Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das erste Capitel


Wie Markus Horn nicht lobesam
Mit Hinz und Kunz nach Hause kam;
Andreas Kritzmann geht vorbei,
Im Jungfernkranz ist groß Geschrei.
Gen Magdeburg von Braunschweig her
Des Krieges Wolken ziehen schwer;
Das fünfzehnhundertfünfzigst' Jahr
Nach Christus zählt man, das ist wahr.

Unter seinem Schild und Zeichen, zum Magdeburger Kranz, stand, am Nachmittag des vierzehnten Septembers im Jubeljahr Eintausendfünfhundertundfünfzig, der Wirth Hans Rolle, hielt die Hand über die Augen, um nicht von der Herbstsonne geblendet zu werden, und blickte erwartungsvoll die alte Hansestraße entlang, die von Braunschweig über Halberstadt daherführte und an der Kneipe vorüber, gegen die Stadt Magdeburg zu, weiter lief. Diese Straße, aus welcher trotz der unruhigen Zeiten immerfort ein reges Leben, ein ununterbrochener Verkehr herrschte, war in den letzten Tagen belebter als je und bedeckt mit hungrigen und durstigen Wanderern, welche jedoch weniger dem Nährstande als dem Wehrstande angehörten. Es mußte irgendwo in der Welt irgend etwas vorgefallen sein, welches das gefährliche, aber auch, wie gesagt, sehr gefräßige und sehr durstige Volk der Landsknechte, Reiter und Abenteurer mehr als gewöhnlich in Bewegung gebracht hatte. Und so war es auch. Ein kriegerisch Spiel war zu Ende, ein anderes sollte beginnen, und die Karten dazu waren bereits gemischt und ausgegeben worden.

Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig hatte wieder einmal seine gute Landesstadt Braunschweig hart belagert und die Belagerung aufgehoben, ohne der Stadt viel abzugewinnen. Die Stadtchronisten hatten nicht mehr nöthig, in ihren Aufzeichnungen zu bemerken:

»Den 20. Julii that der Herzog 8 Schüsse in die Stadt –« oder:

»Den 25. Julii ließ der Herzog bey St. Leonhard das Korn im Felde anzünden und verbrennen –« oder:

»Den 30. Julii holeten des Herzogs Knechte von dem Hofe zu Veltheim 160 Schweine, 50 Rinder und 30 Kühe und verbrannten Hondelage und Wendhausen.«

Die Stadtchronisten hatten ihre Bemerkungen geschlossen mit der Nachricht:

»Den 6. Septembris zog der Herzog aus seinem Lager und ließ es anzünden, darauf die Bürger häufig herausgelaufen, und was noch von dem Feinde zurückgelassen, in ihre Stadt gebracht, also in 2 Tägen das ganze Lager rein gemachet.«

Mit dem Reim:

»Wer will den süßen Honig lecken,
Muß leiden, daß ihn die Bienen stechen«

hatten die Stadtchronisten wieder einmal ihre Federn ausgespritzt. Solche kleine Mißhelligkeiten und Anläufe mit gewappneter Hand kamen zwischen den Landesvätern und der Landesstadt so häufig vor, daß Niemand groß Acht darauf hatte. Nachdem man sich gegenseitig weidlich das Fell gebläut und alles gebrannte und ungebrannte Herzeleid angethan hatte, vertrug man sich, so gut es gehen wollte; weil den Herzögen das Geld ausging, und die reiche nahrhafte Stadt ihren Handel durch ein weiteres Auseinanderziehen des Spaßes nicht länger unterbrechen wollte. Man gab die Gefangenen gegenseitig heraus, baute die niedergebrannten Dörfer wieder auf; die Herzöge luden die von Braunschweig zu ihren Kindtaufen, Hochzeiten und dergleichen auf das Schloß zu Wolfenbüttel, und der Rath der »stolzen« Stadt gab dagegen den angestammten Fürsten einen köstlichen Schmaus auf dem Altstadtrathhaus und bewirthete sie mit fremden Leckerbissen aus der Rathsküche und süßem Wein aus der Rathsapotheke.

Herzog und Stadt zahlten ihre Knechte und Reiter aus, und das zusammengelaufene Volk im Lager und in den Wällen erhob sich summend und flog auseinander, wie ein Schwarm Hummeln und Hundsmücken, wenn der Honigtopf zugedeckt wird.

So war's auch diesmal gegangen, nachdem die Berennung acht Wochen gedauert, auf einen Montag angefangen und auf einen Montag geendet hatte; doch blieb diesmal von dem versammelten Volk, unter dem Herzog Jürgen von Mecklenburg, ein wilder Schwarm beisammen, wovon später leider nur zuviel die Rede sein muß.

Auf alle Landstraßen des heiligen römischen Reichs deutscher Nation zerstreute sich aber, wie gesagt, ein großer Theil der herzoglichen und städtischen Rotten, und um die Mitte des Septembers wimmelte es auf allen Landstraßen, Kreuz- und Querwegen, fünfzehn Meilen im Umkreis der Stadt Braunschweig, von bewaffneten Abenteurern, welche von Neuem ihr Glück suchten und probirten.

Der Wirth zum Magdeburger Kranz, Hans Rolle, mochte aber mit bester Hoffnung nach guter Kundschaft ausschauen, denn es war bestimmt, daß um die Stadt Magdeburg und in ihr sich alle die zerstreuten Atome der bei Braunschweig auseinandergesprengten Heeresmassen wieder sammeln und zu neuem Unheil sich von Neuem zusammenfügen sollten.

