Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Nymphe vom Holmeiiskanal

Wir lagen solange mit unserm Kutter und uns selbst am grünen Strand, dem witten Sand und der roten Kant des Götterschlosses Helgoland herum, bis Seekarten, Proviant und was wir sonst gebrauchten, von den festländischen Gestaden eingetroffen waren und die Sprößlinge der Helgoländer – aufgehetzt durch Bollmanns »Djohann« – eine ähnliche Haltung gegen uns einzunehmen begannen wie die kleinen Finkenwärder Buttjes. Dann lichtete ich unseren für schweres Geld von einem Helgoländer Privatpiraten, der sich Jens Uwe Jensen schrieb, erworbenen Anker und nahm, um mein Mejuffrouw Peperbus gegebenes Wort einzulösen, Kurs aufs Skagerrak. Am 14. Juni, dem Geburtstag meiner Frau, waren wir in festlichster Stimmung, begleitet vom Helgoländer Nationalgesang, schönstem Sonnenschein und einer Handvoll klotzig-malitiöser Geleitworte aus Bollmann-»Djohann«scher Fabrik, abgesegelt, am nächsten Tage peilte der inzwischen von seinen Neunaugenwunden völlig geheilte dicke Dollenfinger meines Hannis den Leuchtturm von Skagen, am sechzehnten mußten wir im Kattegatt zwischen Fornäs und Ebeltoft acht Stunden still liegen, weil der dänische Seepolizeikutter die zehn Kronen Polizeistrafe, die wir für von Hannis an der Backbordlaterne gespartes Petroleum bezahlen sollten (in welche Sparbüchse mochten sie geflossen sein? vielleicht in Trina ihre?), nicht in deutschem Geld annehmen wollte, am siebzehnten saßen wir bei steifstem Nordwest und schönsten, wahrhaft klinischen Seekrankheitssymptomen auf einem Sand fest, am achtzehnten kamen wir wieder ab, wobei Trina, die sich beim Schieben zu sehr angestrengt, beinah auf dem Rücken eines Schweinsfisches nach dem hohen Norden abgesegelt wäre, am neunzehnten prügelten sich Trina und Hannis (physisch), am zwanzigsten Miß Honeysnake und Mejuffrouw Peperbus (moralisch), am einundzwanzigsten Johnny Aasbaas und Quäker-Oats (erst moralisch, dann physisch) und am zweiundzwanzigsten machten wir glücklich im Holmenskanal hinter dem Kochschulschiff fest.

Du lieber Himmel, hätte ich gewußt, welches Wiedersehn uns hier in Kopenhagen erwartete, hätte ich den Adjutanten des Hafenmeisters lieber um einen Liegeplatz hinter Amager oder im Schiffsraum der Kopenhagener Frauenkirche ersucht. Neben dem Schulschiff lag, förmlich grinsend, der Krischan Bollmannsche Protzenkutter, und auf seinem Deck stand, die Pratzen in den Hosentaschen und in jeder Hand, nach dem Geklingel zu urteilen, in mindestens dreitausend Mark deutschen Reichsgoldmünzen herumwühlend, mein alter Landfeind und neuester Seekonkurrent Krischan Bollmann. Hinter ihm »Djohann«.

»Auch 'n büschen hür?« begrüßte mich Bollmann. »Na, wenn Sie das man allns bössoahln könn? Komhoagn is 'n bannig teures Flaster. Dja. Hrruuupp!«

»Do quäl di man nich ürn!« schrie statt meiner Hannis als Antwort zurück. (Durch diese Lanze wollte er wahrscheinlich seine Petroleummoral wieder in gutes Licht rücken).

»Wie kanns du Edamer Keeshöker ßu meinen Herrn Du schimpfen?« brüllte Jan rüber.

»Dat will ick di Snottlepel woll wisen«, brüllte Hannis zurück.

