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Marschner

Heinrich Marschner.

Geboren am 16. August 1796 in Zittau.
Gestorben am 14. Dezember 1861 in Hannover.

Von der Waldluft der Romantik Carl Maria von Weber's angeweht, gleichsam in ihr groß gezogen, erscheint Heinrich Marschner vor uns. Er hat uns mit Gaben überschüttet, deren eigenartiger Zauber uns noch heute fesselt und entzückt, wie ein Blumenstrauß, an einem im Mondlicht schimmernden Waldsee gepflückt. Nur vom blassen Mondlicht beschienen sind freilich auch die Wege, die er hier auf Erden gewandelt ist. Auch er hat nicht zu den bevorzugten Sonnen- und Glückskindern gehört, die Nachwelt dürfte ihm dankbarer sein, als die Zeitgenossen es je gewesen sind.

Als Motto zu dem Marschnerkopf möchte ich einen Vers eines Oesterreichischen Dichters niederschreiben, des Grafen Emerich Stadion; er giebt in Worten ein tiefempfundenes Bild seiner Musik:

»Im »Heiling« und »Vampyr« hör' ich die »blaue Blume« klingen,
Sie blüht und träumt allda im silberduft'gen Vollmondlicht –
Dämonen schleichen um sie her, nicht wagend sie zu pflücken,
Der Genius der Musik allein sie für ein Eden bricht.«

Eine heitere Episode aus den Lebensanfängen jenes ernsten Magiers des Nordens möchte ich hier einflechten:

»Ganz Zittau, das gemüthliche Städtchen in der Oberlausitz, war im Winter des berühmten Weinjahres 1811 in Aufregung, ein Theil der Truppe des bekannten Tanzmeisters Butenow hatte für einige Wintermonate Quartier aufgeschlagen, und die großen und kleinen Füße der ehrbaren Bürger und Bürgerinnen schienen von Stund' an sich nur im Mänadenschritt oder Tanzrhythmus über das unebene Pflaster der Straßen zu bewegen. Nie war der Marktplatz, wo damals das Gasthaus zum goldenen Löwen belegen, so belebt gewesen, wie dazumal, denn Männlein und Weiblein sehnten sich nach dem Anblick jener Freudenbringer, der Tänzerinnen und Tänzer – aber alle diese verschiedenen heimlichen Bewunderer und Bewunderinnen wanderten, wohlweislich, nicht zu gleichen Stunden dort auf und ab. Die Hauptpersonen der Gesellschaft wohnten im Gasthof – die untergeordneten Balleteusen wurden bei allerlei kleinen Leuten untergebracht. – Es mischte sich plötzlich ein fremder, berauschender Tropfen in die Milch der frommen Denkungsart der guten Zittauer, mit dem Einzug jenes leichtlebigen Völkchens; Alt und Jung verspürten seine Wirkung. – Nie waren die Schüler und Schülerinnen der verschiedenen Lehranstalten unaufmerksamer gewesen, nie so viele Strafen ausgetheilt worden, als in eben dieser Zeit, und bei den Gymnasiasten gar stand der düstere Aufenthalt des Carcerstübchens fast keinen Tag leer. – Der Zudrang zu den Vorstellungen der Tänzergruppe erwies sich als geradezu lebensgefährlich; es war so verlockend, für ein paar Stunden wenigstens die Noth der schweren Zeit zu vergessen, und die bescheidenen Preise griffen die Kasse ja nicht allzusehr an. – Die lustigen Melodien, die bunten Flitter, die zierlichen Pirouetten und gewagten Sprünge waren etwas Neues und Berückendes für die Kleinstädter.

Von sehr geräuschvollem Beifall getragen, hüpften Abend für Abend alle diese verschiedenen Gestalten auf der Bühne umher, und die Zuschauer hätten am liebsten mitgetanzt, so fühlten sie sich fortgerissen durch den Rhythmus der Bewegung. –

Selbstverständlich bildeten sich für die prima Ballerina, eine längst verblühte Rose, und den ersten Tänzer, einen zweiten »Harras, der kühne Springer«, leidenschaftlich erregte Parteien, die sich gegenseitig heftig bekriegten und eifersüchtig ihre Lieblinge bewachten. Die Truppe war nicht groß und schließlich fand jedes Mitglied unter den Zuschauern seinen stillen, dankbaren Bewunderer.

Unter dem Balletchor aber befand sich ein braunes, geschmeidiges Ding, wohl kaum 15 Jahre alt, das dann und wann mit einem kleinen Solo bedacht wurde. Es war eine fast schlangengleiche Behendigkeit in dieser biegsamen, feinen Gestalt, eine irrlichtartige Ruhelosigkeit und nie tanzten wohl kleinere Füße in rothen Schuhen als hier. – Wenn sie trotz ihres großen Talents wenig Beachtung fand, so trug wohl daran das kleine düstere Gesichtchen die Schuld, das durch ein Paar große, schwarze Augen seltsam beleuchtet wurde, – und der herbe Mund, den nie das übliche Tänzerinnenlächeln umspielte. Es war höchst selten, daß das zierliche Ding zum Vorschein kam und sich aus dem Chor löste, – – sobald die niedlichen Füße in der Nähe der Rampe hin und her wirbelten, schob sich sicher eine von der alten »Garde« vor, die zwar eines Tages stirbt, aber niemals sich »ergiebt«, weil sie niemals einsehen will, daß die ersten Rechte der Jugend gebühren. – –

