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Ein Paar

Alle Pariser, die in der letzten Saison Nizza und Monte Carlo besucht haben, werden sich erinnern, in der Gesellschaft, auf der englischen Promenade, im Theater und beim Rennen jenes seltsame Paar gesehen zu haben, das Paul B ... »die Liebenden über dem Grabe« getauft hatte. Sie riefen in der That die Erinnerung an Geister wach, die aus einem überirdischen Lande der Liebe stammen: Sie, noch jung und sehr schön, war durch die Magerkeit ihrer Figur, die Blässe ihres Gesichtes und durch die auffallende Ruhe in ihren glänzenden blauen Augen ausgezeichnet; er durch etwas Jugendliches und dabei doch Greisenhaftes, das sich in seinem schweren und nervösen Gang, sowie in der Haltung seines Kopfes verriet, welcher abgehärmt und doch stolz aussah. Trotz seiner schon ergrauenden Haare wäre er schön gewesen ohne das schwarze Band, das sein rechtes Auge und den obern Teil der rechten Wange bedeckte, und eine von Brandwunden zerfressene Gesichtshälfte doch nur ungenügend verbarg.

Diese beiden Wesen betrachteten, hörten und genossen in inniger Verschmelzung den märchenhaften Zauber der Düfte, der Musik und der entzückenden Landschaft; aber sie mischten sich nie in die bewegte und lärmende Menge, welche sie umgab. Man sah sie nie in Gesellschaft von Freunden, sie schienen keinen Wunsch zu hegen, sie waren ohne Zweifel glücklich in diesem Weltwinkel, in welchem der Eine nur für den Andern lebte. Sobald die Nacht anbrach, verschwanden sie. Nur Wenige kannten ihre Wohnung. Sie hatten eine elegante Villa am Ufer des Golfes inne, ganz in der Nähe des bescheidenen Hauses, in dem ich mich selber eingerichtet hatte. Man nannte sie Mr. und Mme Le Thierrey.

Nur dem Zufalle dieser Nachbarschaft verdanke ich ihre Bekanntschaft. Die junge Frau, die eine sehr zarte Figur hatte, war eben die Terrasse hinuntergegangen, auf der sie gemeinsam gespeist hatten. Häufig blieben ihr Gemahl und ich allein zurück, die Cigarette in den Fingern in jener stillen Betrachtung und einsilbigen Unterhaltung, wie sie die Aussicht auf eine herrliche Landschaft hervorruft. Und da geschah es, daß er, ohne daß ich sein Vertrauen gesucht hätte, seine Geschichte erzählte: Eines Abends, die Luft war ganz mild und geschwängert von den Gerüchen der afrikanischen Blumen, ruhig lag das Meer da, ein metallener Spiegel, über dem der Mond in seiner ganzen Klarheit leuchtete; – an diesem Abende hatten wir beide den Wunsch leise miteinander zu sprechen, Liebesgeschichten zu hören oder zu erzählen.

»Sie haben sicherlich geahnt,« sagte Le Thierrey zu mir, »daß es in Lucies Leben und in dem meinigen ein Drama giebt; freilich ist es ein alltägliches Drama, wenn man nur auf Handlung sieht. Es wird aber seltsam, vielleicht einzig durch seine Ursachen und seine Folgen.

Ich bin jetzt 32 Jahre alt, meine Frau ist 26; sie war 17, als ich sie kennen lernte. Sie kam zu jener Zeit nach Paris, wo sie sich mit ihrer Mutter und ihrer Schwester im fünften Stockwerk eines Hauses einrichtete, das meinen Eltern gehörte. Die Geschichte dieser drei Frauen war die alte Geschichte, wie sie viele bürgerliche Familien aus der Provinz erleben, die durch die Laune eines verwöhnten Kindes plötzlich in die große Stadt versetzt werden: Lucie hatte in sich den unwiderstehlichen Drang zum Theater entdeckt, und da sich die Mutter und die Schwester Clementine nach ihr richten mußten, denn sie war hübsch, geistreich, selbstsüchtig und eigenwillig, so hatte sie jene bestimmt, in Paris zu leben. Da war denn in ihr die Künstlerin und damit die Ruhmsucht erwacht, schon durch den bloßen Eindruck, den die Atmosphäre von Kunst und Ruhm in der Großstadt erzeugt.

