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Das neunte Capitel.


Ach Gott desselben nicht vergiß,
Der dieses Elends Ursach' ist!

klingt der alte Reim auf den Herzog Georg von Mecklenburg aus dem Jubeljahr Eintausendfünfhundertundfünfzig herüber. Welch' namenlosen Jammer, welch' kochenden Zorn und Haß schließen diese beiden Zeilen ein? Es ist wie ein hellaufkreischender Schmerz- und Wuthschrei, in welchem sich die große blutiggeschlagene lutherische Stadt, die Canzlei des Herrgotts, Luft macht. –

Da standen sie am Morgen des zweiundzwanzigsten Septembers, dem Tage Mauritii, des Schutzpatrons der Stadt, am Thor; da drängten sie sich auf den Wällen – Greise und Knaben, Frauen, Jungfrauen und Kinder – Männer und Weiber, Alle auslugend nach Botschaft von den am gestrigen Morgen Ausgezogenen, Alle mit ängstlich klopfenden Herzen, Alle bleichgesichtig, mattäugig nach schlaflos verbrachter Nacht. Jeder auf der Landstraße herankommende Reiter, jeder Fußgänger wurde mit fieberhafter Aufregung verfolgt, angerufen, ausgefragt nach Nachricht vom Heer. Da aber eben erst die achte Morgenstunde verlaufen war, so konnte kein Wanderer andere Auskunft geben, als daß der Zug der Stadt die Nacht hindurch Lager geschlagen habe vor Wolmirstädt, und daß der Feind sich dagegen im Kloster Hillersleben ruhig verhalten habe.

Jedesmal, wenn solch' ein Wanderer ausgefragt worden war, schlichen einige der Harrenden mit gesenkten Häuptern davon, ihren Wohnungen wieder zu; aber immer strömten aus der innern Stadt Andere gegen das Krökenthor und auf die Stadtmauer daselbst. In allen Straßen, auf allen Plätzen begegneten sich Frage und Antwort:

»Nachricht?!«

Ein stummes Kopfschütteln.

In der Schöneneckstraße im Hause des Rathmanns Ludolf Horn saßen in dem Gemach, welches wir bereits kennen, die Frau Margarethe und die Tochter des Buchdruckers an ihrer gewohnten Stelle am Fenster einander gegenüber; während der Rathmann, die Hände auf dem Rücken, in dem Zimmer auf- und abschritt und nur von Zeit zu Zeit an dem zweiten Fenster stehen blieb, um in die Gasse hinauszuschauen.

Es war, als ob die schwere Sorge Jedem dieser drei armen Menschen den Athem benähme; es war, als ob die Luft schwerer zu athmen sei, als ob ein ungewisses unbeschreibbares Drohen die Atmosphäre anfülle, welches das Blut in den Adern stocken mache.

Niemand sprach in dem ängstlichschwülen Gemach. Worüber sollte man auch reden? Jeder wandte schweigend die Schrecknisse, die ihn bedrängten, hin und her in der schmerzlichen Brust. Erst als ein Bote des Bürgermeisters Alemann kam und den Rathmann auf das Rathhaus forderte, regten sich die beiden Frauen wieder. Die Matrone erhob sich von ihrem Sessel und nahm das Amtskleid des Eheherrn vom Thürnagel und half ihm, dasselbe anzulegen. Regina holte den hohen Stab aus dem Winkel und reichte ihn dem Herrn Ludolf. Der Rathmann küßte seine Frau auf die Stirn und sagte:

»Gehabt Euch wohl, Ihr armen Weiblein. Gedenkt, daß Gott Niemandem eine Last über seine Kräfte auflegt, und daß Alles, was er thut, wohlgethan ist!«

»O Ludolf! Ludolf!« brach die Frau jetzt aus, lautweinend die Arme um den Nacken des Eheherrn werfend. »O Ludolf, Dein Sohn, Dein Sohn! Denk', wenn er gefallen ist vor dem Feind, wenn er auf dem Blutfeld gestorben ist. Deine zornigen, schrecklichen Worte im brechenden Herzen wiederholend! O Markus, Markus, mein Kind, Deiner armen Mutter Segen ist überall mit Dir!«

Der Rathmann machte sich sanft aus den Armen der Frau los.

»Wer gesündigt hat, dem gebühret Strafe!« sprach er. »Geflucht habe ich meinem Kinde nicht; aber wenn es in diesem Augenblick auf dem Schlachtplan seine Augen im zeitlichen Tod schlösse, und Gott mich jetzt mit ihm vor seinen heiligen Richterstuhl riefe, so bin ich bereit, vor dem höchsten Richter, vor Gott, zu verantworten, was ich gesprochen habe an dem Abend, wo der Knabe hier erschien vor seinen Eltern, so er böslich, selbstsüchtig, leichtsinnig verlassen hatte. Glaub', Mutter, glaub', ein rechter Mann lässet nicht Alles sehen, was sich in seiner Brust reget, es gibt Manches, was er allein hin- und herwiegt. Glaub', Mutter, es ist ein schrecklich Ding auch um ein Männerherz, während das Zünglein der Wage noch nach rechts und links zittert. Glaub', Mutter, Du trägst Dein Weh nicht allein!«

Regina Lottherin küßte dem Greise scheubewegt die Hand, und fort schritt Herr Ludolf Horn, um im Rath der Stadt Magdeburg mit unbewegtem Gesicht seinen Sitz einzunehmen, mit unbewegter Stimme sein Wort zu sprechen; während zu Hause die beiden Frauen jetzt einander wieder lautschluchzend in die Arme fielen.

Wieder zog durch die Schöneeckstraße ein Schwarm unruhiger, angstvoller Menschen nach dem Krökenthor.

»Ich halte es hier im dumpfen Gemach nicht mehr aus!« rief Frau Margaretha. »Laß uns auch fort, Regina; laß uns auch in die freie Luft; ersticken muß ich hier.«

»Da steht in unserer Hausthür unser Factor, Meister Cornelius, mit dem Herrn Magister Flacius, sie sollen uns begleiten«, sprach Regina. »Da ist Euer Mantel, Mütterlein, kommt, kommt; auch mich duldet es hier nicht mehr; draußen scheint wenigstens die Sonne, kommt, laßt uns schnell gehen.«

Aus dem Hause eilten die beiden Frauen, und bereitwillig schlossen sich ihnen die beiden Männer an zur Begleitung.

