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Beethoven

Ludwig van Beethoven.

Geboren den 17. December 1770 zu Bonn.
Gestorben den 26. März 1827 in Wien.

Es finden sich wohl schwerlich schärfere Contraste als in dem Jugendleben unserer beiden großen Tonkünstler Mozart und Beethoven, – das eine erscheint in Sonnenschein getaucht, wie eine Landschaft von Claude Lorrain, das andere wie eine Mondlicht-Studie von Douzette, – dort frische Farben, hier Nebelgrau, – bei mattem Licht, – und so verschieden, wie der Gang ihrer künstlerischen Entwicklung, waren auch die Charaktere. Die glückliche, zärtlich behütete Kindheit war und blieb unseres Mozart's Trost in allen Täuschungen, Kämpfen und Entbehrungen seines Lebens, – dem armen Beethoven blieb solch ein Glück versagt, – – seine Augen schauen uns so unsagbar ernst an wie seine erhabene Musik selber, und um den herb geschlossenen Mund steht jener unverwischbare Zug, der da sagt: »Ich habe gelitten in jenen Tagen, wo wir froh sein sollen – – als Kind!«

Alle Biographen zeigen uns Ludwig van Beethoven von allem Anfang an als einen Freudlosen. – Sein Vater, der Tenorist der kurfürstlichen Capelle in Bonn, Johann van Beethoven, war, nach übereinstimmenden Berichten, ein harter, tyrannischer Mann von rohen Sitten, ohne jeden inneren Halt. Kein liebevolles Wort hörte jemals der Sohn aus seinem Munde, kein verständnißvoller, warmer Blick begegnete jemals den Kinderaugen, die so vertrauungsvoll zu ihm aufschauten. Das Tagesleben der armen, milden Mutter scheint bis zum Ende ihres Daseins ein Kampf, ein angstvolles, unaufhörliches Vermitteln und Abwehren gewesen zu sein, ihre Waffen waren Bitten und Thränen, – ach, sie erwiesen sich fast immer machtlos, diesem häuslichen Tyrannen gegenüber. In der Seele des Knaben, die sich gegen die brutale Willkür des Vaters gar bald auflehnte und sich der gequälten Mutter zuneigte, mußte naturgemäß ein trotziges Selbstgefühl aufstehen. Zu dieser immer wachsenden Empfindung gesellte sich früh schon eine krankhafte Abgeschlossenheit und das leidenschaftlichste Verlangen nach Freiheit und Selbstständigkeit. Ludwig meinte ersticken zu müssen in der Atmosphäre des Elternhauses, und nur der Gedanke an die arme Mutter hielt ihn von einer Flucht zurück. Aber ein Trost erwuchs ihm, der täglich mehr sich seines ganzen Wesens besänftigend bemächtigte, die immer ernstere Beschäftigung mit der Musik. Wohl wenige unserer Tonsetzer haben schon in frühester Jugend mit einem so brennenden Eifer sich in ihre Studien versenkt, rastloser geübt als der jugendliche Beethoven. Freilich wußte er auch, daß eben diese seine geliebte Kunst ihm einzig und allein jenen goldenen Schlüssel in die Hand zu drücken vermochte, der ihm das Thor seines Kerkers öffnen werde.

Der Knabe besuchte in Bonn eine gewöhnliche Schule und die Freistunden wurden durch Clavier- und Violinunterricht ausgefüllt, den ihm sein Peiniger, der eigene Vater, ertheilte. Erst als die Hoforganisten Eeden und Neefe auf Ludwig aufmerksam wurden, legte sein erster, grausamer Lehrmeister sein Amt nieder, freilich nicht eher, als bis ihm jene beiden Herren erklärt hatten, den jungen Schüler unentgeltlich weiter bringen zu wollen. – Auch der damals hochangesehene Clavierspieler Pfeifer interessirte sich lebhaft für den jugendlichen Musiker. Schon im Jahre 1780 schrieb Neefe an einen Freund:

»Ludwig van Beethoven, Sohn eines Tenoristen, ein Knabe von 10 Jahren, ist ein vielversprechendes Talent. Er spielt sehr fertig und mit Kraft das Clavier, liest sehr gut vom Blatt und um Alles in Einem zu sagen: er spielt größtentheils das wohltemperirte Clavier von Sebastian Bach. Wer diese Sammlung von Präludien und Fugen durch alle Töne kennt, welche man fast das non plus ultra nennen könnte, wird wissen, was das bedeutet. Man hat ihm auch einige Anleitung zum Generalbaß gegeben. Jetzt übt er bei mir sich in der Composition, und zu seiner Ermunterung hat man neue Variationen von ihm für's Clavier über einen Marsch, in Mannheim stechen lassen. Dieses junge Genie verdiente Unterstützung, daß es reisen könnte. Er würde gewiß ein zweiter Wolfgang Amadeus Mozart werden, wenn er so fortführe, wie er angefangen.« –

Während nun dieser erwähnten ersten Composition des Knaben noch drei Sonaten folgten, deren Dedication von dem Kurfürsten selber sehr freundlich aufgenommen wurde, wuchs das häusliche Elend täglich, bis zur Unerträglichkeit. Der Tyrann gab den Unterricht nun doch nicht ganz aus den Händen, da er gewahrte, daß das Talent seines Sohnes Aufsehen erregte unter den Musikern wie unter den Laien. Die heftigen Scenen nahmen kein Ende und die arme Mutter, die immer in Todesangst an der Thür des Unterrichtszimmers lauschte, war jeden Augenblick bereit, ihrem Kinde zu Hülfe zu eilen, bei dem geringsten Anzeichen, daß die Fluth der üblichen Scheltworte in Schläge überzugehen drohte. –

Ein friedliches Asyl, eine stille Insel gleichsam in jenem ewig bewegten Meer in der Nähe des Vaters, war Ludwig's kleines Dachstübchen, und dort verschloß er sich denn oft halbe Tage lang, nur auf die Bitten der Mutter die Thür öffnend. – Der Blick der ernsten Kinderaugen flog in dieser Einsamkeit dann über die rothen Dächer hinweg in die Ferne, wo der Kranz der sieben Berge so lockend winkte, denen zu Füßen der herrliche Rheinstrom rauschte. Die kleinen Hände aber lagen auf den Tasten eines armseligen Spinett's und die Töne, die dann emporstiegen und sich zu Melodien reihten, wiegten das arme junge Herz in goldene Träume, alles Leid war vergessen. –

Eine rührende Anecdote aus dieser Zeit des Martyrium's, ist für das Kinderleben Ludwig's van Beethoven zu bezeichnend als daß sie verschwiegen werden dürfte. Man erzählt nämlich, daß sich allezeit, wenn der Knabe in seinem Versteck spielte oder geigte, eine stumme Bewunderin, eine große Spinne, an ihrem Faden von der niederen Decke herab ließ, um regungslos über seinem Haupte zu schweben. Da bemerkte eines Tages die Mutter diesen seltsamen Gast, als sie eben den Sohn an die wieder einmal, wie schon so oft, vergessene Speisestunde mahnen wollte. Entsetzt, wie vor einer ihrem Liebling drohenden Gefahr, und dabei den eigenen Widerwillen tapfer überwindend, ergriff ihre Hand das Thier und schleuderte es durch das offene Fenster. Da soll Ludwig ihr weinend in den Arm gefallen sein mit den Worten: »Mutter, was hast Du mir angethan?! Die einzige Trösterin, die ich hatte, wurde mir von Dir genommen und getödtet! Nun bin ich ja ganz einsam!«

Und sein zarter Körper bebte in Fieberschauern und Tage lang nach dieser Scene hatte er das Ansehen eines Kranken, so tief trauerte er um die Gefährtin seiner freudlosen Einsamkeit. –