Aber Einer, ganz im dunkelsten Winkel des düstern Thaliatempels, – ballte die Fäuste vor Zorn über solche Behandlung eines offenbaren Talents und verwandte kein Auge von der kleinen Emmy. – War sie doch seine Hausgenossin – aber er hatte das erst erfahren, als er eines Tages, in der Dämmerung, in gewohnter Weise die enge und schmale Haustreppe in drei Sätzen nahm und ihm am Ende etwas Weiches, Warmes in die Arme und an die Brust fiel. Ein kleiner Schrei war zugleich laut geworden und eine Thür – gegenüber seinem eigenen Kämmerlein – wurde geöffnet und in dem Lichtschein, der nun breit auf die Treppe fiel, sah der erschrockene Tertianer in zwei große, dunkle Augen und erkannte mit gewaltigem Herzklopfen die schlanke Tänzerin. – Als er nun zurückwich und die Mütze zog, lachte sie ihn an und sagte: »Es that nicht weh!« –

Seit jener Stunde legte der junge Mensch eine auffallende Vorliebe an den Tag für ein Dachstübchen, das er sonst nur im Sommer zu benutzen pflegte. Er erklärte plötzlich seiner im Parterre wohnenden, sehr geliebten Mutter, daß er dort in der Höhe viel besser studiren könne, und auch das kleine heisere Clavier, das er besaß, wurde hinauf geschafft. »Es macht zu viel Lärm, wenn ich übe,« versicherte er, »und Du weißt, ich muß so viel als möglich spielen, wenn ich nicht alles verlernen will, was der gute Organist Bergt in Bautzen mich gelehrt hat!«

»Aber es ist kalt droben und ein Ofen kann da nicht gesetzt werden und daneben wohnt die Tischlers-Wittwe und die hat Eine vom Ballet aufgenommen; wird dich das Alles nicht stören, mein Junge? Wenn dein armer Vater noch lebte, würden wir uns nicht so behelfen müssen, dann hättest du sicher eine warme Stube für dich allein – – so aber – –«

Ihre Stimme brach in Schluchzen. der Sohn legte ihr sanft die Hand auf den Mund, umfaßte sie zärtlich und versicherte, daß es kein angenehmeres Arbeitsstübchen in der Welt geben könne, als das dort oben, und daß er es gar nicht aushalten würde, wenn da ein Ofen stehe. Und stillere Frauen hätten wohl noch nie gelebt, als die beiden neben seinem Kämmerlein, und die kleine Emmy vom Ballet wäre so ein braves Ding, daß sie verdiene, einmal Sonntags Nachmittags eine Tasse Kaffee bei seiner Mutter zu trinken, welche Zumuthung die gute Frau jedoch erschrocken abwehrte.

Er arbeitete also nun da oben und spielte nach Herzenslust, – mit der Wärme mochte es aber doch nicht so arg sein, denn wenn er zur Mutter kam, erschien er blau angelaufen, und erst der Genuß mehrerer Bratäpfel, die für ihn in der Ofenröhre warteten, nahm diese seltsame Farbe, von der er freilich behauptete, sie komme nur vom Studiren, hinweg. – Freilich erzählte er nicht, daß dies Studiren zuweilen eine Unterbrechung erlitt, – – ein feiner Finger klopfte nämlich dann und wann an die Thür, ein Mädchenkopf, eingehüllt in ein altes rothes Tuch, erschien mit der Frage: »Darf ich hinein kommen?« – Ob sie es durfte! Die Knabenhände schoben eiligst den einzigen Stuhl zu ihr hin, der sich vorfand: – Heinrich selber saß dann auf einer alten Kiste und behauptete, sie sei mindestens so angenehm als ein Königsthron. Die kleine Emmy nahm selten den Platz an, den er ihr bot, sie sah viel lieber dem Arbeitenden über die Schulter und steckte ihr Näschen in die lateinischen Bücher. Das mußte doch sinnverwirrend schwer sein, meinte sie solches Zeug zu lernen! Das schwerste Pas war doch das reine Kinderspiel im Vergleich zu solcher Aufgabe! Aber noch etwas war da, das ihre Neugier gewaltig beschäftigte: Notenpapier mit allerlei mystischen Zeichen beschrieben, Lieder und kleine Stücke.

»Wem gehört das?« fragte sie eines Tages.

»Wem anders als mir?« Es steht ja auch mein Name darauf: Heinrich Marschner.

»Lernt man in eurer Schule auch solche Sachen?«

»Hier nicht, aber ich war bis vor Kurzem in Bautzen und da lebte ein Organist, – bei dem habe ich angefangen, das zu lernen, was man Componiren nennt.«

»Wirklich gelernt?« fragte Emmy, die Augen groß aufreißend und das krause, braune Haar aus der Stirn streichend. »Fallen euch nun auch Melodien ein?«

»Die fielen mir schon vorher ein, mehr als ich aufschreiben kann!«

»Dann könnte euch also auch einmal ein hübscher, lustiger Tanz einfallen! Und ihr würdet ihn auch aufschreiben können, daß Jeder ihn zu lesen verstände? –

»Nichts wäre leichter als das!« versicherte er mit einem glücklichen Lächeln.

