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Das elfte Capitel.


Herr Mark hält Wacht am Krökenthor,
Der Meister Lotther tritt hervor,
Das Töchterlein ihm folgen muß,
Historia kommt zu – einem Kuß!
In Flammen geht die Neustadt auf,
Der Feind legt seine Hand darauf.

Diese Belagerung der Stadt Magdeburg von Tag zu Tage zu schildern, wäre wohl ein höchst treffliches, aber auch äußerst schwieriges Unternehmen. Da müßte man in den Chroniken und den alten verstaubten, vom Wurm durchfressenen Schriftstücken, dem Wege jeder einzelnen Kugel, welche der Feind in seiner Wuth »hereinscheußt«, folgen. Heut' wird Peter's des Unterschreibers Dachstuhl, morgen Schechting's Schornstein herabgeworfen. Heut' wird Joachim Balke todtgeschossen, morgen Andreas Bürkicht, des Kaufmanns Bürkicht Junge. Heut' schießt der Feind vom Zoll in Backmeister's Haus, morgen fällt während der Predigt ein »groß eysern Glötte« in die Johanniskirche mitten unter das Volk, ohne Schaden zu thun. Einmal hat der Doctor Erasmus Alberus kein Holz im Hause, ein Gericht Fische, so ihm ein guter Freund verehrte, dabei zu sieden; da kommt eine Kugel, trifft einen Balken über dem Schreibtisch des Doctors und wirft ihm die Späne um den Kopf, »raffet er dieselben Späne auf, traget sie in die Küchen und lasset die Fische dabey gar machen.« Kinder und Jungfrauen werden durch einfallende Geschosse getödtet, und diese Unglücksfälle getreulich aufgezeichnet; getreulich aufgezeichnet wird selbstverständlich, wenn eine andere schwere Kugel das Dach der Johanniskirche zerschlägt, aber auf der Wölbung liegen bleibt und so »die Kirche das Interim nicht annehmen« will.

Dem Feuer des Feindes antwortete die Stadt durch fünfzehn Stück große Rädergeschütze vom Brückthor bis zum Sudenburgerthor, siebenundzwanzig Stück vom Sudenburgerthor bis zum Ulrichsthor, dreizehn Stück vom Ulrichsthor bis an das Schrotdorferthor, dreizehn Stück vom Schrotdorferthor bis an's Krökenthor, sechszehn Stück vom Krökenthor bis an die Hohe Pforte, dreiundzwanzig Stück vom Heideck bis an's Brückthor. Vierhundertdreiundvierzig Stufen hoch hatte man ein schweres Rohr auf den äußersten Umgang des Domthurms – zur Verwunderung aller Kriegsleute – gebracht, um damit den Feind in Buckau erreichen zu können. Zwei andere Stücke standen ebenfalls auf dem Dom, aber niedriger. Zwei schwere Karthaunen befanden sich auf dem Thurm von Sanct Sebastian, eine, wie wir bereits wissen, auf dem Jakobsthurm. An Serpentinen und Doppelhaken waren auf den Wallthürmen und der ganzen Streitwehr wohl über vierhundert während der Belagerung in Thätigkeit, und bliesen dem Feind manch' guten Mann aus dem Feld' weg. Unseres Herrgotts Canzlei wußte auch noch auf andere Art als nur durch die Druckerpresse Zeugniß zu geben; im Donnerton hallte ihr gewaltig gewichtig Wort durch die Welt, und alle Völker und Potentaten horchten auf.

Vor der Stadt war nun, vom zwanzigsten October ab, der Feind auch in vollster Thätigkeit, und nahm sich der Sachen mit allem Ernst an; und ist: »also die Belägerung in entstehender Güte vorgenommen worden, da Hans Alemann und Ulrich von Embden Bürgermeister waren.«

Ein Wühlen und Graben hub an im Feld von Geächteten und Achtsvollstreckern. Gräben zogen die Städter, um der feindlichen Reiterei das schnelle Ansprengen zu erschweren; Schanzen, Gräben mit Blendungen, Katzen, Basteien und dreieckige Wehren warfen die Belagerer auf.

Fünf große befestigte Blockhäuser entstanden allmählich zu großer Bedrängniß der Stadt.

Das erste erhob sich oberhalb Buckau auf der Höhe unter dem Befehl des Vertheidigers von Leipzig, Herrn Bastians von Walwitz, welcher unserm Freunde Markus Horn Anno siebenundvierzig den ersten Kriegssold zahlte. In diesem Blockhaus lag Markgraf Albrecht von Ansbach, der Graf von Leuchtenberg, Claus von Oberg, Wichmann von Wulffen und Andere vom Adel sammt zehn Fähnlein Knechten und einem Geschwader fränkischer Reiter.

Das zweite Blockhaus wurde am Rottersdorf'schen Teich errichtet und Der von Schwendi hielt es mit einem Fähnlein Knechte.

Das dritte befestigte Lager war zu Diesdorf auf der andern Seite der Stadt beim Pulverhof. Hier lag Georg Wachmeister, ebenfalls Hauptmann über ein Fähnlein.

Das vierte Lager und Blockhaus war an der Steinkuhle errichtet, darin lag zuerst Hauptmann Jülicher und dann der Oberste Wolf Tiefstetter oder Teufstetter mit zwei Fähnlein.

Das fünfte Lager entstand nach Eroberung und Niederbrennung der Neustadt in den Ruinen. Darin hatten die kurfürstlichen Gnaden, Herr Herzog Mauritius, ihr Losament, »wann sie etwa im Läger gewesen, welches doch allein geschehen, wann Musterung, Handlung oder Meuterei fürgewesen.« Hier lag auch Herzog Georg von Mecklenburg und überhaupt die größte Macht der Belagerer.

Eine letzte Wehr wurde der großen Brücke gegenüber auf dem Zoll errichtet, und schoß man von da nach dem Alten Markt herüber. Hans von Chemnitz, Hauptmann, lag hier mit einem Fähnlein Knechte. Zu Krakau war eine Reiterwacht bestellt; – Angeber und Baumeister sämmtlicher Belagerungsarbeiten war Herr Hans von Dieskau.