»Schapskopp!«

»Eselshööfd!«

»Buttje!«

»Bryt!«

»Oesfatt!«

»Kohlenjumper!«

»Seeräuber!«

»Mörder!«

So ging es noch eine Zeitlang weiter, zuerst an Deck, dann an Land, bis sich die Kopenhagener Polizei hineinlegte. (Wie, wird sich sogleich zeigen.) Auf der einen Seite hatte sich Bollmann mit sämtlichen Breitseiten neben seinem »Djohann« verankert. Auf der anderen hatte Johnny Aasbaas in das Gefecht eingegriffen. Meine Frau und ich bildeten mehr Zuschauer. Johnny konnte, da er wie Quäker-Oats gratis reiste, auch mal für uns seine Haut zu Markte tragen. Quäker-Oats stand mit seinem gezückten Notizbuch da, hatte den wilden Ruf »Mörder« aufgegriffen und baute augenscheinlich, dadurch angeregt, an seinem Roman weiter. Dabei beachtete er's nicht, daß ein paar Herren mit etwas schäbigen schwarzen Gehröcken sich an ihn herandrängten und in jammervollem dänischen Deutsch allerlei Persönliches von ihm wissen wollten. Hätte er's nur getan! Es waren Reporter, und schon am nächsten Morgen hätte Quäker-Oats einen literarischen Unterm-Strich-Triumph feiern dürfen. Aber sein Auge war geteilt zwischen dem Jan-und-Hannis-Duell einerseits – und einer liebreizenden dänischen jungen Dame andererseits. Diese war plötzlich in dem Menschenhaufen, der sich um die beiden Streithähne gesammelt hatte, aufgetaucht und hatte ihre, gefühlvoll und pikant wie zwei Kapern in ebenso vielen Teelöffeln sämiger Sauce schwimmenden, blaßblauen Augen auf ihn gerichtet. Und zwar mit dem Ausdruck höchster Verzückung.

Meine Frau bemerkte sie sofort und stieß mich an: »Sieh mal, Beowulf! Welch ein entzückendes dänisches Kind. In die muß man sich doch auf der Stelle verlieben.«

Sie hatte recht. Etwas Fraulicheres und Zierlicheres konnte man sich kaum vorstellen. Sie hätte mit dem zarten Oval ihres Gesichtchens, den graziösen Formen der Hände und Füße – die sonst bei den Däninnen eine bedenkliche Formatähnlichkeit mit den Göttingerinnen (der Heineschen Zeit) haben – und dem tadellosen jungfräulichen Wuchs ohne weiteres als Modell für eine Psyche dienen können, wäre der erforderliche Amor dagewesen. So wenigstens sagte Johnny Aasbaas, der die Kleine in einer Gefechtspause gleichfalls sofort aufs Korn genommen hatte. »Mensch«, flüsterte er mir ins Ohr, »wenn ich mal wieder 'ne klassische Gips- oder Bronzesache aufmache: die engagier ich mir. Das gibt ausverkaufte Häuser.«

Indessen hatte das hübsche dänische Fräulein für keinen von uns allen ein Auge, außer für Quäker-Oats. Und sofort durchzuckte mich der Gedanke: die ist für ihn die Passende. Wetter noch mal, wenn wir die so auf den Kutter locken könnten.

Inzwischen war das homerische Wortgefecht zwischen meinem Schildknappen Hannis und dem Bollmannschen Wappenträger »Djohann« lustig weitergesprudelt, saftig und schmierig wie schmutziges Seifenwasser, wenn in einer Dampfwäscherei der Hauptwäschekessel geplatzt ist. Denn die Kopenhagener Polizisten haben nicht die rohe Angewohnheit des Hamburger oder Berliner Schutzmanns: sogleich mit kräftiger Hand zuzufassen, wenn sich ein besserer Straßenkrakeel entwickelt, und dadurch dem Publikum die ihm durch die Natur verbriefte menschliche Schaulust zu verkümmern. Man merkt gleich bei den kleinsten Anlässen, daß man sich in einem liberal angehauchten Lande befindet. Hier ist der Schutzmann, wie das überall sein sollte, in erster Linie Mensch und Mitglied der Kopenhagener Bevölkerung – Beamter erst in durchaus zweiter. So hatten sich Hannis und »Djohann«, ohne daß die uniformierten Hüter der öffentlichen Ordnung ihnen wehrten, schließlich bei den Kragen gepackt, das Publikum einschließlich der Polizisten, die sich inzwischen in fast kaninchenartiger Weise vermehrt hatten, schloß einen Ring um das Paar, begann Partei zu nehmen und zu wetten. Der Kampf trat in ein ernstliches Stadium. Erbittert rangen die beiden Kämpen erst über dem Boden, dann auf ihm, und als das Gebilde ihrer Umschlingung, der Neigung der Straße zum Kanal hin folgend, ins Rollen kam, machten die an der Kanalkante stehenden Polypen so höflich, wie es nur der Kopenhagener Schutzmann fertig bringt, Platz. Im nächsten Augenblick lagen die beiden Ringer in den schmutzig-grünen Gewässern des Holmenskanals und fochten dort wie zwei um die gleiche Geliebte kämpfende Walroßbullen weiter, bis das kalte Wasser ihrer Hitze Abkühlung gebracht hatte. Dann schwamm jeder nach seinem Kutter und entzog sich durch Hinabtauchen in dessen Kulissen dem weiteren Beifallsgebrüll des Kopenhagener Stehparterres.