Gute Kundschaft für den Wirth Hans Rolle näherte sich schon, gleich einem Krähenschwarm mit großem Geschrei; sie marschirte nach dem Gequiek einer Querpfeife, welche ein blutjunges Bürschlein keck und frech dem wunderlichen Haufen voranblies. Einem Krähenschwarme gleich, welcher sich mit Tumult auf einer Weide am Wege niederläßt, schlug sich dieser Schwarm abgedankter Söldner vor der Straßenschenke zum Magdeburger Kranz nieder; bis auf einen hohen mageren Mann, welcher sich von dem Haufen ablöste und des Weges weiter zog, ohne mit den Andern einzukehren; der auch nicht mit johlte und sang, welcher von den sonst gar nicht blöden Kameraden mit einem gewissen scheuen Respekt behandelt wurde, und den man ziehen ließ, ohne ihm zuzubrüllen: »Holla, Andreas, Andreas Kritzmann, wo willst Du hin? Hier geblieben und mit gesoffen auf gute Kameradschaft jetzt und fürder!« Der Wirth aber schrie nach seinem Weib, nach seiner Magd, seiner Tochter, seinem Knecht und Jungen, denn nun waren alle Hände der Wirthschaft zur Bedienung nöthig, wenn der ungeberdige Haufe nicht Tische, Stühle, Bänke und Fenster zerschlagen sollte. Die in der niedern Schenkstube Anwesenden aber sahen einander ziemlich scheu an, und Jeder schien bei sich zu überlegen, ob es nicht das Beste sein werde, wenn man schnell seinen Krug austrinke und schleunigst sich davonmache, ehe der wüste Haufe anstürme. Die Neugier spricht jedoch in solchen Fällen ein zu großes Wort mit und überwindet nur allzu häufig den Verstand. So auch jetzt; Schneider, Metzger, Hausirer und Bettelmann tranken nicht aus, sondern rückten in ihrer Ecke, an ihrem Tisch nur ein wenig dichter zusammen und horchten mit gesenkten Köpfen, wie der Wirth unter der Thür, wo des Metzgers erhandeltes Kalb an einen Posten gebunden war, die Ankommenden begrüßte.

Selten hatte wohl eine auf der alten Hanse- und Levantestraße einherziehende Truppe einen liederlicheren und zugleich schreckhafteren Anblick geboten, als diese aus dem braunschweigischen Kriege kommenden Landsknechte. In besudeltem und zerlumptem Flitter und Tand trotteten sie einher. Da gab es mächtige buntfarbige, aus allerlei Fetzen zusammengesetzte Pluderhosen und kurze Mäntelchen, welche kaum bis aus die Hüften herabhingen. Da gab es Sturmhauben der verschiedensten Formen, zerschlitzte Barette mit und ohne Federn, und bunte gefärbte, streifige Filzhüte, die unsern jetzigen Pomadenbüchsen in der Form auf ein Haar glichen. Einige lange Kerle stolzirten einher und trugen über der rechten Schulter ein zweihändiges furchtbares Schlachtschwert, andere führten Feuerröhre mit Gabel und Luntenschloß, wieder andere waren mit Spießen, Partisanen und Hellebarden bewaffnet, doch hatte der einfache uralte, oft achtzehn Fuß lange Spieß, den die Italiener in der Hand der deutschen Knechte so sehr fürchteten, den Vorrang. Uebrigens war's, als habe man sich im Haufen das Wort gegeben, daß jeder sich in Kleidung und Bewaffnung so verschieden als möglich von seinem Nachbar halte; und da nun auch Manche schwarze Pflaster über Nase, Stirn und Augen, Zwei den Arm in der Binde trugen, so läßt sich eine tollere, buntscheckigere Truppe nicht leicht vorstellen als diese, welche sich jetzt unter dem Wappen und Zeichen zum Magdeburger Kranz drängte.

In der Wirthsstube saßen der Schneider, der auf einem adeligen Hofe der Nachbarschaft dem Junker eine neue Hose abgeliefert hatte, der Schlächter, der Hausirer, der seinen Kramkasten immer näher zu sich auf der Bank heranzog, und der Bettelmann Hänsel Nothnagel mit offenen Mäulern da, bis der Schlächter mit einem Male in die Höhe fuhr, als wachse plötzlich eine recht scharfe Nadel unter ihm aus der Bank. Sein unglückliches Kalb draußen vor der Thür blökte auf eine Art, die unzweifelhaft ließ, daß ihm die höchste Gewalt angethan wurde. Dann flog die Thür auf und das Kalb flog herein, von einem Fußtritt gegen die Gäste geschleudert. Die Querpfeife quiekte, wildes Gelächter, Geschrei nach der flüchtenden Magd erscholl. Mit einem Fluch hatte der Metzger sein Kalb gefaßt; einer der Kerle, welche die riesenhaften Schlachtschwerter trugen, suchte es ihm wieder zu entreißen und hielt den Schwanz des Thicres gepackt. Der Schneider und der Hausirer hatten die größte Lust, durch das Fenster zu springen; aber der Bettelmann stieß plötzlich ein helles, den ganzen Spectakel übertönendes Wuthgeschrei aus und faßte dem kleinen Querpfeifer in die wirren Haare:

»Hab' ich Dich! Hab' ich Dich! Hab' ich Dich! Warte! Da, da! Und da, Du Satan, Du Teufelsjunge! Hier! Hier! Ach spürst Du's, warte – hab' ich Dich – o heiliger Trost!«

Eine wahre Fluth von Püffen und Knüffen regnete auf den Jungen herab. Lachend und fluchend rückten die Landsknechte den Städtern näher; aber ein Kampf entstand nicht daraus.

