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Der Kriminalkutter

Um dem geknickten Johnny den Lebensmut wiederzugeben, schickte ich zunächst Hannis mit folgendem Telegramm aufs Postamt:

Frau Minone Aasbaas
Johnny malt Kullernby, Briefe nachgesandt.
»Scholle«

mit der Androhung, beim Verlust seiner Köminselaussichten meiner Frau nichts davon zu sagen.

»Was soll die Dummheit?« fragte Johnny mürrisch, als ich es ihm vorher zeigte.

»Na, Kullernby, zu deutsch Schellfischdorf, gibt's gar nicht. Da kann die Firma Minone & Adelgunde lange schreiben und telegrafieren, bis sie Sie entdeckt hat.«

»Wenn sie darauf nur reinfallen«, meinte Johnny. »Diese Adelgunde hat in diesen Dingen 'ne Nase – 'n Polizeihund ist nichts dagegen.«

Es war, als ob das Schicksal Johnny die Worte in den Mund gelegt hätte. Denn mit Polizei- und Kriminaldingen sollten wir heute und morgen genug zu tun bekommen. (Warum hatten wir auch einen Kriminalromandichter als Hauptmatador an Bord genommen?)

Zunächst jedenfalls bestätigte sich Johnnys abfälliges Urteil hinsichtlich des Telegramms. Schon am Nachmittag lief folgende: telegrafische Antwort ein:

Johnny Aasbaas, Kutter »Scholle«,
Kopenhagen
Laß Kullernby nur saftig bezahlen. Kommen Sonnabend.
Minone.

Leider hatte Johnny das Telegramm in Gegenwart meiner Frau aufgemacht.

»Kullernby?« fragte sie argwöhnisch, »wer ist denn das?«

»Ja, verehrteste Freundin, wenn Sie's nicht wissen – ich weiß es ganz gewiß nicht«, sagte Johnny in komischer Verzweiflung.

»Aha, ein neues Komplott! – Quäker-Oats, Sie müssen aufpassen. Die kriminellen Ideen, die Sie für Ihren Roman gebrauchen, fliegen anscheinend nur so in der Luft herum.«

»Seh'n Sie wohl«, raunte Johnny mir zu. »Wenn ich's mir nicht gedacht hätte. Minone steht drunter, Adelgunde müßte drunterstehn. Wie ich Ihnen schon sagte: die hat's dicke hinter den Ohren.«

Wenn Johnny flüstert, das hört sich ungefähr so an, als wenn ein Walfisch seinen Spaut ausbläst.

»Wer hat's dicke hinter den Ohren?« fragte Quäker-Oats.

»Meine Schwägerin, die Reverendsche«, erwiderte Johnny ärgerlich. »Wenn sie in Wirklichkeit angereist kommt, tu mir den Gefallen, Timotheus, und bring sie um, wenn auch bloß in deinem Roman. Ich zeichne dann ein glänzendes Bild dazu.«

»Ein solches Weib umzubringen, das ich in ihrer Jugend und jungfräulichem Zustand hoch verehrt habe«, versetzte Quäker-Oats abweisend, »das sei ferne von mir. Frauenzimmer, die es in Wirklichkeit dick hinter den Ohren haben, suche ich wie der Fischer die Perle.«

»Ich gönn sie dir«, erwiderte Johnny. »Aber, mein lieber Freund, wie parieren wir diesen Hieb?«

Ich nahm ein neues Telegrammformular und schrieb:

Frau Minone Aasbaas.
Kullernby kein Millionär, kleiner Ort am Lymfjord.
»Scholle«.

Schon in einer Stunde war Antwort da. Sie lautete:

Johny Aasbaas, Kutter »Scholle«,
Kopenhagen.
Diese Sorte Orte kennen wir. Kommen Freitag.
Adelgunde.

»Sehn Sie«, sagte Johnny, als ich das Telegramm verdutzt in der Hand hielt. »Diesmal hat sie Farbe bekannt. Die Weiber sind uns über, lieber Freund. Aber nun Schluß mit den Telegrammen, sonst sind sie am Ende morgen früh schon hier.«

Ich berichtete die Sache meiner Frau. Aber die hörte kaum darauf hin. Sie hatte die drei jungen Damen an Land geschickt und war mit Kramen in den Schubkästen beschäftigt.

