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Nachher

Zehn Uhr abends.

Frau von Robertier, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, allein in ihrem Schlafzimmer, sitzt an einem kleinen Schreibtisch aus englischem Mahagoni, den eine zierliche Lampe beleuchtet. Ein geschlossener Brief liegt vor ihr: Der lange, schmale, gelbliche Umschlag trägt noch keine Adresse.

Frau von Robertier ist halb entkleidet, was ihr reizend steht.

Sie ist eine niedliche, etwas üppige Blondine.

Ihr Teint ist gewiß immer sehr durchsichtig und rein; aber heute abend hat sie viel geweint; man sieht's den Lidern und Wangen an. Frau von Robertier denkt nach.

Und nun, wenn ich nur ein wenig Mut hätte, nur wirklich etwas taugte, würde ich meinem Manne die Wahrheit schreiben. Ich würde ihm sagen: »Da, eine Verworfne bin ich, deiner nicht wert. Weil deine Geschäfte, die doch uns beide ganz gleich angehn, dich von mir fern hielten, habe ich dich betrogen, habe ich einen Liebhaber genommen. Und was für einen! einen Klubläufer, einen Baccaratspieler, einen Stockdummkopf ... Schöne schwarze Augen hat er, ja, und fürstliche Hände und einen großen Namen: Marquis de Formosa. Aber das alles ist nichts, nicht wahr? Das ist doch sicher kein Grund, dich nach zweijähriger glücklicher Ehe zu verraten. Wir lieben uns ja doch ... Denn ich habe dich lieb – ach Jean! – ja, besonders jetzt liebe ich dich, viel mehr als diese Zierpuppe Formosa, die mich soeben, rue de la Baume, von fünf bis sieben Uhr in ihren Armen gehalten hat! ...«

(Erinnerungsflut. Frau von Robertier nimmt den fallengelassenen Faden ihrer Gedanken wieder auf.)

Ja, das würde ich Herrn von Robertier schreiben, wenn ich nur ein wenig Mut hätte. Es wäre rechtschaffen, ehrlich ... (Pause) und unsinnig. Denn das schlimmste für einen Ehemann ist, darum zu wissen. Heute von fünf bis sieben Uhr ist Herr von Robertier so ruhig und zufrieden gewesen, wie alle Tage.

Kein vernünftiger Mensch kann verlangen, daß ich meinen Mann aus Übermaß an Ehrlichkeit unglücklich mache. Ich will Jean sogleich einen sehr zärtlichen ... sogar ein wenig leidenschaftlichen Brief schreiben (furchtbar gern hat er solche Briefe, wenn er von mir getrennt ist). Und dieselbe Post wird Formosa dies kleine Billet bringen, das ich ihm gleich, nachdem ich ihn verlassen hatte, schrieb.

Mein Mann wird seinen Brief übermorgen haben. Formosa den seinen schon morgen. Um Mittagszeit wird er ihm ans Bett gebracht werden ... Ein hübsches Erwachen für ihn.

Ich muß ihn doch nochmals lesen.

(Sie schneidet den Umschlag auf, entfaltet den Brief und liest mit halber Stimme.)

»Mein Herr!

Schwer mißbraucht haben Sie das Vertrauen einer anständigen Frau. Ihre Kuriositätensammlung sollte ich mir anschaun und wieder gehn – so war die Abmachung. Nach dem was geschehen, kann ich Sie nicht wiedersehn. Aber es liegt mir daran, Ihnen zu sagen, daß ich meinen Mann vergöttre, Sie aber verachte.

Jacqueline.«

(Sie überlegt, immer das Billet in der Hand.)

... Aber ... sehr unklug ist, was ich diesem Burschen schreibe. Wenn ers nun im Klub zeigt: das heißt doch ganz klar: »Ich bin Ihre Maitresse gewesen.« Und dann (mit kaum bemerkbarem Lächeln) diese Redensart von den Kuriositäten ist nicht glücklich. Ich war so verwirrt ... Die Verachtungsphrase aber ist ausgezeichnet.

(Sie zerreißt den Brief und fängt einen andern an – mit verstellter Handschrift.)

»Mein Herr!

Sie haben Ihr Wort nicht gehalten. Was ich gethan habe, that ich, weil ich Sie für einen Ehrenmann hielt. Grausam haben Sie mich enttäuscht: Sie begreifen, daß ich Sie nicht wiedersehen kann. Aber mir liegt daran, Ihnen zu sagen, daß ich meinen Mann vergöttre, Sie aber verachte.

I ...«

(Nachdenken.)

