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XIV. Bilder aus Italien.

1862–1868.

Du Land der Schönheit, wo durch Pinienkronen
Die Rebe wuchert, wo zum ewig blauen
Gewölb des Himmels die Paläste schauen,
Und Rosen blühn auf Söllern und Balkonen.

Es haben längst die Völker aller Zonen
Gekämpft um deine Paradiesesauen,
Um deine Tempel, deine wettergrauen
Meerstädte, die am Felsgebirge thronen.

Wer dich gesehen, o dem altert nimmer
Das Herz im Busen, o dem bleibt ein Schimmer
Von Jugendglück und reinster Lebenswonne;

Und wenn im Herbst die Nachtigallen ziehen,
Faßt ihn das Heimweh, und er möchte fliehen
Hinüber nach Italiens gold'ner Sonne.

Auf meinen Reisen durch Italien, wobei ich fast immer das Glück hatte, von trauten, mitempfindenden Freunden begleitet zu sein, entstanden die hier gesammelten Bilder. Man erwarte keine Reisebeschreibung; es sind nur lose Skizzen, an Ort und Stelle in der Stimmung entworfen. Mit Absicht enthielt ich mich beinahe jeder Besprechung der Kunstschätze Italiens; hierüber wurde seit Winckelmann schon des Trefflichen genug gesagt. Für den nach Italien Reisenden möchte ich noch bemerken: vor allem nimm Jacob Burckhardt's Cicerone, eine Anleitung zum Genuß der Kunstwerke Italiens, mit über die Alpen, sodann einen Plaid und möglichst wenig Gepäck; Kleider und Schuhe kaufe im Lande selbst. Fangen die Gewänder zu kümmern an, so lege sie unter dem Jubel der Bevölkerung auf die Straße und lege dazu noch jene unnötige Angst, die, durch Zeitungen und Handbücher heraufbeschworen, sich als böser Alp dem in Italien reisenden Deutschen so gern auf die Schultern hängt und die Anmut seiner Bewegungen lähmt.

Abfahrt.

Den Boden teilt gewaltsam
Der Quellen muntrer Chor,
Es drängt sich unaufhaltsam
Im Baum der Saft empor.

Das Mark der Erde strebet,
Bis daß es selig blüht,
Und mit dem Adler schwebet
Darüber mein Gemüt.

So schön war der Frühling noch nie, wie diesmal in Stuttgart. Ueber Nacht sind die Buchen und Eichen grün geworden, und schauen rings von den Bergen fröhlich in die Stadt herein. Und alle Obstbäume blühen im Thal und erfüllen mit ihren silbernen Kränzen die Schluchten, die zwischen den Rebenhügeln zum Wald hinansteigen. Gegen Süden, wo kein Wald steht, dehnen sich bläulich spielend weite Flächen und locken in traumhafte Fernen.

O Frieden in der Frühe,
Wie singen die Vögelein!
Es bricht durch den dämmernden Nebel
Die Sonne mit sanftem Schein.

Es bilden sich Wolkenbilder
Am Himmel silberrein,
Und ziehen weiter und weiter
In die jauchzende Welt hinein.

Mit ihnen darf ich ziehen, das liebliche Neckarthal entlang. Schon winkt zur Linken der erhabene Hohenstaufen. Durch den tiefen Riß des Geislinger Thales, wo Burgtrümmern gleich die hohen zernagten Kalkfelsen über die buchengrünen Schluchtengehänge steigen, zieht sich die Bahn hinauf zur Hochfläche der schwäbischen Alb, zur rauhen Alb. Ein merkwürdiges, abgeschiedenes Land, Auf magerem, steinigem Grund breiten sich weite Weiden aus, wo vereinzelte alte Buchen zwischen Trümmergesteinen stehen. Allerorten senken sich hier auf dem feinen Rasen Erdfälle, trichterförmige Vertiefungen, ein. In der Mitte haben sie zuweilen eine Oeffnung, und Steine, die man hinabwirft, fallen erst spät und dann weithin dröhnend auf und verkünden, daß man hier über ein Gebirg von hohlem Leibe wandelt. – Schon glänzen hinter den flachen Moorthälern und einsamen Tannenhorsten Oberschwabens die Schweizeralpen herauf und ihnen zu Füßen dehnt sich in letzter Abendglut, gewaltig wie das Meer, der Bodensee.

Friedrichshafen.

Ich lag und schlief und schlief recht mild,
So schläft nur der Gerechte,
Da riß mich aus dem Schlummer wild
Ein wütend Hausgeknechte.

Der Arge wollte schon um Vier
Des Herren Stiefel haben,
Doch strahlend wichste er sie mir,
Und so verließ ich Schwaben.

Auf dem See ist großartige dämonische Gewitterbeleuchtung. Ueber den flachen deutschen Rand, hangen trübrote Regenwolken in langen Streifen herunter; ganz dunkel tritt der See durch die leuchtende Dämmerung. Drüben aber liegen die Alpen in klarster Ruhe, wie eine Reihe von echten Königen. Der Wind wird immer heftiger, auf allen Wellen tanzen die weißen Schäfchen; Springbrunnen gleich stäuben die Spritzwellen am Hafenstrand empor! Aber der Sturm in mir ist doch noch fürchterlicher. Meine Koffer sind verladen! Drüben auf dem Schiff, das nach Romanshorn geht, schaukeln sie lustig dahin.

Mög' der Himmel dir genaden,
Deine Koffer sind verladen,
Wehe, wehe, weh!
Du schwimmst hüben,
Und sie drüben,
Auf dem Bodensee.

Viele Dutzend grauer Säcke
Stehen stumpf auf dem Verdecke,
Und so stehst auch du,
Siehst nicht wie die Schweizeralpen
Dich umlagern allenthalben
In erhabner Ruh.

Starrer stets wird deine Miene,
Stärker stets pocht die Maschine,
Sturm zieht auf mit Wut!
Einen Sänger ohne Kehle,
Einen Körper ohne Seele,
Wirft dich aus die Flut.

Chur.

Nichts ist schroffer
Als ein Koffer.

Und so muß ich im großartig beengenden Chur warten, bis das verladene Gepäcke kommt. Da ging ich die Thalschlucht hinauf, die noch in der Stadt linker Hand auf das Rheinthal hereinbricht. Ein großes graues Bergwasser stürmt rauschend hindurch. Ich ging hinauf, bis dahin, wo über den riesenhohen Felsabhängen die Sennhütten einsam stehen auf den grünen Alpenwiesen. Crocus, Gentianen, Primeln und alle die andern schönen farbigen Alpenfrühlingsblumen blühen. Unten in der Schlucht reißt sich immer wütender der Gießbach durch Felsen und Gerölle. Zwischen den in ihrer Schlichtung abenteuerlich, wurzelartig verdrehten Gneis- und Glimmerschieferwänden steht der üppigste Wald: Lärchen, Tannen und Laubholzbäume. Ich wollte einen der Berge ersteigen, doch immer wieder warf sich ein jähes Thal zwischen mich und den Gipfel; wie gehetzt von einem bösen Geiste quäl' ich mich ab, Wildbäche überspringend, mit Händen und Füßen mich im Tannendickicht emporreckend; der Gipfel scheint langsam rückwärts zu treten. Endlich auf freier Kuppe sitzt, wie ein Engel vom Himmel, ein »Luftbadegast« und sonnt sich.

Luftbadegastes Gedanken.

Regenschirm liegt neben mir
Auf der Felsenkuppe,
Als Stillleben geben wir
Eine hübsche Gruppe.

Wie im Wald hier keine Spur
Vom geringsten Schwanken,
Unterband mir meine Kur
Sämtliche Gedanken.

Soll nicht mehr ins Tagebuch
Leichte Lieder dichten,
Schlürf' dafür den Harzgeruch
Von zehntausend Fichten.

Nicht verrostet, nein verharzt
Ist sogar mein Lieben,
Gestern hat es mir der Arzt
Ebenfalls verschrieben.

In den blendendsten Flanell
Ward mein Leib gewickelt,
Daß daran jedwede Stell'
Vor Genesung prickelt.

Viele Aerzte gaben mich
Wirklich schon verloren,
Aber sieh, schon öffnen sich
Wieder meine Poren.

Ja, befolg' ich ernstlich und
Dauernd die Methode,
Werd' ich noch einmal gesund,
Kurz vor meinem Tode.

Ueber die Alpen.

Ganz oben, wo das große steinerne Haus steht, ist der seichte See noch fest gefroren. Hier wächst kein Strauch, kein Kraut mehr, nicht einmal Alpenrosen und Heiden, die sonst so treuen Begleiter. Nur dünne Flechten überziehen schwachleuchtend die Felsen, die wie ein scharfgewelltes versteinertes Meer ringsum lagern. Und die Ufer des starren schweigenden Meeres sind Schneehörner, übermächtig aufsteigend; sie scheinen dem einsam-schauenden Wanderer immer größer und größer, immer näher und näher zu kommen, ihn zu erdrücken. Doch kaum ist der Rand der Hochfläche erreicht, öffnet sich mit einem Zauberschlag das weite Thal. Eine Welt von Felsgebirgen. Der Weg führt schwindelnd hinab durch trübselige Legforchen-Waldungen, die auf dem pulverfarbigen, zwischen Felsbrocken versunkenen Moorgrunde fortkümmern. Braune Gießbäche strömen hindurch und bilden kleine Seen. Weiter unten stehen hohe, hagere, verkommene Tannenbäume, voll grauer Haarflechten, von Stürmen und von Schneebrüchen durcheinander geworfen.

Legforchen verkrümmen sich düster
Um den schwärzlichen Hochmoorsee,
Tief geht in der Flut ein Geflüster
Von der Welt unsterblichem Weh.

Kalt beugen die Winde die schwanken
Schilfgräser am traurigen Bord,
Die wanken, wie Todesgedanken
Des Gemüts, dessen Blüte verdorrt.

Sumpfveilchen erglänzt in den Klüften, Und das liebliche, lieblich verwaist, gießt über die Oede sein Düften, Mildheilig, ein himmlischer Geist. Ein Frieden ist hier, wie selten auf der Erde. Es ist noch gar so weit hinab zu den breiten Flußthälern und den ausgedehnten Feldern und Schlachtfeldern. Nur lautere Gießbäche, die auf den höchsten Spitzen durch das sonnigste Himmelslicht aus dem Schnee zusammenschmelzen, rauschen fröhlich herab, und erzählen denen im Thale nur von dem Herrlichsten der Welt, von der ewigen Klarheit dort über den Wolken, von dem fast unendlichen Blick über Länder und blaues Meer.

Italien erscheint, wie ein Engel auf Goldgrund.
Grünes Thal von Chiavenna,
Lachend in das Land der Wunder
Leiten aus der kalten Oede
Deine Krümmungen hinunter.

Neue Lüfte, neue Düfte,
Neuer goldner Strahlenregen,
Neuer warmer Lebensodem
Strömt dem Wanderer entgegen.

Und schon ahnt er jenen Frieden,
Den er dort sich wird erwerben;
Auf! Firenze, Rom, Neapel
Sehen und dann erst nicht sterben!

Comersee.

Göttlicher Comosee! Lieblichste Dampfschiff-Fahrt! Die steilen Ufergelände sind zu Gärten abgestuft, voll Myrten-, Orangen-, Cypressen- und Lorbeer-Grün. Villen, Kirchen und Klöster ragen schlicht und schön daraus empor.

Ueber Säul' und Söller schlingen
Sich die Rosen wild herein,
Und die Nachtigallen singen
Wie berauscht im Lorbeerhain.

Aber doch ward es mir höchst unheimlich, plötzlich mitten in der neuen, mir noch unverständlichen Welt. Hier stand ich wie angewurzelt in schönster Umgebung, und konnte nicht anders.

Auf dem Schiff des Sees von Como
Steht er wie ein Eccehomo,
Der sonst wortgewandte Dichter
Gar kein Italienisch spricht er.

Italiener rings mit großen.
Vorwurfsvoll karierten Hosen,
Nur die Italienerinnen
Mild zu lächeln schon beginnen.

Verona.

Nordstürme verfolgen den Wanderer immer noch; da rettet er sich durch das großartige, reich von stolz gegürteten Bettlern belebte Verona hindurch, hinan zum stillen Giusti-Garten mit seinen hohen, die Nordluft abwehrenden Terrassen, schön bepflanzt mit südlichen Bäumen. Unten im Garten springen die Brunnen in breiten Blumenbeeten und im Rechteck umher stehen prachtvolle Cypressen von edelstem, jungfrauenhaft-schmächtigem Wuchse, und ach, ganz oben auf sanfter Steinbank, die an die bequeme Balustrade stößt, sonnt sich der Fremdling zum erstenmal wieder und schaut wie trunken hinaus über die weite, an Türmen und Kuppeln so reiche, majestätische Stadt. Dahinter, in der großen lombardischen Ebene die vielen Seen und Flüsse, bis im äußersten Süden sie anwächst zu Gebirgen, fast verschleiert vom warmen, rötlichen Frühlingsdunste des Himmels. Und des Fremdlings Haupt sinkt tiefer und tiefer auf den lauligen Stein der schönen Balustrade.

Und wenn ich nimmer, nimmer weiter weiß,
Da fällt urplötzlich Schlaf auf meine Glieder,
O wie so gut, als ob ein Engel leis
Mich deckte mit wohlduftendem Gefieder.

Hinunter sinkt in tiefste Grabesnacht
Das ganze große Heer der grauen Sorgen,
Und bin ich endlich wieder aufgewacht,
Liegt mir die Welt im Paradiesesmorgen.

Die schöne Welt, aufschimmern zauberhaft
Im weiten Ring der Berge Felsenzinnen,
Und in der Seele wogt mir süße Kraft,
Daß mir die Thränen übers Auge rinnen.