Zu jener Zeit kam ich aus der Karthäuserschule nach Hause; ich kannte bis dahin noch nichts als das Studium und die Liebe für meine Familie: Ich gehörte zu den frühreifen Studenten, war aber dabei furchtsam und unerfahren. In Lucie hatte ich mich gleich an dem ersten Tag verliebt, an dem ich sie sah; und von diesem Tage an war kein andres Weib mehr für mich vorhanden und nichts, was mir ein andres Weib Reizvolles bieten konnte. Und in der That, noch jetzt bin ich so gleichgültig gegen weibliche Schönheit, daß ich sie nicht einmal mehr zu begreifen vermag.

Das junge Mädchen bemerkte wohl meine Erregung, und daß sie schon begann, mir Leiden zu verursachen. Bei unsern flüchtigen Begegnungen auf der Treppe, die ich unter tausend Vorwänden herbeizuführen suchte, indem ich ihr auflauerte, so oft sie vom Konservatorium kam, verstand sie es, wenn ich zaghaften Herzens neben ihr ging und kaum die Kraft fand zu grüßen, alle meine Absichten zu durchkreuzen, ohne daß sie mich auch nur eines Blickes würdigte; und schließlich verfiel sie sogar darauf, was das grausamste war, sich von Mitschülern nach Hause begleiten zu lassen, von geleckten, faden, seichten Gesellen, deren Arm sie, sobald sie mich bemerkte, mit zärtlichem Ausdruck an sich preßte. Sie lebte übrigens anständig, nur in der Liebe der ihrigen, und ebenso mißtrauisch gegen die übrige Welt, wie gegen mich.

Glücklicherweise hatte meine Leidenschaft zwei Verbündete, die Mutter und die Schwester Lucies. Diese beiden Frauen, deren einziger Lebenszweck der Ruhm und das Glück ihres Idols war, träumten sofort von einer Heirat, durch die Lucie reich wurde und die Gemahlin eines Mannes aus guter Familie, der sie anbetete. Sie begreifen, welche Kämpfe ich um diese Heirat mit meiner Familie zu bestehen hatte. Aber auch das Mädchen hätte niemals eingewilligt, wenn ihr nicht wiederholte Mißerfolge, erst im Konservatorium und später auf der Bühne in einigen kleinen Rollen, in denen sie debütierte, das Theater verleidet und in ihr den Wunsch erweckt hätten, alle jene Erniedrigungen durch eine glänzende Heirat auszulöschen, durch die sie nun ihrerseits ihre Kolleginnen demütigte.

Ich überwarf mich mit meiner Familie und heiratete Lucie. Ihre Mutter und ihre ältere Schwester zogen zu uns.

Bisher hatte ich nur die gewöhnlichen Leiden erduldet, wie alle diejenigen, die unter tausend Hindernissen ein angebetetes und grausames Weib erkämpfen. Erst an dem Tage, an dem sie mein war, wurde ich wahrhaft unglücklich. Lucie verschmähte mich nicht, aber sie erfand etwas noch Schlimmeres. Sie gab sich mir hin, aber sie erklärte offen, daß ihr meine Zärtlichkeiten verhaßt wären, daß sie meine Liebkosungen nur dulde, weil sie sich dazu gezwungen fühlte, da sie sich mir für mein Vermögen und meinen Namen verkauft hätte. Solche Dinge sagte sie mir, und ich mußte mir sogar noch eingestehen, daß sie damit die Wahrheit traf. Ich war in den Augen meines Weibes die Verkörperung ihres verlorenen Lebens, ihres ausgelöschten Künstlertraumes, ich war ihr die leibhaftige und ewige Erinnerung an den Zusammenbruch ihrer großen Hoffnungen.

