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Quäker-Oats

Indessen erschien Krischan Bollmann trotz seiner Androhung nicht wieder, weder allein, noch mit polizeilicher Macht. Der kalte Kopf Umschlag, den ihm das Schicksal durch Hilfe meines Freundes Johnny hatte angedeihen lassen, mochte ihm das grimme Hausbesitzerblut abgekühlt haben. Statt seiner betrat – es war, als ob sich heute sämtliche Bedeutsamkeiten der Stadt auf meinem Parkettfußboden zu einem Stelldichein verabredet hätten – eine zwei Meter weniger acht Zentimeter lange, schwarz gekleidete, mit blauer Brille, einem Quäkerschlapphut und anstatt der Stiefel mit einem Paar Oberländer Kähnen versehene Gestalt das Gehege unsrer Wohnung. Der Nase, dem Schnurr- und Knebelbart nach mußte sie entweder vom Wallensteiner oder dem edlen Ritter von la Mancha, den Armen und Händen nach aber wahrscheinlich vom langarmaffigen Gibbon abstammen, und den Geist hatte sie – wie ich aus eigener langjähriger Kenntnis hinzufügen will, da man ihn von außen nicht sehen konnte – aus den Werken sämtlicher Sitten-, Tendenz-, Sensations-, Familien-, Ritter-, Räuber- und Schauerromandichter von den altfranzösischen Chansons de geste bis Bernard Shaw erborgt, ererbt, sich angelesen oder wie man sich sonst ausdrücken will. Dies war mein Konkurrent, der Ästhetiker, Dramatiker und Romanschriftsteller Timotheus Greulich. Da er vermögend war und es somit »nicht nötig« hatte, schrieb er leider so, wie er hieß und aussah. Sogar den abgehärtetsten Köchinnen erstarrte vor dem Blut, das er in seinen Geschichten vergoß, das eigene, manchmal vom Hühner- oder Taubenmord noch erhitzte, in den Adern, und die Kindermädchen bei feinen und groben Herrschaften benutzten ihn als »schwarzen Mann«, wenn die Bälger quarrig wurden. So nannten sie ihn auch, und mit ihnen die ganze Stadt. Sein engerer Freundeskreis aber hatte ihm den Spitznamen »Quäker-Oats« angehängt, weil er uns anvertraut hatte, daß er vor Jahren, in bartlosem Zustande und als ihm die Gemeinheit der Welt noch nicht den Frieden der Seele und die Rundlichkeit der Wangen geraubt, zu dem berühmten Quäker auf den Quäker-Oats-Paketen Modell gestanden habe. Diese Erinnerung war – da weder Kritik noch Theaterdirektoren noch Verleger von seinen Werken jemals Notiz genommen hatten, außer in taktlosen, höhnenden, abweisenden, ja, nicht selten sogar schwer beleidigenden Worten – also dies Quäker-Oats-Plakat, von dem er stets ein paar Dutzend mit sich umhertrug, bildete gewissermaßen den Glanz seines Daseins, den Trost seiner geknickten Hoffnungen, das Pflaster auf die ihm vom Leben und insbesondere der Tücke der Kritiker, Theaterdirektoren und Verleger geschlagenen Wunden. Denn in diesem Plakat hatte ihm die Kunst des Pinsels beschert, was ihm das Gift gemeiner Federn und der Unverstand bornierter Literaturbonzen versagt hatten: den Ruhm, sich einen Mann der Oeffentlichkeit nennen zu dürfen. Unser Freund Quäker-Oats war zu stolz, sich mit seinen Werken an einen Winkelverlag oder Kolportagevertrieb zu wenden – so sagte er wenigstens. Aber es war in unserm Kreis offenes Geheimnis, daß er keinen seiner Romane über die dreihundertste Seite hinaus gebracht hatte, da bei seinem unbezähmbaren Blutdurst sämtliche Personen allzu früh das Leben einbüßten. Kolportageromanverleger aber können mit Romanen unter fünfzehnhundert Seiten Großformat nichts anfangen – Köchinnen und Dienstmädchen auch nicht. Daher ließ Quäker-Oats – seine Mittel erlaubten ihm das – von seinen sämtlichen Geisteserzeugnissen nur fünfzig Abzüge auf Büttenpapier anfertigen, die er selbst numerierte, autographierte