Wilhelm Raabe
Der Dräumling
Wilhelm Raabe

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Das siebenzehnte Kapitel.

Was tue ich nun?« fragte sich der Maler, vor der Tür des Geheimen Hofrats sich den Filzhut durch einen Faustschlag fester auf den Kopf drückend. »Türme ich den Pelikan auf den Ossian, wie meine selige Tante gesagt haben würde? Nein, meine selige Tante war eine gebildete Dame; ich aber bin ein Barbar, ein bildungsloses und keiner Bildung fähiges Scheusal; und augenblicklich bin ich nur wütend wie ein südwestdeutscher Republikaner, dem man, seinem angestammten Fürstenhause gegenüber, ein anderes lobt. O, wie würde Knackstert lächeln, wie würde er den Halskragen emporzupfen, wenn er eine Ahnung davon hätte, welche entsetzliche Furcht er mir einjagt! Wer hat Angst vor dem donnernden Schicksal, vor dem dreimal feurigen Geiste, vor der eisernen, klugen Willenskraft, die uns einem wohlberechnenden und wohlberechtigten Egoismus opfert? Ich nicht! Aber Angst, Furcht habe ich vor Knackstert Witwe und Sohn; eine Gänsehaut überläuft mich, sobald er mir nahe kommt, und ich fange an zu singen, wie ein Kind, das in der dunkeln Kammer ein weißes Handtuch für ein Gespenst hält. Bei Aphrodite, ich bin verliebt, verliebt wie ein siebenzehnjähriger Bube, und ich habe Angst, daß Knackstert Witwe und Sohn sich mit meiner Liebe verehelichen und mich zu Gevatter bitten werden. Und die Welt feiert dieses Fest, und hier marschiere ich mit im Zuge, das Herz voll von den Idealen aller Jahrtausende und meinem eigenen persönlichen Ideal als Zugabe. Es ist zum Tollwerden, und daß ich es bereits geworden bin, erleichtert mich gar nicht.«

Der Maler Rudolf Haeseler marschierte freilich mit im Zuge, im Schwanzende des Zuges, und war seiner Seelenqual zum Trotz immer noch imstande, seinen Nachbaren durch die unpassendsten Bemerkungen die feierliche Stimmung zu verderben. Ehe er mit Gewalt und unwilligem Worte aus Reihe und Glied hinausgeworfen wurde, trat er lieber freiwillig aus und eilte schnellen Schrittes durch das begleitende Volk der Spitze der Prozession zu, um auch dem, was er seine Pflicht gegen den Freund nannte, zu genügen.

An der Spitze der Prozession marschierte natürlich der Rektor Gustav Fischarth glänzenden Auges, erhobener Nase und zurückgeschobenen Hutes. Wie aus dem Empyreum wurde der Arme herabgerissen, als ihn der Maler am Ellbogen erfaßte.

»Ah – wa – was? Ah, Rudolf, du! He, was sagst du nun? Was?! die Begeisterung steigt! Ist der Paddenauer einmal im Wasser, so schwimmt er besser, als jeder Delphin –«

»Und läßt sich von jedem philologischen Arion satteln und besteigen. Nun, ich gratuliere dir zu der frohen Hoffnung, daß er dich jetzt sicher auf der Markttribüne und heute abend auf dem Gerüst im grünen Esel landen und abladen wird.«

»Was das jetzt wieder für ein schändliches Bild ist!«

»O ja, ich danke, es paßt. Lieber Freund, würdest du wohl die Gefälligkeit haben, für einen Augenblick aus dem ewigen Blau herniederzusteigen? ich bitte – nur einige Stufen der Leiter.«

»Etwa zu einer unverständlich-verständlichen literarisch-erotischen Abhandlung wie vorgestern?« fragte der Rektor, unwillkürlich seinen Arm aus dem des Malers lösend.

»Zu einer kleinen anekdotenhaften Mitteilung und einer darangeknüpften Frage.«

»Bester, wir feiern den hundertjährigen Geburtstag Schillers.«

»Das schadet nichts; ich werde mich bemühen, kurz zu sein. Auf dem Marktplatze lasse ich dich frei.«

»Das muß ich mir wenigstens ausbitten,« rief der Festredner mit einem tiefen Seufzer, und der Maler schmiegte sich sofort mit verdächtiger Zärtlichkeit an die breitschulterige Gestalt des Freundes und hub an:

»In Berlin hatte ich einen guten Bekannten, einen mir sehr lieben, aber gegen alles übrige etwas heimtückischen Menschen. Er hatte Grund dazu, giftig gegen das Universum zu sein. Im Pech geboren, war er im Pech auferzogen worden, und es hatte allen Anschein, als ob er sein ganzes Leben lang im Peche kleben bleiben werde.«

