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Der Mord Aubry

(Aus den Akten)

buchschmuckAnstatt mich der Qual oder Langeweile eines Verhörs zu unterziehen, will ich, nach dem was geschehen ist, lieber in wenigen knappen Worten mein Selbstbekenntnis niederlegen, das mir diese beiden würdevollen Hohlköpfe, der Untersuchungsrichter und der Präsident der Geschwornen, sonst vor Gericht abnehmen müßten.

Zu der Zeit, da ich noch ein reicher, freier Mann war, haben die beiden zu oft an meiner Tafel gesessen, als daß ich noch Grund haben könnte, etwas von ihrer Intelligenz und ihrem Scharfsinn zu halten.

Wenn sie jetzt lesen, was ich hier niederschreibe, mögen sie mir dafür danken, daß ich ihnen eine Geistesanstrengung erspare, die ihre Verdauung stören könnte und daß ich sie zudem davor behüte, sich durch die albernen Fragen, die sie mir sicherlich stellen würden, lächerlich zu machen.

Also –: ich habe meine Frau getötet. Um die Einsicht meiner Richter zu erleuchten, fasse ich kurz die äußeren Umstände zusammen, die das Verbrechen begleiteten.

Wir beide, meine Frau und ich, hatten die vom Generalschatzmeister veranstaltete Soiree mitgemacht. Die andern Gäste, die dort mit uns zusammen waren, hatten nichts von einem schlechten Einverständnis oder irgend welcher Gereiztheit zwischen uns bemerkt. Ebenso hat der Kammerdiener, der uns zu Hause erwartete, erklärt, daß wir an diesem Tage in nichts von unsern sonstigen Lebensgewohnheiten abgewichen waren, bis zu dem Moment, wo er uns verließ, nachdem er uns noch ein kleines Abendessen serviert und die Anordnungen für den nächsten Tag entgegengenommen hatte.

Eine Stunde später, vielleicht gegen ¾2 Uhr, wurden unsere Leute durch den Knall von drei Schüssen aus dem Schlafe emporgeschreckt. Sie stürzten in unser Zimmer und fanden meine Frau im Hemd zu Füßen des Bettes ausgestreckt, während das Blut sich aus drei Wunden an ihrer Brust ergoß – und mich im Frack, den Revolver in der Hand, an den Kamin gelehnt.

Über die Person des Mörders konnte kein Zweifel bestehen; außerdem leugnete ich auch nichts. Ich ließ mich ruhig ins Gefängnis führen und erklärte, meine Frau getötet zu haben, weil sie mich betrog.

Auf alle Fragen, wie mir meine Schande zur Gewißheit geworden sei, habe ich die Antwort verweigert und bin bis jetzt bei dieser Weigerung geblieben. Heute jedoch habe ich mich entschlossen, meine Gründe anzugeben. Aber ich gebe sie, ohne mir Illusionen zu machen. Sie sind zu subtiler Natur, als daß sie die zwölf braven Biedermänner – Krämerseelen oder Rentiers, – die demnächst über mein Leben richten werden, verstehen sollten.

Die That, die ich begangen, sowie die furchtbare Erkenntnis, die mich dazu antrieb, sind in ihren eigentümlichen Ursachen in den näheren Umständen meiner Heirat, in dem Charakter meiner Frau und in ihrer Erziehung begründet.

Ihr Mädchenname war Jeanne de Carnoules. Sie gehörte, wie hier jedermann weiß, einer der ältesten Adelsfamilien an. In dem alten Schlosse der Carnoules wuchs sie auf. Ihr Vater war durch einen Sturz mit dem Pferde geistesschwach geworden, die übrige Familie bestand aus drei Frauen, Jeannes Mutter, Tante und Großmutter, alle drei waren sehr fromm, wahre Laienschwestern.

Der Krach der »Union générale« richtete die Familie Carnoules vollständig zu Grunde, ruinierte sie bis auf den letzten Heller, bis auf die letzte Scholle, bis auf den letzten Stein des alten Schlosses.

Die drei Frauen, die Jeanne erzogen hatten, standen diesem Ereignis völlig wehrlos gegenüber; sie erwarteten, daß man sie, mitsamt dem gebrechlichen Greise und dem jungen Mädchen, einfach aus dem Hause jagen würde.

Jeanne selbst wollte ins Kloster gehen. Damals hielt ich um ihre Hand an.

Ich war erst seit einigen Monaten in der dortigen Gemeinde, wo ich den Betrieb einer Mine zu leiten hatte, und doch hatte ich mich schon bis zur Sinnlosigkeit in das Madonnengesicht des jungen Mädchens mit seinem melancholisch verzückten Ausdruck verliebt.

