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Schubert

Franz Schubert.

Geboren am 31. Januar 1797 in Lichtenthal, Vorstadt von Wien.
Gestorben am 19. November 1828 in Wien.

Franz Schubert! Welches Herz eines musikliebenden Menschen schlüge nicht höher bei diesem Namen! Welcher liederfrohe Deutsche dankte seinem Träger nicht immer und immer wieder von Neuem für die Gaben, mit denen er uns überschüttet? Da giebt es keine Seelenstimmung und keinen idealen Festtag im Leben, kein Glück und kein Leid, für die unser Schubert nicht den rechten Ton gefunden, – vom »Wiegenliede« bis zu jener Todeslockung, die da singt: »sollst sanft in meinen Armen schlafen«, – von der trunkenen Liebesseligkeit, die alle ihre Wonne in »alle Rinden schneiden« mochte, bis zum letzten Abschied: »bin matt zum Niedersinken, bin tödtlich schwer verletzt!« – Kein Naturbild können wir uns denken, das nicht verschönert würde durch einen Klang, der von den Saiten seiner Harfe niederschwebt, und wenn sein Freund und Zeitgenosse, der herrliche Dichter Grillparzer, von der Musik begeistert sagt:

»Musik! –
Sei mir gegrüßt, o Königin!
Mit der strahlenden Herrscherstimme,
Mit dem lieblich tönenden Munde
Und dem Wahnsinn sprühenden Blick,
Schwingend das zarte Plektron,
Ein mächtiger Scepter in Deiner Hand!
Sei mir gegrüßt, Herrlichste unter den herrlichen Schwestern!«

so muß er an Franz Schubert's Musik dabei gedacht haben! Wenn je einem früh Heimgegangenen Dank und Liebe nachfolgte, so ist es hier. – – Und wenn auch unsere Musiker die Form des Liedes weiter ausgebaut haben, – – die festen, edlen Grundpfeiler sind von seiner Hand aufgerichtet worden, alles Spätere gehört nur gleichsam zur Verzierung. Wenn Schubert's Lieder, – ich meine hier nicht nur jene tausend und abertausend Mal gesungenen, sondern auch jene zahllosen, die so Vielen unbekannt geblieben, – nicht mehr hervorgesucht, gesungen und bewundert werden, dann – giebt es eben keine wahre Liedermusik mehr. – Das hat sein edler Erbe, unser Robert Schumann empfunden, der einen Franz Schubert neidlos als: »den Allergrößten der Gestirne am musikalischen Kunsthimmel« bezeichnet. – Und auch er, der uns so viel Sonnenschein hinterlassen in dem, was er geschaffen, war dazu bestimmt, im Schatten zu wandeln. Still und bescheiden zog er dahin, wie eben jedes echte Genie, eine große Sehnsucht im Herzen tragend, nur einmal ein gütiges Wort aus dem Munde dessen zu vernehmen, der für ihn der Größte aller Großen war: – ein Wort von den Lippen Ludwig van Beethoven's. – Auch sie blieb unerfüllt hier auf Erden. –

Ein kinderreiches und musikdurchtöntes Schulhaus war es, wo Franz als der Jüngste aufwuchs, lauschend auf Alles, was da sang und klang rings umher. Er war von Keinem wegzuschlagen der irgendwie geigte oder Clavier spielte, und neben einer Kirchenorgel vergaß der Knabe Speise und Trank. Der Vater freute sich dieser Neigung seines Sohnes, nahm ihn als seinen eigenen Schüler an und schenkte ihm eine kleine Geige. Das war eine Freude für Franz! Sein Lehrmeister staunte heimlich über den Eifer des Knaben. Gar bald brachte er ihn zu dem Chorregenten Michael Holzer, damit dieser vortreffliche Lehrmeister den kleinen Geiger auch im Gesang, – sowie im Clavier-, Orgelspiel und Generalbaß unterweise. Die musikalischen Fortschritte dieses Jüngsten seiner Schüler waren derartig, daß Holzer mit Rührung versicherte, noch nie solche Begabung unter Händen gehabt zu haben. »Er hat die Harmonie im kleinen Finger!« wiederholte er immer wieder. Kaum 11 Jahre alt stand Franz bereits als tüchtiger Sopransänger und Geiger auf dem Chor der Lichtenthaler Pfarrkirche, und bereits im Jahre 1808 nahm ihn die kaiserliche Hofcapelle als Sängerknaben auf. Die gestrengen Examinatoren, der berühmte Componist Salieri und der hochangesehene Musiker Eybler, vermochten bei der üblichen Prüfung ihr bewunderndes Staunen nicht zu verbergen. In dem Convictisten-Orchester, das mit großer Präcision classische Tonwerke aufzuführen pflegte, erhielt Franz nicht nur gar bald die erste Geigerstelle, sondern man legte ihm ohne Sorge oft sogar den Dirigentenstab in die kleinen Hände, wenn es galt, den eigentlichen Leiter, den Musiker Ruszika zu vertreten. Den dunklen Krauskopf des Knaben streichelnd, – versicherte er Jedem, der ihm in den Weg kam, daß Franz Alles wisse. – »Der hat's vom lieben Gott selber gelernt«, lautete sein Ausspruch. –

In der Musik allein ging aber der Franz auf, alle andere Lehrweisheit lag ihm fern und die Censuren lauteten eben nur, daß der Schüler keinen Grund zu Klagen gebe. Er schlüpfe mit genauer Noth durch. Von irgend welchem besonderen Eifer nach dieser Richtung hin war keine Rede; dagegen hätte Franz die allabendlich stattfindenden Uebungen im Orchester- und Quartettspiel, sowie im Gesang, am liebsten bis in den hellen Morgen hinein ausdehnen mögen, so sehr beglückten sie ihn. Nicht nur die geliebten älteren Meister brachte man bei dieser Gelegenheit zur Aufführung, auch an den wunderbaren Beethoven wagte man sich, und zur Belohnung des Fleißes durfte dann und wann ein Franz Schubert gespielt werden. – Wie leicht vergaßen sich in solchen Stunden die ach, so kärglichen Mahlzeiten und die im Winter oft so bitter kalten Räume des Convicts. – Die Ferien führten Franz Schubert stets in das Elternhaus zurück, wo man dann gemeinschaftlich und einträchtig musicirte und Vater und Brüder es sich gefallen ließen, daß der Jüngste in bescheidener Weise die Fehler der Aelteren rügte und verbesserte. – –

