Henrik Pontoppidan
Aus jungen Tagen
Henrik Pontoppidan

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VIII

Ich kehre jetzt zu meiner Erzählung von Martha zurück. Gern hätte ich noch eine Weile bei der Erinnerung an ihre erste, frohe Jugend verweilt, ehe die finsteren Wogen der Schwermut über ihrem Haupte zusammenschlugen, und versucht, das liebliche Traumleben, die Zauberbilder, deren goldenen Widerschein ich über ihre Augen hingleiten sah wie Mondschein über einen Waldsee, hier auf dem Papier festzuhalten. Viel könnte auch noch zu verzeichnen sein von der Zeit der Trauer, die folgte, als sie erwachte und sehend wurde; von der Qual, die an ihrem Herzen nagte, wenn sie aus ihren glücklichen Träumen von sanften Liebkosungen und zärtlichen Worten und weichen Händedrücken zwischen Jespers rauhen Fäusten erwachte und fast betäubt wurde von seinem Kautabakatem. Viel – viel wäre zu erzählen von dem Augenblick, als das arme, elende Mädchen wirklich begriff, daß die Pforte zu dem Glückslande des Märchens ihr für immer verschlossen bleiben, daß sie die höchste Wonne des Lebens nie kennen lernen sollte.

Aber ich darf mich jetzt nicht länger hierbei aufhalten, ich muß dazu schreiten, von der furchtbaren Begebenheit zu erzählen, die meine Hand noch heute zittern macht, bei deren Erinnerung sich mein Herz immer wieder zusammenkrampft, und womit das Schicksal seinen todbringenden Pfeil gegen diese wilde Taube des Waldes richtete, die ich wahrlich mit viel Angst, aber auch mit so viel geheimer Hoffnung hatte die Federn abwerfen sehen.

Eines Nachmittags, als ich in den Krug hinauskam, fand ich sie allein. Sie stand vor einem kleinen Spiegel, der an dem Fensterpfeiler hing, und kämmte ihr langes rotes Haar. Sie stand im bloßen Hemd, hatte nur einen kleinen Unterrock an; aber sie empfand nie Scham mir gegenüber, den sie ja halbwegs wie ihren Vater betrachtete, und ich setzte mich hin und plauderte mit ihr, während sie sich fertig ankleidete. Die Mutter, die man von Zeit zu Zeit in der Küche hantieren hörte, war im Begriff, die Kuh zu melken.

Es war helles Wetter, und der Tag ging zur Neige. Die Sonne schien schon lang auf den Fußboden, und um nicht von Fremden gesehen zu werden, zog sich Martha jedesmal, wenn von der Brücke her Schritte oder Wagengerassel hörbar wurden, ein wenig von dem Fenster zurück. Und sie wurde oft gestört. Es verhielt sich nämlich so, daß an diesem Tage in einer Niederung zwischen den Hügeln im Hochwalde ein großes Schützenfest abgehalten wurde, und ein Wagen nach dem andern mit geputzten Leuten rollte vorüber.

Die gewohnten Dämmerstundengäste des Kruges hatten heute Abhaltung bekommen. Nach vielen Erwägungen hatten sie sich nämlich dahin geeinigt, daß sie den Versuch machen wollten, Münze aus diesem patriotischen Fest zu schlagen, an das sich eine Reihe volkstümlicher Belustigungen knüpften.

Der alte Violinspieler Franz und sein Sohn hatten sich in einer Tanzbude engagieren lassen. Lars Einauge und Fährmann Anders hatten gemeinsam eine Damenschaukel übernommen, Weber Zacharias und Jäger Martin ein Bierzelt, während der schwermütige Steinhauer Sören, dessen Fähigkeiten nicht für die große Spekulation ausreichten, sich damit begnügt hatte, eine Kiste Zigarren zum Verkauf anzuschaffen. Endlich hatten sie versucht, Ellen zu überreden, gemeinsam mit ihrer Tochter einem Ausverkauf von Brustzucker und Kaneelstangen vorzustehen; dem hatte ich mich aber auf das bestimmteste widersetzt. Martha wollte nun zusammen mit ihrem Bräutigam, der herkommen und sie abholen wollte, nach dem Fest gehen.

Um Jesper willen schmückte sie sich jedoch nicht. Ja jedesmal, wenn ich seinen Namen nannte, huschte sogar ein finsterer Schatten über ihr Gesicht. Ein andrer, ein Fremder, hatte ihr Herz gestohlen und ihr den eigentümlichen, unsteten Schimmer in die Augen gezaubert. Es war etwas Verborgenes in ihr Wesen gekommen, und sie konnte zuweilen wie rasend werden, wenn ihr etwas in den Weg kam. Namentlich war sie abscheulich gegen Jesper. Eines Abends, als er sie auf den Schoß nehmen wollte, hatte sie ihm eine große Wunde in die Wange gebissen.

