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Schumann

Robert Schumann.

Geboren am 8. Juni 1810 in Zwickau.
Gestorben am 29. Juli 1856 in Endenich bei Bonn.

Die epheuumsponnene Grabstätte Robert Schumann's in Bonn, wo so viele Nachtigallen nisten, hat sich im Juni des Jahres 1896 noch einmal geöffnet, um die Hülle der geliebten, edlen Gefährtin des längst Heimgegangenen aufzunehmen in seine heilige Stille: seine Clara, deren Name und Gestalt so eng verwachsen ist mit dem Schaffen und Wirken des Meisters. Wie auf jenem bekannten plastischen Relief die beiden Häupter der Gatten nebeneinander erscheinen, ein Doppelstern am Himmel der Kunst, so auch in der Erinnerung. – Sie sind unzertrennlich, das Eine vom Andern, und ihnen gemeinsam gehört für alle Zeiten unsere Liebe, unsere Bewunderung und unser Dank. – –

In unserer schnelllebigen Zeit, einer Generation gegenüber, die an allen Erscheinungen, welchen Namen sie auch tragen möchten, in athemloser Hast vorüber zu eilen sich gewöhnte, sie nur mit flüchtigem Blick streifend, immer nach Neuem jagend, einer Generation, die Niemanden irgend welche Dankbarkeit schuldig zu sein glaubt, ist es eine doppelte und heilige Pflicht, auf jene Gestalten immer und immer wieder liebevoll aufmerksam zu machen, denen wir unzählige Weihestunden verdanken. Aus schönen, vergangenen Tagen grüßen sie zu uns herüber, es sind Gestalten, die uns begegneten, als wir noch Zeit und Augen hatten für die Schönheit ringsumher in jeder Form, und die zum Glück noch unter uns wandeln. – Die heutige Generation ist offenbar um ein Glück ärmer: um das entzückende Gefühl eines ehrlichen, aus der Mode gekommenen Enthusiasmus, der länger währt als; »der Tage drei!« Und es ist dies doch eine Empfindung, die jedem Begeisterungsfähigen selber ein Etwas verleiht, das mir als eine der schönsten Himmelsgaben erscheint: den Schimmer ewiger Jugend. – Diese Gedanken waren es, die mir kürzlich kamen, inmitten der ernsten, künstlerisch geschmückten Räume eines schlichten Hauses in der Myliusstraße in der alten Kaiserstadt am Main, das jetzt schon eine unsichtbare Gedenktafel trägt, auf der für unsere Augen und für unser Herz der leuchtende Name steht: »Clara Schumann.«

Das alles schrieb ich noch vor einem Jahr. – –

Die Meisterin hatte nämlich an einem Maitage ihre Freunde und Bewunderer zu einer »Hausmusik«, wie das Programm besagte, eingeladen, eigentlich zu einer jener kleiner Schülerinnenprüfungen, die sie zuweilen zu veranstalten pflegte. Diesmal entsandten drei Nationalitäten drei anmuthige, jugendliche, reich talentirte Repräsentantinnen, – Deutschland (Fräulein Stümke aus Bremen), England (Miß Mendow) und Frankreich (Mademoiselle Rückert). Mit sichtlichem Interesse folgte der große Kreis der Gäste den Leistungen dieser Debütantinnen, denen das Glück zu Theil geworden, die Unterweisung einer Clara Schumann noch genießen zu dürfen. Sie gaben denn auch offenbar in heller Begeisterung für ihre Meisterin ihr Bestes, in Compositionen Beethoven's, Robert Schumann's und Carl Maria von Weber's. Den bekannten Zauber des Anschlags der berühmten Frau versuchten schlanke Mädchenhände vorzuführen, und die Auffassung stand ebenfalls unter dem strahlenden Zeichen ihres Namens.