»Noch immer keine Nachricht?« fragte Frau Margarethe Horn den Illyricus.

Dieser zog die Achseln auf.

»Seltsame, unbestimmte Gerüchte durchfliegen die Luft, gleich verschüchterten Vögeln. Man kann sie nicht greifen, man weiß nicht, woher sie kommen; wer sie gebracht hat. Sie sind da, werden widerrufen, werden bestätigt; – es sind abscheuliche Stunden, diese Stunden des Harrens, sie zerrütten den Geist, sie ertödten den Körper. Setzt Euch nieder, es treibt Euch in die Höhe – geht umher, es treibt Euch zum Laufen – hierhin, dorthin, ohne Zweck, ohne Absicht –«

»Und die einzige Ruhe ist zu Gottes Füßen, ist im Gebete!« sprach feierlich mit klangvoller Männerstimme Herr Johannes Pomarius, der junge Pfarrherr zum heiligen Geist, der Vater jenes Elias Pomarius, welcher im vorigen Capitel angeführt wurde als Chronist und Pastor zu Sanct Peter, in der Altstadt Magdeburg. Herr Johannes Pomarius oder Baumgarten, damals eben aus dem Jünglingsalter heraustretend, hatte großen Ruf in der Stadt als ein begeisterter, trefflicher lutherischer Canzelredner und verdiente diesen Ruf mit vollem Recht. Sein ältester Sohn schrieb die Aufzeichnungen nieder, welche im Jahre 1622 sein jüngerer Sohn Elias vermehrt und verbessert als: »Warhafftige, grundtliche unnd eygentliche Beschreibung der uberjährigen Belagerunge der kaiserlichen freyen Reichsstadt Magdeburg« auf's Neue im Druck erscheinen ließ. –

Sittsam neigte sich der junge Pfarrherr vor den beiden Frauen, dem Factor und dem Magister und sprach:

»Verzeihet, Herr Flacius, daß ich Euch also in Eure Worte eingefallen bin; aber wessen das Herz voll ist, dessen gehet der Mund über. Wie Eure Seele ist die meinige unruhig und in großen Aengsten; im Knien vor Gott aber wird das Herz leicht und stille. Des Herrn Name sei gepriesen zu jeder Stund'!«

»Amen!« sprachen Alle nach, und der Pfarrherr schloß sich den Vieren an und schritt mit ihnen weiter über den Breiten Weg gegen das Krökenthor. Ueber den Breiten Weg schritt eben Herr Nicolaus Hahn mit dem Doctor Erasmus Alberus heran und vorüber. Der Herr von Heideck jagte mit Kaspar Pflugk zu Pferd aus dem Thor auf Nachricht aus, manch' anderer wohlbekannter Mann, den sonst um diese Tagesstunde nichts in der Welt von seiner Arbeit, seinen Amtsgeschäften weggetrieben hätte, schritt jetzt ruhelos unter der Mauer der Neustadt auf und ab. Da war der gelehrte Stadtschreiber Merkel, da war manch' anderer Mann vom Rath, manch' ehrbarer Innungsmeister, mancher Kriegsmann von der zurückgebliebenen Besatzung. Herr Hans von Kindelbrück, der Hauptmann, unterhielt sich mit dem Stadtleutnant Hans Winkelberg von Köln, auf der Zugbrücke.

Alles wartete, Alles harrte. Es war zehn Uhr Morgens! Hell und freundlich schien auch an diesem Tage die Sonne; aber es gelang ihr nicht, alle die trüben ängstlichen Gesichter zu erhellen. Von der Erscheinung vor Barleben, von der warnenden Rede des geheimnißvollen Alten, der das Heer aufgehalten hatte, hatte man gestern Abend schon erfahren. Manch' Einer war nach der Johanniskirche gelaufen und hatte die Tafel, auf welche der Warner hingedeutet hatte, angesehen und kopfschüttelnd gelesen.

Neben der Frau Margaretha und Reginen geriethen ins Gespräch über dieselbe Tafel in der Johanniskirche die begleitenden Herren, und vorzüglich Ehrn Johannes Pomarius und der Doctor Heinrich Merkel, der Secretarius, welcher Letzterer später auch seine Bemerkungen über den zweiundzwanzigsten September, den Tag des heiligen Moritz, den Unglückstag der Stadt Magdeburg seit Jahrhunderten, der Nachwelt schriftlich überlieferte.

»Es ist ein unanrührbar Ding, diese Erscheinung vor Barleben. Jedem christlichen Gemüth ist's anheimzustellen, was es davon halten mag. Der allmächtige Gott kann seine Engel senden, wohin er will. Nicht das Geringste haben alle eifrigen Nachforschungen nach diesem wunderlichen Alten herausgebracht. Wer kann sagen, was es darum gewesen ist? Ob heiliger Bote Gottes, ob Spuk und Aefferei des Teufels, Eines stehet immerdar fest, Gott wird die Seinen nimmer verlassen; daran sollen wir halten in jeder bösen Stunde.«

Also sprach der Pfarrherr, und es antwortete ihm der Stadtschreiber: »Anno Dreizehnhundertfünfzig ist die Schlacht geschehen, von welcher der Mann vor Barleben sprach, und über welche die Tafel in der Johanniskirche hänget. Haben die Magdeburger sie verloren gegen ihren Stiftsadel unter dem Landgrafen Otto zu Hessen und Erzbischof Otto. Im selbigen Jahre kamen die ersten Geißelbrüder von Pirna an, am Freitag vor Ostern. Sie gingen um, von wegen der großen Pest, so damals durch die ganze Welt herrschte, trugen Kreuze an den Kleidern und Hüten, hinten und vorn, und peitschten sich mit Knoten und Geißeln bis auf's Blut, um das Sterben damit abzuwenden. Schreibt ein alt' Verzeichniß, daß an dieser Pestilenz allein 124.434 Barfüßermönche sollen gestorben sein. Diese bemeldeten Flagellanten lagen zuerst auf dem Klosterberge, bis ein ehrbarer Rath und das Capitel sie in die Stadt ließ.«

»Ja wohl«, sprach Ehrn Pomarius, »hab's auch vernommen; anfangs machte man viel aus ihnen, läutete die Glocken ihnen zu Ehren, lud sie zu Gaste; aber als die Neuheit vorüber war, Heuchelei und Betrug zu Tage kam, da war's aus, und zerging die Secte vor ihr selbst, wie Menschen Gedichte pfleget.«

»Der Menschen Treiben, Sinnen und Denken ist wunderlich und wird wunderlich bleiben. Lasset uns hoffen, daß wir über heutigen Tag nicht ein solch' Täfelein aufzuhängen brauchen, wie jenes in der Johanniskirche, daß wir uns dieses Tages wegen nicht also zergeißeln müssen!« sprach der Stadtschreiber, und die Andern sagten leise und laut Amen dazu.