Nun wollten die Kopenhagener an Bord drängen, wahrscheinlich um die beiden Helden zu neuen Taten aufzustacheln. Jetzt endlich besann sich die Polizei, daß sie ihre hundertundzehn dänischen Kronen pro Monat schließlich nicht bloß für dekorative Wirkungen einsackte, und drängte das Publikum zurück. Nur die junge dänische Dame gelangte, gewissermaßen im Schatten Quäker-Oats', an Bord des Kutters. Sofort umringten wir sie und baten sie, unser Gast zu sein. Sie nahm es mit dankbarem Lächeln an, die Blicke ständig auf Quäker-Oats geheftet. Der schien sie durch seine Länge oder seine schwarze Quäkeraufmachung – die hatte er auch an Bord beibehalten – oder den Wallensteinisch-Don-Quichoteschen Gesichtsschnitt oder durch alles zusammen förmlich bezaubert zu haben. Man mußte an das Kätchen von Heilbronn denken, als es seinen Wetter vom Strahl erblickte. In der Kajüte bei schwedischem Punsch taute sie indessen auch für uns mittlere Geschöpfe auf. Sie hieß Bergliot Tyllskappen, was ein ihrem Beruf durchaus angemessener Name war, denn »Tyllskappen« heißt »Tüllhaube«, und Fräulein Bergliot war Direktrice in einem großen Kopenhagener Modewarengeschäft, augenblicklich aber, in der toten Saison, mit der Erschlagung ihres Sommerurlaubs beschäftigt. Besser konnte sich's wirklich nicht passen. Im Handumdrehn war sie als Pensionatsfräulein Nummer 3 angeworben. So, wenn Quäker-Oats nun nicht unter die Haube kam, dann konnten wir, seine Freunde und Freundin, unsere Hände in Unschuld waschen. Allerdings war es ja so gut wie sicher, daß Bergliot Tyllskappen auch in Kopenhagen zahlreiche Verehrer hatte, ja, sogar verlobt war. Denn sich ein Mädchen von solchem Liebreiz un verlobt vorzustellen: allein der Gedanke war schon eine Abgeschmacktheit. Aber als sie die Handschuhe von den entzückenden, schmalen, rosig benagelten Händchen herunterzog, um damit in unglaublich zierlicher Weise ein Stück Hamburger Keks zwischen die nelkenfarbigen Lippen zu schieben, war an den Fingern kein bindendes Ringlein zu bemerken.