Die Hörer waren denn auch entzückt und überschütteten die Ausführenden mit dem lebhaftesten und wohlverdientesten Beifall. Aber als das Schülerinnentrio mit glühenden Wangen und glänzenden Augen bescheiden zurückgetreten war, nach der Probe ihres Könnens und Wollens, – da ging doch eine Bewegung durch die Versammlung, der Ausdruck freudiger Erwartung: die edle Priesterin der holden Kunst nahm an ihrem Flügel Platz. Da zog denn zuerst, mit ehernem Schritt, das mächtige »Pastorale, Präludium und Fuge« des großen Leipziger Cantors Johann Sebastian Bach über die Tasten. – Mit diesen Klängen aber stieg in meiner Seele plötzlich das Erinnerungsbild an einen Abend im alten Gewandhause auf, wo ich als junges begeistertes Mädchen, als noch der Stern Felix Mendelssohn über der alten Lindenstadt leuchtete, zum ersten Mal eine Clara Schumann spielen hörte und sah, um sie nie wieder aus dem Herzen und den Augen zu verlieren. Und als meine Augen jetzt an ihrer Gestalt und an dem edlen Musikerkopf Clara Schumann's hingen, da wandelte sich die Erscheinung der Meisterin vor mir plötzlich wunderbar: die damalige Spielerin in Weiß, mit den verklärten Zügen und den wunderschönen Augen (ach, sie sind noch jetzt so voll Güte und unvergänglicher Schönheit!), blühte vor mir auf, wie eine lichtumflossene Blume. Weggewischt waren jene Linien, wie sie die Hand der Zeit und der Kampf des Lebens so unbarmherzig in unser Antlitz zu zeichnen pflegen: Vergangenheit und Gegenwart flossen beglückend in einander. – Ich wußte nicht mehr, spielte jene Clara von damals oder von heute ihren Bach – und die nun folgenden graziösen, bezaubernden Weisen von Scarlatti's Tonminiaturen, wie sie ihre Künstlerhände uns jetzt malten. Zum Schluß dieser seltenen »Hausmusik« aber erfüllte der Duft einer fremden, berauschenden Blüthe, wie sie nur des Nachts den schimmernden Kelch öffnet, die Räume: Chopin's H-dur-Notturno erklang – und verhauchte, und da war es wohl Allen:

»Als ob der Himmel
Die Erde still geküßt – – –«

Stille – tiefe Stille herrschte, als jene lieben gesegneten Künstlerhände nun von den Tasten glitten. – –

Mir selber geschah es, als ich später unter blühenden Bäumen in mein stilles Heim zurückwanderte, genau wie in dem Schumann-Eichendorff'schen Liede:

»Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus!« – –

Ja, »nach Haus«, in die schönste Heimath für Herz und Gedanken: in das Sonnenland der Jugend!

Und jene »Hausmusik« in der Myliusstraße in der alten Kaiserstadt am Main mit der geliebten, unvergeßlichen Gestalt, der vornehmsten Repräsentantin einer verrauschten, herrlichen Kunstepoche mit all den zahllosen Bildern die sie heraufbeschwor, ließ mich das Eine wiederum klar erkennen, wie schon so oft, jene Wahrheit des Jean Paul'schen Wortes: Es giebt nur ein Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können: die Erinnerung.«

Und nun ist auch sie für immer verstummt und nur jene Tonmärchen reden noch laut und herzerquickend, die mit dem Namen Robert Schumann auftauchen: – seine Compositionen, die das Eigenthum aller Nationen geworden sind.