In demselben Augenblick entstand unter dem Volk, welches auf dem Wege vor der Zugbrücke lauerte und lungerte, eine Bewegung und ein Geschrei, welches bald von Gruppe zu Gruppe unter dem Thore, in den Gassen, auf der Mauer sich fortpflanzte.

»Was war geschehen? Nachricht – Kunde vom Heer? Wo? Wie? Was? Wo ist der Bote? Dort! Wie dort! Es ist nicht wahr – Doch! Doch!«

Auf den ersten Lärm folgte eine tiefe Stille; Alles drängte sich auf einer Stelle der Landstraße zusammen – vom Schlachtfeld an der Ohre war der erste Bote, war Fränzel Nothnagel, das Pfeiferlein, athemlos, halb todt, ganz betäubt, unfähig, zwei zusammenhängende Worte zu sprechen – angelangt.

Wenig brachte man aus dem armen Burschen heraus; aber schon das Wenige war genug, übergenug, den allergrößten Schrecken durch die harrende Menge zu verbreiten. Um den kleinen Pfeifer drängten sich die hohen Befehlshaber, die Herren vom Rath, die Geistlichen mit hundert Fragen; aber ohnmächtig sank Fränzel Nothnagel zusammen und gerieth in die Hände der Weiber, die sich seiner mit Kraftwassern und Riechfläschchen annahmen und ihn in die Pfarrwohnung von Sanct Katharinen brachten, damit er daselbst wieder zum Bewußtsein komme.

Aus dem stumpfen ängstlichen Harren war die immer mehr sich vergrößernde Menge in das Stadium peinigender qualvoller Ungeduld gelangt. Noch hatte man nichts Bestimmtes erfahren, noch war es möglich, daß die wirren, halb sinnlosen Worte des Knaben nichts zu bedeuten hatten; – aber unerträglich war dieser Zustand geworden: »Kunde! Kunde! Im Namen Gottes, Kunde!«

Mit gerungenen Händen lief man hin und wider, man zerstampfte den Boden; Weiber lagen auf den Knien und zogen ihre Kinder ebenfalls neben sich nieder; Viele drückten im krampfhaften Weinen ihre Stirnen in den Staub – da – endlich – endlich – endlich ein Geschrei – ein wildes Rufen –

Schnaufende, abgejagte, keuchende Rosse – Reiter, blutig und bestäubt –

»Verloren! Verloren! Alles verloren! Aus! Aus!«

Wieder Reiter! Einzeln – in Trupps! Keuchende zusammenstürzende Fußgänger.

»Allverloren – der Feind! Der Feind, hinter uns der Feind! Rette, rette, Magdeburg rette! Verloren! Verloren!«

Nun Haufen auf Haufen, waffenlos, todtenbleich, geschwärzt vom Pulverdampf, staubbefleckt, mit zerfetzten Kleidern, zerstoßenen, zerschlagenen Harnischstücken, überklebt von geronnenem Blut:

»Verloren! Verloren! Alles verloren! Hilf, Magdeburg, hilf!«

Wie schreit das Volk auf, wie irren die Augen der Weiber, der Freunde, der Verwandten! Wer kann den Klang der Stimmen beschreiben, mit welchem man die Namen der ausgezogenen Lieben ruft?

Vom Krökenthor aus geht es wie ein elektrischer Schlag durch die ganze, große lutherische Stadt; binnen fünf Minuten sind alle Gassen überschwemmt; die verworrensten Gerüchte durchkreuzen sich, verschlingen sich; die überspannte Phantasie malt Alles in's Ungeheuerlichste. Am Brückthor, an der hohen Pforte glaubt man: der Feind stürme schon auf der andern Seite der Stadt. Auf Sanct Johann und Sanct Jakob setzen sich die Sturmglocken in Bewegung, und eine Glocke zieht die andere in den wildhallenden Alarm hinein. Von Sanct Ulrich tönt es wider, dumpf und schwer hallt es zuletzt vom Dom, und nur die Glocken von Sanct Katharinen, die am besten Bescheid um die Sachlage wissen können, schweigen und fallen nicht ein in den Angstruf der klingenden Genossinnen.

Vom Rathhause stürzen die Bürgermeister und die daselbst anwesenden Rathmänner; die vom Heereszuge zurückgebliebenen Landsknechte und Bürger greifen nach ihren Waffen und durcheilen bereits einzeln oder in Haufen die Gassen. Am Krökenthor wird das Gedränge immer heftiger, und die vom Schlachtfelde an der Ohre Heranstürzenden finden kaum einen Weg hindurch.

Von ihren Begleitern abgedrängt, werden die Frau Margaretha Horn und Regina Lottherin, die sich fest umklammert halten, von der wogenden Menge hierhin und dorthin gezogen. Sie sehen nicht mehr, sie hören nicht, Alles schwimmt vor ihren Augen und Sinnen, bis sie endlich von starken Armen gefaßt und auf einen Steinhaufen gehoben werden, von welchem sie über die Köpfe der Menge hinwegschauen können. Der schweigsame Büchsenschütze Andreas Kritzmann ist's, der sie aus dem Gedränge errettet; er bleibt neben ihnen stehen und sorgt, daß die Fluth sie nicht wieder von dieser Stelle herabreiße. Ein armes Weib, das auch seinen Mann vom Schlachtfeld heimerwartete, ist bereits zu Tode gedrückt, und mehrere unglückliche Kinder sind unter die Füße der Menge getreten.

