Wilhelm Raabe
Der Dräumling
Wilhelm Raabe

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Das siebenundzwanzigste Kapitel.

Ist es nicht für einen, welchem die holde Gabe der öffentlichen Rede verliehen wurde, auch eine Kunst, zu gleicher Zeit ein Vivat auszubringen und den jubelnden Schrei in jeglichem Halse zu erdrosseln? Der Maler Rudolf Haeseler hatte das verstanden und verließ die Tribüne, während Paddenau, ungewiß, was es denken und tun sollte, ihn herabsteigen sah und sich mit verworrenem Lärm an seinen Stühlen festhielt. Es mußte sich erst fassen, ehe es aufstehen konnte. –

Göttin des Durcheinander, dich flehe ich an mit erhobenen Händen, laß einen kurzen Augenblick deinen Quirl im Gewölk stecken; steige herab und hilf mir; denn wenn ich, was übrigens nicht der Fall ist, auf einem Blatt dieses Buches bedeutend sein möchte, so wäre hier die Stelle! . . . Kommst du? . . . Es scheint nicht so, und so bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als uns in gewohnter Weise an die brave, altverständige, nüchterne Muse des Nacheinander zu halten, und uns von ihr erzählen zu lassen, welche Bewegung die Rede des Malers im Dräumling hervorbrachte.

In der Höhe und in der Tiefe war die Wirkung gleich einbohrend. In der Höhe fuhr der Wirt zum grünen Esel von der Balustrade zurück und warf den gleichfalls zurückfahrenden Großhändler auf die große Trommel. Wie eine Bombe wirkte der Gastfreund vom grauen Laubfrosch.

»Das ist der infamste Kerl, der jemals mein Getränk getadelt hat!« rief Herr Ahrens. »Weiß er denn alles?« ächzte er in lächerlich grimmiger Angst. »Wenn er die Geschichte in Paddenau herumträgt und die rechte Etikette darauf klebt, ruiniert er mich für Kind und Kindeskind! . . . Habe ich die zweihundert Taler gekriegt? Sie – Herr – Sie – o Sie, Sie haben mir da eine nette Bowle zusammengerührt! Hören Sie, Herr, Paddenau in seiner jetzigen Stimmung schlägt Sie bei lebendigem Leibe tot, wenn es herauskriegt, daß Sie der – der – ich will sagen, der Mensch sind, der meinen guten Namen auf sein Gewissen hat nehmen wollen! Je den Umständen nach –«

»Sind Sie ein Lump oder ein Feigling!« schrie der Hamburger. »Bemühen Sie sich nicht, ich finde meinen Weg schon selber . . . Großer Gott, was habe ich eigentlich noch mit dem Kehricht zu schaffen? Tod und Teufel, das ganze Geschäftspersonal vom Hamburg, Lübeck und Bremen genügt nicht, um die Sottisen zu Buch zu bringen, die ich in den letzten drei Tagen in diesem heillosen Neste gemacht und ertragen habe! Ruhig, Knackstert – Fassung – Fas–«

Er wußte den Weg freilich allein zu finden; allein er trat fehl auf der engen Treppe und kam unten schneller, als er wollte, an. Sein Diener Quante hob ihn in dem höhlenartigen Gemach am Büfett aus einer sitzenden Stellung auf, und sein Diener Quante übernahm von dem Augenblick an bis zu seiner Abreise aus Paddenau jegliche Verantwortlichkeit für ihn. – – –

In der Tiefe haben wir uns zum erstenmal an diesem Abend nach der Frau Rektorin Agnes Fischarth umzusehen. Ihr Kavalier hatte ihr, wie wir wissen, einen guten Platz verschafft, und sie wußte ihn auszufüllen. Sie konnte von ihm aus alles sehen, was vor und hinter den Kulissen vorging, und sie sah und hörte alles, indem sie zu gleicher Zeit nach rechts und nach links, nach hinten und nach vorn die lebendigste Unterhaltung unterhielt und doch noch Zeit genug behielt, die wort- und gedankenreichsten Selbstgespräche zu führen.

