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Lortzing

Albert Lortzing.

Geboren am 23. October 1803 in Berlin.
Gestorben am 21. Januar 1851 in Berlin.

Wer die so allbekannten Opern Lortzings an sich vorüber ziehen läßt, mit ihrer frischen, klaren, heiteren Musik, der würde wohl nimmer glauben, daß sie unter den bittersten Sorgen und Kämpfen um das tägliche Brot niedergeschrieben wurden und daß eben dieser warmherzige, fröhliche und gute Mensch über seinen Arbeitstisch das Motto geheftet hatte:

»Das arme Herz hienieden –
Von manchem Sturm bewegt,
Erlangt den wahren Frieden
Erst, wenn es nicht mehr schlägt.«

Wie ein losgelöstes Blatt, das der Wind umhertreibt, erscheint das Leben des Schöpfers der deutschen Volksoper, der bis zum letzten Tage an das Märchen vom Glück glaubte und voller Kinderzuversicht auf ein »Glück« wartete, das nun einmal nie und nimmer zu kommen pflegt, wenn man eben – darauf wartet. – Ein Wort seines berühmten Collegen Vincenz Lachner giebt ihm, als Musiker, das wärmste Lob – wie redlich und unermüdlich hat er doch gearbeitet! Er schrieb nach Lortzing's frühem Tode: –

»Was sein Scheiden um so mehr bedauern läßt, ist, daß mit ihm der einzige deutsche Componist der Gegenwart verschwindet, der sich der komischen Oper, im eigentlichen Sinne des Wortes, zuwandte. Vereinzelte Erscheinungen ausgenommen, die im Laufe der Zeit wieder verschwunden sind, hat kein deutscher Componist, seit Dittersdorf, qualitativ und quantitativ in der komischen Oper so viel geleistet als Lortzing, deshalb steht er in dieser Beziehung auch unvergleichbar da. – Er war keine scharf ausgeprägte, selbstständige Kunstindividualität und konnte deshalb auch keinen ihm allein eigenthümlichen musikalischen Styl und, in ausschließlicher Beziehung darauf, keinen Nachahmer hervorrufen; doch ist der Grundcharacter seiner Musik, wenn er sich auch vorübergehend auf fremdländisches Gebiet begiebt, vorwiegend ein deutscher. Eine ihm eigenthümliche Naivität und Gemüthlichkeit wurzelt vorzugsweise auf deutschem Boden.« –

Wer aber auch den müde gehetzten und doch so tapferen Menschen lieb gewinnen will, mit seiner zärtlichen Liebe für Eltern, Weib und Kinder, mit seiner Treue für seine Freunde, der Herzensgüte allen Menschen gegenüber, der lese jene Briefe, die Philipp Düringer von ihm herausgab. – Nur seinen Getreuen klagte er seine ewige Noth und nur Eines verlangte er von ihnen: Mitgefühl. Vielleicht daß man ihm dauernd geholfen haben würde, wenn er sich irgend einem reichen Gönner entdeckt hätte, aber das ließ sein Künstlerstolz eben nicht zu: lieber darbte er. Ob dieser Stolz in seiner Lage am Platze war, – wer dürfte darüber entscheiden? Er arbeitete als Musiker, als Sänger, als Schauspieler, als Dirigent – und als er sah, daß alles Mühen und Schaffen umsonst war, da verhüllte er sein Haupt und starb, – als tapferer Ringer mit den Waffen in der Hand. –