Der geniale deutsche Tonträumer, – auch in eben dieser weltabgewandten Eigenschaft ein echter Deutscher, der unsere Herzen und Seelen an sich kettete durch seine poetisch-romantischen Schöpfungen, war der jüngste Sohn eines Buchhändlers in Zwickau. – Der Vater, ein feingebildeter Mann, der sich früher mit schriftstellerischen Versuchen beschäftigt hatte und somit den Poeten aller Art ein warmes Interesse entgegentrug, – hoffte, daß sein Robert einmal ein Dichter werden würde, dessen Werke er dann verlegen dürfe; selbstverständlich mußte ein berühmter Schriftsteller aus ihm werden. Das war eine Hoffnung und Ahnung, die das Leben des Vaters vergoldete, wie ein kräftiger Goldschnitt die Blätter eines Buches. An Bilderbüchern, Gedichtsammlungen und Jugendschriften, die seine Aufmerksamkeit erregen und seine Phantasie beschäftigen sollten, hat es dem allgemeinen Liebling der Familie nie gefehlt, und der Vater lächelte heiter, wenn er seinen Jüngsten in diesen Schätzen wühlen und sie gelegentlich auch zerreißen sah. Von Liebe und Sorge umgeben wuchs Robert auf; die Eltern waren aber doch etwas enttäuscht, als die Lehrer jenen Schulknaben, an dessen jugendlichem Haupte so viele Hoffnungen hingen und den sie ihnen so warm ans Herz legten, als einen Schüler, der sich durch keinerlei außergewöhnlichen Eigenschaften vor allen anderen Schülern hervorthat, bezeichneten. Aber ein allgemeines Staunen erregte es in der Schumann'schen Familie, die der holden Kunst der Musik gänzlich fernstand, als sich in dem siebenjährigen Robert eine musikalische Begabung zeigte, die sich zunächst in der leidenschaftlichen Freude an jedem melodischen Klang kundgab. – Robert war nicht zu halten, wenn böhmische Musikanten auf der Straße ihre Weisen laut werden ließen, deren Harmonien gar oft nichts weniger als ohrenerquickend genannt zu werden verdienten. Zogen aber gar die Soldaten mit klingendem Spiel vorüber, so lief ihnen der Knabe nach, so weit ihn seine kleinen Beinchen trugen und vergaß nicht nur die Schularbeiten, sondern sogar die Speisestunden darüber. – Ein altmodischer, wackerer Baccalaureus am Lyceum in Zwickau, ein Herr Kuntzsch, der im Schumann'schen Hause aus- und einging, war der Erste, von dem die Eltern die Nachricht empfingen, daß bei dem kleinen Robert ein regelrechter Clavierunterricht am Platze sei. Er selber erbot sich, den Kinderfingern auf den Tasten die richtigen Wege zu weisen, die vielleicht später einmal dieselben Hände befähigten, wieder Anderen die gleichen Kunstgriffe zu lehren. Der erste Schritt war damit geschehen. – Der alte Kuntzsch schüttelte freilich mißbilligend den grauen Kopf, wenn die besagten Finger hüpfend und jagend nur zu bald auf eigenen Pfaden dahinstürmten und das Leben seines Schülers fortan mit Musikbegleitung sich darstellte; wie hätte er das voraussehen können! Er machte sich im Stillen sogar Vorwürfe darüber, daß er selber den Clavierunterricht befürwortet habe. Der Mensch war doch nicht auf der Welt, um Musik zu treiben, – – höchstens die Orgel in der Kirche und ein Tänzchen im fröhlichen Kreise schien ihm am Platze, alles Uebrige war vom Uebel, wenigstens für Leute, die darauf angewiesen waren, sich ihr Brot zu verdienen, nur reiche Leute hatten das Recht und die Zeit, sich mit derartigen brotlosen Künsten zu befassen.

Das wurde dem Robert auch wieder und immer wieder vorgehalten in wohlgemeinten längeren und kürzeren Predigten. Der aber hörte nicht darauf, und als er einmal in Carlsbad, wohin er den Vater 1819 begleitete, den jungen Ignaz Moscheles im Concertsaal am Flügel sitzen sah und spielen hörte, da war, nach Ansicht bei braven Baccalaureus, der Robert rein musiktoll nach Zwickau heimgekehrt. –