Gescharmützelt wurde Tag für Tag, doch eines Sturmes »maßte sich der Feind nie an.« Das Ulrichsthor und das Brückenthor standen stets bei Tage offen. Das Stadtvieh konnte immer zur rechten Zeit ausgetrieben werden; so wie man auch die Gärten vor der Stadt umgrub und besäete. An Proviant mangelte es nicht, nur Besen waren nicht zu bekommen, und wurde darüber die Stadt ganz kothig und unrein.

Ein Wispel Weizen oder ander Korn kostete zwölf Gulden. Ein Pfund Rindfleisch, Kuhfleisch, Schweinefleisch u. s. w. einen Groschen, eine Kanne Bier galt drei Pfennige, ein Pfund Speck vierzehn Pfennige, ein Pfund Butter drei Groschen, ein Pfund Schmalz zwei Groschen. Ein Ei kostete zwei Pfennige, ein Gans sieben Groschen, ein Maaß Honig drei Groschen.

Herr Matthias Flacius Illyricus machte eine schöne Erfindung und brauete aus Anis Bier, »welches sich wol hat trinken lassen;« wie der Herr Stadtsecretär Merkel, höchst wahrscheinlich den Mund verziehend, niederschrieb.

Das arme Volk in und aus den Vorstädten, wohl sechstausend Köpfe stark, hat man in der Stadt behalten, und es nicht Noth leiden lassen, auf das Wort des Grafen Albrecht von Mansfeld: es möchten Leute darunter sein, die da beten könnten.

Pferdefleisch haben einige Knechte nur aus Vorwitz gegessen. Es soll »gar süß« sein, und »wann es zuvor wol geritten oder getrieben und gepfeffert, sich wohl haben essen lassen.«

Die Straßen und Gassen in der Stadt waren mit Ketten wohl versperrt, und gute Wacht wurde überall gehalten. Wann der Feind sich regte im Feld, steckten die Wächter auf den Thürmen Fahnen aus, und nur bei großem Anschein von Gefahr schlug man die Glocken an. –

Am siebenundzwanzigsten October, am Tag Simonis und Judae, trieben die Magdeburger die feindlichen Knechte, die zur Tagewacht und zum Schutz der Schanzgräber ausgerückt waren, fast bis in ihr Lager zu Fermersleben zurück, so daß man von dort mit dem kleinen Geschütz ausrücken mußte.

Am ersten November, am Allerheiligentag, Vormittags um acht Uhr, brach der Feind aus dem Lager mit siebenhundert Hakenschützen und dreihundert Reitern, und Derer von Magdeburg Reiter unter Christof Alemann sammt den Hakenschützen fielen heraus, erschossen und erstachen manchen Mann, und fingen einen einäugigen Reiter, Lossau genannt.

In der Nacht vom dritten zum vierten November mußte der Feind aus seinem Lager zu Diesdorf laufen; des langen Regens wegen konnte er es vor Koth und Schlamm in seinen Schanzen nicht aushalten und geschah ihm ganz Recht.

In der folgenden Nacht kroch der Feind heran, hatte Fackeln an die langen Spieße gebunden, und zündete zwischen drei und vier Uhr acht Windmühlen an.

Am sechsten November in der Nacht kam der Feind mit großem Geschrei vor die Stadt, »that aber mehr nichts, als daß er die Bürger und Gemeine wach machte.« Man läutete Sturm zu Sanct Johannis, zu Sanct Ulrich und Sanct Katharinen.

Am siebenten November plünderten die Magdeburger das Nonnenkloster Plötzke und führten zweiundzwanzig Kähne voll Schlachtfleisch heim, welches doch beweist, daß diese Bräute Christi in der Zeitlichkeit ihren irdischen Leib nicht allzu hart kreuzigten.

Den Nonnen zu Sanct Agnes aus der Neustadt nahm der Feind dagegen alle Schafe, gab sie ihnen aber wieder, da sie heulten und jammerten: sie seien ja Freunde und nicht Feinde, dieneten dem heiligen Vater, dem Papst, und hätten auch das Interim angenommen. Die Magdeburger rissen ihnen ihr Kloster bald darauf nieder.

Vom Domthurm schoß ein Bürger dem Feind in seinem Lager durch zwei Fässer Zerbster Bier.

Am dreizehnten November entstand ein »sehr großes Scharmützel.« Reiter und Knechte geriethen so untereinander, und die Feldzeichen vermischten sich dergestalt, daß man das Feuer von Wall und Thurm einstellen mußte.

Auf der Feinde Seiten blieb todt Albrecht von Arnstedt, welcher von den Magdeburg'schen Knechten am Siechenhof in einer Leimgrube gefunden wurde. Man nahm ihm einen Brief aus der Taschen, darin warnte ihn seine fromme Mutter und flehte ihn an, nicht gegen die frommen Leute von Magdeburg zu ziehen; – würde er ihr nicht gehorchen, so werde ihn Gott strafen, daß er keines guten Todes sterbe.

Aus diesem Treffen stürzten die feindlichen Knechte voller Wuth und Ingrimm in ihr Lager zurück, stießen ihre langen zweihändigen Schlachtschwerter in den Boden, fluchten, wetterten und schrien:

»Das sollen die Jungfernknechte sein? Der Teufel glaube das! Das sind bei Gott Kriegsleute! Echte, rechte Kriegsleute sein das!«

Geschlagen wurde im Feld am neunzehnten, zwanzigsten, einundzwanzigsten, vierundzwanzigsten und fünfundzwanzigsten November.

Am siebenundzwanzigsten traf man vom Wall den Krüger zu Krakau und einen Landsknecht, welcher dem Krüger einen Krug Bier zutrank.