Gereinigt ist mein Herz und gänzlich fern
Von dieses Lebens eitlem Thun und Rennen,
Und ich vermag in ihrem tiefsten Kern
Die Herzen der Geliebten zu erkennen.

Mailand.

Am schönsten aber schläft es sich doch in Milano. »Es wäre hier nicht auszuhalten, wenn man das bißchen Schlaf im Dom nicht hätte,« sagen die hier lebenden Deutschen, und wirklich, das ist nicht zu versäumen und im Nu geschehen. Draußen ist es stechend heiß und blendend hell und unaufhörlich wogen die Menschenwellen den Corso Vittorio Emanuele hinauf hinab, vorüber am Dom. Den Eintretenden aber empfangen die himmelhohen Säulenhallen mit sanfter Kühlung, wohlthuender Dämmrung und unwillkürlich sinkt er auf einen der Rohrsessel nieder. Die glühenden Farben, die rings von den großen gemalten Fenstern ausgehen, brechen sich an den glatten vielgegliederten Marmorflächen vieltausendmal und zerfließen mit deren gediegenem Goldton, so daß die ganze Luft zauberhaft leuchtet, unwiderstehlich einschläfert.

Und in des selig Einduselnden Ohr rinnt dazu noch der Hall des draußen an den riesenstarken Mauern abbrandenden Lebens, wie ein fernhin verrauschender mächtiger Strom, in dessen Mitte auf kühler weihrauchduftender Palmeninsel der Träumer hinabgleitet in das ewige Meer.

Als ich das erste Mal im Dome schlief, war beim Castello zugleich große Kanonade. Schuß auf Schuß schlug über die Stadt hin an Kuppel und Oberschiff des erhabenen Baues und rollte donnernd, herrlich die Höhen der Gewölbe entlang. So wird wohl einst das jüngste Gericht anheben; ein großartiges Rollen die Höhen des Himmels entlang, nicht gell aufschreckend, nein, eine wohlbesetzte, für immer erlösende Donnerblechinstrumentalharmonie!

Riviera.

Der Morgen kam. Mannshohes Heidekraut
Blüht rosig schimmernd um die Felsenflanken
Des großen Berges und bis an die blanken
Meervorgebirge, wo der Nebel braut.

Vom wolkenlosen Himmelsdome thaut
Der Friede Gottes, jegliche Gedanken
An Kampf und Mühsal schweigen, ohne Schranken
Das heil'ge Meer um sel'ge Inseln blaut.

Die Sonne steigt, und wie ein Zaubertraum,
Entschleiert glühend Küste sich an Küste;
Glatt schmiegt das Meer mit leichtem Wellenschaum

Sich um die starren Marmorfelsenbrüste –
Und ruhig gleitet, wie ein weißer Schwan,
Ein weißes Segel auf der Wasserbahn.

Genua.

Genova, stolzeste Meerkönigin, mit der Citadellen-Zackenkrone, im Halbrund sich hochauftürmend, Steinpalast über Steinpalast, die gewaltigste Stadt Italiens! Schrecklich enge Gassen voll Staffeln, Kot und Finsternis. Man halte sich ja auf den breiten Straßen, denn dort innen schleicht es verdächtig umher, dort berücken böse Spieler mit zahlreichen klingenden Goldstücken, worunter höchstens Ein echtes, den arglosen Wanderer und den dröhnenden Totschlag von oben übertrifft hier noch der schweigende Totstich von hinten. Man halte sich ja auf den breiten Straßen oder hoch auf dem herrlichen Spazierweg über den Häusern am Meer. Hier wandelt man, allseitig den scharfgeladenen Gendarmen sichtbar, den Handkoffer in der Linken, die Rechte auf den Paß gelegt, ruhig, glücklich am Strande des vielaufrauschenden Meeres.

Des Weltmeers Gesang.

Zusammenschnürt ihr nach Belieben
Mit Eisenschienen Berg und Thal,
Ich aber, ich bin frei geblieben,
Frei bin ich, wie der Sonnenstrahl.

Frei bin ich, wie der hohe Himmel,
Und werde frei sein ewiglich,
Mit deinem ängstlichen Gewimmel,
O Menschheit, wie veracht' ich dich!

Einst kommt der Tag, da will ich brechen
Den von mir selbst gesetzten Damm,
Und euch mit allen euren Schwächen
Verstoßen in den tiefsten Schlamm.

Da will ich wieder schäumen, gären,
Vor Wonne springen himmelan,
Und wieder eine Welt gebären,
Wie ich es schon so oft gethan.

Von Bologna nach Florenz.

Die Eisenbahn von Bologna über den Apennin bot entsetzliche Schwierigkeiten. Hier war nicht ein breiter Kamm zu überschreiten, nein Dutzende von Ketten hintereinander; daher gegen fünfzig Tunnels, manche eine halbe Stunde lang. Das Gebirge selbst ist, in der Nähe besehen, lange nicht so großartig, als die Alpen. – Dünner Laubwald wächst auf den sehr steilen, scharfen, schmalen Bergrücken; man spürt sofort unter der Dammerde das harte Kalkfelsengerippe. Diese Bildung des Gebirges bedingt aber die feine, überlegene Schönheit der italienischen Landschaften. Dadurch erscheinen Ketten hinter Ketten, immer blauer und lichter, und diese Ketten selbst sind wieder bis in das kleinste durchgebildet. Welch ein beseligender Anblick vom Apennin herab in die Campagna von Toskana, mit ihren mächtigen grünen Bergen, schön und immer wieder und wieder gegliedert: darauf und daran, zwischen dunklen Cypressengruppen Städte und Villen, unzählig, und so gelegt, als ob auf dem ganzen Grund und Boden nach einem großartigen künstlerischen Entwurf die Gebäude verteilt worden. Man fühlt sich augenblicklich zu Hause in Toskana.

Und wie ging mir das Herz auf, als ich Firenze sah. Das bescheidene Arnothal wird plötzlich weit und bekommt hohe herrliche Ränder. Im grünlichen Silberschimmer der Oelbaumgärten glänzen wieder Villen an Villen, und inmitten glänzt Firenze, und darüber glänzt Brunellescos göttlichkühne Kuppel.

Im Wolkennebel und in Grabesgrüften
Den Apennin wir pfeilgeschwind durchfahren,
Ein öder Weg, nur graue Dohlenscharen
Verflattern schreiend in den Felsenklüften.

Nun aber strömt es, wie von Frühlingslüften,
Vom Himmel her, dem sanften, silberklaren,
Fast unermeßlich will sich offenbaren
Ein grünes Land, erfüllt von Lorbeerdüften.

Herz, ahnst du schon das himmlische Firenze?
Wie es sich hebt am gelben Arnostrome
Mit seinen Türmen, seinem Marmordome;

Um seine Mauern schlingen Blumenkränze
Die weiten Gärten, und im heilig-düstern
Cypressenhain die Brunnen leise flüstern.

Florenz.

I.

Florenz, München, Stuttgart.
Eine Vergleichung.

Grüne Reben um die Hügel,
Dunkle Wälder auf den Höhn,
Obst und Blumen rings im Thale,
Stuttgart, o wie bist du schön!

In den freundlich breiten Straßen
Ladenschmucke Häuser stehn,
Und vortrefflich ist das Pflaster,
Vater, laß uns bummeln gehn.

Säulen ragen, Brunnen rauschen,
Und die Luft so licht, so lau,
Holde Mädchen gehn spazieren
Und so manche schöne Frau.

An den Bergen hangen Gärten,
Blechmusik durchdröhnt die Nacht,
Und hier sitzt der Kern des Volkes
Und benebelt sich mit Macht. –

München, königlich erbautes,
Gerne weilt man auch in dir,
Wonnesam sind dein Salvator,
Bock- und Franziskanerbier.

Prachtvoll sind die vielen Theken
Mit dem Niobidenrumpf,
Doch die Mädchen nicht besonders,
Und du steckst in Sand und Sumpf.

Freilich bist du, was uns abgeht,
An den besten Dichtern reich,
Die als heil'ge Krokodile Name der Münchener Dichtergesellschaft.
Alle ruhn in Einem Teich.

Aber Fremdling, süßer Träumer,
Nahe nie dem Teiche dich,
Flinshart ist ihr Schuppenpanzer,
Ihr Gebisse fürchterlich.

Folge du dem Rat der Weisen,
Und bei Pollingern stell' ein,
Gut ist München, schön ist Stuttgart,
Dort ist Bier und hier ist Wein.

Wir treten auf das Pflaster, aus lauter großen vieleckigen Platten, nach Art der alten Etrusker und Kyklopen unverwüstlich zusammengefügt, sanft und eben, den Schustern ein Greuel. Hier fahren wie der Blitz hin und her die toskanischen Einspänner. Gar hübsche nußbraune Pferdchen, wehende Schweife an den Ohren; der Wagen ist leicht, zweirädrig, nach Art eines antiken Streitwagens.

In den engen ernsten Straßen trifft man zuweilen Gebäude, die man schon in München sah, weil man sie dorthin einführte, die aber durch die lange Fahrt verloren haben. So sind von Orcagna's Loggia de' Lanzi (Münchener Feldherrnhalle) die guten kleinen Löwen, die hier so traulich um die Pfeiler hocken, entsprungen; ein Verlust, der auch dadurch nicht aufgewogen wird, daß man von der Feldherrnhalle aus drunten auf dem Siegesthor die vier ehernen Riesenlöwen im vollsten Trab nach Schwabing hinausrennen sieht. Auch die vielen schönen Bildsäulen blieben in der florentinischen Halle; die tiefsinnige Tusnelda und ihre fünf Begleiterinnen, dann der Römer mit seinen zwei Sabinerinnen, dann Ajas mit dem Leichnam des Patroklos (eines der edelsten antiken Werke); dann Cellini's Perseus mit dem Medusenhaupt, und Donatello's heitere Judith mit dem des Holofernes. Umsonst stellte man in München zwei ganze Holofernesse, in Gestalt Tillys und Wredes, in die riesige Halle. Die unendliche Leere vermögen sie doch nicht auszufüllen und sind vor langer Weile schon ganz schwarz geworden.

Auf gewaltigen, aus ganz unbehauenen Felsblöcken emporgetürmten, als Flügel vorspringenden Untermauern, dazwischen steigt das Erdreich steil an, steht wie ein grobgeschichtetes Urgebirge der sechshundert Fuß lange Palast Pitti (Residenz), mit seinen Gesimsbändern und den drei Rundbogenfensterreihen, wie einst für ein Geschlecht gefügt, das nach Tisch auf Mammuten spazieren ritt. Die Schildwachen stehen jetzt da, wie Bleisoldaten, und der Schloßverwalter glänzt in seinem roten Frack unter seinem dunklen Portal, wie ein verloren gegangenes Marienkäferchen.

Die Residenz in München, nach diesem Vorbild erbaut, ist nach den Bedingnissen unserer Zeit gemildert; die Quader sind glatt, Unterbauten keine, der Boden eben, aber auch so wirkt sie noch bedeutend.

Der Glockenturm des Florentiner Domes, die Frauentürme in München, der Stiftskirchenturm in Stuttgart zeigen eine merkwürdige Verwandtschaft. Alle drei sind sie richtige dicke Türme, unverjüngt, ohne Spitze, als Urformen aller Türme unvergeßlich. Und alle drei sind sie die ausdruckvollsten Vertreter ihrer Stadt.

Der Florentiner Turm, viereckig, frei stehend, unverjüngt, ist ganz aus geschliffenem farbigem Marmor erbaut. Wunderbar richtig sind die Farben verteilt, beim größten Reichtum das schönste Maßhalten. Da steht er fest und anmutig auf klarem Sockel, zu hohen Stockwerken frei und leicht zusammengebunden, kühn aufstrebend und wieder durchs prächtige Kranzgesims ernst abgeschlossen. So steht er da, voll Kraft und Würde und überlegener Bildung, bürgeradelstolz und fein geschliffen. Trotz seines Alters scheint er noch ganz neu, in ewiger Jugend, gleich dem ewig blühenden Firenze, das ihn auf dem Gipfel seiner Macht als ungeheuren Denkmalspfeiler seiner freien Herrlichkeit vom großen Giotto errichten ließ.

Der Stiftskirchenturm in Stuttgart, aus grünbemoosten Sandsteinen erbaut, von den Leuten schlechtweg der Dicke genannt, unten viereckig, gegen oben hin achteckig, mit drei Kränzen geschmückt – ein stattlicher Ratsherr. Immer seelenruhig und seelenvergnügt schaut er mit liebem Behagen umher im sanften grünen Stuttgarter Weinthalkessel. Zur Seite, etwas zurück, steht ihm die bescheidene Hausfrau, der schlanke Seitenturm mit der zierlichen altschwäbischen Spitzhaube.

Die Münchener Frauentürme sind noch eckiger, fast bis herunter achteckig, und aus Backsteinen von blaurötlicher Färbung erbaut. Es sind zwei Junggesellen, schief aus dem Wirtshaus kommend, eng aneinander gelehnt, die niederen Kappen gar drollig auf den köstlich zugerundeten Spießbürgerschädeln. Es wäre jammerschade, wenn man sie modern aufstutzte. Gemälde- und andere Galerien muß jeder mit eignen Augen vergleichen. Neben den Kunstwerken betrachte man aber auch stets die verschiedenen nationalen Unterscheidungsmale der jeweiligen Beschauer.

In Gemäldegalerien
Lernst du erst die Völker schätzen:
Italiener scharweis ziehen
Unter süßgeheimem Schwätzen.

Zottig, dumpf, gleich wilden Büffeln,
Farb' und Firniß, Rahm' und Ränder
Jedes Bildes überschnüffeln
Alle Vollblutengelländer.

Stets mit ältern Damen eilen
Zephyrlustig die Franzosen,
Einen Rafael zuweilen
Von der Staffelei zu stoßen.