Dann und wann fiel wohl das Geschenk eines Opernbillets wie ein Lichtstrahl in das Grau der Arbeitstage. Das Glück, einen Mozart oder Gluck hören und sehen zu dürfen, berauschte das junge Herz geradezu, und schon früh entstanden allerlei Opernentwürfe, die sich freilich in die tiefsten Tiefen der Arbeitsmappe verkrochen. – Nach fünfjährigem Aufenthalt im Convict kehrte Franz Schubert heim. Er hatte sein 17. Jahr vollendet und der Vater war der Ansicht, daß sich vom Musiciren und gar vom Componiren nun einmal, so hübsch die Sache auch sei, nicht leben lasse. Als gehorsamer Sohn studirte er beim Vater, auf dessen Bitte, eine Zeitlang Pädagogik, um dann an dessen Schule das Amt eines Hülfslehrers zu übernehmen und seinem Ernährer die Lasten des Berufs getreulich tragen zu helfen. Drei Jahre hielt er es aus, treu und gewissenhaft, wie das in seiner Natur lag, – dann aber löste er mit sanfter Gewalt jene Ketten, die ihn zu Boden zu drücken drohten, und folgte dem Rathe jenes Lehrmeisters Salieri's, der ihn fort und fort unterwies, sich ganz der Composition zu widmen. – – Wie stolz war der gefeierte Italiener auf diesen Schüler, in dessen Arbeitsstube es plötzlich wie in einem Märchengarten sproßte und blühte. – Wie einen Riesenstrauß packte dann Franz Schubert in seiner Werkstätte von Zeit zu Zeit alles zusammen, um es zu Salieri zu tragen und ihn um sein Urtheil zu bitten. Wenn sich dann das Arbeitszimmer des Meisters wie mit Rosenduftwellen füllte, rief der wohl staunend aus: »Der kann doch Alles, er ist wahrhaftig ein Genie! Er componirt Lieder, Messen, Opern, Streichquartette, kurz Alles, was man will.« Unter all diesen Arbeiten, die Franz Schubert zu seinem Lehrer trug, befand sich eines Tages auch die Partitur einer Oper: »Des Teufels Lustschloß«. – Der Vater des jungen Musikers scheint sich zum Glück nach der Aufführung einer Messe in der Hofkirche in Wien, welche allgemeines Aufsehen erregte, mit dem Berufswechsel des genialen Sohnes ausgesöhnt zu haben. Gewiß ist, daß er ihn zur Belohnung mit einem, unter tausend heimlichen Entbehrungen errungenen, Clavier überraschte. – –

In seinem 18. Jahre hat Franz Schubert seinen großartigen und überwältigenden »Erlkönig« componirt, der freilich erst sechs Jahre später durch einen genialen Sänger, Michael Vogl, in die Oeffentlichkeit getragen wurde. Die geniale Schöpfung, die von nun an unzertrennlich erscheint mit dem Goethegedicht, entriß den Componisten mit einem Schlage seiner Verborgenheit, um ihn zu einer Berühmtheit werden zu lassen.

Das Jahr 1815 erscheint für Franz Schubert als ein staunenswerth fruchtbares, und Robert Schumann ruft beim Durchblicken aller jener Schöpfungen, die in dieser Zeit entstanden, voll staunender Bewunderung aus: »Wenn Fruchtbarkeit ein Hauptmerkmal des Genies, so ist Schubert eins der größten!« – Mehr als hundert Lieder blühten auf, unter ihnen eine Reihe umfangreicher Balladen, ferner Compositionen für mehrstimmigen Gesang, Clavier und Streichinstrumente, zwei Symphonien, zwei Messen, ein großes Magnificat, verschiedene Kirchenchöre und endlich auch die Reihe von sieben Opern und Singspielen. –

Leider ist für die Nachwelt in unaufgeklärter Weise ein großer Theil aller dieser Manuscriptenschätze abhanden gekommen. –

Aber der Vater behielt Recht, – das Componiren brachte wenig oder gar kein Geld ein und die Knechtschaft einer Hülfslehrerstelle hätte wieder beginnen müssen für den jungen Componisten, wenn ihm nicht ein gütiges Geschick das wunderbare Geschenk eines »besonnenen« Freundes bescheert hätte. Der Name Franz von Schobers, dieses echten großherzigen Freundes, ist unzertrennlich mit dem Namen Schubert's verbunden. Er allein gewährte ihm in zartsinnigster Weise die Mittel, in Ruhe, nicht aufgerieben von quälenden Sorgen um die Existenz, weiter zu leben, indem er ihm sein eigenes Haus zum bleibenden Aufenthalt, so lange er dessen bedürfen würde, öffnete. Bis zum letzten Hauche seines Lebens hat Franz Schubert diesen ersten Helfer gesegnet. Später traten noch andere treue Freunde in sein Dasein, wie der Graf Esterhazy, der den jungen Componisten als Musiklehrer in sein Haus berief, Baron von Schönstein, Moritz Schwind, der herrliche Maler, und Kupelwieser, Doctor von Sonnleithner und sein Sohn Eduard, der Pianist Czahys und Andere. Die Liste ist groß von denen, die sich um die bescheidene Gestalt Schubert's schaarten und zu ihr hielten, berühmte Namen sind darunter, wie Franz Lachner, die Dichter Grillparzer, von Feuchtersleben, Bauernfeld, Mayerhofer. Wie heiter waren die Stunden in dieser genialen Genossenschaft, wie sprühte und funkelte, sang und klang es da, während jener verschiedenen sogenannten »Schubertiaden«, all jener Zusammenkünfte, die man bald in Wien, bald in Linz, St. Pölten, Schloß Ochsenburg und Atzenbruck beging. Ein braver Onkel Franz Schubert's in Atzenbruck war sogar dermaßen erfüllt von der musikalischen Bedeutung seines Neffen, daß er ihm und all seinen lustigen Freunden alljährlich ein Fest veranstaltete, das, wie jenes poetische »Fest des Lenzes« im Dichtermund nur währte: der Tage drei. – Eine klingende Erinnerung an eben diese Frühlingsstunden findet sich in den Compositionen Schubert's unter dem Titel: »Atzenbrucker Tänze«. –

So fielen doch trotz aller äußeren Beschränkung immer frisch duftende Blüthen auf seinen Weg; die eigentliche Rosenzeit in Franz Schubert's Leben war und blieb aber doch der Aufenthalt auf der Besitzung seines Gönners Esterhazy, dem Schloß Zelécz. – Hier fühlte er sich wunderbar glücklich, unter feinfühligen, geistvollen Menschen, die den einfachen Musiker völlig wie ihres Gleichen behandelten, und gegenüber einer holden Mädchenerscheinung, der Comtesse Caroline, für die sein Herz die erste und einzige Liebe seines Lebens empfand. – Ihre schöne Altstimme sang ihm zuerst seinen »Wanderer« und andere Lieder; für den dortigen musikalischen Kreis und das sogenannte Hausquartett componirte er Claviersachen, Streich- und Gesang-Quartette, kleine Chöre – und der leuchtende Dankesblick seiner hochbegabten Schülerin war dann sein herrlichster Lohn. – Was kümmerte es ihn, daß seine Arbeiten nicht in die große Welt drangen, daß sich keine Verleger um einen Franz Schubert kümmerten, – das Bewußtsein seiner Schaffensfreude, die immer mächtiger sich entfaltete, – das Lächeln der geliebten Lippen, der Ton der für ihn herrlichsten Stimme der Erde, genügten ihm. –

