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Mejuffrouw Peperbus

Wir Insassen der »Scholle« waren durch die verschiedenen auf den kurzen Raum eines Vormittags zusammengedrängten Gemütserschütterungen und -entspannungen gewaltig hungrig geworden. Trina war durch den Anblick so vielen geliebten Blutes und meine Frau durch ihre Ohnmacht außerstande zu kochen, ganz abgesehen davon, daß auch unsere Proviantvorräte anscheinend den Weg des übrigen Kutterinventars gefunden hatten. Wir waren froh, als uns Schipper Hendrik Peperbus und sine Fru einluden, ihr frugales Frühstück zu teilen. Es war aber gar nicht so frugal. Mejuffrouw Peperbus steckte augenscheinlich dahinter. Wir und unser Kutter schienen ihr ungemein zu gefallen, besonders Timotheus Greulich. Unsere englische Akquisition dagegen gar nicht. Das hatte ich sehr bald heraus. Ich bat die sympathische fette Willemmintje, meine Tischdame zu sein und beschmuste sie bei dieser Gelegenheit, ohne meine immer noch aufs unbegreiflichste in die Honeysnake vernarrte Frau um Erlaubnis zu fragen, für eine längere Kutterpartie.

»Ik dank u vriendelijk«, lächelte sie fett und liebenswürdig. »Wohin werden Sie fahren? Bedien u! (Bedienen Sie sich!) Een Stuk Ossenvleesch?«

»Helgoland, Kopenhagen, Stockholm, Petersburg, Christiania, Nordkap«, log ich, um den Köder recht saftig zu machen.

»O welke schoone Plekken!« rief Willemmintje mit so viel Begeisterung, wie eine Holländerin überhaupt aufbringen kann. »Bedien u! Een Stuk Schapenvleesch? Schafenfleisch is in Holland een seiden Spiis.«

»In Deutschland nicht, Mejuffrouw«, sagte ich. »Vom Nordkap fahren wir nach Schottland, England und von da nach Deutschland zurück. Na wie ist's? Wollen Sie mit?«

»Wat kost het?« erkundigte sich Willemmintje. »Bedien u! Eeen stuk Ruiken?«

Damit legte sie mir gleich ein halbes Küken auf den Teller. Allmählich begriff ich, warum die Holländer von allen Nationen die fettesten sind.

»Für Sie nichts, Mejuffrouw«, tuschelte ich. »Nur müssen Sie mir einen Gefallen tun. Die englische Miß ärgern wo Sie nur können. Damit sie möglichst bald von Bord gegrault wird. Sie müssen nämlich wissen: meine Frau hat sich in sie verliebt und will sie mit meinem Freunde Greulich verheiraten.«

»Oooooo!?« rief Willemmintje so laut wie ein holländischer Domine auf der Kanzel. »Dieses afschuweliche, unbeschuwte engelsche Spook? – Bedien u! Een stuk Steur (Stör)?«

»Sie haben recht«, sagte ich lachend. »Sie ist wahrhaftig 'ne Handspake, und so benimmt sie sich auch.«

»Nein, niet Handspake. Gespons. – Bedien u! Een stuk Edamer Kaas?«

»Gespons? Das will sie ja werden, auf Unkosten unsres Freundes. Sie meinen Gespenst.«

»Ooooja«, bestätigte Mejuffrouw Peperbus lächelnd. »Gespenst wollte ik seggen. Es entbrecht mir noch an Ufening in de duitsche Sprak. – Bedien u! Een stuk Eendvogel?«

Wie vorhin die Stücke Ochsenfleisch, Schöpsenfleisch, Küken, Stör, Edamer Käse, packte mir Willemmintje eine halbe Ente auf den Teller. Ich glaube, wenn ich die auch noch gegessen hätte, hätte mir das Bein wie bei Max und Moritz aus dem Mund herausgestanden.

Inzwischen aber, da Fräulein Wilhelmine so redete, als ob Miß Honeysnake überhaupt nicht an Bord der Kuff anwesend sei, war diese aufmerksam geworden und schoß einen ihrer angelsächsischsten Blicke zu Willemmintje herüber.

»Ist es ich, wuäs Ssie meinen mit ›engelsche spook‹?« fragte sie.

»Ooooojaaa!« versicherte Willemmintje ohne eine Spur Verlegenheit.

»Und mit ›afschuwelich‹?«

»Oooooojaaa!«

»Und mit ›unbeschuwt‹?«

»Oooooojaaa!«

»Und vuielleicht mit ›Ossenvleesch‹, ›Schapenvleesch‹, ›Stör‹ und ›Eentenvogel‹ auch noch?«

»Oooojaaa!« bestätigte Mejuffrouw Willemmintje, obwohl es gar nicht wahr war. Dann wandte sie sich an mich, lächelnd wie ein ganzer, saftiger, holländischer Schinken:

»Ist es so recht, mijnheer?«

Ich tat, als ob ich's nicht verstände, trat ihr aber vergnügt und zartfühlend auf den Fuß.

»Au!« rief Willemmintje. »Mijnheer, warom stappen Sie op minen Fuut?«

»Ich kann es mir schon denken«, rief meine Frau, mich zornblitzend ansehend.