und seinen engeren Freunden als bibliographische Originale und Schmuckstücke überreichte. Johnny Aasbaas zeichnete – er nahm seine blutigsten Farben dazu – die Titelbilder und entwarf – dazu verwendete er seine giftigsten Farben – die Einbände. Auch hatte er, um sich für die wertvolle Kundschaft unseres Freundes erkenntlich zu zeigen, einmal vor seinem aus Seeleuten, Ewerführern, Schauermännern, Schauerfrauen (bitte, lieber Druckfehlerteufel: nicht Scheuerfrauen!), Fischweibern und ähnlichen mit einem Gemisch aus Elbwasser und Rum getauften Publikum – das also einen Knuff vertragen konnte – eine Vorlesung aus Quäker-Oats Werken veranstaltet. Hierbei aber hatte er leider nicht bedacht, daß man den Monat September schrieb, in dem das Obst billiger wird. Er mußte in einem Zustand vom Podium abtreten, den man am ähnlichsten mit der Weichheit überreifer Pflaumen bezeichnet, und sah, mit einem Wort, so aus, daß er sich für das nächste Titelbild mit bestem Vorteil selbst als Modell verwenden konnte. Doch tat das seiner Freundschaft für Quäker-Oats keinen Abbruch, wie auch unser Verhältnis niemals ein Mißklang getrübt hatte. Denn Quäker-Oats hatte neben seinen restlos verrückten Eigenschaften nur vornehme und menschlich gute Charakterzüge. Kein Neid gegen mich, den durchgedrungenen und gekauften Mitstrebenden nach den Kränzen Apolls, kam in seine Seele – oder, falls doch, warf er ihn sofort wieder hinaus, durch die Erwägung, daß wirkliche Genies gleich ihm infolge eines literarischen Weltgesetzes erst nach dem Tode anerkannt werden können. Das nannte er sein Kismet. Meine Frau aber nannte das sein Kismet, daß er auf seinem einspännigen Lebenstrab bislang keinem vernünftigen weiblichen Wesen begegnet war, das ihm den Literaturspleen durch Freuden, Arbeiten, Ärger und Sorgen der Ehe austreiben würde. Es war seit Jahren ihr heißes Bemühn, ihn ins Garn von Freundinnen, die sie dafür geeignet hielt, hineinzutreiben, aber mit einem geradezu übernatürlichen Instinkt und einer Gewandtheit, die man sonst nur bei Ameisen, Wespen, Heuschrecken, Flöhen und ähnlichen hochentwickelten Insekten antrifft, wußte er dem klebrigen Spinnwebennetz der Verlobung jedesmal rechtzeitig zu entgehen. Aus diesem Treiber- und Wildverhältnis hatte sich zwischen ihm und meiner Frau im Laufe der Zeit eine gewisse nervöse Spannung, ein allerliebstes »Hasch-mich-du-fängst-mich-doch-nicht-Spiel«, mit einem Wort: ein Verhältnis entwickelt wie zwischen Schmetterling und Kätscher oder zwischen einer Motte und zwei danach klappenden Frauenhänden. Mein Freund Timotheus Greulich sah schon an sich komisch genug aus, am komischsten aber, wenn er einem neuen Anschlag meiner Frau entgangen war. Dann nämlich machte er ihr mit seinen langarmaffigen Gibbonhänden eine lange Nase, lud darauf mich und sie, Johnny Aasbaas und noch ein paar verwandte Gemüter zu einem Diner bei Franz Pfordte ein und führte meine Frau zu Tisch. Auch wußte er es dann mit den Knallbonbons so einzurichten, daß sie die mit den alleranzüglichsten Versen erhielt, manchmal so boshaft, daß von Rechts wegen ein Duell zwischen ihm und mir die Folge hätte sein müssen. Aber davor scheute ich, ganz offen gesagt, aus Feigheit zurück – mich mit einem Menschen zu schießen oder zu schlagen, der zwei Meter weniger acht Zentimeter maß und dessen ganzes Leben aus einem einzigen Blutvergießen bestand: das wäre der reine Selbstmord gewesen. Dafür traf ihn um so sicherer die Rache meiner Frau. Denn ihr Geist spann noch während des Nachtisches an einem neuen Netz, und beim Nachhausegehen verabschiedete sie sich von ihm mit den Worten:

»Quäker-Oatschen, Quäker-Oatschen, ich fang Sie doch noch, ich fang Sie gewiß, und wenn Ihre Gliedmaßen auch so lang wären und so flink wie die Schneider auf den Wassergräben.«

Worauf Quäker-Oats zu erwidern pflegte: daß meine Frau ihn auch dann nicht fangen würde, wenn sie die Spinnkunst der berühmten Arachne, die Schläue des Odysseus und die hundert Augen des Argus besäße. Ja, so geistvoll-neckisch drückte er sich aus; Geist- und Formvollendung, pflegte er zu sagen, unterscheiden den tragisch-klassisch gebildeten Dichter vom milchkühernden banausisch-böotischen Romanstrickstrümpfler. (Möglicherweise meinte er damit mich.)

Heute aber war Timotheus Greulich nicht neckisch aufgelegt. Er war überhaupt nicht aufgelegt. Sondern aufgeregt. Und dazu hatte er wahrhaftig Grund genug.

»Ist Johannes hier?« rief er beim Eindringen über meine Schwelle. »Ja, er ist's!« beantwortete er sich seine Frage selbst, als er Johnny in unsrer Mitte traf, in den Fingern der Linken ein Stück Zitrone, mit denen der Rechten eine Grätenernte zwischen den Lücken seiner Zähne veranstaltend. »Du bist verweibt, Johannes,« fuhr Quäker-Oats in dem ihm eigentümlichen klassisch-jambischen, plastisch-tragischen, halb von Sophokles, halb von Goethe geramschten Sprechstil fort (den er immer anschlug, wenn er mit neuen Dingen schwanger ging; sonst beklöhnte er sich ganz menschlich), »du bist verweibt, aber nicht mit einer jener Argen, die das Neue lieben.«

»Das wollt ich mir – bei meiner Alten – aber auch höflich verbeten haben,« stieß Johnny durch das Gitter seiner Finger mit Anstrengung hervor, »also sag an – au, verflucht! ich glaub', die Gräten von Ketelschrapersch ihren Schollen jungen im Mund nach – du Spottgeburt aus Knochen und schwarzem Buckskin, warum die Zuneigung deines Herzens plötzlich auf 'ne verheiratete Person gefallen ist?«

»Weil ihr die Lüge fremd ist, Johannes,« sagte Quäker-Oats, mit den Nasenlöchern des Gourmets den schönen Gebratenen-Schollen-Duft in sich einsaugend, »weil ich dich tatsächlich an dem von ihr angegebenen Ort finde.«

»Was sonst leider nicht immer der Fall ist«, fügte meine Frau hinzu.

»Ja ja,« bestätigte Johnny kauend und harkend, »jeder hat sein Päckchen zu tragen. Quäker-Oats leidet am Dichtergrößenwahn und ich an chronischer Aushäusigkeit.«

»Woran,« schloß ich den Gallimathias, »wenn sie bei Männern auftritt, allemal die Frau schuld ist.«

Inzwischen hatte meine Frau nach einem Teller und Besteck für den Gast geklingelt. Dann rief sie neugierig:

»Oatschen, Ihnen ist was passiert. Was Gutes. Was Bedeutendes. Ich seh's Ihnen an. Haben Sie sich mit meiner Freundin Milly ver –?«

»Nein,« unterbrach Quäker-Oats mein Weib schaudernd, »diesem Leim bin ich dank meiner langjährigen Gewandtheit und Erfahrung noch gerade entkreucht. Sie ist zu Schiff nach Frankreich. Ich aber –« – Quäker-Oats zog seinen Atem rasselnd ein wie ein Anker hievender, dreihundert Meter langer Ozeandampfer seine Kette und stieß ihn wieder aus wie ein zu Tode getroffener Wal seinen Spaut – »habe einen Verlagsantrag.«