»Nun, warum habt ihr denn nicht schon längst irgend ein Tanzstück für uns gemacht, mit einer hübschen Stelle darin für mich?! Wenn ihr wüßtet, wie gern ich einmal ein ordentliches Solo tanzte!«

»Ich möchte es gerne – aber würde es denn der Director annehmen?«

»O, der nimmt Alles, wenn er nichts dafür zu zahlen braucht. Und ich wollte es ihm schon bringen!«

»Und ich würde es ihm gern umsonst geben!«

»Nun, dann schreibt einmal etwas Schönes, Lustiges für mich auf. Ich will doch auch einmal Beifall haben, – – ich fühle, ich würde es ganz ordentlich machen!«

»Sorgt euch nicht, ich werde an die Arbeit gehen!«

Von dieser Stunde an componirte Heinrich Marschner in der eifrigsten Weise oben im kalten Kämmerlein und gar oft merkte er kaum, daß die Thür aufging und das Mädchen hereinhuschte, in das rothe Tuch gewickelt und mit untergeschlagenen Armen sich hinter ihn stellte, um ihm zuzusehen. Zuweilen setzte sie sich auch auf die Kante des schwerfälligen Tisches und die Füßchen hingen dann herab und läuteten. So einfach, fast ärmlich die kleine Emmy sich trug – ihre Schuhe und Strümpfe sahen stets aus, als gehörten sie einer Herzogin. Und Heinrich Marschner mußte auch immer auf sie hinsehen, wenn sie sich so vor seinen Augen hin und her bewegten, und wie Sturzwellen überflutheten ihn dann die prickelndsten Weisen und Rhythmen. – –

Zuweilen aber warf er die Feder hin, setzte sich an das kleine Clavier und spielte jene Melodien und dann fuhr Emmy auf und tanzte – wie Libellen etwa tanzen an heitern Sommertagen. Dann kam wohl auch die Tischlerswittwe in ihren Filzsocken herüber, in dicke Tücher gepackt und schaute und hörte zu und schlug einmal über das andere Mal die großen, dicken Hände zusammen und rief: »Wer hätte gedacht, daß der Herr Heinrich solche Sachen machen könnte!«

Einmal aber – als die Kälte erstarrend ihm die spielenden Finger lähmte, rief er: »Ich weiß eine Geschichte von dem Wolfgang Amadeus Mozart, dem größten aller Musiker, der hatte gar oft ein bitter kaltes Stübchen, weil er den Armen sein letztes Stückchen Holz schenkte, und der nahm dann sein junges Weibchen, sein Stanzerl, in den Arm und tanzte so lange mit ihr herum, bis Beide so warm geworden, als lebten sie im Monat August. Wir wollen's auch so machen!« Und ehe sich's die kleine Emmy versah, hatte er sie umfaßt und wirbelte mit ihr umher, bis ihnen beiden der Athem verging. – – Wer konnte an Kälte denken in dem Dachkämmerchen da oben! –

»Du tanzest wie ein Irrwisch!« sagte er einmal bewundernd.

»Und ihr wie ein Bär!« lachte sie schelmisch.

Sie war so hübsch, wenn sie lachte! Es geschah selten – »wenn man seit dem sechsten Jahre Waise ist und unter Fremden herumgestoßen wird, da verlernt man das Lachen,« – erzählte sie ihm einmal.

»Der alte Butenow ist mein Pathe – er ist gut zu mir und weiß, daß ich etwas kann und tüchtig lernen will, aber unsere Erste, die Rosalinde, gönnt uns Allen unsere jungen Füße nicht. – Eilt euch nur mit euren Noten, es zuckt mir schon in allen Gliedern!«

Und der angehende Secundaner componirte dann im stillen Kämmerlein zwischen den lateinischen Aufgaben lustige Tänze und nach und nach wirklich ein ganzes Ballet zusammen. Hätte der alte Organist in Bautzen ahnen können, daß sein fleißiger Schüler im Contrapunkt, der sich bei ihm nur in der Gesellschaft des Vaters Bach, Haendel und Schütz bewegen durfte, jetzt in Tanzweisen aller Art sich vergrub und daß seine Notenschaar, statt mit dicken Köpfen gravitätisch daher zu schreiten, mit zierlichen Schwänzchen versehen, leichtfüßig herumhüpfte, wie ungebändigte Kinder, er würde die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen haben. Zuweilen kam dem jugendlichen Componisten die Erinnerung an diesen seinen gestrengen Lehrmeister, der ihm einst gesagt: Zuerst lerne ordentlich dein Latein und Deutsch und dann komm' wieder!« wie eine plötzliche Herzbeklemmung und er schaute sich unwillkürlich um, ob er nicht etwa hinter ihm stehe und die Hand ausstrecke nach all' dem bekritzelten Notenpapier, um es in Fetzen zu zerreißen. Aber er war nicht da. – Wohl aber begegnete ihm bei solchem Anschauen häufig ein neugieriges dunkles Mädchengesicht, eine schwarze Haarflechte fiel auf seine Schulter und eine helle Stimme fragte: wird's bald fertig sein?! – –

Der Schluß dieser Compositionsarbeit wurde freilich im Carcer gemacht, denn die Lösung der lateinischen Aufgaben war eine derartige, daß eine Strafe unvermeidlich erschien; der Bestrafte fügte sich merkwürdig ruhig in diese Verbannung, ließ sich's doch so köstlich ungestört in diesem stillen Winkel arbeiten. Nur der Gedanke an seine treue Mutter, die Thränen vergoß bei der Nachricht dieser stillen Uebersiedlung, machte ihm Kummer. – – Aber die Strafzeit ging vorüber und Heinrich Marschner kehrte mit einem geheimnißvollen Notenpacket nach Hause zurück. – –

