Henrik Pontoppidan
Aus jungen Tagen
Henrik Pontoppidan

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VI

Vorerst muß ich aber doch noch ein wenig von meinem Besuch bei dem Bräutigam am Tage vor der Hochzeit erzählen. Durch einen Zufall kam ich an dem Tage an seinem Haus vorüber, das eine Strecke feldeinwärts lag. Es muß ein wenig vor Sonnenuntergang gewesen sein, denn ich entsinne mich, daß ich mich mit meiner Flinte auf dem Wege nach dem Brandmoor befand, um den Entenzug zu beobachten.

Der »kleine Mads« stand in seinem Kohlgarten und zog einen Zaun. Der Mann war nie einen Augenblick müßig, auch nicht am Abend vor seinem Hochzeitstag; und so klein er war, hatte er doch Kräfte wie ein Ungetüm. Aber ein wenig plaudern mochte er trotzdem über alle Maßen gern, und sobald er mich gewahrte, rief er mich an. Ich zeigte auf meine Flinte, aber da half keine Ausrede; ich mußte hin und sein neues Heim bewundern.

Nun, das Haus war auch sehr nett, frisch gedeckt und geweißt, mit fein blau gestrichenen Fensterrahmen und einer roten, gemalten Tulpe in der Türfüllung. In seiner einfältigen eigenen Freude machte mich Mads darauf aufmerksam, wie vollkommen alles war, und daß er nichts gespart hatte, damit Grethe es gut haben sollte. Auch innen war das Haus von oben bis unten geputzt. Zuerst kam man durch eine Küche mit richtigem Herd und einer Glocke darüber wie im Pfarrhause. Von dort ging man in die Wohnstube, die auch ganz neumodisch war mit Bretterfußboden, Papier an den Wänden und, was ganz neu war und damals Staunen hervorrief, mit einer über den Eßtisch herabhängenden Lampe. Dahinter lag eine Schlafkammer mit Kleiderschrank. Mads führte mich im ganzen Hause herum, und er konnte sich offenbar nicht denken, daß hier irgend etwas fehlte, um ein glückliches Heim zu schaffen.

Fein und gut gehalten war es da auf alle Fälle. Alles stand festlich bereit, um Grethe zu empfangen. Trotz all seiner Prahlerei war Mads im Grunde ein braver und gutherziger Mann. Draußen in der Küche blitzte das Kupfergeschirr blank von der Wand herab, über dem Wassereimer hing die Schöpfkelle höchst ordentlich an ihrem Nagel, und dort neben dem Herd war bedachtsam ein Stapel klein gespaltenes Holz angebracht, damit Grethe nicht gleich am Morgen nach dem Holzstapel hinauszugehen brauchte, um etwas zum Anheizen hereinzuholen. Alles war, wie es sein sollte, mit Ausnahme des Wichtigsten.

Mit den Spielleuten an der Spitze zog der Hochzeitszug am nächsten Tage bei herrlichstem Sommerwetter zur Kirche. Es war ja nur eine Häuslerhochzeit, aber es wurde trotzdem tüchtig mit Bullerbüchsen gedonnert, und das ganze Dorf war auf den Beinen. Ich selber war als Geladener zugegen. Ovesen verrichtete den Altardienst und sang vor. Der Propst war den Morgen unpäßlich geworden, so daß Kaplan Berthelsen das Amt zufiel, die Trauung zu verrichten, und ich glaube durchaus nicht, daß ihm das unangenehm war. Alles das, was er an jenem Nachmittag in des Propstes Gegenwart hatte herunterschlucken müssen, bekam nun Luft in seiner Traurede.