»Wie?« rief meine Frau, die sichergehn wollte, »Hände wie diese sind unverlobt?«

Lächelnd versicherte Fräulein Bergliot: der Rechte sei noch nicht gekommen, und fügte in reizendem Deutsch-Dänisch hinzu: sie würde sich lieber einen Tand uttrekken lassen oder das ganze Aar (Jahr) mit Bygkornern paa Oejenen (Gerstenkörnern an den Augen) herumlaufen, als sich mit einem Kopenhagener verloben. Dabei sah sie wiederum Quäker-Oats schmelzend an. Quäker-Oats hätte ein vollkommener Stockfisch sein müssen – was er übrigens in mancher Hinsicht auch war – wenn er bei dieser ihm wie ein Geschenk des Kopenhagener Himmels in den Schoß fallenden Zuneigung eines der liebreizendsten Mädchen sämtlicher europäischen Hauptstädte in seiner sonstigen Sohllederzähe verharrt hätte. Bald war zwischen beiden das anregendste Gespräch im Gange. Es stellte sich heraus, daß Fräulein Bergliot in Mord- und Verbrechergeschichten noch weit mehr vernarrt war als ihre Konkurrentin Honeysnake, daß sie nie auch nur die geringste Zuneigung zu Männern unter sechseinhalb Fuß Größe verspürt hatte – kurz, eine solche Übereinstimmung an Sympathien zwischen zwei Menschen, wie sie gleich vom ersten Augenblick zwischen der heiteren jungen Dänin und unserm ernsten Freund zu bestehen schien, war geradezu eine naturgeschichtliche Merkwürdigkeit. Wir, meine Frau und ich, jeder mit unseren geheimen Hintergedanken, lauschten der spaßigen Unterhaltung, in der Bergliot vom Hundertsten ins Tausendste kam, und, während ihre Perlenzähne Biskuits knusperten und ihre nelkenroten Lippen schwedischen Punsch dazu schlürften, auf dänisch-deutsch allerlei Interessantes von sich berichtete: daß sie jedes Aar to Gange (jedes Jahr zweimal) til Paris reiserte, um die Pariser Kjolemagasiner (Konfektionsgeschäfte) auf neue Moden hin zu bestehlen, daß sie während ihrer Ferien an der See immer sövte (schliefe) wie ein ganzer Sack Kartofler, aber sonst nur so leise wie die Haren (Hasen) oder die Hanen auf dem Balken, daß Svineköd mit Grönärter und röde Gröde mit Flöde (Schweinefleisch mit grünen Erbsen und rote Grütze in Milch) ihre Leibgerichte seien, und sonst dieses und jenes. Plötzlich schrie meine Frau leise und unwillig auf. Auch ich war peinlich berührt. Quäker-Oats nämlich begann alle paar Augenblicke, wenn er sich unbeobachtet glaubte, Fräulein Bergliot hinter die Ohren zu schielen. Sie waren so rosig wie Marzipanschweinchen, und so klein, daß Hannis sie mit seinem Zeigefinger völlig hätte bedecken können, ohne daß auch nur der Muschelrand heraussah – und dieser Barbar von Quäker-Oats zweifelte augenscheinlich daran, daß diese Prinzessinnenohren ein Kopfstückchen von nicht genügender Sauberkeit bedeckten. Und was schrecklicher war: seine heimtückische Prüfung schien das Unglaubliche zu bestätigen. Quäker-Oats wurde plötzlich einsilbig, zurückhaltend, kühl – es war kein Zweifel, daß Fräulein Bergliots Ohren daran schuld waren. Gut, wenn dieser misogyne Oger ein Glück, um das ihn ein ganzer »Kürschner« voll Schauerromandichter und Kriminalgeschichtenverbrecher beneidet hätte, auf diese Weise unter seine plumpen Füße trampelte, so mochte er in seinem Stumpfsinn dahinfahren. Für mich war er erledigt, und für meine Frau natürlich in noch schmerzlicherem Sinne, denn sie verlor damit ihre Wette. Denn das war klar: ein Mensch, der sich mit diesem Mädchen nicht verlobte, würde es nie tun. Aber unser neuer weiblicher Gast, die Zierde und Krone des Kutterinhalts, sollte nicht darunter leiden. Wie Johnny der Honeysnake und gelegentlich auch Mejuffrouw Peperbus den Hof machte, so beschloß ich's mit dieser entzückenden Bergliot zu tun. Ganz einerlei, ob meine Frau dazu künstlich süße oder ehrlich saure Gesichter schneiden würde.

Ärgerlich verließ ich die Kajüte, um mich nach Hannis umzusehn. Der hockte in der Achterkajüte, die linke Hand um seine Trina, die rechte um ein ihrer Größe entsprechendes Glas Grog geschlungen, und beide beklönten sich von ihren späteren »Utsichten«. Ich hatte Hannis immer für einen ziemlichen Dösbartel gehalten, und er selbst war ja, wie man weiß, mit dieser Auffassung ganz einverstanden. Aber Hannis war gar nicht so dösig. Ich hörte, wie er seiner Trina den Plan entwickelte, später, sobald sie erst genügend Geld im Strumpf hätten, einen Kutter wie diesen zu ramschen und darauf eine fliegende »Köm- und Groginsel« zu errichten, natürlich nur für feinere und zahlungsfähige Leute von meiner spleenigen Geistesverfassung. »Du sollß man moal sehn, Trina«, sagte er, »das wird 'n glänßendes Geschäf. Arbeid is twars för Armood god, aber ich bün doch mehr für so'n lütten Bullen (kleines Schiff), mit 'n Träsen da in und 'n Faß Bier daunter und 'ne Reihe Köm- und Rum- und Feffermüns- und Bittern- und Lukas Bols- und anncre Buddels auf das Rejool. Das sünd für meine Konstitutschon die besten Arbeiters. Sollß mal sehn, all mit der Tied kummt Jan int Wamms un Gretjen in 'n Rock. – Aber Junge, Junge, wenn ich an diesen Jan denke. Unter Water hätt' ich das Aas halten sollen, daß er abgebuddelt war wie 'ne Katt im Sack. Ich glaub das jetzt gans gewiß: der un kein anner hat in den Kudder das Loch reingebohrt, das mir beinah mein Fünger gekoß hat – ich hab' da seit Helgoland so 'n Gissen (Ahnung« auf wie auf die ewige Seligkeit, man bloß daß idi ihn das nich beweisen kann. Trina, das war was, nich? Denn hätten wir mit eins sekshunnert Mark mehr, hunnert von meinem verrückten Baas (das war ich) un fünfhunnert von Bollmann – denn könnten wir uns fortsen (sofort) auf unse swümmende Köminsel besetzen.«