Trotzdem fügte sich Robert willig den Wünschen der Eltern und trat als fügsamer Schüler in das Gymnasium der Vaterstadt ein, das Ziel des Abiturientenexamens vor Augen. Daß aber das Lernen und das Erringen der classischen Bildung immer wieder nur mit Musikbegleitung geschah, – wer konnte es ihm verargen?! Robert hätte freilich diese seine Leidenschaft gern in tiefster Stille getrieben, um allen Vorwürfen zu entgehen, aber die Tone beim Solo wie beim Vierhändigspielen ließen sich nun einmal leider nicht ersticken. Die Compositionsversuche verbarg er dafür ängstlich vor allen Blicken, und die Aufführung des 150. Psalms, den er im 13. Lebensjahre für das Schülerorchester und den Schülerchor, die er beide dirigirte, fand in der Ferienzeit statt. – Der Vater, obwohl ohne jedes musikalisches Verständniß, war dennoch der Erste, der die Begabung des Sohnes erkannte und den brennenden Wunsch hegte, dies, ihm selber so fremde Talent nach Möglichkeit zu fördern. In seiner rührenden Sorge um das Wie schrieb er an Carl Maria von Weber nach Dresden und bat, ihm seinen Robert zuführen zu dürfen, – aber der berühmte Dirigent des Hoftheaters vergaß im Drange der Geschäfte, auf diesen Brief zu antworten. –

Der Tod des treuen Vaters war das erste gewaltige Weh, das sich auf das junge Herz des Sohnes legte, – ein Weh, wie es später in den Tönen jenes erschütternden Liedes aufsteht:

»Nun hast Du mir den ersten Schmerz gethan,
Der aber traf – – –«

– Alles wandelte sich seit jenem Heimgange für Robert Schumann im Elternhause. Mutter und Vormund stellten nun die bestimmte Forderung an ihn, ein sogenanntes Brotstudium zu wählen und dann die Universität in Leipzig zu beziehen. – Seufzend und beklommen entschied er sich, nach vorzüglich bestandenem Abiturientenexamen, für das Studium der Rechtswissenschaft. Ein neuer Pegasus im Joch, mühte er sich redlich, sein gegebenes Versprechen zu erfüllen, und besuchte die Collegia wie seine Commilitonen auch. –

Aber da trat ihm eine wunderbar originelle Musikergestalt entgegen, die ihn sofort in unzerreißbare Fesseln schlug: – Friedrich Wieck. Robert Schumann nahm bei ihm den ersten regelrechten Clavierunterricht und in diesen interessanten Lehrstunden wurde die Sehnsucht, sich mit Leib und Seele der Musik hinzugeben, nur noch brennender. Zwar ergab sich der Gewissenhafte nicht ohne Widerstand jener holden Sirene, die in der alten Lindenstadt so verführerisch die Arme ihm entgegenstreckte. Robert Schumann studirte in Leipzig und Heidelberg, aber welch ein erregbarer Student er war und blieb, sobald irgend eine Tonwelle aus dem Zauberreich, das alle seine Sinne beherrschte, zu ihm drang, oder irgend welche Künstlererscheinung seinen Weg kreuzte, das beweist eine Stelle aus seinem Tagebuche aus der Zeit seines Aufenthalts in der schönen Universitätsstadt am Neckar. Nicolo Paganini, das geigende Wunder, erschien nämlich in Frankfurt am Main, – um mit seiner unerreichten Kunst und seinen Melodien die Herzen der Hörer mit Entzücken und Grauen zu erfüllen. Die Heidelberger Studenten aber kamen in großen Wagen nach der alten Kaiserstadt, um sich von ihm verzaubern zu lassen. Und Einer war damals auch unter ihnen, der stimmte nicht ein in den tollen Jubel der Anderen, der brachte dem Gefeierten kein donnerndes Vivat, aber er saß fiebernd in einem Winkel des Concertsaales und stellte sich mit seinem übervollen Herzen schlafend, auf der Rückfahrt unter all den lärmenden Commilitonen. Daheim in seiner Studenten-»Bude« aber schrieb er am nächsten Morgen in sein Tagebuch: »Abends in Frankfurt: Paganini! Entzückung! War's nicht so?! Ferne Musik und Seligkeit im Bette!« – – –

