Wilhelm Raabe
Der Dräumling
Wilhelm Raabe

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Das zweiundzwanzigste Kapitel

Es lebe das freie Lachen, das sich aus der Gebundenheit des grämlichen Tages plötzlich, unvermutet und unwiderstehlich losringt! es lebe vor allem die stille Heiterkeit, welche bei besserm Nachdenken allen wirren, krausen Ärgernissen des Lebens abgerungen wird! und leben sollen die, welche sich jederzeit gründlich Rechenschaft über allen Wechsel ihrer Stimmungen abzulegen vermögen, und welche die Qual oder die Wonne der Stunde wohl gleich allen Erdgeborenen überraschen, doch nicht überwältigen kann. Gepriesen sei der, welcher mit wirklichem Gewinn den kurzen Augenblick des Behagens aus der unbehaglichen Länge des Tages hervorzuheben versteht!

Der Paddenauer, sozusagen kaltgestellte Festordner beging in seiner sperrangelweit offen stehenden Klausur die hohe Feier wunderlicher und wundervoller als irgendein anderer, noch so licht, harmonisch und festtäglich aufgestimmter Geist und Genius im deutschen Vaterlande. Durch die gütige Vorsorge seines Freundes, des Malers Rudolf Haeseler, sah der Rektor im Dräumling Dinge, welche er wohl geahnt haben mochte, an welche er jedoch während der letzten Tage sicherlich nicht gedacht hatte. Das Fest, welches der Pädagoge der Stadt Paddenau bereiten wollte, hatte nun der kluge Freund ihm, dem Pädagogen, zugerichtet; es ging ein Pfad aufwärts aus dem Wirrsal und der Verdrießlichkeit des Dräumlings, und es war nunmehr einzig und allein die Schuld des Rektors, wenn er diesen Pfad nicht beschritt. Er hatte aber bereits den Fuß auf die unterste Stufe der lichtglänzenden Leiter gesetzt; er hatte die dreiflammige römische Lampe, welche der Maler in der Via Condotti gekauft hatte, angezündet, und er hatte die Füße auf ein mit verblaßtem Sammet überzogenes Rokokotaburett gelegt, welches der Maler bei einem Trödler in Paddenau gefunden hatte. Die zürnende Muse auf der Staffelei sah über ihn hinweg ins Weite; er aber sah den Wolken seiner Zigarre nach, ließ der Welt ihren Lauf und redete mit sich selber.

Er sprach lange mit sich selber. Er überlegte mit seinem Dämon sein ganzes vergangenes Leben durch Kindheit, Jugend und Mannesalter bis zu der gegenwärtigen Stunde.

»Man hat doch manchen Spaß in dem drolligen Durcheinander!« sagte er und dann dachte er an sein braves, vergnüglich-bissiges Weib, und daß er sogar zum Vater von Drillingen gemacht worden sei. Bei den Drillingen dachte er naturgemäß an den Tod und an den kleinen Sarg, welchen er neulich auf den Kirchhof von Paddenau begleiten mußte.

Tiefsinnig sprach er:

»Worüber beklage ich mich denn? Der Bursche, dieser Rudolf, hat mich in einen Geisteszustand versetzt, wie er in allen meinen Manuskripten noch nicht vorkommt. Und ich hatte vor einer Stunde noch Lust, ihn durchzuprügeln?! Und jetzt habe ich Lust, ihm um den Hals zu fallen und ihn anzuschluchzen: Alter Junge, ich habe weder die Prinzessin Lucretia von Ferrara, noch die Signora Lucretia Benadidio, weder die Prinzessin Leonora von Ferrara, noch die Signora Leonora Sanvitale, verehelichte Gräfin Scandiano, geküßt; aber für das Tollhaus bin ich auch noch nicht reif; – es lebe der Dräumling! – Die Welt ist einmal darauf gegründet, daß sich einer an dem andern ärgere, und diejenigen, welche die uralte Mode nicht mitzumachen wünschen, werden gewöhnlich am ersten zu Tode geärgert. O, es ist freilich die größte der Künste, seine Wut in sich hineinzufressen und doch bei gesundem Leibe zu verbleiben – meinen Sie das nicht auch, meine Herren?«

Die letzten Worte waren bereits an die beiden hohen Gestalten gerichtet, die von dem weißen, stets andere Formen annehmenden, lichtstrahlenden Gebirge her durch das tiefe, selige Blau Arm in Arm ihm entgegenwandelten, und die er, wie sich das von selber verstand, sofort auf die gemütlichste und vertraulichste Weise anredete.