Zuerst sprach er von der Liebe und nannte sie eine Gnadengabe von Gott und daher teuer und heilig. Dann ging er zu einigen Betrachtungen über die Ehe über, deren Grundwall die Liebe sei »oder sein müsse«, fügte er hinzu und sah dabei das Brautpaar fest an. Leider, fuhr er fort, sei man ja nur selten Zeuge davon, daß Mann und Frau, ohne sich zu schämen, sich durch das Band der Ehe vereinen ließen, ohne sich mit ihrem Herzen, geschweige denn mit Gott zu beraten. Aber sich ohne wahre und gegenseitige Liebe zu verheiraten, das sei eine Seelenroheit, die den Abscheu jedes Christenmenschen erregen müsse. Es sei eine Kränkung des Allerheiligsten der Seele, ein Verbrechen gegen das Göttliche in uns, ja im Grunde sei es nicht im geringsten besser als ein Leben in Unzucht.

Die Rede wurde mit großer Kraft und Wärme gehalten. Kaplan Berthelsen war ein überaus beredter Mann. Er hatte ein reinlautendes, dunkelklingendes Organ und dazu eine schöne, bilderreiche Sprache. Durch einen Zufall oder richtiger infolge einer Versäumnis von Ovesen, der vergessen hatte, die Gardine vor das Chorfenster zu ziehen, fiel ein Sonnenstrahl gerade über ihn herein, so daß seine hohe, schlanke Christusgestalt wie von einer Glorie umstrahlt erschien, was auch dazu beitrug, dem Augenblick eine große Feierlichkeit zu verleihen.

Trotz alledem gelang es ihm jedoch ebensowenig bei dieser wie bei irgendeiner früheren Gelegenheit, durch die Verhärtung der ländlichen Bevölkerung hindurchzudringen. Nur Grethe brachten seine Worte schließlich zum Weinen. Sie nahm während des letzten Teiles der Rede das Taschentuch nicht von den Augen. Auch ihrer Mutter fehlte es wohl nicht an Verständnis für den Stachel der Worte, aber die Wirkung bei ihr war eine ganz andre. Sie saß mit zusammengekniffenem Mund und steifem Nacken da und bebte. Alle die übrigen von der Hochzeitsgesellschaft hörten ihm mit genau demselben angelernten Ausdruck von Gottergebenheit zu, mit dem sie immer in der Kirche saßen und schliefen. Selbst dem »kleinen Mads« fiel es wohl kaum mit einem Gedanken ein, daß hier etwas andres oder mehr gesagt wurde, als wofür bezahlt worden war.

Ich konnte nicht unterlassen, daran zu denken, wie ganz anders der Propst in seiner großen Schwäche die verhärteten Herzen aufzutauen vermochte. Und der Propst war obendrein keineswegs, was man einen guten Redner nennt. Es währte im allgemeinen lange, ehe er richtig in Zug kam, und zuweilen kam er gar nicht hinein. Geschah es aber, so wurde er freilich auch wie verwandelt, und zwar auf ganz andre Weise wie der Kaplan. Alle seine kirchliche Macht, sein ganzer priesterlicher Nimbus, mit dem er sich für täglich zu umgeben liebte, fiel nämlich völlig von ihm ab, und er stand da in seiner nackten Menschlichkeit, ein armer, elender Sünder vor Gott und unserm Erlöser. Die Tränen strömten an seinen Wangen herab, und seine Stimme bebte wie die eines reuigen Kindes, wenn es vor seinem Vater steht.

Und dann war da ja auch das bei ihm, daß seine Versuchungen und sein Erliegen ja die gleichen waren, die seine Zuhörer so gut aus ihrem eigenen Leben kannten. Daher erwachte in solchen Augenblicken das Schuldgefühl in ihrer eigenen Brust, und er ward, was ein Geistlicher und Seelenhirte vielleicht immer am liebsten sein sollte, ein Beispiel zum Abschrecken und zur Nachfolge.

Da war nun freilich doch an einer Stelle in der Kirche ein Paar weitgeöffneter Augen, in denen seine lichtumstrahlte Gestalt sich zweifelsohne in ihrer vollen Herrlichkeit abspiegelte. Unten auf einer der hintersten Stuhlreihen hatte sich Fräulein Rebekka versteckt. Sie war mitten während des ersten Gesanges hereingekommen, und ich war, außer dem Kaplan, wohl der einzige, der wußte, daß sie zugegen war.