Aber die Sommertage in Zelécz flogen doch alljährlich vorüber wie ein Traum und das Leben in Wien war und blieb ein sorgenvolles, da der Stolz des Musikers sich sträubte, von den Freunden immer von Neuem die rührenden Beweise opferwilliger Liebe zu empfangen. Wie auch die Schätze der Compositionen aller Art, Opern, Symphonien, Messen, Ouvertüren und Anderes sich vor ihm aufhäuften, – es blieben eben todte Herrlichkeiten, denn nur ein kleiner Kreis durfte sich ihrer freuen und sie genießen. Der Weg, sie bekannt werden zu lassen, fand sich nicht, trotz aller Mühe. –

Ein Versuch, einen großen Kunstgenossen für seine Opern »Alfonso und Estrella« so wie den »häuslichen Krieg« zu interessiren, Carl Maria von Weber, der zur Aufführung seiner Euryanthe nach Wien kam, schlug fehl. Der berühmte Componist war durch eine kindische Zwischenträgerei gegen Franz Schubert eingenommen worden und empfing den jungen Collegen wenig freundlich, von dem man ihm erzählt hatte, daß er über die Euryanthe sich nicht entzückt geäußert habe. – Weber ließ sich zwar die Partitur der Schubert'schen Erstlingsoper vorlegen, sah sie auch durch, äußerte aber doch, als er sie zurückgab: »Die ersten Hunde und die ersten Opern ertränkt man am besten!« –

Später hat Weber freilich durch Verbreitung Schubertscher Compositionen jene Härte wieder gut zu machen gesucht. Wie schüchtern und in sich selbst zurückgezogen die Natur Schubert's gewesen ist, beweist, daß er so lange Jahre dieselbe Luft mit seinem Abgott Beethoven athmete, ohne den Muth zu finden, sich ihm zu nahen. Verschiedene Male gelangte er zwar zu irgend einer der Wohnungen Beethoven's, kehrte aber stets wieder um, ohne die Klingel gezogen zu haben. – –

Erst in Beethoven's letzten Lebenstagen wurde der kranke Meister mit verschiedenen Arbeiten des jungen Collegen durch seinen Freund Schindler bekannt gemacht. In den Schindler'schen Aufzeichnungen liest man:

»Mehrere Tage hindurch konnte Beethoven sich nicht von den Schubert'schen Compositionen trennen, stundenlang verweilte er täglich bei ›Iphigenie‹, ›Grenzen der Menschheit‹, ›Allmacht‹, ›Junge Nonne‹, ›Viola‹, ›den Müllerliedern‹ und anderen mehr. Mit freudiger Begeisterung rief er wiederholt aus: ›Wahrlich in diesem Schubert wohnt ein göttlicher Funke. Er wird noch viel Aufsehen in der Welt machen!‹«

Voll tiefer, wehmüthiger Freude empfing Schubert, – der ja damals allein schon mehr als fünfhundert Lieder componirt hatte, – die Kunde jener Worte aus dem Munde seines Abgotts, und da erst wagte er es, in Begleitung zweier Freunde, ihm seinen Dank zu bringen. Ach – sein Dankeswort richtete sich an einen Sterbenden. Regungslos lag der Gewaltige auf seinem Lager und der erlöschende Blick suchte jene Gestalt, deren Name man ihm zu nennen versucht hatte. – Er begegnete zwei thränenvollen Augen, die hinter Brillengläsern zu ihm hinschauten. Beethoven's Hand erhob sich mühsam zu einem unverständlichen Zeichen, aber Schubert's Lippen preßten sich voll Ehrfurcht, Schmerz und Liebe auf diese arme Hand. – Das war und blieb Franz Schubert's einzige Begegnung mit seinem Ideal. – –

Ein fruchtbares Jahr in Schubert's Musikerdasein trägt die Zahl 1823. Es brachte die reizvolle Musik zur Rosamunde, die Oper Fierabras und die heitere Operette »der häusliche Krieg«. Unter den Liederperlen, die er umherstreute wie ein großmüthiger, weltbeglückender Zauberer, befinden sich die Müllerlieder, der Zwerg, Du bist die Ruh', Geheimniß und noch weitere Spenden. Und doch schoben sich Krankheitstage dazwischen, – Wilhelm Müller's Gedichte ruhten auf der Decke eines Schmerzenslagers und Fieberhände hielten das Buch umschlossen. –

In dem folgenden Jahre klagt ein Brief Schubert's an einen Freund in rührender Weise:

»Denke Dir einen Menschen, dessen Gesundheit nie mehr richtig werden will und der aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter, statt besser, macht; denke dir einen Menschen, dessen glänzendste Hoffnungen zu nichte gemacht worden sind, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bietet als höchstens Schmerz, dem Begeisterung für das Schöne zu schwinden droht, und frage Dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch ist? ›Meine Ruh' ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmermehr‹, so kann ich jetzt wohl alle Tage sagen, denn jede Nacht, wenn ich schlafen geh', hoffe ich nicht mehr zu erwachen, und jeder Morgen kündet mir neu den gestrigen Gram!« – –

Auch eine Seite seines Tagebuches aus jener Zeit enthält das tief melancholische Wort: »Meine Erzeugnisse in der Musik sind durch den Verstand und durch meinen Schmerz vorhanden; jene, welche der Schmerz allein erzeugt hat, scheinen die Welt am meisten zu erfreuen.« –

Aber ein Universalmittel war da, – dessen Gebrauch dem Patienten die verlorene Stimmung wiedergab und ihn gesunden ließ: eine geliebte Stimme rief ihn nach Zelécz. –

Im nächsten Jahr brachten allerlei kleine Reisen mit fröhlichen Genossen, dem Schwermüthigen eine Herzenserquickung. Und der köstliche Sang und Klang war dabei, denn der große Liedersänger Michael Vogl wanderte dem Componisten zur Seite und seine Stimme ließ den »Frühlingsglauben«, – jenes Lied von den linden Lüften, die erwacht sind, in die Welt ziehen, er sang von den »Rädern, die gar nicht gerne stille steh'n« – und der »launischen Forelle«. Zuweilen, wenn das Geld ausging, kehrte man in großen Dörfern ein oder in kleinen Tyroler Bergstädtchen und gab in irgend welchem »Krug« ein Concert, jubelnd empfangen und jubelnd auf baldige Wiederkehr entlassen. Das war eine herrliche Zeit! –