Wir wollen im gewohnten Ton unsere Erzählung fortsetzen und uns nicht fortreißen lassen von dem allgemeinen Jammer und Entsetzen.

Heran ritt jetzt von Hillersleben Herr Heinrich Müller der Kämmerer, an seinem Körper, an seiner Rüstung böse Spuren des Kampfes tragend. Herabgehauen war sein Helmbusch, eine blutige Binde trug er um die rechte Faust gewunden. Durch die Gassen trabte er auf seinem müden Gaul nach dem Rathhause, daselbst vorzutragen, was geschehen war.

Dem Kämmerer folgten Hans Springer der Hauptmann und Adam Schwartze der Leutnant, welche Beide Leib und Gewaffen in unversehrtestem Zustande heimbrachten, was das scharfe Auge des Volkes bald genug herausfand. Als der Leutnant vor dem Steinhaufen ankam, auf welchem die Frau Margaretha und die Tochter des Buchdruckers standen, stieß Letztere einen Schrei aus:

»Adam! Herr Leutnant! Herr Vetter!«

Der Bamberger hielt seinen Gaul an; doch erwiederte er, getrennt von den beiden Frauen durch das dazwischen sich drängende Volk, den angstvollen Blick Regina's nur durch ein melancholisches Kopfschütteln.

»Mein Vater! Mein Vater!« rief Regina, die Hände gegen den Landsknechtführer ausstreckend. »Wo habt Ihr meinen Vater gelassen, Herr Adam?«

Wieder schüttelte der Leutnant das Haupt. Er wußte eigentlich nicht, was er der ängstlichen Tochter erwiedern sollte. So schlug er nur die Hand im Stahlhandschuh auf den Brustharnisch und war herzlich froh, als ihn das Gedränge weiter trieb, dem Hauptmann Springer nach.

»Er ist todt! Mutter, o Gott, er ist auf dem Feld geblieben! Ich werd' ihn nimmer wieder sehen!« rief Regina; und die Frau Margaretha, deren Mutterherz ja auch im heißesten Bangen schlug, wußte dem armen Mädchen nicht den geringsten Trost zuzusprechen.

Manch' eine Persönlichkeit, welche wir im Lauf dieser Geschichte kennen gelernt haben, fand sich vom Wahlplatz allmählich zu den schützenden Mauern der Stadt Magdeburg zurück.

Im vollen Trabe, mit seinen langen Beinen gewaltig ausstreichend, kam Meister Heinz Bickling und wurde mit großem Geschrei von der Thorwache und den daselbst anwesenden Knechten begrüßt.

Ueber die Schulter drohte der lange Kerl mit geballter Faust zurück:

»Die Rabsäcke! Die Schnappsäcke! Die Schubsäcke!« schrie er, mit einem ganzen Sack voll anderer weiterer Säcke seine Wuth gegen die sieghaften Feinde ausleerend.

Herantänzelte Jochen Lorleberg, auf welchen die Niederlage an der Ohre durchaus nicht einen niederschlagenden Eindruck gemacht zu haben schien. Er hatte einem gefallenen mecklenburg'schen Ritter, den er übrigens nicht erschlagen hatte, die goldene Halskette und einen gut gespickten Geldbeutel abgenommen und brachte einen frisch gefüllten Beutel ungeheuerlicher Lügen obendrein nach Haus.

»Ich sage Euch, Wachtmeister«, sprach er zu dem Befehlshaber der Thorwache, »ich versichere Euch, so was lebt nicht wieder; hing an einem Haar die Victoria, und ich – ich hätt' sie gewonnen, hätt' nicht der leidige Teufel sich drein gemischt. Kömmt im dicksten Haufen der Mecklenburger Jürg heran – ich kenn' ihn an den Ochsenhörnern auf dem Helm – halt, denk' ich, jetzt gilt's, kriegst Du Den herunter, so kann dich die Stadt Magdeburg in Gold fassen lassen. Auf dem Wagen steh' ich, müßt Ihr wissen, die Büchse halt' ich geladen, ziel' – blautz hat des Jürgen Gaul die Kugel im Magen, steigt, überschlägt sich und schleudert den Herzog im vollen Kürisser, will ich sagen zwölf Schuh hoch in die Luft. Nun denkt Ihr, er fällt zwischen die Pferde und wird zu Brei trotz Stahlhelm und Eisenpanzer? Proste Mahlzeit! Dreimal schlägt er Rad in den Lüften, kommt mit Schwert und Lanze, mit ausgespreizten Beinen herunter und fällt einem ledig laufenden Roß regelrecht in Sattel und Bügel und auf mich los wie das Wetter; – da gab ich's auf, und weil ich jetzt sah, daß sich alle Andern davongemacht hatten, so dacht' ich, was Du thun konntest, Jochen, hast Du gethan. So lief ich den Andern nach und hier bin ich. Was meint Ihr dazu?«

»Daß dort immer noch welche kommen, welche doch hinter Dir gewesen sein müssen!« brummte der Wachtmeister, und Jochen Lorleberg beeilte sich, sein Losament in der Stadt zu erreichen, daselbst seinen Wirthsleuten seine Thaten in der Schlacht auf seine Art zu erzählen.

Heran kam Peter Rauchmaul der Dickwanst, mit lang vorhängender Zunge und vorquellenden Augen, schnaufend, blasend, prustend. Im eiligen Lauf hatte er's sich allmählich so bequem wie möglich gemacht. Erst hatte er das zweihändige Schwert, dann die Sturmhaube, dann den Brustharnisch weggeworfen. Dann hatte er das Wamms abgeschleudert, und jetzt kam er im Hemd und Hosen vor dem Krökenthor an unter den Einzelnen, die den größern Haufen folgten.

Die größern Haufen zu Roß und zu Fuß, die sich von der Wahlstatt errettet hatten, die Schnellfüßigen, Diejenigen, welche der panische Schrecken und die Angst der Flucht am meisten befallen hatten, waren um diese Zeit so ziemlich Alle unter den Mauern der Stadt angelangt. In immer größern Zwischenräumen kamen jetzt nur noch vereinzelte Kämpfer zurück; Verwundete, die sich langsamer als die Gesunden fortschleppten, niedergeschlagene muthige Streiter, welche mit solcher Last der Niederlage auf der Seele am liebsten gar nicht wieder in die Vaterstadt heimgekehrt wären.