»Wie kommst du auf Bollmanns ›Djohann‹ als Attentäter, Hannis?« rief ich, unvermutet in die Tür tretend. Hannis stieß vor Schreck das mit glühend heißem Grog gefüllte Glas um, der Inhalt floß über Trinas liebevoll um Hannis seinen Bauch geschlungene Arme, und mit: einem Jammergeschrei sprang sie auf. »Der schöne Grog!« rief Hannis bedauernd, »ne, Herr Koptain, was hab' ich mir verjaagt. – Aber mit diesen Jan! Mi kanns du woll entloopen, awer unsert Herrgott nich, sä de Bur, as de Foß mit de Goos utkneep – so wird die himmlische Gerechtigkeit auch noch mal über diesen Sweinigel von Jan ßu Gerich sitzen. Un das soag ich, Herr Koptain.«

»Ja, ja«, sagte ich ungeduldig, »aber wie bist du darauf gekommen?«

»Doch man so«, erläuterte Hannis seine Verdachtsgründe. »Ich denk so bei mich, einer muß es dja gewesen sein. Un wenn es anders kein gewesen is, woarum sollt es denn nich Jan gewesen sein?«

»Ich glaubte ein paar Augenblicke, du wärst kein Döskopp, Hannis«, sagte ich ärgerlich, »aber du bist doch einer. Natürlich ist's 'n Finkenwärder gewesen. Das ist doch ganz klar. Das ist doch das Nächstliegende.«

Aber Hannis schüddköppte wie immer, wenn ich einen seiner geliebten Finkenwärder Gemeindegenossen des Verbrechens beschuldigte.

»Das kann ja ganz gut sein, Herr Koptain«, sagte er, »man das is nich andern. Da leg ich meine Hand für ins Füer. En Hambörger hat zwoars mal gesoagt: Gott schuf die Finkenwärders ßuletzt, aber se sünd ook darnah, aber das is ja die pure Tühnbüdelei. Was ein richtigen eingebornen Finkwärder is, tut sowas nich. Un wenn er's doch täte, denn wüßten das in 'n Handumdrehn alle annern Finkwärders, un meine Mudder ganz gewiß ßu allererst. Doarum soag ich as Ummer: entweder ein von die frommen (fremden) Knechten hat das getan, oder dies schulsche Aas von Jan.«

»Aber Jan ist doch auch 'n Finkenwärder«, wandte ich ein.

Hannis machte eine Handbewegung, um die ihn jeder Charakterspieler beneidet hätte.

»Das schieb ich w-e-i-t von mir und von uns andere Finkwärders ab, Herr Koptain. Ne, Jan is mal 'n Finkwärder gewesen. Als er von Finkwärder weggegangen is, hat er sich mit große Verachtung von die Finkwärders abgesworen: sie wären Butzköppe und Dösköppe und Dwarsdreibers und was nich all. Von so 'n Vogel, der sein eigen Nest besmutz, wolln wir übrigen Finkwärders nix mehr wissen. – Un gewesen is er das doch, Herr Koptain.«

Hannis' Beharrlichkeit machte einen gewissen Eindruck auf mich.

»Gut«, sagte ich. »Weil einer es muß sein, so sei's meinethalben Krischan Bollmanns »Djohann'. Aber, Hannis, wir müssen es rauskriegen. Wir müssen's beweisen können. Wenn du das fertig bringst, kriegst du nicht nur meine hundert und Bollmann seine fünfhundert Mark, nein, ich schenke dir auch, sobald ich die christliche Seefahrt auf diesem schönen Kutter müde bin – ach, ich glaube, das wird bald kommen; ich bin schon jetzt mit meinen Kräften fertig –, dann also schenke ich dir auch noch den Kutter dazu. Nicht, Hannis, nicht, Trina, das war was, wenn der verrückte Baas sowas täte? Dann könntet ihr euch fortsen auf eure swümmende Köminsel besetzen und soviel kleine Ketelschrapers in die Welt befördern, daß die kaiserliche Marine in zwanzig Jahren zehn Panzerschiffe mehr auf Stapel legen kann.«

Hannis sah Trina an. Trina sah Hannis an. Dann sehen beide mich an, und Trina rief:

»Och, Herr Doktor, künnigen Sie uns bloß nich. Mein Hannis hat das nich so gemeint. Er hat das man so rausgeschlagen.« Und zu Hannis gewandt: »Du alter Dösbartel, wie kanns du unsen Herrn verrückten Baas schimpfen, wenn er hinter die Tür steht und lüstert zu. Annermal mach erst die Tür zu und snack 'n büschen leiser, wenn du mich deine hochverräterischen Geheimnissen in die Ohren pussen mußt.«

Ich beruhigte nun Trina und ging nachdenklich wieder nach vorn. Wie konnte man im gegebenen Fall diesen hinterlistigen Jan überführen? Ob es zulässig war, die Polizei auf diese Spur hinzulenken? Aber die hatte ja angeblich schon eine gefunden. Mißmutig zählte ich's jetzt an den Knöpfen ab: Jan – ein Finkenwärder – Jan – ein Finkenwärder – aber das ging auch nicht auf. Denn an meiner Jacke war ein Knopf abgerissen, als ich das Endergebnis ziehen wollte. Sollte ich den mitrechnen oder nicht?

Da kam Johnny Aasbaas herein, ein Bündel Briefe in der Hand. Er hatte die Post geholt. Einer trug einen Polizeistempel. Ich öffnete ihn. Er enthielt die Mitteilung: Der Attentäter sei entdeckt. Und zwar habe er sich, angeblich von Gewissensbissen getrieben, selbst gemeldet. Es sei ein von seinem Fischer weggejagter norwegischer Knecht, Morten Leverpölse mit Namen. Als Ausländer habe man ihn sofort in Nummer Sicher gesetzt. Die Akten seien bereits der Staatsanwaltschaft zugegangen. Es sei ein Schwurgerichtsfall. Weitere Benachrichtigung werde mir vom Gericht aus zugehen.

Ich atmete auf. Also wegen dieser Sache konnte ich beruhigt sein. Vor allem auch wegen meiner hundert Mark. Denn da der Täter sich selbst angegeben hatte, waren die natürlich bar gespart. Das war also das, was der Waterkantmann »'ne lüttje Beruhigung« nennt.

Lachend gab ich Johnny das Schreiben. Der las es auch. Sehr bedächtig. Wandte dann den polizeilichen Briefbogen um. Auf der anderen Seite stand eine Nachschrift, die ich übersehen hatte.

Auch Johnny Aasbaas lachte jetzt. Lachte sein weltenerschütterndes Aasbaaslachen, das sofort die ganze Kutterinsassenschaft auf die Beine brachte. Sogar die von nebenan: Krischan Bollmann und seinen Bestmann Jan.

»Nicht wahr?« rief ich vergnügt. »Über so 'nen norwegischen Dorschkopp kann man doch lachen?«

»Ich lache nicht über Morten Leverpölse«, erläuterte Johnny seine ungeheure Heiterkeit. »Ich lach über Sie, lieber Freund. – Dieser Morten Leverpölse ist lange kein Dorschkopp. Aber Sie werden jetzt das Maul so schief ziehn wie 'n Dorsch. Er verlangt die hundert Mark Prämie, schreibt die Polizei, weil er es gewesen ist, der den Täter so namhaft gemacht hat, daß man ihn gerichtlich belangen kann.«

Es war gut, daß Hannis, der hinter mir stand, in diesem Augenblick mein Gesicht nicht sehen konnte. Das hätte ihm manchen ihm von mir gewidmeten »Döskopp« nachträglich versüßt.

»Das ist ja Unsinn, Johnny«, rief ich, grimmig wie ein Haifisch über die Unverschämtheit dieses norwegischen Schiffsbohrwurms. »Wie kann ich einem Banditen, der meinem Kutter, Ihnen und Quäker-Oats nach dem Leben getrachtet hat, auch noch 'ne Prämie bezahlen! Ich wäre ja für den ›Simplizissimus‹ reif, wenn ich's täte.«

»Tscha!« sagte Johnny, »das wird 'ne ganz interessante Rechtsache. Dadurch werden Sie viel berühmter werden als durch Ihre Romane. Und nun gar erst Quäker-Oats. Den kann man ja geradezu beglückwünschen. Wenn erst im Gerichtsbericht steht: Als Kronzeuge wurde der ›bekannte‹ (das schreibt der Zeitungskuli sofort dazu, wenn Quäker-Oats ihm 'n Fünfmarkstück in die Hand drückt) Schauer- und Kriminalschriftsteller Timotheus Greulich aufgerufen, subskribieren sofort alle im Gerichtssaal anwesenden Kökschen und Fischweiber auf sein neuestes Werk.«

»Johnny, Sie haben schon bessere Witze gemacht«, rief ich ärgerlich.