»Rudolf, Rudolf, wir sind bereits zum drittenmal in der Buttergasse, und ich habe mich noch zu sammeln!«

»Sammle dich, nur horche noch einen Moment geduldig. Weiß der Teufel, ich will nun einmal eine Seele haben, der ich meinen Busen ausschütte! Also dieser gute Bekannte fühlte natürlich von Zeit zu Zeit das innigste, unabweislichste Bedürfnis, sich an der Menschheit zu rächen. Du, lieber Gustav, wirst ihn vielleicht begreifen, wenn du ihn auch nicht nachahmungswürdig finden wirst.«

»Eine Rede soll ich auf dem Marktplatz von Paddenau halten! Begreife du das und habe Barmherzigkeit.«

»Wie er sich in seiner Jugend zu rächen pflegte, weiß ich nicht. Die Jugend ist, wie du weißt, auch in diesem Punkte den Zufälligkeiten der momentanen Stimmung anheimgegeben. Erst das männliche Alter bringt System in alles.«

»In diese Art, die Menschen zu quälen, scheinst du freilich erst mit den reiferen Jahren System gebracht zu haben. In Bonn kannten wir das noch nicht so an dir. Da sollte man wirklich wünschen, daß du kein allzu hohes Alter erreichest.«

»Sieh, sieh, der Wunsch des einen ist sehr häufig die Hoffnung des andern. Mein Bekannter, um auf denselben zurückzukommen, befand sich eben in den besten Jahren seiner systematisierten Rachgierigkeit und wendete, als ich ihn kennen lernte, jeden Tag zwanzig Silbergroschen dran, seinen Gefühlen gegen den lieben Nächsten Ausdruck zu geben.«

»Zwanzig Silbergroschen?!«

»Jawohl! den dritten Teil seiner Einnahme, – und er legte ihn gut an.«

»In Arsenik?« fragte der Rektor im Dräumling ungemein gespannt; obgleich der Festzug sich dem Markte zum dritten und letzten Mal immer mehr näherte.

»In Arsenik? Nein! In Spirituosen! . . . Er unterhielt durch das Geld in wahrhaft künstlerischer Weise die Trunksucht eines halben Dutzends Eckensteher und Droschkenkutscher, die wiederum zu seinen genauesten Bekannten gehörten, wie er zu den meinigen. Er machte jeden Tag wenigstens Einen aus der holden Sippe betrunken, und zwar in den allerbedenklichsten Getränken, und für die Fülle geschwollener Nasen, Ohnmachten hysterischer alter Damen, blauer Beulen, grüner, gelber Mäler, polizeilicher Aufregungen und allgemeinen öffentlichen Ärgernisses war kaum in einem Heldengedicht von zwanzig Gesängen Raum. Er selber aber, der Anstifter alles dieses Unheils, fühlte sich verhältnismäßig frei, leicht und glücklich in dem Bewußtsein, für die Menschheit getan zu haben, was ihm möglich war.«

»Das ist ja ein ganz niederträchtiger, ein heilloser, nichtswürdiger Halunke!« rief der Rektor, fortgerissen von der Erzählungskunst seines immer fester sich anklammernden Begleiters.

»War, war, liebster Freund. Leider war er es. Seine Mittel reichten zuletzt nicht aus, das allgemach steigende Quantum begeisternder Flüssigkeiten, welches seine Chargés d'affaires bedurften, um in die wünschenswerte Stimmung zu geraten, zu leisten. Ihr Vermögen, die ätzendsten Chemikalien zu vertragen, stieg, und da er nicht von seiner Art, das Leben aufzufassen, ablassen konnte, so verhungerte er an ihrem Durste. Ich nenne das einen schönen Tod; kein Held ist, meiner Meinung nach, eines großartigeren gestorben. Seine sechs Freunde trugen ihn schwankend zu Grabe, und die Nachbarschaft sagte: Nein, was der Mann für eine Liebe unter den Leuten gehabt hat! und bei seinen Lebzeiten hat man noch dazu gar nichts davon gemerkt!«

Hurra! Hurra! Rumbidibum, rumbidibum, trararara, hurra! der Zug der Paddenauer Schillerfeier bog zum drittenmal in die Marktstraße ein, und die Spitze des Zuges bekam eben von neuem das Postament mit der Büste des Dichters zu Gesicht.