Ich vermochte kaum meine Augen von ihrem Gesicht abzuwenden. Es war bleich und erschien daher größer als sonst, der Ausdruck war angestrengt, ja verzerrt, es lag aber gleichzeitig etwas über dem Antlitz, was man verklärt nennen mußte. Es war derselbe Ausdruck, den ich an jenem Tage in der Laube gesehen hatte, als sie sich so unbeherrscht gegen ihren Vater gewandt und sich schließlich in einem Anfall leidenschaftlichen Weinens entfernt hatte. Es war mir aufgefallen, daß überhaupt etwas Fremdartiges in ihr ganzes Wesen gekommen war. Ihre schöne, schwere Ruhe und ihr Gleichgewicht waren verschwunden. Sie war gleichsam aus ihrem Boden ausgerissen, beherrscht von einer Verzauberung, die auf dem besten Wege war, den Charakter einer bösen und qualvollen Besessenheit anzunehmen.

Als ich nun den Blick weiter dem Kaplan zuwandte, der da im Lichtglanz vor dem Altar stand wie ein auferstandener Christus, überkam mich plötzlich ein Zweifel. Ich fragte mich selbst, ob nicht dieser Eifer, mit dem er hier die Sache des Herzens im Namen des Christentums redete, in gar mancherlei auf einem Selbstbetrug beruhe. Dies Feuer, das in seinen dunklen Augen brannte und seine Zunge flammen machte, war es wirklich einzig und allein an der himmlischen Sonne angezündet, oder war es nicht zugleich – ihm selber ganz unbewußt – der verzehrende Höllenbrand des Blutes und der fleischlichen Triebe? Der Gott, der durch seinen Mund redete, war das der jungfraugeborene Christus, der das Fleisch kreuzigte und das Entsagen heiligte? War es nicht auf alle Fälle ebensosehr der heidnische Liebesgott mit dem todbringenden Pfeil? War er nicht selbst eine arme Seele, die unter dem unbarmherzigen Gesetz der Natur seufzte? Ein Opfer der dämonischen Besessenheit, die wir Liebe nennen? Ohne es zu wissen, gehen wir Menschen mit verbundenen Augen durchs Leben. Während wir uns einbilden, selbstbestimmend unserm leuchtenden Ziel entgegenzusteuern, leiten uns dunkle Mächte auf dunklen Wegen abwärts oder aufwärts nach unsrer Bestimmung.

Was nun den nachfolgenden Hochzeitsschmaus anbetrifft, so will ich mich kurz fassen. Die beiden kleinen Stuben in dem Elternhause der Braut waren ausgeräumt, und man hatte Platz geschafft, so gut es sich machen ließ; aber es waren Hochzeitbitter nach nah und fern entsandt, so daß schließlich so viele Menschen versammelt waren, daß man unter der niedrigen Decke kaum zu atmen vermochte. Glücklicherweise war das Wetter gut, so konnte man sich doch während der Zeit, die man nicht an den Tischen saß, im Freien aufhalten.

Man hatte ursprünglich in der Scheune bei dem benachbarten Bauer tanzen wollen; da es aber so schwül war, zog die Jugend auf einen umfriedigten Grasplatz hinaus, der hinter dem Brauthaus lag und zu dem Gehöft des Bauern gehörte. Der alte Violinspieler Franz und sein armer Sohn »Traller Kresten« machten die Musik, und die war ja erbärmlich genug; sie saßen auf dem Zaun und strichen die Saiten, während sie gleichzeitig schliefen. Aber trotzdem ging der Tanz mit Leben und Lustigkeit in der schönen, hellen Hochsommernacht.

Grethe mußte auch mittanzen, so ungern sie es wohl tat. Sie hatte so aufrecht wie eine Holzpuppe an der Festtafel gesessen, aber ich konnte es ihr recht gut ansehen, daß es ihr Mühe machte, auch nur ein paar Bissen herunter zu bringen. Später hatte sie Hand in Hand mit Mads dagesessen; aber es war unverkennbar, daß sie es nicht mit ihrem allerbesten Willen tat. Mads hatte mit seinem breitesten Lächeln die Hand mit Beschlag belegt als sein gesetzmäßiges Eigentum, und sie hat wohl gedacht, daß sie jetzt auch kein Recht mehr habe, sie ihm vorzuenthalten.