Die Wucht der Enttäuschungen, welche auf Alle drückte, die sie umgaben, lastete am schwersten auf mir, und mich mußte sie um so fürchterlicher treffen, weil ich das Weib am meisten liebte. O, über die Erbärmlichkeit des Begehrens! Ich erduldete alles, ihre Kälte, ihre Geringschätzung, ihre Beleidigungen, wenn sie mir nur ihren reizenden Leib überließ, dessen Wert sich mir mit jeder Erniedrigung, die er mich kostete, steigerte. Ich hatte die Überzeugung gewonnen, daß ich mein Leben einer ungewöhnlichen Seele geweiht, einem halb pathologischen Wesen, das aus Selbstsucht, Bosheit und Schadenfreude zusammengesetzt war; und dennoch liebte ich dieses Wesen, und hoffte noch immer – ich Thor! – Gegenliebe zu wecken!

Ich will Ihnen nicht alle Einzelheiten meines leidenvollen Lebens aufzählen ... Was ein Ehemann an seinem Stolz und seiner Liebe Schweres erleiden kann, das habe ich erlitten. In mir sehen Sie einen Mann, zu dem sein Weib eines Tages gesagt hat: Ich werde Dich betrügen, nicht weil ich einen andern liebe, sondern weil ich Dich hasse und Dich entehren will! Und sie hat es gethan. Sie hat mich betrogen mit einem Menschen, der meine ganze Verachtung verdient. Und ich habe mich nicht von ihr getrennt; ich habe nicht aufgehört, sie anzubeten. ...«

Le Thierrey schwieg ... Die Nacht war jetzt völlig heraufgekommen. Man hörte in der großen Stille nur das Plätschern der kleinen Wellen und die gedämpften Töne eines Klaviers, die aus den verschlossenen Fenstern der Villa drangen. Der Erzähler lauschte einen Augenblick jener Musik, und dabei murmelte er mit einem Ausdrucke von Zärtlichkeit, der mir unvergeßlich geblieben:

»Die Pastorale ... Und es ist ihr Spiel! ...«

Er schwieg noch eine Weile, dann fuhr er fort:

»Meine Schwiegermutter war ein Jahr nach meiner Hochzeit gestorben, und meine Schwägerin Clementine wohnte noch immer bei uns. Sie war meine Trösterin. Niemand konnte mein Unglück besser begreifen, niemand es eher mit mir teilen, als dieses arme Mädchen, das freiwillig sein ganzes Leben derselben Gefährtin geweiht hatte, die auch ich mir auserwählt. Unsre beiden Herzen litten an demselben Dämon, an derselben Wunde; und wir hätten nicht erst einer vertraulichen Aussprache bedurft, um das unglückliche Geheimnis zu erraten. An dem Tage, an dem Lucie die letzte Schranke durchbrach und mich verließ, um mit einem Liebhaber zu leben, war Clementine allein im stande, mich vor dem Selbstmorde zu retten.

Ich lebte weiter ... Wir beide, die ältere Schwester und ich, blieben die Hüter des verwaisten Hauses, wie zwei Greise, deren einziges Kind gestorben ist ... Die Welt sah in uns sogleich ein Liebespaar. Ich brauche nicht erst zu sagen, daß das falsch, daß es lächerlich war. Unsre vom Schmerz niedergebeugten Seelen waren gar nicht mehr fähig zu lieben. Aber die Welt wird es nie begreifen, daß sich ein junger Mann und ein junges Weib vereinigen können, um zu weinen. Öffentliche Anzeigen wurden uns zugesandt, man riet uns, ein zweideutiges Verhältnis aufzugeben. Aber, ohne uns hierüber klar zu werden, setzten wir unser altes Leben fort. Wir konnten doch wenigstens gemeinsam von Lucie sprechen. ... Und dann, was ging uns das Gerede an? Waren wir nicht zwei Leute, die gar nicht mehr zu dieser Welt gehörten?