Fieberhaft zuckend riß der Rektor seinen Arm los und schrie, in dem betäubenden Lärm sich kaum verständlich machend:

»Haeseler, ich kündige dir meine Freundschaft auf, wenn du mir nicht augenblicklich sagst, was du eigentlich von mir willst.«

»Mit tausend Armen umschlinge ich dich und lasse nimmer von dir; aber da du es zu wünschen scheinst, breche ich meine Geschichte ab und stelle einfach meine Frage. Lieber Junge, ich hasse seit einiger Zeit das Universum bis auf ein Bruchteil, und ich fühle, wie täglich ein größerer Teil des Geistes und Charakters des dir eben geschilderten Seligen sich auf mich herniederläßt –«

»Das weiß der liebe Gott!«

»Nun sage mir, Gustav Fischarth, was würdest du in meiner Stelle tun? Würdest du dich energisch gegen Ahriman, gegen Old iniquity wehren; oder würdest du gelassen auf den schwarzen Wellen dem Feuerschlunde dich zuschaukeln lassen?«

»Ich würde sie einfach fragen, ob sie mich haben wolle. Und wenn sie Nein sagt und den Vetter Knackstert aus Hamburg vorzieht, so – du hast dich ja bereits in den Sumpf gesetzt – so setze dich etwas tiefer hinein!«

»Das hast du selber herausgefunden?« schrie der Maler gellend. »Nein, Agnes hat dir geholfen; du hast ihr von unserm Jean Bonhomme-Abend erzählt, und sie hat dir die Hand auf das Herz gelegt und hohnlächelnd gelispelt: ›Siehst du, Gustav, den hätten wir auch!‹«

»Agnes hat mir durchaus nicht geholfen. Ich habe mir den Sachverhalt ganz allein klar gemacht; und jetzt beschwöre ich dich bei allem, was dir noch heilig ist, so zum Beispiel bei ihr, laß mich nun in Ruh; denn was aus meiner Rede werden wird, das – mag Paddenau eben nehmen, wie es will!«

»Ei, ei, wirklich, da stehen wir ja am Fuße der Leiter! Nun denn, der Himmel mache uns die Marter leicht! Steige hinauf und rede zum Dräumling; sage ihm, was du zu sagen hast. Denke daran, daß in diesem Moment, rund um die Welt, mindestens fünfundzwanzigtausend deinesgleichen gleichfalls einen erhöhten Standpunkt eingenommen haben und sämtlich über das nämliche Thema reden. Gustav, ich werde dich verachten, wenn du nicht originell bist! Deiner Familie habe ich meine Fenster da oben abgetreten; deine beiden Krabben sehen von den Armen deiner Frau und deiner Amme auf dich; also nimm dich zusammen. Marsch, vorwärts, steige hinauf; ich bleibe unten an der Treppe. Entfalte deine Schwingen; – o, du bist ein glücklicher Mensch! beeile dich übrigens ein wenig; Paddenau wartet; und sämtliche Paddenauerinnen werden es dich entgelten lassen, wenn ihnen die Suppe anbrennt.« –

Wenn wir uns nun mit dem Rektor Fischarth aus dem Dräumling in den Olymp erhöben, so würden wir vielleicht den heute gefeierten Unsterblichen zu dem erhabenen Freunde sagen hören:

»Sollen wir nicht lieber das Fenster schließen? es zieht in der Tat ein wenig, und eine heitere Aussicht auf Deutschland bekommen wir heute nicht mehr.«

Wir würden dann sicherlich im Sinne der beiden großen Dichter handeln, wenn wir dem noch höher in die Höhe schwirrenden Paddenauer Festredner auf seiner lotrechten Bahn nicht folgten. Wir würden dann freilich nicht das geringste von der Rede, die er auf dem Marktplatze zu Paddenau hielt, vernehmen; aber wir würden die beiden Olympier machtvoll und lichtstrahlend von dannen wandeln sehen; und damit uns nichts entginge, könnten wir uns nachher wieder in die Wohnung des Geheimen Hofrats und früheren Prinzenerziehers Doktor Mühlenhoff begeben, wo auch dieser seinerzeit bemerkt:

»Beste Kinder, ich glaube, ihr könnt jetzt wohl das Fenster schließen, man versteht den Menschen auf seiner Tribüne doch nicht, und außerdem kommt es mir vor, als ziehe es sehr bedenklich.«

Knackstert hatte gar nichts dagegen einzuwenden; er versuchte noch einmal vergeblich, die Cousine in ein vernünftiges Gespräch hineinzuziehen und nahm Abschied, als es ihm nicht gelang, unter dem Vorgeben, daß der Wirt zum grünen Esel, Herr Ahrens, ihn um eine kleine Privatunterhaltung vor Tisch gebeten habe. Dem war nicht so; – er, George Knackstert, hatte den Wirt zu einem Gespräch unter vier Augen aufgefordert; jedoch wünschte er dieses Gespräch erst nach dem Besuche bei dem Geheimen Hofrat Mühlenhoff abzuhalten, und –

 


 


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