Ein allgemeines Erkennen fand unter dem Zeichen des Magdeburger Jungfernkranzes statt.

»Stadtkinder! Stadtkinder! Lauter, lauter Stadtkinder!« schrie der Wirth, zwischen Landsknechten und Bürgern hin und her hüpfend und seine Mütze schwingend und sie in die Luft werfend.

»Bei Gott, das ist richtig das lahme Schneiderlein Peterchen Leisegang!«

»Und das ist, beim heil'gen Moritz, der wilde Rothkopf Samuel Pfeffer, so vor drei Jahren durchbrannte, weilen er mit unseren Herren vom Rath in Unfrieden kam.«

»Hallo, der Heinrich Metten vom Diebshorn! Juho, da sieht man recht, daß Unkraut nicht vergehen will.«

»Und Meister Hasenreffer der Metzger fährt auch noch im Land um und schindet den Bauern ihr Vieh ab und verkauft crepirt Luder als frisch Fleisch jedem Narren, so ihm um einen Braten kommt.«

»Ruhe, Frieden! Gebt Frieden, sag' ich!« schrie ein dicker Kerl im Lederwamms, Peter Rauchmaul genannt, mit dem Schaft seiner Pike auf den Tisch schlagend, daß das ganze Gebäude erzitterte. »Sehet lieber, wie Vater und Söhnlein, wie Hänsel Nothnagel und Fränzel unser Pfeiferlein sich in den Armen – wollt' ich sagen in den Haaren liegen und sich freuen ob des Wiederfindens.«

»Vater, Ihr reißt mir den Busch aus! Vater, Ihr dämpft mich! Blutiger Tod, Vater, lasset los, oder ich tret' Euch vor die Schienbeine! Blutiger Tod, gebt Euch, ich sag's Euch zum letzten Mal!« schrie der kleine Querpfeifer; aber der Alte fuhr fort in der Züchtigung seines unvermuthet wiedergefundenen Sprößlings.

»Warte, Du Hund, Du Range, ich hau' Dich, daß Du den Himmel für einen Dudelsack ansehen sollst. Ja, beiß' nur, Du verlaufener Lotterbub', nach dieser Stund' hat mich lang' verlangt! Da, da! und nochmal und wieder! O heiliger Trost, tritt nur zu, probir's! Da da da! Willst Du die Pfeife blasen, so will ich die Trommel auf Deinem Buckel schlagen; den Pelz will ich Dir waschen, daß keine Laus Dich mehr mögen soll!«

»Siehst Du, Fränzel, die Schläg', so Du draußen nicht gekriegt hast, kommen jetzt nach«, lachte Einer aus dem Haufen der Landsknechte. »Nur zu, Nothnagel, nur zu, Hans, Schad' um das, was beizu gehet!«

»Ich sag' Euch aber, ich leid's nicht länger,« heulte der Junge. »Vater, gebt Euch zufrieden, Ihr habet jetzt Euer Müthlein gekühlt, nun laßt's genug sein – – ich sag', – fangt nicht wieder von vorn an, oder es gehet nicht gut aus!«

»Friede! Friede!« schrie ein anderer Landsknecht. »Beim Strick des Profossen, Stillstand und die Wehren nieder! Man kann ja sein eigen Wort nicht hören. Schmeißt das Kalb heraus, schmeißt Alles heraus, was blökt, schreit und die Gemüthlichkeit verdirbt. Bier, Bier, Bier!«

»Bier, Bier, Bier!« schrie der ganze Haufe. Der Wirth mit Weib, Magd, Knecht und aller Hilfe, welche er aufbieten konnte, rannte herzu, und die Gemüther beruhigten sich ein wenig.

Ein verwilderter, sonnverbrannter Bursch sah sich jetzt um, als wenn er Jemand vermißte; dann rief er:

»Zum Henker, wo steckt denn der Fähnrich, der Doctor? Das wär' was Schönes, wenn der so kurz vor der Stadt ausgerissen wär', und hat uns doch allein vermocht, nicht gegen sie, sondern ihr zu Hilf' und Beistand zu ziehen.«

»Der Magister wird schon nachkommen,« sagte ein junger, traurig blickender, schlanker Gesell, der Stillste der ganzen Gesellschaft. »Der Doctor wird schon nachkommen, der ziehet nach seiner Art allein, Ihr kennet ihn ja.«

»Magst Recht haben, Bernd Kloden«, sagte Jochen Lorleberg, der sich im Haufen durch sein lügenhaftes Maul vortheilhaft auszeichnete. »Vorauf läuft der Andreas Kritzmann, hinternach trottelt der Markus Horn. Laßt ihnen ihren Willen. Bier, Bier! Gebt Acht, der Doctor ist da, ehe wir dreimal rund getrunken haben. Da sitzt her. Alle im Kreise, daß wir die Heimath nach Gebühr begrüßen. Laßt das Kalb drinnen, sag' ich Euch! wir wollen's dem Metzger abhandeln und heut' Abend im Zeisigbauer braten lassen zum Zeichen, daß die verlorenen Söhne heimgekehrt sind. Seid Ihr damit zufrieden?«