»Was??!!« riefen wir alle vier – denn die gerade mit dem Teller hereintretende, von Quäker-Oats Romanen begeisterte Köksch Trina stimmte in den Ruf mit ein. Dem armen Johnny hatte die als Gegenströmung einsetzende Luftwelle – denn der Luftverbrauch seiner Aasbaasstimme in aufgeregten Augenblicken läßt sich nur mit dem einer sechzehnfüßigen Orgelpfeife vergleichen – ein halbes Dutzend Gräten zwischen die Kehlkopfbänder gejagt, und während wir drei, meine Frau, ich und Trina den Hustenden, Keuchenden, Niesenden und Spuckenden durch Klopfen in den Rücken und tröstlichen Zuspruch körperlich und seelisch aufmunterten, fuhr Timotheus Greulich fort:

»– und ich komme hierher, um meinem Freunde Johannes den Auftrag für das Titelbild, Einbandzeichnung und sonstigen Buchschmuck zu geben. Aber er ist dringend. Und – in Anbetracht des Verlegerentgegenkommens –: ich bin diesmal in der Lage, den Kunstmäzen zu spielen.«

Mit einem Schlage – die Freude ist der beste Arzt – war Johnny Aasbaas seine sechs Gräten aus seinem gewaltigen Adamsapfel los und rief:

»Des Dichters Segen bauet den Künstlern Häuser. Gesegnet sei dein Eingang und Ausgang, Quäker-Oats. Nenne mir den edlen Mann, der sich, um ein Buch von dir an den Mann, besser an die Köksch, zu bringen, freiwillig dem Bankrott in die Arme wirft und zugleich den Mammonhaufen, um den du ihn erschlagen hast.«

»O Johannes,« erwiderte Quäker-Oats feierlich, »glaube nicht, daß du mich durch blöde Nachäffung meiner Vortragsweise in meinem Vorsatz wankend machst. Ich werde dir den Auftrag geben, auch wenn du dich über mich so lustig machen solltest wie Mephistopheles über den Schüler oder wie die abscheulichen Hamburger Straßenbuben über den ehrenwerten weiland Hummel. Mein Verleger heißt Gottlieb Backpflaume; ich zahle den Druck, die Ausstattung und die sonstigen Unkosten, und er zahlt mir – – –«

Wir, die Köksch eingeschlossen, hingen sämtlich mit unendlicher Spannung an den ernsten Don-Quichote-Zügen unseres wie der Mast eines Totenschiffes in meine Kronleuchterarme ragenden Freundes.

Aber die drei- bis vierstellige Markziffer, die wir erwarteten (die Köksch sogar, wie sie nachher meiner Frau gestand, eine fünfstellige) erfolgte nicht. Quäker-Oats fuhr, spannunglösend und schlicht, fort: »– für jedes verkaufte Exemplar zwanzig Pfennig, mit jährlicher Abrechnung, nach Maßgabe des Absatzes.«

»Ufff!!« stöhnte Johnny und setzte sich enttäuscht wieder vor seinen Schollenteller. Auch unsre Aufregung hatte nachgelassen. Ich bestellte die Flasche Wein wieder ab, die ich der Köksch schon in Auftrag gegeben hatte, meine Frau nötigte unsern schwarzen Freund an den Tisch nieder, und Quäker-Oats fuhr mit Haltung fort:

»Doch was kommt es auf schnöden Mammon an? Die Hauptsache ist, daß ich einen Mann, einen Verleger entdeckt habe, der mein Talent erkannt hat – oder besser er mich.«

»Hat er Ihnen einen Besuch gemacht?« erkundigte sich meine Frau.

»N – n – ein, das gerade nicht,« erwiderte Greulich. »Oder, wenn man will, vielleicht doch. In Gestalt eines gedruckten Formulars, auf dem er sich erbietet, meine Werke unter den genannten Bedingungen zu verlegen, da er von ihrer Bedeutung überzeugt sei.«

»Fü–ü–ü–ü–üht!!« pfiff Johnny durch die Zähne.