Am folgenden Tage hatte der Rottmeister Horn die Wacht auf dem Wall am Krökenthor. Die Hände auf dem Rücken, schritt er, seiner jetzigen Art nach, still hinter der Mauerblendung auf und ab, von der Mauer des Thorthurms an bis zu dem nächsten Geschütz, welches ungefähr zwanzig bis dreißig Schritt vom Thurm auf der Mauer aufgestellt war. Auf diesem Gange hatte der Wandelnde nach der einen Seite hin über den Stadtgraben die Aussicht auf die Mauern und Thürme der Neustadt, welche jenseits des Grabens stattlich im winterlichen Nebel sich erhoben, und hinter welchen eine, wie schon bemerkt, auf die Altstadt ziemlich eifersüchtige Gemeinde und ein heut' neugewählter Rath allzu leichtfertig und eigensüchtig sich dem Wahn hingaben, daß man sich durch die dem Herzog von Mecklenburg gezahlte Kriegssteuer gegen Alles, was die Altstadt bedrohte, sichergestellt habe. Nach der andern Seite konnte der auf- und abschreitende Markus einen ziemlichen Theil des Breiten Weges überblicken, und dem Getümmel darauf manch' einen Blick widmen. Es war heute ein recht unruhiger Tag für die Belagerten; seit frühester Morgendämmerung hatte sich der Feind in allen Lagern, Schanzen und Gräben auf die bedenklichste Art gerührt, und die Stadt in fortwährender Spannung erhalten. Bei Sanct Michael waren am Morgen mehrere der gewöhnlichen Scharmützel vorgefallen, in welchen sich die beiden Parteien hin- und hergejagt hatten. Die Wächter auf den Domthürmen meldeten von einer außergewöhnlichen Bewegung zu Buckau, und die Wächter auf Sanct Sebastian und Sanct Ulrich schickten ähnliche Nachricht über das Lager zu Diesdorf herab. Im Kriegsrath wurde auf einen Anschlag gegen die Sudenburg geschlossen und man traf seine Maßregeln danach.

Es war gegen drei Uhr Nachmittags und ziemlich kalt; einzelne Schneeflocken schwebten in der trüben Luft; eine verdrossen dumpfe Stimmung herrschte unter der Mannschaft auf den Mauern und Wällen. Am Krökenthor war in der Rotte des Rottmeisters Horn selbst dem Schwätzer Jochen Lorleberg die Lust zum Reden vergangen. Trübselig zusammengekauert saß er da, die Hakenbüchse neben sich, stieren Blickes auf die langsam verglimmende Lunte starrend. Stumm saßen, lagen oder standen die Genossen um ihn her, und selten ging ein lautes Wort durch die Gruppen. Nur von Zeit zu Zeit kam etwas mehr Leben in die Leute; dann lief irgend eine mehr oder weniger entstellte Nachricht um die Wälle; ein halb oder falsch verstandenes Wort, welches am Sudenburgerthor gesprochen war, schickte die Hohe Pforte zum Krökenthor, damit diese es dem Ulrichsthor weiter gebe. Wenn dann der, welcher am Sudenburgerthor das Wort ausgegeben hatte, es vom Ulrichsthor zurückempfing, so erkannte er neunmal unter zehnmal das eigene Kind nicht wieder, sondern gab es als eine funkelneue Geburt seinerseits weiter. Ein großes Gefrage entstand, als von Sanct Ulrich die Nachricht kam: Kurfürst Moritz lasse sich selber im Felde sehen, nahe der Stadt, im gelben Sammet und Wolfspelz, auf einem apfelgrauen Gaule.

Um ein Viertel auf Vier zupfte der kleine Pfeifer, Franz Nothnagel, seinen Rottmeister am Aermel und deutete grinsend auf die Holzsteige, welche am Krökenthorthurm auf den Wall führte, und Markus Horn blickte hin, schüttelte in demselben Augenblick alle kopfhängerische Lässigkeit ab und sprang vor gegen die Treppen. Auf den Arm einer verschleierten Frau gestützt, erkletterte ein ältlicher, etwas wackliger Herr mühsam, aber höchst eilfertig die Stiegen, und winkte schon von unten dem Rottmeister zu, ausrufend:

»Da sind wir, Markus! endlich wieder auf den Beinen! a – a – auf den Bei – nen!«

Mit vielem Händedrücken und freudigen Ausrufen nahm Markus den athemlosen, keuchenden Buchdrucker Lotther auf seiner Wacht in Empfang, und tief und wortlos verneigte er sich vor der Jungfrau Regina, die erröthend den Schleier ein wenig hob, um ihn schnell wieder sinken zu lassen. Wortlos verneigte sich auch Regina Lottherin vor dem jungen Kriegsmann. Der tapfere Buchdrucker redete für beide junge Leute, glücklich in dem Gefühl, wieder »in seinen Hosen zu sein«.

»Da sind wir, Markus, da sind wir mein Söhnchen. Hat das Mühe gekostet, die Dirn' da mitzukriegen. Was hat sie Alles vorgekehrt, um daheim bleiben zu können; – ich sei noch zu schwach – den Teufel bin ich zu schwach! – Der Factor Cornelius könne mich geleiten – den Teufel kann er, was sollte da aus des Herrn Doctor Amsdorff's Relation werden? – Ich sage Dir, Markus, freie in Deinem Leben nicht; eine Frau ist einem Krieger noch ein ärger Impedimentum, als die Bauerlümmel bei Hillersleben der Magdeburger Armada waren. Gottlob, hier sind wir ... nun sagt, wie geht's bei Euch? Gut? Ja wohl; ich sage es, wo Markus Horn steht, wird's immer gut gehen. Was gibt's Neues hier auf Eurer Wacht?«

»Nicht viel, Meister. Wir gucken die Neustadt an, hören ihrem Lärm zu und – Einige haben ihre eigenen Gedanken darob. Horcht nur!«

Lustige Musik erschallte vom Rathhause in der Neustadt herüber. Man vernahm helles Vivatrufen und Gejauchze des Volkes zu dem Klang der Pauken und Trompeten.

Der Buchdrucker schob mißmuthig das Barett hin und her.