Ein jubelndes Halloh begrüßte den tollen Vorschlag; Bürger und Landsknechte ließen sich jetzt einmüthig nebeneinander nieder, und selbst des kleinen Pfeifers Vater, Hans Nothnagel, gab sich zufrieden, ließ den Kragen des verlaufenen Söhnleins los und warf nur noch zornmuthige Blicke nach dem ungerathenen Sprößling. Der Wirth zum Magdeburger Jungfernkranz setzte mächtige Holzkrüge voll frischen überschäumenden Getränkes auf den Tisch, und Bürger und Landsknechte tranken als gute Stadtgenossen einander zu und fragten einander dann nach dem, was Jedem das Wichtigste zu wissen dünkte. Beide Theile hatten genug voneinander zu erfragen; die Landsknechte erkundigten sich nach den Vorkommnissen der Stadt, die Bürger dagegen brannten vor Begier nach Neuigkeiten aus dem Lager vor Braunschweig und der allgemeinen Weltgeschichte.

»Das wisset Ihr noch nicht, daß das Lager aufgehoben ist?« fragte Joachim Quast, ein Reiter, welchem der Gaul am Jödbrunnen vor Braunschweig erstochen war, und der deshalb zu Fuß gen Magdeburg zog. »Das wisset Ihr nicht? Hoho, Gottesnoth, sind wir deshalben nicht hier? Ja, wartet nur, Gevattern, jetzt kommt's Euch siedend heiß auf den Pelz. Seht nach den Läden und Fenstern, denn der Himmel wird schwarz über Euch sein, ehe Ihr es denket, und Hagelsteine wird's regnen, so dick wie des dicksten Pfaffen Wanst, und donnern wird's wie zehntausend Feldschlangen und blitzen wird's wie ein reisiger Zeug, so im Sonnenschein über das Feld hinjaget.« »Heiliger Gott, so erzählet doch!« riefen die Bürgersleute. »Ist das Unwetter so nahe, das uns angesaget seit so langer Zeit, seit Kaiserliche Majestät Anno Siebenundvierzig die Stadt in die Acht gesprochen hat. O erzählet, was Ihr wisset, gedenket, daß wir Weib und Kind haben –«

»Ja wohl Weib und Kind!« lachte Jochen Lorleberg. »Glücklich wird nun Der sein, so weiter nichts hat als seine Waffe und das, was er in Hemd und Wamms trüget. Ich habe beim Aufbruch vor Braunschweig manch' wilden Kerl fluchen und sich vermessen hören: sei's ihm anjetzo vor dieser Stadt mißlungen, so sollt's desto besser gehen um Magdeburg; und wenn da der neue Tanz aufgezogen werde, so sollten das Silber, Gold und die schönen Mädchen so wohlfeil werden, daß zuletzt Niemand mehr davon möge.«

»Ach Du Allmächtiger!« jammerte das lahme Schneiderlein, die Hände zusammenschlagend und den Redenden wie blödsinnig anstarrend.

»Ja, ja, und der Mecklenburger, der Jürg, hat einen Grimm auf Euch und Euer Nest da drunten, daß es eine Lust ist. Möcht' nur wissen, was Ihr ihm zu Leid gethan habt, Gevatter Metzger. Was, – Ihr wisset ganz und gar nicht, daß er schon im Anzug ist mit Roß und Mann, allen Knechten und Reisigen, so Herzog Heinrich der Jüngere und ein ehrbarer Rath von Braunschweig abgedanket haben, nun ihr Handel in Güte beigelegt ist?«

»Nicht das Geringste wissen wir. O du barmherziger Himmel, das ist wahr? Und die Bürgerschaft weiß gar nichts davon, und der Rath behält Alles für sich selber und lässet Gott einen guten Mann sein! ... Gegen die Stadt, gegen die Stadt ziehet Herzog Georg von Mecklenburg!«

»So ist's«, sagte Jochen Lorleberg. »Herr Jörgel von Mecklenburg hat sein Banner fliegen lassen, hat umschlagen lassen im Lager und guten Sold und Beut' bieten lassen Allen, die mit ihm ziehen würden. Da ist ihm alles Volk zugefallen bis auf solche Narren wie wir. Nun ziehet der Jürg heran hinter uns her auf das Erzstift; und der Ochsenkopf wehet vor dem Zug und folgen ihm dreißigtausend zu Roß und dreißigtausend zu Fuß!«

»Oh, oh!« brummten hier einige Anhänger der Wahrheit im Haufen; aber Jochen warf ihnen schlaue, vielsagende Blicke zu und stieß seinen beiden Nachbarn die Ellenbogen in die Seite.

»Ja wohl dreißigtausend zu Roß und dreißigtausend zu Fuß«, fuhr er fort. »Sie haben eine Wuth auf die Bürger und Bauern, daß es nicht zu sagen ist. Einen Braunschweig'schen Bürgermeister, dreihundertundfünf Pfund schwer, haben sie gefangen und haben ihm im Lager bei Melverode alles Blut abgezapft, so er bei sich hatte, und haben sich darin zugetrunken und geschworen, unterwegs keinen Schneider, keinen Krämer, keinen Schlächter und kein Weiblein über fünfundzwanzig Jahre alt leben zu lassen. Nur die Schinder, die Bettelleute und die hübschen Mädchen verschonen sie; letztere, auf daß die Welt vor ihrem Grimme nicht allzu leer werde. Dann hat auch der Herzog Jürg der Stadt Braunschweig ihr groß' Geschütz, die Faule Metze genannt, abgekauft und –«

