Wilhelm Raabe
Der Dräumling
Wilhelm Raabe

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Das achtundzwanzigste Kapitel.

Pst! den Finger auf den Mund! – es ist angenehm, selber zu lachen; aber dann und wann ist es noch viel angenehmer und lieblicher, auf das Lachen, oder noch besser, das leise Kichern anderer Leute im Dunkeln zu horchen!

Sie kamen, Schulter an Schulter gedrückt, unter Einem Schirme, und fast unter Einem Hute, und sie hatten einander sehr viel zu sagen.

»O Wulfhild, Wulfhilde, was bist du für ein Mädchen! ist es denn möglich, daß man so schlecht sein kann? Laß einmal sehen, zuckt wirklich nicht bei jedem Schritte, den du machst, eine blaue Flamme hinter dir aus dem Boden? O Wulfhilde, ich sage dir, es ist ein Glück, daß ein gewisser Jemand nicht die ewige Gerechtigkeit ist; – es würde dir sonderbar ergehen, wenn jemand, den ich nicht nennen will, heute abend Jüngstes Gericht für dich spielen dürfte.«

»Was habe ich denn verbrochen, Agnes? Mich friert, und du bist recht lustig, und ich weiß nicht, was du willst und weshalb du mir den Arm so drückst . . . Ich weiß weiter nichts, als daß ich ein heftiges Kopfweh habe, und daß sich alles um mich her dreht.«

»Das will ich dir auf dein Wort glauben, Kind. Willst du andere Leute schwindelig machen und selber bei klaren Sinnen bleiben? Ei, mein Liebchen, wer aus einem solchen Tanze hervortritt, wie du, dem pflegt sich gewöhnlich das Weltall absonderlich zu drehen. Aber nun sprich, was hat er denn gesagt? und was hast du ihm gesagt? . . . Was hat der Vetter aus Hamburg gesagt, und was wird dein Papa zu alledem sagen? . . . Mein Gott, zu Hause schreien sich meine armen Kleinen nach mir zu Tode, und hier laufe ich mit dir in Paddenau herum. Wulfhild, Wulfhilde, mein einziger Trost und meine alleinige Entschuldigung ist, daß du es dereinst um kein Haar breit besser machen wirst, wenn dir einmal eine junge Freundin solche Streiche spielt.«

Mit einem Ruck blieb das Fräulein plötzlich stehen, machte sich frei von den Armen der klugen Frau des Rektors von Paddenau, drängte sich aber nur um so dichter an sie heran und flüsterte weinerlich und doch zu gleicher Zeit lachend:

»Agnes, du magst von mir denken, was du willst; aber – aber – ich konnte – den Menschen nicht nehmen! . . . es – war – unmöglich!«

Die Frau Agnes Fischarth legte unter ihrem Regenschirme dem armen Kinde den Arm um die Schulter, gab ihm einen Kuß und flüsterte mit dem innigsten Nachdruck zurück:

»Mein Herz, das verstand sich ja ganz von selber; aber – was hat denn der andere gesagt?«

»Er – er hat mich – nachdem – ich deines Mannes Verse gesprochen hatte, gefragt – ob – ich – seine Frau werden wolle.«

»Und du? und du?«

»Agnes, ich muß nach Hause; – ich – ich habe –ich weiß nicht – was ich gesagt habe; – ich glaube, ich habe ihn an meinen Vater gewiesen.«

»Mädchen, grade so hab' ich es gemacht!« rief die Frau Agnes begeistert. »Und ich sage dir, mein Alter war vielleicht ebenso außer sich darüber, wie deiner morgen früh sein wird, und jetzt tue mir den einzigen Gefallen und komme noch auf fünf Minuten auf eine Tasse Tee zu mir.«

»Aber mein armer Papa?«

»Gegen den hast du dich heute abend bereits so schlimm vergangen, daß es da auf eine Todsünde mehr oder weniger durchaus nicht ankommt. Weißt du, als Gustav um mich herum ging wie der Kater um die Maus in der Falle, und endlich Miene machte, seine frivolen, bösen Absichten auf mich auszuführen, habe ich meinen armen Papa auch ganz ruhig in die zweite Linie gestellt, und –«