Auch hier beim Tanz ward es Mads schwer, sie in Frieden zu lassen, und doch war er so sehr viel kleiner als sie und obendrein ein mäßiger Springer. Aber auch die jungen Burschen rissen sich die ganze Nacht um sie. Es war ja eine Ehrensache für sie, sie schweißtriefend aus dem Mädchenstand herauszutanzen. Es ging drauflos mit Schottisch und Französisch und Kontra, beinahe ohne Aufenthalt. Es war, als wenn gerade ihre Unlust sie lockte und reizte. Sobald der eine Bursche sie losgelassen hatte, griff der andre zu. Und »nein« war ja ein Wort, das sie an diesem Tage nicht sagen durfte. Sie sah schließlich so ermattet und gequält aus, daß ich ganz bedenklich dabei wurde und an die Geschichte von dem widerstrebenden Edelfräulein denken mußte, das auf dem Schloß zu Kolding totgetanzt wurde.

Draußen vor der einen Ecke des Grasplatzes, wo ein alter Pappelstumpf stand, saß ein Mann, der ungeladen gekommen war, aber trotzdem gut aufgenommen wurde. Er war ein Fremder hier in der Gegend, und niemand wußte viel mehr von ihm, als daß er ein junger Student war, der Sohn eines Hardsvogts oben in Vendsyssel, und daß er sich bei dem Schuhmacher in Ramsbäk einlogiert hatte. Seinen Namen will ich aus gewissen Gründen verschweigen. Er hatte sich dort ein paar Wochen aufgehalten, ohne etwas andres vorzunehmen, als auf den Feldern und im Walde herumzustelzen, eine grüngemalte Blechtrommel auf dem Rücken, und Blumen und Waldpilze zu sammeln. Ja, und dann ging er gern bei den Leuten in die Häuser hinein, plauderte mit ihnen oder erzählte selbst. Ich habe nie einen Menschen gekannt, der so wie er Märchen erzählen konnte. Aber das ward denn auch später sozusagen sein Broterwerb. Er ging überall hinein, wo alte Leute wohnten, und schrieb auf, was sie ihm erzählten; und da er so jung war und obendrein ein nettes und bescheidenes Wesen hatte, nahm man ihn allerorts freundlich auf. Hinterher gab er dann die Erzählungen der Alten auf seine eigene Weise wieder, und die Leute mochten ihm gern zuhören.

Jetzt saß er da unter dem Pappelstumpf in der hellen Sommernacht und hatte einen großen Kreis um sich versammelt. Viele von seinen Geschichten waren im übrigen ein wenig geradezu, ja fast anstößig; aber es war das Merkwürdige an ihm, daß er selber nie eine Miene verzog, wie sehr die Leute auch über das greinten, was er erzählte.

Ich entsinne mich noch einer seiner Erzählungen; sie handelte von einem Edelmann und einem Pfarrer und lautete also:

Jörgen Bugge hieß ein Edelmann, der Gottes Reichtum an Gut und Geld und Leuten und Vieh besaß und seine Keller und Kammern von allem voll hatte, was gut war. Aber er war ein hartherziger Patron, der ein wahres Sündenleben lebte mit Trinken und Prassen und allerhand Unzucht, so daß seine Burg weit und breit bekannt war, ein Ärgernis allen Kindern Gottes.