»Hör's wohl, Markus! Das leidige Volk; halb Lumpen, halb Hasen. Sind unsere Brüder von Gottes und Rechts wegen, sollten mit uns stehen und fallen; haben aber ihren heimlichen Jubel an unserer Noth, die Mameluken. Wär' ihnen schon Recht, wenn's dem Feind gelänge, nach seinem Wort, aus der Alten Stadt Magdeburg einen Fischteich zu machen. Da kriechen sie vor dem Feind, scharwenzeln und bringen ihre Geldsäcke, heißen die Feinde Gottes »gnädige Herren« und kaufen ihnen, wie erbärmliche Juden, das ab, was sie stolz und frei, ihren Brüdern gleich, mit dem Schwert in der Hand erretten sollten.«

»Was treiben sie denn heut' an solchem bösen Tage drüben?« fragte schüchtern Regina. »Das ist ja schrecklich – dort bei Sanct Michael blutiger Kampf und Tod und unser drohendes Verderben, und hier in der Neustadt Tanzmusik und lauter Jubel; als sei der tiefste Friede und die glücklichste Zeit!«

»Ihr Rath ist heute in der Wandlung, Jungfer Regina«, antwortete eben so schüchtern Markus. »Man hat dort heute Wahl, hat den Schoß ausgenommen und hält große Gasterei. Ich will wünschen, daß ihr Lustgeschrei nicht in Jammerruf verklinge, daß ihr Festgelage nicht untergehe in Blut und Brand.«

»Was meinet Ihr, Markus?« rief der Buchdrucker. »Sprecht, versehet Ihr Euch etwas Bedenklichen? Sagt doch, sagt Eure Meinung, Ihr wißt, daß sie schwer bei mir wiegt.«

Markus zuckte die Achseln und sagte:

»Ich will meinen Herren im Rath und Kriegsrath nicht vorgreifen; sie haben ausgemacht, der Feind solle seinen nächsten Angriff auf die Sudenburg thun, und so will ich wünschen, daß er sich nach dem Willen der Herren halte. Ich trau' dem aber nicht; das Schwärmen um Sanct Michael, das Knallen von Buckau her kann Spiegelfechterei sein, kann blauer Dunst sein. Mein alter Kriegsoberster von Leipzig her, Herr Sebastian von Walwitz, pflegte zu sagen: »Alles sei man sich vom Feinde vermuthen, nur nicht, daß er uns einen Gefallen thue.« Der Alte liegt jetzt zu Buckau und pafft und plautzt nach Herzenslust in die Sudenburg hinein; aber ich bin gar nicht sicher, daß er mir nicht noch in dieser Nacht dort in der Neustadt die Zeit biete.«

»Markus, Markus, was saget Ihr da?!« rief der Buchdrucker. »Der Feind hat doch das Geld der Hasenfüße und Fuchsschwänzer drüben genommen; sind sie denn so wenig seines Wortes sicher?«

»Meister«, sprach der Rottmeister, »um diesen Handel ist's ein bös Ding. Solchen Handel zu brechen, wird, meiner Meinung nach, weder dem Kurfürsten Moritz noch den Andern die geringsten Gewissensbisse machen. Sie brauchen die Neustadt, und sie werden sie nehmen, wenn sie die Hand darauf legen können. Sie brauchen die Nikolaikirche, um sie mit Geschütz zu spicken gegen uns. Laßt sie nur hineinkommen; Ihr werdet schon sehen, wie fest sie diese Neue Stadt halten werden. Sehen werdet Ihr, wie ihre Schanzmeister lustig an's Werk gehen werden, und wie Herr Hans von Dieskau, des römischen Reiches Obermaulwurf vor Magdeburg, anheben wird, zu wühlen und aufzuwerfen! Einen trefflichen Haufen wird er uns vor die Nase setzen!«

Während der Buchdrucker hin- und hertrippelte, nach der Brüstung lief, und nach der Neustadt hinüberstarrte, sagte Regina:

»Ach, Herr Rottmeister, Ihr sprechet so sicher und fest, und ich hab' so manche gute Bekanntin in der Neustadt, und eine Herzensfreundin, die – die Ihr auch noch kennen müsset. O könnt' ich sie doch warnen! – Eure Worte brennen mir wie feurige Spitzen im Herzen, Herr Horn. Ach arme Kläre Trautvetter!«

»Kläre? Kläre Trautvetterin!« rief Markus. »O Jungfer Regina, die – die! – o wohl erinnere ich mich ihrer noch! Ach, es war eine viel schönere Zeit, als wir vor Jahren zusammen unsere Spiele trieben! Das blonde Klärchen, saget, o saget Regina, Jungfer Regina, die wohnet jetzt in der Neustadt?«

»Ja, in der Pfaffengasse beim Laurentiuskloster; sie ist jetzt eine arme Waise; beide Eltern sind im Jahre achtundvierzig an der damaligen Pest abgestorben. Ihr wisset das vielleicht nicht, ach es war schrecklich, und starben allhier in der Alten Stadt damals in einem halben Jahr, von Margarethentag an bis Neujahr, schier dreitausend Menschen. Wir hatten viel Noth und Angst; aber Ihr waret damals in die weite Welt gezogen.«

»Ich war in die weite Welt gezogen«, seufzte Markus Horn. »Ach, Regina, Regina, und als ich heimkam, ging der Wind über die Stoppeln, Andere hatten geerntet, Andere hatten gewonnen; so gehe ich einher, ein verlorener, geschlagener Mann, – ach, lasset uns von der guten Kläre in der Neuen Stadt sprechen!«

Da stunden nun auf der Stadtmauer unter Spießen und glimmenden Lunten am kalten und winterlichen Tage der Rottmeister Markus Horn und die schöne Jungfrau Regina Lottherin zum ersten Mal seit des Markus Heimkehr allein voreinander! Der Buchdrucker war längst zum nächsten Posten weitergehumpelt, mit dem Leutnant Franz Robin über das vom Rottmeister Horn Gehörte zu verhandeln. Er hatte längst vergessen, daß er sein Töchterlein mit sich auf den Wall geführt habe; von Ueberfällen, Ausfällen, Angriff und Vertheidigung summte es ihm allzusehr im Kopf; und dem Markus Horn hätte er seit der Schlacht an der Ohre Alles, Alles anvertraut.

Das Haupt senkte die Jungfrau, eine zitternde Hand legte sie auf den Lauf des großen Geschützes, von welchem wir vorhin gesprochen haben; auf die Mauerbrüstung stützte sich Markus Horn; jedes der zwei Menschenkinder fürchtete, daß das andere das Klopfen des hochbewegten Herzens vernehmen möge. Wie hatten sich Beide nach solchem Zusammentreffen gesehnt! Nun war der günstige Augenblick da, und nun wußte Keiner ihn zu nützen.

Von Klärchen Trautvetterin sprachen Markus und Regina; wie sie so verlassen sei und bei bösen harten Verwandten wohnen müsse; wie sie behandelt werde, schlimmer als die schlechteste Magd, und wie das Alles so traurig sei.