»Und nachher setze ich mich an sein Bett und sage ihm alles!«

»Kind, das würde ich bis morgen früh verschieben. Traue einer erfahrenen Frau und warte, bis der richtige Beistand zur Hand ist. Auf welche Stunde hast du ihn bestellt?«

»Agnes?!«

»O, ich bin aus der Stralauerstraße und habe zu meiner Zeit auch allerlei durchgemacht!«

»Ach, wenn doch meine Mutter noch lebte!«

»Du hast mich ja!« sprach die Frau Agnes matronenhaft würdig und ein wenig vorwurfsvoll. »Komm, Liebchen, jetzt wollen wir beide das große Dichterfest feiern; du sollst dein armes Herz ausschütten, und dann wollen wir uns selber einmal himmlische Rosen ins irdische Leben flechten. Im letzten Grunde sehe ich gar nicht ein, was die Männer von heute der heutige Tag eigentlich angeht, und sie wissen das auch recht gut und machen deshalb ein um so größeres Geschrei; ich habe aber meinem Gustav bereits mehrfach beteuert, daß ich mich dadurch nicht betäuben lasse. Oh! . . . ach Jesus!«

Sie fuhr zusammen; denn in diesem Moment legte ihr Gustav ihr die Hand auf die Schulter, und auch der glückliche Maler Rudolf Haeseler, der nach Paddenau einzig und allein deshalb gekommen war, um den Dräumling zu studieren, trat hinter der nächsten Hausecke hervor und wußte in der Paddenauer Finsternis sofort das Seinige zu finden. Er zog Wulfhilde Mühlenhoff zu sich heran und rief, zwar ein wenig außer Atem, aber nichtsdestoweniger, und man kann sagen seltsamerweise, recht heiter:

»Du Schalk, hab' ich dich endlich wiedergefangen? Ei, mein Mädchen, war das in der Ordnung, daß du mir, kaum nachdem wir uns einander für die Ewigkeit zugeschworen hatten, auf der Stelle durchgingest und mich wieder in der Dunkelheit des Daseins allein ließest? Jetzt werde ich dich fester halten, und du wirst mir nicht mehr so leicht entwischen. Frau Agnes, Sie sind die klügste Frau, die jemals einen Nagel auf den Kopf traf; – das wahre Fest des Dichters wird erst jetzt beginnen; aber ihr beide werdet es nicht allein feiern und wenn ihr auch tausendmal mit eurer Behauptung recht habt. Wir beanspruchen unser Teil von den Rosen, und wir werden es bekommen! Was sagst du, Kranzwinderin? Ich halte dir den Korb und nachher male ich dich als allerneuester Pausias; aber weder das Original noch eine Kopie geben wir her, und wenn Lucius Lucullus aus Hamburg sich mit allen seinen Talenten auf den Kopf, oder das, was er dafür ausgibt, stellt.«

»O Rudolf!« flüsterte Wulfhilde; aber die Frau Agnes Fischarth sagte:

»Hören Sie, lieber Freund, Sie scheinen durch grenzenlose Unverschämtheit alles durchsetzen zu wollen. Ich bin durchaus noch nicht mit mir darüber einig, wie ich mich zu dem heutigen Abend zu stellen habe; nur eines ist mir ganz klar, und das ist, daß ich nach allen Richtungen hin Mutterstelle bei diesem armen Kinde zu vertreten habe, und daß man sich in allen Angelegenheiten an mich zu wenden hat, wenigstens bis morgen früh, wo der Papa Mühlenhoff die Sache selber wieder in die Hand nehmen mag. Was wollen Sie eigentlich noch weiter, Haeseler? Ich meine, Sie haben doch so ziemlich alles bekommen, was Sie wünschten? Gustav, ich bitte dich, gebrauche endlich einmal dein Ansehen, schicke den Menschen heim und bringe uns selber nach Hause. An dich habe ich auch einige Fragen zu richten, auf welche eine bündige Antwort mir recht erwünscht wäre.«