Eines Sonntagmorgens zog er zur Kirche, gerade von einem Trinkgelage aufgestanden und mit einem Gefolge von Zechbrüdern, Hunden, losen Weibern, Spielleuten und anderm zusammengelaufenen Gesindel, das schrie und kreischte, so daß man kaum die Kirchenglocke hören konnte. Einige von den Leuten vermochten nicht einmal mehr auf den Beinen zu stehen, sondern mußten vom Pferderücken herabgehoben werden, und aus allen Mündern schallten Flüche und unzüchtige Reden. Jörgen Bugge selbst saß mit einem fetten Frauenzimmer auf dem Sattelknopf und ritt geradewegs zur Kirchentür herein, indem er mit einer Stimme brüllte, die heiser war von Trinken und nächtlichen Ausschweifungen:

»Hier kommen hundert durstige Seelen, um den Kirchenmost zu schmecken!«

In der Vorhalle aber trat ihm der Pfarrer, Herr Jens, entgegen und rief:

»Pfui über euch, ihr Spötter! Hebet euch von dannen, ihr Natterngezücht, und besudelt nicht diese heilige Stätte mit eurem verpesteten Atem!«

Bei dieser kränkenden Anrede wurde Jörgen Bugge nüchtern, und seine Wangen erbleichten. Auf kirchlichem Grund und Boden wagte er jedoch nicht, Widerspruch zu erheben. Er biß sich stumm in den Bart und zog mit seinem Gefolge von dannen. Aber im stillen schwur er einen gewaltigen Eid und lächelte dazu. Er wollte gelegentlich lustige Rache an dem guten Herrn Jens nehmen.

Eines Nachts, einige Zeit darauf, als Jörgen Bugge abermals bei einem seiner großen Zechgelage saß, sandte er einen reitenden Boten nach dem Pfarrhof mit der Meldung, daß er krank geworden sei und in den letzten Zügen liege, weswegen er Herrn Jens bitten wolle, alles Böse zu vergessen und auf das Schloß zu kommen, um ihm das heilige Mahl zu reichen. Darauf ließ er eine große Sau aus dem Schweinekoben heraufholen. Die Beine wurden ihr unter dem Bauch zusammengeschnürt und das heulende Maul mit einem Stück Garn zusammengebunden, und also schleppte man sie in das Schlafgemach. Hier wurde sie in das geschnitzte Himmelbett gelegt und gehörig festgemacht. Man zog ihr eine Nachtmütze über die Ohren und deckte sie schließlich sorgfältig mit einem seidenen Federbett zu, so daß nur der Quast der Nachtmütze und die äußerste Spitze des Rüssels sichtbar waren.

Sie waren eben mit diesen Vorbereitungen fertig geworden, als Herr Jens auf das Schloß kam. Man hörte schon den Laut seiner schweren, eisenbeschlagenen Schuhe draußen auf dem Gang. Die Zechbrüder stellten sich mit gefalteten Händen und verzagten Mienen rings um das Bett, während sich Herr Bugge nebenan im Festsaal versteckte, dessen Tür er angelehnt stehen ließ, so daß er durch die Spalte sehen konnte.

Herr Jens war eine große, schwergliedrige Erscheinung mit langem, glattgekämmtem Haar, das ihm auf die Schultern herabfiel, und einem schwarzen Spitzbart am Kinn. Stolzen Schrittes ging er auf das Bett zu und faltete seine großen Hände.

»So liegst du denn endlich da auf deinem Schmerzenslager, Jörgen Bugge,« begann er mit seinem tiefklingenden Baß. »Hat der liebe Gott dich nun endlich heimgesucht und dein sündiges Fleisch den Klauen des Teufels entrissen? Hast du schließlich eingesehen, wohin dein liederlicher Lebenswandel dich führte, und daß der flammende Schwefelpfuhl der Hölle dir bereitet war, falls du dich nicht bekehrtest?«

»Nuff!« ertönte es unter dem Federbett.

»Und hast du nun den Himmel um Gnade für deine Sünden angerufen?« fuhr der Pfarrer fort. »Weinet dein Herz blutige Tränen der Reue? Fühlst du die nagende Pein des bösen Gewissens? Sind nun in deiner Seele nur Reue und Gebet?«

»Nuff! Nuff!« ertönte es abermals unter dem Federbett.

