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Das fünfte Capitel.


Der Autor schüttelt seinen Sack,
Hui, Diebe, Bettler, Lumpenpack!
Im Zeisigbauer Markus wirbt:
Pro patria man trefflich stirbt.
»Willst' mich, so biet'! Nimm mich, schlag ein! –«
Andreas Kritzmann bleibt allein.
Dem Leut'nant schleicht ein Schatten nach,
Der Argwohn schläft, die Rach' ist wach.

Heute ist das Zeisigbauer ein enges im Zickzack laufendes Gäßchen zwischen der Junkerstraße und der Johannisfahrtstraße. Im Jahre 1550 aber war es ein hofartiger Platz, umgeben von einem Gewirr von Gebäuden, wovon man jetzt kaum mehr einen Begriff haben kann. Verschiedene gewölbte Durchgänge führten auf diesen Hof oder Platz, und so eingeweideartig verschlangen sich in dieser Gegend der Stadt die Gassen, daß es eine wahre Kunst war, das Zeisigbauer aufzufinden. Leute, die hier nichts zu suchen, aber Mancherlei zu verlieren hatten, mieden mit Recht diese Gegend, wenigstens mit Einbruch der Dämmerung. Es war ziemlich gefährlich, in späterer Tagesstunde sich ohne ortsbekannten Führer und unbewaffnet hier zu zeigen. Das wildeste, ausgelassenste Gesindel der Stadt strömte hier zusammen; hier war das Reich der Freudenhäuser, der allerniedrigsten Kneipen, der Bettlerherbergen, der Tummelplatz der Landsknechte, der Abenteurer aller Art. Muthwillige Weiber, Betrunkene, Händelsucher, Beutelschneider machten die Gassen unsicher. Wer zu irgend einem Zweck Gesellen suchte, die dem Teufel seine Großmutter auf Bestellung aus der Hölle entführten, der brauchte hier nur anzufragen. Wer in einer wilden Nacht sein Vermögen und zehn Jahre seines Lebens los werden wollte, dem war hier Gelegenheit dazu gegeben. Wer rechtlos, gejagt von den Häschern und dem Henker, umherirrte, der fand hier noch am ersten einen zeitweiligen Unterschlupf. Hier schlossen sich Diebs- und Räuberbanden am leichtesten zusammen, hier wurden die schlauesten Pläne gegen Hab und Gut ehrbarer Mitmenschen ausgeheckt. Die Hofsprache war hier dem Vocabular des Bettlerbuches wie ein Spiegelbild ähnlich, eine schöne Jungfrau hieß hier ein »Wunnenberg«, und man hing hier nicht den Mantel, sondern den »Windfang« nach dem Winde, und stülpte nicht den Hut, sondern den »Wetterhahn« auf den Kopf.

Hierher nun, nach dem Zsisekenbauer führte der Reiterfähnrich seinen Freund Markus Horn; denn daß sie den größten Theil der mit Letzterm von Braunschweig Herübergekommenen hier beisammen finden würden, konnte Niemandem, welcher die Gelegenheit der Stadt Magdeburg kannte, zweifelhaft sein. Bald hatten sie die anständigern, breitern Gassen hinter sich, und das Gewirr von durcheinandergeschobenen Bauwerken hinter Sanct Bartholomäi nahm sie in seine unheimlichen Finsternisse auf.

Aus mancher übervollen Schenkstube fiel rother Lichtschein auf den Weg der beiden Freunde; mancher wüste Lärm schlug an ihr Ohr, und manch ein Dirnlein in nicht sehr anständiger Tracht stellte sich ihnen in den Weg und schickte ihnen eine wahre Fluth von Schimpfwörtern nach, wenn sie von Markus mit einem Fluch und von Christof mit lachendem Munde gebeten wurde, den Pfad freizugeben. Unter einem dunkeln Durchgange stießen sie auf einen verdächtigen Kerl, der mit großem Geschrei behauptete, von ihnen übergerannt zu sein, und dem ein Hinterhalt von andern zerlumpten Gäuchen mit Knitteln und Messern beifiel. Es kam so weit, daß Christof Alemann das Schwert zog; aber vor dem entschlossenen Wesen der beiden jungen Männer wich das räuberische Lumpengesindel doch zurück und verlor sich wieder in seine Schlupfwinkel. Endlich traten die beiden Kriegsleute durch eine enge Pforte in das Zeisigbauer, und Christof sagte:

»Schau, da haben wir den grauen Gugelfrantz! Er steht noch auf derselben Stell', Markus. Hallo, 's ist, wie ich mir gedacht habe. Horch nur, sie sind herrlich im Gange!«

Die schrillen Töne einer Geige, eines Dudelsacks und einer Querpfeife schlugen an Markus' und Christof's Ohr, als die beiden Freunde quer über den Hof auf das Gebäude zuschritten, über dessen weiter Eingangspforte das Wahrzeichen, der Schild mit dem grauen Mönch – dem lustigen Gugelfrantz, weit über den Platz hinragte. Auch hier strahlte rothe Gluth aus den Fenstern und dem offenen Thor; auch hier herrschte Gejauchze, Gejohle, Gesang; und Männerstimmen und Weiberstimmen suchten einander im Lärmmachen zu überbieten. Weit auf den Platz hinaus standen der Herbstluft zum Trotz Tische und Bänke voll zechender Gäste. Trunkene taumelten umher oder schliefen bereits, die Häuser entlang auf die nackte Erde gelagert, ihren viehischen Rausch aus. Schenkbuben rannten mit vollen und leeren Krügen hin und her. Ein Weib warf sich mit wildem Geschrei zwischen zwei blutende Kerle, die mit langen blanken Messern einander wüthend zu Leibe gingen; kurz Alles war im besten Gange, und der Wirth zum Gugelfrantz mochte sich die Hände reiben; er hatte freilich ein gefährlich Leben zwischen solchem Volk, aber er machte auch vortreffliche Geschäfte.

Der lustige Gugelfrantz besaß gar nicht eine eigentliche Schenkstube. Die geräumige von Eichenpfeilern getragene, mit Steinen gepflasterte Flur diente als solche; abgeschlossene Gemächer und Kammern gab es nur im oberen Theile des Hauses zum Privatgebrauch des Wirthes. Rostige Eisenlampen hingen von der schwarzen Decke der Halle herab und erleuchteten den Raum, verschlechterten aber auch nicht wenig durch ihren Qualm die Atmosphäre. Manch' ein Harnischstück der kriegerischen Gäste war an den Wänden aufgehängt, manche Waffe lehnte in den Winkeln. Im Hintergrunde der Flur schlugen gewaltige Flammen auf einem erhöhten riesenhaften Herde unter einem eben so riesenhaften Rauchfang in die Höhe und verbreiteten ebenfalls Licht und Wärme. Drei Steinstufen führten zu diesem Herde empor, auf welchem jetzt ein ganzes Kalb am Spieße bratete, und außerdem Topf an Topf, Pfanne an Pfanne brodelten und zischten. Hoch über dem Getriebe der Gäste waltete also die Wirthin mit ihren Mägden, übte im Umkreis ihrer Kelle und ihrer Bratengabel gute Justiz und trieb resolut jeden Einbruch in ihr geweihtes Territorium zurück. Auf einem Holzgerüst zur rechten Seite des Flurs standen die Spielleute, welche durch das Getön ihrer Instrumente den allgemeinen Lärm zu beherrschen suchten. Markus Horn erkannte sogleich beim Eintritt zwischen dem Dudelsackmann und dem Geiger seinen kleinen nichtsnutzigen Querpfeifer Fränzel Nothnagel.

Es gab kaum einen Sinn, der beim Eintritt in den lustigen grauen Gugelfrantz nicht auf die allerempfindlichste und allerunangenehmste Art berührt und beleidigt worden wäre. Gefühl, Gesicht, Geruch, Gehör bekamen alle ihr Theil; nur der Geschmack schien sich besser befinden zu sollen. Das Bier schien ausgezeichnet zu sein, und klar war's, der Meister Wirth hatte mit Gästen zu thun, mit welchen, was das anbetraf, durchaus nicht zu spaßen war.

Es dauerte eine geraume Zeit, ehe bei Markus und Christof Augen und Ohren sich in dem Getümmel und Lärm zurechtgefunden hatten, und sie ihren Weg klar vor sich sahen. Bedenkliche Blicke warf der feiste Wirth auf diese ungewohnten Gäste; mit wenig Höflichkeit trat er ihnen entgegen und fragte mürrisch und mißtrauisch nach dem Begehren der beiden Herren.