Zum Glück wurde ihm, – ach, leider auch nur auf kurze Zeit, – ein Schwesterchen geschenkt, an dem er mit der zärtlichsten Liebe hing und dessen frohe Augen sein Sonnenschein wurden. – Wenn nun aber die »holde Kunst« auch die erste Trösterin des gequälten Kinderherzens geworden war, so zog ihn mit nicht geringerer Gewalt die Natur in ihre Arme. Ludwig van Beethoven zeigte sich schon früh als ein leidenschaftlicher Naturbewunderer. So oft sein Peiniger ihn frei ließ, streifte er in der schönen Umgebung seiner Vaterstadt umher, – lagerte stundenlang im Grase oder unter Bäumen, hörte ferne Melodien und – träumte in's Blaue hinein. – Eben diese Hinneigung nimmt später eine erhabene Gestalt an, in seinen Tonschöpfungen. Der Athem des Waldes, das Rauschen der Wellen, der Hauch der Bergluft, – wir vernehmen ihn in den Tönen seiner Compositionen und er nimmt uns gefangen, wie uns die große herrliche Natur selber allzeit gefangen nimmt. –

Bereits in seinem 15. Jahre, 1785, noch ein Knabe, trat Ludwig in den Dienst des Kurfürsten Max Franz, als Organist der Capelle, mit 150 Gulden Gehalt. – Der verstorbene Componist und Kölner Capellmeister Ferdinand Hiller, dieser einst so ausgezeichnete Mozart- und Beethovenspieler, sagt in Bezug auf eben diesen frühzeitigen Posten: »unschätzbar war es für ihn, als den künftigen Beherrscher der Instrumente, in der Linie gleichsam gedient zu haben.« –

Im darauf folgenden Jahre war dem Fleißigen ein Aufathmen, wenn auch nur ein kurzes, gegönnt: eine Reise nach der schönen, fröhlichen Kaiserstadt Wien, freilich nur in Begleitung des Vaters und eines Geigers der Kurfürstlichen Capelle. Viel kosten durfte die Fahrt nicht, aber der Vater mochte hoffen, daß sie etwas einbrächte, Geld, oder doch mindestens Ehren und die Aussicht auf eine künftige Anstellung. Man besuchte unterwegs keinerlei Gasthäuser, nur Verwandte und Bekannte, bei denen keine Zeche zu entrichten war. Mit welcher stillen Begeisterung mag der Knabe der Heimath eines Haydn, der damals, fast wie ein König geehrt, in Wien lebte, entgegengesehen haben, und einer Stadt, wo ein Gluck gewandelt und ein Mozart seine Opern geschrieben. Er zitterte denn auch beim ersten Anblick des Stefansthurmes. – Ob er wirklich Einem jener Gesegneten begegnen würde, von denen seine Seele träumte? Nun, die heilige Cäcilia verhalf ihm zur Erfüllung seiner kühnsten Wünsche, – der junge Ludwig van Beethoven durfte in einem Kreise hochangesehener Musiker Clavier und Geige spielen, Haydn selber legte mit freundlichen Worten ihm die Hand auf die Schulter, Mozart über in seiner zärtlichen Weise umarmte den jungen Spieler und sagte mit leuchtenden Augen: »Auf den gebt Acht! der wird einmal von sich reden machen!« – Der Knabe hatte über ein gegebenes Thema frei fantasirt und zwar in der glanzvollsten Weise. Wiederholt ruhte die feine Hand Mozart's auf dem dunklen Lockenkopf Ludwig's und die Minderungen des werdenden größten Tonmeisters tauchten voll dankbarer Glückseligkeit in die herrlichen Augen des größten Meisters der Gegenwart. – Leider wurde der, für den jugendlichen Tonkünstler so sonnige, Aufenthalt in Wien unerwartend schnell abgekürzt durch die, für den Sohn so erschreckende Nachricht von der schweren Erkrankung der Mutter. Nichts vermochte ihn nun in der schönen Fremde mehr zurückzuhalten, und der Gedanke, die geliebte Leidende vielleicht nicht mehr unter den Lebenden zu finden, ließ ihn auf der ganzen Reise keinen Augenblick zur Ruhe kommen. – Aber die geliebte Vertraute seiner Leiden schloß erst nach Wochen bängster Sorge die müden Augen zum letzten Schlummer, – der letzte Blick, das letzte Wort der Zärtlichkeit galt dem Sohne. –

Wie tief nun auch der Schmerz des Zurückgebliebenen um die Heimgegangene war, – es lag in seiner Art und in seinem Wesen, daß er ihn vor allen Blicken fest und tief verschloß. Nur Clavier und Geige erfuhren, wie es in ihm aussah. – Die erschütterndsten Klagen wurden vor diesen seinen, jetzt einzigen, Vertrauten wach. Wenige Monate später nur, nahm ihm der Tod auch seine größte und letzte Freude, das fröhliche, zärtliche Schwesterlein, Ludwig's einziges Spielzeug. Nun waren die Geliebtesten der Erde seinen Augen für immer entrückt, – denn seine beiden jüngeren Brüder erscheinen von allem Anfang an durch kein Fädchen mit ihm verbunden.

In dieser Schmerzenszeit erschloß sich dem Ringenden zum Glück ein herrliches Haus, wie es jedem Künstler und Poeten auf Erden zu wünschen wäre: die Mutter zweier Schüler des jungen Beethoven, die verwittwete Frau von Breuning in Bonn, zog ihn fast gewaltsam in ihren harmonischen Kreis. Hätte doch Beethoven's arme Mutter es noch erleben dürfen, ihr Sorgenkind in einer solchen Atmosphäre von Frauensorge, feinstem Kunstgeschmack und edelster Geselligkeit zu sehen! Es war nicht leicht, den menschenscheuen, jugendlichen Einsiedler zutraulich zu machen und festzuhalten, und nur die kluge Anordnung der seelenkundigen Herrin, daß man sich scheinbar nicht um ihn kümmerte, ihn kommen und gehen ließ, wie er eben wollte, machte es möglich, daß er es aushielt. Unendlich viel Geduld haben sie wohl Alle mit dem seltsamen Knaben gehabt, sowohl die Hausbewohner selbst, wie auch alle Anderen, die in diesem gastfreien Künstlerheim aus- und eingehen durften. Gar manchen Zug aus dieser Jugendepoche des Genies hat der Schwiegersohn von Frau von Breuning, Doctor Wegeler, aufgezeichnet und später der Welt geschenkt. Die Luft, die in jenem Hause wehte, wo eben Künstler aller Art mit besonderer Freude anklopften, konnte unmöglich ohne Wirkung auf den verschlossenen, heranwachsenden Jüngling bleiben. – Wie die Knospe dem Licht, öffnete sich sein Herz langsam der unerschöpflichen Güte und Liebenswürdigkeit, die ihn umgab. Man sagt, daß im Breuning'schen Hause auch der feingebildete Aristokrat Graf Waldstein dem jungen Beethoven zuerst begegnete, der später sich als einer seiner edelsten Förderer erwies. Als tönender Dank erklingt die wunderschöne C-Dur-Sonate, Op. 53, die diesem warmherzigen Gönner gewidmet wurde. Wie groß das Aufsehen war, das Beethoven's Clavierspiel erweckte, das sich immer künstlerischer entfaltete, zeigt ein Brief, den die Biographen des Bewunderten aus dem Jahre 1791 mittheilen. Da heißt es denn:

»Noch höre ich in Mergentheim den größten Spieler auf dem Clavier, den lieben, guten Beethoven, von welchem in der Speier'schen Blumenlese vom Jahre 1783 Sachen erschienen, die er schon im 11. Jahre gesetzt hat. Zwar ließ er sich nicht im öffentlichen Concerte hören, weil vielleicht das Instrument seinen Wünschen nicht entsprach; es war nur ein Spathischer Flügel und er ist gewohnt, in Bonn auf einem Steinerschen zu spielen. Indessen, was mir unendlich lieber war, ich hörte ihn phantasiren. Ja, ich wurde sogar selbst aufgefordert, ihm ein Thema zu Veränderungen aufzugeben. Man kann die Virtuosen Größe dieses lieben, leisegestimmten Menschen, wie ich glaube, sicher berechnen nach dem beinahe unerschöpflichen Reichthum seiner Ideen, nach der ganz eigenen Manier des Ausdrucks seines Spiels und nach der Fertigkeit, mit welcher er spielt. Ich wüßte also nicht, was ihm zur Größe des Künstlerthums noch fehlen sollte. Ich habe Bogler'n (hier meint der Schreiber den Feind Mozart's, den Abt Bogler, der später auch Carl Maria von Weber und Meyerbeer unterrichtete) auf dem Pianoforte gehört und immer seine außerordentliche Fertigkeit bewundert, aber Beethoven ist, außer der Fertigkeit, sprechender, bedeutender, ausdrucksvoller, kurz mehr für das Herz; also ein ebenso guter Adagio- als Allegro-Spieler. Selbst die sämmtlichen, trefflichen Spieler der Hofcapelle sind seine Bewunderer und ganz Ohr, wenn er spielt. Nur ist er der Bescheidene, ohne alle Ansprüche. Jedoch gestand er, daß er auf seinen Reisen, die ihn der Kurfürst machen ließ, bei den bekanntesten guten Clavierspielern selten das gefunden habe, was er zu erwarten sich berechtigt geglaubt hätte; sein eignes Spiel unterscheidet sich auch sehr von der gewöhnlichen Art, das Clavier zu behandeln, so daß es scheint, als habe er sich einen ganz anderen Weg bahnen wollen, um zu dem Ziele der Vollendung zu kommen, an welchem er jetzt steht.« – –

Das war ein schönes Zeugniß für den jugendlichen Musiker!

Ludwig's Sehnsucht war und blieb wiederum Wien, aber erst ein Jahr nach Mozart's Heimgang gelang es seinen Gönnern und Freunden, ihm die Reise und den Aufenthalt dort zu ermöglichen, – die Flügel wurden ihm doch endlich gelöst. Die einflußreichsten Empfehlungen öffneten ihm in der Kaiserstadt an der schönen blauen Donau Thüren und Thore. Der junge Rheinländer wurde mit der, bis auf den heutigen Tag so herzerquickenden Oesterreich'schen Wärme und Liebenswürdigkeit in den einfachen Künstler- und Gelehrten-Häusern, wie auch in den Palästen der kunstsinnigen Aristokratie empfangen. Der eigenartige junge Mann, dessen Stirn den Stempel des Genie's trug, dessen Wesen so stolz und ernst, erregte überall ein ungewöhnliches Interesse. Es wurde gleichsam Mode, ihn am Clavier zu sehen und zu hören, und die Frauen schwärmten für seine seltsamen und hinreißenden Tonphantasien.

Die Portraits des jugendlichen Beethoven aus jenen Tagen sind von einem eigenthümlichen Reiz. Das Gesicht muß blaß und düster gewesen sein, mit prachtvoller Stirn, dunkel beschatteten, tiefliegenden Augen, von verschleiertem Blick; der feingeschnittene Mund, der so selten lächelte, zeigte einen herben Zug. Die Gestalt war, den Beschreibungen nach, mittelgroß, schlank und von stolzer Haltung. Er mag wohl ausgesehen haben wie Einer, dessen Leben ohne Sonnenschein geblieben. Seinen Fleiß und sein Genie wußten seine Lehrmeister, Joseph Haydn und der hochgelehrte Albrechtsberger, nicht genug zu rühmen – und Beide prophezeiten ihm eine große musikalische Zukunft, nur waren sie nicht einig, ob sein Talent als Virtuose, oder die Componistenlaufbahn ihm Glück und Ruhm bringen werde. Der bis in sein hohes Alter so kindliche, fröhliche Haydn mag sich wohl zu dieser tief ernsten Jünglingsnatur weniger hingezogen gefühlt haben, dagegen bewunderte ihn Albrechtsberger leidenschaftlich und zog ihn in seine Familie, wo Beethoven zu jeder Zeit willkommen war und blieb. Da saß er denn oft stundenlang, um sich von dem herrlichen Mozart erzählen zu lassen, der ja auch in diesem friedvollen Musikerhause aus- und eingegangen war. – Nicht müde konnte er werden, von ihm und seiner unwiderstehlichen Art reden zu hören, und sich jene Frage wiederholen zu lassen, die für dies wärmste Künstlerherz so characteristisch: »Hast Du mich lieb?!« – »Wäre ich doch wie er!« Diesen Seufzer hat sein Lehrmeister gar oft von diesem Schüler gehört – und die Antwort hatte gelautet: »Dann wärst Du eben kein Ludwig van Beethoven! Und von Euch Beiden giebt's nur ein Exemplar und das ist gut so!« –

Der mächtigste und gütigste unter den damaligen vornehmen Gönnern des jungen Rheinländers war der Fürst Carl Lichnowsky, und seine reizende Gemahlin wetteiferte mit ihm in der Sorge für jenes eigenartige Musikgenie, daß sie entzückte. Beethoven wohnte sogar eine Zeitlang in dem Schlosse und es war wohl wie ein Feenmärchen, wie man ihn dort umsorgte und ihn ungestraft gleichsam »unter Palmen« wandeln ließ. Der Fürst setzte ihm, zu ungehinderter Fortbildung und um dem jungen Musiker gleichsam ein Stückchen festen Boden unter den Füßen zu geben, einen Gehalt von jährlich 600 Gulden aus. Mit der größten Geduld und Herzenshöflichkeit behandelten seine Schützer den oft so reizbaren und excentrischen Beethoven, denn es war, darin stimmen wiederum alle Biographen überein, von jeher keine kleine Aufgabe, sich in sein Wesen zu finden und ihm gegenüber zu allen Zeiten und Stunden den richtigen Ton zu treffen. – Ist es nicht doppelt bewundernswerth, daß jene so verwöhnten Aristokraten in der zartsinnigsten Weise sich um ihn bemühten und nie sich verstimmen ließen durch seine schroffe Weise. Die schöne Frau würde eher ihre vornehmsten Gäste vernachlässigt haben als den stolzen, melancholischen Fremdling, sie zeigte sich ihm gegenüber in der, mit bezauberndster Grazie durchgeführten, Doppelrolle einer Mutter und verständnißvollen Schwester. Wie oft soll sie geäußert haben, daß sie ihren Schützling am liebsten unter eine Glasglocke stellen möchte, damit ihn kein rauhes Lüftchen, kein greller Laut erreiche. Der Fürst, ein echter Cavalier in des Wortes edelster Bedeutung, gab sogar seinem ersten Kammerdiener ein für alle Mal die bestimmte Weisung, daß der junge Gast stets zuerst von ihm bedient werden solle, im Falle er selber und Beethoven einmal zu gleicher Zeit nach ihm klingeln würde.

In der sorgenlosen, geschützten Zeit dieses Lebensabschnittes sind gewiß die Keime der herrlichsten späteren Schöpfungen erwacht, denn jeder Keim bedarf eben des Sonnenlichts zu seinem Werden und Entfalten. –

Beethoven arbeitete von allem Anfang an langsam, überdachte Alles wiederholt, corrigirte unablässig und übergab der Welt in allen seinen fertigen Compositionen nur reife Schöpfungen. In den interessanten Skizzenbüchern, die man in Bonn von unserm großen Meister aufbewahrt, und die Jedermann zum Einblick zugängig sind, sinket man zahllose Umarbeitungen eines Themas, eines musikalischen Satzes, und über einer oder der anderen wohl die kurze Notiz: » meilleur!« – Alle vorhandenen musikalischen Formen betrachtete dieser hohe Geist nicht als ein überliefertes, abgebrauchtes Etwas, das zerstört werden müsse, um Neues an ihre Stelle zu setzen – nein, er erweiterte sie zunächst nur, mit ebenso viel Pietät als Genialität und voll lebhafter, dankbarer Bewunderung zu seinen Vorgängern aufschauend. Ein Etwas aber trat in jeder neuen Beethovenschen Composition zu Tage, in hinreißender und immer mächtigerer Weise, ein Etwas, das sich in jenen Zaubergarten seiner Instrumentalmusik, der allmählich immer reicher aufblühte und die Welt in Staunen setzte durch seine Herrlichkeit, offenbarte: die tiefe Sehnsucht eines großen, liebebedürftigen Herzens, – eine Sehnsucht, die nie Worte, nur Töne finden konnte. – – Bis zum Gipfel seines Schaffens, – jener, in der todesernsten Einsamkeit seines Gehörleidens, langsam emporsteigenden Riesenpalme der 9. Symphonie, umweht uns der Hauch dieser ungestillten Sehnsucht. –