Echtes Theaterblut floß in Albert's Adern – beide Eltern hatten sich dem Schauspielerstande gewidmet, die Mutter war als eine gewandte Soubrette bekannt. Der am 23. October 1803 in Berlin geborene Sohn blieb das einzige, zärtlich geliebte und behütete Kind, dessen Herz wiederum mit all' seinen Fasern an Vater und Mutter hing. – Albert empfing eine gründliche Schulbildung, dem Wanderleben zum Trotz, das die Eltern führen mußten. In der Musik wurde der gelehrte Rungenhagen sein erster Lehrer. Schon früh trat der Knabe in Kinderrollen aller Art auf. Man verhätschelte das frische, fröhliche Kind überall und die Orchestermusiker nahmen ihn gar oft, gleichsam als blinden Passagier, während der Musikaufführungen zu sich und ließen ihn mit in die Notenblätter schauen. Gar bald fing er mit Eifer an, Geige, Clavier und Cello zu studiren, und saß später mit brennenden Wangen über allerlei musikalischen Lehrbüchern, die man ihm zusteckte. Fleiß, nach allen Richtungen hin, trat schon früh als eine hervorragende Eigenschaft Lortzing's zu Tage. Bereits in den Nothjahren 1816 und 1817 unterstützte er die geliebten Eltern durch Notenschreiben, denn die Schauspielergage war eben erbärmlich und reichte weder zum Leben noch zum Sterben. – Damals ist die Familie nicht selten gemeinsam spazieren gegangen um die Mittagszeit, mit einem Stück Brot in der Tasche, um den Hausgenossen den Glauben beizubringen, daß man bei Freunden zu Tische geladen sei. – Da ist denn gar oft der Sohn mit glückselig leuchtenden Augen herangesprungen und hat dem Vater seinen kargen Verdienst durch das Notenabschreiben in die Hand gelegt mit den Worten: »So, mein Papachen, jetzt müßt Ihr wieder einmal etwas Warmes essen. Ich brauch's nicht!« – – Die Liebe und Verehrung für die Eltern wohnte im Herzen des Sohnes, so lange er athmete. Bis zum Jahre 1822 war der hübsche junge Mensch mit dem feinen Gesicht und der schlanken, beweglichen Gestalt an verschiedenen kleinen Bühnen als Sänger und Schauspieler engagirt, half auch wohl geigen und dirigiren und war eben zu Allem zu gebrauchen. Die Stimme ließ sich bald zu kleinen Tenor-, bald zu Baritonparthien herbei – – er war eminent musikalisch und bewältigte, was man ihm auch immer auflud. In Köln, wo ihn Director Ringelhardt, den Lortzing später in Leipzig wiederfand, engagirte, zog die Liebe zu einer reizenden kleinen Schauspielerin in das junge Herz – und da er auf das Sprichwort sich berief, daß jung gefreit noch Niemand gereut, so gaben die Eltern lachend zu der frühen Heirath ihre Einwilligung. Die Lortzing'sche Ehe ist denn auch in allen harten Kämpfen und schweren Sorgen eine musterhaft glückliche geblieben: – Beide trugen Leid und Freud' in zärtlicher Liebe miteinander und bereiteten ihrem Kinde trotz aller Entbehrungen, eine sonnige Jugend. –

Die erste kleine Oper von Lortzing »der Pascha von Janina« erschien 1824 – und später das Liederspiel »der Pole und sein Kind«, sowie Scenen aus Mozart's Leben. – Acht Jahre später war nach vielfachem Umherziehen, Suchen und Tasten Leipzig der feste Wohnsitz der Familie Lortzing, alt und jung, geworden, und das war wohl die glücklichste Zeit des jungen Musikers. Alle lebten gleichsam unter einem Dach an Ringelhardt's Theater – der Vater als Cassirer, die Mutter als komische Alte und Albert wurde in verschiedenster Weise beschäftigt. Er sah sich von allen umgeben, die er liebte, hatte Zeit, sich der geliebten Musik hinzugeben, und verlangte nichts mehr. Die Kinder, die ihm geboren wurden, waren sein Entzücken – heiter und dankbar für Alles, was ihm geworden, fand er unter den Freunden, die er sich überall in den verschiedensten Kreisen so rasch erwarb, reichlich Gelegenheit, seinen köstlichen Humor auch im Leben zu entfalten, der von der Bühne herab stets so erquickend und unwiderstehlich wirkte. – Damals war der allgemeine Liebling wirklich ein glücklicher Mensch. – Neben verschiedenen Singspielen entstand zunächst die Oper »die beiden Schützen« und der Componist selber sang die Rolle des dummen Peter mit wahrer Virtuosität. Die Oper wurde mit Jubel aufgenommen und am 22. December desselben Jahres (1837) erlebte Lortzing's »Czar und Zimmermann« seine erste Aufführung. Seltsamer Weise reichte der erstmalige Erfolg nicht an die Wirkung der beiden Schützen hinan. Erst als diese populärste aller Schöpfungen des Componisten in Berlin Furore gemacht, nahm auch Leipzig sie zu Gnaden an. Alle kleineren und größeren Bühnen folgten nach – im Nu war der Name Lortzing auf aller Lippen. – Wären nur die Honorarverhältnisse besser gewesen! Die meisten Bühnen zahlten 10-12 Friedrichsd'or, die kleinen gaben nicht mehr wie 30 Thaler. Dabei kostete das jedesmalige Abschreiben der Partitur 25 Thaler. – Ach, mit welcher Freude bezahlte, in Erinnerung an seine eigene Copistenarbeit, der Componist seine Notenschreiber! Mit strahlendem Lächeln sagte er: »Es ist doch gar hübsch, wenn man die armen Leute etwas verdienen lassen kann!« – –