»Einen Krug Bier und einen guten Platz, von welchem man hören und sehen kann, Meister«, sagte Christof Alemann. »Zieht kein solch' Gesicht, alter Kauz, wir gehören nicht zu den Stadthäschern und kommen nicht, Euch einen Kunden wegzufangen.«

Der Wirth zum lustigen grauen Gugelfrantz brummte etwas Unverständliches vor sich hin und ließ sich endlich nach einigem Zögern herbei, seine breite Gestalt ein wenig zur Seite zu drehen und mit einem bezeichnenden Wink über die Schulter der beiden Herren in das Innere seiner Halle zu weisen.

Vergeblich blickten Markus und Christof umher, um noch einen leeren Platz in irgend einer Ecke aufzufinden; aber Alles war besetzt, nirgends noch ein Raum, sich niederzulassen. Es war ein Glück, daß Markus jetzt von mehreren der Anwesenden erkannt und mit hellem Jubel begrüßt wurde.

»Der Magister! der Doctor! der Fähnrich! Markus Horn!« ging's wie ein Lauffeuer von Tisch zu Tisch; und überall erhoben sich neue Zechende von ihren Sitzen:

»Wo wo? Ist er da? Vivat! Markus Horn, richtig, da ist er! Vivat der Magister! Unser Fähnrich von Braunschweig soll leben!«

Kaum Einer des Schwarmes, der sich im ersten Capitel dieser Geschichte vor uns in der Schenke zum Magdeburger Kranz niedergelassen hatte, fehlte jetzt unter dem Zeichen des lustigen Gugelfrantz. Da war der Rothkopf Samuel Pfeffer, lichterloh flammend, daß es gefährlich schien, seinem Haupt- und Barthaar nahe zu kommen, da war Heinrich Metten vom Diebshorn; da war der schlanke bleiche Bernd Kloden, der jetzt womöglich noch bleicher und melancholischer aussah und der still für sich allein saß und einen unberührten Krug vor sich stehen hatte, da war Joachim Quast, genannt Bauernangst, da war Jochen Lorleberg, das Lügenmaul, da war der lange Heinrich Bickling, der noch nie in seinem Leben eine ihm passende Bettstelle gefunden hatte, und von dem man behauptete, er sei eben so dumm wie er lang sei, da war Peter Rauchmaul, der Dickwanst, und vor Allen war da Andreas Kritzmann, der unheimliche, schweigsame Schütze, dessen scharfes seltsames Auge solche Macht über die wildesten Genossen hatte, und von welchem man gewiß wußte, daß er mehr könne, als Brod essen und mehr auf der Seele habe, als er aussage. Da waren sie Alle, Hakenschützen, Doppelsölder, Reiter, Knechte und Knaben; und wenn von Einem noch etwas zu reden ist, so soll das an seiner Stelle geschehen, und ein jeglicher wunderliche Vogel nach seinem Gefieder und seinem Sang gewürdigt werden. Dem Schützen Andreas soll aber ein eigener Platz angewiesen werden; denn einsam und allein schien er auch im tollen lustigen Getümmel unter dem Zeichen des grauen Gugelfrantz zu sein.

»Raum, Raum dem Magister!« klang es von allen Seiten, und selbst der bleiche Bernd hob die Stirn aus der Hand und durch sein dunkles Auge schoß ein Strahl der Freude, als er Markus erblickte. Vor diesem und dem Fähnrich Alemann entstand eine Gasse, durch welche sie bis zu dem Herde gelangten, wo die Wirthin, einer fettglänzenden, erhitzten Göttin der Kochkunst gleich, aus Feuer und Dünsten auftauchte und mit tiefen Reverenzen und großem Wortschwall den Sohn des großen wohlangesehenen Geschlechtes der Alemann's begrüßte. Des Himmels und aller Anwesenden Verwunderung rief sie herab über die Ehre, die ihr und dem lustigen Gugelfrantz durch diesen Besuch widerfuhr. Mit eigener Hand stäubte sie zwei Holzschemel ab für Markus und Christof, mit eigener Hand brachte jetzt der Wirth zwei überschäumende Bierkrüge. Markus Horn reichte dem bleichen Bernd über dem Tisch die Hand und nickte dem schweigsamen Andreas zu, welcher den Gruß durch ein ernstes Neigen des Hauptes erwiederte. Andere drängten sich heran; es wurde mit großer Aufregung Bescheid getrunken, der Musik wurde Ruhe geboten, Fiedel und Dudelsack schwiegen, Dudelsackmann und Geiger benutzten die Pause, ebenfalls ihre durstigen Kehlen zu letzen, Fränzel Nothnagel war wie ein Affe dem langen Bickling auf die Schultern geklettert und grinste zähnefletschend auf das Getümmel herab. Jedermann im lustigen Gugelfrantz blickte erwartungsvoll auf die beiden Ankömmlinge, und Jedermann wußte gewiß, daß sie allhier nicht für nichts und wieder nichts erschienen waren. Allmählich wurde der Lärm zum Gesumm, dann wurde es ganz still, und Jochen Lorleberg sagte:

»Das ist recht von Euch, Markus, daß Ihr jetzt, wo Ihr heimgekehrt und wieder ein führnehmer Geschlechter worden seid, Eure Gesellen aus dem Feld nicht vergesset. Wir haben's aber auch eigentlich nicht anders erwartet, da wir durch Euch allein doch allhier angekommen sind.«

»Und ein gut Stück von dem verlorenen – wollt' ich sagen von dem Kalb, so wir dem Hasenreffer abgehandelt und geschlachtet haben für die verlorenen Söhne von Magdeburg, sollt Ihr auch haben!« schrie Peter Rauchmaul, ohne zu ahnen, welch' ein Stich dem verstoßenen Markus bei diesem gutmüthigen Wort durch die Seele ging.

»Ich danke Euch, Brüder!« sprach Markus Horn. »Wohl hab' ich Euch hergeführt und Euch mit der Nase auf das gestoßen, was Ihr zu thun hattet in dieser Sach', doch ist's nun noch nicht das Letzte, und ich hab' Euch noch etwas zu sagen.«

»Redet, redet, Herr Markus!« rief man von allen Seiten. Markus erhob sich von seinem Sitze und sprach:

»Als ich im Lager vor Braunschweig zu Euch und den übrigen Magdeburg'schen Stadtkindern, die augenblicklich hier sich nicht vorfinden mögen, redete, da sagte ich, daß es eine Schande und ein Schimpf sein würde, wenn wir, die allhier in diesen Ringmauern unter dem grünen Kranz der Jungfrau und dem Schild des heiligen Mauritii geboren sind, diese Stadt in dieser Noth, so anjetzo über sie fällt, verlassen wollten. Das Maul hab' ich mir freilich wund reden müssen, denn der Ochsenkopf verstand es, goldene Berge Euch vorzumalen; aber zuletzt seid Ihr mir doch mit großem Geschrei zugefallen und habt geschrien: es sei also, man dürfe nicht mit dem Mecklenburger ziehen, und der Teufel solle den Magdeburger Hundesohn holen, der dem Jürgen folge. Sind aber auch welche gewesen, die haben sich hinter den Ohren gekratzt und haben gemeint, der Teufel sei selber ein Hundesohn und möge wohl manchem Magdeburger, dem es gelüste, heimzukehren, eine schlimme Suppe einbrocken; es habe nicht Jeder als ein weißes Lämmlein die Stadt verlassen. Und Mancher, ob er auch mit der frommen Obrigkeit in Frieden geschieden war, hat aus andern Ursachen nicht gern heimziehen mögen, ist aber auf mein Wort endlich doch mitkommen. So soll denn mit Gunst Jeder sagen, was er gefunden hat, und umfragen will ich, wer Lust hat, mit mir, Markus Horn, einzutreten für diese Stadt!«

Vivatgeschrei und allgemeines Näherdrängen folgte diesen Worten.

»Willst Du uns führen, Horn? Wirbst Du für die Stadt, Magister? Nimm uns! nimm uns! Vivat, vivat!«

»Halt, halt!« rief Markus. »Brüllt nicht das Haus auseinander. Ich will Einen um den Andern fragen; Einer nach dem Andern soll Antwort geben.«

Es dauerte eine geraume Zeit, ehe die aufgeregten Geister sich ein wenig beruhigt hatten, dann fragte Markus:

»Hallo, wo ist Veit Brachvogel?«

»Hier!« piepte eine ganz feine Stimme, die wieder ein allgemeines Gelächter im lustigen Gugelfrantz hervorrief; ein breitschulteriges, rothwangiges Individuum, mit zerlumptem blau- und rothgestreiften Wamms und Hosen, grünem Spitzhut und grünen Strümpfen angethan, drängte sich hervor und bekannte sich zu diesem zarten, hellen Stimmchen.