Ich hatte wie gewöhnlich versucht, sie auszuforschen, um ihrem Geheimnis auf die Spur zu kommen; aber diesmal vermochte ich nichts aus ihr herauszubringen. Sie stellte sich einfältig an und antwortete mit dem Rücken, wenn ich mit dem Munde fragte. So versuchte ich denn, ob vielleicht ihre Mutter etwas wissen sollte, und das war wirklich der Fall; sie schwatzte auf alle Fälle von einem jungen Menschen, der da »einen ganzen Vormittag über einer Tasse gedruckst« habe; aber einen wirklichen Bescheid, geschweige denn eine zusammenhängende Erklärung konnte ich nicht von ihr bekommen.

Ich dachte mit Angst daran, was geschehen würde, wenn Jesper Martha eines Tages mit einem fremden Manne überraschte. Ich wußte, daß er noch immer von Zeit zu Zeit des Nachts in der Nähe des Kruges auf der Lauer lag, mit einem Knüttel bewaffnet.

Aus dem Schubfach der Lade holte Martha reine Wäsche hervor, Strümpfe, ein Taschentuch sowie ein schwarzes Sammetband mit einem Bernsteinherzen daran und legte das alles auf einen Stuhl neben dem Spiegel. Und bald war sie ganz in Anspruch genommen von ihrem Ankleiden. Ohne es wohl selbst zu wissen, summte sie eine Melodie vor sich hin, während sie das Haar aufband, ihre Strumpfbänder knüpfte und die Schuhe schnürte:

Kommt ein Jüngling in den Wald gegangen.
Blitzt sein Auge vor Verlangen.

Plötzlich erinnerte sie sich, daß dort in der Schublade ein Paar alte silberne Ohrringe von der Mutter lagen. Sie humpelte dahin, der Strumpf hing ihr über dem einen Fuß herab, und probierte sie gleich an, indem sie sich vor dem Spiegel drehte und wendete. Dann nickte sie zufrieden.

Kommt des Wegs ein Mägdelein,
Senkt den Blick so scheu und fein.

Es lag etwas in diesen Liederbruchstücken, was mich aufmerksam machte. Woher hatte sie die? Es waren keine von den gewöhnlichen Bauernliedern. Und doch kamen mir die Worte bekannt vor.

Die Welle treibet still ans Land
Hin zu der tiefen Waldesnacht.
Doch als sie hintern Busch geschaut,
Da wendet sie sich ab und lacht.

So schloß das Lied, das von einem Paar junger Liebenden in einem Walde handelte; und nun wußte ich auch auf einmal, wo ich es früher schon gehört hatte. Der fremde Student, der junge Märchenerzähler, hatte es in jener Nacht von Grethens Hochzeit gesungen. Ich entsann mich, daß ich damals gedacht hatte, das sei ein Lied, das er sehr gern hatte, denn es lag eine eigene Schelmerei auf seinem sonst so unbeweglichen und ernsten Gesicht, während er es sang.

Mich durchzuckte eine wunderlich süße Angst – war er es etwa, für den sie sich hier schmückte wie eine Braut für einen Bräutigam? Der junge Herr streifte ja so zwecklos in der Gegend umher. Was war da natürlicher, als daß sie aufeinander gestoßen waren?

Endlich hatte Martha das Kleid angezogen. Sie trug Waschkumme und Kanne hinaus und räumte ein wenig in der Stube auf, aber sie stand immer wieder vor dem Spiegel, drehte sich davor und sah an ihrem Rücken herab.

Eine schmerzende Schwere hatte sich auf meine Brust gelegt. Ich fühlte, daß ich hier eingreifen mußte. Aber wie? Ach, ich begriff ihre Sehnsucht ja nur zu gut. Ich hatte ihr früher so oft in meinem Herzen ihr Auflehnen gegen den Liebesdrang verziehen, den ihre sogenannten Freunde und Vormünder ihr auferlegt hatten. Und doch! Eine dunkle Ahnung machte mich grauen. Sie flüsterte mir zu, daß hier ein Leben auf dem Spiel stand.

Es schien mir meine Pflicht zu sein, sie zu warnen. Ich erzählte denn also ganz offen, daß Jesper sie belauere, und bat sie, sich vor seinem Mißtrauen zu hüten, damit er ihr nicht ein Unglück antue.