»Das ist doch zu ärgerlich«, sagte sie. »Ich habe im Finkenwärder Loch eigenhändig sechs Tischtücher, vierzehn Servietten, zehn Handtücher, zwölf Damenhemden, ebenso viele Paar Strümpfe, zwei Dutzend Taschentücher und so weiter eingepackt. Von den Tischtüchern fehlen zwei, von allen übrigen Stücken genau die Hälfte.«

Ich schimpfte natürlich auf die Neuwerker, aber meine Frau behauptete: die Sachen wären beim Absegeln von Neuwerk vollzählig an Bord gewesen. »Sollte Trina ...?« sagte ich. »Die hat ihre künftige Köminsel im Kopf und sucht sich am Ende auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege die Ausstattung dafür zu beschaffen.«

Aber meine Frau schüttelte den Kopf.

»Trina ist ehrlich wie Gold. Nein, es müssen sich Spitzbuben auf den Kutter geschlichen haben.«

»Aber wir sind doch bislang alle an Bord gewesen.«

»Wenn es sich nicht um Damenwäsche handelte«, sagte meine Frau zögernd, »könnte es dann nicht vielleicht Hannis gewesen sein?«

»Unsinn! Aber möglicherweise Quäker-Oats.«

»Beowulf, red' doch keine Makulatur.«

»Tu ich auch gar nicht. Aber er ist in seinen »Zuständen«. Er geht mit Mord, Raub und Diebstahl schwanger. Du kennst seine üppige Phantasie. Sollte er nicht, um die Gefühle eines Spitzbuben praktisch auszuprobieren, sozusagen scherzeshalber die Sachen gemaust haben?«

»Das werden wir gleich feststellen. – Quäker-Oatschen«, wandte sich meine Frau an unsern Freund, »geben Sie mir doch mal die Schlüssel zu Ihren Schubladen. (Alle ordnungsmäßigen Kutterinsassen, ausgenommen die jungen Mädchen, hatten ihre Schubfächer zugewiesen bekommen.) Trina soll die schmutzige Wäsche herausnehmen.«

Willig und geistesabwesend drückte der augenscheinlich über einer blutigen Mordszene brütende Dichter meiner Frau zuerst sein Federmesser, dann seine Shagpfeife, schließlich das Schlüsselbund in die Hand.

Wir schlossen die Schubladen auf. Siehe: darin fanden sich, sauber in die tiefsten Tiefen verpackt, auf die Stückzahl genau, die verschwundenen Sachen.

Sprachlos sahen wir uns an. Dann brachen wir in ein Gelächter aus. Riefen Quäker-Oats heran. Und fragten:

»Lieber Quäker-Oats, seit: wann tragen Sie Damenhemden, Damenstrümpfe und sonstige weibliche Toilettestücke? Seit wann schnupfen Sie sich in weibliche Taschentücher? Und zu welchem Bordfest benötigen Sie diese zwei Tischtücher, fünf Handtücher und sieben Servietten?«

Ein dümmeres Gesicht als Quäker-Oats hätte der dümmste Zirkus-August nicht fertiggebracht.

»Ja, verehrteste Freundin«, sagte er nach einer langen Gedankenpause, Johnny kopierend, »wenn Sie's nicht wissen – ich weiß es ganz gewiß nicht.«

»Scherz beiseite«, sagte meine Frau ärgerlich. »Gestehn Sie's nur: Sie haben sich einen Spaß machen wollen und mir einen Schreck einjagen.«

»Ich will den ›Biberpelz‹ von rückwärts auswendig lernen«, sagte Quäker-Oats geistreich, »wenn ich weiß, wie diese reizenden Damensachen zwischen die prosaische Ausstattung eines Junggesellen kommen.«

»Nachtwandeln Sie, Quäker-Oats?« fragte ich.