Den bösen Verwandten eine Warnung zu senden, schlug Markus vor; aber die Jungfrau wandte mit Recht ein: das werde bei den Verblendeten nichts helfen; ein Ehrbarer Rath der Altstadt habe ja allen Neustädtern Aufforderung zugehen lassen, sie möchten mit Allem, was sie lieb hätten, herüberkommen; – Einige wären gekommen; aber dann hätte es der Neustädtische Rath den Andern verboten; die draußen seien ihre Feinde nicht, ihre Feinde seien vielmehr die Altstädter.

Rathlos der armen verwaisten Jugendfreundin wegen standen Markus und Regina auf dem Wall am Krökenthor; rathlos ihrer selbst wegen blickten sie vor sich nieder, verstohlen herüber zueinander, hinüber zu den Thürmen und Giebeln der Neustadt. Da begann plötzlich das Feuer der Feinde, das seit Mittag vollständig geschwiegen hatte, von Neuem. Von allen Schanzen und Basteien rund um die Stadt krachte es mit einem Male, als solle die Welt untergehen. Mauerwerk, Dächer wurden zerschmettert; auch in das Dach des Krökenthurms schmetterte ein Geschoß und warf Staub und Splitter herab auf die Mauerwacht, auf Markus und Regina. So unversehens, so unvermuthet brach das Wetter los, daß Regina Lottherin einen Schrei des Entsetzens ausstieß; und weder Markus noch die Jungfrau wußten nachher zu sagen, wie es kam, daß sie sich plötzlich Arm in Arm hielten, wie es geschah, daß sie sich umschlangen, daß sie Herz an Herzen lagen. Es war geschehen, was brauchte es mehr? Als der vortreffliche Buchdrucker Michael Lotther unter dem Donner des Geschützes sich seines Töchterleins erinnerte, und so schnell als möglich zurückgehumpelt kam, da hielten Markus und Regina freilich sich nicht mehr in den Armen, aber ihre Augen »gingen hin und her« und leuchteten gar eigen.

»Laß uns heim, heim, Vater!« hauchte die Jungfrau, jetzt den Vater umfassend, und Markus stand wie Jemand, dem der Himmel sich geöffnet hat. Einer Seele, die den zu Tod gemarterten Leib auf der Folterbank zurückgelassen hat und eingeht in das Paradies Gottes, muß also zu Muthe sein.

»Hast leider recht, Kindlein«, sprach Meister Michael, »wir Beide sind leider an dieser Stell' nichts mehr nütz. Markus, mein Jung', ich hab's mit Euern Leuten abgemacht, einen Schinken will ich herschicken, und ein paar Mandel Käs und ein Fäßlein Aschersleber Bier zur Stärkung von Leib und Seel'. Laßt sie nur blaffen und bellen; stehet fest bei der Stadt; halb mein Hab und Gut wollt' ich darum geben, könnt' ich mit Euch stehen. Was die Neue Stadt anlangt, so hast Du mir einen merkwürdigen Floh in's Ohr gesetzt, Markus. Ihretwegen möcht' ich den Klotzköpfen drüben, den mißgünstigen Stänkern, schon wünschen, daß es ihnen auf die Kappen käme. Wenn wir nur nicht mit drunter leiden müßten. Komm Regina, je länger ich zaudere, desto schwerer wird's mir, zu weichen. Komm, Kind, bring' den Jammermann, den armseligen Krüppel heim. Gehab Dich wohl, Markus; steht gut bei der Stadt, meine Gesellen!«

»Hoch, Meister Michael! Vivat, Meister Lotther!« riefen die Kriegsleute in freudiger Erwartung des Schinkens, der Käse und des Fäßlein Biers. Mit unbeschreiblicher Inbrunst drückte der Rottmeister die Hand des alten Buchdruckers, so daß dieser sagte:

»Keine Ursach', keine Ursach', Markus; ich geb's gern! Wollt', ich könnt' mehr thun. Laßt Euch sehen bei uns, Markus, so oft Ihr könnt: Ihr seid mein wackerer Sohn – lebt wohl!«

Auch Markus und Regina reichten sich noch einmal die Hand an der Mauerstiege, und der Buchdrucker sagte:

»Thu' doch nicht so fremd gegen den Markus, Mädchen! Ich sollt' meinen, Ihr wäret früher bekannt genug miteinander gewesen! Brauchst nicht so roth zu werden, Dirne! Brauchst nicht so die Augen niederzu – –« der Meister unterbrach sich – »Hallo, kommt da nicht mein Vetter aus Franken den Breiten Weg her? Richtig, 's ist der Adam Schwartze. Wir wollen ihn doch fragen, weshalb das Geschütz drinnen und draußen jetzt wieder schweigt, nachdem es eben also lustig aufgespielt hat.«

Begleitet von einem kleinen Gefolge von Hellebardieren, schritt der Leutnant Adam Schwartze auf das Krökenthor zu, und der Buchdrucker rief ihn an, und that seine Fragen an den Vetter. Ehe dieser antwortete, warf er einen recht seltsamen Blick auf die kleine Gruppe am Fuß der Mauerstiege. Er faßte nach seiner Gewohnheit die Unterlippe mit den Zähnen, als er Markus und Regina begrüßte; mehr als gewöhnlich kostete es ihm diesmal Mühe, sich zu einer gleichmüthigen Antwort zu fassen. Der Freund und Bärenführer des Hauptmanns Springer gerieth von Tag zu Tag mehr in ein Labyrinth voll dunkler Schatten, voll Irrlichter und unheimlicher Gestalten. Noch war zwar sein Muth, die Kraft seines Geistes nicht gebrochen, noch verzweifelte er zwar nicht, den Ausweg zu finden; noch gab er keinen seiner hochfliegenden Pläne, seiner Träume von einer glänzenden Zukunft, auf; aber er verlor allmählich jene Sicherheit, jenen klaren Ueberblick über die vorhandenen Mittel, jenen Glauben an sich im Guten und Bösen, welche so sehr die Bedingung jedes Gelingens sind. Der Abenteurer fing an, die Kaltblütigkeit zu verlieren, welche Niemandem nöthiger ist als einem Abenteurer. Adam Schwartze war oft nicht einmal mehr im Stande, den Hauptmann Springer auf die gewohnte Weise zu beherrschen, und öfter als früher mußte er die schöne Frau Johanna von Gent als Bundesgenossin in's Feld führen, um den Hauptmann zur Ruhe zu bringen. Immer mehr drängte Letzterer zum Losbrechen, und so weit war er bereits gekommen, daß er ohne Mitwissen seines Leutnants mit dem Herzog von Mecklenburg unterhandelte, und so neben dem verabredeten Spiel noch ein allergeheimstes trieb. Freilich stand der »Leutenambt« dagegen seinerseits mit dem Kurfürsten Moritz in Verbindung, und der Kurfürst ließ den Mecklenburger Jürg nicht in alle seine Karten schauen. Hin und her liefen die Fäden zwischen der Stadt und den Belagerern, aber über das Muster ihres Gewebes waren die Weber nicht einig.