Allmählich regnete es auch Vasen, Brillantringe, Tactstäbe und dergleichen, wenn es auch freilich nie in dieser Beziehung zu einem Wolkenbruch kam. – Aber in's Volk drangen alle die Lortzing'schen Melodien unaufhaltsam, die Orgelspieler auf den Straßen und die Harfenmädchen spielten und sangen sie überall. Das war eine Freude! – Weiter und immer weiter wurde nun componirt. Bis zum Jahre 1840 waren erschienen: die Schatzkammer des Inka, Caromo oder das Fischerstechen, Hans Sachs und Casanova. Dann nahm dem unermüdlich Fleißigen ein tiefer Schmerz für eine Weile die Arbeitsfeder aus der Hand: Albert Lortzing verlor seinen Vater. – Erst 1842 ging der köstliche »Wildschütz« in Scene. –

Bald darauf vollzogen sich zwei bedeutungsvolle Ereignisse in Lortzing's Leben: er wurde zum Capellmeister am Leipziger Stadttheater bestimmt und – verlor seinen von ihm hochgeschätzten Theaterdirector Ringelhardt. Der neue Chef contrahirte mit allen Mitgliedern der Bühne nur auf ein Jahr. – – Die liebsten Freunde schieden, – für Lortzing selber, der damals mitten in seiner neuen Oper »Undine« steckte, begann ein kurzes Wanderleben und Wanderdirigiren. – Wohl waren Anfangs Erfolge und Ehren überall groß für ihn, – – aber die Sonne seines Glückes neigte sich doch schon zum Untergange. – Mit dem 1. August 1844 trat er seine feste Capellmeisterstellung unter dem neuen Theaterdirector an. – – Das Verhältniß sollte leider nicht von Bestand sein. Die bittertraurigen Schilderungen in Lortzing's Briefen an seine Freunde enthüllten Schritt vor Schritt die Unmöglichkeit eines, für beide Theile erträglichen Zusammenwirkens. Auf welcher Seite die Hauptschuld, mag unerörtert bleiben. Die alte treue Mutter, Weib und Kinder waren sein Trost. – – Verschiedene Bühnen machten dem Leipziger Capellmeister Anerbietungen, aber sie waren meist so trauriger Art, daß Lortzing sich nicht zu entschließen vermochte, sie anzunehmen. – Bald hier bald da taucht seine schlanke Gestalt auf, – – um wieder zu verschwinden. Herzzerreißende Briefblätter, die von Kränkungen und Noth erzählen, füllen die Lücken aus. – So lange die Seinen noch in Leipzig auf irgend welche Anstellung Lortzing's warten mußten, verzehrte obendrein das brennendste Heimweh, die verzweifelndste Sehnsucht sein Herz. – Endlich war ein Hafen gefunden: – die fröhliche Kaiserstadt an der schönen blauen Donau. »In Wien bin ich, – meine Familie ist auch da. Die Opernverhältnisse aber gefallen mir nicht!« So lauteten die ersten Worte aus der neuen Heimath an den treuen Freund Düringer in Mannheim. – –

Ein kleines Aquarell mag nun auftauchen, zur Erinnerung an Albert Lortzing.

Es war auf einer Reise von Leipzig nach Berlin in glücklicher Zeit, als Albert Lortzing eines Tages seinen alten Lehrmeister, den gelehrten Rungenhagen, zur Mittagsstunde aufsuchte. Eine mürrische alte Magd, das Factotum des Hauses, musterte ihn mit offenbarem Mißtrauen und wies ihn an, auf eine Thür deutend, im Musikzimmer zu warten.