»Dunderwetter, das ist ja zersprungen beim ersten Schuß vom Michaelisrundel!« rief eine ehrliche Haut vom untern Ende des Tisches; aber der Lügner fuhr fort, ohne sich im Geringsten aus der Fassung bringen zu lassen: »Schad't nichts; ist wieder zusammengelöthet und hält desto besser. Wird die faule Metze geladen mit siebenzig Pfund Pulver und einer Kugel, so acht Centner wieget. Wenn die Lunte aufgeschlagen werden soll, wird an alles Volk Wachs und Werg vertheilt, daß es sich damit die Ohren verstopfe. Die Arkeleymeister beißen sich aber jedesmal des großen Knalls wegen die Zunge ab und spucken sie mitsammt den Zähnen der Kugel nach. Die Kugel aber macht durch den dicksten Wall Bresche für jeden Sturmhaufen und legt den Dom zu Sanct Moritz da drüben nieder in einem Augenzwinkern.«

»Der Teufel glaube Euch das!« schrie der Metzger.

»Das thut er auch!« schrie um einen Ton höher Jochen Lorleberg. »Ihr da, wieviel Meilen ging die Kugel vom Braunschweiger Wall, ehe sie niederfiel?«

»Drei, zwei, zwei und eine halbe!« schrie der Haufe durcheinander.

»Neunzig Ruthen über das Lager bei Melverode!« klang die Stimme des ehrlichen Kauzes am untern Ende des Tisches nach.

»Da habt Ihr es! da hört Ihr es!« schrie Jochen Lorleberg.

»O Gotte! Gotte! Gotte!« jammerte der Schneider welcher bei diesen Mordgeschichten immer kleiner wurde

»Ja, ja, solches Geschütz führt der Jürgen mit sich«, fuhr der Lügner fort, »über den Hessendamm muß er schon hinaus sein, und gesengt und gebrannt wird, daß eine schwarze Spur wird vom Okerfluß bis zum Elbstrom; – Peter Rauchmaul, steck' mal die Nasen aus dem Fenster, ob Du den Brandgeruch noch nicht schmeckst.«

Die Bürger starrten den Peter Rauchmaul an, und dieser kam wirklich grinsend dem Anruf nach, schob den Kopf aus dem niedern Fenster und schnüffelte hinaus.

»Na, merkst Du was?«

»Ne, noch niche; aber der Karren mit unserm Geräth hält vor der Thür, und dahinten auf des Weges Höhe kommt langsam der Fähnrich, der Doctor, angetorkelt.«

»Hallo der Doctor! Vivat der Fähnrich! Hallo der Magister! Juho und abermals Juho!« rief mit einer Stimme der ganze Schwarm der Landsknechte, die Krüge hebend.

»Sehet Ihr, sagt' ich's nicht? Der würd' uns schon nicht verlassen!« rief der Jüngling, welcher vorhin des Angemeldeten Vertheidigung auf sich genommen hatte.

Mehrere Köpfe fuhren an die Fenster, einige Söldner traten vor die Thür, wo ein einspänniger Karren mit dem Gepäck und den Beutestücken des wüsten Haufens hielt. In der That näherte sich der »Doctor« langsam der Schenke. Weniger phantastisch als seine wilden Genossen, doch ganz und gar nicht magisterhaft sah er aus.

Der Fähnrich oder Magister war ein Mann, der ungefähr achtundzwanzig oder neunundzwanzig Lebensjahre zählen mochte; hoch und schlank gewachsen, konnte selbst die wunderliche Tracht seiner Zeit und seines Standes seine Gestalt nicht entstellen. Sein Gesicht war von der Sonne verbrannt und ein wenig hager; doch leuchteten seine schwarzen Augen, bald im höchsten Grade beweglich, bald gradausblickend und wie Kohlen; und weder Anstrengungen noch Ausschweifungen des wilden Kriegs- und Lagerlebens hatten den Glanz und das Feuer derselben im Mindesten dämpfen können. Die Züge des Mannes waren scharf geschnitten, das dunkle Haar war kurz geschoren, doch umgab ein wohlgepflegter, dichter brauner Bart Kinn und Wangen. Mit einem gewissen zwanglosen Sichgehenlassen bewegte sich der »Magister« und schlenderte, sein Schwert unter dem Arm tragend, langsam dahin, die Augen meistens auf die fernen Domthürme von Magdeburg richtend. Auch die Kleidung des Mannes zu schildern, wird nicht unliebsam sein. Der Fähnrich trug ein abgeplattetes Barett aus rothen und schwarzen Streifen und Puffen zusammengesetzt, und geziert mit einer langen schwarzen Feder. Dazu stak er in einem Wamms, dessen Aermel weitbauschig bis zu den Ellenbogen waren. Dieses Kleidungsstück war schwarz bis auf den untern enganliegenden Theil des Aermels von den Ellenbogen an, welcher roth gefärbt war. Die Pluderhosen des Mannes waren von der Art, von welcher das Lied singt:

Davon sonst ein Hausvater
Gekleidet Weib und Kind,
Das muß jetzt Einer haben
Zu ein'm Paar Hosen gar.

Auch sie waren aus Schwarz und Roth zusammengesetzt, doch überwog das Schwarz. Rothe Strümpfe und schwarze Schuhe mit rothen Lederriemen zusammengeknüpft vollendeten den Anzug des jungen Kriegers. Wenn wir noch hinzufügen, daß er neben dem schon erwähnten langen und breiten Schwert ein Dolchmesser am Gürtel neben der Ledertasche trug, so haben wir nichts mehr über seine Bekleidung und Bewaffnung zu sagen.