»Nun – dann sollen deine schweren Sünden dir auch vergeben sein, und du sollst das ewige Leben erwerben. Amen!«

Damit nahm der Pfarrer das geweihte Brot. Aber als er es der Sau hinreichte, begann das Tier so kräftig zu prusten und zu schnauben, daß das Kissen zurückglitt und der ganze rote Schweinekopf sichtbar wurde. Da konnten die frohen Zuschauer sich eines Lachens nicht länger erwehren. Im selben Augenblick ward auch die Tür zu dem kerzenstrahlenden Festsaal weit aufgerissen, und Jörgen Bugge stand mit gespreizten Beinen auf der Schwelle. Seine Hände lagen ebenfalls gespreizt auf dem tonnendicken Bauch, der unter seinem höhnischen Gelächter hüpfte.

»Nun, mein guter Herr Jens!« rief er aus. »Da nahmt Ihr, bei Gott, eine fette Seele in Empfang! Tod und Teufel! Nie im Leben hätt ich es mir träumen lassen, daß meine große Sau der ewigen Seligkeit teilhaftig werden sollte! Ha, ha, ha! . . . Aber könnt Ihr mir nun auch dafür einstehen, daß sie wirklich in das Himmelreich kommt?«

Der Pfarrer wurde weiß und grün wie eine Kirchenwand. Er bebte vom Scheitel bis zur Sohle vor heiligem Zorn. Endlich faßte er sich und antwortete:

»Falls du selber, Jörgen Bugge, vermeint hast, in das Himmelreich hineinzuschlüpfen, so wird dieses Schwein es wohl auch können.«

»Was sagst du da, du Hund!« brüllte der Edelmann und stürzte mit erhobener Waffe auf ihn zu. Aber seine Gäste warfen sich dazwischen. Sie fanden, daß der Pfarrer kein übles Mundwerk hatte, und sie lachten nicht mehr. Ja, es verlautet, daß Herrn Jens' Worte schließlich auch Jörgen Bugge ernsthaft zu denken gaben, so daß er seit jener Zeit wie ein rechtschaffener Mensch lebte. –

Es war über Mitternacht geworden, und es war allmählich eine Pause im Tanz eingetreten. Einige von den Paaren setzten sich lärmend in der Stube um die Kaffeetische; andre blieben rings umher auf den Zäunen sitzen, weil sie es vorzogen, ein wenig für sich zu bleiben. Das Wetter war ganz still, und es war nicht dunkler, als daß man einander leicht erkennen konnte, aber auch nicht heller, als daß ein Liebespaar seine Hände ein wenig auf verbotenen Wegen wandern lassen konnte, ohne daß es jemand sah. In den Stuben war Licht angezündet. Alle Fenster standen offen, so daß man von außen her ganz durch das Haus hindurchsehen konnte. Es war, als sähe man in einen glühenden Ofen hinein. Im Schein der Lichter ward die Luft da drinnen mit ihrem Staub und Tabaksqualm und Bratendampf rot wie Feuer.

Ich suchte nach dem jungen Paar, fand es aber weder draußen noch drinnen; so ward es mir denn klar, daß sie nach ihrem eigenen Hause gegangen waren, während ich dagestanden und dem Studenten zugehört hatte. Als ich nach einer Weile in einer gewissen Angelegenheit hinter den Hausgiebel herumging, hörte ich oben vom Boden her, wo Grethe ihre Kammer hatte, ein gedämpftes Weinen. Ich konnte auch ihre Stimme erkennen.

»Wenn du nur gut gegen mich sein willst, Mads,« hörte ich sie sagen, »dann will ich auch gut gegen dich sein; das will ich dir versprechen.«

»Herrje, ja, Grethe!« – Das war Mads frohes Gemecker.

»Ich weiß ja recht gut, daß ich nich so gegen dich gewesen bin, wie ich hätt sein sollen,« fuhr Grethe fort und weinte ganz jämmerlich. »Aber das soll schon kommen, wenn du man bloß gut gegen mich sein willst, Mads.«

Ich fand, ich hatte kein Recht, dies länger mit anzuhören; und nun kamen auch ein paar andre Männer herzu und redeten laut. So ging ich denn meiner Wege.