Einer der edelsten Interpreten der Beethoven'schen Claviermusik und seiner glühendsten Bewunderer, der verstorbene, strenge Ferdinand Hiller, schrieb in Bezug auf das Arbeiten dieses Genius:

»Kein Componist hat der forschenden Nachwelt erlaubt, so tiefe Blicke in seine geistige Werkstätte zu thun, als Beethoven. Es war ihm Bedürfniß, Alles zu notiren. Und so enthalten die zahlreichen Skizzenbücher, die er hinterlassen, die oft unscheinbaren Embryos seiner wunderbaren Melodien, der zahlreichen Umgestaltungen, die sie erfuhren, bis sie den Meister befriedigten, die verschiedenartigsten Versuche zu ihrer Durchführung und dergleichen mehr. So schnell nun dies geschrieben worden sein muß, so beweist dies sowohl, als die Einsicht in viele Autographen seiner Partituren, daß die Composition eines größeren Werkes ihm, mit seinen hohen Zielen, eine schwerere Arbeit wurde, als den meisten seiner berühmten Genossen.« – –

Im Jahre 1795 concertirte der junge Beethoven in der Kaiserstadt und errang bedeutende Erfolge. Ganz Wien sprach von dem meisterhaften Clavierspiel des Rheinländers. Briefe und Berichte trugen die Nachricht dieses künstlerischen Sieges auch nach Bonn. Kurze Zeit nachher starb der ehemalige Tenorist des Kurfürsten und hinterließ seine beiden Söhne Carl und Johann in dürftigen Verhältnissen. Obgleich selbst noch in keiner gesicherten Stellung, ließ Ludwig ohne Zögern seine Brüder nach Wien kommen, um mit allen Kräften für Beide zu sorgen. Uebereinstimmend berichteten seine Biographen von dem großen Undank, der diese That eines großmüthigen Herzens gelohnt. Carl und Johann brachten sowohl selber, wie später auch durch ihre Kinder, alles erdenkliche Herzeleid über ihren brüderlichen Wohlthäter. Unwiderleglich aber ist die Anklage in dem am 10. October 1802 niedergeschriebenen Testament des großen Musikers. Sie gehört in seine Lebensbeschreibung, denn sie liefert ein rührendes Bild des Menschen Ludwig van Beethoven. – Der Wortlaut dieses Schriftstückes lautet:

»Für meine Brüder Carl und Johann van Beethoven. O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet, oder erklärt, wie Unrecht thut ihr mir, ihr wißt nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheint! Mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens. Selbst große Handlungen zu verrichten, dazu war ich immer aufgelegt. Aber bedenket, daß seit 6 Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Aerzte verschlimmert, von Jahr zu Jahr in der Hoffnung, gebessert zu werden, betrogen, endlich zu dem Ueberblick eines dauernden Uebels, dessen Heilung vielleicht Jahre dauern oder gar unmöglich ist, gezwungen. Mit einem feurigen, lebhaften Temperamente geboren, selbst empfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, mußte ich mich früh absondern, einsam mein Leben hinbringen, wollte ich auch zuweilen mich einmal über alles das hinaussetzen, o wie hart wurde ich durch die verdoppelte traurige Erfahrung meines schlechten Gehörs dann zurückgestoßen, und doch war mirs noch nicht möglich, den Menschen zu sagen: sprecht lauter, schreit, denn ich bin taub! Ach, wie wäre es möglich, daß ich die Schwäche eines Sinnes angeben sollte, der bei mir in einem vollkommneren Grade als bei Anderen sein sollte, einen Sinn, den ich einst in der größten Vollkommenheit besaß, in einer Vollkommenheit, wie ihn Wenige von meinem Fach gewiß haben, noch gehabt haben! Drum verzeiht, wenn ihr mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gern unter euch mischte. Doppelt wehe thut mir mein Unglück, indem ich dabei verbannt werden muß. Für mich darf Erholung in menschlicher Gesellschaft, feineren Unterredungen, wechselseitigen Ergießungen nicht statt haben. Ganz allein fast und soviel, als es die höchste Nothwendigkeit fordert, darf ich mich in Gesellschaft einlassen. Wie ein Verbannter muß ich leben. Nahe ich mich einer Gesellschaft, so überfällt mich eine heiße Aengstlichkeit, indem ich befürchte, in Gefahr gesetzt zu werden, meinen Zustand merken zu lassen. – So war es denn auch dieses halbe Jahr, was ich auf dem Lande zubrachte. Von meinem vernünftigen Arzt aufgefordert, soviel als möglich mein Gehör zu schonen, – kam er fast meiner jetzigen natürlichen Disposition entgegen, obschon, vom Triebe zur Gesellschaft manchmal hingerissen, ich mich dazu verleiten ließ. Aber welche Demüthigung, wenn Jemand neben mir stand und von Weitem eine Flöte hörte, und ich nichts hörte, oder Jemand den Hirten singen hörte, und ich auch nichts hörte. Solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung und es fehlte wenig und ich endigte selbst mein Leben. Nur sie, die Kunst, hielt mich zurück. Ach, es dünkte mich unmöglich, die Welt eher zu verlassen, als bis ich das Alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte. Und so fristete ich das elende Leben, so wahrhaft elend, daß mich eine etwas schnelle Veränderung aus dem besten Zustande in den schlechtesten versetzen kann. Geduld! – so heißt es, sie muß ich nun zur Führerin wählen! – Ich habe es. – Dauernd, hoffe ich, soll mein Entschluß sein, auszuharren, bis es den unerbittlichen Parzen gefällt, den Faden zu brechen. Vielleicht geht es besser, vielleicht nicht. Ich bin gefaßt. – Schon in meinem 28. Jahre gezwungen, Philosoph zu werden! Es ist nicht leicht, – für den Künstler schwerer als für irgend Jemand. – Gottheit, Du siehst herab auf mein Inneres, Du kennst es, Du weißt, daß Menschenliebe und Neigung zum Wohlthun darin hausen! O Menschen, wenn ihr dieses leset, so denkt, daß ihr mir Unrecht gethan, und der Unglückliche, er tröste sich, einen seines Gleichen zu finden, der trotz aller Hindernisse der Natur doch noch alles gethan, was in seinem Vermögen stand, um in der Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden. Ihr, meine Brüder Carl und Johann, – sobald ich todt bin, – und Professor Schmidt lebt noch, so bittet ihn in meinem Namen, daß er meine Krankheit beschreibe, und dieses hier geschriebene Blatt füget ihr dieser meiner Krankheitsgeschichte bei, damit wenigstens soviel als möglich die Welt nach meinem Tode mit mir versöhnt werde. – Zugleich erkläre ich euch Beide hier für die Erben des kleinen Vermögens, wenn man es so nennen kann, von mir. Theilet redlich und vertragt und helft euch einander. Was ihr mir zuwider gethan, das wißt ihr, war euch schon längst verziehen. Dir, Bruder Carl, danke ich noch insbesondere für Deine in dieser letzten Zeit bewiesene Anhänglichkeit. Mein Wunsch ist, daß euch ein besseres sorgenfreieres Leben als mir werde. Empfehlt euren Kindern Tugend, sie allein kann glücklich machen, nicht Geld. Ich spreche aus Erfahrung. Sie war es, die mich selbst im Elende gehoben, ihr danke ich nebst meiner Kunst, daß ich durch keinen Selbstmord mein Leben endigte. – Lebt wohl und liebet euch! – Allen Freunden danke ich, besonders Fürst Lichnowsky und Professor Schmidt. – Die Instrumente von Fürst Lichnowsky wünsche ich, daß sie doch mögen aufbewahrt bleiben bei einem von euch; doch deswegen entstehe kein Streit unter euch. Sobald sie euch aber zu etwas Nützlicherem dienen können, so verkaufe sie nur. Wie froh bin ich, wenn ich auch noch im Grabe euch nützen kann. So wär's geschehen: mit Freuden eile ich dem Tode entgegen. Kommt er früher, als ich Gelegenheit gehabt habe, noch alle meine Kunstfähigkeiten zu entfalten, so wird er mir, trotz meinem harten Schicksale, doch noch zu früh kommen und ich würde ihn wohl später wünschen; doch auch dann bin ich zufrieden, befreit er mich nicht von meinem endlosen, leidenden Zustande? – Komm, wann Du willst, ich gehe Dir muthig entgegen. Lebt wohl und vergeßt mich nicht ganz im Tode, ich habe es um euch verdient, indem ich in meinem Leben oft an euch gedacht, euch glücklich zu machen, seid es.«

