«

»Ach, Ihr seid's, Meister Lotther«, sagte der junge Landsknecht, endlich aus seinem Brüten erwachend. »Wäret Ihr nicht auch vorhin in meines Vaters – wollt' ich sagen, des Rathmanns Horn Haus? Es freuet mich, Euch noch so rüstig zu sehen. Ja, Ihr habet Recht; es nützt nichts, hier an der Ecke stehen zu bleiben und Maulaffen feil zu halten. Ganz Recht habet Ihr, ein Jeder gehe seines Weges und kümmere sich so wenig als möglich um den Andern, das ist das Wahre.«

»Aber das hab' ich ja gar nicht gesagt!« rief der Buchdrucker halb ärgerlich, halb betroffen. »Im Gegentheil, ich wollt' Euch bitten, daß, da Euer Herr Vater Euch so grimmig aus dem Hause gewiesen hat, Ihr aus alter Freundschaft jetzo mit mir ginget. Mein Reginchen – Ihr erinnert Euch meiner Regina noch? – soll uns ein gutes Abendessen auftischen und bei einem noch bessern Becher Wein wollen wir überlegen, wie in dieser bösen Sache zu handeln sei. Wollt Ihr? schlagt ein!«

Der Buchdrucker hielt die Hand hin, aber der Landsknecht starrte ihn nur mit den größesten, verwundertsten Augen an.

»Meister Lotther?! Ist es möglich?! Solch' ein Anerbieten mir? Mir, dem Ausgestoßenen, mir, der kommt, seine Vaterstadt mit Mord und Brand zu bedrohen? Mir ein solches Anerbieten nach dem eben Geschehenen; – täuschet mich wirklich mein Ohr nicht?«

»Nein, nein, nein!« rief der gute Buchdrucker. »Glaubet mir, ich bitte Euch in bester Meinung, mit mir zu kommen. Obgleich Ihr Euch die letzten Jahre wohl nicht ganz nach der Schnur geführt haben mögt, so will ich das doch nicht so schlimm ansehen, wie Euer Vater; obwohl Ihr Eurer Mutter wohl einmal Nachricht von Euch hättet geben können. Ich sag', für wilde Zeiten gehören auch wilde Herzen, und daß Ihr, als Ihr Anno Siebenundvierzig zu Leipzig auf der Hochschul' waret und der Kurfürst Johann Friedrich mit den Bundesgenossen dagegen anrückte, die Waffen für den Mauritius gegen die Schmalkaldischen ergriffet, das mag auch hingehen. Gehet doch der Reim:

Daß Leipzig nicht genommen ward,
Macht, daß Leipzig vor Leipzig lag.

In solchen Zeiten wie die jetzigen geht Alles kopfunter kopfüber, und Recht wird Unrecht, ehe man die Hand umkehrt. – Und was betrifft, daß Ihr die Waffen, als Ihr sie einmal in die Hand genommen hattet, nicht wieder fahren ließet, sondern lieber das Jus an den Nagel hinget, – nun, so will ich den Kerl sehen, dem Michael Lotther das vorrücken und aufmutzen würde! Bei aller Ritterschaft des heiligen Georg! das war eine lange Rede, und das Maul ist mir ganz trocken geworden darüber; nun kommt schnell, Regina soll uns den Trank credenzen. Ihr erinnert Euch des Mädchens noch? Nun, sie ist auch herangewachsen, und ich habe meine Freude an ihr, und wenn der Vetter Adam – doch was schwatz' ich, kommt, Freundchen, ohne Umstände!«

Regina! Welch' seltsamen Eindruck hatte die Nennung dieses Namens auf Markus Horn gemacht?! Fast hätte er das tröstliche Anerbieten des guten wackern Bürgers, welches aus dem Herzen kam, angenommen; aber der Schluß der Rede desselben trieb ihn, die Hand wieder zurückzuziehen.

Regina! – Der junge Krieger sah wiederum die schreckliche Gruppe im Hause seines Vaters vor sich. Er sah seine alte Mutter ohnmächtig in den Armen einer Jungfrau. Er sah ein schönes bleiches Gesicht aus der Dunkelheit auftauchen, zwei dunkle Augen sahen ihn so traurig, so erschreckt, so vorwurfsvoll an.

Nein, nein, er konnte diesen Augen jetzt nicht wieder entgegentreten. Er fühlte, daß sie ihn vernichteten in seinem Innersten, daß sie Kraft hatten, seine am höchsten fliegenden Träume und Pläne in den Staub herniederzudrücken.

»Ich gehe nicht mit Euch, ich kann nicht mit Euch gehen, Meister Lotther«, rief er wild. »Ich will in Euer Haus so wenig wieder treten, wie in das meines Vaters. Euer Leben hier in Magdeburg ist nicht mehr mein Leben. Weshalb sollte ich mit Euch gehen? Nein, nein, lasset mich, suchet mich nicht zu überreden, – lebt wohl, habt Dank und lasset uns scheiden!«

»Aber ich bitte Euch, Markus! bedenkt –«

»Nein, nein. Ich kann nicht, ich will nicht. Lebet wohl, grüßet meine Mutter und bittet sie noch einmal, daß sie mir verzeihen möge. Grüßet auch – meinen Vater und saget ihm – nein, saget ihm nichts; – grüßet – grüßet – Euer – Töchterlein, die Regina – und – damit holla!«

