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Niotte

Mein liebes Kind!

Ich billige den Plan, den Du mir in Deinem letzten Brief mitgeteilt hast, vollkommen. Ich finde es sehr richtig, wenn Du eine Magd nimmst, die für Deine häusliche Bequemlichkeit sorgt und für Dich kocht, wenn Du erst in Dein neues Atelier eingezogen bist. Du weißt, wie entsetzt ich über die Nachlässigkeit und Unsauberkeit – ich habe kein anderes Wort dafür – Deiner vorigen Haushälterin war, als ich Dich letzten Januar besuchte. Und dann ist auch das Essen im Restaurant, besonders in Paris, auf die Länge nicht zuträglich.

Über eine große Auswahl von freien Dienstboten kann ich augenblicklich nicht verfügen, Du weißt, wie das mit der Jahreszeit ist. Ich habe nun für Dich, mein Patenkind, die kleine Vincent (Tochter des Pächters von Coubre) in Aussicht genommen.

Sie ist freilich kaum 16 Jahre alt, aber so kräftig wie eine ausgewachsene Frau und sie ist recht klug. In der letzten Zeit kommt sie oft zu uns ins Haus, um unsrer armen Medée, die recht alt wird, zu helfen. Sie ist sauber und gelehrig und versteht sich ganz gut auf die Küche.

Ich habe den Eltern 12 Francs monatlich angeboten und sie nahmen es an. Wenn es Dir recht ist, so kann Niotte, wie ihre Familie sie nennt (ich glaube, es soll eine Abkürzung von Mignote sein) gleich nach Paris kommen. Wenn sie in Deinem Dienst ist, mein Sohn, so vergiß nicht, daß die Kleine gut und fromm ist, laß sie nichts Schlechtes sehen und achte darauf, daß sie ihren religiösen Pflichten nachkommt.

Richonnet geht es viel besser mit seiner Erkältung. Alice hat den ersten Preis für Religionsunterricht bekommen.

Virginie hat ein Fohlen geworfen, das wir Paul getauft haben, es ist sehr niedlich, aber so furchtsam, daß wir alle unsern Spaß daran haben.

Über Deinen Erfolg sind wir alle miteinander sehr froh. Ich habe dem Herrn Pfarrer die Zeitungsausschnitte zu lesen gegeben, die Du mir schicktest. Er war etwas entsetzt, wie er gesehen hat, daß Du Frauen malst, die sich auskleiden. Mir geht es eigentlich ebenso, ich liebe diese Art von Sachen nicht, aber wenn es für Dein Studium notwendig ist, so mag es in Gottes Namen sein.

Ich umarme Dich in Gedanken aufs zärtlichste, mein lieber Maurice; Alice, Richonnet und Medée schließen sich mir an.

Deine Dich liebende Mutter.

Dieser Brief, der dem Maler Maurice Despagney von Zeit zu Zeit, wenn er seine Schubfächer durchwühlte, wieder in die Hände kam, erinnerte ihn an eine der glücklichsten Epochen seines vergangenen Lebens. Es war eine jener Zeiten gewesen, wo sich das Leben zu verzehnfachen scheint und der man später in der Erinnerung fast ungläubig gegenübersteht und sich fragt: »War ich das denn wirklich?« –

Er hatte diesen liebevollen Brief mit den festen Schriftzügen gerade in dem Augenblicke erhalten, wo er sich plötzlich aus dem Halbdunkel einer unbekannten Künstlerexistenz zu einer der notorischen Größen von Paris emporschwang. Einige Arbeiten, die er in einem für 8 Tage gemieteten Atelier ausstellte, hatten dazu genügt. –

Am nächsten Morgen schon war er bekannt, wurde mit Aufträgen überhäuft und von der ersten Gesellschaft mit Einladungen bestürmt.

Die arme Niotte, die gerade mitten in dieser Glückskrise bei Despagney ankam, wurde von ihm ganz übersehen. Der Maler hatte ihr nur einige kurze Instruktionen gegeben und sie dann gleich wieder in die Küche geschickt, indem er ihr befahl dieselbe so wenig wie möglich zu verlassen. Es war ihm gar nicht in den Sinn gekommen, daß das Kind nicht häßlich war, nur etwas zu rot, die Haare etwas zu farblos. Sie war auch ziemlich linkisch, eingeschnürt wie ein Paket in erdfarbige Gewänder, wie sie die Bäuerinnen von Mittelfrankreich mit Vorliebe tragen. Wenn er darauf gekommen wäre, sie von ihrer seltsamen Toilette zu befreien und sie auf das Modellpodium steigen zu lassen. –

Aber es war überhaupt nicht die Rede von Niotte; damals – Despagney genoß gerade die ersten Wonnen des Berühmtseins, wozu auch gehörte, die Freuden eines gewissen Schlages von gereifteren Weltdamen vermehren zu helfen, die sich einen Beruf daraus machen Neulinge ins Leben einzuführen.

Wie oft wurde Niotte, nach einer der sogenannten »Sitzungen«, die dazu dienen sollten, die abgelebten Züge dieser Damen wiederzugeben, aufgefordert, das im Nebenraum des Ateliers befindliche Ruhelager ihres Herrn wieder in Ordnung zu bringen. –

Ach, die gute Herrin von Coudraie, ihre Patin, wenn die sie bei dieser Beschäftigung gesehen hätte! Wirklich, Maurice gab seiner unschuldigen Dienerin ein gutes Beispiel.