Wer mit stillverzücktem Ahnen
Vor den Bildern sich bescheidet,
Ist vom Stamme der Germanen,
Und ist meistens schlecht gekleidet.

Weil die Gegend von München erst eine Meile außerhalb, dann aber großartig schön, der römischen Campagna nicht unähnlich, beginnt, so liegen uns zur Vergleichung nur noch die sanften grünen Rebenberge von Stuttgart mit ihren fernen blauen Höhen im Wege. Man hat es schon oft mit Florenz verglichen, und mit Grund. Die Bergformen sind überraschend ähnlich, nur noch milder, und wie hier in Florenz ist das ganze Thalgehänge durch schöne Bauwerke bekrönt, so daß die Baukunst als eine Ergänzung der Landschaft erscheint.

Geht man vom Arno aus durch die Stadt hindurch und die vielgewundene Steige hinauf, vorbei an den villenreichen Oelbaum- und Weingärten, so erreicht man das auf Zyklopischem Gemäuer gegründete Fiesole mit seinem uralten Dom, und dessen hohem, flachbedecktem romanischem Campanile, und dem neben kühlen Cypressen liegenden ehrwürdigen Kapuzinerkloster mit schönster Aussicht. Und unter uns dehnt sich der blühende Garten Toskanas, der seit Jahrtausenden durch menschlichen Anbau verfeinerte. Unzählig schimmern im sanften, mächtig weiten Thal die schönen Landhäuser; über den Rändern des Thals locken hinter den Pinienwäldern blauende Ebenen, aus denen alte Bergstädte aufsteigen. Immer feinere und lichtere Streifen dahinter lassen tiefe Thäler ahnen und hohe Felsgebirge, die ins Meer abstürzen.

Geht man vom Neckar durch Stuttgart hindurch und die vielgewundene Steige hinauf, vorbei an den villenreichen Obst- und Weingärten, so erreicht man das bedeutende Degerloch mit seinem Kirchlein und dessen hohem Campanile, den vielen reizenden Villen und Villengärten, und den neben kühlen Nußbäumen liegenden ehrwürdigen Weinwirtschaften mit schönster Einsicht. Und unter uns dehnt sich der blühende Garten Schwabens. Unzählig schimmern im sanften weiten Thal die weißen Weinberghäuschen. Aehnlich wie von Fiesole, schweift der Blick über das bis in blaueste Fernen sich weitende, von Waldgebirgen und reichen Thälern durchzogene Land bis an die höchsten Höhen des Schwarzwaldes, von deren Scheitel aus man tief unten den Rheinstrom erblickt, an dem die großen Städte stehen, deren Domtürme bis an die Wolken ragen!

Die Einwohner von Florenz haben etwas Graziös- Etruskisierendes. Die Kleidung ist die im übrigen Westeuropa übliche, nicht luxuriös; nur die Bäcker pflegen sich nackt zu tragen, eine alte Ueberlieferung. Das Militär blau, wie fast überall. Dann giebt es hier sehr reiche und vornehme Leute: so fegt z.B. der alte Fürst Strozzi seine Meerschaumpfeifen mit Straußenfedern, wovon uns vorgestern eine auf den Hut fiel.

München ist ein offnes Dorf, sagen die Regensburger; Stuttgart ist eine schöne Stadt, singen die Kinder; Florenz ist eine ganze Stadt, muß jeder sagen. Wie die großen Menschen des Mittelalters und der Renaissancezeit die Straßen der gewaltigen Freistadt, Palast an Palast, erbauten, stehen sie noch, so einfach als kräftig. Fast jeden Augenblick stößt man mit seinem neumodischen Kopf an einen riesigen Buckelquader oder Eisenring jener Steinhäuser, an denen oft noch hohe fensterlose Verteidigungstürme mit ragenden Zinnen. Die Ringmauern gehen noch ganz umher. Und noch stehen alle die unverwüstlichen Thortürme, die sich mit hohem Bogen gegen die Stadt hin öffnen. Neue Straßen giebt es nicht viele. Weder vom englischen Garten bei München, noch vom Stuttgarter Schloßgarten, hat man einen Blick, wie von den Boboli-Gärten auf das turm- und kuppelreiche himmlische Firenze, das stets ein silberblauer Sonnenduft umhüllt. Da liegt man im weichen Grase, Thränen im Auge, und neben uns liegt vielleicht eine Ludmilla Assing, weiterhin ein früherer Kaiser von Mexiko und das geht so fort, aber alle liegen und schweigen und vergessen durch den Anblick jeder sein wieder andersfarbiges Elend.

Der englische Garten in München ist feucht und düster, urwaldähnlich, von reißenden eisgrauen Bergwassern rauschend durchgossen, unerschöpflich an verschlungenen Wegen, im Hochsommer vortrefflich. Gegen die Stadt hin hat man den schönen Umriß der Theatinerkuppel.

Wenn Rosen und Syringen die Marmorbilder überblühen, wenn die Platanenhallen sich wieder belauben, um den runden See mit dem prächtigen Springbrunnen die Orangenbäume wieder in ihren Holzkästchen stehen, und über rebengrünem Berg und Thal Frühsommerduft flimmert, dann bietet der Stuttgarter Schloßgarten, durch das schöne, figurenreiche Residenzschloß begrenzt, eine wenn auch etwas verkümmerte Fata Morgana der Boboli-Gärten, und schon ist man versucht, in schwärmerischer Verzückung den grünsamtenen Teppich der Natur quer zu durchwandeln, bis der grell schwäbische Ruf eines kriegerisch auftauchenden Portiers uns jählings in die Gefühlsweise des Nordens zurückversetzt.

O wie gewann ich sie lieb, diese Boboli-Gärten; die steilen, mit immergrünen Eichen bekrönten Terrassen, die feinduftenden Lorbeerrotunden, die reinlichen Seen und die uralten niedrigen Oelbaumgänge mit ihren Ausblicken in stille, duftige Thalschluchten. Nie Verteilung von Baumgrün von jeder Tiefe, von Marmorbrunnen und Marmorbildern ist hier so wohl verstanden, so beruhigend. Man schweigt hier gerne stundenlang und läßt die Blumen sprechen, die zwischen den Orangenbäumen auf dem Inselchen Giovanni da Bologna's wachsen, wo auch des Meisters berühmter Marmorbrunnen steht. Und im Hintergrund jene großen Cypressen, bald hochschlank von einfachem Umriß, bald tannenartig breiter mit zackigen Aesten, ruhig, wie aus grünem Erz gegossen.

Diese Gärten, stillbeschaulich,
Mit den schattigen Cypressen,
Unbeweglich, weltvergessen,
Und den Lüften, licht und laulich,
Ließen mich den Frieden ahnen
Eines indischen Brahmanen.

II.

San Miniato al monte.

Von der Terrasse vor San Miniato am Berge übersieht man ganz Firenze. Freundlich-ernst glänzt die hohe Marmorfassade mit ihren schwarzgrünen Säulen und feinen Rundbögen, In ihrer Mitte leuchtet byzantinisches Mosaik in Goldgrund, Christus auf dem Weltrichterstuhl, weit ins Thal hinab. Innen in der Basilika ist alles auch marmorn, weiß und dunkelfarbig. Spärliches sanftes Licht strömt wirksam durch die schmalen Rundbogenfensterchen des Oberschiffes. An den Wänden der Nebenschiffe ziehen halbverblichene Fresken. Die Säulen, dunkelgrün oder rosigweiß, zum Teil noch mit feinen antiken Kapitälen, tragen frei und leicht die halbrunden Arkadenbögen und die großen Querbögen. Der Dachstuhl ist sichtbar und noch uralt bemalt. Hoch baut sich im Chore die Krypta empor, ein auf vielen Säulen erhöhter Schauplatz mit prächtigen Marmorschranken.

Ruhig, heilig schließt den ganzen Raum die große Halbrund-Nische des Chors; unten in der Nische sind die Fenster mit farbigen Marmorplatten zugetäfelt, darüber im Nischengewölbe strahlt ein riesiges Mosaik: Christus mit der Gebärde des Segnens, zur Rechten König San Miniato von Florenz, zur Linken Maria.

Wie Morgenrotwölkchen glühen die Marmortafeln in den Fenstern der Chornische, hochfeierlich in glänzenden Farben auf Goldgrund grüßt das Bild des Erlösers. Hier sind noch die Grundlinien des Christentums. Es ist so still im Dome; längst nicht mehr zum Gottesdienst benützt, ist sein Boden bedeckt mit marmornen Grabplatten, frische Blumen und Kränze liegen darauf, den Toten geopfert. Die schlafen fort und schweigen, aber dort in der Nische predigt laut und allen verständlich das großartig einfache Bild Christi das lebendige Wort, das nicht vergehen wird, ob Himmel und Erde vergehen. Wer eine wahre Bergpredigt hören will, der steige hinauf in das Schiff von San Miniato al monte.

III.

Wieder in den Boboli Gärten.

Selig scheint die Maiensonne,
Schöne Brunnen murmeln, rauschen,
Und im kühlsten Lorbeerschatten
Kauern wir mit süßem Lauschen.

Wir sind hier im Paradiese,
Ewig blühen hier die Rosen,
Myrten, Feigen und Orangen,
Und wir werden nicht verstoßen.

Denn kein Engel strenger Bildung
Steht hier mit dem Flammenschwerte,
Nur Antiken, harmlos marmorn,
Oder aus gebrannter Erde.

am Baume der Erkenntnis
Werden wir uns nicht vermessen,
Längst von diesen sauren Aepfeln
Haben wir zuviel gegessen.

Niemals im Leben war es mir wohler ums Herz, als in diesen Gärten. Ströme reinster Gesundheit durchschauern mich, sanft wie der Südwind einem Baum die Eisrinde schmilzt, daß des Baumes erdgeborene Kraft in klaren Säften emporsteigt in alle Zweige, dem sonnigen Himmel entgegen. O welche Wohlthat ist eine italienische Reise!

Wahre Weisheit wird dir nicht
Aus dem Staub der Schule,
Noch beim trüben Lampenlicht,
Noch im Kirchenstuhle.

Von dem blauen Himmel fällt
Sie dir als ein Wunder,
Es erkennt den Kern der Welt
Nur ein Kerngesunder.

Heute fand ich auch wieder den bleichen deutschen Theologen, den ich schon einigemale, selbst bei unfreundlichem Wetter hier getroffen, wie er den kleinen See sinnvoll umwandelte, auf dessen Insel der Marmorbrunnen Giovanni da Bologna's sich erhebt; und rings um das herrliche Marmorwerk, daran aus den Urnen der vier nackten Fußgötter das Wasser leise niederplätschert, reihen sich am Rande der Insel große verzierte Thonkübel, aus denen die fruchtbeladenen Orangenbäume wachsen. Heut sprach ich den Bleichen an und wir setzten uns zusammen am See in den hochüberhängenden duftenden Lorbeergang, spähten lang über das Wasser an den Marmorbrunnen hin und er sagte zu mir, vor Wehmut alle Schüchternheit ablegend, er müsse jetzt wieder examenshalber fort in das deutsche Reich, »Ach,« setzte er seufzend hinzu, »wie ist doch alles schön hier bis auf die Blumentöpfe – wie gemein ist bei uns so ein Stockscherben – und hier sind sie alle mit Kränzen und Masken reizend umhängt,« und er blickte so verständnisinnig hinüber zu den rötlichen Thonkübeln, die durch das ungewohnte Lob noch röter zu werden schienen, und ich sagte ihm mit dem gewiegten Freimut eines angehenden Kunstforschers: »sie stammen ohne Zweifel aus der Werkstatt des großen Giovanni da Bologna, von dem auch der große Marmorbrunnen hier ist.« – Und als der Gottesmann Abschied nahm, sagte er noch einmal: »wenn ich nur wenigstens einen solchen Thonkübel Giovanni da Bologna's zu Haus im Studierzimmer hätte, ich würde schon einen Oleander darin fortbringen.«

Die Thonkübel des Giovanni da Bologna
an den nordischen Wanderer.

In uns, o Wandrer, siehest du so ganz
Des Erdgebornen Erdgeborenstes,
Nicht ohne Wehmut leis erinnernd an
Toskana's heil'ge Urbevölkerung,

Die ja soviel der wundervollsten Basen
Den nimmermüden deutschen Forschern schenkte:
Auch wir sind noch, wenn auch ein schwacher Nachhall
Von jener süßen rätselhaften Thonzeit,

Sieh, wie wir uns so schön im Wasser spiegeln,
Mit feucht verklärten Umrißlinien,
So kehre nun getrost in deine Heimat,
Und melde dort, du habest uns gesehn.

Der nordische Wanderer
an die südlichen erdgeborenen Kübel.

So lebt denn wohl, ihr lieblichen Gefäße,
Mit euren wilderhabnen Ornamenten,
Wie oft besucht' ich euch, trotz Sturm und Nässe,
Und fütterte die Schwanen und die Enten,

Im Antlitz jene unbefleckte Blässe,
Als ärmster aller fahrenden Studenten,
Lebt wohl, mein harrt unendliche Beschwerde,
Bis ich im Tod mit euch vereinigt werde.

Abends.

Firenze, welche Wonne,
Wenn der Abendhimmel glüht,
Und der letzte Schein der Sonne
Um die vielen Türme sprüht.

Wenn bis in die engsten Gassen
Holde Röte niederglänzt,
Und die schweren Mauermassen
Wie mit Rosen überkränzt.

Und vom hohen zauberschönen
Glockenturm, den Giotto schuf,
Kommt der großen Glocke Dröhnen
Ehern stark, wie Schicksalsruf.

Diese Glockenrufe schollen
Damals schon, doch wilder nur,
Als Firenze stand im vollen,
Fürchterlichen Kriegsaufruhr.

Damals hielt der Männer größter,
Michelangelo, den Turm
Und San Miniato's Klöster
Gegen Karls des Fünften Sturm.