So mußte denn diese geflügelte Seele endlich alle Fesseln sprengen und jenen einzigen Beruf ergreifen, für den sie von der Gottheit bestimmt war: Robert Schumann trat in den Dienst der heiligen Cäcilia. – Anfangs gedachte er die Virtuosenlaufbahn einzuschlagen, er bildete sich mit einem Eifer und einer Energie ohne Gleichen unter den Lehrmeistern Wieck und Heinrich Dorn zum Pianisten aus. Eine unvorsichtige Operation am vierten Finger der Rechten, dessen geringere Beweglichkeit ihn ungeduldig machte, hatte aber Lähmungserscheinungen der Hand zur Folge, die jene Laufbahn nur zu bald als unmöglich erscheinen ließen. So versenkte sich denn der später so glanzvolle Repräsentant der neuen romantischen Schule mit seiner vollen Kraft in die Composition, zum Glück für die Mit- und Nachwelt. –

Aber nicht nur ein Musiker lebte in Robert Schumann, auch ein Poet, – wie der Vater einst ahnungsvoll gehofft, – und Poet und Musiker waren es, die vereint ein Organ für die Kunst gründeten: die »Neue Zeitschrift für Musik« – im Jahre 1834. Sie wurde epochemachend im Zusammenwirken hervorragender Mitarbeiter, unter ihnen Knorr, Ludwig Schunke und Friedrich Wieck. Der innige Bund dieser Feuerseelen, denen ihr Führer phantastische Namen gab und die sich als die »Davidsbündler« bezeichneten, nahm muthig den Kampf auf gegen den verflachten Geschmack und die oberflächliche Richtung der damaligen Zeit und wirkte, durch ihre ehrlichen und geistvollen Kritiken, nach allen Richtungen hin anregend und fordernd. Es war ein wohlthätiges Aufrütteln aus dem sanften Schlummer der Gleichgültigkeit. Die Kunst sollte, so sprach es Robert Schumann aus, wiederum zu vollen Ehren gebracht werden. – Gar bald bildete sich um den jungen interessanten Musiker ein hochbedeutender Kreis, der in zwangloser Weise zu bestimmten Stunden sich zusammenfand, zu dem köstlichsten Austausch von Gedanken und Empfindungen. Das von jeher so rasch pulsirende Leipziger Musikleben und die frische, geistige Luft, die von der Universität herüber wehte, war wie geschaffen zu einer raschen Weiterentwicklung dieses gottbegnadeten Talents. –