»Hier ist Veit Brachvogel,« fistulirte der dicke Gesell. »Weiß auch schon, was Ihr erfragen wollt, Fähnrich Horn. He, nach meiner Ehefrau Anna Katharina geborener Worstin wollet Ihr Euch erkunden? Danke für gütige Nachfrage.«

»Nun, was habt Ihr in Eurem Heimwesen gefunden, Veit? Seid Ihr mit Flöten und Schalmeien, oder mit Pauken und Trommeten empfangen?«

Veit Brachvogel that einen Bockssprung, schnalzte dazu mit den Fingern und schrie:

»Nachbarn, Freunde, gute Gesellen, wer von Euch hat Jungfer Anna Katharina Worstin als Mägdelein gekannt?«

»Ich, ich, ich!« klang's im Kreise, und Lachen erstickte manche Stimme.

»Nun, so frag' ich Euch Alle«, piepte Veit Brachvogel kläglich, »wer hätt' wissen und ahnen können, daß in dem hübschen feinen Bild solch' ein Drach', solch eine giftige Katze stecke? Ich sage Euch –«

In einem wahren Gebrüll von Heiterkeit ging der letzte Satz des vortrefflichen Ehemannes zum größten Theil verloren, und als der Sturm sich gelegt hatte, vernahm man nur noch das Ende der Rede:

»Und so riß ich aus wie Schafleder und ließ sie allein mit ihrer Wuth; kein Feind im Reich und außerhalb ist böser als solch' ein Weib! Und sie hat den Schneider Franz Franzenberg gefreit, hat ihn zu Tod geärgert und ist selbsten gestorben und erstickt an ihrem eigenen Gift, weil ihr Niemand mehr nahe kam. Vivat der Krieg! Wer mich will, der hat mich! Nehmt mich, Meister Horn!«

Neues Getöse, welches die Wände zu zersprengen drohte. Christof Alemann hielt sich die Seiten, schlug und trommelte auf dem Tische und schrie:

»Wenn das nicht eine Belagerung werth ist, so hol' mich dieser und Jener! Veit Brachvogel, stoßt an, diesen vollen Krug leere ich auf Euer Wohl.«

»Was hast Du gefunden, Bernd?« flüsterte, während sich die Andern um den vorigen Redner drängten, Markus Horn dem bleichen Jüngling zu, der bis jetzt neben ihm mit untergeschlagenen Armen an einem der Eichenpfeiler, welche die Decke der Flur trugen, gelehnt hatte. »Was hast Du in der Heimath gefunden, armer Freund Bernd?«

»Frage nicht, Markus!« murmelte der Andere mit dumpfer Stimme. »In Sammet und Seiden gehet sie, des reichen Mannes Gemahl. Ich habe sie gesehen, – ach wehe Dir, Markus, daß Dein Wort mich wieder hierher gelockt hat; – nun führe mich wenigstens auch weiter, führe mich in den Tod.«

Markus Horn zog die Augenbrauen zusammen. Wie kam es, daß bei diesen Worten des armen Bernd Reginens Bild wieder vor ihm auftauchte, wie kam es, daß er nach dem Schwerte griff, als in diesem Augenblick Christof Alemann ihm zuraunte:

»Du, Mark, halt Dich nicht auf, sprich Dein Wort, da ist der Bamberger! Sag' Dein Wort, sie fallen ihm sonst zu. Er wirbt für den Hauptmann Springer, und dessen Name – der Teufel mög' ihn verschlucken – ist wie ein Magnet für alles Lumpenvolk.«

Der Leutnant Adam von Bamberg war wirklich, begleitet von mehreren Waffenträgern, jetzt auch in der Kneipe zum lustigen Gugelfrantz erschienen, hatte freundlich dem Fähnrich Alemann zugewinkt und einen kurzen Gruß von diesem erhalten.