Damals thun Heroenthaten
Freie Bürger von Florenz,
Aber endlich, feig verraten,
Sinkt dahin der Freiheit Lenz.

Nur noch an der Fremden Schwerte
Hängt Italiens Ruhm und Glück, –
Still in seine Werkstatt kehrte
Michelangelo zurück.

Jene liegenden Gestalten,
Morgen, Abend, Tag und Nacht,
Hat er damals aus dem kalten
Marmorstein ans Licht gebracht.

Allen Groll, den furchtbar wilden,
Seine namenlose Pein,
Schuf er jenen Kunstgebilden
Promethe'isch ringend ein.

Daß die hellen Funken stoben,
Tag für Tag er meißelnd saß,
Bis er Geist und Werk gehoben
In der Schönheit ewiges Maß.

Und als nun das Werk vollendet.
Groß und herrlich, wie noch nie,
Götterartig, – wie geblendet,
Um dasselbe standen sie.

Sahn die kühnen Angesichter,
Sahn der Marmorglieder Pracht,
Und es schrieb Strozzi, der Dichter,
An die Statue der Nacht:

»Die Nacht, die mit so reizenden Gebärden
Du schlafen siehest, hieb ein Engel hier ,
Aus diesem Stein, und Leben ist in ihr:
Erwecke sie, gesprächig wird sie werden.«

Aber Angelo, im Grunde
Seiner Seele hoffnungslos,
Rasch aus seiner Schmerzenswunde
Das berühmte Wort ergoß:

»Süß ist der Schlaf mir, süßer, daß ich Stein,
So lang der Schaden und die Schande währen.
Nichts sehn, nichts hören, ist mein ganz Begehren,
Drum weck' mich nicht, o laß das Reden sein!«

IV.
Ausflüge.

1. Pratolino.

Pratolino, noch jetzt dem Großherzog gehörend, liegt auf dem ersten Kammzug des Apennin hinter Florenz. – Ein großer urwaldähnlicher Park umgiebt ein Jagdschloß mit Wirtschaftsgerechtigkeit. Die prachtvollen Bäume dringen mit ihren blühenden Zweigen in das Zimmer herein und machen die Luft goldig-grün dämmernd. Nachtigallen schlagen in den Wipfeln; Kräuterduft und Alpenluft strömt belebend durch die offenen Fenster. Auf einer Anhöhe mitten im Park steht das sechzig Fuß hohe Bild des Apennin, von Giovanni da Bologna aus Stein und Mörtel ausgemauert. Nach dem Frühstück haben wir die Ehre, uns dem großen Riesen persönlich vorzustellen. Der Apennino scheint eben aus dem Schlaf erwacht zu sein und sich langsam und grämlich aus den ihn umstarrenden Felsklippen erheben zu wollen, Sein Spitzbart hat die wahre Länge von sieben und zwanzig Fußen, weil er schon seit mehr als dreihundert Jahren nicht mehr geschoren wurde. Vor dem Riesen rinnt ein Quell hinab in einen kleinen See.

Zwischen hohen Eichenbäumen
Wacht er auf aus schweren Träumen,
Und die ungelenken Glieder
Regen sich verdrossen wieder.

Rings zu seinen Füßen breiten
Sich Toskana's Herrlichkeiten,
In den hohen Eichenhallen
Singen frohe Nachtigallen.

Aber er nur immer wieder
In die Wasserfluten sieht er,
Wie sie fließen und zerfließen:
Aus der Mode sind die Riesen.

2. Das Arnothal.

Wer etwas ganz außerordentlich Schönes sehen will, der fahre von Florenz aus das Arnothal hinauf und wieder zurück. Oben ist das Thal eng, einsam und waldig mit reizenden Mühlen am Fluß hin. Je näher man Firenze kommt, um so häufiger werden die Villen: es sind schöne Paläste auf hohen Terrassen mit Rosen- und Cypressengärten. Hoch an den Waldbergen steht eine verzackte Kastellruine nach der andern. Eine Meile vor der Stadt wird das Thal noch weiter; alle Waldung ist verschwunden; Gärten mit Palästen, so weit man sieht, Firenze selbst erscheint noch nicht, man ahnt es vielmehr bloß hinter der hohen vielgestaltigen Hügelkette, die hier in das Thal sich hereinzieht, es zu schließen scheint und auf jedem Gipfel mit prachtvollen Bauten gekrönt ist. Hier fühlt man, wie nirgends, die Weihe einer Gegend, deren Züge der Mensch nach seiner Bildung veredelt hat. Man fühlt, den heiligen Boden betreten zu haben, aus dem die höchsten Wundergebilde der Kunst erwuchsen.

3. Pisa.

Pisa, la morta, das tote Pisa. Tot seit jenem Tag, an dem die Florentiner ihm die Freiheit geraubt, liegt es träg hinträumend am flachen, versandeten Meeresufer, in weicher, schwermütig einschläfernder, von grauen Dünsten gesättigter Seeluft. Verschwunden sind die stolzen Kauffahrteischiffe, die einst den Handel vermittelten mit dem Orient, und die Kreuzfahrer hinübertrugen in das märchenhafte Ostland, wo der Fuß des Erlösers gewandelt und die tapferen Ritter sich Königreiche von den Ungläubigen holten. Versunken die prangende Kriegsflotte, die Freundin der Hohenstaufen, die noch Konradin, den letzten des Geschlechtes, empfing mit Cymbeln und Flötengetön!

Versunkene Größe, schlummernde Herrlichkeit, und am Einsinken selbst sind jene Prachtbauten, die Pisa dereinst aufführen ließ in den Zeiten seiner meerbeherrschenden Blüte: der Dom, das Taufhaus, der Camposanto, der Glockenturm. Aber nicht bloß der berühmte hängende Glockenturm sank mit einer Seite in die Erde und steht schief; eingesunken sind auch die übrigen Bauten, und es ist ergreifend zu sehen, wie fest ihre marmornen Glieder zusammengehalten; aber der Grund ist wankend geworden, alle stehen in bedrohlicher Neigung auf der baumlosen, verödeten Sandweite; die Sonne des Südens schüttet darüber ihre glühendsten Pfeile und strahlt wieder von der gelben Düne verblendend hinauf an die stummen, weißen Marmorkolosse. Man weiß nicht, was schöner und großartiger, der breite fünfschiffige Dom oder der frei daneben stehende siebenstockige hängende Turm, bis hinauf ins oberste Geschoß von luftigen Säulenreihen umringt, oder das gewaltige, auch kreisrunde Taufhaus, das von gotischem Filigranwerk umzackt, von glockenförmiger Kuppel bedeckt und von frei stehenden Säulenkränzen wieder herrlich umzogen ist. Der Dom, aus dessen halbrunder Chornische die Mosaikbilder des Heilands, der Madonna und des Johannes, Cimabue's letztes Werk, mystisch hervorleuchten, ist selbst ein Museum voll der köstlichsten Werke der Kunst, besonders aus der Schule der Pisano, die vor den Florentinern schon die Bildhauerei aus Roheit und Starrheit erlösten und merkwürdig streng auf antike Vorbilder zurückgingen. Aber noch viel, viel reicher an Werken der Malerei und Bildhauerei ist der nördlich von Taufhaus und Dom sich hinstreckende Camposanto (Friedhof). Ein Rechteck, außen mit glatten, schmucklosen Marmorwänden, innen mit langen, im Viereck umherlaufenden Hallen, die sich mit den prachtvollsten gotischen Fenstern gegen einen mit Rosenbüschen bepflanzten Garten öffnen.

Heilig ist der Grund und Boden,
Aus Jerusalem auf Schiffen
Brachten ihn einst die Pisaner,
Von Begeisterung ergriffen.

Erde ist's von jenem Hügel,
Wo der Herr das Haupt einst senkte,
Wo mit seinem Blut in Strömen
Er den dunklen Boden tränkte.

Hievon brachten sie nach Pisa,
Glaubend, daß in diesem Boden
Wohl am besten ruhen möchten
Ihre heißgeliebten Toten.

Und aus dieser Erde sprossen
Rosenbüsche, purpurn blühend,
Einen geisterhaften Odem
In des Wandrers Seele sprühend.

Einen Odem jener Liebe,
Die da kühn und rastlos ringet,
Die sich selbst besiegt, und alles
Herbe dieser Welt bezwinget.

V.

Brunellesco.

Tal sopra sasso sasso
Di giro in giro eternamente io strussi:
Che cosi passo passo
Alto girando al ciel mi ricondussi.

So hab' ich Stein auf Stein
Von Kreis zu Kreis für alle Zeit gehoben:
Daß also Schritt für Schritt
Aufkreisend ich mich heimgeführt nach Oben.

Diese schöne Grabschrift gab ihm mit Recht der Dichter Giovanni Battista Strozzi, indem er auf die Florentiner Domkuppel anspielte, die der heldenkühne Mann, während die andern alle vor Staunen und Schrecken thatlos umher standen, aus freier Hand, ohne Rüstbogen aufwölben ließ, Steinreif auf Steinreif legend, und zwar als doppelte spitzbogige Rippenkuppel von hundert und achtzig Fuß innerer Weite, und darauf stellte er noch die siebenzig Fuß hohe Prachtlaterne ganz aus Marmorblöcken. Die andern meinten, das müsse die Kuppel wie Eierschalen zusammendrücken; aber siehe da, sie hielt, und hielt bis heute, und trotzte den vielen Wetterschlägen, die schon auf sie niederzuckten. – Brunellesco war indes gestorben; einem Gotte gleich geachtet, der vormals für einen Narren gegolten.

Filippo di Ser Brunellesco, geboren zu Florenz 1377, gestorben 1446 ebendaselbst, der große Reformator in der Baukunst, der Schöpfer der Renaissance, ist in Deutschland viel zu wenig bekannt. Nordischer Wanderer, kommst du nach Firenze, so betrachte vor allem seine Werke, daß du einsehest, was Ein Mann vermag. Seine Werke sind die eines Mannes erster Größe. Die Herzen solcher Menschen schmelzen mit den Flammen ihrer Begeisterung die alten, ihnen überlieferten Formen in ganz neue, nie geahnte zusammen; schaffen sich etwas, wovon wir glauben, daß ganze Menschengeschlechter zu seiner Erzeugung nötig sind. So schuf sich Brunellesco, hierin hart neben Dante Alighieri stehend, wie dieser als Dichter, so er als Baumeister eine neue Sprache. An solchen Werken fühlt man noch, daß sie ganz unmittelbar, zum erstenmale seit die Welt steht, damals entsprangen; man fühlt an ihnen noch die Wärme, die Glut, das selige Leben, wovon jene schaffenden Herzen erfüllt waren.

Schon auf Meilen ragt uns, in blauem Dufte schwimmend, Brunellesco's Domkuppel entgegen, die das im weiten tiefen Thal gelegene stolze Firenze so ganz und so lieblich beherrscht. Ihr ungeheurer Umriß fesselt immer wieder das Auge. Brunellesco hatte zu seiner Kuppel kein Vorbild; als der Erste erbaute er eine Turmkuppel; d. h. eine Kuppel, die auf hoher Trommel steht, sich steil in mächtigen steinernen Rippen zusammensprengt, und diese Rippen tragen selbst wieder einen Tempel, jene große Prachtlaterne. Die Größe der Florentiner Domkuppel ist bis jetzt noch nicht, ihre Schönheit nur durch Michelangelo übertroffen worden; und Michelangelo, eingedenk dessen, was er Brunellesco verdankte, wünschte so in S. Croce in Florenz beigesetzt zu werden, daß sein Antlitz durch die Pforte hindurch Brunellesco's Kuppel schaue; wie denn auch geschah.

Das Innere des Florentiner Domes, seine Mittelschiffgewölbe spannen über sechzig Fuß, das des Kölner über vierzig, erscheint erst in der Abenddämmerung in seiner ganzen Größe und Schönheit. Da verschwindet die störende Galerie, die über den mächtigen Arkaden hinläuft, da verschwimmen die schauerlichen Malereien, womit die Zuccheri die himmlische Kuppel Brunellesco's bedeckt haben, in ein wohlthätig Grau. Nur die herrlichen Glasgemälde der Fenster schimmern zauberhaft fort; die immer mehr hereinbrechende Nacht scheint den Bau von Atemzug zu Atemzug zu dehnen. Nun zeigt sich seine alles umfassende milde Gewalt. Zu solcher Stunde vernimmt der Eingeweihte, Lauschende, tiefsinnig mächtige Worte und glaubt in langen Reihen die Schatten der großen Florentiner vorüberwandeln zu sehen.

Drüben über dem Arno steht, daß die andern Paläste umher nur wie Bauten feiger Zwerge erscheinen, der von Brunellesco entworfene Palazzo Pitti, ganz einfach aus riesigen Buckelquadern, nur durch die Erhabenheit seiner Verhältnisse wirkend.

Trittst du in die von ihm erbaute Kirche San Lorenzo, in die lichte korinthische Säulenbasilika, so zeigt sie dir jene Einfachheit, die nur aus der höchsten Bildung entspringt. Oder trittst du in den ersten Klosterhof von Santa Croce; hier steht seine Capella de' Pazzi, so findest du, daß dem Meister auch das Zierlichste zu Gebote stand. Oder willst du den schönsten Frieden haben, so gehe einmal halbwegs Fiesole, links hin am Oelbaumhang in seine Badia mit Kloster, Kirche und dem stillen Säulenhof; einst der Lieblingsaufenthalt von Cosimo Medici und seinem großen Enkel Lorenzo. Es sind lauter Räume, unvergeßlich, nach denen man sich immer wieder heftig sehnt.

Brunellesco.

Erst drang er in den Kern der Dinge ein,
Dann trat er auf und sprach: so muß es sein.

Die andern aber hielten ihn für blind,
Denn jämmerlich die meisten Menschen sind.