Heiligenstadt, am 6. October 1802.

Auf der äußeren Seite stehen die Worte:

»So nehme ich Abschied von Dir – und zwar traurig. – Ja, die geliebte Hoffnung, die ich mit hierher nahm, wenigstens bis zu einem gewissen Punkt geheilt zu sein, sie muß mich nun gänzlich verlassen. Wie die Blätter des Herbstes herabfallen, gewelkt sind, so ist auch sie für mich dürre geworden. Fast wie ich hierher kam, gehe ich fort; selbst der hohe Muth, der mich oft in den schönen Sommertagen beseelte, er ist verschwunden. O Vorsehung, laß einmal einen reinen Tag der Freude mir erscheinen! So lange schon ist der wahren Freude inniger Wiederhall mir fremd. Wann, o wann, o Gottheit, kann ich im Tempel der Natur und des Menschen ihn wieder fühlen? – Nein, es wäre zu hart!« – – –

Und dieser große Resignirte, der so erschütternd klagte, – hat eine 9te Symphonie geschrieben, hat uns eine C-Moll-Symphonie geschenkt und die Schönheit der Natur in einer Pastoral-Symphonie geschildert! – –

Ludwig von Beethoven hat, im Vergleich zu seinen berühmten Kunstgenossen, Haydn und Mozart, Gluck und Händel, nur wenig von der Welt da draußen gesehen. In dieser Beziehung gleicht er dem gewaltigen Cantor in Leipzig, Johann Sebastian Bach, der sich auch in sein Vaterland und in sein Heim eingesponnen hat.

Nie sah der Componist der 9. Symphonie jenes gelobte Land der Künstler und Poeten, – das Wunderland Italien, – nie Frankreich und England, wohin man ihn doch wiederholt zu locken versuchte. – Nur eine, an Ehren reiche, Reise nach Berlin verzeichnen Beethoven's Biographen. Dort wurde ihm eine unvergeßliche Begegnung: der geniale prinzliche Musiker und Componist, Louis Ferdinand von Preußen, empfing ihn mit offenen Armen.

Noch bis zum heutigen Tage nimmt eben diese romantische Gestalt, in der enthusiastischen Beschreibung ihrer Zeitgenossen, dieser souveraine Frauenbesieger, unsere Phantasie gefangen. In der Atmosphäre eines Hofes erscheint Louis Ferdinand doppelt merkwürdig, ein fast dämonischer Zauber strahlt von ihm aus, und er wandelt, in dem doppelten Nimbus einer außergewöhnlichen Musikbegabung und einer tragischen, frühen Todesverklärung, ein Troubadour und Held zugleich, in der Geschichte jener Tage vorüber. –

Man feierte im wahren Sinne des Wortes einen Beethoven-Abend, im Palais des Prinzen Louis Ferdinand. Eine kleine, auserlesene Gesellschaft hatte sich zu Ehren des Wiener Gastes dort versammelt. Da war der böhmische Musiker und Claviervirtuose Dussek, der treue Gefährte des Prinzen, der liebenswürdige Capellmeister Himmel, Componist einer damals vielbewunderten Oper, Fanchon, – der schöne und ritterliche Prinz August, jüngerer Bruder des Gastgebers, die junge Fürstin Radziwill und einige andere vornehme und schöne Frauen. Die äußere Erscheinung Beethoven's wird damals folgendermaßen geschildert:

»Der Körperbau Beethoven's war gedrungen, nicht groß, starkknochig, voll Rüstigkeit, ein Bild der Kraft, sein Haupt erschien von dunklem Haargebüsch bedeckt, das ungeordnet, mehr mähnenartig wie gelockt, umherlag, die Stirn war breit und vordringend über den dunklen Augen gelagert, die Nase zeigte sich kräftig, mehr in die Breite entwickelt als vordringend, von deutschem, nicht römischem Profilschnitt, der Mund wohlgebildet.«

Dies schriftliche Portrait ist offenbar mehr eigenartig als anziehend, das fanden gewiß auch die damals versammelten Gäste.

Prinz Louis Ferdinand selber eilte seinem Gaste in lebhafter Erregung entgegen und geleitete ihn an seinem Arme in den Saal. Ohne Schüchternheit, mit einer gewissen stolzen Würde, grüßte nun der große Componist die Versammlung, – er war ja an vornehme Kreise in seiner lieben Kaiserstadt gewöhnt, und vertiefte sich dann, als die Vorstellung vorüber war, in ein bewegtes, musikalisches Gespräch mit seinem hohen Gastgeber. Auf die Bitte Beethoven's spielte der Prinz Louis Ferdinand dann die Beethoven'sche F-Dur-Sonate, mit dem wunderschönen Largo. Als die Töne verklungen waren, reichte der Componist dem Spieler beide Hände und sagte mit einem bei ihm so seltenen Lächeln: »das war gar nicht königlich oder prinzlich, sondern meisterlich, wie ein tüchtiger Clavierspieler und Musiker, gespielt!« – Wie oft hat der Prinz mit stolzer Freude eben diesen Lobspruch wiedererzählt! –

Beethoven soll als musikalischer Improvisator geradezu unvergleichlich gewesen sein. Mit welchem gefeierten Claviervirtuosen man ihn in Wien auch zusammengebracht hat, wie z. B. in dem Hause seines Gönners, des Freiherrn von Werthern, mit dem gefeierten Wölfel, stets und überall blieb er Sieger. Technisch soll Wölfel mit Beethoven auf gleicher Stufe gestanden haben, auch hatte er die größere Hand vor ihm voraus, die mit Leichtigkeit 10 Töne spannte. Aber sein Spiel glich doch nur einer anregenden Unterhaltung, während Beethoven's Spiel die Hörer über die Erde hinaus in eine andere Welt trug und in Schauern erbeben ließ.

Und so – allem Irdischen entrückt, voll dämonischer Kraft, und schwelgend in den wunderbarsten Harmonien – mag wohl auch an jenem Abend, im Musikzimmer des Prinzen Louis Ferdinand, sein Spiel gewesen sein. Viele noch aufbewahrte Familienbriefe und Memoiren erzählen, daß es von nie geahnter Wirkung war und die Seelen in ihren tiefsten Tiefen aufwühlte.