Als erste vielverheißende Compositionen flatterten aus Robert Schumann's Musikerwerkstätte die farbenschillernden, graziösen Tonsätze in die Welt, denen er den Namen »Papillions« gab. – Als Schriftsteller trat er aber zuerst hervor mit einem begeisterten Aufsatz über ein unvergleichliches Tongenie, das seine Phantasie wie sein Herz in gleicher Weise gefangen nahm, – er schrieb über Friedrich Chopin, der damals in Leipzig für kurze Zeit erschien und durch den dreifachen Zauber seiner zarten und eleganten Persönlichkeit, seines wunderbaren Spiels und seiner Compositionen, geradezu berückend wirkte und auch die Widerstrebenden hinriß. Daß eine Natur wie Schumann von einem so eigenartigen Geistesverwandten unwiderstehlich angezogen werden mußte, war begreiflich. Aber nicht allein die vielen musikalischen Berührungspunkte zwischen ihm und Chopin, die jene Beiden fast als Doppelgänger erscheinen lassen, fesselten den deutschen Musiker an den Fremden, – etwas Anderes trat überwältigend hinzu. Ein junges Mädchen, die kaum 10 jährige Clara Wieck, die Tochter seines Lehrmeisters, – spielte vor Robert Schumann zum ersten Mal Chopin'sche Compositionen. Welch einen Eindruck das erste Nocturne, – so wie das erste Concert des Vielbewunderten, das diese schlanken Mädchenhände ihm in entzückendster Weise vorführten, auf ihn machten, vermögen Worte kaum zu schildern. Vielleicht wurde in eben dieser weihevollen Stunde jene glühende, treue Liebe geboren, die fortan all sein Schaffen verklären sollte bis zum letzten Tage seines Lebens: die Liebe zu jener genialen Künstlerin, die ihm ebenbürtig war und die erst nach heißem Werben und schwerem Hangen und Bangen seine beglückende und beglückte Gefährtin werden sollte. Der alte Wieck hatte wohl andere Pläne mit seiner vielbewunderten Tochter, der poetische Liebesroman, der da unter seinen Augen seinen Anfang nahm, war ihm durchaus nicht angenehm, und so wies er den jungen schwärmerischen Freier denn ganz energisch ab, als Robert Schumann um seine Clara eines Tages muthig anhielt, was im Jahre 1838 geschah. – Die Feuertaufe des Schmerzes, die der Liebende durch diese Abweisung empfing und die zusammentraf mit noch anderem Leid, – dem Tode seiner Mutter und seines Freundes und Mitarbeiters Schunke, – zeitigte aber eine Fülle der herrlichsten Schöpfungen in der Seele des Musikers und Poeten. Die großartige Sonate in Fis-moll erstand, die er seiner Clara widmete und die ein Franz Liszt als das bedeutendste Werk seit Beethoven bezeichnete, – ferner ein Clavierconcert, die Davidsbündlertänze, die Kreisleriana und die Novelletten. Aber auch allerlei andere Arbeit drang auf ihn ein: – der Rücktritt Wiecks und Knorr's als Mitarbeiter der Zeitschrift gefährdete das Unternehmen, an dem doch das Herz des Gründers hing. Diese mahnende Stimme einer idealen Kritik durfte nicht verstummen, das Organ, das die Kunstinteressen jener Tage vertrat und förderte in jeder Weise, sollte nicht untergehen! – Wie heilig ernst nahm Robert Schumann es in seinem Blatte mit der Aufgabe einer wahrhaft Nutzen bringenden Kritik! »Ein anerkennungsvolles Hinweisen soll sie sein, auf die älteren großen Meisterwerke, offener Kampf gegen die gehaltlosen, unkünstlerischen Erzeugnisse der Neuzeit und Aufmunterung junger, strebsamer Talente. – Thörichten, Eingebildeten schlägt sie die Waffen aus der Hand; Willige schont sie, bildet sie; Muthigen tritt sie rüstig freundlich gegenüber; vor Starken senkt sie die Degenspitze und salutirt. – Wir gestehen, daß wir die für die höchste Kritik halten, die durch sich selbst einen Eindruck hinterläßt, dem gleich, den das anregende Original hervorbringt.« – So schrieb und dachte der Herausgeber der »Neuen Zeitschrift für Musik.« Und sie wurde denn auch erhalten, aber viel Last, Aerger und Unruhe kostete es doch, bis die Namen eines Mendelssohn, Hiller, Franz, Gade, Henselt und Andere sie befestigen halfen. –

Ein kurzer Ausflug nach Wien führte zu keiner, eben dort, in Gedanken an einen eigenen Heerd, gesuchten Anstellung Schumann's, – aber 1840 ertheilte die Universität Jena dem Musiker und Poeten »der theoretischen wie practischen Verdienste um die Musik willen«, wie das ehrenvolle Diplom besagte, die Doctorwürde. – – Und dann endlich zog – in demselben Jahre noch – ein goldener Tag herauf, der 12. September, – an dem sich die kleine, blumengeschmückte Kirche in Schönfeld bei Leipzig mit einem auserlesenen Publicum füllte: Robert Schumann stand mit seiner Clara vor dem Altar und die Liebe zweier Glücklichen empfing die priesterliche Weihe. Alle Hindernisse waren besiegt, der Widerstand des Vaters war gebrochen. – Die letzten Rosen blühten in den Händen der holden Braut, – – im rosigen Licht lag die Zukunft vor den strahlenden Augen des jungen Paares. Auch die Freunde und Angehörigen sahen nur Glück in diesem seltenen Künstlerbündniß, – – wer hätte an Dornen gedacht für den Lebensweg dieser beiden Gesegneten?! – Der Liedercyclus von »Frauenliebe und -Leben« – er durfte hier eine Erfüllung finden. – – Aber der dunkle Schluß – – ach, auch er sollte nicht fehlen!