In solchem Licht mußte sich immer wieder viel Neues hervordrängen aus der übervollen Musikerseele, und in dankbarer Empfindung für das genossene Glück ertönte Schubert's frommes: » Ave Maria«. –

Daheim trat er freilich wieder in den gewohnten stillen Kampf mit dem Dasein ein, – alle Bemühungen, eine feste Stellung zu erringen, scheiterten, – die Verleger und Kritiker baten immer wieder um technische Vereinfachung seiner Schreibweise, man nannte seine Zukunft gefährdet, wenn er auf dem betretenen, gar zu »ungewöhnlichen« Wege fortschreite, – man mahnte ihn, in der Ueberproduction inne zu halten zu seinem Besten, – und dabei waren doch das unsterbliche D-moll-Quartett über den Tod und das Mädchen eben bekannt geworden und die herrlichen Trio's in B- und Es-dur. Die wunderbaren Impromptus waren geträumt, ein Theil des Schwanengesangs, die gewaltige C-dur-Symphonie und das Forellen-Quintett, – neben großen Orchestercompositionen – und die »Winterreise«, dieser großartige Liedercyclus, lag in Schubert's bescheidenem Arbeitspult. – Schumann behauptet von den Schöpfungen dieses seines Vorgängers begeistert: »Wie seine Lieder, so singen bei ihm auch alle Instrumente, er beflügelt unsere Phantasie, wie außer Beethoven kein anderer Componist, und sein B-dur- und Es-dur-Trio sind Meisterwerke, die jenem B-dur-Trio unseres erhabensten Tonheroen zur Seite zu stellen sind.« Es berührt so wohlthuend, aus dem Munde eines so herrlichen Lieder- und Tondichters solch begeistertes Lob eines Collegen zu hören. – Wie ist er selten geworden in unseren Tagen, ein derartiger Enthusiasmus für die Arbeit eines Nebenbuhlers, – wie befehdet man einander, – wie ist man nur zufrieden mit seinen eigenen Schöpfungen, – wie hält man nur Eines hoch, den eigenen Namen, wie stellt man nur das eigene Wissen und können als unfehlbar hin! – Wie undankbar und ungeduldig erscheinen uns die meisten unserer heutigen Musiker im Vergleich mit dem geduldigen Kampf unserer großen Meister, die nie ermüdeten und deren einzige Genugthuung in immer neuem, immer glanzvollerem Schaffen lag! – In welcher ergreifenden Weise zeigt uns das jede Biographie unserer Lieblinge!

Dem so kurzen Dasein Franz Schubert's war vor der so frühen großen Schlußfermate noch eine kurze Sonnenzeit gegönnt, die ihn nach dem schönen, vielgepriesenen Graz führte. Er sollte dort in der behaglichen Häuslichkeit befreundeter Menschen, die ihn liebten und bewunderten, inmitten der erquickendsten Natur erkennen, daß auch noch an einem anderen Erdenfleckchen, als in dem geliebten Zelécz, Rosen blühten. –

Wie gern wäre er immer in Graz geblieben, aber es fand sich, trotz aller Bemühungen, auch hier keine Stelle für einen Franz Schubert! – Aber immer und überall waren die Freunde da, die sich mühten, ihn alles vergessen zu lassen, was das Leben ihm Hartes brachte, die ihn leiteten und hüteten, wo er auch sein mochte, wie ein Kind, das gehen lernen soll und sich nicht stoßen darf.

Ich möchte hier in Bezug darauf ein charakteristisches Bild einschalten, das sich in meinen »Klingenden Geschichten« findet – (Stuttgart, deutsche Verlagshandlung), – und als vollkommen portraitähnlich bezeichnet wird:

»Ein Musikerstübchen drei Stiegen hoch war es, in der alten, fröhlichen Kaiserstadt an der schönen blauen Donau, aber ein ganz bescheidenes, mit einem gewöhnlichen Clavier, das eben offen stand, belastet mit Notenbüchern und -Blättern aller Art und – mit Staub. Eine ordnende Frauenhand waltete hier nicht, das sah jedes aufmerksame Auge auf den ersten Blick; der Fuß einer Hausfrau, die es dem Bewohner behaglich zu machen sich mühte, hatte diese ausgetretene Schwelle sicher nie überschritten. Ein ganz einfacher Arbeitstisch war an das breite, niedrige Fenster geschoben; ein Drehstuhl stand davor; die Gardinen von zweifelhafter Weiße waren zurückgeschoben von den kleinen Scheiben. Ein alter Notenschrank, ein verblichenes Sopha mit dem üblichen runden Tisch und einige Stühle, ein häßlicher eiserner Ofen, das war die ganze Einrichtung. Wände und Decke waren grau angehaucht; denn qualmende Freunde, jüngere und ältere Künstler, pflegten sich hier keinen Zwang aufzuerlegen. Wurde bei ihren langen Sitzungen zuweilen der blaue Dunst gar zu dick, dann riß man die Thüre der daneben liegenden Schlafkammer auf; das Fenster zu öffnen, fiel nur selten einem ein.

Unter, über und neben dem blinden Spiegel, in allen freien Ecken, wohin das Ange fiel, hingen zahllose Silhouetten und Lithographien, lauter Männerköpfe; verschiedene Porträts Beethoven's waren darunter. An der Wand hinter dem Arbeitstisch, sodaß der Schreibende sie sehen mußte, wann er eben die Augen aufschlug, waren allerlei geniale Zeichnungen, auch ein paar Aquarelle, mit kleinen Stiften an der Tapete befestigt; Skizzen, kleine landwirthschaftliche Motive; ein holdseliges Mädchengesicht, wohl ein Studienköpfchen, das in verschiedenen Stellungen wiederkehrte, und unter allen dasselbe Monogramm: M. v. S. Zuweilen stand auch, von fast knabenhafter Hand geschrieben, der Name Moritz darunter. Aber auch Scherzbildchen von derselben Hand zeigten sich, zum Beispiel eine Gruppe von Schilf und Wasserpflanzen, aus ihnen auftauchend eine lange Jünglingsgestalt, die Geige im Arm, ein gespenstisches, schmales Gesicht. »Unser Lenau, wie er eben seine Schilflieder singt,« las man darunter.