Aber Niotte beklagte sich nie. Sie brachte das Bett und alles was dazu gehörte, wieder in Ordnung – alles mit derselben passiven Unterwürfigkeit, die sie den wechselnden Launen ihres Herrn immer entgegenbrachte. Nur wenn sie damit fertig und wieder in der Küche oder in ihrem Zimmer war, weinte sie oft lange, lange – – und ganz allein.

Vom ersten Tage an, wo sie Maurice gesehen hatte mit seinem schweren braunen Haar, seinem dunklen Teint, seinen tiefen schwarzen Augen und der nachlässigen Grazie seiner Kleidung und seiner Manieren, hatte sie sich in ihn verliebt.

Seit Niottes Ankunft waren Jahre vergangen, Jahre eines Pariser Künstlerlebens, die im Augenblick so kurz und reich und voll erscheinen und wenn sie dahin sind – so leer.

So verflossen 5 Jahre, 10 Jahre, 15 Jahre. Despagney brachte sie damit zu, die Porträts seiner Zeitgenossen zu malen und mit ihren Frauen oder Maitressen ein üppiges Sündenleben zu führen. Und bei diesem Doppelspiel wuchs seine Berühmtheit. Er malte erst die Journalisten, dann kamen die Politiker und die Geistlichkeit und schließlich die Banquiers und Lebemänner. Nachdem er die ältlichen Beschützerinnen der jungen Talente besessen, ließ er sich von excentrischen jungen Weltdamen lieben und schließlich von den Schauspielerinnen des Tages und den berühmten Cocotten.

Und während alledem vollendete die Zeit dort unten in Coudraie ihr Zerstörungswerk. Die Herrin des Hauses war gestorben, die jüngere Schwester an einen Landarzt verheiratet, Bichonnet Offizier geworden. –

Das alte, schattige Coudraie – der Maler war jetzt der alleinige Besitzer. Er hatte das ganze Gut den andern Erben abgekauft. Wie die meisten Naturen, die nur ihren Träumen leben, trieb er Kultus mit dem Ort, wo diese seine Träume zum erstenmal rege geworden waren. Jedesmal, wenn ihn die Pariser Luft, die käufliche Kunst, die großen Diners und die Liebschaften der großen Welt fast zu ersticken drohten, sagte er sich: wenn ich dieses verfluchte Porträt da fertig habe, gehe ich nach Coudraie und bleibe dort 6 Monate.

Aber wenn das eine Porträt fertig war, fing er ein neues an. Er kam während der Jahre nur ein einzigesmal nach Coudraie, um seine Mutter zu begraben.

Und Niotte?

Niotte folgte dem Glücksstern des Malers. Vom Mädchen für alles war sie zur Haushälterin avanciert, seit Maurice sich einen Kammerdiener hielt.

Die Jahre, die das feine Gesicht Despagneys gefurcht und seinen Bart gebleicht hatten, waren mit ihr gelinder gefahren.

Und doch hatte auch sie sich verändert, sie war schlanker geworden, das eingeschlossene Leben, das sie führte, hatte sie bleicher gemacht, die künstlerische Atmosphäre, die sie täglich einatmete, ihren Geschmack verfeinert, vielleicht hatte auch das still verschwiegene Leiden ihrer Seele dazu beigetragen. Denn die arme, einsame Niotte liebte immer noch; still und hingebend liebte sie ihren Herrn, während ihr Herz beim Anblick seiner vielen Liebeshändel blutete.

Im vorigen Monat ist Despagney doch schließlich nach Coudraie zurückgekehrt. Er wurde endlich zu diesem Entschluß getrieben durch die immer wachsende Verbitterung über die Gleichgültigkeit, welche die einstigen Liebhaber seiner Malerei, die immer wieder den neuauftauchenden Talenten nachliefen, jetzt ihm gegenüber an den Tag legten, durch die Treulosigkeit einer Geliebten, mit der er 5 Jahre gelebt, durch zwei oder drei Kritiken der Boulevardblätter, die sich bestrebten ihn herunterzureißen – und dann durch einen leichten Anfall von Rheumatismus.

Coudraie mit seinem stillen Hause, seinem verwilderten Parke, diese ganze Landschaft, die für ihn so viele Erinnerungen barg, alles das konnte die Wunden, die sein Herz und sein Selbstgefühl empfangen, nicht heilen, aber wenigstens für einige Zeit lindern. Auge in Auge mit dem Schatten seiner entschwundenen Jugend versank er in Betrachtungen darüber, wie kein Wesen auf der Erde über den ihm vorgeschriebenen Kreis hinaus kann. Sein Kreis war immer zu eng für ihn gewesen, aber er war immerhin noch weiter als so mancher andere.

Niotte hatte ihn auf seiner Weltflucht begleitet. Er lebte nun fast allein mit ihr.

Und hier, in dieser Einsamkeit geschah es, daß er zum erstenmal bemerkte, daß Niotte hübsch war und daß er zum erstenmal auf den Gedanken kam –

Die arme Niotte! Sie dachte gar nicht an Widerstand. Sie gab sich ihm hin, so jungfräulich und so leidenschaftlich, wie sie sich ihm schon vor 15 Jahren hingegeben hätte, wenn er nur gewollt –

Und wenn sie erst wieder in Paris sind? Mag er sie vor ihren eigenen Augen mit andern betrügen, mag er sie von sich stoßen, sie töten, sie wird alles ohne eine Klage hinnehmen.

Niotte hat ihre Bestimmung erfüllt. Niotte ist glücklich.

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