Die Rechten ruft man erst in letzter Not,
So ging's auch ihm; bald nahm ihn weg der Tod.

Da bauten sie es aus mit zager Hand,
Was längst im Geist vollendet vor ihm stand.

Und was zu denken sie sich schon gescheut,
Steht als Firenze's höchster Stolz noch heut.

VI.

Vorbereitungen zum Dantefest.

Alle Schauläden sind von unten bis oben mit Dantebildnissen besteckt; vom schwarzen kahlen, an assyrische Muster erinnernden Umriß bis hinauf zu den bedenklich himmelblau und rosenrot angemalten modernen Photographien, deren Urbild aus der Zeit Dantes sich in der Burgkapelle des Bargello, des einstigen Palastes des Herzogs von Athen, al fresco gemalt befindet. Dem Fremden fällt auf, daß die Bildnisse nichts miteinander ähnlich haben, als die Dantekappe. Von den neuesten Darstellern wird Dante durchgängig viel zu sanftgemut aufgefaßt; der Mann, der Jahrzehnte lang verbannt, in seinem furchtbaren Stolz und nie gebeugten Trotze alle seine Widersacher in die Hölle stieß und ihnen durch das Gitter seiner ehernen Terzinen den Weg zum Himmel für immer verlegte; – der in der Schlacht unter den Vordersten kämpfte, und als Staatsmann in seiner mächtigen freien Vaterstadt das Wort spricht: wenn ich bleibe, wer geht, wenn ich gehe, wer bleibt? Sein Bildnis vom göttlichen Rafael in den Stanzen des Vatikan, oder die herrliche Frührenaissance-Erzbüste in dem Museum von Neapel giebt den wahren Dante. Außerdem giebt es noch Dantebusennadeln, Dantetintenzeuge, Dantefächer, Danteregenschirme, Danterasiermesser u. s. w. Ueberall werden an den Geburts-, Wohn- und Sterbehäusern großer Florentiner, und es giebt deren sehr viele, Inschrifttafeln angehängt zwischen luftig flatternden Fahnen und tiefsinnigen, in Pappendeckel getriebenen Löwengesichtern. Erinnerungssprüche gedenken hier in wenigen, aber ergreifenden Worten der großen Thaten und Toten. Ihr Stil sticht merkwürdig wohlthuend ab gegen die in unseren Landen üblichen behördlichen Ansprachen, die da lauten, wie der Schall einer Glocke von gefrorenem Rindsleder. Wo grübe man bei uns an einem Dichterhause, wie hier über der altertümlichen Pforte des wieder hergestellten Dantehäuschens, in eine Marmortafel:

In questa casa degli Alighieri nacque il divino poëta.

In diesem Hause der Alighieri ward geboren der göttliche
Dichter.

Wo schriebe man ferner bei uns an das Haus von Schillers Laura in ähnlicher Weise:

Italiener verehret die Mauern, wo im April 1266 Beatrice Portinari geboren wurde, die erste und reinste Flamme, die den Dichtergenius entzündete im göttlichen Dante Alighieri; wie hier am ehrwürdigen, von ausgedehnten Säulenhöfen belebten Palazzo Ceperello, dem Stammhause der Portinari, steht. Einen wirklich mächtigen Eindruck machen sodann die mit Rosen und Lorbeer umkränzten Inschriften aus Dantes Gedichte selbst, die an allen Hauptstellen, an denen sich der Festzug vorbei bewegt, oft an Stätten, die im Gedichte selbst vorkommen, angebracht sind. Auf diese Weise wird ein großer Dichter rasch und wahrhaft volkstümlich. Man geht damit um, diese Inschrifttafeln für alle Zeit durch marmorne zu ersetzen. So muß man Geschichte und Litteratur lehren; wäre sehr nachzuahmen draußen im Reich.

Was die Deutschen betrifft, so soll in Ermanglung eines ganz ausgezeichneten deutschen Dichters ein ganz ausgezeichneter deutscher Verleger, Brockhaus, die Fahne tragen, und zwar Sachsens Fahne vor dem kleinen Häuflein Deutscher, die im Zuge mitgehen. Der Aufenthalt in der Stadt aber hat sich durch die Festvorbereitungen durchaus nicht verangenehmert.

Sonst that man sich hier gütlich,
Jetzt ist's nicht mehr gemütlich;

Jetzt ist hier eine Völle,
Wie in Freund Dante's Hölle;
Und nie noch sah der Schreiber
So viele alte Weiber.

VII.

Dantefest.

Sonntag in der Frühe versammelt sich der Festzug auf der Piazza S. Spirito. Die ganze Stadt ist mäßig beflaggt, belorbeert und beteppicht. – Sciroccodunst, – Unabsehbare Menschenmassen wogen und braten geduldig und lautlos in der Backofenglut des quälendweißen Himmelsgewölbes. Unter den Tausenden von Fremden, die leicht zu erkennen an den hastigen Gebärden und den festzugehaltenen Hintertaschen, weht zuweilen ein schwarzer Linkolnflor wehmütig um den Arm eines Amerikaners, oder es wachsen aus der Menge die Ohren eines Zeitungskorrespondenten:

Man sieht ihn das eine
Grad vorwärts bemessen
Dem Festzug entgegen,
Derweilen sein andres,
Weit über den Kragen
Zurückgeschlagen,
Die Stimmung des Volkes,
Das ihn umrauscht,
Sorgsam erlauscht.

Zehn Uhr schlägt es, und wir sehen
Blau- und rote Büsche wehen
Ob des Volkes dichtem Schwarm,
Und der reitende Gendarm
Macht sich durch die Masse
Eine weite Gasse.

Ein großes Banner eröffnet den Zug,
Dahinter marschieren Buchdrucker genug, a name="page337" title="Geka/mivo" id="page337">
Weil man der Litteratur,
Vermöge des Festes Natur,
Den ersten Rang erkannte;
Dann tönte aus A dur,
Geblasen von zahlreicher Bande
Von Nationalgardisten
Und andern Zinkenisten,
Ein festlich rauschender Marsch,
Den nur zu oft und zu barsch
Trommelwirbel unterbrach.

Jetzt folgen die Vertreter der dramatischen Kunst. An ihrer Spitze schreitet die stolze Gestalt der Ristori. Nicht mehr jung und halb verschollen, erscheint sie noch immer hochüberlegen, mit der sicheren Haltung, dem lichten Auge, nur den Auserwählten eigen.

Dann drängt sich Banner an Banner. Prachtvolle, schwerseidene Fahnen mit den Wappen der Städte des italienischen Reichs, die fast alle vertreten sind. Viele hundert, ein langer, langer Zug. Neapel, Bologna, Genua sandten die Musikbanden ihrer Nationalgarden und diese musizieren. Schritt für Schritt, im Zuge mit.

Alles kommt in hellen Haufen,
D. h. in dunklen gelaufen,
Denn alle thaten stecken
In langen schwarzen Fräcken;
Es trüben die Frackschwanze
Das altehrwürd'ge Firenze;
O bös, bös, bös!
Und schrecklich offiziös!

Steif und steil, wie Chineser,
Nahen die Genueser,
Mit Bannern von Gold und von Purpur schwer,
In der Mitte spaziert der Gonsalonier,
Voll Majestät,
Stark aufgebläht,
Die breite Brust mit Orden besät,

Und um des Guten Hals
Hängt einer ebenfalls,
Das war ein Commenthur,
Wie ihn gar Wenige nur.

Dann wieder durch der Straßen lange Zeile
Wächst grenzenlos des Frackes Langeweile,
Bis sie ein Kapuziner unterbricht
Mit brauner Kutte und feistem Gesicht,
Der zu des Volkes Gaudium
Arezzo's Fahne trägt herum.
Der Mann war rund
Und kerngesund,
Und grüßte mit emanzipiertem Blick,
Als bringe er die Republik!
Die Menge klatscht ihm endlos zu.
Was spricht da wohl der Papst dazu?

Interessant waren auch die Turiner,
Die durch einen ihrer Diener
Die Fahne tragen ließen,
Und dadurch bewiesen,
Daß sie nicht mehr so fidel,
Seit Viktor Emanuel
Aus ihrer Stadt kutschierte,
Und sie ganz ignorierte.

Die Banner auch von Venedig und Rom,
Ragen hervor,
Umwunden mit Flor,
Aus dem bunt aufwogenden Fahnenstrom.

Pulsky auch, der Magyar,
Bei dem Zug beteiligt war,
Kossuths erster Adjutant
War er einst im Ungarland.

An der Emigrantenspitze,
Zog er trotz der Bäckenhitze
In der Biberpudelmütze,
Und dem Rock von Pelzen schwer,
Stolz und kriegerisch einher,
Und gefiel dem Volke sehr.

Hinter der französischen Flagge,
Kommen wieder in finsterem Fracke
Wegen des Alighieri,
Einige Forestieri (Fremde).

Sachsens Fahne wird vermißt,
Ebenso ihr Träger Brockhaus;
Weil es heiß gewesen ist,
Zog vermutlich er den Rock aus,
Und sah so zu dieser Frist,
Wohl aus einem Marmorblockhaus,
Eine Pfeife rauchend, munter
Auf den ganzen Zug herunter.

Und zuletzt
Nahen jetzt
In wallendem Talare
Die städtischen Notare,
Dabei die sechs Prioren
Mit weitabstehenden Ohren.

Als der Zug sich auf dem festlichgeschmückten S. Croceplatz aufgestellt, kam der König; es wurde geredet, und das große marmorne Dantedenkmal enthüllt. Der Dichter steht auf hohem, dreimal würfelförmig abgestuftem Fußgestelle. An den vier Sockelecken sind wappenschildhaltende Löwen; an den vier Seiten des Hauptwürfels vier Reliefs, Darstellungen aus der göttlichen Komödie.

Dante, jedenfalls dreimal lebensgroß, schreitet mit dem linken Fuße stark aus, wickelt den linken Arm in den weiten Mantel, der ihn in lebendigem Wurf umhüllt. Den rechten Arm hat er gesenkt und mit der Hand sein Buch kräftig gefaßt, wie einen schweren Schleuderstein, was vortrefflich zum kräftigen Wesen des ganzen Bildes stimmt, Das Haupt leicht zur Seite gewandt, blickt er hinab, stolz, wenn man will verachtend. Das Elend hat seine Züge hart gemacht, aber siegreich leuchtet aus ihrer Tiefe die innerste Kraft des gewaltigen Mannes, die ihm, der Flamme gleich, im Sturme wuchs, ihn über die höchsten Wogen seiner Zeit hinaufstellte, und ihn ruhig und ganz klar, göttlich überlegen, ja mild und mitleidsvoll werden ließ, wie es der Vater der Götter und Menschen ist; darum steht ihm auch dessen Adler zu Füßen.

VIII.

Nachklang.

Alle Läden sind geschlossen,
Süße Nacht hat sich ergossen,
Draußen ist das Dantefest;
Dantewein, tiefdunkelroter,
Ward getrunken und als Toter
Liegt nun mancher in dem Nest.

Noch einmal im Traume sehen
Wir den Zug vorübergehen
Durch die Straßen, buntbeflaggt,
Noch einmal mit Etikette
Naht der hohe Rat der Städte,
Fahnen schwingend, schwarz befrackt.

Tragend den Erlösersorden,
Aus ist's mit dem Brudermorden,
Einig ist Italia!
Trommeln dröhnen und Trommeten
Dem Poeten und Propheten,
Riesig steht sein Denkmal da.

Ja hier steht der große Dante,
Heilig wie die Sonne brannte
Für das Vaterland sein Herz;
Ja hier steht der große Dante,
Der ob seinem Vaterlande
Litt der ganzen Hölle Schmerz.

IX.

Verfassungsfest

Seit zwei Tagen steht die Staatsmaschine still. Gar nichts wird erledigt, weil in allen Kanzleien großer Umzug ist; Kanzleiräte sprengen mit verhängtem Zügel über die Bühne. Furchtbar gefährlich könnte es werden, wenn jemand den Stillstand benützte; man könnte ihn dafür niemals belangen, weil gegenwärtig nichts in die Akten kommt. Unten auf der Straße rasselt eben die Staatskasse vorüber, von einem Roß im Galoppe gezogen. Sie hat die Form und die Farbe eines Sarges, höchst unheimlich; in dem Sarge liegt ein Scheintoter, oder vielmehr, was noch grauenhafter, ein toter Schein.

Morgen werden die Regierungsgeschäfte wieder begonnen. Kommissare sind bereits an das Mittelmeer abgegangen wegen umfassender Silbersandlieferungen und der verstärkten Aufnahme des Tintenfischfanges; auch eine neue offizielle Papierfabrik für Kanzleiformat wird eingerichtet. Die Ministerien sind in alten Palästen und Klöstern untergebracht. Der prachtvolle Palast für die öffentliche Schuld soll erweitert werden.