Dieser hier ist nicht kompromittierend ... aber ein wenig nichtssagend ist er: »Was ich gethan habe, that ich ...« sagt gar nichts ... Ja, ist schlecht ausgedrückt. Und Formosa ist der Geliebte der Madame Lesconuvre gewesen, die so gut schreibt ... Wirklich, nein, es ist noch immer nicht das richtige.

(Sie zerreißt das Billet und fängt ein andres an.)

»Mein Herr!

Ich bitte Sie inständig, den heutigen Tag aus Ihrem Gedächtnis zu streichen, wie ich es thue. An Ihre Ehre wende ich mich. Nicht wahr, alles ist zu Ende und vergessen? Ich vergöttre meinen Mann, Sie aber ...«

(Sie hält inne.)

Nein, wenn ich in diesem Ton schreibe, kann ich ihm nicht sagen, daß ich ihn verachte. Drei Zeilen höher behandle ich ihn als Mann von Ehre ... Ich will einfach sagen: »Ich vergöttre meinen Mann.«

Gut. Nur kommt dies »ich vergöttre meinen Mann« am Morgen nach dem Tage, an dem ... Er wird lachen. Und mit Recht. Habe ich ihm wirklich etwas vorzuwerfen? Er hat seinen Beruf als Mann ausgeübt ... Ich habe eingewilligt, zu ihm zu gehen, unter dem Vorwand, seine Kuriositäten anzusehen ... aber ... ich wußte, daß er nicht so ruhig sein würde wie ein Museumswärter. O! ich wollte mich verteidigen, widerstehn ... Und dann weiß ich auch gar nicht, wie es kam ... (Bewegung übler Laune.) Auch ists unrecht von Jean, mich solange allein zu lassen.

(Nachdenken.)

... Armer Jean! Dort denkt er an mich. Keine Ahnung hat er! ... O! ich werde ihn sehr lieb haben, wenn er wiederkommt.

(Sie zerreißt den eben geschriebenen Brief und fängt nochmals einen neuen an.)

»Mein Herr!

Ich bitte Sie inständig, den heutigen Tag aus Ihrem Gedächtnis zu streichen, wie ich es thue. Alles muß zu Ende und vergessen sein. Um diesen Preis werde ich Ihrer zwar traurig, aber ohne Haß und Verachtung gedenken.

I ...

(Den Brief überlesend.)

Dieser ist sehr gut. Ruhig, würdig, traurig. Und dann wird er dem armen Burschen nicht weh thun ... Sehr kokett bin ich mit ihm gewesen!

Und nun – soll ich ihn heute noch abschicken? Alle Postämter sind geschlossen ... Betsy wird die Adresse betrachten, Klatschereien machen ... Ich will ihn lieber morgen, wenn ich in den Louvre gehe, selbst zur Post bringen. Jetzt aber ins Bett.

(Toilettesorgen. Gebet. Schlafengehn ... Acht Stunden vortrefflichen Schlafes. Am andern Morgen gegen halb zehn Uhr betritt Betsy das Schlafzimmer ihrer Herrin.)

Frau von Robertier, erwachend: »Nun, – was giebts?«

Betsy: »Gnädige Frau ... von Vaillant ... ein großer Korb ...

Frau von Robertier, ganz munter werdend: »Ach! ... Blumen ... Ich weiß schon ... Es ist gut ... Öffnen Sie meine Fenster und bringen Sie mir den Korb.«

(Betsy gehorcht. Der Korb ist voll wundervoller weißer und roter Rosen. Betsy geht fort.)

Frau von Robertier: »Wie hübsch diese Idee ... den andern Tag, zum Erwachen. Armer Bursche ... so hart habe ich ihm geschrieben!«

(Sie geht an ihren Mahagoni-Schreibtisch, öffnet den Brief von gestern abend, liest ihn nochmals. Geht einige Minuten in ihrem Zimmer auf und nieder. Bleibt vor dem dreispiegeligen Schrank stehn, bemerkt mit Befriedigung, daß der Schlaf die Frische ihres Teints wiederhergestellt hat. Sie geht wieder zum Schreibtisch, zerknittert ihren Brief.)

... Entschieden kann ich ihm dies nicht schicken, nach den Blumen.

(Sie setzt sich und schreibt schnell folgende Worte.)

»Schönen Dank ... Ich bin sehr traurig. Ich möchte das Gestern vergessen. Und kann es nicht. Beklagen Sie mich!

I ...

(Den Brief überlesend.)

So ists gut. Ebenso würdig wie der frühere und freundlicher. Ich will ihn in den Postkasten werfen, wenn ich in den Louvre gehe.

(Sie schellt nach Betsy und kleidet sich an.)

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