Wilhelm Raabe
Der Dräumling
Wilhelm Raabe

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Das fünfzehnte Kapitel.

Seit dem letzten Jahrmarkt waren dem Bürger von Paddenau die Straßen seiner Stadt nicht so belebt erschienen, als an dem heutigen großen Tage. Die Schulen hatten selbstverständlich Vakanz erhalten, und eine prickelnde Unruhe trieb auch die Gleichgültigsten von ihren Beschäftigungen in den wundersamen Wirbel hinein.

Jedermann, der das Fest im deutschen Norden mitfeierte, weiß, wie nahe der orthodoxere Teil der Geistlichkeit und der Bevölkerung der Erfüllung des Herzenswunsches war. Das Wetter war feucht, grau und frostig; aber zum Regnen kam es gottlob doch nicht, und wer einmal die Gewißheit, daß er in Arkadien geboren worden sei, im Busen trug, der hielt sie auch fest, der hielt sie sogar desto fester, je dunkler der germanische Himmel über ihm wurde.

Das ist eben das Schöne. Der graue Himmel hat die blauen Blüten des deutschen Geistes nie gehindert, sich zu entfalten. Wir haben zu allen Zeiten unter unsern Tannen und Eichbäumen die Fähigkeit festgehalten, die Palme, die Olive, den Lorbeer und die Myrte zu würdigen. Und es zeige uns jemand einen Italiener, Franzosen oder Hispanier, der jemals ein wirkliches Verständnis für die Eiche und den Tannenbaum gezeigt hätte! Seien wir darum ganz unbefangen so stolz wie ein ganzer Sack voll Spanier! –

Mit einem Gesichte wie ein Sack voll Spanier sah Herr George Knackstert aus einem der Fenster des grünen Esels, ohne jedoch einem innerlichen ästhetischen Genügen Ausdruck zu geben. Herr George Daniel Knackstert, der ein Schiff mit dem Namen Wulfhilde Mühlenhoff zwischen Havanna und Hamburg laufen hatte, sah aus einem ganz andern Grunde gravitätisch und verdrießlich drein. Gestern hatte er natürlich erst seinen Diener Quante mit einer Visitenkarte nach dem Hause des Geheimen Hofrats gesendet, ehe er selber hinging. Die Herrschaft freute sich, hatte Quante gemeldet; aber Knackstert Witwe und Sohn freuten sich gar nicht. Der große Hamburger Kaufmann hatte bei dem Geheimen Hofrat zu Mittag gespeist, aber mit dem allerschlechtesten Appetit; und was das Allerschlimmste war, Wulfhilde war so reizend, hell, vergnügt und unbefangen gewesen, daß Knackstert Witwe und Sohn nicht imstande gewesen waren, dem holden Mädchen ihre Meinung mitzuteilen. Ihrem Papa hatten sie dieselbige freilich kund gegeben; aber der Papa konnte weiter nichts tun, als auf der Stelle seinen Nervenanfällen anheimzufallen, seine grenzenlose Zerschlagenheit und Hinfälligkeit wimmernd zu beklagen und es dem Herrn Vetter freizustellen, dies Ärgernis selber zu hintertreiben.

Noch einmal hatte Knackstert den Versuch gemacht, der schönen Festrednerin gegenüber den Mund zu öffnen; doch Wulfhilde war nach dem ersten Worte so ausnehmend empfindlich geworden, daß der Großhändler sofort den Mund wieder geschlossen hatte.

Wulfhild hatte also nicht einmal nötig gehabt, grob zu werden. Noch stand es unerschüttert fest, der Vetter aus Hamburg konnte sogar von seinem Schlafzimmer aus am heutigen Abend das Vergnügen haben, die Cousine das Festgedicht des Rektors von Paddenau deklamieren zu hören. –

O über das feine lockige Haupt auf dem weißen Kopfkissen! Noch um sieben Uhr hatte Wulfhilde Mühlenhoff im süßesten Schlummer lächelnd die Zähne gezeigt. Um acht Uhr hatte auch sie sich aus den Federn erhoben und sich allein an den Kaffeetisch gesetzt. Der Vater, der wie gewöhnlich sehr schlecht geschlafen hatte, schlief jetzt in den Morgen hinein und schien die Absicht zu haben, den widerwärtigen Tag ganz zu verschlafen.

