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Auf dem Riff

Aber nicht nur der Wind pfiff. Viel lauter pfiffen, hell und dumpf, eine Anzahl Dampfpfeifen um uns herum. Sie waren es auch gewesen, die in Hannis Ketelschraper die Gewißheit erzeugt hatten, daß wir ins Treiben gekommen waren. Ich und sämtliche übrigen Insassen waren durch das Garn meines Freundes Barkenbusch so gefesselt gewesen, daß wir nichts bemerkt hatten. Das gräßliche Tuten war durchaus erklärlich. Einmal trieben wir nördlich von Schweinssand im Hauptfahrwasser der Elbe. Und da wir keinen Kurs und kein Steuer im Schiff hatten, konnten weder die ausgehenden noch die aufkommenden Seedampfer an uns vorbei. Nie habe ich, neben dem Tuten, Gräßlicheres gehört als die Flüche der Lotsen und Kapitäne, die von den Kommandobrücken über meinen Kutter und seinen Herrn losprasselten. Und ich mußte ihnen recht geben. Hätte ich als verantwortlicher Lotse auf der himmelhohen Brücke eines solchen Ozeanriesen gestanden und mir wäre so 'n merkwürdiges Gespensterschiff ohne Lichter, Segel und Mannschaft vor den Bug getrieben, ich hätte seinen Leiter gleichfalls mit Seelöwenstimme versichert: ein so rammdösiger Esel, stocktauber Butzkopp, durchgedrehter Schellfischfresser, dickfelliger Teerquast, eingerosteter Steckbolzen, hühnerblinder Sonntagssegler, besoffener Schuster und koppsheißtes Oesfatt (Wasserschaufel) von Torfschipper sei mir noch nicht vorgekommen. Die Großen ließen's beim Schimpfen – denn sie konnten uns nicht an den Kragen. Aber die Kleinen waren schlimmer. Im Nu hatten sie uns umringt, und im Handumdrehn waren eine Anzahl wilder bewaffneter Männer übergeentert. Allerdings waren sie nur halbwild, denn sie legitimierten sich durch ihre Uniformen als Vertreter der öffentlichen Ordnung. Es waren die Besatzungen der kleinen Dampfer der Strompolizei, der Fischereiinspektion, des Zolls und noch ein paar andere, die mit gewaltigem Geschrei und unzähligen Strafmandatsandrohungen auf uns eindrangen und nach dem »Schipper« als verantwortlichem Redaktor grölten. Und hier bewährte sich meine Vorsicht bei Aufstellung der Gastliste aufs glänzendste. Hätte ich nicht den Obergrenzkontrollör, den Fischmeister, den Strompolizeiinspektor und als Reserven Vertreter der Presse und Literatur (denn vor denen haben selbst die allmächtigsten Amtspersonen einen heilsamen Respekt) an Bord gehabt, so hätte ich bis an mein Lebensende Romane schmieren können, um die Strafmandate zu bezahlen. Sowie sie aber ihre Vorgesetzten erblickten, wurden sie stumm wie die Fische, jumpten wie die Frösche über Bord und waren im Handumdrehen, trotz alles Winkens, Rufens und Fluchens des Obergrenzkontrollörs und seiner Kollegen von den andern Fakultäten auf ihren kleinen qualmenden Seelenverkäufern in Nacht und Nebel verschwunden.