Vergeblich bemühte sich der gute, ehrliche Bürgersmann, den jungen, verwilderten Sohn seines Nachbars festzuhalten und zu überreden, von seinem Anerbieten Gebrauch zu machen. Markus Horn machte endlich seinen Arm stillschweigend los von der Hand des Buchdruckers und eilte mit weiten Schritten von dannen. Kopfschüttelnd und betrübt blickte ihm Michael Lotther nach und murmelte:

»Schade darum; es steckt doch Saft und Kraft darin; – doppelt Schade, wenn diese Stadt darum betrogen werden sollte. Hm, hm, hat auch der Rathmann Recht, ich weiß doch nicht, ob nicht manch ein anderer Vater in dieser Sache anders gehandelt hätte!«

Niedergeschlagen und betrübt, mit gesenktem Haupte schritt der Buchdrucker seiner Wohnung in der Schöneeckstraße wieder zu und fand daselbst seine Tochter ohne Licht im dunkeln Zimmer sitzend. Als die Lampe auf seinen Befehl gebracht wurde, entdeckte Meister Lotther, daß Regina recht rothgeweinte Augen habe, und so hatte er Grund, noch bedenklicher das Haupt zu schütteln.

Auf seine Frage, ob der Leutnant Adam Schwartze nicht noch vorgesprochen habe, vernahm er anfangs gar keine Antwort und dann ein sehr undeutliches: Ich weiß nicht. –

Währenddem durchwanderte Markus Horn, von den verschiedenartigsten Gefühlen hin- und hergezogen, die Gassen seiner Vaterstadt. Weit entfernt, bloß Schmerz und Reue zu empfinden, kochte, obgleich Schmerz und Reue auch heftig seine Brust durchwühlten, doch dazu der grimmigste Zorn in ihm, Zorn und Wuth gegen sich selbst, Zorn gegen den harten Vater, Zorn gegen die ganze Welt. Es lag eine eiserne Schale um dieses Herz, eine Schale, wie sie nur unter dem Eisenpanzer in dem Religionskriege des sechzehnten Jahrhunderts entstehen konnte. Jedes wilde, wüste Lebensjahr erst auf zwei, drei Universitäten, dann seit 1547 im Feldlager, hatte einen neuen Reif um dieses Herz gelegt, und des Vaters Wort und Gebahren war nicht das rechte Mittel, diese Reifen zu sprengen; in solcher Gluth schmolz die eiserne Rinde nicht. Im Gegentheil! Nachdem die allererste Betäubung nach dem unvermutheten Schlage überwunden war, nachdem das Bild der armen Mutter ein wenig vor der Gestalt des zornigen, drohenden Vaters in den Hintergrund getreten war, brach Markus mitten im Getümmel des Volkes in ein so lautes, unheimliches Gelächter aus, daß mehr als Einer der Vorübergehenden stehen blieb und verwundert den wilden überlustigen Krieger anstarrte, bis die Furcht, derselbe könne es übel aufnehmen, ihn schnellern Schrittes weiter trieb.

Dieses geschah inmitten des Stadtmarktes, der zu jener Zeit außer dem Reiterbild Kaiser Otto's des Großen noch mehrere andere Bildwerke trug. Da stand ein großer Roland, welchen ein hochedler Rath erst im Jahre 1540 sammt dem alten Kaiser Otto und dem Rathhause neu hatte malen lassen; da stand auf hohem Postament ein Hirsch, zum Andenken jenes Thieres, welches nach der Legende einst zu der Königin Editha kam und sie um Hilfe für sein Junges anflehte.

Und von allen Seiten blickten die alten wunderlichen Giebelhäuser mit ihren theilweise erleuchteten Fenstern auf den Platz, und über das Rathhaus ragten die hohen Thürme der Johanniskirche in die dämmerige Nacht. In Gruppen besprach das Volk – Bürger und Bürgerinnen – die bösen Nachrichten, welche der Tag gebracht hatte. Landsknechte im Dienste der Stadt, welche jetzt bei so gefährlichen, kriegerischen Zeitläuften mit günstigern Augen, als es in friedlichen Zeiten der Fall war, von der Bürgerschaft angesehen wurden, hatten große Worte feil und hielten mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berge. Unter den Hallen des Rathhauses kamen und gingen Beamte des hochedlen und wohlweisen Rathes, welche selbst in so später Abendstunde noch Botschaften brachten oder Aufträge ausrichteten. Man mußte sich sehr vorsehen, wenn man ungestoßen und ungedrängt seinen Weg durch das Getümmel finden wollte; aber dem Markus Horn machte Jedermann unaufgefordert Platz, wie man wohl einem durchgehenden Roß oder einem Betrunkenen Raum giebt. Aus dem so bekannten und doch so fremden Leben des alten Marktes stürmte Markus fort, vorüber an der Johanniskirche, und eilte die damalige Werftstraße hinunter, auf das Brückenthor zu. Das Letztere war soeben geschlossen worden, und aus der Thür und den Fenstern der Wachtstube über dem hohen Thurm fiel ein heller Lichtschein auf die Gasse. Bewaffnete Bürger hielten hier Wacht und von dem Wachtmeister nahm soeben ein anderer Krieger Abschied und kam sporenklirrend, ein Lied trällernd Markus Horn entgegen. –

»So denn frei! frei, frei von Allem! Frei, frei, warum auch nicht vogelfrei? Nur zu, 's ist Alles einerlei. Hei, mein Knab', nun kehr' aus Dein Herz; – was geht's nun noch Dich an, für was sie sich schlagen, wer siegt und wer die Zeche bezahlt? Kehr' aus Dein Herz, und Trotz sei Allem geboten, Weiberthränen und Allem!«

Alle Knöpfe seines Wammses riß Markus auf, die breite Brust bot er mit Behagen der scharfen Nachtluft und athmete aus vollen Lungen.