Da saß sie, im Morgenhäubchen mehr als lieblich anzuschauen, und vor ihr lag neben der Zuckerdose das Manuskript des Rektors, und sie stützte die Stirn mit der Hand und memorierte. Sie lernte immer noch auswendig, was sie bereits in- und auswendig kannte; sie zeigte ein sehr böses Herz, sie las und lernte dem Vetter aus Hamburg zum Trotz, und als sie wieder einmal zu den Schlußreimen gekommen war, da blickte sie auf und sagte:

»Daß ich dem Papa alles opfere, weiß er recht gut; aber lächerlich lasse ich mich nicht machen. Seinen Willen hat doch jeder wenigstens einmal im Leben, und heute will ich den meinigen haben!«

Ein dumpfer Trommelwirbel, nicht gar fern ab, begleitete plötzlich den Marsch, welchen der kleine Fuß auf dem Teppich schlug, und die Trommel erweckte leider auch den Prinzenerzieher außer Dienst.

»Ach du himmlische Barmherzigkeit,« stöhnte der alte Egoist, »da geht es los! keine Möglichkeit, den Jammer zu verschlafen!«

Er drehte sich mißmutig auf die andere Seite und winselte:

»Und das, worauf ich meine Hoffnung setzte, steigert jetzt nur die Unbehaglichkeit meiner Zustände. Ich habe den Vetter aus Hamburg herbeigewünscht, und er ist gekommen, der unbequeme Patron. Weshalb ist er gekommen? was hatte er gerade jetzt hier in Paddenau zu suchen? Er hat mir seine Gründe angegeben, aber sie sind höchst albern. Jede Zeitung hätte ihm sagen können, daß er im Dräumling dasselbe Wesen finden werde, welches ihn aus Hamburg verscheuchte. Und dieses Mädchen! wer hätte es für möglich gehalten, daß sie allen Vernunftgründen einen so hartnäckigen Widerstand leisten würde? Ich habe ihr leider allzu nachsichtig ihren Weg gelassen von den ersten Batisthöschen an. Und jetzt ist sie eine gebildete Jungfrau geworden und sagt, daß sie ihre Bestimmungen als eine solche kenne. Nun ja; aber sie soll denn auch nach ihren Worten handeln und den Vetter nicht vor den Kopf stoßen. Sie wird glücklich mit ihm werden. Sie kann eines der glänzendsten Häuser in Hamburg machen; ich werde die angenehme Jahreszeit in ihrer Villa bei Blankenese zubringen. Diese Trommel ist fürchterlich! und dieses Mädchen handelt zu abgeschmackt, und ihre Rücksichtslosigkeit gegen mich kennt keine Grenzen! Wie angenehm hätten wir heute abend ihre Verlobung feiern können; – wie schön und passend wäre das gewesen, gerade an diesem Tage! Da hätte ich Gelegenheit gehabt, mich ebenfalls und zwar in würdiger Weise über den edeln Sänger der Frauen zu äußern, und wir hätten alle lächelnd Paddenau gewähren lassen. Statt dessen wird nun Paddenau über uns lachen; – ja, ich bin immer ein Goetheaner gewesen; aber von heute an bin ich es im doppelten Maße. O Gott, Gott, hört denn dieses Trommeln nie wieder auf?«

Es schien so; und es mischte sich jetzt sogar der schrille Schrei einer Querpfeife in das dumpfe Rasseln der Kalbfelle. Bidibidibidibidibumbumbum, und die kriegerische Musika bog in die Marktgasse, und der Geheime Hofrat zog die Nachtmütze über die Ohren, seine Tochter sprang lachend zum Fenster; richtig, da waren sie: zwei Trommler und ein Pfeifer, die Trommler auf beiden Seiten, und der Pfeifer in der Mitte und zwar betrunken!