Beethoven hat seinem hohen Gönner, zur Erinnerung an jenen Besuch, sein herrliches C-Moll-Concert (Op. 37) gewidmet. Und es war, der Sage nach, in der Nacht vor der verhängnißvollen Schlacht bei Saalfeld, also am Vorabend seines Todes, – als der jugendliche Held und Musiker es im Schlosse zu Rudolstadt, seinem Quartier, zum letzten Mal, und ganz besonders hinreißend, spielte. – – –

Eine andere interessante Begegnung, ganz verschiedener Art, ist von Karlsbad zu verzeichnen, wo die beiden gewaltigen Geister, der Tonheros Beethoven und der Dichterheros Goethe einander zwar berührten, aber nicht eigentlich anzogen. –

Die mächtigste Bewegung im Menschendasein, die Liebe, scheint in dem Leben des gewaltigen Tonmeisters keinen allzu großen Raum eingenommen zu haben. Gewiß war sein warmes, edles Herz empfänglich für Frauenschönheit und Anmuth, gewiß entzückte ihn eine künstlerische Begabung, Geist und Güte, wie sie ihm ja in Wien wohl in allen Gestalten entgegentraten, aber keine jener Frauen, von denen man behauptet, daß sie mit ihm in näherer Beziehung gestanden, hat einen unwiderleglich nachzuweisenden, bedeutenden Einfluß auf ihn zu gewinnen vermocht. Es war ihm aber, nach seinem eigenen Geständniß, trotzdem zu allen Zeiten Bedürfniß, die schmerzlich süßen Bewegungen seines Herzens, und somit die schönste Blume der Erde, das Weib, in seinen Schöpfungen zu feiern. Die Liebe scheint für ihn keine Sonne, mir ein ferner, schöner Stern gewesen zu sein. Wir erkennen sein reines und zauberisches Licht in so manchem herrlichen Symphoniesatz, in manchem Quartett, mancher wundervollen Sonate, – wie der Cis-Moll, der Sonate pathétique, Kreuzer-Sonate, und in jenen bewegten Tonbildern mit den Ueberschriften: les adieux, l'absence et le retour, und endlich auch in seinen Liedern. – Wie hoch ein Genius wie Beethoven die Frau und die Frauenliebe gestellt, wie erhaben er dachte von der Opferwilligkeit und Treue eines Weibes, das verräth er uns in ergreifendster Weise in seinem Fidelio, diesem wahren Hohenliede der Gattenliebe. Die meisten Beethoven'schen Schöpfungen beweisen uns, wenn wir ihnen mit dem Herzen folgen, daß der Componist des Liederkreises »an die ferne Geliebte«, ohne Frage jenes entzückende, »Reigen vom Herzen zum Herzen«, jenes berauschende »Glück ohne Ruh« und die Fülle von Seligkeit und Qual gekannt hat, mit der die Liebe den Sterblichen überschüttet. Was liegt, solcher Erkenntniß gegenüber, an einem Namen? – Segen über alle jene holden Gestalten, die ihm Blumen auf den ernsten Lebensweg zu streuen sich gemüht.

Beethoven war, wiederum im Vergleich mit so manchem Ton-Heroen vor und nach ihm, zum Glück stets in der Lage, ohne harte Sorgenkämpfe sich seinen Arbeiten hingeben zu dürfen, nicht irgend welches Amt, oder irgend welche flügellähmende Beschäftigung ergreifen zu müssen, um eben leben zu können, Martern, an denen so manches Talent bis zur Stunde immer und immer wieder zu Grunde geht. – Er fand mächtige, zartsinnige, verständnißvolle Gönner, die ihn nicht aus den Augen ließen. Er gab nur Unterrichtsstunden, wenn er sich für die Schüler irgendwie interessirte, stand in keinem Abhängigkeitsverhältniß zu irgend welchem Theater- oder Concertinstitut und erschien deshalb nur sehr selten an einem Dirigentenpult, um öffentlich eine seiner Symphonien der großen Menge vorzuführen. Seine vornehmen und edlen Schüler, der Erzherzog Rudolf und die Fürsten Lichtenstein, Kinsky und Lobkowitz, überboten einander in der Fürsorge für ihren bewunderten Lehrmeister, setzten ihm auch eine Rente aus, die, im Verein mit den Honoraren die ihm seine Arbeiten brachten, dem Componisten eine wohlthuende Freiheit der Bewegung sicherte. Da durfte er denn, ohne jedes Zögern, einen glänzenden Engagementsantrag des Königs von Westfalen ablehnen (1809), um eben, wie er sich ausdrückte, »ein freier Mann« zu bleiben.

Den größten Schatten aber, der verdunkelnd in dieses Künstlerleben fiel, konnte keine Freundeshand der Welt verscheuchen: jenes schwere Gehörleiden, das seit seinem 30. Lebensjahre, wie eine unsichtbare, entsetzliche Last, ihn bedrückte. Es steigerte sich von Jahr zu Jahr und welche Qualen es brachte, wie es den Schwergeprüften gleichsam herauszudrängen versuchte, aus der Welt der Töne, wie es ihn ferne hielt von den Menschen, verrieth kein Wort, keine Klage seiner stolzen Lippen. Nur der nie nachlassenden, sanften Gewalt der befreundeten Kreise gelang es, und vornehmlich den schönen Frauen, ihn immer wieder heranzuziehen und an den Flügel zu bannen, den dann stets eine auserlesene Schaar treuester Bewunderer und holdester Bewunderinnen umgab. Das berühmte Quartett im Hause des Grafen Rasumovsky, eines seinen Musikkenners, bestehend aus den bedeutenden Künstlern Schuppanzig, Sina, Weiß und Linke, führte jede Composition Beethoven's mit Liebe und begeisterter Hingabe aus. Reizende Frauenhände spielten ihm seine Sonaten in seltener Vollendung, so daß er oft in heller Freude die zarten Finger küssen mußte. Wie viele Stunden auch in diesem großen Künstlerdasein ausgefüllt erscheinen von kleinen Quälereien und grauen Alltagssorgen, wie viele Schmerzen ihm sein Körperleiden brachte, – der beglückende Sonnenschein des feinsten, liebevollsten Verständnisses edler Geister fiel bis zum letzten Erdenkampf auf seinen Pfad. Das ist und bleibt aber ein Gottesgeschenk, wie man es allen Künstlern und Poeten heiß vom Himmel erflehen möchte, als den größten Segen. Was Ludwig van Beethoven immer componirte, man hatte nicht nur in den hochkünstlerischen Privatkreisen jener Tage immer Zeit, es liebevoll zu durchprüfen, sondern man brachte es auch stets mit einer Hingabe zu Gehör, die den Componisten beglücken mußte, und nahm es mit leidenschaftlicher Bewunderung auf. Die Kritik freilich verhielt sich, wie gedruckte derartige Mittheilungen beweisen, oft in erheiternder Weise ablehnend, seinen Schöpfungen gegenüber, Man rieth zum Beispiel allen Ernstes dem »guten«, ohne Zweifel »recht talentvollen Componisten«, nicht sein Heil in »bizarren Tonfolgen und dergleichen zu suchen,« sondern zur »Natur« zurückzukehren. – Interessant ist ein kleiner Bericht des Berliner Capellmeisters Friedrich Reichardt, aus dem Jahre 1808, vom 25. December, der von einer Musikausführung spricht, die Ludwig van Beethoven im damaligen großen Vorstädtischen Theater zu seinem eigenen Benefice veranstaltet habe.

Fürst Lobkowitz nahm damals den sehr angesehenen, an ihn empfohlenen, preußischen Capellmeister mit in seine Loge, »und da haben wir denn in der bittersten Kälte,« klagt er, »von ½7 bis ½11 Uhr ausgehalten und gefunden, daß man auch des Guten, und mehr noch des Starken, – leicht zuviel haben kann. Ich mochte aber dennoch, so wenig als der Fürst, dessen Loge im ersten Rang ganz nahe am Theater war, auf welchem das Orchester, so wie Beethoven, dirigirend, mitten darunter, ganz nahe bei uns stand, die Loge vor dem gänzlichen Ende des Concertes nicht verlassen, obgleich manche verfehlte Ausführung unsere Ungeduld in hohem Grade reizte. Der arme Beethoven, der an diesem seinen ersten und einzigen baaren Gewinn hatte, den er im ganzen Jahre finden und erhalten konnte, hatte bei der Veranstaltung und Ausführung manchen großen Widerstand und mir schwache Unterstützung gefunden. Sänger und Orchester waren aus sehr heterogenen Theilen zusammengesetzt, und es war nicht einmal von allen aufzuführenden Stücken, die alle voll der größten Schwierigkeiten waren, eine ganz vollständige Probe zu veranstalten möglich geworben. Du wirst erstaunen, was dennoch alles, von diesem fruchtbaren Genie und unermüdlichem Arbeiter, während der 4 Stunden ausgeführt wurde.