Und das Weihnachtsfest kam heran und warf sein strahlendes Licht in die Hütten wie in die Paläste und machte die Herzen weit und ließ alle Augen strahlen, im seligen Gefühl des Gebens und – Nehmens. Und diesmal brannte auch ein Christbäumchen in dem Dachstübchen des componirenden Zittauer Gymnasiasten, aber seltsamer Weise hingen zwischen den Aepfeln und vergoldeten Nüssen allerlei riesige, auf Papier gemalte Noten, mit und ohne Schwänzchen, zwischen den grünen Zweigen. Unter dem Baume aber lag die sauber geschriebene Partitur eines kleinen Ballets, betitelt! »Die stolze Bäuerin«, von Henrico M. Das große Kind aber, dem das bescheert wurde, stand mit glühenden Wangen und gefalteten Händen davor und murmelte immer wieder mit glückseligem Lächeln: »Das Alles werde ich tanzen!«

Und es wurde wirklich angenommen, dies Opus I, und die Hauptrolle schmeichelte die kleine Emmy auch richtig dem alten »Papa« ab. – Sie brachte dem jungen Freunde sofort diese Nachrichten in's Dachstübchen und die Freude war so groß, daß sie ihre runden Arme um seinen Hals legte und ihn auf die Wange herzhaft küßte. »Wenn die Zeitungen dich und mich recht loben und wir ein paar berühmte Leute werden,« sagte sie ernsthaft, »dann komme ich zu dir und heirathe dich! Bis du's zufrieden?«

Er nickte lachend. Wie ein Taumel kam das Componisten-Bewußtsein über ihn: er wollte wirklich ein berühmter Mann werden – – und wie glücklich würde seine brave, treue Mutter dann sein!

Selbstverständlich mußte vor der Hand der junge Musiker im tiefsten Dunkel bleiben, denn ein Gymnasiast, der für eine Tänzergruppe lustige Weisen und gar ein ganzes Ballet erdacht und niedergeschrieben, würde ohne Gnade und Barmherzigkeit von der Schule gewiesen worden sein – und das wäre der Tod seiner geliebten Mutter gewesen. Selbst sie durfte noch also nichts wissen. –

So kam denn der Tag der ersten Orchesterprobe heran – welche fieberhafte Aufregung brachte er in das Dachstübchen Heinrich Marschner's! Das hübsche junge Gesicht erschien bald todtenblaß bald glühend roth – weder Speise noch Trank brachte er über seine Lippen. Angstvoll beobachteten ihn die treuen Mutteraugen – aber keine Frage wurde laut. Gewiß beschäftigte ihren Sohn wiederum irgend eine schwierige lateinische Aufgabe, – – warum man doch den jungen Menschen so viel zu lernen gab, die gute Frau konnte nicht einsehen, was das nützen sollte. Die Sonne schien so hell, der Schnee knisterte auf den Straßen, es war ein Sonnabend Nachmittag: »Geh' eine Stunde spazieren!« bat sie, »das giebt frische Gedanken und frische Kräfte, mein Junge!«

Und er ging auch, – er war mit der Mütze in der Hand bei der Mutter eingetreten, und es war ihm eine Herzenserleichterung, daß sie selber ihn forttrieb, ohne daß er ihr zu sagen brauchte, wohin er ging. – Ach, an der Ecke des bescheidenen Thaliatempels wartete ja die kleine Emmy, die versprochen, ihn als getreue Ariadne durch das Labyrinth der Versatzstücke, Winkel und Gänge auf den Schnürboden zu geleiten, damit er dort in tiefster Verborgenheit die erste Orchesterprobe seines Opus 1 belausche. – Da lag er denn, als sie ihn verlassen, mit athemraubendem Herzschlagen am Boden und wartete auf die ersten Accorde seiner ersten Schöpfung. Es erschien ihm plötzlich ein so riesiges Wagstück, ohne alle gründlichen Vorstudien, ohne Kenntniß der verschiedenen Instrumente, eine Partitur niedergeschrieben zu haben, daß er vor sich selber und seiner Kühnheit erschrak. Es brauste ihm vor den Ohren, wie ein glühender Strom wallte es durch seine Adern, und es herrschte doch hier in seinem Versteck eine Kälte, die Stein und Bein erstarren ließ. Tief unter ihm stimmten sie die Instrumente – es war ihm, als ob das schon Tage und Nächte gedauert. Ob sie wohl jemals aufhören würden?! – Ein wirres Chaos drang zu ihm herauf hin – – aber vielleicht war das seine eigene Musik, die so falsch klang. Eisige Tropfen perlten auf seiner Stirn. Er dachte an die liebe Mutter daheim und pries sie glücklich, daß sie seine Qualen nicht ahnte. – Ein vergessenes Kindergebet kam ihm wieder in den Sinn und auf die Lippen. – – Das Chaos in der Tiefe wogte ungeschwächt auf und nieder. Da endlich wurde es ruhig – der Dirigent klopfte auf sein Pult: und wie Sonnenstrahlen brach jetzt eine sanft fließende Melodie herein, – seine eigene melodische, liebliche Einleitung, – der Lauscher fühlte sich plötzlich wie von rosigen Wolken getragen, als er sie erkannte. Da plötzlich – wie ein scharfer Schnitt tief in's Herz – ein jähes Aufhören und die scharfe, weithin schallende Stimme des ersten Hornisten. »Das muß ein Esel sein, der das gemacht hat, Herr Musikdirector,« schrie der in hellem Zorn, »das kann ja kein vernünftiger Mensch auf dem Horne blasen!« – –