Das stille selige Glück im Hause machte Robert Schumann gar bald zum Einsiedler, – er lebte nur für die geliebte Frau und seine Kunst, sein Schaffen. In üppigster Fülle entstanden Schöpfungen aller Art – vor Allen Liederhefte von höchster Schönheit, – daneben Instrumentalmusik und sein größtes Werk, jenes ergreifende weltliche Oratorium: das »Paradies und die Peri.«

Im Herbst des Jahres 1844 siedelte der Meister nach Dresden über, wohin man ihn an das neuerrichtete Conservatorium berief. – Die Redaction der Zeitschrift wurde aufgegeben, – die literarische Thätigkeit ruhte. Dagegen unternahmen die beiden Gatten größere Kunstreisen. Clara spielte auch in Rußland, dort wie überall, wo sie erschien, als Stern erster Größe gefeiert, wie selten eine Frau und Künstlerin. Man hat sie auf Händen getragen, fort und fort, geliebt und bewundert, – aber ihr glühendster Bewunderer war doch – ihr Kunstgenosse und Gatte. – Daß die Kinderstube im Schumann'schen Hause sich füllte, that der Kunst der Mutter, wie dem Schaffen des Vaters, keinen Abbruch: – – reizende Kinderlieder und Kinderscenen erstanden für das kleine Volk, – vom Vater für die Mädchen und Knaben erdacht, tönende Märchen, die er ihnen erzählte, wie sie keine Mutter schöner erfinden könnte. Und noch Einer kam und beschenkte damals die Schumann'schen Kinder mit lieblichen Melodien, der liebste Schüler des Meisters: Johannes Brahms, dessen Künstlerruhm Robert Schumann ahnend voraussagte und empfand. – In rascher Folge wuchs von Jahr zu Jahr die Liste der Schumann-Schöpfungen: – sie nennt die C-Dur Symphonie, das schöne Claviertrio Opus 80, – die Oper Genoveva, andere Claviercompositionen, die herrlichen Waldscenen und Kinderscenen, das Adventlied, – Melodramen und Ouvertüren. –

Im Ganzen nennt man die Zahl von über 133 Opera, – die Faustscenen und Manfred noch nicht eingerechnet, die bei seinen Lebzeiten erschienen, – die unser Meister geschaffen, – – bis eben jene Nacht hereinbrach für ihn, die allem Wirken ein Ende machte. Sie vertheilen sich auf den verhältnißmäßig so kurzen Zeitraum von etwa 20 Jahren. Welch eine Unsumme von Fleiß und der unermüdlichen, unerschöpflichen Arbeit eines Genies! Ein Riesenblumenstrauß, er blühte für uns und die Nachwelt in dem, was Robert Schumann hinterlassen. – Auch fremde Wunderblüthen neben Liederveilchen, und Rosen sind darunter, wie das spanische Liederspiel und »der Rose Pilgerfahrt.« –

In Düsseldorf, – von wo aus ein Lockruf erging, jene Musikdirectorenstelle, die Ferdinand Hiller bis dahin eingenommen, anzunehmen, – wuchs dann die prächtige Rheinische Symphonie empor. Schumann trennte sich schwer von Dresden und dem dortigen Stillleben, aber die Malerstadt ließ ihm keine Ruhe, er mußte endlich folgen. Der Jubel, der ihn und seine Clara dort begrüßte, als er 1850 einzog, berührte ihn wohlthuend, aber es war ein nicht zu überwindendes, krankhaftes Bedenken in ihm, das seine Freunde erschreckte und sich immer wieder in der Frage aussprach: »Es giebt doch keine Irrenanstalt in der Nähe Düsseldorfs?« –

Ach, die Schatten vertieften sich nur zu bald mehr und immer mehr, die auf seinen Künstlerweg fielen. – Nur zwei Menschen in seiner Umgebung haben sie wohl erkannt, jene schönen, tiefen Augen der bangenden Frauenliebe und die zärtliche Angst seines Schülers und Freundes Joseph von Wasielewsky, Schumann's späteren verdienstvollen Biographen. –