Der Rektor lachte:

»Hörst du, Rudolf? Nun, ich gebrauche hiermit mein Ansehen und fordere dich auf, schleunigst zu reden, wenn du noch etwas zu sagen hast.«

»Ich habe noch etwas zu sagen. Weltmeere wogen in meinem Busen, Frau Agnes, und ich habe Pieperling mit einem Korb voll Illuminationslampen nach meiner Wohnung geschickt. Dort steht das Bild, welches ich für den Dräumling malte, was er aber nicht zu Gesicht bekam, weil mein Freund Fischarth hier allerlei kritische Bedenken dagegen einzuwenden hatte. Pieperling weiß Bescheid, und ich – ich hatte die Absicht, wenn ich Sie, Frau Agnes, und hier mein Glück und meine selige Ruhe an diesem Abend in den Gassen von Paddenau nicht mehr wiederfinden sollte, mich mit einem Surrogat zu begnügen, die Vorhänge herabzuziehen, die Lampen anzuzünden, die Welt zu vergessen und in meiner Wonne bis zur nächsten Morgendämmerung unterzugehen.«

»Das heißt, meine Damm, er hat ebenfalls sein Fest für sich allein feiern wollen,« sagte der Rektor. »Mit dem nicht für den Dräumling gemalten Bild hat es seine Richtigkeit, und an seiner Stelle und unter den gegenwärtigen Umständen würde ich ebenfalls die Lämpchen dahinter angezündet und mich davor gesetzt haben.«

»Lieber Haeseler,« sprach die Frau Rektorin lächelnd, »in den aufgeregtesten Situationen Ihres Daseins scheint sich Ihr Geschick, sich die Stunden zurecht zu legen, am allerwenigsten zu verleugnen. Das muß ich sagen! Sie verloben sich, sozusagen, auf der Treppe, Sie verlieren Ihre Braut an der Tür des grünen Esels, und ehe Sie sich auf den Weg machen, das, was Sie Ihre selige Ruhe nennen, in den Straßen von Paddenau wieder zu suchen, schicken Sie vorsichtigerweise und höchst gemütlich vor allen Dingen erst Pieperling mit einem Korb voll Lampen und wahrscheinlich auch sonstiger Lebensbedürfnisse nach Hause, um sich für alle Umstände und Zufälle eine behagliche Nacht zu sichern! Nicht, daß ich das geradezu tadle. Im Gegenteil! Zu dieser Charaktereigenschaft deines Zukünftigen kann ich dir nur gratulieren, Wulfhilde! . . . Was meinst Du, sollen wir ihm den Willen tun und sein geheimnisvolles Machwerk ansehen?«

»Ach, ich denke an meinen armen Papa – es ist so unverantwortlich von mir! – er wird sich die größten Sorgen um mich machen.«.

»Das könnte ihm wirklich nur im Traume einfallen!« rief der Maler mit nachdrücklichster Überzeugung. »Der Gute schlummert, und ich habe ihn, offen gestanden, im Verdacht, daß er auch in seinen Träumen gewöhnlich sich nur mit sich selber zu beschäftigen pflegt. Übrigens habe ich mich aber auch an deiner Haustür nach dir erkundigt und erfahren, daß niemand dich an deinem Herde vermisse. O, welch ein Glück! Komm, Liebchen, sei gut und bedenke, daß der erste Grundsatz aller Lebensweisheit und Ökonomie ist, jede gute Stunde an einem luftigen und trockenen Orte vorsorglich sicher zu stellen, auf daß man sie – habe und sie sofort vom Brett herunternehmen könne, wenn einmal die Zeiten teuer und die frischen Gemüse rar werden sollten.«

»Das Gleichnis ist mir in der Seele gefunden!« rief die Frau Agnes. »Wulfhilde, wir wollen den Rest unseres guten Rufes in Paddenau dran geben und mit ihm gehen. Es ist kein Wetter, um noch länger hier in der Nacht darüber zu beratschlagen.«

»Wer sagte vorhin, daß des Dichters Fest erst jetzt beginne?« rief der Rektor von Paddenau begeistert. »Nimm meinen Arm, Weib. Für dein letztes Wort verbürge ich mich mit Leib und Seele. Wulfhilde, nehmen Sie Rudolfs Arm, –

Vier Elemente,
Innig gesellt,
Bilden das Leben,
Bauen die Welt.

