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Sachverständiger Beirat

In diesem Augenblick rief unten auf der Straße eine Stimme: »Schulln! Labennige Schulln!« Schön war diese ihre lebendigen Schollen anpreisende Stimme nicht. Sie mochte, was Kraft der Tonlage anbetraf, mit Bötel immerhin weitläufig verwandt sein, Pollini hätte sie aber für das Hamburger Stadttheater lieber nicht verpflichtet. Uns aber erschien sie als ein günstiges Vorzeichen. Als ein symbolischer Ruf aus der Tiefe, durch den die Götter der Elbe und der See unserm künftigen glückhaften Schiff ihren Schutz zusagten. Auch hatte der Zwang und Drang der Ereignisse meine Frau nicht ans Mittagessen denken lassen. Was war natürlicher, als daß wir – da der Tag restlos unter dem Zeichen der »Scholle« stand – auch Schollen speisen würden. Somit betrat, durch huldvollen Wink und Ruf angelockt, nach kurzer Frist Gesche Ketelschraper unseren Flur.

Gesche Ketelschraper stammte selbstverständlich von der berühmten Fischerinsel Finkenwärder. Sie hatte, ein weiblicher Douglas der Waterkant, ihre Schollen, Aale und Steinbutten schon sieben Jahr getragen, wenigstens durch unsere Straße, und war uns infolgedessen als zuverlässige Person bekannt. Wie alle Fischfrauen hatte sie die Eigentümlichkeit, das Ausnehmen ihrer Schollen mit guten Reden zu begleiten, so daß wir im Laufe der Zeit in ihrer eignen Naturgeschichte und auf ihrer Heimatsinsel ebensogut Bescheid wußten wie sie selbst. Heute wollte sie uns zum siebenunddreißigsten Male erzählen, wie damals ihre Nachbarin Trina Behrmann das Kind in die Wohnung eingeschlossen und es vergessen hatte, und es, nachdem sie den ganzen Finkenwärder Deich mit ihrem Jammergeschrei erfüllt, schließlich als vermißt bei der Polizei angemeldet hatte – dja, wokein das nich selbs mit erlebt hat, sollt das djawoll rein für unmöglich halten. Doch unterbrach ich sie schon, als sie der ersten Scholle die Kehle noch nicht zur Hälfte durchgeschnitten hatte, mit der Frage: ob auf Finkenwärder vielleicht ein gebrauchter, aber noch seetüchtiger Fischerewer zu verkaufen sei.

Gesche Ketelschraper schnitt vor Überraschung nicht nur den Fischkopf, sondern auch sich selbst den halben Daumen ab und rief:

»Du meine Zeit, will Herr Dokter denn auf seine alten Tage das Bücherschreiben an'n Nagel hängen und sein Brot mit das Kurrnett (Netz) verdienen?«

Darüber beruhigte ich Gesche Ketelschraper schnell, indem ich ihr mitteilte: ich suchte keinen gutgehenden neuen Beruf, bloß eine schwimmende Sommerwohnung.

An ihrem sich wie ein Aal zwischen mir und meiner Frau hin und her schlängelnden Blick erkannte ich ihre Gedanken: »Der Kerl ist verrückt! – Och, de arme Fru!« Indessen ließ sie sich's nicht merken (wir zählten ja zu ihren besten Kunden) und erwiderte nach kurzem Besinnen: Ja, sie wisse einen, Jasper Fock von der Aue wolle sich zur Ruhe setzen, wegen Reismatismus und weil man jetzt wegen der Fischdamperkonk'renz so gefährlich weit rausmüsse und seine beiden Deerns sich voriges Jahr so gut verfreit hätten, daß er es jetzt nich mehr nötig hätte, und wäre ein feines Fahrzeug, nicht Jasper Fock, der Kutter, denn ein Kutter sei es, kein Ewer, und hieße »Emanuel« und läge im Finkenwärder Loch vor Anker, was die heutigen Finkenwärder aber als Beleidigung ansähn, wenn man das »Finkwarder Lock« Loch nenne und nicht Hafen, und sie hätten schon manchen Hamburgern das Fell vernäht, wenn die die Finkenwärder mit dem Finkenwärder Loch aufzögen und sie fragten: wonem is dat Finkwarder Lock? und dann selbst die Antwort gäben: dat is vullsch ... – hier besann sich Gesche Ketelschraper noch rechtzeitig, daß sie bei feinen Stadtleuten war, und sagte die Antwort lieber auf Hochdeutsch und ein bißchen verblümt: das ist vollgesch–aufelt, und wollte im Anschluß daran schätzungsweise noch einen Druckbogen andere interessante Finkenwärderiana hinterher reden, wurde aber von meiner schon längst an den Drähten der Ungeduld zappelnden Frau unterbrochen:

»Hat der Kutter einen doppelten Boden?«

Gesche Ketelschrapers Gesicht hätte nicht erstaunter aussehn können, als hätte meine Frau gefragt, ob der Kutter einen goldenen Kiel habe oder Segel aus seidenem Plüsch. Schließlich aber begriff sie. »De Fru« wollte sie aufziehn. Na, bei jeder Sache mußte 'n bißchen Spaß sein, und nun gar bei so einer, »'n Finkwarder Fischkutter als Sommerwohnung, mitn doppelten Bo– huhuhuhuhu, hahahahaha, hihihihiheheeeeeeee – ick krisch mi dod!«

Und Gesche lachte in Tönen, die sich nur durch ein Nebelhorn wiedergeben lassen.