»And so I«, schloß sich Miß Honeysnake an. »O, Miß Peperbus und Mister Eck, wuie können Ssie über däs Tisch und unter däs Tisch ßo sprechen von eine Lady gleich mich. Mein Großvater war ein Baronet und meine Mutter wuar die Tochter von ein indischen Rädjäh –«

»– en mijn Grotvader was en Bakkermeester, en mijne Muder was de Dochter van eenen Slagermeester, en mijn Vader is een Schipper, en mijn Mann is –« hier schnappte Willemmintje plötzlich lächelnd ab, und Miß Honeysnake schoß ein: Mejuffrouw Peperbussens Mann würde jedenfalls ein Grachtenreiniger sein, falls sie einen hätte, aber da es bei ihren unliebenswürdigen Eigenschaften ausgeschlossen sei, daß sie jemals einen bekomme, so brauche sie sich darüber ja nicht weiter den Kopf zu zerbrechen.

Es war klar, daß sämtliche Beteiligten, die mit größter Aufmerksamkeit und innigem Vergnügen dieser Unterhaltung zwischen den beiden jungen Damen gefolgt waren, mit ihren Zuneigungen auf der Seite der wohlgenährten, ungenierten kleinen Holländerin standen – ausgenommen natürlich meine Frau und in gewissem Sinne Quäker-Oats. Da es nicht anging, an Ort und Stelle heftig zu werden, winkte sie mich nach draußen, wusch mir hier gehörig den Kopf, übte an Mejuffrouw Peperbus die unbarmherzigste Kritik, ließ Miß Honeysnake dagegen in dem ganzen Glanze ihrer Abstammung und sonstigen englischen Vorzüge strahlen und schloß mit den Worten: es sei gut, daß die Bordgenossenschaft mit der holländischen jungen Dame nicht länger als bis Helgoland dauere.

»Da irrst du dich, mein Schatz«, erwiderte ich, mich innerlich stark machend, »ich habe sie eben als Reisebegleiterin Nummer 2 angeworben.«

»Das ist ein Komplott«, schrie meine Frau auf. »Ich merk's schon: ihr wollt meine Pläne durchkreuzen. Johnny Aasbaas hat Miß Honeysnake vorhin in einer Weise den Hof gemacht, daß sich vor Scham die Balken bogen. Er erzählte ihr unter anderm von seinem Auftreten als Bronzemensch und fragte sie: ob er sie nicht engagieren dürfe – eventuell als Geliebte –, sobald er ein neues Hamburger-Dom-Ensemble zusammenstelle –«

»Wahrscheinlich als eine der Erinnyen oder Eumeniden«, schob ich geschwind ein. »Es ragt das Riesenmaß der Leiber und so weiter. Dazu würde sie großartig passen.«

»Natürlich gab sie ihm eine Antwort wie ein Dolchstich. Aber im Ernst: ich bitte mir fair play aus. Sie ist tatsächlich die vom Himmel für Timotheus geschaffene Frau. Und die Einladung an Mejuffrouw Peperbus wird rückgängig gemacht.«

»Im Gegenteil«, beharrte ich. »Am liebsten engagierte ich die übrigen sechs kleinen Peperbusjes noch dazu, damit sie dies englische Scheusal quälen, pisacken, mit Stecknadeln in die Beine stechen – ich fürchte allerdings, sie werden nicht hinein gehn – oder sonst weggraulen.«

»Das wird sich finden«, rief meine Frau. »Und Quäker-Oats kriegt sie doch.«

»Ich setze auf Mejuffrouw Peperbus«, stänkerte ich dagegen. »Wir können ja wetten.«

»Topp. Um was?«

»Um das Hochzeitsgeschenk. Verlierst du, machst du's, gewinne ich, so macht's selbstverständlich der hineingefallene Teil.«

»So soll's sein«, bestätigte sie. Und wir begaben uns wieder auf den Gefechtsschauplatz. Das Turnier zwischen den beiden jungen Damen war noch flott im Gange, und wir hörten gerade, wie Mejuffrouw Peperbus sagte: und wenn Miß Honeysnake es auch sieben Jahr lang bestritte, nie in Holland gewesen zu sein, so behauptete sie, Willemmintje, doch das Gegenteil. Noch ganz kürzlich habe sie sie in Amsterdam gesehen, und sie irre sich nicht. Denn eine weibliche Person mit einer solchen Steckbrieffigur und -gesicht gäbe es auf der Welt nur einmal. Die Giftigkeit, in die Miß Honeysnake bei dem beleidigenden Wort »Steckbrieffigur« ausbrach, ist nicht zu beschreiben. Ich glaube, wenn der wie ein Schießhund aufpassende Johnny sie nicht am Kleid festgehalten hätte, wäre sie wie eine Mutter Gottes-Heuschrecke über den Kajütstisch gehüpft und hätte Mejuffrouw Peperbus (nach Art dieser Insekten) den Kopf abgebissen. So aber tobte sich ihr Grimm in Worten aus, und sie schloß: wenn sie nicht meine Frau und ihren Lebensretter Greulich so unermeßlich verehrte, würde sie ohne weiteres über Bord springen und – in Kleidern selbstverständlich, und zwar in weiblichen, nicht in so unsittlichen Unaussprechlichen wie die Peperbus sie trüge – nach ihrem geliebten Vaterland, das sie nie hätte verlassen sollen, zurückschwimmen.


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