Zuerst eine Pastoral-Symphonie, oder Erinnerung an das Landleben. Sie dauerte mit ihren 5 Nummern schon länger als bei uns ein ganzes Hofconcert dauern darf.

Dann folgte als sechstes Stück, eine lange italienische Scene von Mademoiselle Kilizky, einer schönen Böhmin gesungen, die vor Kälte zitterte. –

Siebentes Stück: ein Gloria mit Chören und Soli's, deren Aufführung aber leider ganz verfehlt wurde.

Achtes Stück: ein neues Fortepiano-Concert von ungeheurer Schwierigkeit, welches Beethoven zum Erstaunen brav, in den allerschnellsten Tempi ausführte. Das Adagio, ein Meisterschatz von schönem durchgeführten Gesange, sang er wahrhaft auf seinem Instrumente mit melancholischem Gefühle, das auch mich dabei durchströmte.

Neuntes Stück: eine große, sehr ausgeführte, zu lange Symphonie. Ein Cavalier neben uns versicherte, er habe bei der Probe gesehen, daß die Violoncello-Parthie allein, die sehr beschäftigt war, vier und dreißig Bogen betrug!

Zehntes Stück: ein »Heilig« wieder mit Chor und Solo-Parthien; leider wie das »Gloria« in der Ausführung gänzlich verfehlt.

Elftes Stück: eine lange Phantasie, zu der bald das Orchester und zuletzt sogar der Chor eintrat. Diese sonderbare Idee verunglückte in der Ausführung durch eine so complette Verwirrung im Orchester, daß Beethoven in seinem heiligen Kunsteifer an gar kein Publikum und Lokal mehr dachte, sondern dareinrief, aufzuhören und von vorne wieder anzufangen. Du kannst Dir denken, wie ich mit allen seinen Freunden dabei litt. In dem Augenblick wünschte ich, daß ich möchte den Muth gehabt haben, früher hinauszugehen.« – –

Seite 166 der Reichardt'schen Briefe aus dem Jahre 1809, etwa einen Monat später, steht Folgendes:

»Den braven Beethoven habe ich endlich ausgefragt und besucht. Man kümmert sich hier so wenig um ihn, daß mir Niemand seine Wohnung zu sagen mußte, und es mir wirklich recht viel Mühe kostete, ihn auszufragen. Endlich fand ich ihn in einer großen, wüsten, einsamen Wohnung. Er sah anfänglich so finster aus, wie seine Wohnung, erheiterte sich aber bald, schien ebensowohl Freude zu haben, mich wiederzusehen, als ich an ihm herzliche Freude hatte; äußerte sich auch über Manches, was mir zu wissen nöthig war, sehr bieder und herzig. Es ist eine kräftige Natur, dem Aeußern nach cyclopenartig, aber doch recht innig herzig und gut. Er wohnt und lebt viel bei einer ungarischen Gräfin Erdödy, die den vordern Theil des großen Hauses bewohnt, hat sich aber von dem Fürsten Lichnowsky, der den obern Theil des Hauses inne hat, und bei dem er sich einige Jahre aufhielt, gänzlich getrennt.« – –

Welche Contraste sie wohl persönlich damals gebildet haben mögen, Ludwig van Beethoven und der kleine zierliche Berliner Capellmeister, der sich eben mit Vorliebe in Paris aufgehalten hatte und in seinen, damals viel gelesenen, Pariser Briefen allerlei berühmte Persönlichkeiten des Consulats, besonders schöne Frauen, in piquanter Weise schilderte, überall musicirte und allerliebsten Klatsch allerliebst wiederzugeben wußte! –

Uebrigens war es eine bekannte Eigenheit Beethoven's, mehrere Wohnungen zu gleicher Zeit zu besitzen und nach Belieben zu benutzen; daß bei dieser seltsamen Liebhaberei von einer behaglichen Ausstattung der vier Wände nicht die Rede sein konnte, war wohl natürlich. Er pflegte von seinen regelmäßigen großen Spaziergängen dann nach Lust und Laune in irgend welches dieser Absteigequartiere einzukehren, das ihm, wenn er müde geworden, am schnellsten erreichbar war. – Es war also eben so wenig verwunderlich, wenn das Heim des großen Meisters nicht leicht anzugeben gewesen ist, als es wohl als ein Glückszufall betrachte werden mußte, wenn ein Besucher ihn irgendwo »zu Hause« traf. Wie liebenswürdig und geduldig haben verschiedene reizende Freundinnen Beethoven's sich bemüht, einige Behaglichkeit in seine verschiedenen vier Wände zu schaffen, unter ihnen vornehmlich Nanette Streicher, aus der berühmten Streicherfamilie, denen er, wie nachgelassene Briefe verrathen, schriftlich und mündlich seine unaufhörlichen Haushälterinnen und Küchenmiseren vorzuklagen pflegte. Unzählige Male wechselte der Reizbare mit den Hüterinnen seines häuslichen Heerdes! Entließ er doch sogar, den Mahnungen und Warnungen seiner Freundinnen zum Trotz, eine brave und geschickte Wirthschafterin, die Frau Streicher ihm dringend empfohlen hatte, augenblicklich, weil er sie auf einer harmlosen kleinen Nothlüge ertappte, die sie, wie sie weinend gestand, nur ausgesprochen, um ihren Herrn zu schonen und allerlei Unannehmlichkeiten ihm zu ersparen. Als Mutter und Tochter Streicher ihm darüber Vorwürfe machten, gab er in seiner unbestechlichen Wahrhaftigkeit die charakteristische Antwort: »Wer eine Lüge sagt, ist nicht reinen Herzens, und eine solche Person kann auch keine gesunde Suppe kochen!« Später hat eine alte, zanksüchtige Küchenherrscherin, die ihm immer ihre entsetzlich unleserlichen und unorthographischen Wirthschaftszettel auf den Arbeitstisch legte, welche er mit rührender Geduld nachrechnete, zusammenzog und corrigirte, ihn oft bis zur Verzweiflung gequält. Ihr Zorn ergoß sich über das Titanenhaupt, über den »tollen Musikmann«, der die Suppe fast jeden Mittag kalt werden ließ und niemals wußte, was er eben verzehrte, und deshalb auch nie ein Lobwort für sie hatte, was die Tyrannin besonders empörte. Ludwig van Beethoven war es ja, der die zierlichst gefalteten und von seinen vornehmen Schülerinnen gestickten Brust- und Handkrausen seiner Hemden nur als Wärmehalter betrachtete und unbarmherzig sofort unter die mächtige, tief niedergehende Weste stopfte und in die Rockärmel, und der den Aerger um einen verlorenen elenden Groschen auf den Claviertasten in einem Rondeau austobte. – –