Seltsamer Weise hatte der wilde Gesell einen Strauß Herbstastern vom Wege zusammengepflückt. Die trug er in der rechten Hand und trat einher, ein Liedchen zwischen den Zähnen summend.

»Den kennt Ihr auch wohl nicht mehr, Gevatter!« fragte am Fenster der Schenke zum Magdeburger Kranz Joachim Quast den kleinen Schneider Leisegang, und dieser, nachdem er nochmals scharf nach dem sich Nähernden hingeblickt hatte, schüttelte den Kopf.

»Nein, – saget, wer ist's?«

»Rathet einmal!«

Peter Leisegang blickte noch einmal zum Magister hinüber, aber er schüttelte wiederum das Haupt:

»Ist's ein Stadtkind?«

»Ja wohl, und dazu ein echtes!«

»So soll mich der Teufel holen, wenn ich's herauskriege! Saget nur, wer es ist; machet keine Sperenzien!«

»Des Rathmanns Horn Söhnlein ist's, von der Schönen Ecke –«

»Das ist der Markus?« rief der Schneider verwundert, und auch der Metzger und der Krämer drängten sich mit Ausrufen der Ueberraschung heran.

»Markus Horn, so von der Un'vers'tät Leipzig weglief? Markus Horn, der gegen die theuern Schmalkaldischen Herren in den Krieg zog? Des Herrn Rathmanns einziger Sohn! Oh, oh, oh! Schütze uns, was ist aus Dem geworden!«

»Was ist aus Dem geworden? äh, äh, äh, oh, oh, oh!« äffte Einer der Landsknechte den Bürgern nach. »Ich rath' Euch gut, ziehet dem Doctor nicht solch' Gesichter! Soll mich Der und Jener – was ist aus Dem geworden? – was Rechtes ist aus ihm geworden, ein Kerl ist aus ihm geworden. Das ist nicht mehr Einer von den gelbschnäbligen Burschen, den Muttersöhnlein, den Jungfernknechten, die Tag für Tag den Breiten Weg auf- und abstolziren, nach den Fenstern schielen und Maulaffen feil halten, weil sie in der ganzen Welt nichts Besseres zu thun haben. Ich sag' Euch, der Magister mag bei Sturm und Anlauf ein ganz Fähnlein aufwiegen, wie er beim Gelag' ein voll Fähnlein glatt und platt unter den Tisch legen mag. Ist's nicht so, Ihr Andern?«

»So ist's! Vivat der Fähnrich, der Magister, der Doctor!« schrie der Haufe im Chor, und der erste Sprecher fuhr mit Begeisterung fort:

»Ja wohl, schneidet nur Eure Gesichter und laßt die Mäuler hängen, weilen der Markus im Schmalkaldischen Handel zum Kaiser und nicht zum Bund gestanden hat! Jedem ehrlichen Kerl seine Meinung! Ich sag' Euch, wär' der Magister beim Aufbruch vor Braunschweig nicht gewesen, es möcht' wohl Keiner von uns, die wir hier sind, dieser Sache, so jetzo um die Stadt Magdeburg anhebt, den rechten Zipfel abgewonnen haben. Ich glaub' fest, wir wären allesammt, so weit wir warm sind, und ob wir tausendmal Magdeburger Kinder wären, nur allzu gern und willig dem Ochsenkopf gegen die Alte Stadt gefolgt, und wär' uns das doch eine große Schande gewesen. Wer ist aber aufgestanden, als der Jürgen umschlagen ließ und auf der Trummel warb und sein Geld klingen ließ? Wer ist da zu uns getreten und hat gesprochen, so schön wie ein Engel? Wer hat gemacht, daß wir Magdeburger im Lager uns zusammengethan haben auf einen Haufen, daß kein Stadtkind die Hand und Wehr aufhübe gegen die Stadt? Ich sag' Euch, Markus Horn ist's gewesen, der ganz allein ist Schuld daran, daß wir vor den Andern aufgebrochen sind, der Stadt zu Hilfe. Dem Mecklenburger haben wir allein auf des Markus Wort den Rücken gewiesen; und wenn uns die Stadt haben will, hier sind wir und wollen unser Bestes an ihr thun, obgleich manch Einer sein mag, an welchem sie selbst nicht ihr Bestes gethan hat. Der Fähnrich vor Braunschweig, Markus Horn, der fortlief von den Schulbänken in's Feld und jetzo heim kommt, um mit Vater und Mutter, mit Vetter und Freund dem Feinde von der Mauer die Faust zu weisen, soll nochmals hoch leben! Hoch, vivat, hoch!«

»Hoch, vivat hoch!« schrie alles Volk in der Schenkstube des Magdeburger Jungfernkranzes; und unter dem Lärm trat Markus Horn, der Gefeierte, in die Thür, und Jeder drängte sich, mit Jubel ihm zuerst den vollen Krug zu reichen.

»Da seid Ihr ja Alle, groß und klein, wie sie der Hirt in's Thor treibt!« rief lachend der zum Kriegsmann gewordene Gelehrte, einen ihm dargereichten Krug ohne weitere Umstände ergreifend und ihn hoch hebend.