Kurz vor dem Krach hatte man mich im Schlosse verlacht und abgewiesen. Nachdem das Unglück hereingebrochen war, wurde ich mit offenen Armen aufgenommen; ich war reich, ja mehr wie reich, denn meine Arbeit trug mir alljährlich ein ganzes Vermögen ein. Ich kaufte Carnoules zurück und stellte die Gläubiger zufrieden. Dem Alten und den drei Frauen sicherte ich ein ausreichendes Einkommen – und Jeanne wurde meine Frau.

Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß sie sehr fromm war. Damals als wir heirateten, ging ihre Frömmigkeit bis zur Exaltation, etwa nach Art der heiligen Theresia oder der Maria Margaretha.

Von dieser übertriebenen Religiosität wurde sie durch die Ehe eine Zeitlang abgelenkt, denn – die Ärzte behaupten, daß das nicht selten vorkommt und auch ganz natürlich ist – dieses, so streng erzogene Mädchen wurde, nachdem es einmal die Liebe kennen gelernt, feurig und hingebend.

In den ersten zwei Jahren war sie mir gegenüber mehr Maitresse als Gattin. Bis zur geistigen und körperlichen Erschöpfung habe ich sie geliebt. Mit der Zeit wurde das heiße Begehren ruhiger, wie wohl jede menschliche Leidenschaft.

Ich war jetzt weniger mehr der Liebhaber meiner Frau, ich wurde ihr Freund. Wahrscheinlich litt sie darunter, aber sie war sehr stolz und zugleich sehr sanft – sie verbarg ihre Leiden vor mir oder ich verstand es nicht, dieselben zu erkennen.

Ich bemerkte, daß ihre Frömmigkeit wieder inniger wurde, sie nahm ihre zur Zeit unserer großen Liebe etwas vernachlässigten Religionsübungen wieder auf. Sie versuchte sogar, Proselyten zu machen, schickte unsere Leute häufig zur Beichte und machte sogar einige schüchterne Versuche, auch mich zu bekehren.

Ich bin Atheist. Ich glaube nur an natürliche Kräfte, deren Ursachen ich wahrnehmen kann, und das genügt mir völlig zum Verständnis der Welt. Ich gestehe, es mag ziemlich kindlich sein, aber ich kann es oft nicht unterlassen, über die religiösen Gebräuche zu spotten. Der Anblick der äußeren Zeremonien und des Schaugepränges, das oft mit der Andacht verbunden wird, versetzt mich in eine gewisse Gereiztheit. Ich kann es mir dann nicht versagen, beißende Bemerkungen oder verächtliche Gebärden zu machen, die mir, wie ich glaube, den unverdienten Ruf eines schlecht erzogenen und intoleranten Menschen eingetragen haben.

An unserem Hochzeitsabend sah ich Jeanne, schon halb entkleidet, vor dem Lager, auf dem sie meine Frau werden sollte, niederknieen und lange beten. Das war mir peinlich und verstimmte mich. Aber ich hatte zu große Furcht, ihr Mißfallen zu erregen und bezwang mich, bezwang mich auch noch die nächsten Tage, bis ich die egoistische Genugthuung hatte, zu fühlen, daß sie mich lieben gelernt. Dann erging ich mich in einer Reihenfolge von mehr oder weniger geistreichen Spöttereien, ich nahm in sarkastischer oder in freigeistiger Weise Stellung zur Sache, während meine Frau unbeirrt jeden Morgen und jeden Abend betete. Sie blieb dabei, sanft aber bestimmt, und that als ob sie gar nichts bemerke. Im Grunde genommen mußte ich die Beharrlichkeit bewundern, mit der sie fortfuhr ihren Cultus zu treiben, eine Beharrlichkeit, die nicht nachließ und allen Angriffen Trotz bot.

So flossen Tage, Monate, Jahre dahin. Meine Frau näherte sich ihrem dreißigsten Lebensjahr, ich hatte, das vierzigste vollendet. Bei mir war das Feuer der Jugend verlodert, meine Sinne waren ruhig geworden, ich liebte Jeanne mit einer tiefen, fast wunschlosen Zärtlichkeit.

Sie machte mich sehr glücklich, und dieses stille, häusliche Glück, verbunden mit den schwerer wiegenden Sorgen meiner Geschäftsthätigkeit, machte mich blind dagegen, daß ein unsichtbares Etwas langsam die Kraft und die Gesundheit der noch jungen Frau untergrub. Sie war immer noch schön, aber das Übel, das an ihr zehrte, schritt fort; alle sahen, fühlten das, nur ich nicht.