Mit andern Monopolen, z. B. dem Tabak, ist die Regierung auch nicht glücklich. Sie setzte die Wickler auf halben Sold und verteuerte dafür die Cigarren; Folge davon: sehr häufiges Vorkommen in den Cigarren von allerlei fremdartigen Geflechten und Geweben, Menschenhaaren, fettigen Damennetzen, alten Hosentrümmern u.s.w. Dieser feste innere Kern wird sodann durch Nuß- und Platanenblätter sorgsam bemäntelt; die Tabakblätter dagegen von den Wicklern selbst meuchlings verkümmelt, und nur aus unwillkürlich angeborenem Schamgefühl das Gewickelte außen schwach tabakblattiert. Daher ist es Sitte, vor dem Entzünden die Cigarren entzwei zu brechen, um wenigstens das Gröbste zu beseitigen. Das thun natürlich nur die Nobili; deshalb riecht es auch in den gewöhnlichen öffentlichen Lokalen, wie in Leimsiedereien. Sonst geschieht sehr viel. Die Stadt wird immer großstädtischer. Für die Aborte sind eigene Leerer angestellt, die geräusch- und geruchlos in schöne grüne, mit goldenen florentiner Lilien belebte Bütten hineinarbeiten. Eine eigentümliche Wirkung bringen auch die Konstabler hervor, so genannt, weil sie einen ungemein dicken Stab (vulgo Prügel) mit sich führen. Sie dienen zur Sicherheit, Reinlichkeit und Ausschmückung der Straßen, weshalb sie auch nie allein, stets in malerischen Gruppen um irgend ein Kehrichtfaß, oder sonst einen Gegenstand ihrer Neigung herumstehen; sie sind meist sehr schön gewachsen, jugendlich, mit einem wehmütigen Zug um den saubergehaltenen Mund. Wir hielten sie anfangs für Abgesandte des Königs von Griechenland. Sie tragen einen schwarzen Jugendwehrrock, einen noch schwärzeren, mattglänzenden Wachstuchhut von außerordentlicher Höhe und eine schwere goldene Uhrkette, die aber falsch ist wegen der Diebe. Eine noch prachtvollere Erscheinung, namentlich für das Frauenzimmer, ist der andere Teil der Schutzmannschaft, die mitunter berittenen Carabinieri, Sie tragen tiefdunkelblaue Waffenröcke mit zwei silbernen Bomben hinten, und breitaufgesetzte preußische Fregattenhüte mit blauen Büschen, die an der Spitze rot angestammt sind, wie von der Abendröte des versunkenen achtzehnten Jahrhunderts.

Heute ist großes Verfassungsfest. Morgens war Militärrevue; jetzt sind Volksspiele auf dem S. Maria Novellaplatze. Unter dem Prachtgezelt, das an der Schmalseite des Platzes unter der Brunellescohalle sich purpurn abhebt, ist der Thron des Königs errichtet. Die Wände des Zeltes sind mit herrlichen Gobelins schimmernd behängt und schon beginnen ministerielle Köpfe zwischen großen weißen Krawatten vielschweigend emporzutauchen.

X.

Am längsten Tag

Achtundzwanzig Grad Reaumur unter Brüdern! Der Mensch ist nur noch ein Filter! So wie man irgendwo ein wenig sitzt, fühlt man sich in einer Wasserhose, die den ganzen Körper aufzulösen und fortzuschwemmen droht. Um sich Kühlung zu verschaffen, haben sich schon einige Fremde umgebracht und sich als Selbstmörder begraben lassen. Die einzige Rettung beut der Dom mit seinen riesigen Wölbungen, bergedicken Mauern und zauberhaft leuchtenden gemalten Fenstern. Dort schläft alles in harthölzernen Chorstühlen bei süßem Georgel und betäubendem Weihrauchsduft. Geschehen thut gar nichts, als draußen vor den hohen Mauern der Stadt in den tiefen Trockenthälern kochen einstweilen die großen Trauben, die um die grünen Maulbeerbäume hangen. Wie versilbert erglänzen dazwischen die Oelbäume durch die regungslose, vor Glut dämmernde, spiegelnde Luft. Am Himmel keine Wolke; kein Blättchen rührt sich, kein Vogel. Nur das ewige Geschrill der Zikaden; hell wie Glas erklirren ihre feinen Flügel. Diese höchsten Töne stimmen so recht zum Ganzen. Manchmal, als erwachte plötzlich das innerste Leben der dumpfhinbrütenden Luft, als wandelte fernher ein Geist, zieht sich durch die Weizenfelder eine wogende Bahn, bis näher brausend, Staub und Blätter auftreibend, eine Säule glühender Luft vorüberwirbelt.

In der Stadt sind Straßen und Dächer verödet; Thüren und Fenster »hermöglichst« verschlossen; dahinter die Menschen, antik gewandet, im tiefsten Dunkel thunlos verharren. Man schließt vornehmlich auch der Fliegen halber, denn die, zum Glück in der Astronomie noch weit zurück, halten jede Dunkelheit für Nacht, und weil sie nachts zu schlafen pflegen.

So schlafen sie nun fort und fort
Und schlafen sich zu tot.

So wie die Sonne hinabsinkt, steigt man empor auf seine Loggia. Unzählige Schwalben kreisen jubelnd hoch im Blauen. Um die prachtvolle Marmorlaterne der ungeheuren Domkuppel schweben wieder die edlen Falken, Weithin über die Stadt hinweg und das große ebene Gartenland steigen kantige Bergrücken hinter Bergrücken, immer höher, bis sie als schroffe Alpenhörner sich schneidigscharf und dunkel abheben vom reinen stammenden Himmel. Aber wehe, wenn Scirocco naht.

Es wickeln graue Wolken los
Sich aus der Thäler tiefem Schoß,
Und drehen sich in trägem Tanz
Um der Gebirge Zackenkranz.

Die Sonne, noch einmal so groß,
Geht unter blutrot, strahlenlos,
Die Berge werden stumpf und grau,
Ein Schleier trübt das Himmelsblau.

Auf allem Land liegt Todesruh,
Da fährt ein Schauer auf dich zu,
Die muntern Schwalben ducken sich,
Das ist Scirocco, hüte dich!

Ist es aber klar, so sitzen wir dort oben bis Mitternacht und schwelgen bei Mondenschein und wunderbarem Wein in reizendfrischer Luft und gedenken der Brüder im lieblichen Schwaben.

Der jetzt wohl auch schwitzenden,
Aber in großen Biergärten sitzenden,
Rettich an Rettich zerschlitzenden.

XI.

Abschied von Florenz

Heimat bist du mir gewesen.
Ewig blühendes Firenze,
Rasch ist mir in deinem Lenze
Das verwaiste Herz genesen.

Denn versteint war all sein Lieben,
Gleich Medusa Rondanini,
Durch die schrecklichen Fachini,
Und die Angst vor Taschendieben.

Wie ich da mit einemmale
Dich im Bergeskranz gesehen,
War mir's, wie wenn Grüße wehen
Aus dem grünen Neckarthale.

Ob auch etwas enger, stiller,
Stuttgart ist dir nächstverwandte;
Hier am Dome saß einst Dante,
Dort im goldnen Ochsen Schiller Stein und Tisch werden noch an den genannten Orten gezeigt

Reise durch Toskana

I.

San Gimignano

Von Florenz fahren wir auf der Eisenbahn in der Richtung gegen Siena, erst durch blühende Villengärten, dann durch ernsthafte Pinien- und Eichwaldthäler. Noch ziemlich vor Siena schwenken wir rechts ab gegen San Gimignano hin, auf windschnellen zweirädrigen Karren sitzend. Es geht durch ein angenehmes ölbaumgrünes Thal und bald erscheint hoch oben auf dem Berg über ödem Brachfeld schon von ferne die Stadt. Ein wundersamer Anblick. Keine Häuser, nur eine Unmasse hoher dunkler Türme starren, wie ein riesenhaftes Krystallgebilde, in den hellen Himmel hinein. Die Stadt streckt sich lange hin und erscheint vermöge ihrer Lage und ihrer Umrisse gewaltig groß. Man denkt an die heilige Stadt, von der in der Offenbarung Johannis geschrieben steht; es ist ein unheimlicher, fast grauenhafter Anblick. Man glaubt sich einer Stätte zu nähern, die schon vor Jahrhunderten ausgestorben, denn in diesen fensterlosen Turmreihen kann niemand wohnen, da können nur Eulen schnarchen in den Schießscharten, und die Geister der Erschlagenen polternd umgehen. So ragt diese steinerne, jetzt nicht mehr verständliche Welt in unsere Zeit herein.

Wie man die Stadt durch die malerischen Thorbögen betritt, findet man fast an jedem Hause noch einen unglaublich hohen Verteidigungsturm; einige bis zu zweihundert und fünfzig Fuß Höhe, Man sieht, wie hier stets eine Familie die andere zu überbieten suchte und ihren Turm immer weiter hinauf trieb; je höher der Turm, desto schlimmer für die Nachbarn. Wer den höchsten Turm hatte, war auch der Höchste in der Stadt.

II.

Siena

Hier weht ein ew'ger Sonntagssonnenduft,
So mild und rein und leuchtend ist die Luft,
In tiefe Schluchten bricht die Eb'ne ein,
Wo um den Oelbaum Kränze schlingt der Wein.

Cypressen dunkeln rings durchs grüne Land,
Und hohe Berge blau'n an seinem Rand,
Und drüben steigt, uralt, mit Turm und Thor,
Auf steilem Fels Siena stolz empor.

In Siena springt vor allem die wirklich großartig poetische Benützung des Erdreichs in die Augen. Hier wirkt die Baukunst im weitesten Sinn, als ganze Startanlage, als das, was sie eigentlich ist, und stets sein sollte, als künstlerische Auskrystallisierung der natürlichen Anlage des Bodens.

Siena ist Bergstadt, auf etruskischen Ansiedelungen von den Galliern nach der Einnahme Roms erbaut. Im Mittelalter war sie Haupt der Ghibellinen, Nebenbuhlerin von Florenz, blühende volkreiche Freistadt. Jetzt hat sie zwanzigtausend Einwohner mit Raum für sechzigtausend.

Siena liegt auf hohem, sternförmig ausgezacktem Hügelknoten (Gebirgsart tertiär, mächtige Geschieb- und Lehmlager, terra, di Siena), und die Ausdehnung der Stadt folgt ganz dieser Form, sich einziehend in den Einschnitten, die malerisch staffelförmig mit Wohnhäusern erfüllt sind, hinaustretend auf die Steinspitzen, dort überall durch großartige Kirchen- und Klosterbauten ausgezeichnet, die mit ihren Lang- und Querschiffen, Kuppeln und Glockentürmen kühne Gruppen bilden.

Alle diese Bauten wirken um so mehr, weil sie ganz schmucklos aus jenen trefflichen, durch's Alter vielfarbig gewordenen sieneser Backsteinen, aus dem Boden, in dem sie wurzeln, aufgeführt sind. In der Mitte der Stadt, auf der Spitze des Bergs, dem Knotenpunkte, schimmert weithin, alles beherrschend, der marmorne Dom, mit hohem, unverjüngtem Glockenturm, säulengetragener Kuppel und vielfarbiger Prachtfassade. Um den Dom her und das in seiner Nähe tiefer unten gelegene Stadthaus mit seinem dreihundert und fünfzig Fuß hohen, minaretschlanken Turme verdichtet sich die Stadt in den gewaltigen Steinpalästen der edlen Sienesen. Türmereiche Befestigungsmauern umgürten bergauf, bergab, von Epheu überwuchert, noch die ganze Stadt. Unten in den Thalrinnen endlich, wo aus den Bergen herab starke Quellen hervorbrechen, liegen überall jene Fonten: große steinerne, im Spitzbogen gewölbte Quellhäuser, innen und neben mit weiten Wasserbecken, Rastorte ganz einzig in ihrer Art.

Hier am Berge steht das Quellhaus,
Hochgewölbt, das einsam-alte,
Und geschwätzig rinnt das Wasser
Aus der kühlen Felsenspalte.

Durch die schwarzen Mauerbogen
Sonnigblau der Himmel schimmert,
Daß das Spiegelbild der Wellen
An den Wänden silbern flimmert.

Ueppig grüne Farrenkräuter
Hangen traumhaft bebend nieder,
Klare Tropfen fallen klingend
Vom Gewölbe hin und wieder.

Weile, Wandrer, hier ein wenig,
Bald kommt die geweihte Stunde,
Und die wunderschöne Bergfee
Taucht aus dem krystallnen Grunde.

Der Brennpunkt der Stadt ist der halbmondförmige Marktplatz, ohne Zweifel früher ein antikes Theater: er senkt sich vom Rande in ganz gleicher Neigung gegen die Mitte, Hier steht die unvergleichliche, mit Bildwerk reich geschmückte Fonte gaja des großen Jacopo della Quercia (erbaut 1419); ein offener See auf drei Seiten von Marmorbrüstungen umgeben; ein herrlicher Gedanke. Leider sind jene Bildwerke arg verstümmelt, aber ergreifend bricht aus ihnen der kühne Lebensodem, den ihnen Jacopo della Quercia einhauchte, einer der Wiedererwecker der italienischen Kunst. Es giebt nichts so Erhebendes, als gerade die Werke jener ersten bahnbrechenden Männer (Quercia, Brunellesco, Ghiberti). Man spürt daran noch den freudigen Mut, der alle diejenigen beseelt, die sich bewußt sind, durch ihre Thaten die Welt mächtig vorwärts zu bringen. Die gerade Seite des Marktplatzes nimmt ganz das Stadthaus ein mit seinen großen säulengeteilten Spitzbogenfenstern, den kecken Zinnenkronen und dem Turme, der merkwürdig hoch und schlank an der Ecke des Palastes aufsteigt. Rings im Halbrund stehen ähnliche prächtige Paläste. Nirgends ist der mittelalterliche Privatbau reicher vertreten, als in Siena. Straßenlange Palast an Palast, vom Burgkoloß bis zum anspruchlosesten Wohnhaus. Und hier ward seit fünfhundert Jahren kein Nagel geschlagen, keiner herausgezogen. Man sehe nur die überdicken, mit Broncenägelköpfen vollbeschlagenen Holzthüren; dann an allen Häusern die starken schmiedeisernen Laternen, Fackel- und Fahnenhalter, Blumenständer und Wäschestangen, alles alt, und herrlich zu Tier- und Pflanzengebilden verarbeitet, man sehe sie und freue sich über eine Zeit, der das Haus noch ein Heiligtum war, in der die Menschen, wie dem Tode zum Trotz, auch dem Unbedeutendsten, das sie für die Bedürfnisse dieses kurzen traumartigen Lebens schufen, ewige Dauer und ewigen Gehalt zu verleihen suchten.