»Johnny!« warnte ich. »Denken Sie an die Gräten.«

»Aber«, sonnte sich Quäker-Oats Riesenerscheinung in seinem zukünftigen Ruhm weiter, »ich habe aus dem Formular meine eigentliche Bestimmung erkannt. Es war unterzeichnet: Mit allervorzüglichster Hochachtung ganz ergebenst Gottlieb Backpflaume, Leipzig – Hamburg – Berlin – Paris – Wien – Budapest. Verlag für Kriminalromane. Die Kriminalromane sind mein Fach. Auf die werd' ich mich jetzt verlegen.«

Bewundernd reichte ich ihm die Hand.

»Sie haben das Rechte getroffen, lieber Freund. Ein berühmter Verleger hat das Wort geprägt: Entdeckt mir einen Mann, der Kriminalromane schreiben kann, und ich will ihn zum Millionär machen.«

»Unsinn!« grölte Johnny. »Detektivromane, die sind modern. Kriminalromane, die waren mal modern. Zu der Zeit des seligen Temme. Laß dich einpökeln mit Backpflaumen oder in Backpflaumen, aber bring einen schwer um seine Existenz ringenden Künstler meines Ranges, einen Mann mit Frau und drei Kindern, gefälligst nicht wieder in Lebensgefahr.«

»O Johannes,« sagte Quäker-Oats sanftmütig, »du beirrst mich nicht. Ein Spezialist in seinem Fach wie Gottfried Backpflaume muß sich doch auf die Sache verstehen. Nein, den Kriminalromanen gehört aufs neue die Zukunft.«

»Aber die schreiben Herr Doktor ja schon. Und so schön! So blutig! So unheimlich gruselig, daß man nachts nich vor einschlafen kann«, mischte sich Trina, die draußen gehorcht hatte, durch die Türspalte bescheiden ein.

»Mitnichten, schlichtes Kind des Volks,« berichtigte sie der Dichter. »Meine Domäne war bislang der Schauerroman. Und der hat sich allerdings in Wahrheit überlebt.«

»Haben Sie denn schon 'ne Idee, Oatschen?« fragte meine Frau neugierig.

»Eine? – Zwanzig!« rief Timotheus.

»Wie kann man zwanzig Ideen auf einmal haben?« nörgelte Johnny Aasbaas weiter. »Dann taugt gewiß keine einzige was.«

»Ideen, – das ist eigentlich nicht das richtige Wort«, sagte Quäker-Oats, uns alle der Reihe nach mit dem feierlichen Gesichtsausdruck eines Gelehrten ansehend, der seinem Auditorium eine Entdeckung, etwa vom Range des Radiums, zu entschleiern beabsichtigt. Er schwieg einige Augenblicke, wie das bekannte Gewitter vor dem Schlage, mit dem es vier Leben vernichten wollte, und fuhr dann fort:

»Habt ihr einmal von Timm Thode gehört?«

»Timm Thode, der achbare Raubmörder!« Huuuch!« schrie Trina entsetzt durch die Türspalte.

»Timm Thode, der acht fache Raubmörder!« verbesserte sie Greulich. »Oder von Karl Friedrich Masch, seinem Räuberleben und seinen Genossen und dem sechsfachen Mord in der Chursdorfer Mühle? Oder von der Giftmischerin Gesche Margarete Brockmann, die sämtliche Juristen ein psychologisches Rätsel genannt haben? Oder von dem bluttriefenden Scheusal Jean Baptiste Troppmann, der eine ganze Familie von acht Personen aus Geldgier ermordet hat und von den Pariser Zeitungen zum Heros ausgerufen wurde?«

»Hör mal, Oats«, sagte Johnny malitiös, »wenn du uns hier Meidinger auftischen willst, verlaß ich unter Protest das Lokal. Ich bin 'n moderner Mensch und außerdem satt – nicht bloß schollensatt, nein, noch viel mehr dich mit deinen Romanschmökern.«

»In der Tat«, stimmte ich bei, »ich erinnere mich, diese zwar grausigen aber schon recht verschimmelten Moritaten vor ungefähr zwanzig Jahren im Neuen Pitaval gelesen zu haben.«