Ein jugendlicher Männerkopf kehrte in diesen Skizzen häufig wieder: der Bewohner eben dieses Zimmers. Ein Wald von gelockten, etwas wirren Haaren, ein breites Gesicht mit einer kurzen Nase und vollen Lippen; wie Kinderaugen blickte es hinter ein paar mächtigen Brillengläsern hervor. Notenzeichen, Viertel- und Achtelpausen bedeckten in diesen Portrait-Zeichnungen die Weste, und von den Spitzen des hohen Halskragens baumelten ein Violin- und ein Baßschlüssel herab. »Unser Franz, wie er seine Noten aus seinen Aermeln schüttelt,« lautete die dazu gehörige Unterschrift.

Das Konterfei war ähnlich, das mußte jeder zugeben, der eben das Original, zum Ausgehen gerüstet, aus der Thüre des Schlafstübchens treten sah, den breitkrämpigen Hut, vorletzter Mode, etwas nach hinten auf dem Kopfe balancirend.

Es war eben ein rauher Märztag draußen; ein kalter Wind rüttelte an den Scheiben, und ein Regenschauer prasselte nieder. Auf dem Arbeitstischchen stand ein frisches Veilchensträußchen. Ein noch feuchtes Notenblatt lag daneben, und unter den Noten stand der Uhland'sche Text:

»Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und wehen Tag und Nacht.«

Zwei jüngere Männer stürmten herein und warfen Hüte und Notenhefte auf den Tisch.

»Wie? Du willst ausgehen, Schubert?« fragte der Aeltere. »Du hast doch nicht vergessen, daß wir heut Abend bei Dietrichstein sind? Ich wollte noch ein Lied von Dir ansehen, in Deiner Gegenwart, ehe ich's vor den Leuten singe, von denen es noch Niemand hörte. Czahy wird es einstweilen begleiten; es gefällt ihm auch, wie mir.«

»Bleibt nur hier, ich komme bald wieder! Es ist zwar ein schwerer Gang und eine saure Ausgabe: ich muß mir aber durchaus eine neue Brille kaufen; ich habe das Gestell von meiner alten zerbrochen und obendrein verlegt. Ihr wißt, daß ich leider ohne solch ein Ding nicht zu gebrauchen bin, und gar im Palais des Grafen Dietrichstein, wo man anständig ausschauen muß. Vielleicht findet ihr das Kleinod; ihr habt bessere Augen. Seht einmal nach und übt mittlerweile, so viel ihr wollt; ich will mich eilen! Adieu!«

Zwei lustige Gesellen waren es, die sich nun im Stübchen des Meisters einquartierten, echte Wiener Kinder: der beliebte Opernsänger Michael Vogl und sein unzertrennlicher Begleiter Czahy, der ein ebenso meisterhafter Liederbegleiter wie der andere ein ausgezeichneter Liedersänger war. In ganz Wien hatte Vogl im Salon damals nur einen einzigen Rivalen zu fürchten: den Baron Karl von Schönstein. Die Domäne jenes aristokratischen Musikers lag aber doch im Reiche der Lyrik; schöner und feinsinniger sind wohl Schubert's Müllerlieder nie zu Gehör gebracht worden als durch ihn. Vogl dagegen war ein hinreißender Dramatiker; er hatte den Erlkönig zuerst gleichsam in Scene gesetzt, mit einem Erfolg ohne Gleichen. Vor wenigen Tagen erst war von ihm aber eine Schöpfung seines Freundes und Schützlings mit Jubel begrüßt worden als für Vogl's künstlerische Eigenart wie geschaffen; er konnte es deshalb kaum erwarten, das Lied einem größeren Kreise bekannt zu machen. Es war die Composition des Heine'schen Gedichts: »Am Meer«. –

Das Fest im Palais des feinsinnigen Kunstfreundes, des Grafen Dietrichstein, sollte als eines der großartigsten die diesmalige Saison beschließen und alles versammeln, was in Wien's Mauern sich an berühmten Namen und Schützern der »holden Kunst« barg. Wem zu Ehren diese glänzende Gesellschaft zusammenberufen worden war, wußten alle Musiker, nur Franz Schubert nicht. Seine Freunde hatten es absichtlich vor ihm geheim gehalten, sowie auch die große Zahl der Geladenen; man konnte dem wunderlichen jungen Componisten in dieser Beziehung nicht trauen: der Name mancher berühmten Persönlichkeit verscheuchte ihn sofort. In eben dieser Bescheidenheit hatte er noch nicht den Muth gefunden, dem großen Beethoven einen Besuch zu machen, oder ihm eine Composition zuzusenden. Schon oft hatte er an der Thüre seiner Wohnung gestanden, aber fast mit denselben Empfindungen wie vor den Pforten des Zahnarztes, – und dann war er immer wieder davongehuscht.

Diesmal galt es auch in Wien eine Berühmtheit zu feiern, einen Gast aus Italien, der viel von sich reden machte und seine neueste Oper »Zelmire« eben dort aufgeführt hatte: Giacomo Rossini. Die Titelrolle brachte die Sängerin Colbran, seit Kurzem Madame Rossini, in glänzendster Weise zu Gehör. »Othello« und andere Opern des »Schwan von Pesaro« sollten nun folgen. Ganz Wien drängte sich zu den Aufführungen, und alle, welche mit dem Dirigenten und Meister gesellschaftlich in Berührung gekommen, waren in heller Begeisterung über die Liebenswürdigkeit und weltmännische Gewandtheit des berühmten Italieners. Die vornehmsten Familien, denen er sich mit seiner Gemahlin vorstellte, nahmen ihn mit offenen Armen auf.

Oft schon hatten Schubert's nächste Freunde, der junge Lachner, der Maler Moritz von Schwind, der Dichter Franz von Schober und andere ihm zugeredet, einige seiner Lieder eben diesem Gefeierten vorzulegen. Rossini's eigener Gesang wurde als höchst anmuthig geschildert, und was ihm selber etwa nicht in der Kehle lag, sang vielleicht die Colbran. Ein italienischer Text war ja so leicht untergeschoben! Was nützte es denn, Lieder zu Dutzenden aus dem Aermel zu schütteln, wenn die große Menge sie nicht kennen und singen lernte? Der alte Salieri, Schubert's Lehrmeister, der sich's nun einmal nicht nehmen ließ, daß in diesem seinem Schüler etwas ganz Besonderes stecke, würde gewiß mit Freuden die Vermittlung übernehmen.

Aber alle derartigen Vorstellungen blieben fruchtlos.

»Wenn meine Lieder nicht von selbst bekannt und beliebt werden, sind sie eben nichts werth«, lautete die Entgegnung: »dem Rossini hat auch niemand geholfen!«

So ließ man den »wunderlichen Kauz« denn endlich gehen und begnügte sich damit, in kleinen, musikfreundlichen Kreisen hin und wieder Schubert'sche Lieder zu singen oder Claviercompositionen vorzutragen, welche stets die Hörer entzückten. Das größere Publicum dagegen wußte nichts von der stillen Werkstatt eines Componisten, der inmitten seiner täglich anwachsenden Schätze arm und unbemerkt blieb und nur aufthaute unter den treuen Freunden.