Aber Johnny fuhr unbeirrt fort: »Einer aber segelt unbedingt dabei hinein.«

Johnny hatte bereits so laut gesprochen, daß man ihn bequem im großen Börsensaal jenseits der Straße verstehen mußte. Jetzt aber erhob er seine Stimme so gewaltig, daß sie unbedingt vom Königs-Neumarkt bis zum Rathausplatz vernehmlich war, und fuhr fort, zu dem an Deck seines Kutters stehenden Bollmann gewandt:

»Das sind Sie, Herr Bollmann. Hrrupp! Dja! Denn zwischen Ihnen und uns ist es wörtlich abgemacht: wenn's binnen Jahresfrist rauskommt, wer den Kutter angebohrt hat, zahlen Sie fünfhundert Mark an jeden Interessenten: also je an mich, Herrn Dr. Eck und Herrn Timotheus Greulich. Und fünfhundert Mark in die Armenkasse. Und an den Matrosen Morten Leverpölse natürlich auch noch fünfhundert. Macht zusammen zweitausendfünfhundert Mark. Hrrupp! Dja! Nu also man mit den fünfzehnhundert Mark für uns drei raus aus den dicken Büxentaschen. Über die fünfhundert für die Armen können Sie uns ja später die Quittung zuschicken. Und die fünfhundert für Leverpölse schicken Sie ans Gericht. Dja. Hrrupp.«

Mochte mein Kopf vorhin mit einem Dorsch Ähnlichkeit gehabt haben, so glich Krischan Bollmann mit seinem dicken Kopp in diesem Augenblick unbedingt einem Pottwal größter Sorte. Einige Sekunden lang glaubten wir alle, der Schlag würde ihn rühren. Dann aber brach er los wie eine ganze Büffelherde, die in der Angst vorm Tiger im Galopp durch einen Sumpf galoppiert:

»Ihr seid djawoll verrück alle mütnanner. Wie kann ich meine Wette verlorn hoaben. Da kann dja jeder Spitzbube kommen und behaupten, daß er der Schubbjack gewesen is. Das muß er auch beweisen könn. Un wenn er das nich kann, dennso bessoahl ich keinen Fennig. Hrruupp!«

Damit verschwand Krischan Bollmann in die Kajüte. Denn diesmal ging das ganze Gelächter auf seine Kosten. Aber Johnny rief ihm nach:

»Das Geld werden wir Ihnen schon abknöpfen, lieber Bollmann. Das kriegen wir so sicher, wie Sie mal, und zwar hoffentlich bald, Jan Klapperbein. Und an den beiden Tagen sup ick mi eenen an. Dja. Adjüs auch vielmals, Herr Bollmann! Hrruupp!«

Hannis aber sah mich mit einem Blick an, in dem Überlegenheit, Verzeihung, kurz, alle milden und schönen Gefühle der menschlichen Seele vereinigt lagen, und sagte:

»Na, Herr Koptain, hab ich nu nich Rech gehab? Is es nu nich doch so 'n frömdlandschen Swinegel gewesen? Djoa, das hoab ich mich gleich gedenk, aber Herr Koptain wollte das dja mit Gewalt auf einen von uns blutehrliche Finkwarders schieben.«

Und mit wehmütiger Stimme fuhr er fort: »Aber mit den Kudder, wenn Herr Koptain mal von die chrißliche Seefoahrt abwill, is das nu woll nix, nich? Na, vülleich laß uns Herr Koptain ihn in billigen Pacht? Viel wert is das alte möre Oesfatt (mürbe Wasserschaufel) ja ohnehin nich.«

»Hannis!« fuhr Trina politisch auf ihren »Brögam« los. »Wie kanns du Herr Koptain seinen schönen Kudder ›möres Oesfatt‹ schimpen?!«

Aber ich hatte das geringschätzende Wort überhört.