»Euer Urteil wiegt nichts gegen das zweier Fachmänner«, verteidigte Thimoteus mit unerschütterlicher Ruhe seinen künftigen Ruhm und Honorarertrag weiter. »Backpflaume muß es wissen und weiß es. Ich, als Romancier auf einem verwandten Gebiet, muß es gleichfalls wissen und weiß es. Ich habe also die Absicht, mit diesen älteren Stoffen den geschichtlichen Kriminalroman, also gewiß eine neue Spezialität zu begründen. Und zwar auf modern-psychologischer Grundlage. Habt ihr's nicht gehört: Gesche Margarete Brockmann war sämtlichen Juristen ein psychologisches Rätsel? Nun, ich werde dies Rätsel und diese Rätsel, denn was verstand zum Beispiel der alte Pitaval von moderner Kriminalpsychologie, mit allen Mitteln der modernen Wissenschaft, mit eigenen scharfsinnigsten Kombinationen lösen. Allerdings mit einer Einschränkung, die mir mein künftiger Verleger Backpflaume angedeutet hat. Wir werden keine Kriminalromane mit weniger als acht Opfern herausbringen. Und nun frage ich dich nochmals, Johannes, willst du deine Kunst in den Dienst dieses durchaus modernen Unternehmens stellen?«

»Scheffel Goldes warten Ihrer«, fügte ich aufmunternd hinzu, als Johnny immer noch zögerte.

»Was zahlst du denn?« fragte Johnny nach einer Bedenkpause.

»Ich habe dir gesagt: ich werde dich wie ein Mäzen honorieren. Und ich gedenke nicht, dies Wort zu brechen.«

»Gleich für alle zwanzig?« forschte Johnny geldgierig weiter.

»Da ich wohl annehmen darf, daß du wie gewöhnlich im Dalles bist,« fuhr Timotheus würdig fort, »so sage ich: ja, gleich für alle zwanzig.«

»Topp!« rief Johnny. »Aber unter einer Bedingung. Bei deinen in der ungeheuren Auflage von fünfzig erschienenen Schauerromanen kam's mir nicht darauf an. Aber da dein Verleger anscheinend deine künftigen modern-psychologischen Kriminalromane als Grossoschund auf den Markt werfen will, dürfen die Zeichnungen und Prospekte meinen ehrlichen Namen nicht tragen. Mein künstlerisches Renommee verbietet das.«

»Aber wer wie du schon als Feuerfresser und bronzierter Gipsakrobat aufgetreten ist«, meinte Quäker-Oats ein wenig beleidigt, »sollte sich doch durch die Mitarbeit an einem solchen Werk und in einem solchen Verlag sittlich und künstlerisch gehoben fühlen.«

»Heb' dich man selbst erst 'mal künstlerisch und sittlich«, versetzte Johnny unwirsch. »Schreib so, daß die Straßenköter der Literatur nicht auch jedesmal ›Hummel, Hummel!‹ hinter dir herrufen, wenn du ihnen deine Rezensionsexemplare verehrst. Und vor allen Dingen, verheirate dich mit 'ner vernünftigen Person, die dir die Verrücktheit austreibt.«

»Johannes!« rief Quäker-Oats überrascht und betrübt. »Das mir – von dir?«

»Ja. Warum sollst du's besser haben als ich?« versetzte Johnny, unbekümmert um meine anwesende Frau.

»Bester Johnny«, rief die, »man erkennt Sie ja gar nicht wieder. Seien Sie doch nicht so grantig. Was ist in Sie gefahren? Sie waren doch vorhin so vergnügt.«

»'n halbes Dutzend Fischgräten«, sagte Johnny. »Das wissen Sie ja. Aber mir ist inzwischen eingefallen: mein Hauswirt ist von Ihrem ja 'n Vetter. Und daß ich morgen auch meine Kündigung am Hals hab, ist sicher. Gedroht hat er mir schon lange damit. Damit bin ich auch reif für die schwarze Liste. Wo soll ich denn Quäker-Oats sein Bajazzenkorps von Mördern und Giftmischern künstlerisch gebären?«

Da durchfuhr es mich wie ein ganzes Bündel Röntgenstrahlen.