Mehr hörte der Arme in der luftigen Höhe nicht, nur noch ein einziger klarer Gedanke war da: »ade Musikerlaufbahn, ade Componistenruhm! Arme Mutter! – – Arme Emmy!« – – – Dann folgte ein Sturz des Ikarus in die dunkle Tiefe. – – –

Besinnungslos wurde einige Stunde später Heinrich Marschner in das Haus seiner Mutter getragen – bitterlich weinend erzählte die kleine Emmy der Erschreckten Alles, Alles. Ein heftiges Nervenfieber erfaßte den jungen Componisten und hielt ihn wochenlang fest. – – Er kannte Niemand mehr und lag in den wildesten Phantasien. – – Sein Ballet ging mittlerweile in Scene unter dem Jubel der Zuhörer – die kleine Emmy tanzte zum Entzücken: – der jugendliche Componist ahnte nichts davon. Und nach der ersten Vorstellung huschte etwas Glänzendes, Glühendes in das stille Krankenzimmer, wo die treueste Mutter am Bette ihres geliebten Knaben betete und wachte, und neigte sich über den Kranken: »Du hast deine Sache gut gemacht, Heinrich,« flüsterte eine süße Stimme. »Und sei nur ruhig – ein großer Componist wirst du doch – und nur der Hornist war ein Esel, denn der brauchte jene Stelle nur um eine Octave tiefer zu spielen und Alles wäre gut gewesen. Und wenn ich eine große Tänzerin geworden, dann komme ich und frage, ob du mich noch haben willst.« –

Und Niemand konnte der Mutter geschickter pflegen helfen, als die kleine Emmy, und gar oft saß sie in ihren Flittern, wie sie eben von der Bühne kam, bis tief in die Nacht am Bette des jungen Freundes, damit die treue Wärterin ein wenig ruhe. – Und wie bald hatte sie sich in das Herz der Bekümmerten geschmeichelt und wie viele Thränen flossen, als endlich das Scheiden kam und die Tänzertruppe weiter zog und mit ihr das Mädchen mit den schönen schwarzen Flechten, ihr genialstes Mitglied – – die kleine Emmy. –

Als Heinrich Marschner wieder todtenblaß und matt am Fenster sitzen durfte, da nickten schon die ersten Veilchen aus dem kleinen Gärtchen zu ihm hinauf – die Butenow'sche Capelle war längst über alle Berge. –

Anfangs flatterte noch dann und wann ein seltsam gekritzeltes, unorthographisches Zettelchen nach Zittau mit der Adresse: an den Componisten Heinrich Marschner, – alle erzählten von den Triumphen der »stolzen Bäuerin« und – der kleinen Emmy – – dann aber hörten alle derartigen Nachrichten für immer auf. –

Nun, – trotz dieser ersten vernichtenden Kritik ist der Schüler des Bautzener Organisten ein großer Componist geworden. Die kleine Emmy kam freilich nicht, ihn zu holen, – – wer weiß, in welchem versteckten Friedhofswinkelchen ihre müden kleinen Füße ausruhen! – – die treue Mutter aber erlebte noch den Ruhm des Sohnes. Sie begleitete ihn, als er 1816 die Universität in der alten Lindenstadt Leipzig als studiosus juris bezog, und durfte die glückselige Zeugin der Zuneigung aller Musiker und Musikfreunde sein, die sich der Sohn im Fluge erwarb. – Der alte hochangesehene Cantor Schicht war es, der den Studenten Heinrich Marschner bestimmte, die Juristerei an den Nagel zu hängen, dafür aber sein Schüler zu werden und sich ganz der lieben Musik zu widmen. – – Kleinere Gesang- und Claviercompositionen fanden gar bald einen sogar gut zahlenden Verleger, – – der junge Musiker fühlte festen Boden unter seinen Füßen für sich und die geliebte Mutter, – die erste Stufe zu der leuchtenden Halle des Ruhmestempels war wirklich erstiegen. – –

Ob wohl dem gefeierten Componisten des »Templers«, des »Hans Heiling« und des ergreifenden »Vampyr«, auf dessen Haupt sich alle Ehren häuften und dessen Brust mit Orden bedeckt war, zuweilen eine Erinnerung kam, an jene erste Kritik, und an – – die kleine Emmy? – – Gab er vielleicht jener reizend poetischen Gestalt in seinem »Vampyr« diesen Namen zum Andenken an die kleine Tänzerin, die sein Opus 1 verschuldete? – Ich denke, es könnte nicht anders sein. –

Karl Löwe, der unvergeßliche Balladencomponist, erzählt von heitern Musikstunden im Marschner'schen Hause in Hannover 1846, wo der berühmte Componist, dessen liebenswürdige Erscheinung und gewinnendes Wesen er entzückt schildert, ihm Vieles und Vielerlei vorphantasirt habe auf dem Flügel, bis Alles sich aufgelöst habe in allerlei seltsam duftige Tanzweisen. – Das waren doch sicher die Tonranken eben jener Tanzweisen, die sich um die leichte Gestalt Emmy's schlangen und um das Haupt jenes ersten gestrengen Kritikers von Heinrich Marschner's Opus 1, des ersten Hornisten in Zittau. –

Mit dem musikliebenden Oesterreich erscheint früh schon der junge Componist, Heinrich Marschner, durch verschiedene unzerreißbare Fäden verbunden. Graf Stadion der vornehme Poet, einer seiner wärmsten Verehrer und sein brieflicher Schüler, besaß einst einen Schatz geistvoller Briefe und Aufzeichnungen von ihm. Leider verschwanden diese interessanten Beweise einer musikalischen Lehrmethode auf unerklärliche Weise aus einem öden Haideschlosse in Galizien, wo man ihn während des letzten polnischen Aufstandes deponirt hatte. Wer weiß, in welchem weltverlorenen, romantischen Versteck diese vergilbten Blätter, von der längst erstarrten Hand eines deutschen Musikers, noch träumen! Wer sie doch wiederfände!