»Es ist gewiß eine große Kunst, und niemand wird leugnen, daß ich mannigfache Gelegenheit fand, sie zu erlernen. Übung macht auch da den Meister,« sagte der Jüngere der beiden freundlich. Der Ältere, Stattlichere aber sprach lächelnd:

»Lieber Schiller, Sie gingen jung und aus ziemlich schwankenden Verhältnissen fort; mich lehrten das Alter und das Bewußtsein einer gesicherten Stellung die richtige Art der Abwehr. Ich pflegte mich zuletzt bei jedem impertinenten Andringen der Erde krank zu melden, legte mich zu Bett, blieb, wenn es nicht anders sein konnte, tagelang darin und ließ durch meinen treuen Stadelmann alles Störende an der Tür abweisen.«

»Ihre Taktik hat mir hier oben viele Freude gemacht. Sie hatten sich damals schon von den Staatsgeschäften zurückgezogen und schickten auch, statt selber zu gehen, Eckermann, die Frau Ottilie und ihren Sohn ins Theater, um sich von ihnen als jugendlichen Enthusiasten und unbefangenen Kindern, vielleicht über eine Aufführung meiner Räuber, referieren zu lassen. Die Leitung der Bühne hatten Sie gleichfalls abgegeben.«

»Erinnern Sie mich nicht daran, mein Freund! Mieding wird Ihnen sagen, was wir ausgestanden haben. Die Erinnerung könnte mich auch hier noch bewegen, sofort ins Bett zu steigen und die Decke bis an das Kinn heraufzuziehen.«

»Ja, aber fragen Exzellenz auch, wie man jetzt bei uns über Ihr Verfahren dem Leben des Tages gegenüber denkt!« rief der Rektor von Paddenau. »Der Tag läßt sich heute wahrlich nicht mehr von irgendeiner Schwelle zurückweisen, und mit seinem Groll greift er weit in die Vergangenheit zurück, greift er selbst bis zum Jahr Siebenzehnhundertneunundvierzig hinab. O, man wird niemals Ihren Geburtstag in solcher Weise feiern, wie den des Herrn Hofrats; und was sonst noch Ihre Popularität anbetrifft, so haben Sie Ihre Hoffnung einzig und allein auf das demnächstige Erlöschen des Cottaschen Privilegiums zu setzen. Ihre Werke sind viel zu teuer, um elegant gebunden in den eleganten Bücherschränken populär zu sein. Es gibt billigere Klassiker als Sie, Herr Geheimer Rat, und man hat in Deutschland zu allen Zeiten das Billige geliebt.«

»Es ist doch sonderbar, wie man alle diese Einzelheiten des Erdenlebens so bald vergißt. Also unsere Privilegien erlöschen demnächst? Die Ihrigen stammen ja wohl noch aus römisch kaiserlicher Zeit, mein Freund? Die meinigen habe ich, wenn ich nicht irre, dem durchlauchtigsten deutschen Bunde mühsam abgerungen. Sonderbar, sonderbar! Ja, ja, mein Herr; auf Erden hat mir auch die Sicherstellung meines Eigentumsrechtes manche ärgerliche Stunde bereitet; allein hiesigen Ortes habe ich seltsamerweise nicht ein einziges Mal daran gedacht. Wie stellten Sie sich in dieser Hinsicht, lieber Schiller?«

»Ich habe recht häufig daran gedacht. Im Grunde war ich doch ein besserer Geschäftsmann als Sie. Ich habe meine Stammeseigentümlichkeiten nie verleugnet, und Sie wissen, man hatte Ursache, sich ein scharfes Auge zu bewahren, sowohl als Redaktor der Thalia und der Horen, wie als Herausgeber des Musenalmanachs.«

»Sie verstanden es trefflichst, mich in Ihre Wirbel hineinzuziehen. Wie viele Beschäftigung hat uns oft allein die Decke Ihres Almanachs gegeben; aber auch das waren gute und gesegnete Stunden, wenn wir darüber beratschlagten, ob das Kupfer auf bunt Papier gedruckt, und ob die Lichter mit Gold erhöht werden sollten.«