Am sechsten November fand Adam Schwartze abermals ein Blatt an seiner Thür. Wiederum war es durch ein Messer festgenagelt, und um dieses Messer war eine braune, seidenweiche Haarlocke gewickelt, und Messer, Locke und Papier ließ Adam mit allen Zeichen höchsten Schreckens fallen. Auf dem Blatt stand:

»Dieße Haarflecht' hat gekauft vom Meister Friedrich, Scharpffrichter ze Ulm.

† † † im Läger für Magdeburg.«

Eine ganze Woche hindurch schritt der Leutnant gleich einem geistig Verstörten umher; dann bemerkten seine Bekannten eine übermäßige, gewaltsame Lustigkeit an ihm; dann fiel er zurück in ein verbissenes Brüten, hatte Verkehr mit allerlei unheimlichen Leuten, Diebshäschern des Rathes, abgefeimten Gesellen vom Landsknechtfähnlein Springer's. Diese Personen spionirten in seinem Dienste, brachten Nachrichten, welche ihn nicht befriedigen konnten, und durchbrachen den Ring von geheimem Grauen, welcher sich um den Leutnant schloß, nicht.

Dazu wuchs in Adam's Gemüth die Eifersucht auf Markus Horn und trieb immer giftigere Blüthen. Je mehr Alles um den verlorenen Mann wankte, je mehr er allen Halt in sich selber verlor, desto fester klammerte er sich an diese Neigung zu der Tochter des Buchdruckers. Diese Neigung wurde jetzt zur wildesten Leidenschaft. Ein gräßlicher Trotz gegen die schrecklichen Warnungen, welche aus der Vergangenheit herüberdrangen, bemächtigte sich seiner mehr und mehr; – grade jetzt wollte Adam Schwartze hier gewinnen! Die Leidenschaft überwog, überbot sogar den Ehrgeiz. Seinen tollkühnen Plan, die Stadt Magdeburg dem Feind in die Hand zu liefern, hätte Adam Schwartze vielleicht unbewegt scheitern sehen können; der Verlust Regina's hätte geistige und körperliche Vernichtung für ihn bedeutet.

So stand Adam von Bamberg vor Markus Horn und Regina Lottherin am Krökenthor, und antwortete, im Innersten von allen Furien des Hasses und der Leidenschaft zerrissen, dem Buchdrucker auf die Frage desselben:

»Seltsame Geschichten, Meister Lotther! Der Feind hat sein Feuer eingestellt; 's ist, als habe er uns Valet sagen wollen. Er zieht mit seinem Volk aus Buckau, er zieht aus seinem Lager zu Diesdorf. Durch das Feld dreht er sich wie zum Abzug gen Wolmirstädt. Unter den Mauern der Stadt zieht er hin, und es ist auch unsererseits der Befehl gegeben, mit Schießen einzuhalten.«

»Wer hat den Befehl gegeben?« rief Markus, der seinen Ohren nicht traute. »Wer hat solchen Befehl gegeben?«

»Ihr fraget in einem sehr hohen Ton, Herr Rottmeister«, sagte der Leutnant. »Will Euch aber doch den Gefallen thun, Kundschaft zu geben. Da auf Mauern und Walle, denen jetzo der Feind zugekehrt ist, mein Hauptmann, Herr Johannes Springer, befehligt, so wird von dem der Befehl ausgegangen sein. Genügt's Euch, Herr Rottmeister?«

Markus antworte der höhnischen Frage nicht. Er stieß zornig sein Schwert auf den Boden:

»Gott schütze seine Stadt!«

»Amen!« lachte der Leutnant. »Er wird's ja wohl! Jungfer Regina, ich empfehl' mich Euch; Herr Lotther –« er vollendete den Satz nicht, ein einzelner dumpfer Knall erschütterte die Luft, und Alle blickten um und auf. Eine weiße Rauchwolke umquoll den rechten Thurm von Sanct Jakob; zu dem Schützen daselbst war noch nicht der Befehl gekommen, das Feuer einzustellen; seine Kugel hatte wie gewöhnlich getroffen.

Eine ärgerliche Bewegung machte der Leutnant Schwartze. »Gehabt Euch wohl, Meister und Jungfer«, sagte er. »Ich trag' eine Botschaft an den Rath der Neustadt und darf nicht zögern.«

»Botschaft vom Hauptmann Springer?« fragte scharf Markus, und Adam blickte ihn vom Kopf bis zu den Füßen an und sagte:

»Ich werd' Euch zu gelegener Zeit darüber Rede stehen, Herr Rottmeister. Für jetzt – gute Wacht!«

»Ich hoff' auf jene Gelegenheit. Lebt wohl bis dahin!«

Mit seiner Begleitung schritt der Leutnant durch das Krökenthor nach der Neustadt hinüber. Der Rottmeister, der Buchdrucker und Regina sahen ihm nach mit den gemischtesten Empfindungen.

Bei Markus war jetzt die Eifersucht in den Hintergrund getreten, seit einer Viertelstunde war seine Seele in dieser Hinsicht glatt wie ein stiller See; dagegen stachelte ihn jetzt der Eifer um die Vaterstadt um so mehr gegen den Leutnant auf. Innerhalb der Stadtmauern ging so manches böses Wort und Gerücht von Verrath, bösem Willen und Meuterei im Kreis der Bürger und der Kriegsgesellen, daß unwillkürlich Alle, die es ehrlich mit der Stadt meinten, verdächtige Personen scharf im Auge behielten. Man wußte sicher, daß das Fähnlein des Hauptmanns Springer das unzuverlässigste sei; daß in diesem Haufen das meisterloseste Gesindel steckte. Der Hauptmann hatte wohl Recht, wenn er anfing, sich immer unbehaglicher in der Stadt zu fühlen, und – wie der Meister, so der Knecht, sprach man in unseres Herrn Gottes Canzlei, und hielt auch den Leutnant Schwartze zu Allerlei fähig. In der Stimmung, den Mann zu vertheidigen, war Markus Horn nicht.