Da er das Brückenthor schon geschlossen fand, so wollte er links ab bei Sanct Gertrudencapell vorbei nach der Rohlpforte stürzen, die ebenfalls auf die Werft, an das Ufer der Elbe führte. Bei der Wendung aber, die er machte, stieß er mit aller Gewalt gegen den von der Thorwacht her sich nähernden fröhlichen Kriegsmann, daß dieser sechs Schritte weit und seine Federkappe noch weiter fortflog.

»Sechzehntausend Schock blutige Teufel! Euch soll das Donnerwetter in den Bauch fahren!« schrie der Gestoßene wüthend, sein Schwert herausreißend und auf Markus losstürzend.

»Du kommst mir grad' recht! Ha, – kommt an, die ganze Menschheit, Welschland und Deutschland, Pfaffen und Laien, Papisten und Lutherische, Alles heran!« schrie dieser, und schon kreuzten sich die Klingen, als glücklicherweise von der Wache her der Wachtmeister herbeieilte und schrie:

»Seid Ihr des Teufels, Fähnrich? Seid Ihr rein toll geworden, Herr Christof Alemann? Ihr – Ihr wollt den Stadtfrieden also brechen? Auseinander sag' ich! Auseinander! Das sind schöne Geschichten! Heinrich Kakebart, bring' mal die Latern' aus der Wachtstub', daß man erkennen kann, wer den Herrn Fähnrich also angefallen hat.«

Beide Kämpfer hatten bereits ihre Waffen sinken lassen, und Markus blickte mit gespanntester Neugierde auf den Gegner.

»Christof Alemann! Hab' ich recht gehört?« murmelte er, doch nicht so leise, daß es der Andere nicht vernahm.

»Ja wohl, Christof Alemann heiß' ich!« sprach er. »Was soll's damit? Wer will was von Christof Alemann, Bürgermeisters Heine Alemann's Sohn?«

»Ich, Markus Horn aus der Schöneneckstraße!« lautete jetzt mit klarer Stimme die Antwort, und der Fähnrich stieß einen Ruf der Verwunderung und des Zweifels aus und trat seinem Gegner rasch einen Schritt näher. In demselben Augenblick kam Heinrich Kakebart mit der Laterne aus der Wachtstube angelaufen, und bei ihrem Scheine faßten sich die beiden Kämpfer nach kurzer Prüfung ihrer beiderseitigen Gesichtszüge freudig in die Arme.

»Bruderherz, bist Du es wirklich? Bruderherz, lebst Du wirklich noch?« so ging das jetzt hin und her, und auf die Umarmung folgte ein kräftiges, nicht endenwollendes Händeschütteln. Darauf gab man dem Wachtmeister eine kurze Aufklärung, und zuletzt schritten die beiden Jugendfreunde Arm in Arm dahin.

»Nein, es ist die Möglichkeit! Das nenn' ich ein seltsames, unverhofftes Wiederfinden«, rief der Eine.

»Markus, Herzensbruder, bist Du es denn wahr und wahrhaftig? Bist Du's in Fleisch und Blut? Ich sage Dir, fühlte ich nicht durch diesen Aermel von gutem flandrischen Tuch einen so starken Arm, ich möchte glauben, ein Geist äffe mich hier mitten auf dem Umlauf!« rief der Andere.

»Ja, Bruderherz, ich bin's wirklich und wahrhaftig, wenn es mir auch heute grade keinen großen Spaß macht, und ich wünschen möchte von ganzer Seele, ich steckte nicht in diesem Wamms, diesen Hosen und dieser Haut. O Christof Alemann –«

»Komm, komm!« rief Christof; »ich merk' schon. Dir ist auf irgend eine Art der Buchweizen verhagelt. Hier ist nicht der Ort, darüber zu reden. Willst' mit nach meines Vaters Haus, daselbst in meinem Losament das Herz ausschütten? Welch' ein Seufzer! Wir können auch nach der Lauenburg gehen, aber 's ist jetzo ein langweiliger Ort, seit die in der Stadt anwesenden hohen Kriegsleute, der Heideck, der Pflugk, die Mansfelder und wie sie sonst noch heißen, alle Abend dasitzen und Gesichter schneiden und den Wein trinken, wie man Arznei schluckt. Der Wein ist freilich gut daselbst, vorzüglich der spanische Muscatel und der Canarien-Malvasier. Da, Bruderherz, da fällt mir ein, wir gehen nach einem Orte, so Du noch gut kennen mußt, wir gehen nach dem Goldenen Weinfaß. Da find't man gut zu trinken und auch gute Gesellen und Kameraden; – da wollen wir uns zusammensetzen und uns erzählen, was uns begegnet ist. Gott's Wetter, Du wirst schon erzählen können; ein gewaltiger Kerl bist Du geworden und hast Dir den Wind um die Nase wehen lassen in der Welt. Ich schäme mich ordentlich vor Dir.«

»Ach, Christof!« seufzte Markus; aber er ließ sich doch fortziehen von dem wiedergefundenen Jugendfreunde, und so gelangten die Beiden über den Umlauf, durch die Schrackenstraße und an Sanct Annen vorüber von Neuem auf den Breiten Weg und bald zum Goldenen Weinfasse, welches 1550 schon ein berühmtes Haus war, und dessen Zeichen nach dem großen Unglück von 1631, eins der ersten von allen Schenkenschildbildern, wieder zwischen den Trümmern sich erhob.