»O gewiß können wir uns das Zeugnis ausstellen, daß uns nie eine Arbeit zu geringfügig erschien. Wahrlich, wir wußten uns zu fördern! Wissen Sie wohl noch, wie die Botenmädchen und Weiber die Xenien in ihren Tragkörben zwischen Weimar und Jena hin und her trugen?«

Die beiden Unsterblichen lachten auf die herzinnigste Weise, und der Festordner von Paddenau lachte mit, als eben zwei andere Bewohner des Olymps, und zwar gleichfalls Arm in Arm sich nahten. Eine allgemeine Begrüßung fand statt.

»Sie scheinen doch noch ein wenig fremd in diesen Regionen zu sein,« sagte der Geheimerat zu dem Schulmeister aus dem Dräumling. »Soll ich Ihnen die Herren bekannt machen?«

»Ich bitte darum,« erwiderte der Rektor Fischarth, und der Olympier stellte vor:

»Herr kaiserlich russischer Generalkonsul von Kotzebue, – Herr Doktor Fischarth ans Paddenau! – Herr Doktor Fischarth – Herr Theaterdirektor Shakespeare aus Stratford am Avon.«

Der Festordner fuhr drei Schritte gegen eine goldrote, sehr zum Sitzen einladende Wolkenbildung zurück:

»Ich . . . die Ehre . . . großer Gott . . . ist das? . . . aber das ist ja unmöglich!«

Und heiter rief Friedrich von Schiller:

»Sehen Sie, Kotzebue, da haben Sie es wieder!« William, der Speerschüttler, aber setzte sich dem Rektor von Paddenau gegenüber auf ein anderes Gewölk, schüttelte diesmal sich selber, und zwar vor innerlichstem Vergnügen. Der kaiserlich russische Generalkonsul klopfte dem Mann aus Paddenau gutmütig auf die Schulter:

»Ich versichere Sie, mein Lieber, wir sind allen Ihren Literaturgeschichten zum Trotz hier oben die besten Freunde und selten bei irgendeiner Frage – auch außergeschäftlichen – verschiedener Meinung. Blieben Sie diesmal für eine längere Zeit bei uns, so würde es mir ein Vergnügen gewähren, Sie auch mit meinem Freunde Sand bekannt zu machen. Der Schäker führt jedoch augenblicklich meine erste Frau spazieren; die gute Seele ist ihm immer noch dankbar für den Dienst, welchen er ihr seinerzeit erwies.«

»Das ist ja sehr . . . sehr – ja, das ist mir ungemein interessant!« rief der Rektor, und jetzt lachten alle im Kreise. Auch Goethe, Schiller und Kotzebue ließen sich nun nieder; nur Herr Gustav Fischarth stand noch; wenn aber alle sitzen, so ist es für den einzelnen ein wenig befänglich, allein aufrecht zu bleiben. Auch der Rektor von Paddenau setzte sich.

Er setzte sich auf das purpurne Gewölk, gegen welches er soeben in seinem Erstaunen zurückgewichen war, und es ging ihm wie so manchem, der da meint, was andere tun, gleichfalls tun zu können. Er setzte sich und – was jene trug, wich unter ihm! Mit beiden Händen griff er hinter sich, um eine Stütze zu suchen; er fand sie nicht, seine Füße, seine Beine fuhren in die Höhe, wie er mit der Mitte seines Körpers sank. Noch sah er einen Augenblick die glänzenden Augen der Halbgötter freundlich auf sich gerichtet; noch hörte er ihr olympisches Lachen; doch schon im nächsten Moment brach er vollständig durch. Das was eben noch lichtglänzend, farbenstrahlend war, das wurde zu einem grauen, naßkalten Nebel; – der Rektor von Paddenau, der Festordner des Dräumlings fiel – fiel – fiel immer schneller. Die himmlischen Harmonien verklangen, verhallten, wie die empyreischen Farben verschwanden; eine rauschende, bei weitem weniger wohllautende Musik als die Musik der Sphären drang sich seinen Ohren immer mächtiger, immer gröber, immer unverschämter, ja, mit Erlaubnis zu sagen, immer gröber und unverschämter auf, er fuhr empor, und der Dräumling hatte ihn wieder. –

 


 


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