Aber während ich mich, so gut es ging, gegen die von allen Seiten auf mich hereinprasselnden Schimpfworte und Drohungen wehrte, hatten Hannis Ketelschraper und Barkenbusch, die Gefahr unserer Lage erkennend – wir konnten ja jeden Augenblick in der Dusterkeit von einem boshaften Lotsen gerammt werden; und was kehrte der Kerl sich dran? wir hatten ja keine Lichter –, die Positionslaternen gesetzt, die Fock und das Großsegel aufgeholt, und nun kam's, wie Hannis prophezeit hatte: wir gingen tatsächlich »wie die Fische miteinander hin«. Mit einem gewaltigen Druck legte sich der jetzt mit voller Kraft losbrechende Sturm in unser Leinen, und wir sausten mit einer Geschwindigkeit, deren Knotenzahl gleichgültig aber ungeheuer war, die Elbe hinunter. Natürlich kam sogleich Dünung auf, die Brecher schwappten von achtern und von vorn über unser Verdeck und gaben sich, da die Großluke noch nicht zugedeckt war, in dem traulichen Raum, worin Barkenbusch noch vor 'ner Viertelstunde sein großes Lügengarn abgesponnen hatte, ein wildes Stelldichein. Nie habe ich solches Jammergeschrei gehört, als es jetzt die unter Deck gebliebenen beiden weiblichen Wesen ausstießen: meine Gattin und ihre Adjutantin Trina. Höchste Eile war Not: wir mußten meine Frau an den Armen und Trina an den Beinen heraufziehen, wenn sie nicht ertrinken sollten, und danach so schnell wie möglich die Großluke dicht machen, um selbst nicht zu ersaufen. Aber du lieber Himmel: wo waren die Bretter? Im Bünnraum waren sie. Hannis hatte ja aus ihnen die Festtafel hergestellt. Der Kutter war schon halb voll Wasser, wer sollte sich in diesem Hexentanz von Wellen, Brettern, Stühlen und sonstigen Siebensachen stürzen, die einen normalen Menschen dort unten zu zerquetschen und erschlagen drohten? Die Wahl fiel einstimmig auf Quäker-Oats, einmal, weil er infolge seiner ungeheuren Länge die Bretter bequem aufs Verdeck langen konnte, dann weil er ja an derartige feuchte Kuttersituationen bereits gewöhnt war. Glücklich kriegten wir die Luke dicht und mit der Pumpe auch das Wasser wieder heraus. Aber unsere Lage war trotzdem höchst ungemütlich. Wir konnten keinen Anker werfen und so den Sturm ausreiten; der Anker ruhte ja, durch Hannis Ketelschrapers Gemeindegenossen oder gemeine Genossen – wie man will – ausgeschäkelt, wohlverwahrt auf dem Grunde des Finkenwärder Lochs, und ich konnte hoffen, ihn dort später wieder aufzufischen, falls das nicht, auf Grund des bewußten Privatstrandrechts, inzwischen ein anderer besorgt hatte. Wo er lag, war ja männiglich bekannt. Bei dem furchtbaren Sturm einen Hafen anzusegeln, war auch 'ne riskante Geschichte. Denn es war inzwischen völlig Nacht und stichdunkel geworden, und es stellte sich heraus, daß Hannis Ketelschraper, wie er mir jetzt bekannte, wo ich das Ansinnen an ihn stellte: daß er in seinem Leben noch niemals weiter als bis Twielenflet gekommen war. Und daran waren wir schon vorbei. Barkenbusch wußte zwar auf der Elbe selbst gut Bescheid, die Häfen kannte er aber auch nicht. Doch war der Rat gut, den er gab. »Leute«, sagte er in seiner charakteristisch-imponierenden Sprechweise, »was versaufen soll, versäuft, und was in seinem Bett sterben soll, stirbt in seinem Bett. Wenn wir bei diesem fliegenden Sturm auf 'nen Sand oder 'n Stack oder 'ne Mole laufen, sind wir in fünf Minuten bei Rasmus, mit Ausnahme vielleicht von Herrn Greulich, denn der gründ't mit seiner Länge in die ganze Elbe. Aber bei so 'nem Südostensturm, da läuft das Wasser aus die Elbe raus wie die Seehunde, wenn Hagenbeck sein Leute mit die großen Kätschers hinter sie her sind. Und das ist für uns 'n Fingerzeig des Himmels. Wir haben den Wind steif von achtern; wir müssen mit das Wasser laufen, als ging's um unser Leben; und wenn wir die hohe See gewonnen haben, dann sind wir gerettet.« Der Fischmeister und der Oberkontrollör wollten sich bucklig lachen, denn sie verstanden was von der Sache: daß Barkenbusch den Kutter nach der See rausjagen wollte, war ja einfach lächerlich – von der waren wir ja noch über zehn geographische Meilen entfernt. Aber ich stimmte ihm zu. Einmal, weil ich selbst für verrückte Ideen empfänglich bin, dann aber, und zwar hauptsächlich, weil ich Giftnudel und die ganze Gesellschaft für den gedruckten und geredeten Hohn bestrafen wollte, den sie über mich und meinen Kutter ausgeleert hatten. Da ich der Kapitän war, wurde mein Wille Gesetz, Barkenbusch nahm das Ruder, und wir jagten, als ob des Teufels Großmutter auf dem Bugsprit säße, mit Kurierzuggeschwindigkeit an den Leuchtfeuern von Brunshausen und Pagensand, Krautsand und Glückstadt, Freiburg und Brokdorf, Brunsbüttel und Altenbruch vorüber, bis Cuxhaven in Sicht kam. Hier wollten aber unsere Festgäste mit Gewalt landen, vor allen Dingen die von der Literatur, denn vor der offenen See, auf die wir losrasten, hatten sie, bei diesem Sturm und auf solch 'nem Seelenverkäufer von geramschtem Kutter, einen heiligen Respekt. Ich sah fragend Barkenbusch an. Aber der hatte sich mit Demarara-Rum solchen Unternehmungsgeist angetrunken, daß ihm Cuxhaven als Ankergrund nach dieser tollen Fahrt längst nicht romantisch genug war. »Bleibt das Ruder in meiner Hand?« rief er mir zu. Ich nickte. »Dann sailen wir direktemang nach Helgoland!« Sämtliche Anwesende erhoben ein gewaltiges Geschrei. Der Oberkontrollör, der Fischmeister, der Strompolizeiinspektor mußten in ihren Dienst zurück, Giftnudel auf sein Redaktionsbüro, Schmidtgold in seinen Buchhändlerkretscham, Aasbaas sen. in sein Kontor, und auf den Gerichtsvollzieher lauerten seine Kunden. Aber wir andern drei: ich, Johnny Aasbaas und Quäker-Oats, kehrten jetzt den Spieß um. Wir höhnten als freie Männer diese elenden Sklaven ihres Berufs aus, und Barkenbusch, als pensionierter Zolleinnehmer, schloß sich unserm Spott an. »So 'was nennen alte gediente Kriegsschiffmatrosen, wie ich früher einer gewesen bin, forz mallör, meine Herrn«, tröstete er sie. »Auf Helgoland ist die Luft viel schöner und reiner als in Ihren muffigen Büros, und Ihr Gehalt läuft ja weiter. Woll'n bei diese brülljante Brise man ruhig 'n büschen nach Helgoland rüberrutschen. Wenn der Sturm nicht abflaut, können wir gegen Mittag da sein, und wenn wir dann noch mobil sind, können wir miteins nach Engelland rüberflitzen.«