Hinter den hohen Steinhäusern des Marktplatzes ragt immer noch viel höher empor der Dom. Gegen Osten, dem Bergabhang folgend, bildet er Ober- und Unterkirche, gegen Süden stößt daran der als Ruine auf uns gekommene Querbau, so großartig angelegt, daß der gegenwärtige Dom nur das untergeordnete Kreuzschiff hätte bilden sollen. Ein Wunderbau von Kühnheit und Reinheit der Verhältnisse. – Erst gestern abend umwandelten wir wieder im Mondschein den einsamen Dom und waren wie verzaubert beim Anblick der überreichen zackigen Fassaden, der wie von Geisterhand gewölbten Schwibb-Bögen, der Scheidewände himmelhoch freistehend; dazu kam gespenstig der dumpfe Schlag der großen Uhr und ganz hinten von der Unterkirche her im tiefsten Schatten schwankte, verdächtig vermummt, die umfangreiche Gestalt des ersten Ratschreibers von Siena die große Prachttreppe herauf.

Ein Gang um die Stadt gewahrt bei jedem Schritt wieder neue herrliche Blicke. Die Stadt ist gar zu malerisch, die Gegend gar zu lieblich. Jene weite Ebene, villenbesät, ölbewaldet, mit tiefen Thaleinschnitten, in der Ferne zusammenhängende Eichwaldungen, von schönen blauen Bergen umfranst, darunter der hocherhabene Monte Amiata. Es ist eine Fläche, auf der bei uns das beste Sauerkraut gedeihen würde; hier kümmert es nur mühselig am Boden fort zum Schweinefutter. Die Schweine sind aber hier sehr kühn und störrig, und eine Sau vermochte uns in den engen Straßen gestern sogar den Weg zum schwarzen Adler zu verlegen; Auflauf entstand, heut ist die Ruhe wieder hergestellt. Gegen Abend wanderten wir einmal durch die Laubwaldthäler. Die Villen mit ihren Cypressen sind längst verschwunden; in lichtblauer Ferne steht noch die hohe sanftansteigende Pyramide des Monte Amiata. In den engen Thalgründen liegen rauchende Kohlenmeiler; die Gegend wird immer abgeschiedener, stummer. Wir finden einen großen Wald aus immergrünen Eichen, einen uralten riesigen Dom. Nie sah ich die immergrünen Eichen von solcher Schönheit und Größe: man ahnt, wie langsam diese Bäume wuchsen, wie ihre Formen Zeit hatten, sich zu entfalten und darum vollkommen klar und unverwüstlich stark wurden. Den Boden der herrlichen Hallen bedecken dunkle Felsbrocken, überwuchert vom Adlerfarnkraut und goldgelbblühenden Fingerhüten. Auf der Höhe, wo die Heide beginnt, steht hochummauert ein ausgedehntes Kloster

Im Eichenhochwald liegt verworren Umhergesprengt das Kalkgestein,

Dazwischen zwängen sich die Knorren
Der Wurzeln, Schlangen gleich, hinein.

Als eine Heide, braun und trocken,
Dehnt sich die Ferne weit und breit,
Nur das Geläut der Herdeglocken
Tönt durch die tiefe Einsamkeit.

Hier steht das Kloster, kühne Massen,
Du pochst umsonst, ein seltner Gast,
Die Säulenhöfe sind verlassen,
Die frommen Bilder sind verblaßt.

Wir wandeln schweigend hin und wieder,
Die Tritte dröhnen dumpf und hohl;
Schon senken sich die Nebel nieder,
Ihr alten Toten, schlafet wohl.

III.

San Giovanni d'Asso

Zur Linken am Berge stehen dunkle Trümmer eines großen früh-gotischen Schlosses, und die aufgehende Sonne beleuchtet zu seinem Fuße schon das reizendste aller Thäler. Die Maler der Renaissance malten oft als Hintergrund zu ihrer heiligen Familie eine Landschaft voll Paradieses-Stimmung, voll Himmelsfrieden. Da wandeln selige Gestalten durch das Thal am Flusse hin, der bald durch schlanke Laubbäumegruppen, bald durch sanfte Wiesen anmutig sich schlängelt; schöne Hügel treten herein, auf deren Scheiteln schlichte Steinbauten sich heben. Ueber dem stillen Thal erblickt man in lichter Ferne einen hohen Berg, um den die Wolken grauen, und zartgeschwungene, sich lang hindehnende Ketten, So ist das Thal von San Giovanni d'Asso,

IV.

Montepulciano

Eben schlägt es Ein Uhr. Die altertümlich-schöne dreiarmige toskanische Lampe brennt noch immer hart neben meinem Bett. Es ist so still draußen in der hohen Bergstadt und wunderbar kühl weht es vom sternklaren Himmel; eine herrliche Schlafnacht für todmüde Kunstwanderer. Aber die Wanze wacht! Dünn wie ein Goldblech, saß sie schon mondenlang zwischen den braunen Deckenbalken in unfreiwilliger dumpfer Askese. Nun kriecht sie heran, bis sie den Schlafenden gerade unter sich wittert, und fällt hier, fällt immer tiefer und begeht den scheußlichsten Mordanfall. Das Opfer zuckt im Schlaf und zuckt immer stärker, bis daß es halbwach und halbangekleidet hinausstürzt in die Sternennacht. Neben der Stadt steht ein hoher freier Berg, den sucht er zu gewinnen; es ist der Berg Dodona, auf seinem Gipfel liegen, einst von Menschenhand herausgewälzt, ungeheure Steinblöcke im Kreis umher, eine uralte Opferstätte.

In der Halbmondnacht schimmern tief unten die drei großen Spiegel der schlummernden Seen, des Montepulciano-, des Trafimener- und des Chiusi-Sees. – Es ist scharf kalt. – Wohl zieht weißlicher Dunst sich vom Chiusisee um seine waldigen Uferhügel, und der Wanderer kann es für Geister der alten Etrusker halten. Die feinsandigen Eichwaldhügel da drüben sind ja ganz durchhöhlt, sind Grabhügel für Tausende von Etruskern. Man findet die Kammern noch verschlossen mit schweren kaltsteinernen Thürflügeln: innen stehen noch die Aschenkisten in Reihen; Wände und Decken, aus dem natürlichen Sandgrund herausgeschnitten, sind lebhaft bemalt. Da ziehen die alten Etruster mit ihren alten steifen Gliedern auf die Jagd und erlegen böse Tiere, – Aber was soll das alles in der scharfkalten Sternennacht! Fern, unermeßlich fern hinter den Schneespitzen des Hochgebirges, das man in mächtigster Ausdehnung ringshin ahnt, schießen nur erst blasse Streifen empor, zum Zeichen, daß die schlafende Sonne sich nur erst umgedreht hat, und noch lange nicht aufzustehen gedenkt. Aller Frieden ist hin; noch rieselt der Nachtthau vom Himmel und näßt des einsam Harrenden dünne Gewänder. Alle die stechenden Nachtlagerscenen tauchen wieder auf, der ganze südliche Nachttierkreis rollt wieder vorüber an ihm.

Italienische Nacht

Mußt in einer Lade wohnen
Mit dem finstern Skorpionen,
Hörst die Laus von ferne rauschen,
Riesenflöhe hustend lauschen!
Unbewaffnet-biedre Schwaben
Deine Stellung untergraben,
Dichtervollblut-gier'ge Wanzen
Rot dein Himmelsbett umfransen;
Mehr als tausendfüß'ge Asseln
Giftig dir entgegenrasseln,
Und daneben die Tarantel
Mit dem schiefen Lebenswandel;
Willst umsonst die schnöden Schnaken
Mit verschlafnen Händen packen,
Hörst noch, um das Maß zu füllen.
Vor der Thür die Frösche brüllen,
Schrillend die Cikaden schallen.
Bis sie tot vom Baume fallen.

Und wie springst im Morgenscheine
Du behend auf deine Beine,
Denn es hat für diese Nacht
Dir der Oberkellner eine
Stolze Rechnung beigebracht.

V.

Pienza

Nirgends weht uns der hohe Geist des fünfzehnten Jahrhunderts reiner entgegen, als hier oben im alten Corsignano, der Heimat des großen Pius II., des Aeneas Sylvius Piccolomini, der die ärmliche Ortschaft zur Stadt des Pius, zu »Pienza« durch seinen Baumeister Bernardo Rosselino umschaffen ließ. Nur sechs Jahre (1458–1464) sollte der kühne schwärmerische Mann die Papstkrone tragen. Mit unglaublicher Schnelligkeit, in nicht ganz fünf Jahren, wobei Pius selbst auf das eifrigste bei den Entwürfen mithalf, ward Pienza in eine Stadt der Paläste verwandelt, die noch jetzt so stehen, wie vor vierhundert Jahren. So rasch die Stadt emporgekommen, so schnell ward sie wieder verlassen und vergessen, und behielt jene glückliche Armut, die nicht einmal einen neuen Anstrich aufzubringen vermag, um damit alles was groß und herrlich ist aus alter Zeit zu vernichten.

Auch Pienza ist Bergstadt. Die Gegend umher dehnt sich großartig weit; Bergketten erscheinen hinter Bergketten, und auf ihren Felsenkronen schimmern Städte. Gegen Süden breitet sich das weite Thal der Orcia aus. Gewaltige mit Eichwald bedeckte Berge schließen das einsame Hochthal: gegen Süden der zweigipflige Monte Amiata, oft in Wolken stehend, gegen Osten ebenso hoch der Monte di Cetona; dazwischen schroff und kahl die Felsenfeste Radikofani, das verruchte Räubernest. Aber so herrlich auch die Rundsicht, der Boden im weiten Orciathal gleicht einer Wüste; er besteht aus steinhartem gelbem Thon, auf dem kein Baum, kein Strauch, kein Wiesengrün, und die Regengüsse haben das Erdreich in unzählige öde Hügelchen zerwaschen. Nur an einzelnen Hängen stehen zwischen Felstrümmern alte Eichen, von Habichten bewohnt, und zuweilen in den steilen Rinnsalen grünen zierliche Tamarisken. Zunächst um die Stadt sind Oel- und Weingarten. Schon aus weiter Ferne sieht man ihre großartigen, an den felsigen Rand des Berghauptes gestellten Gebäude emporragen.

Die alten Baumeister sind wegen ihrer Freiheit zu beneiden. Wenn jetzt eine solche Anlage gemacht würde, da müßte alles hübsch eben und gerade und symmetrisch sein, damit ja der Eindruck von Langweile nicht ausbliebe. Hier in Pienza sind um den mittelgroßen, unregelmäßig viereckigen Marktplatz die Prachtgebäude mit herrlichster Freiheit verteilt und ihre Reihen werden unterbrochen von anspruchslosen Wohnhäusern, so daß die Paläste noch mehr wirken.

Nebendem, daß die Gebäude so malerisch zusammengeordnet, sind sie mit jenem maßvollen natürlichen Sinn entworfen, der unserer Zeit so ziemlich abhanden kam. Wiewohl sämtlich Prachtgebäude, begnügen sie sich doch mit dem notwendigsten Schmuck, der deshalb um so bedeutsamer, und dann sind sie, ganz ihrem innern Wert entsprechend, in ihrer Pracht vortrefflich abgestuft. Am reichsten ist die Schauseite des Doms behandelt, dann folgt der nebenstehende gewaltige Palast des Papstes, dann das dem Dom gegenüberliegende Stadthaus mit lichter Säulenhalle und hohem, mit Zinnen gekröntem Eckturm; endlich der dem Papstpalast gegenüberliegende Palast des Bischofs, ein einfach edles Haus mit kräftigen Steinkreuzfenstern. In ähnlicher Weise sind die hier anstoßenden Paläste der Beamten des Papstes gehalten. Im Dome befinden sich prachtvolle Kirchengeräte und Meßgewänder, sodann das Haupt des heiligen Andreas aus Salerno, alles von Pius II. gestiftet.

Sein Palast, ein Quadrat, das weit über den Marktplatz hinausgreift, hat drei sehr hohe Geschosse, von Pilastern und stolzen, durch ein Säulchen geteilten Rundbogenfenstern belebt. Er besteht wie alle Bauten Pienzas aus schöngelbem Sandstein, die seine Arbeit ist aus Travertin (Kalktuff). An der vierten Seite gegen den sehr hoch aus dem Abhang des Orciathales heraufgemauerten Garten hin, sind die drei Stockwerke in drei herrliche Säulengange (Loggien) aufgelöst. In der Mitte des Palastes liegt der große Säulenhof, ringsumher hohe gewölbte Hallen; an den Wänden des ersten Stocks breiten sich um die ehrwürdigen Steinkreuzfenster lebhafte Malereien aus, das ganze Stockwerk scheint im heitersten Festschmuck zu prangen; der dritte Stock hat wieder luftige Säulengänge, In den zahlreichen Zimmern und Sälen, sieht man noch die guten alten bemalten Balkendecken, aus den stärksten Eichenstämmen gezimmert. Man erstaunt über die Schönheit und Mannigfaltigkeit der Ornamente, namentlich der Säulenkapitäle. Den Blumen des Frühlings gleich, ebenso viel und ebenso frisch und rein, sproßten hier Gedanken an Gedanken, denen der Griechen sehr nahe kommend. Wie es Jahre giebt, in denen alles in unglaublicher Fülle und zu außerordentlicher Schönheit gedeiht, so erscheint zuweilen auf einmal eine Menge der herrlichsten Menschen, welche sich gegenseitig hebend, wahre Jubeljahre in der Weltgeschichte einleiten, in denen dann auf alles, was entsteht, ein Schimmer dieser Herrlichkeit fällt. Eine solche Zeit war die der frühen italienischen Renaissance, in der auch Pienza erbaut wurde.