Es geschah bei Gelegenheit eines Ausfluges nach Carlsbad, als der kaum zwanzigjährige Heinrich Marschner, der sich eben erst in Leipzig seine ersten Lorbeeren als Pianist geholt, dem ungarischen Grafen Amadèe, einem leidenschaftlichen Musikfreunde, vorgestellt wurde. Sein freundlicher Gönner zog ihn in liebenswürdigster Weise in seinen Kreis und interessirte sich lebhaft für den jungen Mann, der ihm wieder und immer wieder vorspielen mußte. Er redete dem jungen Musiker eifrig zu, nach Wien zu kommen, um dort weiter zu studiren, und versprach ihm, da der mittellose Künstler schwankte, weil er nicht wußte, wie er die Kosten solchen Aufenthaltes in der Kaiserstadt bestreiten sollte, die thatkräftigste Unterstützung. Aber das heitere Wien an der schönen blauen Donau lockte und rief immer lauter mit, – die Beihülfe des Grafen sicherte seinem Schützling ein Studium ohne drückende Sorgen und so siedelte Marschner im Jahre 1816 freudig und hoffnungsreich nach Wien über, als der fleißigste und dankbarste aller Musikstudenten. Schon im nächsten Jahre verschaffte ihm Graf Amadée eine Musiklehrerstelle in Preßburg, die ihm Zeit genug übrig ließ, seiner Lieblingsbeschäftigung, der dramatischen Composition, sich hinzugeben. Waren doch seine Lehrmeister in Wien darüber einig, daß hier eine seltene Begabung vorlag; sie hatten es offen bei jeder Gelegenheit ausgesprochen, daß man Großes von diesem jungen Talent zu erwarten berechtigt sei. So streckte denn Heinrich Marschner, trotz seiner Jugend, seine Hände voll Hast und Ungeduld nach allen nur irgend erreichbaren Operntexten aus, und der erste, den er mit Feuereifer in seinen Mußestunden bearbeitete, trug den Titel: »Heinrich IV.« – Der junge Componist schickte sofort die fertige Arbeit seinem Vorbilde, dem vielbewunderten Carl Maria von Weber, damals in Dresden, ein und bat in einem rührenden Briefe um sein Urtheil. Die Arbeit erweckte das Interesse Weber's derart, daß er dies dramatische Opus I auf die Bühne brachte und das Publikum für die Oper eines noch Unbekannten zu erwärmen suchte durch eine sorgfältig vorbereitete Aufführung. Marschner war glücklich. Am liebsten wäre er sofort zu seinem geliebten Meister geeilt, um ihm um den Hals zu fallen und seinen Dank zu stammeln, – aber das ging doch nicht so leicht. Man machte damals in Wien, nach jenem Dresdener Erfolge, ebenfalls den Versuch, Heinrich den Vierten aufzuführen, aber es blieb bei dem guten Willen. Die Zeit war nicht günstig, – Giacomo Rossini, dessen Opern sich in alle Herzen schmeichelten, war eben ein vielgefeierter Gast in der Kaiserstadt, wer hätte da wohl Zeit und Lust gehabt, für das musikalisch-dramatische Erstlingswerk eines deutschen Componisten, von dem noch Niemand etwas gehört hatte.