»Das Nachtwandeln«, erwiderte Quäker-Oats, »ist ein auf gewissen nervösen Störungen beruhendes Leiden, genauer: Zustand, der sich dadurch charakterisiert, daß derjenige, der sich, wie der Name besagt, des Nachts in demselben ergeht, selbst von demselben keine Ahnung, richtiger Bewußtsein hat. Infolgedessen bin ich weder in der Lage, die gestellte Frage zu bejahen noch zu verneinen.«

»Quäker-Oats, Sie sind ein gräßlicher Quatschpott«, rief meine Frau ungeduldig. »Ja oder nein, haben Sie die Sachen aus meinen Schiebladen in Ihre gepackt oder nicht?«

»Nun denn, auf Kavaliersparole: nein, liebe Freundin.«

»Wie wäre das auch möglich«, sagte der inzwischen hinzugetretene Johnny, der mit großem Interesse zugehört hatte. »Er kann ja nicht mal in wachem, normalem Zustand bis sieben zählen. Wie sollte er's denn in seiner augenblicklichen Geistesverfassung fertig bringen!«

»Oh, lieber Freund«, erwiderte Quäker-Oats salbungsvoll, wurde aber von meiner Frau unterbrochen:

»Meine Herren, wenn es sich um keinen Scherz handelt, dann ist's eine andre, ganz böse Sache. Bitte, halten Sie Ihre Augen von jetzt ab ein bißchen offen, damit wir diesem Wäschekobold das Handwerk legen.«

Unsere jungen Damen kamen nach Haus. Meine Frau erzählte ihnen die Geschichte von den verschwundenen und wiedergefundenen Wäschestücken und sagte: das sei doch ganz rätselhaft. Miß Honeysnake rief auf englisch-deutsch und Fräulein Tyllskappen auf dänisch-deutsch: es gäbe doch gar zu schlechte Menschen auf der Welt, sogar solche, die in unbewachten Augenblicken erst sich auf Kutter stöhlen und dann die dort befindliche Wäsche. Mejuffrouw Peperbus dagegen sagte so unbekümmert und unwiderleglich, als sei sie Vorsitzender einer Strafkammer von fünf Richtern: »Wenn geen (keiner) van de Heeren de Wasch gestohlen heeft en niet (und nicht) Hannis en niet Trientje en niet Mejuffrouw Tyllskappen en niet ik en niet Mevrouw Eck selfs – dann heeft Mejuffrouw Honeysnake de Wasch gestohlen.«

»Oooo, Miß Peperbus«, fuhr aber nun Miß Honeysnake so wütend wie eine Wildkatze gegen diese so ruhig wie das Goethesche »Nachtlied« vorgetragene furchtbare Beschuldigung los, »mein Vater wuar ein Bäronet und meine Mutter die Tochter von einem indischen Rädjäh – wuie können Ssie gemeine, deceitfulle, lyerische, abominäble dötsche woman behaupten: i, Jane Honeysnake, die schon in ihre life mit Prinzesses, Duchesses, german Förstinnesses und frenche Marquises hat geshaken Hands und gerueisen und gekißt – wuie können Ssie behaupten, ich habe gestohlen die Wuäusche von Mistreß Eck??!!«

»Oooo«, wiederholte Mejuffrouw Peperbus in derselben salbungsvollen Weise ihre Anschuldigungslitanei, »ik heb niet bewert (behauptet), Mejuffrouw Honeysnatce heeft gestohlen de Wasch. Ik heb nur bewert: wenn geen andere Persoon de Wasch gestohlen heeft, dann heeft Mejuffrouw Honeysnake de Wasch gestohlen.«

Wir waren sämtlich starr über diese anscheinend durch nichts als die natürliche Abneigung der Peperbus gegen die Honeysnake hervorgerufene Beschuldigung. Die Honeysnake raufte sich – jedoch mit Vorsicht – ihr spärliches Haar und rief, fast in Krämpfe verfallend: »Oh, ist denn nobody an Bord von dieses Schiff, ist denn unter die druei deutschen gentlemen kein nobleman, zu verteidigen den honour von eine arme beschützungslose wife like mich gegen diese gemeine, deceitfulle, lyerische abominäble dötsche woman von Peperbus?!«