Mir war niemals der Gedanke gekommen, daß Jeanne jetzt, da ihr Mann aufgehört ihr Liebhaber zu sein, sich anderweitig Ersatz suchen könnte. Im stillen fühlte ich mich durch tiefe Religiosität, die ich an ihr kannte, darüber beruhigt; durch die Gradheit ihrer Seele, den Haß gegen Heuchelei und Lüge, der den Grundzug ihres Charakters bildete.

Dann, jetzt sind es vielleicht drei Monate her, fand eine fühlbare Änderung in ihrem Wesen statt, so fühlbar, daß sie mich, trotz meiner sonstigen Gleichgültigkeit, frappierte. Meine Frau, die sich seit Jahren mit der Rolle meiner Gefährtin und Freundin begnügt zu haben schien, zeigte mir durch deutliches Entgegenkommen, daß sie doch noch etwas anderes wünschte als meine Sympathie, daß sie sich nach Liebkosungen sehnte. – Damals waren meine Ehre und mein Glück noch unangetastet. Es hätte nur von mir abgehangen, sowohl Jeanne wie mich zu retten. Natürlich ließ ich mir diese Möglichkeit entgehen. In meinem Egoismus opferte ich meiner Ruhe die Gesundheit und die Befriedigung meiner Frau. Sie mußte wohl empfinden, daß mir ihre an den Tag gelegten Wünsche nach physischer Liebe lästig wurden, denn sie stand schließlich davon ab. Ich nahm wahr, daß sich, wie immer in solchen Fällen, ihre Andacht verdoppelte; besonders die Abendgebete wurden länger, heftiger, inbrünstiger und zuweilen, wenn sie sich erhob und sich zum Schlusse bekreuzte, bemerkte ich Thränen in ihren Augen.

So lebten wir weiter bis zum 29. Mai, dem Tage des Verbrechens. Er verlief wie alle andern Tage. Ich widmete mich meiner Arbeit in der Mine oder in unsern Geschäftsräumen. Und Jeanne – die Nachforschungen haben später ergeben, daß sie ausgegangen und etwa drei Stunden fort gewesen war, aber es hat niemand darüber Aufschluß geben können oder wollen, wo sie dieselben zugebracht. Ich sah sie beim Mittagessen, das wir ziemlich schnell und schweigsam einnahmen. Dann kleideten wir uns für die Soiree beim Generalschatzmeister an. Dort wurden wir bald voneinander getrennt. Meine Frau saß in der ersten Reihe der Zuhörer, umgeben von einigen Leuten, die sich stets um sie zu versammeln pflegten, was mich nicht weiter beunruhigte. Ich selbst – ich verabscheue die Musik – hatte mich so bald als möglich in den Park geflüchtet und rauchte dort meine Cigarre in der Gesellschaft eines intelligenten jungen Unterbeamten. Dieser Jüngling hat nachher bestätigen müssen, daß ich vollkommen ruhig war und absolut nicht aussah wie ein Mann, der die Absicht hat, einige Stunden später seine Frau umzubringen.

Ich will mich kurz fassen und alle unbedeutenden Nebenumstände, wie sie sich dann zusammenfanden und jedermann bekannt sind, beiseite lassen. Ich gehe zu dem Augenblick über, wo wir wieder zu Hause angekommen waren. Der Diener hatte uns verlassen und wir waren allein in unserm Zimmer.

Wie gewöhnlich sprachen wir nicht miteinander. Jeanne zog sich langsam aus. Ich stand am Kamin und prüfte die Ladung meines Revolvers, den ich des Nachts stets in meiner Nähe habe. Es ist das eine Angewohnheit aus meiner Jugendzeit in Amerika.

Plötzlich fiel mir etwas auf, ein ganz ungewöhnlicher Umstand. Meine Frau ging auf ihr Bett zu, schlug die Decken zurück, schlüpfte hinein und streckte sich, das Haupt in die Kissen gedrückt, zum Schlafen aus, – alles das ohne ihr Gebet verrichtet zu haben. Ich weiß wohl, daß es denen die meine Schrift lesen, nicht möglich sein wird, mir das Erstaunen, die Erschütterung nachzuempfinden, die diese anscheinend so kleine, unbedeutende Thatsache in mir hervorrief. Mich entsetzte und überraschte das so sehr, als ob – welchen Vergleich soll ich wählen – als ob zum Beispiel ich gesehen hätte, wie meine Frau einen Mann auf den Mund küßte.