»Im Bünnraum!« rief ich. »Wenn wir über der Großluke einen Holzaufsatz mit Glasdach anbringen, ist der Bünnraum das schönste Maleratelier.«

»Aber im Bünnraum«, rief meine Frau entsetzt, »soll doch die Stütze logieren – oder der Knecht – oder alle beide – oder die Kambüse – oder du selbst.«

Jedoch Johnny hatte schon mit Donnerstimme: »Topp! Angenommen!« gerufen.

»Für alles wird sich Rat finden«, sagte ich tröstend zu meiner Frau. »Sorget nicht für den kommenden Morgen. Und der Holzaufbau wird zum Abnehmen eingerichtet. Die Hauptsache ist, daß wir für einen moralisch schon längst, physisch aber, wie du hörst, zum nächsten Kündigungstermin an die Luft gesetzten Künstler vom Range Johnny Aasbaasens, Vater mit Frau und drei Kindern, Hüsung und Existenzmöglichkeit schaffen.«

»Um Himmelswillen«, rief meine Frau, »für seine Frau und drei Gören auch?«

»Die mögen sich eine Zeitlang allein durch die Welt schlagen«, rief Johnny, schlecht seine Freude über die bevorstehende Strohwitwer- und -vaterschaft verhehlend. »Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind.«

»Wenn die Bünn auch vielleicht nicht für eine ganze Künstlerfamilie Raum hat«, mischte sich jetzt Quäker-Oats ein, »so doch wahrscheinlich für einen Künstler und einen Dichter. Ich brauche für das gewaltige Programm der neuen Kriminalserie Ruhe vorm Straßenlärm, stimmungsvolle Anregung durch die Ewigkeitstöne der murmelnden geheimnisvollen Wellen – besonders für Wassermorde –, auch ist Aufsicht und Inspizierung des Künstlers nötig. Ich sei daher, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der dritte.«

»Allmächtiger!« rief meine Frau. »Und auf wie lange veranschlagen Sie die Arbeitsdauer für Ihre zwanzig Romane?«

»Auf ebenso viele Jahre«, erwiderte der Dichter gelassen.

Schon wollte meine Frau ans Klavier stürzen. Aber plötzlich glitt ein fröhlicher Schein über ihre Züge. Johnny, der alles, was um ihn herum vor sich geht, rasiermesserscharf beobachtet, hat später gesagt: es sei ein diabolisches Lächeln gewesen.

Mir dagegen war ein Konvivium zu dreien sofort die angenehmste Vorstellung von der Welt. Wie konnten wir drei Freunde nach der Last des Tages – oder auch vor ihr und gänzlich ohne sie – zusammen segeln, fischen, jagen, Skat spielen, kommerzieren, die Laute schlagen, die Pikkelflöte blasen und das Matrosenklavier ziehen. Auf der Laute war Johnny Meister, wegen der Pikkelflöte zierten bereits fünf polizeiliche Strafmandate die Bude Quäker-Oats', und mit der Ziehharmonika hatte ich noch im vorigen Jahr eine unter uns wohnende Familie von sieben Köpfen aus dem Hause vertrieben. Wenn wir den Schiffshund und die Schiffskatze dazu nahmen und die »Stütze« möglicherweise über einen angenehmen Sopran verfügte – meine Frau sang Alt –, konnte es ein mustergültiges, zu Quäker-Oats Romanen und Johnnys Bildern stimmungsvoll passendes Septett werden.

»Gut, also drei Männer in einem Boot, vom Hunde und so weiter ganz zu schweigen!« rief meine literaturkundige Gattin. Froh über ihren so schleunig aufgegebenen Widerstand, stimmte ich zu, holte den »Spantenriß« und vervollständigte ihn durch folgende Eintragungen: Johnny, Quäker-Oats, Laute, Matrosenklavier, Stütze, Schiffskatze, Frau, Schiffshund, Septett, Deckshaus mit Glasdach, Kambüse unterm Kiel, Stütze schläft im Großtopp. Meine Frau aber setzte sich nachträglich doch noch an das Marterinstrument, hieb die in ihr hin und her flutenden Gefühle in die Tasten, und wir drei Männer, vor allem Johnny mit seiner Aasbaasstimme, sangen gefühlvoll dazu:

»Stortebeker un Godeke Michels
de roveden beide
to liken Deelen,
to Water un to Lande.«


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