Ja, sie suchten an jenem Nachmittag gründlich nach der Brille, die beiden Freunde in Schubert's Zimmer, eifriger als einst Ludwig van Beethoven nach dem verlorenen Groschen, dessen Verlust ein so schönes Rondo hervorrief. Der Heimkehrende, der die theuer bezahlte neue Brille ängstlich in der Hand trug, wie ein kostbares Kunstwerk, schrie laut auf bei dem überraschenden Anblick, der sich ihm jetzt darbot: kein Stück stand mehr auf der alten Stelle, sogar die Bilder an den Wänden waren umgekehrt. Der Inhalt des Bettes lag auf und unter dem Clavier, das Arbeitspult und der Tisch waren mit Kleidungsstücken bedeckt, das Waschgeschirr machte sich auf dem Sopha breit, und die gefundene alte Brille hing, kunstvoll an einem alten Haken angebracht, von der niedern Decke herab.

Inmitten dieses Wirrwarr's aber stimmte plötzlich Czahy am Clavier die feierlichen Eingangstacte an, und Vogl sang mit der vollen Gewalt seiner herrlichen Stimme:

»Das Meer erglänzte weit hinaus
Im letzten Abendscheine.«

Die »Thräne«, die am Schlusse floß, weinte aber nicht jenes »unglücksel'ge Weib«, sondern der tief erschütterte Componist selber. Daß er sich in das Sopha fallen ließ und dabei in das Waschbecken gerieth, was kümmerte ihn das? Und auch die Beiden am Clavier vergaßen, darüber zu lachen.

»Ich habe da ein neues Lied auf Deinem Arbeitstisch gefunden«, sagte Vogl nachher im Fortgehen; »es scheint nicht übel zu sein, es ist eben noch Zeit, es dem Schönstein zu bringen; für ihn paßt es nämlich, für mich nicht. Wer weiß, vielleicht singt er's noch heut Abend. – Komm nicht zu spät, Franzl; Du weißt, Dietrichstein liebt die Pünktlichkeit. Heute Nacht geleiten wir Dich heim und helfen Dir dann aufräumen.«

In solchem Glanze hatten die schönen Räume des alten Palais Dietrichstein noch nie gestrahlt wie an diesem Abend. Selten fand sich dort eine Gesellschaft ein, die so viele berühmte und bekannte Namen aufwies, und Kenner wollten behaupten, daß seit dem Wiener Congreß der Fürsten und Frauen nie so viele schöne Frauen sich zusammengefunden als heute hier. Rossini sollte erkennen, daß auch jenseits der Alpen bezaubernde Frauenblumen gedeihen.

Der fremde Meister bewunderte denn auch redlich. Man umdrängte ihn, lächelte ihm zu, beschenkte ihn mit Blumen und nahm seine halbitalienischen, halb französischen Liebenswürdigkeiten dankbar entgegen. Alt und Jung bemühte sich, ihm zu huldigen wie einem Könige.

»Wem's auch so wohl würde!« sagte Grillparzer zu dem jungen Dichter Franz von Schober. »Unsere Musiker schauen mit Recht ernsthaft darein, und es sind doch Leute dabei, die dem Fremden dort mindestens ebenbürtig sind. Ihnen wird man nie Feste geben!«

»Ich denke eben an Schubert«, lautete die Antwort; »der hat ja das Zeug dazu, zehn Rossini's in die Tasche zu stecken. Aber er ist und bleibt zu blöde. Vogl wird heute ein neues Lied von ihm singen. Geben Sie Acht, Grillparzer, ob es nicht dramatischer ist als eine ganze Oper!«

Baron Schönstein trat hinzu, ein Notenblatt in der Hand.

»Vor ein paar Stunden brachte mir Vogl wieder ein neues Frühlingslied von Schubert«, sagte er; »ich will versuchen es zu singen. Ich fürchte nur, Niemand wird Acht geben. Es hat mehrere Strophen, und dann soll ja Rossini selber singen. Da hat Niemand Geduld, ein deutsches Lied von einem Unbekannten anzuhören.«

»Wo ist Schubert?« fragte Vogl im Vorübergehen. »Hat ihn keiner von den Herren gesehen? Die Comtesse Esterhazy, seine Schülerin, hat nach ihm gefragt.«

»Der Glückliche«, lachte Moritz von Schwind, hinzutretend. »Ich will ihn suchen. Vielleicht steckt er mit Lenau zusammen – die beiden Menschenscheuen lieben es, sich zu verstecken«.

Ja, wo war Schubert? Er hatte sich pünktlich eingefunden im Palais; aber dann, erschreckt und verwirrt, von dem glänzenden, plaudernden und lachenden Menschenstrom sich weiter schieben lassen. Hie und da hatte ihn eine bekannte Stimme beim Namen genannt; zum Wiederbegrüßen war aber keine Zeit – es wogte immer weiter um ihn her. Hätte er geahnt, daß solch ein Fest heute hier gefeiert werden sollte, er würde gar nicht gekommen sein. Wozu war er denn hier? Wer vermißte ihn? Wer fragte nach ihm? Niemand. Und was sollte hier die Musik? Sie würde doch nur wie ein scheues Mädchen dastehen in dieser schwirrenden Menge, die nicht auf sie achtete.

Schubert strandete endlich in einem Seitenzimmer, wo nur Wenige beisammen saßen. Anscheinend blieb er hier hinter einer Flügelthüre stehen. Doppelt unsicher und unbehaglich fühlte er sich mit seiner neuen Brille; er hatte sich noch nicht an sie gewöhnt, sie wollte nicht recht festsitzen.

Eine Hand legte sich jetzt auf seine Schulter. »Aber, Schubert, hier dürfen Sie nicht bleiben! Baron Schönstein wird gleich ein Lied von Ihnen singen. Schade, daß der berühmte Gast den Text nicht verstehen wird!«

Es war sein Gönner, der da sprach, der geistvolle Musikfreund Doctor Sonnleithner. – Ein berühmter Gast?! – –

Das mußte Beethoven sein, der Arme, dessen Ohr damals der Klang der Musik schon nicht mehr erreichte.

»Ist es möglich – Beethoven?!«

»Sie träumen wohl, lieber Schubert, wie so oft. Was sollte der taube Menschenfeind hier wohl thun?! – Es ist Rossini, den ich meine.«

Nur wenige Schritte waren die Beiden erst vorgedrungen, da klang auf einem mächtigen Streicher'schen Flügel die zarte, melancholische Einleitung zu Schubert's jüngstem Liede: »Die linden Lüfte sind erwacht«.