»Der Herr Professor schreibt eben wieder einmal einem Musikanten einen Laufpaß,« sagte sie in übelster Laune, »das Essen wird darüber natürlich kalt werden, wie schon so oft. Sie sind wohl auch so Einer?«

Der allzeit Bescheidene nahm nach diesem Wink seufzend sein kleines Hütchen und war eben im Begriff, der ungastlichen Pförtnerin zu geloben, zu einer passenderen Zeit wieder vorzusprechen, als aus dem Musikzimmer, vom Flügel her, wirbelnde Läufe und Accorde ertönten, denen fesselnde Weisen folgten. Wie hätte da ein rechter Musiker seinen Posten verlassen können?! Das waren ohne Zweifel Künstlerhände, die da eben spielten. Albert Lortzing stand denn auch, wie gebannt, zum größten Aerger der Alten, die, den »Winter des Mißvergnügens« im Gesicht zurück in die Küche schlurfte und die Thüre so unsanft wie möglich hinter sich zuschlug. Es tönte da drinnen weiter wie eine Symphonie mit Paukenschlag: – Spieler und Hörer ließen sich durch nichts stören, ein voller Strom von Melodien wogte und brauste auf und ab. Dann aber verstummten die Töne plötzlich – die Stimme Rungenhagen's ließ sich vernehmen. Eine kurze Zwiesprache fand nur noch statt, dann wurde die Thür des wohlbekannten Musikzimmers aufgerissen und ein schlank aufgeschossener Jüngling, die Mütze in der Hand, stürmte ohne Gruß an dem Draußenstehenden vorbei, öffnete und schloß hastig die Flurthür mit ihrer schrillen Klingel und rannte die Treppe hinab.

»Albert Lortzing!« rief jetzt der gelehrte Musiker freudig. »Willkommen endlich wieder einmal! Dich lasse ich nicht so rasch fort. Hannchen, geschwind die Suppe! Hast du das junge, ungestüme Menschenkind eben da drinnen spielen hören? – Ja, – nun das freut mich. Wir wollen abwarten, ob etwas aus ihm wird! Jetzt ist's noch kaum mehr als ein verbummeltes Genie, ein Königsberger, der seinem Vater, einem Musiklehrer, einfach davon gelaufen ist, weil der ihm nur mit dem Stock in der Hand Unterricht gab. Auch unser Bernhard Klein hat sich mit ihm herumgeplagt. Jetzt habe ich ihn unserem preußischen Gesandten in Rom, dem musikfreundlichen Bunsen, empfohlen. Er braucht eben einen tüchtigen jungen Musiker, um die vernachlässigte evangelische Kirchenmusik dort wieder etwas auf die Beine zu bringen. Gelegenheit zu den interessantesten Studien ist vorhanden. Hält der Empfohlene sich gut und zeigt er sich tüchtig, so ist ihm der Organistenposten an der deutschen Gesandtschaftscapelle sicher. Otto Nicolai, so heißt er nämlich, könnte dort sein Glück machen und wäre für alle Zeiten geborgen. Wenn er nur aushält!« schloß der gelehrte Professor nachdenklich.

»Schade, daß man dort keinen Operncomponisten, Sänger und Komödianten brauchen kann«, lautete die von einem tiefen Seufzer begleitete Antwort. »Sein Glück machen können, wie verlockend das klingt! Und sein Nest bauen dürfen, das kein Sturm zu zerstören vermag, gleichviel, woher er immer wehe. Es würde mir gleich sein, ob es an einer Pinie oder an einem Eichbaum hinge, oder wie ein Schwalbennest unter einem Dache, nur geborgen sein und sorgenlos nach Herzenslust arbeiten dürfen!«