Immer trostloser wurden die Mienen des wartenden Volkes, welches bis jetzt seine Verwandten und Freunde unter den Zurückgekehrten noch nicht gefunden hatte. Wohl klang von Zeit zu Zeit noch ein heller Freudenschrei in der Menge auf, und ein zitterndes, halb ohnmächtiges Weib sank in die Arme des Gatten, eine Schwester in die Arme des Bruders, ein Sohn in die Arme der Eltern; aber das Schluchzen, das laute Weinen nahm immer mehr überhand, und die geistlichen Herren, die Alle ihre Chorröcke übergeworfen hatten, die fremden Prediger und Prädikanten wußten fast nicht mehr, wohin sie sich mit ihren Trostworten, ihren Ermahnungen und geistlichen Ermunterungen zuerst wenden sollten.

Ueber die Häupter der Menge erhob sich wieder die hagere schwarze Gestalt, erschienen wieder das bleiche Gesicht, die glühenden Augen des Gassenpredigers Wilhelm Rhodius.

Mit gellender Stimme redete er nach seiner Art. Wehe, dreimal Wehe rief er herab auf das sündige Volk, auf das laue laodicäische Wesen der Stadt, das solches Geschick über und über verdient habe. Dazwischen warf er die zerrissenen Blätter seiner Bibel herum und vermischte seinen halb wahnsinnigen, halb begeisterten Sermon mit den Schriftstellen, die ihm in den Wurf kamen.

Wandten sich auch die Verständigen, die Ruhigeren mit halbem Widerwillen von dem Mann ab, im großen Haufen fand er um so mehr, zu dieser Stunde, den gewohnten Anklang. Die Trauernden, die Betrübten des niederen Volkes, die zerlumpten Weiber und Greise umdrängten ihn mit den Zurufen:

»Segen Gottes über Euch, Herr Magister! Der Herr rechne uns unsere Sünde nicht zu! Der Herr spende uns seine Gnade! Wehe, wehe, wehe! Der Tag der Rache ist kommen. Der Tag, da der Herr das Korn sichtet, ist vorhanden!«

Dazwischen schrie der Prädikant wieder einige Verse aus dem Psalter herab:

»Erwecke Dich, Herr; warum schläfst Du? Wache auf und verstoße uns nicht gar.

»Warum verbirgst Du Dein Antlitz, vergissest unseres Elends und Dranges?

»Denn Unsere Seele ist gebeuget zur Erden, unser Bauch klebet am Erdboden.

»Mache Dich auf, hilf uns und erlöse uns, um Deiner Güte willen.«

Nur Die, welchen ihre Verwandten und Freunde glücklich wiedergegeben waren, nur Die, welche Niemanden vom blutigen Unglücksfeld an der Ohre zurückzuerwarten hatten, verließen das Krökenthor und die Landstraße davor. Hundert und aber hundert trostlose Seelen blieben aber harrend – immer noch hoffend zurück.

Die bis jetzt Vermißten konnten ja endlich doch noch kommen. Welche Mutter, welche Gattin, welches Kind gab die Hoffnung auf? Noch lange, lange Jahre nach dieser schrecklichen Stunde saß unter der Thorwölbung auf dem Eckstein eine verhüllte Frau, die wahnsinnig geworden war über das Harren am Morgen des zweiundzwanzigsten Septembers Eintausendfünfhundertundfünfzig. Bis zum Tod erwartete dies Weib den Mann, der nicht heimkehrte aus der Schlacht; und wie der Gatte nicht kam, so schien ihr auch der Tod nicht kommen zu wollen.

Der Rathmann Horn auf dem Rathhause im Rath, beschäftigt, den Bericht des Kämmerers Müller, des Hauptmanns Springer, des Ritters Wulffen zu hören, zu vergleichen; in Anspruch genommen von der allgemeinen Noth, durfte dem Ehegemahl kaum einen Gedanken widmen. Unter den vielen Geängsteten harrten fort und fort Frau Margaretha und Regina Lottherin am Thore aus.

»O Mutter«, rief plötzlich die Letztere, »Mutter, dort kommt Herr Besselmeier; Mutter, vielleicht weiß der uns Kunde zu geben. Ich will ihn anhalten, ich will ihn fragen!«

Von ihrem Standpunkt sprang die Jungfrau herab und drängte sich durch die Haufen dem Geschichtschreiber entgegen, welcher finster und traurig zwar, aber doch nicht gleich den andern Flüchtigen einherschritt. Der wackere Meister Sebastian gehörte zu den Wenigen, welche in voller Bewaffnung heimkamen. Das Schwert trug er an der Seite, die Büchse, an deren Kolben Blut und Haare klebten, trug er über der Schulter; – da ihn in der Stadt weder Weib noch Kind erwarteten, so stand er der fragenden, flehenden Jungfrau, so stand er der Matrone bereitwillig Rede.

Von dem Buchdrucker wußte er nichts, den Rottmeister Horn aber hatte er noch in den letzten Augenblicken der Schlacht tapfer auf der Wagenburg im Kampf erblickt; das Getümmel hatte ihn jedoch selbst fortgerissen, und so wußte er nicht zu sagen, ob der junge Herr gerettet, ob er gefallen, oder gefangen sei.

Alles Volk im Kreis horchte mit gespanntester Aufmerksamkeit den Worten des trefflichen Mannes.

»O Herr Besselmeier, Meister Besselmeier, Ihr seid der rechte Mann, gebet uns Bescheid, erzählet uns – gebet Ihr uns Bericht von der Schlacht!« rief man, und das Verlangen ward immer allgemeiner.

»So lasset Jenen dort schweigen!« rief Meister Sebastian, auf den Prädikanten deutend, welcher eben mit neuer Gewalt und Macht der Lungen zeterte, und Sinn und Wahnsinn durcheinander mischte.