Da trat aus unsrer Mitte, mit der Haltung eines spanischen Granden, unaussprechlichen Seelenadel auf den von Kunst und Leben gefurchten Don-Quichotteschen Zügen – und er schien in diesem Augenblick tatsächlich ins Übermenschliche zu wachsen –, Quäker-Oats vor und rief, Miß Honeysnake an seine Brust ziehend:

»Ja, ich will dieser Mann sein. Du sollst nicht umsonst gefleht haben, edles angelsächsisches Wesen. So gewiß du an der Meintat, begangen an jenen zwei Tischtüchern, sieben Servietten, fünf Handtüchern, sechs, mit Erlaubnis zu sagen – deine keuschen Ohren dürfen sich in diesem Augenblick gegen meine Worte nicht sträuben –, Damenhemden und ebenso vielen Strümpfen, unschuldig bist, so gewiß will ich deine Ehre nicht nur jetzt, sondern für alle Zeiten schützen. Und hiermit verlobe ich mich mit dir, Jane Honeysnake.«

»Beowulf«, jauchzte meine Frau. »Ich hab' die Wette gewonnen!«

Ich war immer noch sprachlos. Aber dafür ergriff wieder Mejuffrouw Peperbus das Wort.

»Is de Wasch alles, wat Mevrouw vermiesteret? Geene Goldsaken? Geen Sieraad (Schmuck)? Geen silverne Lepeln?«

Meine Frau stürzte vom Bünnraum in die Kajüte. Nach ein paar Minuten kam sie kreidebleich zurück.

»Meine Uhr, meine Brosche, meine beiden Goldarmbänder, meine Ringe – alles ist fort.«

»Es wird sich gleichfalls in Quäker-Oats Schublade finden«, sagte ich tröstend.

Aber Mejuffrouw Peperbus schüttelte lächelnd mit dem Kopf:

»Heer Doktor bräucht niet nachzusiehn in den Lade van Mijnheer Greulich, denn hij wordt de Sieraaden niet finden.«

»Wo sind sie denn?« rief meine Frau aufgeregt. »Heraus damit, wenn Sie's wissen.«

»Ik denke, in de Bank van leening (Leihhaus)«, sagte die Peperbus mit ihrer unverwüstlichen holländischen Ruhe.

»Aber wer in aller Welt soll sie denn dahingetragen haben?« riefen wir nun alle durcheinander, ausgenommen Quäker-Oats, der seine wie eine (allerdings nicht mehr ganz gartenfrische) Lilie in seinen Armen ruhende schluchzende Braut stumm umschlungen hielt.

»Wenn geener van de Heeren de Sieraaden in de Bank van leenig gedragen heeft en niet Hannis en niet Trientje en niet Mejuffrouw Tyllskappen en niet ik en niet Mevrouw Eck selfs – dann heeft Mejuffrouw Honeysnake de Sieraden hingedragen«, schloß Mejuffrouw Peperbus mit einem vernichtenden Blick auf die Honeysnake ihren Palaver.

»In welches Leihhaus?« fuhr ich auf die Holländerin los.

»Mijnheer Eck, kommen Sie mit«, sagte sie ruhig, die Deckstreppe hinaufsteigend.

Nach gar nicht langer Zeit betrat ich in Begleitung Mejuffrouw Peperbusens und eines Herrn wieder das Verdeck meines Kutters. Meine Frau stürzte auf mich los:

»Hast du sie wieder?«

Aber ich hatte mir die Szene, die sich jetzt entwickeln sollte, unterwegs wie ein dramatischer Dichter ausgearbeitet und war nicht gesonnen, mir voreilig die Wirkung zu verderben. Ich beantwortete also die Frage nicht, sondern stellte, nachdem ich die Kutterinsassen im Bünndeck versammelt hatte, zunächst meinen Begleitherrn vor:

»Herr Lakstövler, Kriminalbeamter.«

Miß Honeysnake fuhr zusammen. Schutzsuchend legte sie ihren Arm auf den ihres Verlobten. Der schlang den seinen um sie. Da trat ich vor und sagte:

»Lassen Sie diese Person – diese englische Honigschlange – lieber los, lieber Quäker-Oats. Viel Ehre ist mit solchen Umarmungen für Sie nicht zu holen. Diese Honeysnake ist in Wirklichkeit eine Seeschlange – und zwar eine ganz geriebene. Es ist eine schwere Verbrecherin, die aus dem Zuchthaus in Portland ausgebrochen ist und sich auf 'nem Segelschiff, weil das unauffälliger geht, nach Deutschland hinübermogeln wollte.«

»Gelogen!« schrie Miß Honeysnake auf.

»O nein«, sagte der Kriminalbeamte mit echt dänischer Höflichkeit, aber auch sehr bestimmt, »nicht gelogen. Hier ist das Steckbrief. Hier der Bild. Hier meine Schild.«

Er hielt die drei Stücke der Honeysnake vor die Augen und fuhr fort:

»Und hiermit verhafte ich Sie. Folgen Sie mir. Die Droschke mit zwei Begleitherren wartet schon.«

Kein Abschiedswort wurde getauscht. Willenlos schwankte Miß Honeysnake hinaus. Nie haben wir wieder von ihr gehört, außer in dem Polizeibericht der Berlingske Tidende, worin mitgeteilt wurde, daß sie nach England abtransportiert worden sei.

Das übrige an dem Rätsel erklärte Mejuffrouw Peperbus. Sie hatte in Amsterdam zwar nicht die Honeysnake selbst gesehen, wohl aber ihr von einem Steckbrief begleitetes Bild. Das hatte sich ihr infolge der abnormen Häßlichkeit so eingeprägt, daß sie es nicht aus dem Gedächtnis verloren hatte. Beim heutigen Spaziergang hatte sich die Honeysnake unter einem Vorwand von den übrigen beiden Damen getrennt. Darauf hatte sich Mejuffrouw Peperbus ihrerseits von Fräulein Tyllskappen verabschiedet und war der Engländerin nachgestiegen. Sie hatte sie im Leihhaus verschwinden sehen, dort nach den Versatzstücken gefragt, sie sofort als das Eigentum meiner Frau erkannt – und das übrige ergibt sich hiernach von selbst.

»Aber warum mag sie die Wäsche in Quäker-Oats Schieblade versteckt haben?« fragte meine Frau. »Das begreife, wer kann.«

»Oh«, sagte der nach Abführung seiner Arrestantin noch einmal zurückgekehrte Kriminalbeamte, der ein gut verständliches Deutsch sprach, »ßie hätte wohl gedächt: was ich hab', das hab' ich, und ßicher ist ßicher. Und wenn ßie ßo dicht vor die Verlobung mit den großen Herr stände, ßo hätte ßie wohl gedacht: hab' ich es erstmal in seine Ssiebläden, ßo hab' ich es in kurze Frist in meine – oder auch in die Pfandhaus.«

Nachdem die erste Überraschung sich gelegt hatte, waren wir alle eigentlich wie von einem Druck erlöst, daß das angelsächsische Scheusal von Bord verschwunden war. Geknickt waren nur meine Frau – wegen der Wette, deren Betrag sie nun doch aus Anstandsgründen nicht einkassieren konnte – und Quäker-Oats. Schließlich aber war dessen Verlobung doch von zu kurzer Dauer gewesen, um seinem Seelenfrieden unheilbare Wunden zu reißen. Im Gegenteil. Elastisch, wie Dichterherzen sind, zogen sie sich sogleich zusammen, und schon am Abend war Quäker-Oats ganz der alte. Oder so ganz eigentlich doch nicht. An dem Benehmen, das er gegen Mejuffrouw Peperbus – die natürlich die Heldin des Abends war – zur Schau trug, konnte auch ein Blinder merken, daß er am Verloben Geschmack gefunden hatte.