Wie klar und schön steht noch jene Stunde vor mit, wo der geistvolle alte Hiller in Köln mit von Beethoven erzählte, den er mit seinem verehrten Claviermeister Hummel im Jahre 1827 besucht hatte, ganz versunken in scheue Ehrfurcht und Bewunderung. Hiller selber war bekanntlich einer der vornehmsten Beethovenspieler. Er sprach wiederholt die Meinung aus, schriftlich wie mündlich, daß die Beethoven'sche Musik vor aller andern uns zu trösten verstehe, – abzuziehen von der Qual grübelnden Sinnens über das eigene Weh, unwiderstehlich andere Vorstellungen, andere Empfindungen zu wecken wisse in der trauernden Seele und uns mit sanfter Gewalt emporhebe in eine andere, höhere Welt. – Ein Beethoven sei und bleibe uns in jedem Schmerz ein Freund, behauptete er, sein ungeheures Tonreich umfasse eben alle Töne der Empfindungsscala, – er kenne und verstehe jeden Schmerz, jede Lust, jede Leidenschaft und habe all diesen verschiedenen Empfindungen den bestimmtesten Ausdruck verliehen. An jenem stillen Plauderabend in seinem Musikzimmer in dem alten Hause am Rhein, verloren wir uns dann in gemeinsamer Bewunderung dieser wahrhaft riesengroßen Schöpferkraft eines Menschenlebens, das nach 57 Jahren, eines ernsten, einsamen Daseins erlosch. Von den Symphonien redete er begeistert, von der leuchtenden Krone der C-Moll, dem Prachtbau der Eroica, dem Wunderwerk der Neunten, – – er bezeichnete mir seine Lieblingsquartette und Sonaten. – Und es umspann mich wie »Traumeswirren«, wenn er bald aus diesem, bald aus jenem Beethoven-Werke einzelne Themen anschlug und weiterführte. – Beethoven's, damals schon so müden, Augen hatten im Jahre 1827 mit gütigem Blick das Opus I eines Knaben, Hummel's Schülers, Hiller's erstes Clavierconcert, noch durchgesehen! – – Am 9. März war es, als eben dieser jugendliche Schüler Hummel's, mit seinem Lehrmeister Ludwig van Beethoven besuchen durfte, eine Erinnerung, die ihn durch sein ganzes Künstlerleben begleitete.

Er schilderte den Eindruck der Wohnung des Meisters und den Todtkranken selber folgendermaßen:

»Durch ein Vorzimmer, in welchem hohe Schränke dicke, zusammengeschnürte Massen von Musikalien trugen, kamen wir, – wie pochte mir das Herz, – in Beethoven's Wohnzimmer und waren nicht wenig erstaunt, den Meister, dem Anschein nach, ganz behaglich, am Fenster sitzend zu finden. Er trug einen langen, grauen, im Momente gänzlich geöffneten Schlafrock und hohe, bis an die Kniee reichende Stiefel. Abgemagert von der bösen Lungenentzündung, die in Wassersucht ausgeartet war, erschien er mir, als er aufstand, voll hoher Statur, er war nicht rasirt und sein volles, halb graues Haar fiel ungeordnet über seine Schläfen. Der Ausdruck seiner Züge wurde sehr freundlich und hell, als er Hummel's ansichtig wurde, und er schien sich außerordentlich mit ihm zu freuen.

Die beiden Männer umnarmten sich auf's Herzlichste; Hummel stellte mich vor, Beethoven bezeigte sich außerordentlich gütig und ich durfte mich an's Fenster ihm gegenüber setzen.

Es ist bekannt, daß die mündliche Unterhaltung mit Beethoven zum Theil schriftlich geführt werden mußte, er sprach, aber diejenigen, mit welchen er sprach, mußten ihre Fragen und Antworten aufschreiben. An diesem Ende lagen dicke Hefte gewöhnlichen Schreibpapiers in Quartformat und Bleistifte stets in seiner Nähe. Wie peinvoll mag es für den lebhaften, sogar leicht ungeduldigen Mann gewesen sein, jegliche Antwort abwarten zu müssen, in jeder Minute eine Pause eintreten zu lassen, während welcher seine Denkthätigkeit gleichsam zum Stillstand verdammt war. Auch verfolgte er die Hand des Schreibenden mit begierigem Auge und übersah das Geschriebene mehr mit einem Blicke, als er es las. Der Lebhaftigkeit des Gesprächs that die fortwährende schriftliche Arbeit der Besuchenden natürlich großen Eintrag.« –

So erzählte Hiller. – Am 13. März sah er den kranken Meister zum zweiten Mal, offenbar gebrochen und rasch dein Ende zueilend. Am 20. aber fand er ihn viel kräftiger und muthiger. Die Nachricht eines Geschenkes von 100 Pfund, aus England, zur Erleichterung des Krankenlagers des theuren Meisters, hatte den tödtlich Erschöpften wieder aufgerichtet, – es war die Medicin der Freude, die ja fast nie ihre Wirkung verfehlt. – Sofort stiegen wiederum Arbeitspläne auf. – »Ich will ihnen eine große Ouvertüre componiren und eine Symphonie«, flüsterten die bleichen Lippen.

Am 23. März aber stand Ferdinand Hiller wiederum neben seinem weinenden Lehrmeister an dem Lager Beethoven's und starrte entsetzt auf einen Sterbenden. Fast regungslos lag die Gestalt in den Kissen, stumm blieb der Mund, – der Todesschweiß netzte schon die mächtige Stirn. Drei Tage später war der letzte große Kampf vorüber, die Seele von der lähmenden Hülle befreit. – –

Musiker behaupten, daß bei keinem anderen Componisten die Kenntniß der chronologischen Reihenfolge seiner Schöpfungen von so hoher Bedeutung sei, wie bei Beethoven, da wir nur dann die Größe dieses schaffenden Genies klar zu erkennen vermöchten, in seinem frappirenden Weiterschreiten von der sinnlichen Unmittelbarkeit bis zur höchsten Verklärung, sie nennen jene Kluft zwischen der ersten und neunten Symphonie, den ersten und letzten Quartetten, den frühesten und späten Sonaten fast so gewaltig, wie die Kluft zwischen Erde und Himmel. In Beethoven's Werken unterscheidet man deutlich die Periode des ersten Schaffens, die poetische, unschuldsvolle Jugendzeit mit ihren träumerischen Idealen, die zweite Periode, mit dem hinreißenden Ausdruck der männlichen Kraft, des mächtigen Ringens. Die dritte aber zeigt jene heilige Weihe eines Scheidenden, der seine hohe Mission erfüllt hat. –

In die Periode I fallen die erste und zweite Symphonie, die ersten 6 Streichquartette, eine große Anzahl Trio's, Duo's und Claviersonaten, auch verschiedene Lieder. Die Periode II umfaßt die dritte bis achte Symphonie, die drei Quartette Op. 7-9, die drei letzten Klavierconcerte, das Violinconcert, die Egmont-Musik, die drei Trio's Op. 70 und 97, – mehrere Ouvertüren auch die zum Coriolan, eine Reihe her herrlichsten Sonaten und Lieder, sowie die Oper Fidelio.

Die erhabenen Schöpfungen der dritten Periode endlich enthalten vier große Claviersonaten Op. 101, 106, 110 und 111. Die große Messe, die neunte Symphonie und die letzten sogenannten »dunklen« Quartette, die doch ein so geheimnißvolles Licht durchstrahlt. –

Das ist die Ausbeute eines wunderbaren Künstlerlebens, das am 26. März 1827 in der sechsten Nachmittagsstunde erlosch, – als eben ein gewaltiges Frühlingsgewitter grollend vorüberzog über der schönen Kaiserstadt an der Donau. – – –

Einer schlichten Beethoven'schen Melodie war damals ein Grillparzer'scher Text untergelegt worden, sie erklang als letzter Gruß an seinem Grabe auf dem stillen Währinger Friedhof:

»Du, dem nie im Leben Ruhstätt' ward und Heerd und Haus,
Ruhe nun im stillen Grabe, nun im Tode aus!
Und wenn Freundesklage reicht über's Grab hinaus, –
Horch eig'nen Sanges süßem Klang,
Halb erwacht im stillen Haus – – –.«

Nun, wenn ihn, den Verklärten, auch jene »Klage« nicht erreichte, unser Dank soll zu ihm ziehen Tag für Tag, hoch hinauf, – für das überreiche Zaubergeschenk des wunderbaren Trostes seiner Musik für unser armes Erdenleben. –

Ob jemals ein Größerer kommen kann auf Erden als eben er, der uns eine Tonwelt aufbaute, deren Herrlichkeit durch Jahrhunderte klingen muß?! – Wie dem auch sein möge: Generationen nach Generationen werden voll Ehrfurcht und Liebe immer wieder jenen theuren geheiligten Namen nennen:

Ludwig van Beethoven.

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