Eine edle Männerstimme setzte ein, und wie ein Lenzeshauch mit all seiner süßen Schwermuth zog der »Frühlingsglaube« vorüber.

Wer aber hörte hier im Saale auf dies zarte Lied? Nur eine verschwindend kleine Zahl von »Gläubigen«. Die große Menge dagegen wartete voll heimlicher Ungeduld nur auf ein sensationelles Ereigniß: Rossini wollte singen, und dann die Colbran! Deutsche Lieder konnte man noch oft genug hören! Warum brachte man sie auch gerade heute? Der junge Schubert componirte zwar ganz hübsch, und man mußte derartige einheimische Künstler ermuthigen; aber was war er denn im Vergleich zu einem Rossini?!

Die »linden Lüfte« verwehten denn diesmal auch spurlos, obgleich man des aristokratischen Sängers wegen artig in die Hände schlug. Der gefeierte Gast murmelte ein »Bravo!« flüsterte aber doch seiner Frau in's Ohr: »Schade, daß diese guten Deutschen immer so melancholisch sind, selbst im Frühling. Das Lied soll den Frühling preisen, ich würde es eher für ein Winterlied halten!«

Als Rossini dann keck und einschmeichelnd sein Ständchen sang, da konnte man nichts mehr wahrnehmen von deutscher Melancholie. Als die letzte Note verhallt war, umbrauste ihn fröhlichster Jubel. Die Damen bewarfen ihn mit Blumen und nahmen ihm mit Gewalt die Notenblätter aus den Händen, um sie unter sich zu verteilen. Gleich darauf feierten die männlichen Gäste in höchster Begeisterung den Gesang der Colbran. » Evviva la Diva!« schallte es immer von Neuem durch die Räume.

Unbegreiflich war es nur, daß der Festgeber noch einen einheimischen Sänger seinen Gästen vorführte! Es war Michael Vogl, mit einem deutschen Liede, nach solchem Sturm der dankbaren Erregung, der einem Rossini galt! Da war doch, selbst bei diesem so beliebten Opernmitgliede, eine kleine Niederlage vorauszusehen. Und was diese Kunstmäcene nur immer mit ihrem Franz Schubert wollten! Der konnte doch noch warten, er war ja so jung.

Der alte Salieri mühte sich eben jetzt, um dem italienischen Landsmann den Text des Gedichtes zu übersetzen. Er hatte nun einmal, das war allgemein bekannt, eine Schwäche für seinen Schüler Schubert.

Aber nun sang der berufenste Interpret der Schubert'schen Liedermuse, selber auf das tiefste erschüttert, wie er noch nie gesungen, und wie vielleicht nur Eine später ihm in gleicher Genialität das Lied vom Meer nachgesungen: Wilhelmine Schröder-Devrient. Und der Schluß verwehte zitternd über den Häuptern der Hörer:

»Mich hat das unglücksel'ge Weib
Vergiftet mit ihren Thränen!«

Alles schwieg. Erst als Rossini blaß und bewegt aufsprang, zu dem Sänger hineilte und ihn stürmisch in die Arme schloß, löste sich der Bann und der Beifall brach mit elementarer Gewalt los.

Als er schwieg, rief Graf Esterhazy:

»Gedenket nun auch des Componisten! Wo ist unser Franz Schubert?«

Und jetzt ging der Name von Mund zu Mund; auch Rossini mühte sich, ihn auszusprechen. Die Freunde des jungen Musikers rannten suchend umher, aber vergebens. Er war, nach dem geringen Erfolg seines »Frühlingsglaube«, seinem Führer entschlüpft und hatte sich in dem Schatten eines Fenstervorhangs verborgen.

Aber zwei Mädchenaugen hatten ihn dort entdeckt. Die reizende Caroline Esterhazy stand plötzlich vor ihrem Lehrmeister und sagte lächelnd und erröthend:

»Kommen Sie mit mir, Herr Schubert; Sie hören ja, man ruft Sie. Mein Vater wird Sie dem Maestro vorstellen, er ist außer sich vor Freude über ihr Lied. Solche Augenblicke darf man nicht versäumen. Sie dürfen kein Kind sein. Ich führe Sie!«

Eine schlanke, kleine Mädchenhand streckte sich nach dem jungen Musiker aus, und Schubert ergriff sie heftig klopfenden Herzens. Ach, diese Hand, die ihn leitete, gehörte ja dem Ideal seiner Künstlerseele, der heimlich geliebten Unerreichbaren, seiner wunderbar talentvollen Schülerin Caroline, der er damals jede seiner Schöpfungen widmete!

So schritt denn dies ungleiche Paar durch die, sich vor ihm theilenden, Reihen der verwunderten Menge. Mancher bewundernde Blick fiel auf diese Führerin, mancher glänzende Kavalier beneidete den unscheinbaren Musiker.

Der große Augenblick war gekommen: der unbekannte deutsche Componist wurde dem berühmten Italiener in aller Form vom Grafen Dietrichstein vorgestellt. Rossini umarmte ihn und überschüttete ihn mit einem begeisterten Wortschwall, von dem der Ueberraschte freilich kaum eine Silbe verstand. Indem er sich tief verneigte, glitt jene unselige neue Brille zu Boden. Vielleicht sah niemand als eben Franz Schubert selber, daß der Fuß des Italieners achtlos auf die Gläser trat. Wer sie ihm, dem Besitzer, wenige Augenblicke später wieder in die Hand schob, er wußte es nicht. Das eine Glas war arg zerkratzt, das andere hatte einen tiefen Sprung. Gebrauchen ließ sie sich schwerlich mehr! Die große Ausgabe war also umsonst gewesen. Wie viele Verehrer des berühmten Gastes hätten sie, zum Andenken an die Berührung seines Fußes, an jenem Abend mit Freuden als ein unschätzbares Kleinod angenommen.