Im Jahre Fünfzehnhundertundfünfzig war das Goldene Weinfaß ein eben so schmales langes Gebäude wie heute, doch befand sich nicht wie heute eine Buchhandlung, sondern eine von allerlei Volk viel besuchte Kneipe darin. Seine Vorderseite kehrte es dem Breiten Wege zu und seine linke Seite half das Weinfaßgäßchen bilden, welches heute noch immer gegen das Ulrichsthor führt. Zwei Eingänge führten in die gewölbten Schenkstuben, welche das ganze Erdgeschoß des Gebäudes einnahmen. Der erste Eingang vom Breiten Wege diente denen zum Eintritt, welche die bösen Zungen der Vorübergehenden nicht scheuten oder nicht zu scheuen hatten. Durch das zweite Pförtchen in der Weinfaßstraße dagegen schlichen leise und vorsichtig diejenigen Gäste, welche die scharfen Zungen zufälliger Lauscher und Lauscherinnen oder die Augen ihrer eigenen Weiber fürchteten. Drei Räume voll hölzerner Tische, Stühle und Bänke folgten einander, und waren durch Thüren geschieden. Das erste Gemach, dem Breiten Wege zu gelegen, war das weiteste und öffentlichste, das mittlere diente einer Schaar bürgerlicher Stammgäste zum abendlichen Versammlungsorte, und das dritte kleinste Gemach hob der Wirth gewöhnlich bevorzugten Personen aus dem Kriegerstande auf; doch waren in keiner der drei Trinkstuben Nährstand, Lehrstand und Wehrstand vollständig voneinander geschieden, und in einer Stadt wie Magdeburg war das bürgerliche Element mit Fug und Recht das tonangebende.

Durch die beiden ersten Stuben voll zechender Gäste schritt Christof Alemann mit Markus Horn, nach allen Seiten grüßend, in das letzte Gemach, in welchem zufälligerweise außer einem halbtauben Geschützmeister noch Niemand sich befand. Die kriegerischen Nachrichten des Tages hielten die Stammgäste dieses Zimmers noch in der Stadt zerstreut. So lange man auch Zeit gehabt hatte, seine Vorkehrungen gegen das herannahende Wetter zu treffen, so gab es doch noch genug, übergenug zu thun. In einer Ecke ließen sich die beiden Jugendfreunde nieder, und mit lauter Stimme rief Christof Alemann nach altem Rheinwein, nachdem er eine geraume Weile zwischen weißem Bastard und Würzburger Steinwein geschwankt hatte. Das Getränk kam, und dadurch wurde Markus aus dem dumpfen Hinbrüten, in welches er von Neuem verfallen war, emporgerissen. Diese Begegnung mit Christof Alemann, dem Fähnrich der städtischen Reiterei, war ihm ein wahres Labsal. Hatte er doch nun eine Seele, gegen welche er unbefangen seinem gepreßten Herzen, seiner Wildheit Luft machen konnte.

»Kling' an, Bruder«, rief Christof, den Becher erhebend. »Auf dies glückliche Wiederfinden und – mögen wir den Strauß, den diese Alte Stadt Magdeburg zu bestehen haben wird, glücklich, gesund und munter miteinander ausfechten! Nun – Du willst nicht anstoßen?«

»Ich kann's nicht!« seufzte Markus. »Heimgekommen bin ich wohl wie der verlorene Sohn, wenn auch nicht vom Träbernfressen; aber ein evangelischer Empfang ist mir nicht bereitet worden. Wären wir einander nicht begegnet, so hätt' ich diese Stadt schon hinter mir, hätt' ich ihr Valet gesagt auf Nimmerwiedersehen.«

»Holla, was ist das? Stehen die Sachen also? Hoho, haha! Nun, so schlimm wird's nicht sein, Markus!«

»Doch, doch, es ist so schlimm. Jetzt laß uns zusammen trinken und erzähl' mir, wie's Dir gangen ist in der ganzen Zeit, Christof, und dann laß uns scheiden und uns im guten Angedenken behalten.«

»Nein, daraus wird nichts!« rief der Fähnrich hastig, »trinken wollen wir, uns erzählen wollen wir auch; aber vom Scheiden wird das Liedlein nicht gesungen. Hier, feuere mal los, was ist in Deines Vaters Hause vorgegangen?«

Markus Horn erzählte nun dem Jugendfreunde von seinem Empfang im Vaterhaus, und dieser schüttelte den Kopf und trommelte die Weise »Es geht ein Butzemann« auf dem Tische dazu. Als der Erzähler geendet, schlug er auf den Tisch und schrie:

»Himmeltausendteufelkappen, das ist der alte Rathmann Horn, wie er leibt und lebt. 'S ist grad' wie mein Oheim. Bei dem heißt's auch bei jeder Kleinigkeit, so ihm mißfällt: Söhnlein, Söhnlein, Du wärst auch am besten in dem Jungferngewölbe, oder im Bohnensack, oder in der Schwefelkammer, oder in irgend einem andern der Löcher unter dem Rathhause aufgehoben. Diese Alten! Es ist nicht auszuhalten! Und ob sie mit ihrem mürrischen Geschwätz und ihren Pfaffen und Prädikanten, ihren Ausschreiben, Vermahnungen und schriftlichen Vertheidigungen die Stadt retten werden, oder ob wir Jungen das Beste dazu thun müssen, das wird auch die Zeit lehren. Laß Dich's nicht kümmern, Markus, kehr' Dich nicht an das Geschwätz, und grad' Allem zum Trotz sollst Du nun hier bleiben und Deinem Alten zeigen, was ein tüchtiger Arm werth ist in solcher Zeit. Trink' aus, schenk' ein; – 's ist bei alledem doch eine lustige Zeit, und ich freue mich ordentlich schon auf den Herzog von Mecklenburg! 'S ist ein merkwürdig lustig Gefühl, so in der Acht und Aberacht, so vogelfrei zu sein!«