Sie hörte mich schweigend an. Und wieder glitt es wie eine nächtliche Finsternis über ihr Antlitz, das sehr bleich geworden war. Mich packte eine Angst. Ich weiß nicht weshalb, aber ich spürte abermals etwas Todesschwangeres in der Luft und wurde unruhig.

Da stand ich von meinem Stuhl auf und ging gerade auf sie zu. Mit festem Griff packte ich ihr Handgelenk und starrte ihr in die Augen.

»Wen hast du neulich im Walde getroffen?« fragte ich.

Sie wollte mir die Hand entreißen.

»Das geht keinen Menschen etwas an. Laß mich los!«

Aber ich hielt fest, wenn auch schweren Herzens.

»Martha!« sagte ich. »Nimm dich in acht! Stürze uns nicht ins Unglück! Was hast du vor?«

»Laß mich los!« schrie sie. »Laß mich los, sage ich, oder ich beiße!«

Ich taumelte zurück, ganz entsetzt über sie. Sie hatte sich in Wut zusammengekrümmt und stampfte mit den Füßen wie ein Kind, wenn es den Schrei nicht herausbringen kann. Ihr Blick sprühte Funken. In diesem Augenblick verstand ich den Schimpfnamen »Die rote Teufelin«, den ihr die Leute nach ihrem Vater gegeben hatten.

Da ertönten draußen Schritte, und Jespers große Gestalt stand gleich darauf in der Tür, festlich gekleidet, mit rotem Halstuch und breitrandigem Hut. Er muß gleich etwas Aufgeregtes an uns beiden bemerkt haben, denn er blieb auf unheimliche Weise an der Tür stehen und ließ seine mißtrauischen Augen hastig zwischen uns hin und her laufen.

»Ich komm hier woll ungelegen,« sagte er mit seinem häßlichen Lächeln.

»Welch ein Unsinn,« erwiderte ich ihm ganz ruhig. »Martha hat auf dich gewartet. Du kannst wohl sehen, daß sie sich geputzt hat.«

Martha war offenbar selbst von seinem Aussehen eingeschüchtert worden. Sie ging schnell durch die Stube, um ihr Tuch zu holen, und sagte:

»Ja, warum kommst du denn so spät, Jesper? Wir wollen machen, daß wir wegkommen!«

Es war eigentlich nicht meine Absicht gewesen, mit zu dem Fest zu gehen. Aber ich begriff jetzt, daß ich dort würde erfahren können, ob meine Vermutung in bezug auf den Studenten richtig war, weil er in dem Falle sicher da sein würde, und vielleicht konnte ich dann eine Gelegenheit finden, auch ihn zu warnen. Ich ließ aber die andern vorausgehen, und es war bereits halbdunkel, als ich auf dem Festplatz anlangte.

Es hatten sich eine Menge Menschen dort angesammelt. Diese Art von Schützenfesten waren damals noch etwas Neues; im übrigen aber glichen sie gar nicht so wenig den alten Jahrmärkten, die jetzt aufhörten. Am eigentümlichsten waren die Kriegsinvaliden mit ihrem Leierkasten. Und dann waren Anstalten gemacht, um den Festplatz mit bunten Lampen zu erhellen. Im übrigen aber waren da Bärenführer und Buden mit Sängerinnen und alte Weiber, die Lieder sangen, und Siegelstecher und Plattenspiele und vielerlei dergleichen, wie man es an Markttagen in den Städten sieht.

Ich fand Martha und Jesper vor Weber Zacharias' Bierzelt an einem Tisch sitzen, und es zeigte sich, daß meine Ahnungen ganz richtig gewesen waren. An einem andern Tisch, nicht weit von ihnen entfernt, saß der Student und starrte mit ein Paar Augen, die voll Verliebtheit waren, zu Martha hinüber. Hier und da hingen schon brennende Laternen in den Bäumen, und bei dem Schein einer solchen sah ich ganz deutlich sein wie auch ihr Gesicht, obwohl ich mich, um unbemerkt zu sein, ein gutes Stück von ihnen entfernt niedergelassen hatte.

Auch Marthas Blick war groß und sinnend. Sie sah freilich niemals gerade zu ihm hinüber, wie sie auch nicht das leise Nicken erwiderte, womit er von Zeit zu Zeit ihren Blick zu fangen suchte; aber es lag so viel in ihrem Ausdruck, was ihm sagte, daß sie an ihn dachte und nur an ihn allein. All ihr verborgenes Sehnen, ihre ganze geheime Traumwelt spiegelte sich darin ab. Und nicht wie ein gaukelndes Bild, das von ihrem Verlangen nach Liebe und ihrer Schwermut hervorgezaubert wurde, sondern wie eine lebende Wirklichkeit, die ihr verlockend nahe gerückt war.