Ich konnte mich nicht enthalten auf sie zuzugehen und sie beim Namen zu rufen:

»Jeanne!«

Sie öffnete die Augen mit Mühe und antwortete, während sie sehr blaß wurde: »Mein Lieber?«

Ich zwang mich zu einem Lächeln und fragte:

»Betest Du denn nicht heute Abend?«

Sie schloß die Augen wieder, als ob sie meinem Blick ausweichen wollte und murmelte: »Nein«, so leise, daß ich es kaum hören konnte. Ich ließ nicht nach:

»Warum betest Du denn nicht, wie sonst? Habe ich Dich etwa bekehrt, Liebste?«

Diesmal antwortete sie nicht und that als ob sie wieder einschlafen wolle. Wie ein Blitz durchzuckte es mein Hirn. Daß meine Frau nicht betete, war ein Zeichen, daß in ihrer Seele eine schreckliche Zerrüttung herrschen müsse.

Ich bin heftig, sogar sehr jähzornig, wenn ich auch nicht leicht in Zorn zu bringen bin. Mich erfaßte die Lust, diese nackten Schultern, die ich aus den Tüchern hervorleuchten sah, zu erfassen, sie mit eisernem Griff zu packen, sie zu zermalmen, bis der Schmerz diese festverschlossenen Lippen geöffnet hätte.

Und doch beherrschte ich mich. Ich kniete vor dem Bett nieder und ganz dicht an ihrem Ohr stammelten meine Lippen:

»Verzeih mir, liebes Kind, ich weiß, daß es thöricht und lächerlich ist, so in Dich zu dringen. – Nachdem ich Dich so albern mit Deiner Andacht verspottet, habe ich kein Recht Dich zu fragen, warum Du nicht mehr betest. Aber sei lieb, antworte mir. – Sage mir nur: es ist eine Laune, – und ich bin zufrieden.«

Sie wollte immer noch nicht antworten. Ich stand wieder auf. Ich riß ihr die Decke weg, um sie zum Aufstehn zu zwingen. Sie richtete sich empor; ihre Augen öffneten sich weit, und was ich in dem Augenblick darin las war das Geständnis ihrer Schuld und die Angst jetzt sterben zu müssen.

»Sprich Dein Gebet«, fing ich wieder an. »Kniee nur nieder – hier – und schlag zweimal das Kreuz. Etwas anderes will ich ja nicht von Dir. Wenn Du nicht willst, muß ich glauben, daß Du Dich heute prostituiert hast und es nicht wagst, noch zu beten.«

Sie bewegte die Lippen, aber kein Laut wurde hörbar. Ich nahm meinen Revolver vom Kamin und fuhr fort, während ich den Lauf zu Boden gerichtet hielt:

»Gesteh, daß es wahr ist. Du hast einen Liebhaber. Du hast Dich heute einem Manne hingegeben. Ich verlange, daß Du nein sagst. Ich will, daß Du betest.«

Sie rührte sich nicht, sagte kein Wort. Ihre weit geöffneten Augen hefteten sich starr auf meine rechte Hand, die die Waffe hielt. Sie folgte jeder Bewegung derselben, während ich den Lauf erhob, den ich auf ihre nackte Brust richtete.

»Mein Gott, o mein Gott,« sagte sie nur. Ich fragte sie nicht mehr. Ich hatte Gewißheit. Dreimal drückte ich ab. Die Kugeln drangen in ihren Busen ein, erst bei der dritten fiel sie in ihrem Blut vor dem Bett nieder.

Ich stützte mich auf den Kamin und wartete.

Einen ganzen Monat habe ich in der Einsamkeit meines Gefängnisses darüber nachgedacht und mein Gewissen geprüft. Solange meine Frau lebte, war ich kein guter Mann für sie, darin liegt meine Verschuldung. Aber an dem Tage, wo ich sie tötete, war ich in meinem Recht als Ehemann, denn sie hatte mich hintergangen.

Ich bin davon überzeugt – tausendmal überzeugt, so überzeugt, als ob ich es mit meinen eigenen Augen gesehen hätte, so überzeugt, wie ich es von meiner Vernunft bin – und ich bereue nicht, was ich gethan.

Was kümmert es mich, ob die Geschworenen und Richter meine Überzeugung teilen oder nicht. Man wird mich für verrückt erklären? Was macht das? Ich bleibe dabei, daß ich nur Gerechtigkeit geübt habe.

buchschmuck


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