Markus schüttelte den Kopf. »Es ist doch ein bedenklich Ding, also zu spaßen mit etwas, womit sich nicht spaßen läßt. Glaub', der Mecklenburger bringt tüchtige Kerle mit sich von Braunschweig herüber; ich hab' darunter ja eine Fahne getragen und darf wohl sagen, Ihr werdet Euer Thun haben, ehe Ihr mit ihnen fertig seid!«

»Du hast mit vor Braunschweig gelegen?« rief der Stadtfähnrich entzückt. »O Du Glücklicher! Erzähl', erzähl', wo warst Du noch, seit Du zum Schrecken und Abscheu aller frommen alten Weiber und Ofenhocker in dieser Stadt, Anno Siebenundvierzig den gelehrten Krimskrams fahren ließest und Schwert und Hellebarde aufgriffest?«

»Es war eine böse Stunde, in welcher ich das that«, sprach Markus Horn; »aber die Reue ändert kein Titelchen daran. Da ich einmal dem Mauritius zugefallen war bei der Belagerung der Stadt Leipzig, so bin ich auch ferner mit ihm gezogen. Bei Mühlberg habe ich mit gegen den Bund gestanden.«

»Ha, ha,« murmelte Christof, »wenn Dein Vater davon Wind gehabt hat, so hat das dem Faß und seiner väterlichen Geduld jedenfalls den Boden eingeschlagen. Ein Kind aus unseres Herrgotts Canzlei hilft die Schmalkaldener werfen, hilft Herrn Johann Friedrich niederschlagen und den reinen Glauben. Hohoho, da sollen Bürgermeister, Rathmannen, Innungsmeister und Gemeine dieser guten Stadt wohl giftig werden! Ha, ha, ha!«

»Lache nicht, Christof«, rief Markus. »Mir ist wahrhaftig nicht jubelhaft zu Muthe. – Nach der Mühlberger Schlacht hab' ich doch bald eingesehen, daß ich auf der unrechten Seite war; hab' mich aber geschämt, nach Haus zu kommen und pater peccavi zu sagen, habe auch nicht geschrieben, so daß sie Alle haben glauben müssen, ich sei in meinen Sünden gefallen und eingescharrt und verfault nach Verdienst. Ach, hätt' ich's doch meines Mütterleins wegen gethan und Nachricht gegeben von mir! Aber ich bin immer verwirrter in meinem Sinn und immer wüster geworden, und hab' mich betäuben wollen im tollen Leben. Hierhin und dahin bin ich gezogen, hab's bei dem König in Dänemark versucht, in Böhmen und bei dem Grafen von Oldenburg; dann bin ich dem Herzog Heinrich dem Jüngern zugezogen und hab' als Fähnrich mit vor der Stadt Braunschweig gelegen. Es ist mein Leben wie ein Wirbel gewesen, der mich immer näher und näher zu Magdeburg wieder herantrieb, und hab' mich nicht dagegen wehren können. Als nun das Lager vor Braunschweig aufgehoben wurde, und der Mecklenburger, des Herzogs Heinrich Vetter, warb und umschlagen ließ: es solle gegen seine Gevettern wegen des Bisthums Schwerin gehen, und als dann das Gerücht auskam: solches sei nur ein Vorwand und gegen die Aechter von Magdeburg sei der Zug gerichtet; da hielt's mich nicht länger, und Tag und Nacht hörte ich in meinem Zelt dicht neben meinem Ohr eine Stimme, die rief: Zieh' heim, heim, zieh' heim! Da hab' ich's gemacht, daß keins der Magdeburg'schen Stadtkinder, so im Lager vorhanden waren, des Ochsenkopfs Sold genommen hat. Aufgebrochen sind wir, an fünfzig Mann stark, alles versuchte kühne Leute, und haben geschworen, Herz und Faust mit dranzusetzen, die Heimathstadt zu retten. So sind wir durch das Land gezogen, immer vor dem Zuge des Jürgen von Mecklenburg voraus und sind heute in's Thor gerückt. Den ganzen Weg über, von Braunschweig her, hat mir das Herz so hoch geschlagen, wie sonst niemalen in meinem Leben, und hab' mir mit aller Kraft vorgenommen, Alles wieder gut zu machen, was ich gesündigt habe wider Vater und Mütterlein, bin auch demüthig kommen, ihre Verzeihung zu erflehen, und wenn ich auch gedacht hab', der Vater würd' mir im Anfang wohl ein hart, bös Gesicht zeigen, so hab' ich mir doch nicht vorgestellt, daß es also kommen würde!«

Der junge Fähnrich Christof Alemann nahm bewegt die Hand des Freundes und schüttelte sie innig.