Nach kurzem, aber heftigem Hin- und widerreden wich der fanatische und fanatisirende Gassenprediger dem Willen und Wunsch der Menge und dem Worte des verständigen, ruhigen Bürgers. An des Magister Wilhelm's Stelle erhub sich Meister Sebastian Besselmeier auf den Schutthaufen, von welchem herab Jener gepredigt hatte, und erzählte klar, bündig. Niemanden anklagend und verlästernd, dem Volk der Stadt Magdeburg den Verlauf der bösen Unglücksschlacht an der Ohre. Zum Schluß forderte er seine Zuhörer auf, nicht zu verzweifeln. Nichts sei verloren – sprach er – wenn man den Muth nicht verliere. Gott habe durch dieses Unglück Die, welche sich rühmten, sein Wort bis in den Tod vertheidigen zu wollen, prüfen wollen. Jetzt gelte es erst recht, dem Feind zu zeigen, was es auf sich habe um die Canzlei unseres lieben Gottes, um die feste Burg der Freiheit, um die Jungfrauschaft der freien, stolzen, tapfern, trefflichen Stadt Magdeburg. Jetzt gelte es, den grünen blühenden Kranz der Ehren hoch zu halten auf den Mauern und im Felde. Wer gefallen sei vor Hillersleben, der müsse angesehen werden als ein Märtyrer Gottes; wer aber noch lebe, der müsse den Tod um solche Sache als ein köstlich Geschenk des Höchsten ansehen und dürfe ihm nirgends aus dem Wege gehen, wo Glaubensfreiheit und Bürgerfreiheit zu vertheidigen seien.

Dann sprach der Redner, alle Spuren der schrecklichen Schlacht an sich tragend: er blicke in so viele weinende Augen der Frauen und Jungfern, und mit Recht weine und klage man, denn nicht hehlen wolle er es, manch treuer Magdeburg'scher Streiter liege bleich und blutig auf der Wahlstatt unter den Füßen der wüsten triumphirenden Sieger; aber die weinenden Augen solle man zum Himmel emporheben, da sei immer der rechte Trost zu finden.

Und als ein alt' verkümmert Weiblein rief:

»Ach Meister Sebastian, unbegraben liegen sie, und die Raben hacken ihnen die Augen aus, und der Feind spottet ihrer, und mein Enkelkind, mein schöner Fritz wird nun auch unter den Todten, ungewaschen und ohne Leichenhemd, Sarg und Gefolge vermodern!« Da sprach der fromme Meister:

»Großmütterlein, das köstlichst' Grabgepräng' ist ein Tand gegen solch' ein stolzes Grab auf dem Schlachtfeld. Wer für unsere Sach', ehrlich gefallen auf dem Plan, in solcher Grub' liegt, der mag den Tag der Auferstehung in Ruh' erwarten; kein König und Kaiser liegt in seinem herrlichen Gewölb' so gut, so sanft, so köstlich bestattet.«

Mit dem blutbespritzten Aermel wollte der Redner den Schweiß von der Stirn wischen, da reichte ihm Regina schnell das weiße thränenfeuchte Sacktüchlein; und das Blut der Streiter und die Thränen der Frauen um die Schlacht an der Ohre fanden sich so zusammen. Mit hilfreichem Arm unterstützte die Maid den vor Ermattung schier zusammenbrechenden tapfern Bürger, als er von dem Schutthaufen herniederstieg. Auf seinem Wege bildete das Volk in Ehrfurcht eine Gasse. Aller Lärm, welcher die Reden des Prädikanten begleitet hatte, war verstummt! Es zog ein Jeder vor dem Meister Sebastian Besselmeier die Mütze und den Hut, und die Weiber zeigten den Mann ihren Kindern als Denjenigen, der zuerst das Rechte von der Schlacht an der Ohre zu Hause erzählet habe.

Jetzt fanden sich auch wieder der Factor Cornelius mit dem Magister Flacius Illyricus und dem Doctor Erasmus Alberus zu den Frauen. Die beiden Gelehrten theilten manche von ihnen gemachte Bemerkung mit, doch fanden sie weder bei den Frauen, noch bei dem alten Factor die rechte Aufmerksamkeit dafür.

Was half es diesen betrübten Herzen auch, wenn der Illyrier die Ohre mit dem Fluß Allia verglich; was half es, wenn der Doctor Alberus über die » fatales periodos« der Völker, Stämme, Regimenter und Geschlechter sprach und bewies, daß dem fürstlichen Hause Sachsen das siebente Jahr » fatalis« sei, und Solches durch mancherlei Data und Facta der jüngst vergangenen Zeit belegte. Fünfzehnhundertsiebenzehn habe die lutherische Lehre ihren Anfang genommen, sieben Jahre darauf sei Herzog Friedrich, der weise Kurfürst, gestorben; sieben Jahre später sei Kurfürst Johannes, sieben Jahre später sei Herzog Georg abgeschieden. Sieben Jahre wiederum später als 1546 habe der schmalkaldische Krieg begonnen, und was übermal nach sieben Jahren kommen werde, das stehe noch dahin.

Ein sich erhebendes neues Geschrei unterbrach die ferneren Auseinandersetzungen des gelehrten Doctors. Wieder bewegte sich die gesammte Volksmenge am Thor und auf der Landstraße. Im fieberhaftesten Tumult regte sich wieder jedes wartende Herz. Noch einmal sollten alle Hoffnungen zu tödtlichster Spannung aufgerüttelt werden. Nachdem bereits eine geraume Zeit hindurch keine Heimkehrenden sich mehr hatten blicken lassen, wälzte sich jetzt noch ein ganzer Haufen Streiter zu Roß und zu Fuß langsam daher.

Halb unterdrückte Freudenrufe erhoben sich im Volke. Mit der geretteten Reiterfahne ritt Christof Alemann, der tolle Fähnrich, heran. Wohl zwanzig bis dreißig Reisige begleiteten ihn, und dann kam ein Bauerwäglein, darauf lag ein wunder Mann, und neben ihm stand ein anderer hochaufgerichtet, ein blutiges Tuch um das Haupt. In der Hand hielt dieser ein zweites Banner, ein Bürgerfähnlein, und nahe an hundert müde, blutende, bestäubte Männer umschlossen den Wagen oder folgten ihm.