Rasch faßte sich Markus und schüttelte alle Gedanken, die nicht in diesen Raum und diese Stunde gehörten, ab. Während man am entgegengesetzten Ende des Saales Sold bot im Namen der Stadt und des Hauptmanns Hans Springer, fuhr Markus in seinen Werbungen für Hans Kindelbrück ebenfalls fort und zwar mit dem größten Erfolge.

»Nun, Samuel Pfeffer, Du rother spanischer Pfeffer, was hat Dir die Heimath entgegengebracht?«

»Grad' das, was ich ihr brachte – nichts! Nimm mich, wenn Du willst!«

»Topp, schlag ein!«

»Willst Du meine Seele auch kaufen, Magisterlein?« fragte ein Anderer, dem die bodenloseste Liederlichkeit aus jedem Loch des Wammses, aus jedem Zwinkern des Auges, aus jedem Zug um den Mund blickte. »Willst Du meine Seele kaufen, ich geb' sie billig?!«

»Narr, bedenk' Dich!« schrie diesem, ehe Markus antworten konnte, Heinrich Metten vom Diebshorn zu. »Der lustige Hauptmann Springer wirket auch, – ich geh' zum Springer, wer noch?«

»Geh', ich bleib' beim Magister«, rief der Andere. »Schlag' ein, Markus!«

»Topp! ich werb' Dich für die Rott', so ich der Stadt stell'! Wer geht mit mir? wer geht mit mir?«

»Zahl' ein Faß auf Abschlag, Markus!« schrie Jochen Lorleberg, »und nimm mich! nimm mich!«

Hier, Springer! Hier, Springer! Wer tritt ein unter dem lustigen Hans Springer, dem fröhlichen Hans Springer? Wer will einen Trunk thun auf das Wohl des fröhlichen, lustigen Hauptmanns Hänsel?«

»Ich, ich, ich, ich!« schrie es hier und da im Saal, und ein Theil der Menge wogte gegen den Leutnant Schwartze hin, welcher auf eine Bank gestiegen war und manch' eine Seele fing.

»Wo gehst Du hin, Tütge?« fragte ein winziges Männlein einen bulldoggenartigen Kerl, der knurrend antwortete:

»Ich gehe hin, wo Hübschmann hingeht.«

»Und ich gehe mit dem Magister!« rief Hübschmann, ein leichtfüßiger Gesell, dessen Sclav und Leibeigener ein Koloß, genannt Chrischan Tütge, war.

»Gehet Ihr mit mir, Meister Kritzmann?« fragte Markus jetzt den schweigsamen Schützen, der allein sich nicht von seinem Platze gerührt hatte und noch seltsamer als gewöhnlich auf einen Punkt im Getümmel blickte.

Er schüttelte auf die Frage das Haupt und sagte:

»Nein, ich gehe nicht mit Euch. Ich will allein sein. Stellt mich an ein Geschütz und lasset mich damit allein!«

»Nehmet mich! nehmet mich, Herr Horn!« rief jetzt das Pfeiferlein, Fränzel Nothnagel. »Vergesset mich nicht, lasset mich Eurer Rott' vorblasen, Ihr wisset, daß ich niemalen zurückgeblieben bin im Feld.«

»Gut, Bürschlein. Ich will mit Deinem Vater reden, wenn er es erlaubet, so sollst Du bei mir bleiben.«

»Dank Euch, Herr«, rief der kleine Pfeifer, und blies einen lustigen Triller auf seinem Instrument.

»Schaut, Herr, da kommt der Alte angehumpelt und sieht aus, als ob er Lust hätt', das Spiel von heute Morgen von Neuem anzufangen. Sagt ihm, daß Ihr mich nehmt, und daß ich gut bei Euch aufgehoben bin.«

Markus Horn hielt den Knüppel des Bettelmanns, der eben wieder über dem Haupte Fränzel's sich erhob, auf. Mit Freuden nahm Hänsel Nothnagel das Anerbieten auf und gab das Söhnlein in den Dienst von Markus, da das Geschäft eine Maaß Bier obendrein für ihn abwarf.

Ueber alle Köpfe weg kam jetzt ein unendlicher Arm und eine Hand hervor.

»Schlagt ein, Rottmeister Horn; – ein langer Kerl ist eine halbe Leiter im Haus, und im Feld und auf dem Wall auch zu brauchen, nehmt mich und habt mich!« rief Heinrich Bickling, und seinem Beispiel folgte Peter Rauchmaul, der Dickwanst, Joachim Quast und manch' ein Anderer.