Hier beginnt nun das Drama, von dem ich Ihnen gesprochen habe. Dies Drama ist, wie ich Ihnen schon sagte, an sich alltäglich; deshalb will ich es Ihnen nur in wenigen Worten erzählen. Man hatte Lucie hinterbracht, daß ich der Liebhaber ihrer Schwester sei. Wie war es nur möglich, daß dies Weib, das mich nicht liebte, das mich verriet, sofort von einer so heftigen Eifersucht gepackt wurde, daß es sie zum Verbrechen führte? Ich denke mir, daß sie von dem Gedanken beherrscht war: Die beiden Menschen, die ich gequält habe, trösten sich nun gegenseitig. ... In jener Zeit hatten einige sensationelle Prozesse das Vitriol in Mode gebracht. Eines Abends, als wir beide, Clementine und ich, nach einem melancholischen Spaziergange, untergefaßt in unser Haus eintraten, demaskierte sich plötzlich ein Weib, das versteckt in einem Flurwinkel stand, und goß über uns den Inhalt eines mit einer Säure gefüllten Gefäßes. Clementine war im Gesicht und auf der Brust getroffen und starb am nächsten Morgen unter entsetzlichen Qualen. Ich wurde nur an der rechten Schläfe besprengt, aber ich verlor das Auge und blieb für das ganze Leben gezeichnet. –

Haben Sie schon etwas von jenen Fällen von Wahnsinn oder Blödsinn gehört, die durch einen Sturz oder einen heftigen Stoß am Kopfe geheilt werden?

In der Seele Lucies ging etwas ähnliches vor, ebenso plötzlich und ebenso wunderbar. Diese Seele war, wie die des Lorenzaccio von Musset, groß in einem Verbrechen, aber nur in einem einzigen. Als das Verbrechen begangen war, bekam sie plötzlich wieder eine gewöhnliche Menschenseele, die barmherzig und duldsam war, und zwar einmal für immer, wie durch eine Beschwörung. Wie sie uns fallen sah, stürzte sie sich auf unsere Leiber, weinte, verriet sich selbst, schrie nach Hilfe, wie in einem schrecklichen Anfalle von Verzweiflung. ...

In ihrer Gefangenschaft mußte man sie beständig überwachen, um sie am Selbstmorde zu hindern. Und als es mir dann gelungen war, sie vom Gerichte wieder zu erlangen, indem ich mich selbst anklagte und den reinen Namen ihrer Schwester angriff (daß sie mir es verziehen hat, des bin ich gewiß), – da pflegte sie mich mit unvergleichlicher Ergebenheit, und rettete mir das Leben mit Gefahr ihrer eigenen Gesundheit.

... Diese Ereignisse sind jetzt mehrere Jahre her; aber nachdem ich mir die Liebe meines Weibes einmal gewonnen hatte, blieb sie sich treu. Zur selben Zeit, als sich ihr Herz dem Mitleide und der Liebe geöffnet hatte, war auch ihr Leib für die Zärtlichkeiten der Liebe empfänglich geworden ... Was kann ich Ihnen noch mehr erzählen, mein Herr? Ich habe gern die Vergangenheit vergessen. Ich liebe, und ich werde geliebt. Diese Worte sagen alles. Ich bin entstellt und leidend für mein ganzes Leben. Die meisten meiner Beziehungen habe ich abgebrochen; diejenigen von meinen ehemaligen Freunden, die mich nicht offenkundig verlassen haben, beklagen mich oder verachten mich. Die Ärzte sagen mir, daß mein Leben kurz sein wird, und ich fühle zuweilen aufs neue an meiner Wunde den wütenden Schmerz von früher. Aber Lucie ist mein, endlich gehört sie mir ganz an, mit Leib und mit Seele, ich bedauere nichts, ich habe mein Glück nicht zu teuer bezahlt. ...«

Der Erzähler hörte auf zu sprechen ... Im Dorfe war alles still, die Lichter waren erloschen, auch das Piano in der Villa war verstummt. Nur die geheimnisvolle Stimme des Meeres belebte die Nacht. Und schweigend, versunken in unsern Betrachtungen, wurden wir nicht müde, hinauszuschauen auf dieses unbewegliche und rauschende Meer, das so oft der Seele des Weibes verglichen wurde. ...


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