»Markus, Markus, mein Sohn, mein Kind, mein herzliebes Kind!« rief Frau Margaretha Horn. Sie zertheilte die Menge, von dem Wagen sprang der Sohn herunter und hielt die Mutter in den Armen. Manch' andere Arme öffneten sich und umschlossen lachende, weinende Mütter, Gattinnen, Schwestern, Kinder. Vollständig war der Zug gehemmt, durchbrochen von dem suchenden, findenden und – nicht findenden Volke.

»Regina – Jungfer Regina – auch – Euer Vater!« rief Markus. »Hier – hier auf dem Wagen – Mutter – Mutter! – Laßt Regina – fürchtet nichts – er wird nicht sterben.«

Auf das Wäglein, wo, auf Stroh gebettet, der vom Schlag der feindlichen Hellebarde noch immer betäubte tapfere Buchdrucker Michael Lotther ausgestreckt lag, hob Markus Horn mit seinen starken Armen die Tochter des Nachbars, die mit Küssen und Thränen das Gesicht des Vaters bedeckte, und mit tausend Liebkosungen und süßen Worten, zwischen Angst und Jubel schwebend, ihn in's Bewußtsein zu rufen strebte.

Mit Küssen, Thränen und Liebkosungen bedeckte die Mutter das Gesicht des Sohnes, dem auch die Augen nicht trocken blieben.

»O mein Markus, mein Kind, nun ist Alles gut – ich hab' Dich wieder – Dank Gott, Dank Gott! Nun ist's gut – nun komm – kommt heim! heim!«

»Dran! Drauf! Nieder mit den Hunden! Alle für die Stadt, bum – bum! Alle voran, Reiter und Rosse, Fußvolk und Geschütz, voran, voran!« phantasirte der Buchdrucker im Fieber und suchte sich den Armen seiner Tochter zu entwinden, sank aber sogleich wieder zurück auf sein Lager.

»Aengstet Euch nicht, Jungfer Regina«, rief Markus Horn; »das hat nichts zu bedeuten, es wird vorübergehen!«

Endlich konnte sich der Zug wieder in Bewegung setzen; durch die dunkle Wölbung des Krökenthores schwebten die beiden, allein aus der Schlacht an der Ohre geretteten Banner der Stadt, zogen die Letzten der aus der schlimmen Niederlage geretteten Streiter der Stadt. Aber der schwarze Schatten dieses Thorbogens fiel schwer über Markus Horn's Seele; der Lichtschein, welcher sie erfüllt hatte, erlosch wieder. Wenngleich die Gunst des Augenblicks ihm erlaubt hatte, die Mutter in die Arme zu schließen und von ihr zu vernehmen, daß nichts ihn von ihrem Herzen losreißen könne, so erschien das, was er sonst noch verloren glaubte für ewig, um so unersetzlicher. Seit er den zarten Körper Reginens in seinen Armen gehalten, seit er die Jungfrau zu dem wunden Vater auf den Wagen gehoben hatte, war ihm zu Muthe, als hätten seine Muskeln alle Spannkraft verloren; die Stärke seiner Arme schien dahin zu sein, kaum vermochte er, das Banner seiner Vaterstadt aufrecht zu erhalten und daneben seine alte Mutter, die sich auf seinen linken Arm stützte, zu führen.

An der Katharinenkirche, wo wieder Kopf an Kopf gedrängt das Volk stand, eilten den Ankommenden die Herren Ebeling Alemann, Hans Kindelbrück, Hans Winckelberg von Cöln und Herr Galle von Fullendorff entgegen; mit Thränen in den Augen streckten diese Kriegsmänner die Hände gegen die beiden heimgebrachten Fähnlein aus. In die Arme schloß der Stadtoberst Alemann seinen tapfern Neffen, in die Arme schloß Herr Hans von Kindelbrück, der Hauptmann, seinen Rottmeister.

»Lueg, lueg, i ha's gesagt«, rief der Schweizer, Herr Galle: »I ha's gesagt, Hänsel Kindelbrück, daß Ihr gut thätet, den Wetterbua zu nehma. Willkomme, willkomme, Ihr andere Buebe ze Roß und ze Fuß, daheime! Dundersdüvel, das müsse mer die Kerle heimzahle doppelt und dreifach. Potz blutige Händ', Manne, i sag Eu, das müsse mer auswetze. Dunderschieß, mer wulle es ina schon auf de Aermel heften, nit wahr, Ihr Alle?«

»Ja, ja! Das wollen wir!« schrien die Bürger, Reiter und Knechte mit der letzten Kraft ihrer Lungen. »Sie sollen die Püffe, so sie uns heut' gegeben haben, mit Zinsen wieder haben. Keine Bange, Herr Hauptmann, der Teufel wird ja nicht immer seinen Schwanz uns in die Augen schlagen.«

»Weshalb habet Ihr uns nicht geführt, Herr Fullendorfer!« schrie ein Landsknecht.

»Herr Hauptmann Kindelbrück, wäret Ihr mit uns gewesen, es wär' nicht so ausgegangen!« rief ein Bürger.

»Und das Licht, so man gestern Abend am Thurm zu Wolmirstädt gesehen hat! Der Böse hole den, der damit dem Feind winkte. Hat man nicht gesehen, wie zu Hillersleben als Antwort ein brennendes Strohbündel auf einem Spieß erhoben ist? Der Satan schlage alle Verräther zehntausend Klafter tief in den Boden hinein!«

»Kinder, Kinder, wir wollen Alles wieder gut machen!« rief Herr Ebeling Alemann. »Verlaßt Euch drauf! Hoch lebe diese edle fromme Stadt Magdeburg!«

»Vivat! Vivat! Vivat!« riefen die heimgekehrten Streiter.

»Vivat! Vivat! Vivat unseres Herrgotts Canzlei!« rief alles Volk.