In dem Schubertzimmer der großartigen Wiener Musikausstellung von 1892 stand eines Tages ein hochgefeierter Gast der Kaiserstadt, ein junger Musiker aus Italien, Pietro Mascagni, vor den dort aufgehäuften Erinnerungen an den größten deutschen Liedercomponisten, dessen kurzes Leben im Schatten dahinschwand, und dessen einziger Sonnenschein die Liebe seiner Freunde geblieben ist. Die dunklen Augen Mascagni's glitten dort auch wohl über jene Brille, die einst der Fuß seines Landsmannes berührt hatte, und die man ausgestellt hatte. Staunend mag das italienische Glückskind zugehört haben, als man ihm erzählte, welche Fülle der herrlichsten Schöpfungen sich in das kurze Leben eines Franz Schubert zusammengedrängt hat. Bei den mannigfaltigen Festen aber, die man bei jener Gelegenheit für Pietro Mascagni veranstaltete, hat man ihm wohl keine Schubertlieder vorgesungen, wie einst dem »Schwan von Pesaro.«


Schubert's Gesundheit wurde allmählich immer wankender, – die Lockung seines Freundes Lachner, Pesth zu besuchen, um mit ihm ein Concert zu geben, mußte abgewiesen werden. Dagegen ließ die Schaar der Getreuen in Wien nicht nach, dort ein Schubertconcert zu veranstalten, in dem nur Schubert-Compositionen zu Gehör gebracht werden sollten: Der Componist selber sollte als Clavierspieler und Liederbegleiter auftreten. –

Die Wiener drängten sich zu diesem Abend, wie kaum je zu einem Concert, der Erfolg war nach allen Richtungen hin ein unerwartet glanzvoller. Die Hörer waren ergriffen von dem tiefen Gemüth, der hohen Originalität des Gebotenen. Die Wahrheit des Ausdruckes, die feinfühlige Auffassung der verschiedenartigsten Dichter, die feurige Phantasie, die Fülle der Modulation und die Grazie und Neuheit der Form, versetzte die Menge in ein mit Ehrfurcht vermischtes Staunen. All dieser Melodien-Reichthum, der da hervorquoll, im Liede wie in den Compositionen für das Orchester und Clavier, hatte jener unscheinbare Mann, der sich dem immer höher anschwellenden Beifall gegenüber so rührend ungeschickt verbeugte, und der ihn offenbar mehr beklemmte als erfreute, geschaffen?! Man hatte bis zur Stunde ja noch so wenig von ihm gewußt und er war doch ein Wiener Kind! – Nun, man wollte das wieder gut machen, der Franzl sollte mit seinen Wienern künftig zufrieden sein. Da holte man sich allerlei Fremde her, die, bei Lichte besehen, ihm nicht die Schuhriemen zu lösen werth waren, – – das sollte und mußte anders werden, der Franz Schubert verdiente mindestens eine Capellmeisterstelle, das war gewiß! – –

Ach, gewiß war nur das Eine: daß jener geniale Schöpfer all dieser Herrlichkeiten scheiden mußte für immer und daß alles Sorgen und Mühen für ihn zu spät kam. – – Nicht einmal die Ausführung seiner großen C-dur-Symphonie erlebte Franz Schubert mehr, die er dem Wiener Musikverein übergeben. Man hatte zwar schon mit dem Einstudiren begonnen, fand aber doch gar zu viele Schwierigkeiten, die überwunden werden mußten und legte sie deshalb still bei Seite. Warum schrieb aber der gute Schubert nicht ein wenig einfacher!! – –

Die dem Erlöschen nahe Flamme des theuren Lebens flackerte noch eine Weile hin und her. – Das Interesse für seine holde Kunst blieb, trotz aller Körperleiden, ungeschwächt und ebenso redete er fast bis zur letzten Erdenstunde von ihr. Die treuen Freunde sorgten sich wohl um ihren Franz, aber an eine ernste Gefahr dachte doch Keiner. Erst vom 11. November an erschreckte sie und den Arzt die zunehmende Schwäche des Kranken, der bis dahin immer noch Spaziergänge unternommen hatte. In der frischen Luft, in der von ihm so geliebten Natur, war ihm wohler, da ließ sich's freier athmen, da hob sich stets seine Stimmung. In den Pausen, die ihm ein immer heftiger auftretender Schwindel noch ließ, corrigirte Franz Schubert die ersten Druckbogen seiner »Winterreise« und stellte seinen »Schwanengesang« zusammen. Mit Franz Lachner, der damals zu ihm eilte, vertiefte er sich sogar in allerlei musikalische Pläne, die ihn erfüllten, auch einen Operntext legte er dem Freunde vor. Schmerzen waren ihm erspart, aber er klagte über eine zunehmende quälende Mattigkeit und Schlaflosigkeit. Schon am 17. November trat zeitweise Bewußtlosigkeit ein, abwechselnd mit freundlichen, von lieblichen Klängen erfüllten Phantasien. – –

Er hörte offenbar seine Lieblings-Compositionen, – – die ihm bis zur Stunde von keinem irdischen Orchester aufgeführt worden waren, – denn die matte Hand tactirte leise und um die Lippen spielte ein seliges Lächeln. – – Der angstvoll von den Freunden befragte Arzt nannte nun die Krankheit ein schleichendes Nervenfieber. Am Abend des 18. November traten Beängstigungen ein – und in einem solchen Anfalle fragte er seinen Lieblingsbruder Ferdinand kaum hörbar: »Du, was geschieht denn mit mir?!« – – »Wir mühen uns Alle, Dich recht bald wieder gesund zu machen«, lautete die liebevolle Antwort. – – Fester und fester drückte nun die Eishand des Todes auf das warme, kindliche Herz – – und als der Arzt sanft beruhigend zu dem Ringenden sprach, blickten ihn die treuen Augen Franz Schubert's ernst und verträumt an und die erblassenden Lippen hauchten: »Hier, hier ist mein Ende!« – – –

In einem lichten Moment verlangte der fromme Gläubige nach der letzten heiligen Wegzehrung. – – Man brachte sie ihm. – – Eine verklärte Ruhe glitt über seine Züge. – »Bringt mich zu Ludwig van Beethoven«, schwebte es wie ein Hauch zu den Lieben hin, – – dann aber nahte sich in den Nachmittagsstunden des 19. November, der letzte, ernste Freund mit dem Trosteswort:

»Sei gutes Muth's, – ich bin nicht wild,
Sollst sanft in meinen Armen schlafen.« – –

Sie haben ihn damals auch zu seinem Meister Beethoven gebracht auf jenen kleinen Währinger Friedhof und die entseelte Hülle in die Nähe des großen Todten gebettet.

Den Denkstein des Grabhügels, der die Büste Franz Schubert's trug, schmückte nur sein Name und ein Wort Grillparzers: »Der Tod begrub hier einen reichen Besitz, aber noch schönere Hoffnungen.« – –

Auch in der neuen Gruft, in die man die stillen Schläfer vom Währinger Friedhof jetzt getragen, haben sie Franz Schubert bei seinem Beethoven gelassen. – – Grün und Blumen und der Schatten schöner Bäume sind an diesem geweihten Platze zu finden:

»Und mancher liebe Vogel ruft:
Schlaf wohl in Deiner stillen, stillen Gruft!« –

Und unsere dankbaren Herzen bewahren, wie ein Heiligthum, das Gedächtniß der herrlichen Heimgegangenen, und mit ihnen unseres unvergleichlichen Liederspenders:

Franz Schubert.

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