Ich saß in herzbedrückender Angst da, daß Jasper ihre Geistesabwesenheit bemerken und den Grund dazu entdecken würde. Aber glücklicherweise war sein Auge schon tüchtig umnebelt von dem Kaffeepunsch. Er hatte ein paar Kameraden veranlaßt, sich mit ihm um eine Gluckflasche zu vereinen. Sie waren alle sehr laut und stießen jeden Augenblick unter weitläufigen Freundschaftsversicherungen die Flaschen aneinander.

Was nun den Studenten anbetrifft, so will ich nur das eine sagen, daß er am meisten Ähnlichkeit mit einem Kind hatte oder mit einer jungen Jungfrau in Männerkleidern. Er kann auch wohl nicht viel mehr als achtzehn, neunzehn Jahre alt gewesen sein, war dazu schmächtig von Bau und hatte nichts wie Haut über den Knochen. Auf dem scharfen Nasenrücken saß einer der neumodischen Kneifer statt einer Brille. Mit seinem langen, dünnen Hals, seinem knappen Kinn und seiner großen Nase erinnerte er ein wenig an einen Vogel. Unter dem Kinn trat der Adamsapfel ganz wie ein kleiner Haken vor.

Schön war er also nicht. Aber der unverwandte Blick, mit dem er hinter den Gläsern Martha ansah, so voll von Zärtlichkeit, so ganz versunken in den Anblick, die verhaltene Leidenschaft, die in seinen Augen schwelte und seine Wangen mit dieser jungfräulichen Röte färbte, das alles warf, wenigstens für mich, eine rührende Schönheit über seine Gestalt. Und dann konnte plötzlich ein unruhiger und ängstlicher Ausdruck in sein Gesicht kommen; seine Lippen bewegten sich fieberhaft, und er drückte den Kneifer mit einer kräftigen Bewegung besser fest, als ob er mit Gewalt, wenn auch vergebens, sich aus seinen finsteren Träumereien herauszureißen suchte.

Ich konnte mir jetzt deutlich vorstellen, wie das Ganze zugegangen war. Ich konnte ihn vor mir sehen, so wie er durch den Wald dahergekommen war mit seiner grünen Blechtrommel auf dem Rücken, an dem Tage, als er und Martha einander zum erstenmal dort begegneten. Als freier, fröhlicher Wandersmann, vielleicht mit einem lustigen Lied auf den Lippen, war er den Steig entlang gewandert, als er plötzlich mitten in der schweigenden Einsamkeit des großen, dunklen Waldes vor einer Gestalt stand, halb Kind, halb junges Weib, ärmlich, barfüßig und barhäuptig, aber schön und verführerisch in all ihrer Armut. Wie ist ihm das Blut in diesem Augenblick nicht in die Wangen geströmt! Wie geschäftig hat nicht das Herz unter seinen Rippen gepocht! . . . Ach, ich kannte das ja alles aus meinem eigenen Leben! Auch ich war ja einmal als fröhlicher Jüngling, vor dem die weite Welt offen lag, durch diesen dunklen Wald dahergekommen – ohne zu ahnen, daß ich gerade hier dem Märchen auf meinem Wege begegnen sollte. In der Gestalt einer Frau sollte ich ihm begegnen, und es sollte mir eine Fußangel stellen und sagen: Bis hierher und nicht weiter!

Ich war in meine eigenen weitschweifenden Gedanken versunken, und als ich wieder zur Besinnung kam, waren sowohl Martha als auch der Student verschwunden. Auch Jesper und seine Gefährten hatten sich erhoben. Sie standen in einiger Entfernung da, umfaßten einander an den Schultern und rangen in jener halb scherzhaften Weise, die zwischen bezechten Freunden so oft die Einleitung zu einer wirklichen Prügelei ist.

Martha sah ich noch immer nicht, und im selben Augenblick wurde es mir klar, daß sie und der Student die Gelegenheit benutzt hatten, um allein zu bleiben. Ich entsinne mich, daß ich vor Angst zu zittern begann. Was würde geschehen, wenn Jesper das entdeckte?