»Du sollst ihn haben, entweder geschenkt oder in Pacht. Ich muß erst mal sehn, wie die Sache mit diesem norwegischen Schandkerl läuft. Dem muß ich vielleicht hundert Mark zahlen. Kriegen tu ich von Bollmann fünfhundert Mark. – Also barer Verdienst vierhundert Mark. – Ja, Hannis«, sagte ich beruhigt, »ich verspreche dir den Kutter, mindestens für ganz billige Miete. Und zwar schon, sobald diese Reise zu Ende ist«, schloß ich nach einigem Überlegen. »Er geht mir schließlich doch zu sehr auf die Nerven.«

»Hiphiphip hurra für Herr Koptain!« juchte Hannis und gab seiner Trina einen Puff in den Rücken. »Deern, gröl doch mit! – Dafür soll Herr Koptain auch immer freie Szeche bei mich haben, und wenn er sich so bedudelt, daß ich ihn auf 'n Schuwkoar nach Haus foahren muß.«

Inzwischen hatte Johnny Aasbaas die für ihn bestimmten Briefe durchflogen. Auch ihm schien die Heimat Nachrichten seltsamer Art gesandt zu haben. Denn er stieß plötzlich einen schweren, auf einen mit jungen Damen besetzten Kutter unbedingt nicht hingehörigen Fluch aus.

»Nanu, Johnny? Was ist Ihnen in die Butter gehagelt?« fragte meine Frau teilnehmend.

»Meine Alte will kommen«, stieß Johnny hervor, mit einem Gesicht, als hätte er zum Frühstück einen Topf voll Mäuse verschluckt.

»Das ist ja ganz reizend«, rief meine Frau vergnügt aus.

»Ja, für andere Leute wohl. Aber nicht für mich. Aber es wäre schließlich nicht viel dabei, wenn sie allein käme. Sie bringt ihre Schwester Adelgunde mit.«

»Das wird ja immer netter«, rief meine Frau, in die Hände klatschend. »Johnny, Ihre alte Liebe. Das wird gefeiert.«

»Mir ist aber gar nicht feierlich zumute«, knurrte Johnny wütend. »Ich bückle aus. Und meine alte Liebe?! Dank vielmals. Viel eher war es Quäker-Oats seine.«

»Unsinn. Nun wird der Feez erst schön. Wir suchen ihr in Kopenhagen 'nen Mann.«

»Ja, aber das müßte denn 'n kohlpechrabenschwarzer sein, 'nen andern nimmt sie nicht. Die ist in Amerika so fromm geworden wie die Königin von Saba. – Und sie kommt auch nicht, um sich 'nen Mann zu suchen. Sie will mir auf die Pelle. Sie will mich einharken. Ich soll wieder familienfromm werden. Und gerade jetzt, wo man zwischen drei hübschen jungen Damen so recht im Honigpott sitzt.«

Ich fühlte mich verpflichtet, Johnny beizustehen, denn ich hatte ihn ja gewissermaßen auf den Poussier- und Liebespfad gehetzt.

»Johnny«, sagte ich halblaut, »verlassen Sie sich auf mich. Ich bin wegen der Honeysnake in Ihrer Schuld. Die Reverendswitwe soll Ihnen durch Ihre ideale Strohwitwerschaft keinen Strich machen. Dafür lassen Sie mich nur sorgen.«

»Oho«, rief meine Frau, »schon wieder ein Komplott. Aber meine Wette gewinne ich doch.«

»Diesmal nicht«, versetzte ich zweideutig. »Ich gehe mit dir vollkommen einig, wie der ehrbare Hamburger Kaufmann sagt. Ich bin auch dafür, daß wir Adelgunde verloben.«

»Das wird ja der reine Verlobungskutter«, bemerkte Johnny halb lachend, halb grämlich.

»Und es sollte doch eigentlich ein Romankutter sein«, gab Quäker-Oats seinen nachdenklichen Senf dazu. »Ich für meinen Teil denke mich« – hier warf er meiner Frau den bewußten neckischen Franz-Pfordte-Blick ›Hasch-mich-du-fängst-mich-doch-nicht‹ zu – »an keinerlei Verlobungsaktionen beteiligen, so sehr es auch eine gewisse von mir sonst hochverehrte Dame kränken mag. Ich muß arbeiten, arbeiten, arbeiten. Sehen Sie« – er zeigte ein wahres Ungeheuer von einem Brief –, »diese Jeremiade, dieses Aktenstück voll schwerster Vorwürfe sendet mir mein Freund und Verleger Gottlieb Backpflaume, weil ich ihm bislang noch keinen Viertel Druckbogen Manuskript geschickt habe. Von heute aber ist Schluß mit Wein, Liebe und Sang. Das Leben und die Literatur treten in ihre Rechte.«

Aber meine Frau rief mit einem neckischen, vielsagenden Blick auf Miß Honeysnake: »Quäker-Oatschen, Quäker-Ooatschen, ich fange Sie doch noch.«


 << zurück weiter >>