Aber als sie fertig war mit Lachen, wurde sie neugierig. Nee, nee, was würden Trina Behrmann und Antje Six und Mariken Entenflott und Mine Kattuhl und Stine Butzkopp die Augen und Ohren aufsperren, wenn sie ihnen erzählte: dieser Doktor Eck, den sie bisher immer für'n ganzen vernünftigen Kerl gehalten hätte, wollte mit seiner Frau – och, de arme Fru! – auf 'n alten geramschten Kutter zu Wasser an. »Deern, du lüggst!« würden sie sagen. Daher mußte sie zunächst bestimmt wissen, ob wir sie nicht doch bloß »für'n Uhl« gehabt hätten, oder ob der Kutterkauf unser Ernst war.

Ich tat ihr den Gefallen – auch mir – und hielt ihr »an der Hand« des »Spantenrisses«, der sich aber jetzt schon zu einem ausgeprägten Längsriß erweitert hatte, einen Vortrag über das künftige Wohnschiff, indem ich mit Krischan Bollmann anfing und mit der Schiffskatze aufhörte.

Mit Augen wie Positionslaternen und Atemzügen wie Windstärke sechs lauschte Gesche Ketelschraper meinen Ausführungen. Jetzt war sie überzeugt, daß ich ihr keinen Roman vorgedichtet hatte, sondern ein Gebilde von Fleisch und Blut, richtiger: von Holz und Teer. Aber als richtige Finkenwärdersche fischte sie bei dieser neuen putzgediegenen Sache auch gleich nach einem kleinen Vorteil für sich selbst und fragte: ob ich ihren Hannis nicht als Knecht für den Wohnkutter annehmen wolle.

Das war 'n ganz bannig fixen Djung und könnte arbeiten wie 'n Dampfwinsch und segeln wie 'ne Kerke (Möwe) und kennte die Elbe und Nordsee von Hamburg bis zum »Land« (Helgoland) und von Schagen (Skagen) bis nach'm Texel wie sein Büxentasch, und gelernter Schiffszimmermann war er auch noch und wollte bloß deshalb von der Fischerei ab, weil diese waghalsigen Fischer wegen die Fischdamperkonk'renz auch bei Sturm und Wintertag rausgingen, bis nach der Doggerbank und noch weiter, denn er wollte lieber in Frieden und in ner guten Schuling alt werden, wie als Jungkerl vorzeitig nach Rasmus hinunter, und auf die Schweine und Ziegen verstand er sich besser als 'n Bauernknecht, und war so treu wie Gold und so ehrlich wie Silber und so reinlich wie 'n frisch geschrubbtes Deck und so anstellig wie 'n Pudel, und könnte schwimmen wie 'n Seehund und dükern – falls an dem Kutterboden mal was zu flicken wäre – wie Taucher Flint, und klettern wie 'n Affe, und könnte Netze stricken und flicken, und buttern, und Käs machen, und malen wie 'n Kunstmaler, und schreiben wie 'n Schullehrer, und waschen wie 'ne Waschfrau, und Kinder warten, wenn's sein müßte, wie 'ne Kinderfrau, und diesem alten ekligen Kerl von Bollmann seine Frau könnte künftig sehn, wo sie ihre Schollen und Bütt herkriegte, von ihr, Gesche Ketelschraper, gewiß nicht.

Meine Zukunft lag auf dem Wasser. Es wäre geradezu ein Verrat an ihr, eine nautisch-wohntechnische Bankerotterklärung gewesen, hätte ich mir ein Juwel wie Hannis Ketelschraper entgehn lassen. Ich vervollständigte also den Bogen durch seinen klangvollen Namen. Gesche, seine Mutter, faßte diese Niederschrift in eine so wichtige Urkunde jedenfalls als einen bereits vollzogenen Vertrag auf, denn sie verließ mit dem freudestrahlenden Ausruf: »Na, denn is djawoll allens in Ordnung!« unsre Wohnung. Oder richtiger: wollte sie verlassen. Denn sie rannte in der Flurtür mit einem hastig hereinstürmenden Herrn zusammen, mit solchem Anprall, daß ihr der Fischkorb ent- und über das Treppengeländer hinausflog, so daß in einem Nu die vom Ober- bis zum Erdgeschoß hinunterführenden fünf Treppen (einschließlich der sich gerade auf ihnen bewegenden Personen) mit einem Schock springlebendiger Schollen beklaxt und bekleistert waren. Da dieser Herr in dieser Geschichte öfter und bedeutungsvoll auftreten wird, sei er dem geehrten Leser mit besonderem Nachdruck vorgestellt. Es war mein Freund der »Kunstmaler« Johnny Aasbaas.


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