Es gibt nichts Seltsamer-Anmutigeres als einen betrunkenen Querpfeifer; und der ziemlich beträchtliche Teil der Paddenauer Schuljugend, welcher die drei muntern Instrumentisten begleitete, schien das ebenfalls zu finden. Aber taktfest oder nicht, einerlei! die Reveille der Schützengilde zog durch die Gassen von Paddenau, und der große Tag war offiziell eröffnet; und –

»Wissen Sie, es wäre darüber fast zum Konflikt gekommen,« sagte ein Komiteemitglied, »und das mit Recht; denn der Liederkranz behauptete, er müsse der erste auf dem Platze sein; aber er wurde endlich noch überstimmt, und das auch mit Recht; denn Regimentsfeldscherer ist der Mann, ich meine der Herr Poet doch auch gewesen, wie man sagt, und so behielten wir von dem Schützenkorps die Oberhand und ließen Bungemann, Pieperling und Rummler losmarschieren. Was ist Ihre Meinung, Herr Haeseler?«

»Ich schließe mich der Ihrigen vollkommen an, Kommandant. Was hat der Liederkranz für ein größeres Recht an den Hofrat Schiller aufzuweisen, als die Schützengilde? Ihr Instinkt hat Sie ganz richtig geführt, Herr Generalmajor.«

»Ich danke Ihnen für die Beruhigung, Herr Haeseler. Wenn wir nur auch den Kerl herauskriegen könnten, welcher uns den Halunken, den Pieperling, so früh am Morgen schon betrunken gemacht hat! Da hört doch die Weltgeschichte auf! Der ganze Effekt wurde beinahe durch den Lümmel gestört, und nachher hatten wir noch den Skandal vor des Herrn Oberpastors Hause, wo der Teufel es wollte, daß uns der Satan, wie die Frauensleute meinten, ohnmächtig wurde, und wo man ihn dem Herrn Oberpastor ins Zimmer brachte und ihn auf dem Kanapee niederlegte, bis ihn der Stadtphysikus untersucht hatte und wieder 'rausschmeißen ließ.«

»Das ist ja fürchterlich, Herr Generalmajor.«

»Schauderhaft ist es! na, ich sollte da einem Kriegsgerichte präsidieren; die neun Kugeln wären dem Kerl sicherlich gewiß. Stellen Sie sich nur die Frau Oberpastorin recht deutlich vor. Das fehlte uns gerade noch! die Herren vom schwarzen Rock sahen schon scheel genug auf diese heidnische Festivität; aber solch ein öffentliches Ärgernis gleich zum Anfang könnte selbst einen Türken dazu bringen, dergleichen hundertjährige Ovationen für immer zu verschwören. Ich sage Ihnen, nächsten Sonntag besuche ich gewiß den Gottesdienst.«

»Ich auch!« sprach der Maler, welchem der unglückselige Pieperling, ehe er seinen militärisch-musikalischen Obliegenheiten nachgegangen war, pflichtgemäß, wie an jedem andern gewöhnlichen Morgen, die Stiefel geputzt und den Rock ausgebürstet hatte. Wenn ein Mensch Auskunft darüber geben konnte, wer der Kerl war, der den Paddenauer Flautisten schon so früh in die eben besprochene, nur allzu begeisterte Stimmung versetzt hatte, so war das unser lieber Freund Haeseler. Er behielt sein Wissen natürlich für sich; aber er hatte die Unverschämtheit, dem Herrn Generalmajor mit innigster Freundlichkeit die Hand zu drücken und zu bemerken:

»Herr Oberkommandant, ich danke herzlich für die gütige Erinnerung, auch ich werde mich jedenfalls am nächsten Sonntage unter der Kanzel des Herrn Oberpastors einfinden.«

Der Generalissimus der Paddenauer Schützengilde legte militärisch grüßend die Hand an den Tschako und ging ab, den großen Säbel klirrend an die Hüfte ziehend. Das Gespräch hatte ungefähr um die elfte Stunde des Morgens stattgefunden, und der Maler ging gleichfalls eiligst nach Hause, um die letzte Hand an sein Transparent zu legen. Er hob gerade die verhüllende Leinwand von dem Bilde, als Herr George Knackstert, von der berühmten Firma Knackstert Witwe und Sohn, den grünen Esel verließ, um dem Geheimen Hofrat Mühlenhoff und der herrlichen Wulfhilde einen zweiten Besuch abzustatten. Die Paddenauer, welche ihm – dem Vetter aus Hamburg – begegneten, wichen ihm betroffen aus. Wenn er für Alekto, Megära und Tisiphone Geschäfte gemacht hätte, wäre keinem der Ausdruck seines Gesichtes aufgefallen.

 


 


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