Markus Horn machte an diesem Abend viel bessere Geschäfte als der Bamberger, dem nur das allergrößeste Lumpengesindel, dem nur die gefährlichsten Spitzbuben, die wüstesten Gesellen zufielen. Der Name des Hauptmanns Springer hatte in dieser Hinsicht wirklich eine eigenthümliche Anziehungskraft, welches der Stadt Magdeburg zu ihrem Schaden später recht klar werden sollte.

Den Ausschlag gab an diesem Abend Christof Alemann, der Fähnrich. Plötzlich sprang er auf den Tisch und rief, die Kappe schwingend:

»Hier, Hans Kindelbrück! Hier, Markus Horn! Hier, Ehr' und Preis, Ruhm und gut Leben. Hier, guter Trank und die schöne Jungfrau von Magdeburg. Wer kommen will, der komme! Alle fröhlichen Herzen hierher! Hierher alle tapfern Gesellen. Alle groben Fäuste und starken Arme hierher! Hierher, allerschönste Frau Wirthin vom lustigen Gugelfrantz. Das Kalb, das für die verlorenen Söhne von Magdeburg geschlachtet wurde, ist gebraten und wer dazu gehört, der trete heran und rufe: Für Markus Horn!«

Diese meisterliche Wendung gab der Sache den Ausschlag. Bis auf sieben Mann war die ganze Rotte, welche mit Markus Horn von Braunschweig herübergekommen war, diesem gewonnen. Von den sieben fehlenden aber waren zwei, an denen nichts verloren war, dem Leutnant Schwartze zugefallen. Einer hatte das wilde Kriegsleben satt und hatte sich reumüthig zu Weib, Kind und Handwerksgeräth zurückgefunden, der Vierte lag zu Tod betrunken in einem Stall am entgegengesetzten Ende der Stadt, der Fünfte war wegen Gassenlärms und Unfug von den Stadtknechten abgefangen und steckte wohlverwahrt hinter Schloß und Riegel in dem Hunenthurm, der Sechste hatte sein Liebchen im Brusewinkel treu und warmherzig wiedergefunden und saß mit ihr in ihrem winzigen Dachstübchen und überlegte, wie sich aus dem heimgebrachten Beutepfennig ein eigenes Hauswesen gründen ließe; sein langer Spieß aber hatte in dem engen Stübchen der Braut keinen Platz gefunden und lehnte draußen vor der Thür. Der Siebente und Letzte endlich, der dem Markus abgefallen war, war der schweigsame Büchsenschütze Andreas Kritzmann, welcher seinen eigenen unheimlichen Weg einschlagen wollte, und welcher den Leutnant Adam Schwartze aus Bamberg nicht aus den Augen ließ, sondern ihn unter dem in's Gesicht gezogenen Hut weg anstarrte, wie man einen langgesuchten und endlich gefundenen Todfeind betrachtet, ehe man mit der rächenden Waffe vorspringt.

Als Markus und Christof die Geworbenen für den andern Morgen mit Wehr und Waffen auf den Domplatz zur Musterung vor dem Obersten Ebeling Alemann und dem Hauptmann Kindelbrück bestellten, trat Adam Schwartze zu den beiden Freunden und wünschte ihnen mit lächelnder Miene, aber Wuth im Herzen, Glück. Den Schützen Andreas erblickte er nicht, dieser hatte sich in der Menge verloren und die Schenke verlassen. Ziemlich kalt dankten die Freunde dem Leutnant, und mit einem leisen Fluch winkte er seinen beiden Doppelsöldern und verließ ebenfalls mit ihnen den lustigen Gugelfrantz.