»So trinke ich denn diesen Trunk auf eine glückliche Heimkehr uns Allen. Möge Jeder da unten in der Stadt Alles finden, was sein Herz wünscht, und das Beste soll für Keinen zu gut sein.«

»Das ist ein Wort!« schrien Einige, und: »So soll es sein!« riefen Andere. Markus, im Kreise umhersehend, erblickte jetzt die Bürger und erkannte den Schneider Peter Leisegang, welcher in der Stadt seines lahmen Beines und seines Buckels wegen eine jener, so zu sagen, öffentlichen Persönlichkeiten, welche sich dem Gedächtniß der muthwilligen Jugend am leichtesten einprägen, war.

»Siehe da, da trifft man ja auch gleich die besten alten Bekannten. Tausend blutige Namen, lebt Ihr auch noch, Meisterlein? Was macht Eure Hausehre, führt sie noch den Striegel und den Besen so gut wie sonst? Habet Ihr immer noch den Buckel mitzureiben, wenn sie die Ecken auskehrt? He, Meisterlein, was macht die Stadt? was macht der Breite Weg – was – macht – die Schöneeckstraße?«

Der junge Landsknechtführer fragte nicht nach seinen: Vaterhaus, aber man merkte ihm doch an, daß er dasselbe bei seinen Fragen allein im Sinn habe.

»O Herr Markus«, rief der Schneider mit erhobenen Händen, »seid Ihr es denn wirklich, Herr Markus? Ihr kommt wirklich, leibhaftig wieder heim? O mein Seel', und Jedermann glaubte längst, der grüne Rasen decke Euch lange! Ei – ei – ei, wird – das – eine – grausame Freude zu – Haus geben, – was wird Euer – Herr Vater und Euer – Mütterlein dazu sagen, daß Ihr noch lebet, – daß Ihr – endlich heimkommt! O Himmel, wo habt Ihr Euch doch umgetrieben in der Welt, Herr Markus? Ich muß Euch doch sagen, Euer Vater, der Herr Rathmann, ist recht grau und kümmerlich worden in der Zeit, – obgleich er noch ein stattlicher Mann ist, – seid nur ruhig! Und Euer Mütterlein, ach Euer Mütterlein, – nun, seid nur still, es wird sich Alles schon machen, es ist nur gut, daß Ihr noch lebet. Jung Blut will austoben, und junger Muth will seine Zeit haben. Ja, Euerm Mütterlein hat Euer Ausbleiben fast das Herz abgestoßen.«

»Wollt Ihr das Maul halten mit Euern Pimpeleien, Ihr lahmer Bock!« schrie wüthend der lange Heinrich Bickling, »Doctor, zum Teufel, soll ich den Lumpenkerl am Hosenbund aufheben und ihn gegen die Wand werfen, daß er daran kleben bleibt; oder soll ich ein Knäuel daraus machen und eine halbe Stunde Fangball mit ihm spielen?«

Damit streckte er beide gewaltige Arme aus, als wolle er seine Worte sogleich zur Wahrheit machen. Abwehrend trat aber Markus zwischen den Wüthenden und das entsetzte Schneiderlein.

»Laß ihn, Heinz. Gieb Ruh'! Hat er nicht Recht? Aber, – bei Gottes Tod, gesprochen soll doch nicht davon werden. Die Alten daheim werden dem Vogel, der nach ihrer Meinung zu unflügge ausflog, früh genug die Ohren voll singen. Jetzt will ich davon nichts hören; gebt mir zu trinken, aber kein Bier. Wein, Wein, Wein, auf daß wir die Thürme der Heimath in der rechten, echten Stimmung begrüßen. Holla, Wirth, heran, trag' auf, ich zahl' für die Gesellen und die gute Bekanntschaft aus der Stadt, und den Rest hole der Teufel!«

Jauchzend gaben die wilden Lagerfreunde und die Stadtleute dieser Rede ihren Beifall; Hans Rolle, der Wirth, mit seinem Volk flog, als seien ihnen Allen Flügel gewachsen. Die Bürger ließen sich wahrlich nicht nöthigen, sondern nahmen mit Kräften an dem wohlfeilen Trunke Theil. Es wurde gesungen in jeglicher Tonart. Manch ein Hoch wurde ausgebracht, und als König des Gelages thronte Markus Horn, der Gelehrte und Kriegsmann, inmitten der liederlichen, so bunt zusammengewürfelten Gesellschaft.

Einen großen Einfluß schien der Sohn des Rathmannes über seine Kriegsgenossen zu haben. Als er endlich auf den Tisch schlug und ausrief, nun sei es Zeit zu enden und weiter zu wandern, – war Keiner, der dem widersprach. Mehr oder weniger schwankend und taumelnd erhaben sich die Landsknechte und griffen nach ihren Feuerröhren und Zweihändern, oder torkelten hinaus zu ihren Spießen und Hellebarden, welche vor der Kneipe angelehnt standen. Auch die Bürger erhoben sich. Der Schneider griff nach seinem Wanderstecken, der Hausirer zog die Tragriemen seines Kramkastens von Neuem über die Schulter, der Schlächter pfiff seinem Hund und faßte das Kalb am Leitseil. Fränzel Nothnagel entlockte wieder schrille Töne seinem Instrument und blies den Weckauf. Hänsel Nothnagel, halb betrunken, taumelte umher mit übergehängtem Bettelsack und sang mit kläglichster Bettelmannsstimme ein Bettellied.