Bald waren wir hinter dem Cuxhavener Leuchtturm. Das Feuer wurde gerade ausgedreht, denn es war inzwischen hell geworden. Dem Teufel seine Großmutter saß immer noch auf dem Bugsprit, und ihren Sohn schien sie bei Cuxhaven auch noch auf den Schoß genommen zu haben. Denn gegen die Fahrt, die wir jetzt liefen, wo der Sturm uns auf dem freien Wasser fassen konnte, war unsre Elbsegelei das reine Damensegeln gewesen. Und Seen nahmen wir über – lieber Himmel, ich bin auch mal mit 'nem Salpeterkahn um Kap Horn rum gewesen, aber die Seen dort waren auch nicht höher als hier, eher niedriger. Sie schwappten über den Kutter weg, daß wir uns sämtlich, mit Ausnahme Barkenbuschs, der sich am Besanmast festband, in die Kajüte flüchten mußten. Aber was sich hier an Seekrankheit entwickelte, ebenso wie das Bild, das in einem Kajütenraum, nicht viel größer als ein zweischläfriges Bett, zwölf durcheinanderliegende und speiende Menschen darbieten, kann nur der dreizehnte schildern, falls er selbst seefest ist. Dieser dreizehnte war ich. Da ich neben der Romanschriftstellerei auch die Zeichenkunst ein wenig betreibe, versuchte ich diese Gruppe von Jammermenschen in meinem Skizzenbuch festzuhalten. Doch mußte ich's aufgeben, da der Kutter mehr auf dem Kopf stand als auf dem Kiel. Ich hielt's schließlich unten nicht mehr aus und eilte zurück an Deck. Mein erster Blick war nach Barkenbusch.

»Allmächtiger!« schrie ich auf. Ich rieb mir die Augen. Ich starrte so fürchterlich, daß meine Nackenmuskeln den Starrkrampf bekamen. Ich traute meiner Wahrnehmung nicht. Die Stelle, von der aus Barkenbusch noch vor einer Viertelstunde das Schicksal von dreizehn braven, unbescholtenen Männern und Frauen mit starker Hand durch die wilden Wogen gelenkt hatte – war leer. Mein alter, treuer Freund, der Einnehmer Barkenbusch, der mir, Druckern, Buchbindern, Papierfabrikanten, Rezensenten, Verlegern soviel Anerkennung (beziehungsweise Aberkennung) und Geld eingetragen hatte – er war nicht mehr. Er war gewissermaßen in seinem oder an seinem Beruf gestorben: am Lügen. Denn wenn er sich am Vorabend nicht so völlig matt geschwindelt hätte, hätte seine Kraft wahrscheinlich ausgereicht, um uns bis Helgoland zu bringen. So aber hatte ihn die, von der er so glänzend gelogen, die See, in ihre verzeihenden – oder rächenden – Arme genommen. Der Kutter war außer Kurs gekommen, und schon im nächsten Augenblick saß er mit einem gewaltigen Ruck fest. Er legte sich auf die Seite, und die Brecher stürzten wie wilde Tiere über ihn. Jammergeschrei gellte von unten herauf. Seekrankheitsleichen quälten, würgten, schlängelten sich, einem Bündel grüner Algen gleich, auf dem Deck herum.

Wir saßen – zwischen Europa und Amerika – auf einem Riff.


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