»Geduld, Geduld, mein Lieber! Wenn irgend einer, so hat doch wohl ein Albert Lortzing das Zeug, ein Glückskind zu werden. Ihr könnt es nur immer nicht erwarten, ihr jüngeren Leute!« sagte der ehemalige Lehrmeister des Verzagten, und klopfte ihn ermuthigend auf die Schulter. »Und nun komm', mein Junge, laß uns essen und plaudern! Bei einem guten Glase Wein erzählst du mir von deinen neuen Compositionen. Schade, daß dir nur Opern im Kopf und Herzen stecken, ich hätte so gern allerlei Chöre im Kirchenstyl mit meiner Singakademie von dir aufgeführt. Nun, was nicht ist, das kann noch werden! Wer weiß, was du mir noch einmal schickst oder bringst! Du hast noch eine Zukunft vor dir! Ich habe nur eine Vergangenheit hinter mir!«


An der Orgel der kleinen deutschen Gesandtschaftscapelle in Rom saß er wirklich als Organist, jener junge Königsberger, der mit ernstem Willen und Fleiß sich in die strengen Fugen und Präludien eines Sebastian Bach vertieft hatte und auch die Werke der alten Herren, der Vorgänger des Leipziger Kantors, eifrig studirte. In seinem hübschen Zimmer, hoch gelegen, unweit des Gesandtschaftsgebäudes, waren interessante Folianten mit seltsamer Notenschrift aufgehäuft und die schlanke Künstlerhand blätterte stundenlang in allerlei alten Partituren deutscher und fremdländischer Kirchenmusik, die ihm sein liebenswürdiger Gönner, der preußische Gesandte, Freiherr von Bunsen, verschafft hatte. Er hatte den deutschen Musiker sehr bald lieb gewonnen, berief ihn fast täglich in sein Haus und freute sich mit dem auserwählten Kreis seiner Freunde an dem genialen Spiel seines Schützlings.

Otto Nicolai fand sich überraschend schnell zurecht in dieser ihm früher so gänzlich fremden gesellschaftlichen Atmosphäre und bewegte sich gar bald mit ungezwungener Sicherheit in jener neuen Welt, sich die Formen des Verkehrs der vornehmen Aristokratie mit großer Leichtigkeit aneignend. Man begegnete ihm mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit und viele, sonst ungewöhnlich exclusive Familien der ersten Gesellschaft, öffneten dem Schützling eines Bunsen und dem Organisten der Gesandtschaftscapelle ihre Thüren und vertrauten ihm den Musikunterricht ihrer Kinder an. Gar manche vornehme Musikschülerin schwärmte sogar ein Weilchen für diesen liebenswürdigen Lehrmeister aus dem fernen deutschen Norden.

Die musikalischen Schätze auf dem Gebiet altitalienischer Kirchenmusik erschlossen sich ihm, er durfte alle jene Herrlichkeiten, die man sonst streng unter Schloß und Riegel hielt, ungestört und in bequemster Weise kennen lernen.

Sein Leben war das angenehmste, sorgloseste der Welt, und doch und doch – schlug etwas in seiner Seele wie mit Flügeln an die Gitterstäbe eines engen Käfigs. – Wer eben eine Zugvogelnatur mitbekam auf die Lebensreise, der hält es eben einmal nun und nimmermehr in der Gefangenschaft aus, und wäre es eine hinter vergoldeten Gittern und auf den weichsten Ruhebetten. Wenn er plötzlich beim Angelusläuten hochaufathmend die Bücher zuschlug, um hinauszueilen auf irgend eine Anhöhe, – in irgend einen einsamen Garten, auf die Terrassen des Palastes Farnese mit ihrer zerbröckelnden Herrlichkeit und ewigen Naturschönheit, oder, auf eine Mauerbrüstung gestützt, hinausschaute über die ewige Stadt, über die dunklen Pinien- und Cypressengruppen, in all die Höfe mit den rauschenden Springbrunnen, dann überkam ihn eine so wilde Wandersehnsucht, daß er hatte aufschreien mögen vor Weh. Er drückte dann wohl sein erglühendes Antlitz in irgend eine Hand voll Blätter und Blüthen die er herabriß, um in ihnen die hervorquellenden Thränen zu ersticken.

Und noch toller kam dieser seltsame Schmerz über ihn, wenn er im Theater saß und Bellini's, des damaligen musikalischen Opernkönigs, süßberauschende Weisen an sein Ohr schlugen, und Tag und Nacht verfolgten ihn dann jene Melodien, wie eine Schaar zwitschernder Vögel, und störten ihn in seinen Studien. Die Orgel umflatterten sie, auf den Seiten der Partituren, zwischen den wunderlichen Notenzeichen, ließen sie sich nieder.