»Gib mir auch die Hand, Markus, Du bist doch ein wackerer Kerl!« rief in demselben Augenblick hinter den Beiden eine volltönende männliche Stimme. Im Eifer des Erzählens hatten weder Markus noch Christof bemerkt, daß sich das Gemach allmählich gefüllt hatte, und daß ein ältlicher stattlicher Kriegsmann, mit mancher Narbe in dem runzligen, graubärtigen Gesicht, dem letzten Theil der Rede aufmerksamen Ohres gelauscht hatte, dicht hinter den Stühlen der Freunde stehend. Schnell drehten sich Beide um, und der Alte rief:

»Kennst Du mich nicht mehr, Herr Markus Horn? Ich sollte doch meinen, so schnell dürften alte Kameraden einander nicht aus dem Gedächtniß kommen. Na, nicht für ungut das unberufene Zuhorchen. Ihr seid ein wackerer Bursch, Markus!«

»O Herr Johann von Kindelbrück, wie kommt Ihr hierher?« rief Markus verwundert. »Seid Ihr auch wieder herübergekommen von Kopenhagen?«

»So ist's, Söhnlein; – und bin Hauptmann im Dienst dieser guten Stadt worden. Ich sag' Euch, Fähnrich Alemann, der Markus und ich haben in den Mauern von Schloß Kronenburg am Sunde manch' eine gute Stunde miteinander gehabt. Ist's nicht so, Mark?«

»Ja wohl, Hauptmann; und glaubet mir, jede Gestalt, so ich kenne, und so ein freundlich Wort zu mir spricht, gleich Euch, ist mir an diesem Abend wie ein Trunk nach langem brennenden Durst.«

»Glaub's Euch«, sprach der Hauptmann Kindelbrück. »Doch nun saget, was gedenket Ihr jetzt anzuheben, da der Rathmann also das Rauhe nach Außen gekehret hat.«

»Verlassen will ich diese Stadt, nach Welschland will ich ziehen oder nach Hungarn gegen den Türken.«

»Und Ihr saget, Ihr habet dieser Stadt fünfzig wackere Kerle gerüstet und gewappnet zugeführt?«

Markus nickte, und der Hauptmann fuhr fort: »Und Ihr denket, wir wollen die Heerde behalten und den Leithammel allein wieder ins wüste Feld laufen lassen? Mark, Mark, es thut's nicht. Wir haben solche Leute wie Ihr jetzt allzunöthig. Ich sag' Euch, Ihr kommet nicht anders wieder aus dem Thor, als das Schwert in der Hand, an der Spitze Eurer Rotte, im Ausfall gegen den Feind!«

»Hussah, holla, Markus, das ist das Rechte!« schrie Christof Alemann. »Der Hauptmann soll leben, er hat den Nagel auf den Kopf getroffen; wir haben Dich, Markus, und wir halten Dich.«

»Ich kann nicht, ich darf nicht bleiben. Lasset mich fort, Ihr Herren!« rief Markus; aber der Hauptmann Kindelbrück sprach weiter:

»So ist denn meine Meinung, Christof; Ihr führet heute Abend noch unsern Freund zu Euerm Oheim, Ebeling Alemann, dem Stadtobersten; sei's, daß Ihr ihn zu Hause treffet, oder daß er schon auf der Lauenburg hinter dem Kruge sitzt, und stellet ihm den Markus vor und setzet ihm auseinander, wie es um die Hilfsmannschaft, die er uns zuführt, beschaffen ist, und dann füget einen schönen Gruß von mir bei, und saget dem Obersten, der alte Hans Kindelbrück brauche noch einen Rottmeister, wolle aber kein Jüngelchen vom Breiten Wege, das einherstolziret und krähet wie ein Hahn – gilt nicht für Euch, Christoffelchen – sondern aber der Hauptmann Kindelbrück wolle diesen hier, den Markus Horn, mit dem er schon zu Kopenhagen gelegen und für den er einstehe. Basta!«

»Soll so geschehen, Hauptmann!« lachte der Reiterfähnrich. »Aber Ihr seid doch ein richtiger Grobian.«

»Und,« fuhr der Alte fort, »wenn der Ebeling den Bestallungsbrief bewilliget hat, so macht Euch Beide sogleich auf die Beine nach dem Zsisekenbauer in den grauen Gugelfrantz. Wenn Ihr nicht unter diesem edlen Zeichen die ganze Compagneia, so mit Euch, Mark, von Braunschweig herübergekommen, vollständig zusammen antreffet und noch mehr dazu, so soll mir nicht über das Grab geschossen werden. Da habet aber Acht, daß Euch die Leute nicht weggefangen werden; denn ich weiß, die Andern werben auch noch, der Fullendorfer sowohl als der Springer.«

»Trink' aus, Markus und komm, der Hauptmann hat in Allem Recht. Erst zu meinem Oheim, dann in den Gugelfrantz. Nun, was zögerst Du?«

Mancherlei arbeitete in dem verstoßenen Sohne. In diesen Aussichten, welche sich ihm plötzlich aufgethan hatten, lag wieder eine gewisse Hoffnung, daß sein Schicksal sich doch noch zum Guten wenden könne. Mit seinem Herzblut hätte er für die Vaterstadt einstehen mögen; aber wie konnte er das unter den Augen dieses Vaters, dieser Augen, welche auf Schritt und Tritt ihn begleiteten, ihn niederdrückten und demüthigten, alle bösen Geister in ihm zugleich bändigten und zugleich aufstachelten. Zuletzt hätte ein trotziges Schamgefühl bei Markus doch die Oberhand gewonnen und ihn aller Ermahnungen der Freunde zum Trotz aus den Thoren Magdeburgs wieder hinausgetrieben, wenn nicht in diesem Augenblick der – Hauptmann Hans Springer mit seinem Leutnant Adam Schwartze in die Schenkstube des goldenen Weinfasses eingetreten wäre. Beim Anblick des Bambergers überkam den verlorenen Sohn ein unbeschreibliches Gefühl. Reginens Bild war wieder vor ihm, das Bild der holden Jugendfreundin, und neben ihm erschien wieder dieses hübsche, lächelnde Gesicht des Leutnants Schwartze. Unwiderstehlich bemächtigte sich des Markus ein wilder, unerklärlicher Groll gegen dies hübsche, lächelnde, höfliche Gesellchen. Er mußte an sich halten, um nicht von seinem Sitze aufzufahren.