Das gerettete Bürgerbanner, welches Markus bis jetzt getragen hatte, gab er nun in die Hände Bernd Kloden's, welcher es im Zuge nach dem Altstadtmarkt, nach dem Rathhaus trug. Er aber trat mit seiner Mutter aus dem Haufen heraus und geleitete den Wagen mit dem verwundeten Buchdrucker in die Schöneeckstraße. Neben dem Wagen schritt auch der Factor Cornelius einher, fort und fort in den Bart brummend:

»Das hat er davon! Hab' ich's ihm nicht voraus gesagt? Solch' ein alter greiser Gesell – ein Jahr ist er älter als ich – will noch den jungen Kriegsmann spielen. Seht Ihr, Meister Michel! Haben sie Euch mit Kolben gelaust, haben sie Euch den Buckel gebläuet! Recht ist Euch geschehen, alter Fürwitz – na ich mein', komme Du mir nur erst zur Besinnung, ich will Dir die Wahrheit schon sagen, ich will Dir den Text schon lesen, Du grauköpfiger Gelbschnabel, Michel Lotther.«

Endlich, endlich hielt der Wagen vor der Druckerei; der tapfere Michael sollte seinen Laren und Penaten, seinen Pressen, Correcturen, seiner Tochter und seinen Freunden wiedergegeben werden. Die Stadt Magdeburg hatte ihn für spätere Fährlichkeiten noch gar nöthig.

Aus voller Brust athmete Regina auf, als das Bäuerlein, welches die zwei magern Gäule lenkte, die Zügel anzog.

In dem Augenblick, wo das Gepolter und die Bewegung des Karrens aufhörte, schlug der Verwundete die Augen auf und blickte mit wirren stieren Blicken umher. Er erkannte seine Tochter, die sein Haupt im Schooß hielt, nicht; Jemand anders schien er zu suchen, und als er ihn nicht neben sich fand, wimmerte er:

»Markus, Markus, wo – wo – bist Du, Mark?«

»Mark – Herr Rottmeister, er ruft Euch!« hauchte Regina. »O tretet her, nehmt seine Hand – er hat Angst, verlaßt ihn nicht!«

»Heb' Du ihn vom Wagen, Markus, mein lieber Sohn!« rief die Frau Margaretha. »Zeig' Dich ihm – er scheint wirklich Dich zu suchen. Nimm seine Hand.«

»Hier, Herr Lotther, hier ist Markus Horn!« rief der junge Krieger. »Ermuntert Euch, glücklich sind wir zu Hause angekommen. Besinnt Euch, da ist Euer Töchterlein – hier ist Eure Wohnung; die Fahne ist geborgen; es ist –«

»Das Banner! das Banner!« schrie der Buchdrucker im Wundfieber. »Hier, Adam, Vetter Adam Schwartze, her, her; Alle heran!« Er richtete sich wieder empor und blickte wild umher. »Alle fort, wehe, wehe, verloren die Schlacht – Hilf Markus! Hilf Magdeburg, rette die Fahne, Markus! Rette, rette!«

Nach dem Arzt lief der Druckerjunge, der Quälgeist des Magisters Flacius Illyricus, aus; – Markus aber hob den Verwundeten von seinem Strohlager und trug ihn sanft in's Haus und die Treppe hinauf in seine Schlafkammer, wo er ihn behutsam, immerfort beruhigend ihm zusprechend, niederlegte.

Der Arzt kam, legte kühlende Umschläge auf den Kopf des Kranken, zapfte ihm nach Art der Zeit eine gute Quantität Blut ab und empfahl nach der Art aller Zeiten die tiefste Ruhe. Von den widerstrebendsten Gefühlen bewegt, stand Markus an dem Lager des Meisters Michael, während seine Mutter und die Jungfrau mit dem Verwundeten beschäftigt waren. Was drängte sich Alles in dem Raum so kurzer Stunden zusammen! Blutige Schlacht – Rettung und Tod nur Haarbreit voneinander geschieden – Flucht und Verfolgung und wieder Kampf – schnelles Eilen, langsames Hinschleppen über Felder und Wiesen, durch Gehölz, über staubige Landstraßen, durch entsetzte, angstbewegte Dörfer und Weiler! An schrecklichen Einzelheiten haftet der betäubte Geist, erinnert sich der verstümmelten nackten Leichen am Wege, des wunden Freundes, welchen das scheu gewordene Roß den Abhang hinunterschleift; er erinnert sich des gierigen Trunks aus der Pfütze, aus welcher man mit dem schmutzigen Wasser Blut in die Sturmhaube schöpft. Das wirbelt und siedet und drängt durcheinander im schmerzenden Hirn, ein wüstes Chaos!

Ist das das fromme, treue Gesicht der Mutter? Ist das die schöne Maid, das holdselige Bild vergangener Tage? Ist das Regina Lottherin, welche den Leutnant Adam Schwartze freien will? Wo sind diese Gesichter, diese Gestalten hergekommen? Wo ist Markus Horn! Wo ist der Lärm, der Aufruhr, das Getöse plötzlich geblieben? Was ist geschehen; ist das Traum, ist das Wirklichkeit?

Was will Markus in diesem Gemache, unter diesem Dach? Er greift nach der Stirn; wieder kommt der schreckliche Gedanke, daß hier seine Stätte nicht sei. Er will fort – sogleich fort. Er murmelt etwas von Pflicht, von zerstreuten Genossen, die gesammelt werden müßten; er will nach der Thür wanken; – die Mutter schreckt auf und streckt ihm die Hände nach, Regina erhebt sich halb von ihrem Sessel neben dem Kopfkissen des Vaters; der verwundete Greis öffnet wieder die Augen und scheint außer dem Rottmeister, der ihn aus der Schlacht rettete, Niemanden im Gemach zu erkennen.

»Nicht fort, Mark! Nicht fort! – Alle, Alle feldflüchtig – verloren die Stadt – das Banner, das letzte Banner, Mark! Hilf Markus Horn, verlaß mich nicht! Nicht fort! Nicht fort!«

»Ihr dürft ihn nicht verlassen, wenn Ihr wollt, daß er gerettet werden soll!« sprach der Factor Cornelius.

Das Auge Regina's haftete auf dem jungen Mann; sie faltete zitternd die Hände im Schooß.

»Markus, mein Sohn!« rief fragend und klagend die Mutter, und Markus Horn saß nieder am Fußende des Lagers des Buchdruckers Michael Lotther, fast eben so betäubt, sinnverwirrt wie dieser; mit erblindeten Augen, summenden Ohren, klopfendem Herzen, als habe auch er mit einer Hellebarde des Herzogs Jürg von Mecklenburg zu thun gehabt, wie der tapfere Buchdrucker.


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