Wie betäubender Rosenduft drang es dann auf ihn ein, neben dem Lilienathmen frommer Kirchenweisen.

Otto Nicolai war denn auch Zeuge der unendlichen Triumphe, die Bellini's Opern damals feierten, – er hörte Maria Malibran und Rubini in ihnen singen und statt der Sätze des Pergolese und Palestrina, der Musik eines Lotti und Caldara und der frommen, strengen Kirchensätze eines Heinrich Schütz und Sethus Calvisius, drängten sich der Liebeshymnus eines Romeo und seiner Julia, die leidenschaftlichen Klagen einer Norma, auf die Tasten seines Flügels. Welch ein Glück über Alles war es wohl, so gefeiert zu werden, so die Menge hinzureißen auf den Brettern, die nun einmal immer und überall »die Welt bedeuten«, solche Melodien zu träumen für schöne Frauen und stolze Männergestalten, die sie voll Leidenschaft und Hingabe sangen!

Was war wohl im Vergleich zu solchem Taumel das einförmige Stillleben hinter den bunten Scheiben der Gesandtschaftscapelle, die Versorgung eines protestantischen Organisten in dem mächtigen Rom?! Und der Schützling eines gütigen, geistvollen Gönners fühlte stündlich das heimliche, glühende Verlangen wachsen und ihn verzehren, auch einmal Opernmusik niederzuschreiben und zugleich zu leben, seine eigenen Melodien einer begeisterten und begeisternden Sängerschaar vorzuführen und einzustudiren und einem lauschenden Publicum zu zeigen: »Seht, das kann ich! – Anch io sono pittore – aber in Tönen!«

Diese wachsende Sehnsucht durchdrang denn auch sein Spiel, es kam ein fremder, aufregender Zug hinein, den die meisten seiner Hörer unwiderstehlich nannten und der nur einen beunruhigte, seinen Schutzherrn. Es war ihm, als sei ein geliebter Sohn plötzlich auf einen Irrweg gerathen. Und so zog denn eine Stunde herauf, wo er in wahrhaft väterlicher Weise zu ihm redete und Otto Nicolai ihm offen alles beichtete, was von seiner Seele Besitz genommen, seine Unlust zu der gewohnten Arbeit, seine weltlichen Gedanken und Tonträume, wie etwa ein junger Mönch einem ernsten, milden Abt seines Klosters sein Zweifeln und Bangen beichtet, im Vertrauen auf einen gütigen Spruch.

Und nach langem Hin- und Widerreden, nach leidenschaftlichen Bitten und Versprechungen und eindringlichen Mahnungen, bewilligte der Ritter Bunsen wirklich seinem Schützling einen unbestimmten Urlaub, zu freier Arbeit und einem Streifzug durch Italien.

In die Gesandtschaftscapelle zog nun ein Anderer ein, dem keine »Julia« und »Norma« jemals erschien und schlaflose Nächte brachte. Otto Nicolai aber durchzog frühlingstrunken das Land, wo die Citronen blühen, aber nicht allein, sondern mit einer hastig zusammengestellten Operntruppe, für deren italienische Prachtstimmen er: » il Proscritto« und » il Templario« componirte. Es waren tolle und hastige Künstlerfahrten – wie ein Traum lag bald seine Studienzeit, lagen die Stunden an der Orgel hinter ihm – das wirkliche Leben hatte begonnen. Lachende Frauenaugen begegneten den seinen, frische, schwellende Lippen sangen seine Melodien – ein Dasein voll berauschender Musik und kecker Lust hielt ihn gefangen. Immer neue Weisen schwebten gleichsam in der Luft; wie entzückend war es, nach ihnen zu greifen und sie festzuhalten! Otto Nicolai war damals der glücklichste Mensch der Welt.