»Wer sind die Beiden?« flüsterte er dem Reiterfähnrich zu.

»Der Aeltere mit dem Bauch, dem Schnauzbart und der rothen Nase ist Hans Springer, der Elsässer, der Hauptmann – möge ihn der Teufel holen. Und der niedliche Fant ist Adam Schwartze, sein Leutenant, ein sehr entfernter Verwandter Eures Nachbars, des Buchdruckers Lotther; er wirbt um die schöne Jungfer Regine, und der Alte, der in das Kriegsvolk vernarrt ist, wird sie ihm gewißlich nicht verweigern; er wünscht einen Feldhauptmann in der Familie zu haben und behauptet, der Junge habe allen Zeug dazu. Uebrigens ist nicht zu leugnen, daß der Leutnant auch den Zweihänder gut führt und unerschrockenen Herzens ist. Man sollt's ihm nicht ansehen!«

Adam Schwartze nickte dem Markus vertraulich zu; aber mit einer Miene, als wolle er sagen: Teufel, was hast Du hier noch zu suchen? Er näherte sich auch dem Tische, an welchem Horn mit Kindelbrück und Alemann saßen und sagte lächelnd:

»Glücklichen Abend, Ihr Herren. Schau, Herr Horn, – ich hab' Euch vorhin recht sehr bedauert; Teufel, ich in Eurer Stelle wäre schon nach des alten Mannes Wort auf dem Wege in das Lager des Mecklenburgers. Wann gedenket Ihr die Stadt zu verlassen?«

Es war jetzt Markus Horn, als ob er eben die Würfel über die Frage Hierbleiben oder nicht – geworfen habe, und alle Augen geworfen hätte für Hierbleiben.

»Ein ehrlicher Mann gibt so schnell seinen Vorsatz nicht auf, Herr Leutnant!« sprach er. »Meines Vaters gerechter Zorn hat nichts mit meiner Absicht, dieser meiner Vaterstadt meinen Arm und mein Blut zu widmen, zu thun. In Blut läßt sich manch' ein Makel abwaschen, durch Blut läßt sich Manches sühnen, Herr!«

»Sehr recht!« sagte der Bamberger, die Unterlippe ein wenig mit den Oberzähnen fassend. »Ich begrüße Euch freudig als Feld-, Mauer- und Zeltgenossen!«

»Das ist brav, Markus, daß Du des Hauptmanns Kindelbrück gut Wort annimmst und keinen Hasenwinkel schlägst und nach Welschland oder in's Türkenland gehst; – komm auf der Stell' zum Oheim Ebeling«, rief Christof Alemann, ohne den Leutnant zu beachten.

»Ja, geht, alter Mark,« brummte Hans Kindelbrück, »thut nach meinem Wort und geht zum Obersten. Macht aber eilig, es laufen genug mißgünstige Hunde herum, welche einem ehrlichen Kerl jeden Knochen vor dem Maule wegschnappen möchten.«

Markus und Christof erhoben sich vom Tische, und der Hauptmann Springer trat dazu.

»Herr Horn, erlaubet, daß ich Euch meinem Hauptmann vorstelle«, sprach Adam Schwartze, und die beiden Kriegsmänner grüßten einander.

»'S isch mer e Freud!« sagte der Elsässer. »Trink mer e Schöppli uf gute Bekanntschaft? Potz Blix und Dunder, möcht' ma sich doch verreble (zu Grunde gehen) bi solch'm Lebe. Wird iner gejait (gejagt) den ganzen Tag wie'n Hirz, hiehin, dahin, zurück, und aber. Grüß Euch, Kindelbrück!«

»Habt Dank und sitzt nieder, aber laßt die jungen Leut', sie haben noch zu schaffen heut' Abend.«

»Gut' Verrichtigung, Ihr Herren!« rief der Hauptmann Springer, und brach dann in eine Fluth von Flüchen und Verwünschungen aus über die Langsamkeit des Schenkbuben, über den Wein, über diese Welt und die andere, über sich selbst, über einen hochedeln Rath, über seine Untergebenen, über die Bürgerschaft, über nichts und Alles. Es war ein wilder, wüster, in der Bürgerschaft höchst unbeliebter Mann, dieser Hauptmann Hans Springer, »zur Meuterei geneigt,« großprahlerisch, ein Säufer und ein »grewlicher Ehebrecher«. Sein Weib mit vielen Kindern ließ er sitzen und »hielt sich mit einer andern, die auch einen Ehemann gehabt.« Wir werden noch mehr mit dem Manne zu thun haben. –

Arm in Arm verließen Markus und Christof das Goldene Weinfaß und schritten den Breiten Weg hinab zur Lauenburg, dem Rathskeller zu, der seinen Namen von den beiden großen steinernen Löwenköpfen, welche den Eingang bewachten, führte. Richtig fanden sie hier den Oheim Ebeling Alemann, welcher Stadtoberster und zugleich Rathskämmerer war, einen wackern Mann, der gut Regiment führte und Gehör und Gehorsam bei Bürgern und Landsknechten hatte. Bei ihm saß der edle, gestrenge und ehrenfeste Hans von Wulffen, der Stadt Rittmeister, welcher den tollen Christof Alemann als Fähnrich unter sich hatte, und Herr Galle von Fullendorf, der Schweizer, ein alter erfahrener Kriegsmann, welcher das dritte Fähnlein der städtischen Knechte befehligte.