»Ich habe mein Paddenau am Schnürchen, und ich bin aus der Stralauerstraße in Berlin, aber dieses geht über alle meine Erfahrungen hinaus. O, diese Wulfhilde! Mein Mann ist in seiner Art auch nicht übel gewesen; aber das Mädchen schlägt alles. Welch eine Komödie! daß sie den Hamburger nicht nimmt, steht fest, – ne, Papa Mühlenhoff, alles was recht ist; aber dieses zweibeinige Lineal ist uns nicht recht! da haben wir uns wieder mal in unsern süßesten, nahrhaftesten Hoffnungen getäuscht, Papa Mühlenhoff; – stimmen Sie nur Ihre Harfe, Papa, und setzen Sie sich ruhig in den Dräumling und winseln Sie; mit dem Vetter aus Hamburg ist es nichts, und mit den angenehmen Villeggiaturen in Blankenese ist es auch nichts. Herr Jesus, was will denn der Maler? Kommt der als sein eigenes Lichtbild? Da wird sich Paddenau wundern . . . richtig!«

Die Frau Agnes saß stumm während der Rede des Malers Rudolf Haeseler. Sie rückte nur von Zeit zu Zeit heftig aufatmend auf ihrem Stuhle. Als der Maler von ihrer Freundin Wulfhilde sprach, stand sie auf und setzte sich ebenso schnell nieder; als er den grauen Laubfrosch in die Szene hüpfen ließ, legte sie sich zurück und drückte das Taschentuch krampfhaft auf das Gesicht, und als er geendet hatte, erhob sie sich zum zweitenmal, rief laut Bravo! schwang das Taschentuch und mußte sich sehr zusammennehmen, um nicht dem Redner die Hand auf die Tribüne zu reichen und zu rufen:

»Lieber Freund, morgen mittag müssen Sie unbedingt mit dem Kinde, der Wulfhilde, bei uns essen!« – – –

Im Nebenzimmer drückte Wulfhilde Mühlenhoff gleichfalls lachend das Taschentuch auf den Mund; und der Rektor lehnte wortlos an ihrem Stuhle und überlegte sich immerfort von neuem, was sein Freund Haeseler der Stadt Paddenau mitgeteilt hatte. Sein Komitee umdrängte ihn dazu mit den verschiedenartigsten Fragen; es wollte von ihm wissen, wie jener Ort heiße, allwo ein verächtlicher Verächter der Götter und Menschen dem Wirte zum grauen Laubfrosch zweihundert Taler bot, um ihn dadurch zu bewegen, den Brand in den Festtempel zu schleudern. Sein Komitee hatte auch seine Ahnungen; und die Befürchtungen des Wirtes zum grünen Esel waren gar nicht so grundlos: der Dräumling konnte fürchterlich werden, und die Neigung dazu stieg mit jedem Augenblicke.

Paddenau war aufgestanden.

Sie standen alle und sahen sich um und wunderten sich sehr; und wir könnten noch viel von ihnen sagen, aber wir werden uns hüten und verzichten auch darauf, an dem Festessen teilzunehmen. Schon drängte und quoll es aus dem Saale hinaus, schon polterte es die Treppen hinunter, und wir fangen nur noch ein geflügeltes Wort an der Tür auf. Wer es sprach, wissen wir nicht; wir erinnern uns nur noch, daß es an einen dicken, schwitzenden, wohlwollenden alten Herrn gerichtet wurde, und es lautete:

»Es war ein recht schönes Fest, Herr Nachbar; aber wenn man stets auf der Stelle wüßte, wie so ein Himmelsakramenter es eigentlich meint, so wäre das noch besser. Ich meine, dann würde viel mehr Klarheit in der Weltgeschichte herrschen, und jeder anzügliche Schlingel bekäme auf der Stelle seine angemessene Tracht Prügel. Was meinen Sie?«

Die Meinung des Nachbars ging der Menschheit im Gedränge verloren; aber hundert und tausend schrille Schellen und helle Glöckchen klingen uns jetzt aus in der dunkeln Herbstnacht, und dazwischen mischt sich wohl auch ein volltönigerer Glockenklang. Hundert bunte Lichter und Flämmchen blitzen und zucken hinüber und herüber, von oben nach unten, und umgekehrt an den Häuserwänden hin und über die finstere Himmelswölbung. Lachende Geisterchen zupfen uns und ziehen uns durch die Gassen von Paddenau. Zu neckischen Kobolden werden alle Nebel des Dräumlings; die Lust am Leben packt uns mit verdoppelter Gewalt, und wie eilig das geisterhafte Völklein, welches uns vorwärts drängt und schiebt und zieht, es auch haben mag, wir müssen mitten auf dem Marktplatz in Dunkelheit, Wind und Nebelregen stehen bleiben, wir müssen die Arme in die Seite stemmen, und wir müssen unserm Behagen Luft machen – laut – aus vollem Halse – so unschicklich als möglich! –

 


 


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