Wir hatten, um uns für die Aufregungen des Tages zu entschädigen, für den Abend ein kleines Symposion an Deck festgesetzt. Herr Lakstövler, der uns allen sehr gefiel, hatte eine Einladung zu unserm kleinen Fest angenommen. Es war sehr fidel. Und es wurde immer fideler. Mit besonderer Lustigkeit unterhielt sich Lakstövler mit Fräulein Tyllskappen. Natürlich sprachen sie Dänisch. Unzweifelhaft waren es alte Bekannte. Das sah man an den schmunzelnden Blicken, mit denen Lakstövler die Tyllskappen betrachtete, und an dem verstohlenen Seitenzwinkern, mit denen Fräulein Tyllskappen die Blicke erwiderte.

Quäker-Oats hatte selbstverständlich Mejuffrouw Peperbus zu Tisch geführt. Es dauerte aber nicht lange, so stand er schon mit ihr abseits hinterm Besanmast. Dort sprach und tuschelte er eifrig auf sie ein.

»Beowulf«, zischelte meine Frau mir zu, »ich glaube, wir brauchen unsere Wette nur auf 'nen andern Namen umzuschreiben. Gelt ja? Heut abend noch kommt's zum Klappen.«

»Einverstanden«, sagte ich.

Aber hätte meine Frau vorm Abschluß der Wette in Mejuffrouw Peperbussens Personalpapieren lesen können, so wäre sie wohl nicht so leichtfertig mit ihrem Mammon umgesprungen. Immerhin mochte sie denken: riskier's nur! Du hast ja mit deinem »Sieraad« so glücklich abgeschnitten.

»– und«, schloß Quäker-Oats inzwischen hinterm Besan seine ellenlange Geheimsprache an Fräulein Peperbussens Adresse, »so falle ich denn seelisch vor Ihnen auf die Knie, hochgeehrtes Fräulein und flehe Sie an: werden Sie die meine.«

»Ooooo, Mijnheer Greulich«, erwiderte Willemmintje mit derselben Gelassenheit, mit der sie am Nachmittag die Honeysnake in das ihrer harrende Schicksal hineingesenkt hatte, »das ist leider unmogelijk. Denn ik bin leider schon getrouwd.«

»Verlobt?« fragte der aus allen seinen Himmeln stürzende unglückliche Dichter.

»Nein, getrouwd! Verheiratet! Verstehn Sie, Mijnheer Greulich. Ik heb schon eenen Mann. Der ist niet Grachtenreiniger, wie Ihre erste englische Bruid (Braut) geloovde, sondern Amtenaar van de Politie (Polizeibeamter). Und daher wete ik es ganz genau, daß eene vrouw nur eenen Mann getrouwen darf, en niet zwei.«

Und Fräulein, richtiger Frau Willemmintje erklärte weiter: der Kutter »Scholle« habe ihr beim ersten Anblick so gefallen und meine Einladung sei ihr so verlockend erschienen, daß sie ihren Familienstand verschwiegen habe. Denn es sei ja ein Pensionskutter für junge Damen, nicht für verheiratete Frauenzimmer.

Notgedrungen mußte Quäker-Oats gute Miene zum bösen Spiele machen. Aber er hatte Blut geleckt. Verlobungsblut. Aller guten Dinge sind drei, dachte er bei sich. Und faßte kurz entschlossen den Vorsatz, sich jetzt auf Fräulein Tyllskappen zu stürzen. Ein Kind konnte ja merken, daß das reizende dänische Mädchen in unseren Freund bis über die Ohren verschossen war. So glaubte also Quäker-Oats es wagen zu dürfen. Ehe er sich jedoch an sein drittes Opfer heranmachte, beschloß er den dänischen Herrn ein wenig über die liebreizende junge Dame, die er ja noch keine vierundzwanzig Stunden kannte, auszuhorchen.

Das Gespräch ging diesmal auf dem anderen Ende des Kutters vor sich, hinter der Kajütskappe. Wie eine stolze ragende Eiche war Quäker-Oats hinspaziert. Wie eine Pappel, in die nicht ein, sondern zwanzig Blitze geschlagen haben, kam er schon nach zehn Minuten zurück.