Im eifrigen Gespräch über der Stadt Wehrhaftigkeit und Verhältnisse saßen die Herren, als die beiden jungen Leute eintraten.

»Wen bringest Du da, mein Neffe?« fragte der Oberster, und Christof gab langen und ausführlichen Bericht. Es wurde viel hin und wider geredet; aber dem Herrn von Wulffen und dem Fullendorfer gefiel der Markus Horn, und des Hauptmanns Kindelbrück Wort hatte auch sein gutes Gewicht bei Herrn Ebeling Alemann.

Daß Markus mit dem offenen Geständniß seiner Fehler und Mißgriffe nicht hinter dem Berge hielt, und ruhig erzählte, was im Vaterhause geschehen war, machte auch keinen übeln Eindruck auf die Grauköpfe.

»'S ist 'n gattiger Bua,« meinte der Schweizer. »Geltet, Ihr Herren, die Stadt hat nimmer genug jung Blut. Gevätterle Alemann, mit richtigem Hüst und Hott möget Ihr den jungen Gaul noch zurechtbringen. Nehmet ihn uf, Ihr thut au ein gut Werk an seine Aetti, dem Rathmann. Isch Alles vergeblich, nun so isch der Profoß uf'm Neuen Markt.«

»Lasset ihn seine Rott' werben, Oberster Ebeling, und mustert sie morgen, und ist sein Wort richtig befunden, so gebt ihm den Bestallungsbrief. Daß der Kindelbrück den jungen Meister will, ist ein gut Zeichen, ein Anderes wär's, wenn der – Springer Bürgschaft geleistet hätte.«

Den Namen Springer flüsterte der Rittmeister Wulffen dem Stadtobersten leise in's Ohr, und dieser zuckte bedenklich die Achseln.

»Ihr wollet also, Markus Horn, dieser Alten Stadt Magdeburg in Fried' und Fehd' mit Gut und Blut dienen?« fragte Ebeling Alemann. »Ihr wollt bei dieser Alten Stadt Magdeburg Panier und Wappen stehen in jeglicher Noth und Gefahr zu Wasser und zu Land, auf dem Wall und im freien Feld?«

»Ich will's und schwör's!« rief Markus Horn.

»So nehm' ich heut' Abend Euer Wort, morgen früh aber Euern Schwur, im Ring auf dem Neuen Markt. Um acht Uhr in der Früh möget Ihr mit Eurer Rott' allda in Wehr und Waffen zur Musterung stehen.«

»Vivat, vivat! gewonnen, allgewonnen!« schrie Christof Alemann, das Barett schwingend. »Fort nach dem Zeisigbauer, fort zum lustigen grauen Gugelfrantz, Rottmeister Markus Horn! Vivat die Jungfrau im Banner von Magdeburg! Vivant auch alle andern Jungfrauen von Magdeburg, die nicht im Banner stehen.«

Fort zog Christof seinen Freund, und die drei alten Herren blickten ihnen lächelnd nach.

»Das ist eine Zeit für solch' junges Blut,« seufzte der Stadtkämmerer. »Sollte man wohl denken, daß es ein Elend um den Krieg ist, wenn man diese Burschen sieht.«

»Holla, ein Elend um den Krieg?« rief Herr Galle von Fullendorf. »Oberster des Kriegsvolks dieser löblichen Stadt, sprechet doch nicht wie ein Stadtkämmerer.«

»Laßt ihn, Herr Galle!« lachte der Rittmeister von Wulffen. »Jeder nach seiner Art. Wir Kriegsleut' müssen doch Respect haben vor diesen Bürgern und Handelsleuten, die das Banner teutscher Nation Freiheit allein noch so hoch halten, nachdem Ritter und Fürsten niedergeleget sind im Kampf. Klinget an, Herr Stadtkämmerer und Oberster, klinget an, Fullendorfer, es lebe diese hochedle, tapfere Stadt Magdeburg, des lieben Herrgotts Canzlei!«

»Hoch, hoch!« riefen die Herren, und aus den Nebenstuben traten, gelockt von dem Rufe, noch andere Männer, die verbannten und geächteten Edlen, die hinter den Mauern und Wällen des Bürgerthums Schutz gefunden hatten, die Grafen von Mansfeld, der Herr von Heideck, Herr Caspar Pflugk und Andere. Mit vollem Herzen stimmten sie in den Vivatruf ein.

Da öffnete sich die Thür, und herein stürzte Hans Winkelberg von Cöln, des Obersten Alemann's Leutnant, und rief:

»Ihr Herren, Ihr Herren, der rothe Hahn im Südwesten, der rothe Hahn über Wanzleben! Blutigroth sehen die Thürmer in Südwesten den Himmel! Der Feind, der Mecklenburger, der rothe Hahn über Wanzleben!«

Ein gewaltiges Getöse – dann eine tiefe Stille. Auf der Gasse, auf dem Breiten Wege sang eine klare, wenn auch nicht wohltönende Frauenstimme, eine Stimme aus dem Volke, Doctor Martin Luther's Lied:

»So zornig ist auf uns ihr Sinn;
Wo Gott das wollt' zugeben,
Verschlungen hätten sie uns hin
Mit ganzem Leib und Leben.
Wir wär'n als die ein' Fluth ersäuft,
Und über die groß Wasser läuft
Und mit Gewalt verschwemmet.«


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