Den besten Ruf genoß wohl in den vierziger Jahren in der Kaiserstadt an der schönen blauen Donau die Künstlerkneipe »zum Blumenstock«, wo sich zu allen Stunden die interessantesten Gestalten aus der Welt der Musiker, Maler und Poeten zusammenfanden. Ein ewiges Kommen und Gehen fand hier statt, und die Wände all der einfachen Zimmer könnten von den geistvollsten und originellsten Gesprächen erzählen, die vor ihnen geführt, und von manchem frohen Gesang, der dort laut geworden. Man bekam vor Allem einen guten Trank für wenig Geld, und der damalige Wirth, ein fröhlicher Rheinländer und einstmaliger Goldschmied aus der alten, »hilligen« Rheinstadt Köln, Konrätz mit Namen, hatte für jeden Besucher und Gast ein freundliches Gesicht und ein herzliches Willkommen, aber für die Armen und Unbekannten genau so wie für die Reichen und Berühmten. Bis in den hellen Morgen hinein saß man dort gar oft beisammen, um über das Wesen der geliebten Kunst zu reden, wohl auch allerlei Parteikämpfe auszufechten, die an unversöhnlicher Heftigkeit denen der Montecchi und Capuleti nichts nachgaben. Es mag ein ähnliches Künstlerversteck gewesen sein wie einst, in Berlin, die berühmte Weinstube von Lutter und Wegner, wo Theodor Amadeus Hoffmann seine grausigen Spukgeschichten erzählte, oder der Kaffeebaum in Leipzig, zur Zeit Robert Schumann's, wo die Davidsbündler tagten, oder der Ponte Molle in Rom, den ein Victor von Scheffel besang.

In diesem »Blumenstock« eben saß denn eines Abends auch der Capellmeister an der Wien, Albert Lortzing, recht herzlich müde in einer Ecke, und der Wirth versuchte diesmal vergebens, ihn aufzumuntern. Er hatte einen opernfreien Abend dazu benützt, eine recht gründliche Probe abzuhalten zu seiner neuen Oper: »der Waffenschmied«, und die Sängerinnen und Sänger waren so wenig aufgelegt gewesen, daß der Componist heftig und ärgerlich geworden war. Konrätz nahm ihm eben heimlich den gewohnten billigen Wein weg, um ihn unvermerkt durch eine feine Flasche zu ersetzen, – eine bessere Sorte zu fordern, hätte sich der Componist des »Czar und Zimmermann« nimmermehr gestattet.

Ach, es wollte noch immer nicht zu ihm kommen, das Glück, trotz aller Geduld, mit der er auf diesen heiß ersehnten Besuch wartete. Zum »Glück« gehört eben – Glück.

Das warme Nest war ebenfalls noch nicht da, und wie eifrig hatte er sich doch auch darum gemüht! Immer noch der alte, aufreibende Kampf mit Noth und Neid! Wann wurde es anders?! Ob denn alle Musiker so viele Dornen fanden auf ihren Wegen wie eben er?! Und die Menschen jubelten doch allen seinen Opern zu. – Aber der geliebte Wolfgang Amadeus freilich, der hatte doch noch größere Entbehrungen erlitten, und was war er denn gegen einen Mozart?! –

Da trat eben ein eleganter Herr ein, mit weltmännischem Wesen, freundlich grüßend und dem Wirth die Hand reichend, mit den Worten:

»Eine Flasche vom Allerbesten!«

»Sie kommen gerade zur guten Stunde, Herr Musikdirector und Hofcapellmeister, damit sich wieder einmal zwei tüchtige Musiker im alten Blumenstock begegnen«, rief freudig der wackere Konrätz, »solche Begegnung müssen wir tüchtig begießen! Hieher, an diesen Tisch, ich bitte! Dieser Herr da ist nämlich unser Capellmeister an der Wien, Albert Lortzing, und dies hier, lieber Lortzing, ist ein rechtes Glückskind, das frisch aus Italien kommt und als Hofcapellmeister und Director des Domchors nach Berlin geht, auf Empfehlung des preußischen Gesandten in Rom. Es ist Herr Otto Nicolai, er hat auch Opern geschrieben, aber bei uns ist noch keine aufgeführt worden, allerlei gute Freunde haben's nicht gelitten!« Und er lachte hell auf am Schluß dieser seiner langen Rede.