Auch der Buchdrucker Michael Lotther hatte sein feines Ohr, sein leichtbeweglich Gemüth den bösen Worten und Gerüchten, die über seinen »Vetter aus Franken« umliefen, nicht verschließen können. Das Verhalten Adam's in der Schlacht an der Ohre kam dazu; ganz ließ der Buchdrucker den Vetter noch nicht fallen; aber mißtrauisch war er bereits geworden und ward es immer mehr.

Von Reginens Gefühlen gegen Adam Schwartze ist nicht viel mehr zu sagen; seit einer Viertelstunde trug sie ihr beflügelt Herz so himmelhoch, daß sie die Bedrängnisse, die Noth, die Wirrnisse der Gegenwart fast ganz vergessen hatte. Höchstens empfand sie jetzt ein dumpfes Bedauern um den Leutnant, und warf sich vor, oftmals zu hart, zu abstoßend, zu unhöflich gegen den armen Vetter gewesen zu sein.

»Horcht, Markus, das klingt wirklich, als zögen sie! Horch, die Trommeln der Knechte! Da die Trompeten, das werden die fränkischen Reiter des Kulmbachers sein. Sie müssen dicht unter den Mauern hinziehen.«

»Und man feuert nicht dazwischen! Befehl ist gegeben, nicht loszubrennen!« rief Markus Horn. »Gott schütze die Stadt gegen alle Verräther! Schmach und Schande über Alle, welche eine Schuld an dem Kommenden auf sich laden. Wehe denen, die Ohren haben und nicht hören, Augen und nicht sehen! Gehet nach Haus, Meister; lebt wohl, lebt wohl, Regina; ich will an die arme Kläre in der Neustadt gedenken; vielleicht gibt mir Gott die Gnade, daß ich etwas für sie thun kann – in dieser Nacht – an diesem Abend.«

Abschied nahmen Markus und Regina voneinander mit einem Blick, so beredt, so vielsagend, daß selbst der Buchdrucker, der noch an etwas ganz Anderes zu denken hatte, sich darüber verwunderte. Er kam aber nicht dazu, seine Verwunderung auszusprechen; vom Sudenburgerthor her knatterte wieder Gewehrfeuer, und ein Ruf ging um die Wälle: der Feind habe sich in Sanct Michael festgesetzt auf dem Kirchhof, Schießlöcher geschlagen in die Leimenmauern und sei nicht zu vertreiben, tapferes Blut werde daselbst von Neuem in Menge verstürzt.

Mit dem allergrößesten Widerstreben gab endlich der Buchdrucker den Bitten des Rottmeisters und der Tochter nach und machte sich auf den Heimweg. Allein schritt Markus Horn wieder hinter der Mauerbrüstung auf und ab; aber nicht mehr trübsinnig mit gesenktem Haupt. Der dunkle, kalte Wintertag hatte sich ihm in den wonnigsten Lenz verklärt. Was Krieg, was Tod und Verwüstung; – Alles war jetzt gut, Alles war Hoffnung; die süße Wonne der wiedergefundenen Heimath überströmte so warm, so überschwenglich selig das Herz des Kriegsmannes, daß es nicht auszusagen war. Eine helle Thräne zerdrückte Markus in seinem Auge. Der alten Mutter gedachte er, des Vaters auch. Auch Letzterer mußte verzeihen; – wie war es möglich, daß er noch zürnen sollte, wenn die Engel Gottes Verzeihung lächelten!

Sein übervolles Herz trug Markus in den dunkeln Abend hinein, während der Feind zwischen Buckau und Diesdorf und über Diesdorf hin- und herzog, und der Kampf um Sanct Michael heftig fortdauerte. Um acht Uhr stand endlich der letzte Rest dieser Vorstadt in Flammen, und die Städter mußten in die Sudenburg und das Sudenburgerthor zurückweichen. Alle Augenblicke erwartete man auf dieser Seite der Stadt einen Hauptsturm, und der Feind unterließ nichts, was diese Erwartung begründen konnte; gegen zehn Uhr aber machte er Markus Horn's Wort und Sorge zur Wahrheit und fiel mit aller Macht auf die Neustadt. Die wenigen sorglosen Wachen auf den Mauern, denen nicht einmal eine Losung gegeben war, wurden leichtlich überwältigt, die Sandpforte – man weiß nicht, ob durch Gewalt oder durch Verrath der Nonnen von Sanct Agnes – geöffnet; der Feind war mitten in der Stadt, ehe man sich's versah, und stach und schoß im ersten Anlauf auf den Gassen und in den Häusern Alles nieder, Männer und Weiber, Jungfrauen und Kinder. Als man auf Sanct Nikolaus anhub, Sturm zu läuten, und das Geschrei von dem Ueberfall auf das Rathhaus zu den trunkenen Herren drang, da lachten diese, des süßen Weines voll, und Etliche krähten noch: »Ueber die Mauern könne der Feind nicht fliegen!«

Er war aber doch über die Mauern geflogen, und der Kelch des Jammers ward im vollen Maaße über die Neue Stadt ausgeschüttet. Während die Rathsherren noch die vollen Humpen an die Mäuler heben wollten, wurden in ihren Häusern ihre Weiber und Töchter mißhandelt, ihre Kinder erwürgt; und als endlich die Trunkenheit dem namenlosesten Schrecken wich, und geisterbleich die Zechenden von ihren Sitzen sich erhoben, da drangen die Knechte des Mecklenburgers, die wilden Gesellen von Hillersleben, die erbarmungslosen Gesellen des wüsten Markgrafen von Kulmbach, die Haufen Sebastian's von Walwitz schon gegen und in das Rathhaus, dem hochedlen Rath die Ehrenketten, die Gewänder vom Leibe zu reißen, sie zu fangen und zu fesseln oder auch aus den Fenstern in die Spieße der Genossen zu stürzen.