Der Tanz hatte wieder begonnen. Es war eine Polka, und man konnte es sowohl denen, die an den Trinktischen gewesen waren, wie auch denen, die für sich draußen auf den Zäunen gesessen hatten, anmerken, daß ihnen neue Wärme ins Blut gestiegen war. Ein Bursche aus dem Dorf hatte seine Handharmonika geholt, um der Musik ein wenig nachzuhelfen; auch das brachte Fahrt in die Sprünge. Da waren freilich keine Deckenbalken, gegen die man beim Tanzen mit der Faust schlagen konnte, und da war auch nicht der Klang in den Tritten, wie wenn man auf den alten Scheunendielen tanzte, wo man Schädelknochen unter den Lehm gelegt hatte, damit der Boden unter den Dreschflegeln und Sohlen singen sollte. Aber Scherz und Kurzweil herrschten dort vollauf. Den Lärm, der dazu gehörte, besorgten sie mit den Mündern. Die Knechte johlten und sangen, und die Mädchen lachten aus vollem Halse, während die Röcke sie umsausten wie Mühlenflügel. Kein Tanz brachte zu seiner Zeit ein solches Leben in die Jugend hinein wie eine Polka. Aber leider muß gesagt werden, daß die Lustigkeit nicht selten die Grenze der Schicklichkeit überschritt, indem sich die Burschen während des Tanzens auf eine Weise an den Mädchen vergriffen, die die Schamhaftigkeit verletzte.

Draußen über den Wiesen begannen die Nebel schon emporzudämmern. Ein Stück Mondrand, so dünn wie eine Eierschale, stand bleich am Morgenhimmel und verkündete das Tagesgrauen.

Ich hatte mich unter den Pappelstumpf gesetzt, wo der Student vorhin gesessen hatte. Auch er beteiligte sich jetzt am Tanz, so gut er konnte. Aber ungeschickt war er, und die Mädchen lachten über ihn, und die Burschen schoben ihn unbarmherzig zur Seite. Doch mit ungeschwächtem Eifer fuhr er fort zu tanzen.

Da fingen die Kirchenglocken plötzlich an zu läuten. Die Tanzenden hörten es nicht sogleich, aber im Lauf von wenigen Augenblicken hielten sie alle inne. Wir sahen einander feierlich an. Es war also jemand in dieser Nacht gestorben.

Auch die Handharmonika war verstummt. Dahingegen spielten der alte Violinspieler Franz und »Traller Kresten« noch eine Weile weiter; sie hatten, wie das ihre Gewohnheit war, dagesessen und halb geschlafen und nicht sofort bemerkt, daß der Tanz innehielt. Jetzt hörten auch sie auf. Ein älterer, bezechter Mann kam hinter dem Hausgiebel hervorgeschwankt, die Hosenklappe bis über die Knie herunterhängend, und sang auf betrunkener Leute Art. Sonst war es eine kleine Weile ganz still.

Die Kirchenglocke fuhr fort zu klingen. Diejenigen, die in der Stube saßen, standen auf und kamen heraus. »Wer kann das sein?« fragten alle; und alle, die Kranke daheim hatten, schickten sich an zu gehen. Da kam des Müllers Sohn hastig vom Wege her gelaufen, ganz weiß im Gesicht, und rief:

»Der Propst ist tot!«

Wir scharten uns um ihn; aber der Junge wußte nichts weiter, als was er gesagt hatte. Aber nun kam jemand, der Bescheid wußte. Es war Ovesen. Er war um Mitternacht von dem Fest nach Hause gegangen und war eben in sein Bett gekommen, als an die Fensterscheibe geklopft wurde. Es war ein Bote aus dem Pfarrhaus; er müsse durchaus gleich kommen, der Propst sei plötzlich sehr krank geworden. Als er hinüber kam, war es schon vorbei.

Es war ein Lungenschlag. Der Propst hatte sich am Abend ganz wohl gefühlt. Er hatte zu dem Mädchen, das sein Licht auslöschte, gesagt, er wolle am nächsten Tage aufstehen. Aber ein paar Stunden später schellte er, und als Fräulein Rebekka hereingestürzt kam, hatte er die Sprache bereits verloren.


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