»Lieber Freund«, raunte er, »verehrte Freundin, ich muß Sie einen Augenblick sprechen. Kommen Sie mit!«

Gespannt wie zwei Brownings folgten wir Quäker-Oats in die Gegend der Kabelgatsluke. Wir wußten bislang weder von seinem zweiten Antrag etwas, noch ahnten wir die jetzige Eröffnung.

»Ich muß Ihnen etwas Schreckliches mitteilen«, begann Quäker-Oats seine Beichte. »Zunächst ist mir das und das mit Mejuffrouw Peperbus passiert.« (Folgte der pragmatische Tatbestand.)

»Also glänzend reingefallen«, sagte ich lachend zu meiner Frau.

»Wer weiß?« erwiderte sie. »Also weiter, Oatschen. Betrifft's unsre reizende Bergliot Tyllskappen? Nun, die wird Ihnen doch sicher keinen Korb geben. Oatschen, nur Mut.«

»Den hab' ich gehabt«, seufzte unser unglücklicher Freund. »Mut, um sie Teufeln und Engeln abzujagen. Aber doch nur unter der Voraussetzung, daß sie auch inwendig das ist, was sie von außen scheint. Ein Weib. Aber das ist sie gar nicht. Bergliot Tyllskappen« – Quäker-Oats Worte stockten, und mit einem wahren Totengräbergesicht und desgleichen Stimme fuhr er fort: »– ist ein Mann!«

»Gerechter Himmel!« schrie meine Frau auf. Und ich fügte hinzu:

»Sie reden irre, lieber Freund, oder können keinen schwedischen Punsch vertragen.«

»Nein«, grollte Quäker-Oats in seinen hohlsten Tönen mit dem Schicksal weiter, »ich irre mich leider nicht. Denn Herr Lakstövler muß es wissen. Und er weiß es. In seiner Eigenschaft als Polizeibeamter. Bergliot Tyllskappen, die in Wirklichkeit Bergthor heißt, ist ein sogenannter Weibsmann, ein androgynes Wesen, das heißt von Geschlecht ein Mann, vom übrigen Körperbau und Neigungen dagegen ein Weib. Hat sie, ich wollte sagen er, Männerkleider an, so hält man ihn, ich wollte sagen sie – nein, doch: ihn – allgemein für ein verkleidetes Weib. Das hat ihm so viele Unannehmlichkeiten, vor allem auch polizeiliche, eingebracht, daß er sich die schriftliche polizeiliche Erlaubnis erwirkt hat, in Frauenkleidern zu gehen. Ich wollte es nicht glauben. Aber Lakstövler hat sie sich von Bergliot, ich wollte sagen, Bergthor, ausgebeten und mir zur Einsicht überlassen. Hier ist sie. Lieben Freunde, überzeugen Sie sich selbst. Und dann stimmen Sie in meinen Gram, meine Trauer mit ein und bekennen Sie: hat jemand, der so weiberscheu ist wie Reuters Dörchläuchting und schließlich in reifem Mannesalter, alle seine Grundsätze zertretend, aufs Verloben losgeht wie der Panther auf den Schafstall – hat in der ganzen Weltgeschichte von dem Erzvater Jakob bis auf den heutigen Tag jemand, der es mit Verlöbnissen urplötzlich ernst und heilig nahm wie ich, hat dieser jemand dabei ein so kolossales Pech gehabt wie Timotheus Greulich?«

Wir gestanden mit betrübten Gesichtern – obgleich wir am liebsten herausgeplatzt wären wie ein paar Sprengminen – wahrheitsgemäß zu, daß ein solcher Rekord im Verlobungspech allerdings in zivilisierten Ländern seinesgleichen nicht so leicht finden dürfte. Und Timotheus fuhr fort: »So verfluche und verschwöre ich hiermit –«

Aber meine Frau fiel ihm in den Fluch hinein und rief: »Verschwören Sie nicht, Quäker-Oatschen. Sie sind nun auf den Geschmack gekommen. Vertrauen Sie sich jetzt endlich, ohne wider den Stachel zu löken, meiner Führung an. Ich bringe Sie doch noch, und zwar aufs glücklichste, unter die Haube.«


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