Da geschah es, daß in dieser Hoffnungslosigkeit und nach tapferer, stiller Arbeit sich eines Tages der junge Marschner entschloß, seine Preßburger Stellung zu opfern und geraden Weges nach Dresden zu pilgern. Sein Herz und seine Phantasie trieben ihn zu dem Meister, der ihm nun einmal am höchsten stand: – er wollte nur das Eine von ihm erbitten, an seiner Seite, unter seinen Augen weiter arbeiten zu dürfen. Die Clavierstunden, die er zu geben gedachte, würden ihm schon das nöthige tägliche Brot verschaffen, – wenn es auch trocken blieb, – – was kümmerte ihn das überhaupt, wenn die Augen eines Carl Maria von Weber die Seiten seiner Compositionen streifen würden! – Und diese schwärmerische Begeisterung des jungen Musikers, die er ihm entgegentrug, war es denn auch, die den Componisten des »Freischütz« sofort gefangen nahm. Er widmete sich Heinrich Marschner soviel als irgend möglich, und unter Weber's Rath und liebevoller Ermunterung entstand denn die schöne Musik zu Kleist's dramatischer Dichtung: der Prinz von Homburg. – Aber das erworbene Brot durfte und sollte doch nicht länger trocken bleiben, – die Arbeit der täglichen Clavierstunden war eine gar zu niederdrückende und so erhielt Marschner, auf die warme Empfehlung Weber's hin die Musikdirectorenstelle an der deutsch-italienischen Oper in Dresden. Das war freilich trotz aller Ehre im Grunde kein beneidenswerther Posten, denn der kleinlichen Plackereien gab es gar viele, auch das Einstudiren der Opernparthien mit den Sängerinnen und Sängern war weder eine leichte Aufgabe, noch machte es dem Neuernannten irgend welches Vergnügen, aber diese seine Stellung verscheuchte wenigstens die quälenden Nahrungssorgen. Nur der Kampf mit dem Dasein war da, nicht mehr der Kampf um das tägliche Brot. – Eine kleine Oper nur entstand in dieser Zeit, wie eine frische bescheidene Blüthe, der »Holzdieb«. Aber eine andere viel lieblichere Blüthe durfte er finden und heimtragen: – Heinrich Marschner verlobte sich mit einer allerliebsten jungen Sängerin, Marianne Wohlbrück. Es war eine gegenseitige schwärmerische Herzensneigung, die nach einer äußeren innigen Verbindung sich sehnte, obgleich die Verhältnisse Beider durchaus eine Verzögerung der Einrichtung eines Hausstandes als sehr rathsam erscheinen ließen. Aber da kamen vortheilhafte Anträge aus Leipzig, die den jungen Componisten hinüber lockten. Eine Trennung von der kaum gewonnenen kleinen Braut war jedoch für undenkbar und so siedelte denn ein glückliches junges Ehepaar nach der Lindenstadt über. – Wie oft die Sonne des Glücks die schönsten Früchte des schaffenden Künstlers gezeitigt, zeigt uns immer wieder das Leben unserer größten Meister, – und so geschah es denn auch hier. – In dem heiteren Garten dieser jungen Ehe erwuchs die vielbewunderte, fremdartige Blume der Oper: »der Vampyr«, zu der ihm sein Schwager Wohlbrück, ein junger Schauspieler, den Text schrieb. Die Oper drang von Leipzig über Berlin nach London, überall und besonders in England ein ungewöhnliches Interesse erregend. Der große Erfolg dieser Tonschöpfung feuerte den Componisten zu neuer Arbeit an. Wohlbrück behandelte eine Episode aus dem Walther Scott'schen damals so viel gelesenen Roman »Ivanhoe« geschickt als Operntext. – Man gab ihm den Titel: »der Templer und die Jüdin«, und Heinrich Marschner vollendete, angesichts der Wiege seines Erstgeborenen, diese seine neue effektvolle Oper. – Sie brachte ihrem Schöpfer Glück, – denn nicht nur Leipzig, Dresden und Berlin erwarben sie und führten sie mit großem Beifall auf, auch viele kleinere Bühnen Deutschlands bemühten sich um den »Templer«, den man um seiner tragischen Scenen nicht minder bewunderte als um der komischen Episoden willen. –

Die Kinderstube im Marschnerhause füllte sich zwar von Jahr zu Jahr, aber der Vater schien die Absicht zu haben, jeden der kleinen Ankömmlinge mit einer neuen Oper zu beschenken. Des »Falkner's Braut«, mit der Wohlbrück'schen Bearbeitung einer Spindler'schen Novelle erstand, – blieb aber im Erfolg zurück gegen die früheren Schöpfungen Marschner's. – Da kam 1830 der ehrenvolle Ruf als Capellmeister und Theaterdirector nach Hannover und dort wurde die reifste und herrlichste Schöpfung Marschner's geboren: sein Hans Heiling, dessen Text der Sänger Devrient ihm gedichtet. – Von allen dramatischen Schöpfungen Marschner's erregte diese den größten Enthusiasmus und noch heute ist Hans Heiling für unsere Baritonisten ersten Ranges eine sogenannte, stets wirksame Paraderolle. Die berühmte Arie:

»An jenem Tag, da Du mir Treu' versprochen –«

hat sich auch in den Concertsälen eingebürgert, ebenso wie die große Arie der Anna:

»Wehe mir! Wohin soll ich mich wenden?!«

Mit der Geschichte eben dieser Oper, die eben jetzt in Wien ihre fünfzigste Wiederholung feierte, stehen unsere bedeutendsten Künstlernamen in innigster Verbindung in Bezug auf die Titelrolle, wie z. B. ein Betz in Berlin, Theodor Reichmann in Wien, Scheidemantel in Dresden, Karl Mayer in Köln, jetzt in Schwerin. – Ebenso drängten sich unsere ersten Sänger zu der Rolle des »Vampyr«, dessen dämonisch-romantischer Charakter zugleich auch für den Darsteller eine ebenso schwierige als dankbare Aufgabe bot. Die kleine Rolle der »Emmy« im »Vampyr«, eine der verlockendsten Parthien für eine jugendliche Sängerin, ist, wenn Stimme, Spiel und Erscheinung sich decken, von tiefster Wirkung. So viele Emmy-Gestalten auch an mir vorüber gegangen, an den verschiedensten Bühnen, so hörte und sah ich doch keine, die auch nur annähernd jene poetische Auffassung und reizvolle Darstellung der unvergeßlichen, so früh heimgegangenen Meta Kalman, vom Kölner Stadttheater, erreicht hätte. – Mit dem ersten Ton der ersten kleinen Arie ahnte bei ihr der Hörer, trotz aller Heiterkeit des vorübergaukelnden, allerliebsten, auf ihren säumigen Verlobten wartenden Bräutchens, daß hier etwas Grausiges sich vorbereitete. – Wie beklemmend klang das Lied der kleinen Emmy im Balladenstyl vom »bleichen Mann« und wie schwül erschien die Luft in dem meisterhaften Terzett:

»Ihr wollt mich nur beschämen,
So eitel bin ich nicht! – –«

Keine der Opern Marschner's, »Lucrezia« und »das Schloß am Aetna« einbegriffen, hat sich bis zur Stunde einen so großen und dankbaren Kreis von Bewunderern zu erwerben gewußt als sein »Hans Heiling« und in zweiter Linie sein »Vampyr«. Der todte Meister würde zufrieden sein, wenn er sehen dürfte, wie man noch immer seine Schöpfungen ehrt. Die Leipziger Universität schickte dem Componisten des »Heiling« als den Ausdruck wärmster Anerkennung das Doctordiplom nach Hannover, – eine Auszeichnung, auf die Heinrich Marschner bis zu seinem Tode stolz war.

In Hannover drängte sich leider gar manches Aergerniß und Hemmniß seiner Thätigkeit in den Weg des Musikers und Dirigenten und dort geschah es auch, daß er seine Marianne, seinen fröhlichen Singvogel, die Mutter seiner Kinder, durch den Tod verlor. – In der Werkstatt des Componisten wurde es seitdem stiller und dunkler: – Heinrich Marschner componirte keine großen Opern mehr. – Aus jener trüben Zeit sind aber viele Claviersachen zu verzeichnen, unter ihnen eine, von berühmten Pianistenhänden mit Vorliebe gespielte Sonate in F-moll. Zahlreiche Quartette, Trio's, Märsche und Rondo's, auch Tänze und Phantasien entstanden, im Ganzen wohl über 60 selbstständige Werke. – Voll Glanz und Poesie sind aber gar viele der Marschnerschen damals componirten »Lieder für eine Singstimme« und seine Chöre für vierstimmigen Männergesang. Ein sanftes Sternenlicht sollte den Rest seines Lebens verklären: die Liebe und zärtliche Sorge seiner zweiten Frau, der liebenswürdigen und feingebildeten Sängerin Therese Janda. – Es schwebt, nach allen Schilderungen, ein Hauch vornehmer Anmuth um diese Frauenerscheinung, die schon als Prager Conservatoristin den Schutz und das warme Interesse hocharistokratischer Frauen sich erwarb – der Fürstin Schwarzenberg und der musikbegeisterten Gräfin Stadion. Nach ihren, von lebhaftem Erfolg begleiteten, Engagements in Graz und Prag berief man die junge hochtalentirte Altistin an das Covent-Garden-Theater nach London. Mit der gesammten englischen exclusiven Gesellschaft war auch die Königin Victoria selber entzückt von Therese Janda und befahl sie öfter zu sich, um im engsten Privatkreise deutsche Lieder von ihr zu hören. – Da hat Therese Janda denn auch Marschner'sche Lieder gesungen und mit besonderer Freude, – ahnungslos, wie bald sie dem Componisten nahe treten würde. Englische warme Empfehlungen verschafften damals der Sängerin einen Ruf als erste Altistin nach Hannover. Da fanden sich denn zum Glück zwei echte Künstlerseelen zu innigster Vereinigung. – Heinrich Marschner war freilich im Vergleich zu seiner »schwärmerischen Resi«, wie er sie nannte, doch schon ein alternder Mann, über dessen Haupt und Herz schon viele dunkle Wolken und bittere Schmerzen gezogen waren, – der Tod hatte ihm drei herrliche Söhne genommen, – aber er empfand noch wie ein Jüngling. Und als das ebenvermählte Ehepaar später in London concertirend auftrat, da war es wiederum die Königin, die sie Beide zu sich rief, um sie mit Beweisen ihrer Huld zu überhäufen. Am Flügel der hohen Frau spielte Heinrich Marschner in jenen Tagen allerlei reizende Clavier-Compositionen, die der Componist »Plaudereien einer Großmutter« genannt hatte, und Theresen's warme Altstimme zog mit stolzem und weichem Klang durch das traute Musikzimmer. Diese warme Stimme sang denn auch dem tiefgebeugten Vater Trost in's Herz, als er seinen Liebling August, das letzte seiner Kinder, hergeben mußte. – Aber körperlich überwand er jenen schwersten Schlag doch nie wieder. Heinrich Marschner ließ sich 1859 pensioniren und zog sich mit der geliebten, opferwilligen Frau in die tiefste Einsamkeit zurück. – Leise flatterten wohl noch dann und wann holde Klänge, Liedercompositionen, Clavierträumereien, aus diesem stillen buen retiro hinaus in die Welt, – aber zu einer größeren Arbeit wollte die Kraft des Leidensmüden nicht mehr ausreichen. Niemand konnte wohl dankbarer das Geschenk dieser zärtlichen Frauenliebe hinnehmen und es feuriger preisen, als das »köstlichste Ding auf Erden,« als eben Heinrich Marschner. –

So schlummerte er denn am 14. December 1861, als schon der Christbaumschimmer auf der Erde lag, seinen hellen Stern segnend, in den Armen seiner treuen Resi ein, mit einem Lächeln und dem süßesten Trostwort der Erde:

»Auf Wiedersehen!«

Er ging, um seinem bewunderten Meister Carl Maria zu erzählen, daß die deutschen Herzen noch immer dankbar sind für jene Wundergaben, die er dem Vaterlande einst geschenkt, und daß er selber sein treuester Schüler geblieben bis zum letzten Hauche. –


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