Markus und Christof durften sich aber noch nicht entfernen. Sie mußten erst Theil nehmen an dem wilden Gelage, welches jetzt auf ihre Kosten anhub. Sie mußten essen von dem Kalb, welches für die verlorenen Söhne von Magdeburg zugerichtet war, sie mußten Jedem Bescheid thun, der ihnen den vollen Krug entgegenhielt. Nach Kräften entledigten sie sich dieser schwierigen Aufgabe; und es gelang ihnen auch recht gut. Als sie jedoch endlich aufbrechen durften, geschah das mit nicht ganz sichern Schritten, die sämmtliche Companei des lustigen Gugelfrantz gab ihnen, Fackeln in den Händen, das Geleit durch das Zsisekenbauer, und mit nicht endenwollendem Vivatruf nahm man an der Ecke von Sanct Bartholomäus Abschied voneinander bis zum nächsten Morgen. Der wüste Haufen kehrte zurück zu seinem Gelage, Markus und Christof schritten über den Breiten Weg zum Lindwurm, dem Familienhause des trefflichen, achtbaren und hochansehnlichen Geschlechts der Alemänner; Christof Alemann wollte dem heimathlosen Markus hier Nachtquartier geben. Dunkel lag das große Gebäude mit seinen Erkern und Giebeln da. Nur aus einem Zimmer leuchtete noch in der späten Nachtstunde heller Lichtschein. Herr Johannes Alemann, der alte ehrwürdige Bürgermeister der Stadt Magdeburg, schritt schlaflos von schweren Sorgen und Aengsten getrieben noch in seinem Gemache auf und ab. Wo hätte sich auch wohl die Noth, welche der alten edlen Stadt drohte, mehr zusammenziehen sollen, als auf dieser edlen Brust?

Ein grauköpfiger Diener öffnete den beiden Freunden die Hausthür, und bald erhellte sich ein zweites Fenster im Hause zum Lindwurm. Christof Alemann war bald tief entschlafen; aber Markus suchte das Lager nicht, er saß und starrte in die Flamme der Lampe, bis der Morgen grau über den Dächern und Thürmen dämmerte. Wenig vermehrte das Gewicht seiner Sorgen und Bedrängnisse das Gefühl, daß er in dieser Nacht sich einen Todfeind erworben habe. Dieser Todfeind war der Leutnant Adam Schwartze, welcher, nachdem er das Zeisigbauer verlassen, seine Schritte zur Wohnung des Hauptmanns Springer gelenkt hatte, um ihm Bericht über seine so fruchtlose Werbung abzustatten. Der Hauptmann, der halb betrunken mit dem verlaufenen Weibe, seiner Geliebten, vor den Resten eines nahrhaften Nachtmahles saß, hatte geflucht und gewettert auf das Gräßlichste, die Johanna von Gent aber hatte herausbekommen, daß zwischen dem Leutnant Schwartze und dem Rottmeister Markus Horn noch ein anderer Grund des Hasses walten möge. Das fahrende Fräulein, die schlaue Creatur, hatte dem Leutnant lachend mit dem Finger gedroht und gesagt:

»'S ist ja wohl der Jugendfreund Eures Liebchens, Herr Adam von Bamberg? Da, ich trinke diesen Becher rheinischen Weines auf die Gesundheit Eures Bräutchens!«

»Ich thu' Euch Bescheid, Johanne von Flandern; – auf gute Bundesgenossenschaft, Frau Johanne von Gent, hier und überall!«

Das fahrende Weib zog das Gewand, welches ihr von den vollen Schultern gerutscht war, mit einem Blick auf den Hauptmann, der schlafend in einem Sessel lag, zusammen und flüsterte:

»Es sei so, Adam! Wenn mein Alter da in etwas Euch von Nutzen sein kann, so – Ihr wißt –«

Adam Schwartze nickte bloß; der Hauptmann Springer öffnete wieder die gläsernen Augen und gähnte:

»Lug – Adämle – seid Ihr noch da – na, thut nix – daß mer das letzt aus'm Räf kriegt han. 'S isch freili e Stich. 'S isch aber no nit aller Tage Oabend. Ga'n mer ze Bett, Meidli, Fraueli, Hanneli! Ah – oha, Adämle, machet, daß Ihr heime kommet. Komm, Fraueli, bring' mer ze Bett, mer is ganz lopperig zu Muth. N'Nacht, Adämle.«

Die Frau Johanna winkte dem Leutnant, und dieser ging und suchte ebenfalls sein Losament auf und träumte gegen Morgen einen Traum, in welchem er Markus Horn mit dem Messer niederstach und über seinen Leichnam die holde Regina Lottherin zum Altar führte. Er wußte nicht, daß eine dunkle Gestalt, seit er den grauen Gugelfrantz verlassen, ihn auf allen seinen Wegen begleitet hatte. Er hatte keine Ahnung davon, daß diese dunkle Gestalt die ganze Nacht hindurch vor seiner Thür Wacht hielt.


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