Wir gehen; aber wir trinken nicht Tee, sondern Punsch vor dem Bilde der Muse. Wir Vier! Siehe, hoher Unsterblicher, das ist der Dräumling. Die rechten Leute finden sich doch immer in ihm zusammen, und du hast bei Lebzeiten auch einige Erfahrung davon gewonnen!«

Der Maler beugte sich zu der dicht an ihn gedrängten Verlobten nieder und flüsterte:

»Eh es verdüftet,
Schöpfet es schnell!
Nur wenn er glühet.
Labet der Quell.«

Wir sind fest überzeugt, daß jedermann weiß, was der sonderbare Mensch in diesem Augenblick schöpfte, und eine weitere Auseinandersetzung würde höchst überflüssig sein. Einige unserer Leserinnen würden eine solche sogar für rücksichtslos erachten, und wir halten etwas auf unsere Leserinnen und haben uns die größte Vorsicht und Bedachtsamkeit im Verkehr mit ihnen zum Grundsatz gemacht, weshalb wir denn auch dann und wann von dem Sumpf-, Heide- und Moormaler Rudolf Haeseler ziemlich höhnisch belächelt worden sind. Der letztere, seine Braut am Arme führend und das Herz voll seines guten Glückes, konnte es nicht unterlassen, im Scheine der nächsten Gassenlaterne einen im langen Livreerock daherkommenden Mann, der einen eleganten Reisekoffer auf der Schulter und einen Reisesack in der Hand trug, anzuhalten und anzureden.

»Ei, mein lieber Herr Quante, sind Sie es denn wirklich! Wohin so spät, und so schwer belastet? Ihr verehrter Herr, mein teurer Freund, wird uns doch nicht mitten in der Nacht verlassen wollen?«

»Das geht keinen was an!« brummte Quante, den Künstler und seine lächelnde Begleiterin böse anglotzend. »Übrigens ziehen wir augenblicklich in das goldene Kalb; vom grünen Esel und allem, was dran hängt, haben wir genug. Ich empfehle mich dem gnädigen Fräulein. Morgen früh bringe ich noch ein Billett an den Herrn Vater; nachher mag die Welt untergehen, uns kümmert es nicht mehr; wir reisen ab. Guten Abend!«

»Meine herzlichsten Grüße an den Herrn Kommerzienrat,« sagte der Maler höflichst. Quante verschwand in der Richtung des goldenen Kalbes, und das Vier-Kleeblatt setzte den Versuch, das Haus der tauben Wittib am Marktplatz von Paddenau zu erreichen, fort.

»Ach Gott, was wird das morgen für ein Morgen werden!« seufzte Wulfhilde Mühlenhoff.

»Ein Morgen des Glücks!« jubelte Rudolf Haeseler. »Die Fratzen und Nebel des Sumpfes weichen – die ewige Sonne der Schönheit behält doch ihr Recht. O Liebe, diejenigen, welche mit heiterm Lächeln den uralten, bittern Kampf führen, können in der rechten Stunde und zumal in der Stunde des Sieges ernst genug sein. Sie vor allen andern Erdenbürgern werden am wenigsten es wagen, des Lebens rätselhafte Tiefen durch leichtsinnigen Scherz zu überbrücken.«

»Wahrlich, Wulfhilde, er spricht die Wahrheit!« rief der Festredner von Paddenau.

»Wir wollen es hoffen, Wulfhilde,« sagte seine Frau.

 


 


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