»Ziehet voran, ich will die Zeche zahlen und komme nach,« sagte Markus Horn, und der bunte lärmende Schwarm setzte sich in Bewegung, der Stadt zu. Ihm nach zog der Karren mit dem Plunder und der Beute aus dem Braunschweig'schen Kriege. In der Wirthsstube des Magdeburger Kranzes blieb Markus Horn allein zurück, stützte beide Ellenbogen auf den Tisch und hielt die Stirn mit beiden Händen. Wirth, Wirthin und Wirthstöchterlein lugten nur verstohlen durch die halboffene Thür zu ihm hin, oder schlüpften nur leise durch das allmählich dämmerig werdende Gemach. Die Sonne neigte sich mehr und mehr dem Horizonte zu. So niedrig war die Decke der Schenkstube, daß Markus, als er sich plötzlich in voller Länge wild aufrichtete, sich beinahe das Haupt an den verräucherten Balken eingestoßen hätte. Es schien, als werde ihm plötzlich der Raum zwischen diesen vier Wänden zu enge; er athmete tief auf und fragte den Wirth, was die Kerle ges... hätten; und trat, während Hans Rolle mit Hilfe seiner Frau und seiner zehn Finger die geleerten Krüge zusammenzählte und, um sich kein Leid zu thun, einige über die richtige Zahl herausrechnete, – vor die Thür der Schenke und blickte in die Abendlandschaft hinaus.

Still und freundlich lag die Gegend da, seit sich der wüste Haufe der Genossen in der Ferne verloren hatte. Den Horizont umsäumte und verschleierte leise der liebliche Duft des Herbstes, und nur über den Thürmen der Vaterstadt hatte sich eine graue Dunstwolke gesammelt. Noch sangen in den Lüften die Lerchen, noch erklangen auf den Feldern fröhliche Stimmen; aus einem Gehölze kamen arme Weiblein und Kinder mit Reisigbündeln und schritten an dem Kriegsmanne auf der Schwelle des Hauses zum Magdeburger Kranz mit Gruß und Nicken vorüber, der Stadt entgegen.

Nach den Thürmen der Vaterstadt hinüber, den armen Weibern und Kindern nach, starrte Markus. Mit untergeschlagenen Armen, mit zusammengebissenen Zähnen, breitbeinig stand er da, als biete er einem geheimen von dort herüberklingenden Vorwurf Trotz. Mit dem Fuße stampfte er die Landstraße mehr als einmal, während er murmelte:

»So komme ich denn wirklich heim als ein echter, rechter und schlechter verlorener Sohn. Mein Wissen und mein Lebensglück hab' ich nun doch so ziemlich verwürfelt und verludert. Mich wundert fast noch mehr wie das Schneiderlein, daß ich noch auf diesen zwei Beinen steh', daß sie mir noch nicht mit Spaten und Schaufeln nachgeschlagen haben. Ueber mich sind Teufel und Engel einmal so recht nach Herzenslust in die Haare gerathen, und wer das Beste davon tragen wird, wer Triumph schreien wird, ach weh, das seh' ich jetzt wohl ab! Und doch – – da unten sitzen nun die armen Eltern in ihrem Kummer. Manchmal wünsch' ich doch, ein zwanzig Reiterfahnen wären über meinen Leib weggegangen und ich lag' in so einer Grub', in welche ich selbsten so manchen todten Kriegsgesellen hab' stürzen helfen. Da unten sitzt nun das Mütterlein und hat sich diese ganzen Jahr' hindurch die Augen roth geweint, und nun komm' ich – – o Gottes Tod! die Eingeweide wenden sich mir um, und am liebsten möchte ich wie ein Feldflüchtiger die Fersen zeigen! Aber brauch' ich denn auch da hinunter zu ziehen? Was hindert mich Narren, dort den Thürmen den Rücken zu wenden? Weshalb sag' ich nicht jetzt den Thürmen dort und Allem, was daran und darum hängt, Valet auf Nimmerwiedersehen? Ich kann's ja und brauch's nur zu wollen, so ist's geschehen! Die Welt ist so weit, und da drunten haben sie mich doch schon lange verschmerzet. Meine Faust handelt mir jeder Lump, der den Fürstenhut trügt und dem Nachbar in die Haare fallen will, mit Freuden ab. Was will ich auch dort unten? Den Feind werden sie auch ohne mich schon abhalten, und wenn sie unterliegen müssen, so kann ich es doch nicht hindern. Ich kehre um – feig ist's zwar, aber ich will!«

Der Landsknechtführer machte eine halbe Wendung, sein Schwert aus der Schenkstube zu holen; er hatte den festen Vorsatz, umzukehren im Angesicht der Vaterstadt. Plötzlich aber hielt er lauschend ein; ferner Glockenklang schlug an sein Ohr. Es war die sechste Abendstunde und man läutete die Betglocke auf allen Thürmen der Stadt Magdeburg.

Noch einmal stampfte Markus Horn mit dem Fuß auf, noch einmal biß er trotzig die Zähne zusammen. Des Wirthes Söhnlein schleppte sein wuchtig Schwert herbei, und der Wirth kam mit seinem Facit. In das Klingen der Geldmünzen und das Rechnen beim Wechseln mischten sich immerfort die Kirchenglocken der Heimathsstadt.

Der Doctor kehrte doch nicht um. Den Genossen lief er nun sogar nach, doch trug er nicht mehr, wie vorhin, einen Blumenstrauß in der Hand. – Bald vernahm er das Singen und Johlen des kriegerischen Schwarmes von Neuem vor sich, und mit dem verwilderten Haufen von Stadtkindern kam er vor dem Thore von Magdeburg an, der Vaterstadt auch seinen Arm und auch sein gutes Schwert zur Hilfe zu bringen in der bösen Zeit und dem Unwetter, welches drohend gegen sie heranzog.


 << zurück weiter >>