»Otto Nicolai?« wiederholte die Stimme des Aufhorchenden in der Ecke, der plötzlich seine Müdigkeit vergaß und sich langsam erhob. »Derselbe, der sich bei meinem Lehrmeister Rungenhagen in Berlin einen musikalischen Geleitsbrief holte und ohne Gruß an mir vorbeilief, als ob das Haus brenne?!«

»Derselbe!«

»Also so sieht ein Glückskind aus!« rief Lortzing aus tiefster Brust und musterte halb schwermüthig, halb bewundernd den Anderen, der ihm die Hand entgegenstreckte.

»Ja, ein Glückskind, denn ich finde hier einen Albert Lortzing, dessen Schöpfungen ich kenne und liebe, und kann ihn nun Auge in Auge fragen, ob er meine erste deutsche Oper, die ich auf deutschem Boden componirte, einmal durchsehen will, um mir offen und ehrlich zu sagen, ob etwas daran ist! Gewisse Musiker, sogenannte gute Freunde, haben bis zur Stunde die Aufführung hintertrieben, natürlich zu meinem Besten,« setzte er lachend hinzu, »und nun muß ich in Berlin mein Glück versuchen! Wollen Sie das Ding sehen und hören?«

»Von Herzen gern!«

»Ich schlage aber vor,« rief jetzt der Wirth des Blumenstocks dazwischen, »daß dies morgen Vormittag mit frischen Kräften geschehe, bei einem behaglichen Frühschoppen, den wir ad infinitum verlängern, heute ist Freund Lortzing müde! Ich liefere dann den Wein und ein Fäßchen Caviar!«

»Nein, nein, wir bleiben gleich hier sitzen«, entschied Lortzing plötzlich heiter und angeregt. »Wenn ich eine Opernpartitur wittere, weiche ich nicht von der Stelle; Freund Konrätz schickt einen Boten zu meiner Frau, daß sie sich nicht um ihren leichtsinnigen Mann schlimme Gedanken mache, und Herr Nicolai schafft seine Partitur herbei. Der Frühschoppen mag meinetwegen das Ende, aber nicht der Anfang unserer Berathung sein. Er wird uns trotzdem schmecken! Im Nebenzimmer steht ein alter Streicherflügel, lassen wir die Schöpfung des Glückskindes über seine Tasten ziehn!«

Ohne Erwiderung stand Nicolai auf und verschwand.

Als er wiederkehrte, die Partitur unter dem Arm, wurde, ehe er seinen Schatz auspackte, rasch ein tüchtiger Imbiß zur Stärkung genommen. Dann enthüllte er den Titel des neuen Opus. Mit großen Lettern stand da geschrieben: »Die lustigen Weiber von Windsor.«

Wie die Nacht hingeschwunden war für die beiden Musiker, Keiner wußte es später zu sagen. Beim Frühschoppen geschah es aber, daß der neidlose, warmherzige Albert Lortzing in tiefer Bewegung ausrief: »Ihre Oper verräth ein eminentes Talent, lieber College. – Sie sind mein größter Rivale und werden auch hier – ein ›Glückskind‹ sein und bleiben!«

Jahrelang hat man von dieser langen Musikersitzung im Blumenstock geredet.

Jetzt sind sie alle todt, die an ihr einst theilgenommen: – der lustige Wirth, Otto Nicolai und der arme Albert Lortzing, dessen Opern trotz alledem noch immer die Wirkung eines heiteren Frühlingstages ausüben und die das deutsche Volk noch bis zur Stunde nicht aufgehört hat, zu lieben.

Nur ein einziger deutscher Rivale erstand ihm in der That in dem Schöpfer der »Lustigen Weiber«, dem Glückskind: Otto Nicolai.

Nur in seinem sanften, ahnungslosen Tode wurde Albert Lortzing ein »Glück« zu Theil in der Liebe treuer Freunde und edler Menschen, die für seine armen Hinterbliebenen sorgten. Als Grabschrift Albert Lortzing's schrieb Düringer folgenden ergreifenden Vers nieder:

»Sein Lied war deutsch und deutsch sein Leid,
Sein Leben Kampf mit Noth und Neid,
Das Leid flieht diesen Friedensort,
Der Kampf ist aus: – sein Lied tönt fort!«

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