Ich war denn auch überzeugt, daß sie nicht wagen würden, lange fortzubleiben und folglich auch nicht weit weggegangen sein konnten, und ich machte mich daran, zwischen den Bäumen in der Nähe nach ihnen zu suchen. Hier lief ein Steig, auf dem man gehen konnte, ohne vom Festplatz aus gesehen zu werden, und trotz des Lärms, der von dort herschallte, hörte ich denn auch nach einer Weile Stimmen, die sich aus dem Dickicht näherten. Die eine war die des Studenten; seine Sprache war hier leicht wiederzuerkennen, und er redete auch am meisten. Aber auch Martha konnte ich hören. Ich stellte mich hinter einen Baumstamm und fing von hier aus Bruchstücke ihrer Unterhaltung auf, während sie langsam und häufig stehen bleibend vorübergingen.

»Warum sind Sie heute so schweigsam?« fragte er. »Warum sind Sie überhaupt so ernsthaft?«

»Ich bin nich ernsthaft!« antwortete sie.

»Aber dann so gedankenvoll. Warum sind Sie das?«

»Denn muß es woll darum sein, weil da nich so viel is, worüber man fröhlich sein kann.«

»Sie können also nicht mehr fröhlich sein? Wer sollte es wohl übers Herz bringen, Ihnen zuwider zu sein? Ich denke mir vielmehr, daß alle jungen Burschen der Gegend Sie verliebt umschwärmen. Und das würde kein Wunder sein. Das kann ich sehr wohl verstehen.«

»Ach, das meinen Sie ja gar nich!«

»Meine ich das nicht? Ach, vielleicht nur zu sehr. Wissen Sie, woran ich oft denken muß?«

»Nein.«

»Sie haben doch wohl von den Elfen reden hören . . . die in Mondscheinnächten unter einem Klettenblatt geboren werden? Ich habe mir erzählen lassen, daß, wenn sie erwachsen sind und in Elfenmädchen verwandelt werden und mit langem Haar gehen dürfen, ihre Urgroßmutter, die Moorfrau, ihnen einen Eichelbecher mit einer Hexensalbe schenkt. Wenn sie dann die Schritte eines Wandersmannes im Walde hören, so stellen sie sich auf die Lauer und – wupp! – ist der verwirrt. Sagen Sie mir doch, hatten Sie diese Salbenkruke nicht an jenem Tage bei sich, als wir uns zum erstenmal begegneten?«

Sie waren jetzt dicht bis an mich herangekommen, und ich konnte Martha ein wenig verständnislos lachen hören.

»Es war mir, als fühlte ich gleichsam einen unsichtbaren Finger über meine Augenlider hinstreichen,« fuhr der Student fort. »Sie sind sicher eine kleine Hexe, Martha. Wohnen Sie nicht eigentlich draußen zwischen den Irrlichtern? Ich bin fest überzeugt, es ist Ihr Haar gewesen, was ich des Abends als tanzende Flamme da draußen über dem Moor habe leuchten sehen. Was würden Sie im Grunde dazu gesagt haben, wenn ich Sie eines Tages für Ihre Hexenkünste gestraft hätte, indem ich Sie entführte? Es ist so gefährlich für junge, schöne Elfenmädchen, allein im Walde zu gehen. Waren Sie gar nicht bange vor mir? Den Fall gesetzt, ich hätte Sie geküßt! Was dann?«

Martha lachte wieder und diesmal ganz verständnisvoll.

»Denn hätt ich mit den Füßen gestoßen!« sagte sie.

»Aber wenn ich es jetzt täte?«

Ich fing an, mich zu räuspern. Ich konnte es nicht lassen. Mich hatte eine solche Angst befallen. Ich hörte, wie sie stehen blieben, und nun eilte ich leise von dannen.

Im selben Augenblick klagte ich mich selber an. Warum hatte ich sie in ihrem Glück gestört? Ich hatte einen süßen Schwindel empfunden, als sie an mir vorübergingen; aber gleichzeitig eine Angst, einen tödlichen Schrecken, der mir fast den Atem benahm. Ich wußte ja, was es schließlich galt. Und selbst wenn sonst niemand davon erfahren würde, so hatte ich ja doch meine Verantwortung Gott gegenüber.

Es zeigte sich nun auch, daß es die höchste Zeit war, daß sie gewarnt wurden. Als ich zum Festplatz zurückkehrte, sah ich Jesper vor Martha stehen und sie mit aller Gewalt an der Schulter rütteln. Er hatte ihre Abwesenheit entdeckt und wollte wissen, wo sie gewesen war; und obwohl sie erklärte, daß sie sich nur in einer dringlichen Angelegenheit entfernt hatte, hielt er ihr in seiner Trunkenheit die geballte Faust unter die Nase und bedrohte sie mit Prügeln. Ich sah, daß ihr Gesicht weiß wurde wie ein Ei. Nach einer Weile zerrte er sie trotz ihres Widerstandes nach einem Tanzzelt, und dann sah ich sie nicht mehr.


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