Vierzigtausendstimmig aber schrie die Altstadt auf; Sturmgeläut auf allen Thürmen, Mann an Mann auf den Wällen vom Krökenthor bis zur Hohen Pforte! Vorbrach aus der Hohen Pforte Franz Robin, der Leutnant, vorstürmte als der Erste an der Spitze seiner Rotte Markus Horn, und die Neustädter bedachten sich jetzt nicht mehr, den gehaßten Altstädtern die vom Feind noch nicht genommenen Thore zu öffnen. Eine blutige Schlacht begann in den Gassen der Neuen Stadt. Um das Rathhaus wurde am bittersten gekämpft, in dem Festsaale floß das Blut in Strömen, mit stürmender Hand schlugen die Magdeburger den Feind aus dem Hause und drangen siegreich in der Pfaffenstraße gegen das Lorenzkloster vor. Schon stand hier und da ein Haus in Flammen; in die Häuser warf sich der Feind, in die Häuser warfen sich die Bürger der Altstadt und die städtischen Knechte; wie Verzweifelte wehrten sich die Bürger der Neustadt, während ihre Weiber, ihre Kinder gegen die Alte Stadt flohen, und die Kranken, die Greise hilflos sich dahinschleppten. Schauerlich rächte sich der Eigennutz, der Neid hier; nackte Bettler, nicht stolze Hilfsgenossen und Mitstreiter, nahm jetzt die Canzlei des lieben Gottes auf, um Gotteswillen.

Die arme Kläre Trautvetter konnte Markus Horn nicht erretten. Ehrn Elias Pomarius, der Pfarrherr zu Sanct Peter, hat uns ihr traurig Schicksal aufbewahrt, und seine Worte wollen wir hierhersetzen. Viel ergreifender als wir berichten könnten, klingt die alte Erzählung aus dem fernen Jahrhundert zu uns herüber:

»In derselben Nacht, als der Feind in die Newestat gefallen, ist ein Landsknecht an eine hübsche unnd schöne Jungfraw gerathen, unnd nachdem er Alles im Hause ermordet, hat er jhrer, wegen jhrer schönheit wollen verschonen, doch daß sie seinen willen thete, als sie aber sich dessen auff's hefftigste geweigert, hat er jhr die Ehe angeboten. – Darauff sie geantwortet, sie sehe solchen Buben und Mörder nicht an, darauff hat er jhr den todt gedrewet. Sie aber darauff gesaget: Meiner Ehren wil ich unberaubet sein, thue, was du nicht lassen kannst, darauff hat er sie mit einem Spieß erstochen.«

Als Markus Horn, begleitet von Bernd Kloden, in das ihm von Regina Lottherin bezeichnete Haus drang, züngelte bereits die Flamme darum, eine weibliche, leblose Gestalt sah der Rottmeister liegen; aber der Rauch trieb ihn wieder fort, fünf Minuten später brannte das Haus lichterloh, und nach einer halben Stunde stürzten mit Gekrach Dach und Gemäuer herab und begruben den reinen jungfräulichen Leib des armen Mädchens.

Auch auf seinen frühern Kriegsobersten, Herrn Sebastian von Walwitz, traf Markus Horn; keiner der beiden frühern Bekannten fand jedoch Zeit, den Andern zu begrüßen. Der alte Herr war allzu eifrig dabei, das Gewonnene zu halten und immer frische Hilfe nach den Orten zu führen, wo die Altstädter das Uebergewicht zu erringen droheten.

»Hie, hie, Herr Graf von Leuchtenberg!« schrie er. »Heran, Ihr Herren aus Franken, Ihr Herren aus Niederland! Hie, hie, Herr von Mechelnburg, drauf und dran; haltet fest, was Ihr habt, nehmt Alles, was Ihr kriegen könnt!«

Herr Hans von Dieskau, des römischen Reiches hochbefahrener Festungskünstler, rückte auch bereits heran mit seinen Schanzgräbern, seinen sächsischen und böhmischen Bergleuten, seinen Schaufeln und Hacken.

Immer weiter wurden die Magdeburger von der Uebermacht zurückgedrängt; obgleich sie Fuß für Fuß dem Feind theuer genug verkauften.

Eines feindlichen Hauptmanns Leutnant, Heinrich von Nürnberg genannt, ward von Markus zu Boden geschlagen und gefangen; aber es ward immer mehr zur Gewißheit, daß die Neue Stadt nicht mehr zu halten sei.

Da warfen auf ihrem Rückzuge die Altstädter auch ihrerseits die Brandfackel in die Häuser; der Wind half, und bald stand vom Rathhaus an bis zum Stadtgraben und den Wällen der Alten Stadt Alles in Flammen, und es ward ein Brand daraus, dessen Schein man drei Meilen hinter Braunschweig erblickte. Durch die Hohe Pforte zogen die Altstädter zurück; in der Neustadt aber machte sich Herr Hans von Dieskau sogleich an's Werk, zog einen Graben und warf eine Schanze auf über die Pfaffenstraße vom Lorenzkloster bis zu Sanct Agnes, baute vor und zwischen beiden Klöstern Basteien und Katzen, pflanzte Schanzkörbe und Geschütze drauf und schuf also, daß das heilige römische Reich nunmehr in die Stadt schießen konnte, »aber nur oben durch die Häuser und Dach.«

Am folgenden Tage, als am Sanct Andreasabend, nahmen die Sudenburger ein Exempel an dem Schicksal der Neustadt. Mit Mann und Weib und allen beweglichen Gütern kamen sie in die Altstadt und wurden freudig und liebreich aufgenommen. Dann zündete man am Nachmittag zwischen drei und vier Uhr nunmehr auch diese Vorstadt an und brannte sie aus. Ihre Bürger, so wie die geretteten Neustädter wurden »nothdürftig« wehrhaft gemacht und unter die Fähnlein vertheilet und geschrieben.

So war die Alte Stadt Magdeburg voll und übervoll, und als ein hohes Zeichen des göttlichen Beistandes wurde es angesehen und von den Canzeln angemerkt, daß nicht Seuche und Pest ausbrach unter dem zusammengedrängten Volke.


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