In der Dirigentenstellung konnte der träumerische Meister sich unmöglich wohl fühlen, die Gabe, sich leicht und entschieden verständlich zu machen, war ihm eben versagt, auch die unvermeidliche Berührung mit den verschiedenen Menschen quälte ihn. Am liebsten wäre er vom Morgen bis zum Abend in seiner Werkstatt geblieben und hätte nur ein Antlitz gesehen, das immer wie Sonnenschein auf ihn wirkte, wenn es sich über ihn neigte, – die geliebte Frau. – Durch sie allein blieb denn auch Robert Schumann mit der äußeren Welt verbunden und die Triumphzüge der großen Künstlerin verfolgte er mit dem leidenschaftlichsten Interesse. Ein kleines Heftchen mit Aussprüchen über die Musik und die Musiker, das wahre Weisheitsperlen enthält und das ich in der Hand jedes Musikers wissen mochte, erschien wohl auch damals in der Düsseldorfer Zeit – der Schubert'sche Verlag in Leipzig gab es heraus. Leider ist es vollständig vergriffen. – Es bildet gleichsam eine Ergänzung der bekannten kernigen Bauernsprüche Friedrich Wiecks. –

Immer dunkler wurde es aber um ihn her, – immer schwerer wurde es, ihn zur Erfüllung seiner Dirigentenpflichten zu bewegen, immer angstvoller waren seine Bitten um Ruhe, – – da entschloß sich endlich der Vorstand des Musikvereins, den kranken Meister seines Amtes zu entheben. – Im Herbst des Jahres 1853 legte Robert Schumann für immer den Dirigentenstab nieder, und am 7. Februar des folgenden Jahres stürzte der todtmüde, von Wahnvorstellungen und Gehörtäuschungen gehetzte und verfolgte Kranke sich in die Fluthen des Rheines. – – Er wurde nur gerettet, um schon am 4. März nach der Irrenanstalt Endenich bei Bonn gebracht zu werden, die nun das Asyl des geistig und körperlich Gebrochenen bis an sein Lebensende wurde. – – Anfangs versuchten Freunde, ihn hin und wieder zu sehen, aber die Aufregung Schumann's steigerte sich nach allen derartigen Besuchen in so hohem Grade, daß der Arzt sie im Interesse des Leidenden zu untersagen gezwungen war. Es ist erschütternd zu lesen, wie Wasielewsky, der Letzte, der den Meister sah, – von ihm selber ungesehen, – – ihn schildert: Am Flügel sitzend, – blaß und träumerisch glitten die Hände über die Tasten. – Es mischte sich in eben jene Tonphantasien, denen er sich immer und immer wieder überließ, jene wunderbar schmerzliche Frage, die er in den Tagen des Glücks geträumt, – – sein holdes, trauriges: »Warum?« – das für uns Alle niedergeschrieben wurde, – die ihre Hoffnungen und Wünsche verwelkt und zerrissen zu ihren Füßen liegen sehen. – Warum? Warum?! – – –

Clara Schumann durfte den geliebten Mann erst wiedersehen, als der Todesengel zu ihm niederschwebte, am Nachmittage des 29. Juli 1856. – –

Mit einem Blick in das theuerste Antlitz der Welt, an dem treuesten Herzen, umschlungen von den Armen seines Weibes, durfte Robert Schumann sterben, – – um weiter zu leben in aller Herzen, so lange es noch einen Cultus der holden Kunst auf Erden giebt. – –

Und wenn wir an jene geweihte Schlummerstätte der beiden nun Vereinigten auf dem Friedhofe in Bonn denken, so zieht des Meisters herrliches, friedenvolles »Abendlied« an uns vorüber, wie Joseph Joachim es so oft und unvergeßlich gespielt, – – und jener herrliche Chor erklingt, wie Geistergruß:

»Schlaf nun und ruhe in Träumen voll Duft!«

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