Der Palast ist kaum mehr bewohnt, gegen den verwahrlosten Garten hinaus halb zerfallen. Ein merkwürdiges Gefühl überkommt den Wanderer, der sich nach Pienza verirrte. Man spürt der ganzen Schöpfung an, die so herrlich aus Einem Gusse vor uns steht, daß wie durch Zauberwort sie plötzlich aus einem Boden wuchs, den die Natur durchaus nicht für eine prächtige Stadt bestimmte. Die Gegend ist sehr arm. Bei einbrechender Nacht sieht man nah und fern an den hochgelegenen Waldsäumen Hirtenfeuer auflodern; Viehzucht und Jagd ist die Hauptbeschäftigung der Bewohner.

Jäger, die oft über den waldigen Amiata hinweg, von dessen erhabenem Gipfel aus man Siena, Rom und das ferne Westmeer erglänzen sieht, der Jagd halber in das Land hinabsteigen, erzählten uns, die Gegenden gegen das Meer hin, die sogenannten Maremmen, seien nichts als eine große Sumpfheide, längst von den Menschen der Fieberluft wegen verlassen, nur von zahlreichem Wild bevölkert. In diesen Strichen stünden oft noch ganze Niederlassungen von Völkern grauer Vorzeit, erbaut aus riesenhaften Steinböcken. Unter den Etruskern waren die Maremmen äußerst fruchtbar und volkreich, Durch die leeren, vom Sumpfgestrüppe bedeckten Stätten wühlen jetzt wilde Schweine und finden zuweilen eine altitalische Glasperle.

Auf der Straße nach Rom

I.

Trasimener See

Wo dereinst die Waffen klirrten
Furchtbar unter Hannibal,
Weiden friedlich jetzt die Hirten,
Singt die junge Nachtigall.

Langsam mit bethauten Schwingen
Fliegt ein Adler übers Land,
Ferne Morgenglocken klingen
Weit umher am grünen Strand.

Und auf des Gebirges Kette,
Ueber Wald und Felsenkluft,
Glänzen die Etruskerstädte
Hochauf in die helle Luft.

Uralt, wie verstarrt, Versteinert,
Stehn sie das Gebirg entlang,
Nicht vergrößert noch verkleinert
Hat sie je der Zeiten Gang.

Ja noch türmen die Cyklopen-
Mauern sich daran empor,
Und Triglyphen und Metopen
Streifen ernst an Turm und Thor.

II.

Villa della Pieve, Perugia

Wir zahlten alles gern, was wir gesollt, Und steigen ein, der Wagen steht geschirrt, Von Hausknecht, Roßknecht, Kellner, Bettler, Wirt, Mit Riesenehrfurcht noch einmal umzollt, Und noch einmal die heil'ge Börse klirrt; Uns bleibt der Ruhm, den andern bleibt das Gold.

Von Citta della Pieve, der alten Bergstadt, Heimat Pietro Peruginos, geht die Fahrt durch abenteuerlich verknorpelte Eichwaldungen; jeder Baum ist von Epheu ganz umschlungen. Vier große weiße römische Ochsen mit ihren riesiglangen Hörnern bilden die Vorspann auf den Gebirgsstock von Perugia hinauf; links unten sieht man zwischen seinen grünen Bergen weit hin den blauen Spiegel des Trafimenersees. Es wird Nacht. Seit einer Stunde steigt die Straße noch stärker; das erste Thor Perugias ist erreicht. Zwischen den turmhohen, vorund zurückspringenden Citadellenmauern kriecht das Fuhrwerk von Thor zu Thor mühsam aufwärts. Durch die steilen Gassen heult der scharfe Nordwind; sie sind wie ausgestorben. Der Wagen hält: Treppen auf, Treppen ab, durch dumpfe finstere Gänge bringt uns der Führer ans Gasthaus »La Speranza«. Wir pochen, denn das palastähnliche Haus ist geschlossen. Man führt uns durch den Säulenhof in den zweiten Stock, der uns ganz zur Verfügung steht. Staunend schreiten wir durch die hohen, mit verblichenen Ahnenbildern geschmückten, mit prächtigen Teppichen belegten Gemächer. In die mächtig dicken Mauern des Palastes öffnen sich allenthalben schmale Seitengelasse und in einem derselben brennt eine Lampe vor einem marmornen Madonnenbilde; zur Seite hängt eine große Inschrifttafel:

»Dem unvergeßlichen Andenken des Giuseppe Storti,
der am 20. Juni 1859, als sich die Schweizersoldaten
Perugias bemächtigten, auf dieser Stelle mit zweien seiner
Diener grausam ermordet wurde; demselben Lose entgingen
mit Mühe die untröstliche Gattin Judith und ihre Mutter
Annunziata. Wanderer, weih' dieser Stätte des Fluches
ein stilles Gebet.«

In so manchem Hause Perugias wird ein ähnlicher Fall beklagt. Haus für Haus machten die tapfern Peruginer den päpstlichen Schweizertruppen streitig; die Kinder deckten die Dächer ab und aus den Fenstern gossen die Frauen siedendes Oel. – Die Zitadelle von Perugia ist jetzt dem Boden gleichgemacht. Von hier aus hat man einen ganz großartigen Blick auf die nahen Hochgebirge, die über der weiten Thalebene des Tiber ansteigen; auf einem der Vorberge liegt Assisi.

Am dritten Tage erst zeigte sich uns die schöne bleiche Judith, die Gattin des Gemordeten, und bat uns, ihr Haus, das schon schwer genug heimgesuchte, wieder in Aufnahme zu bringen. Wir gelobten es mit dem besten Gewissen. Eine unzufriedene Engländerin hatte in ihrem Reisehandbuch für Italien böswillig ausgesprengt, die Speranza sei geschlossen.

III.

Assisi

Auf einem der Kämme des Felsgebirges saß im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts Franz von Assisi, der Heilige, in tiefste Beschallung versunken, fromme Gespräche pflegend mit den Gestirnen, den Tieren des Waldes und den Vögeln des Himmels, schwer bekümmert um das unsterbliche Elend der Menschheit, erlösungsbegierig, – So saß er jahrelang, bis der Geist über ihn kam; wie ein Blitz erschien ihm aus den Wolken ein strahlendes Kruzifix und aus den blutigen Wunden des Gekreuzigten schossen Strahlen hernieder, ihm an Brust, Füßen und Händen des Erlösers Wundenmale einbrennend. Er stand auf, stiftete den Franziskanerorden und erneute die abendländische Christenheit.

An dem Berge von Assisi
Ruhn die heiligen Gebeine
San Francescos, des Asketen,
In dem harten Felsgesteine.

Wölbt sich dreifach übereinander
Auf gewaltigen Untermauern
Der erhabne Dom, des Morgens
Dicht umwogt von Wolkenschauern.

Unten rauscht der Teschio, das ungeduldige blaugraue Bergwasser, und droben auf dem sanften silbergrünen Oelbaumhügel liegt Kloster und Dom. Wie ein ungeheurer Quaderblock tritt es heran, gestützt von schrägen epheubewachsenen Strebemauern. Von ihm zur Rechten ziehen sich, von Bogen zu Bogen, andere mächtige Untermauerungen. Hinter dem Kloster ragt mit Chor und hohem Glockenturm der altersgraue Dom und weiterhin steigt mit Kirchen und Türmen und fensterarmen Steinhäusern die Stadt Assisi empor und darüber die große halbzertrümmerte Burg, erbaut auf dem letzten grünen Vorberg des kahlen kalksteinernen Hochgebirges.

Der Dom besteht aus Oberkirche, Unterkirche und Gruftkirche mit dem Grabe des Heiligen. Der Eindruck beim Betreten des Mittelschiffs der Unterkirche ist überwältigend. Schon auf Mannshöhe setzen die breiten schweren Kreuz- und Quer-Gurten des Gewölbes an, und die Mauerflächen sind viel bedeutender als die Oeffnungen. Hiedurch erhält der Raum etwas Geheimnisvolles, Heiliggrabdüsteres. Nur durch die schmalen tiefen Spitzbögen, die in die Seitenschiffe münden, strömt Licht, und zwar durch lauter sehr alte gemalte Fenster, die herrlichsten der Welt. Sie sind wie durchscheinende Teppiche, als sollten sie erinnern an die Teppiche, die das Allerheiligste der Stiftshütte des Volkes Israel verschlossen, durchwirkt und durchschimmert von köstlichsten Perlschnüren, Perlmutter- und Korallbändern, gesäumt und genäht mit Scharlach und Gold, blühend durchflochten von sprühenden Rosen, weißen stammenden Lilien und dem glänzendgrünen Gelock des Weinstocks. Inmitten dieser Teppiche leuchten Heiligen-Gestalten, in feierlicher Haltung übereinander stehend, ähnliche auf Goldgrund an Wänden und Decke.

Dazu Palestrinaische Orgelstimmen; jene einfachen, vollen, langgezogenen Töne lieben und tragen wie auf silbernen Morgenwolken das Gemüt empor; von reinerer Luft umweht, trinkt es durstig die seligen Klange, die alles Schlimme und Herbe sanft in ihm austilgen. – Die Oberkirche, in die man aus der untern durch Wendeltreppentürmchen, oder von der Stadt her kommend, zu ebener Erde durch die Doppelpforte der einfach-ehrwürdigen frühgotischen Fassade des Doms gelangt, ist einschiffig, eine herrlichweite, auch durchaus bemalte Halle. Der Dom wurde gebaut zwischen den Jahren 1218 und 1240 von Meister Jakob dem Deutschen.

In Assisi ging uns das Geld aus, und es regnete häufig. In solcher Stimmung besuchten wir auch einmal die schöne Kirche der heiligen Chiara (Clara), Klosterkirche mit Nonnenkloster, einst auch ganz ausgemalt, gleich dem Dom, aber um den Fremdenzudrang zu brechen, vor nicht langer Zeit auf Befehl eines der Obersten des Klosters weiß übertüncht. Nur Ein Gewölbejoch prangt noch in seinem Farbenschmuck.

Der Meßner fragte uns, ob wir nicht die heilige Chiara sehen wollten? – Lange standen wir lauschend vor dem ehernen Gitter. Der grüne Vorhang war niedergelassen, dahinter zuckten geisterhaft rote Hängelämpchen. Der Vorhang rollte hinauf; eine kleine Kapelle ward sichtbar und eine verschleierte Nonne beleuchtete sorgsam freundlich mit einer Wachskerze den alten Glasschrank, In ihm lag die heilige Clara, lang hingestreckt im schwarzen Nonnengewande, die Hände gefaltet, mit Blumen geschmückt; das mädchenhafte Mumiengesicht von braunen Locken umfaßt. So lag sie, wie ein verschollenes Schneewittchen.

Im Paese von Assisi
Regnet's pftichtlich jeden Morgen,
Regnet's pflichtlich jeden Abend,
Und wir selber müssen borgen.

Im Paese von Assisi
Gaben mir uns selbst zum Pfände,
Ohne Geld und ohne Stiefel
In dem wildfremd-welschen Lande.

Im Paese von Assisi
Führen sie die schwarzen Schweine
Hinter sich gleich Wachtelhündchen
Zahm und zierlich an der Leine.

In der Witwendrachenwirtschaft
Sie uns obendrein noch prellten,
Denn im Weichbild von Assisi
Betteln selbst die Angestellten.

Längst schon, um den Schein zu wahren,
Gaben mir den letzten ganzen
Silberfranken jenen Künstlern,
Welche Seil vorm Hause tanzen.

Letzter Trost und letzte Zuflucht
Für uns Arme ist alleine
Noch die heilige Chiara
Im krystallnen Totenschreine.

Und die Holde wird beleuchtet
Liebevoll von einer Nonne,
Betend liegt sie, Kranz im Haare,
Ruhig, voll verklärter Wonne.

Schwarz im schwarzen Bußgewande,
Aber lächelnd wie die Sonne;
Stille Thränen in den Augen,
Danken wir der guten Nonne.

Wir verstehn, wie höchste Armut
Doch das höchste Glück hienieden,
In der Leiche selbst zurückläßt
Unverwüstlich heitern Frieden.

In Assisi muß man mit der Sonne aufstehen, da steckt die ganze Stadt in Wolken. Die Sonne steigt, die Wolken ballen sich und ziehn am alten Franziskaner-Dom hinunter ins weite, von weißem dichtem Dunst erfüllte Thal. Und aus dem Nebelmeere ziehen wieder, als silberne Wassersäulen, die Wolken sich empor, höher und höher, so lange, bis sie reißen und frische Schneehörner im Sonnenlichte glänzen, und wieder von Wirbeln gepackt, dreht sich vom nächsten hohen Berg ein Stück seiner Wolkenkappe los und fegt als finsterer Nebelbesen den lachenden Tag hinweg. So wogt der Kampf alle Morgen hin und her, bis die Sonne siegreich den Himmel erklimmt. Der Abend ist klar und mild, und eröffnet einen weiten fernen Blick in das breite mächtige Vergstufenland von Umbrien, zu dessen Füßen das fruchtbare Tiberthal.

IV.

Orvieto.

Schon von ferne, durch die Eichwaldthäler herabkommend, erblickt man Orvieto, denn auf unersteiglichem Felsrücken, der lang und schmal aus der Thalsohle aufstarrt, steht es gegründet. Wie eine Sonne strahlt über die ernsten grauen Mauerzacken und Türme die hohe dreigieblige Prachtfassade des Doms, ganz mit Mosaiken auf Goldgrund überzogen. Nur mit Mühe gelangt der Wagen in die Stadt, durch riesige Thore und Mauern, die ganz mit der Felsenkrone verwachsen sind. Ringsumher liegen runde bewaldete Berge.

In der Madonnenkapelle des weltberühmten Doms sind wunderbare Malereien von Fiesole, Gozzoli und von Luca Signorelli da Cortona; von letzterem seine drei größten Schöpfungen. In den mächtigen Halbrunden unter den Kreuzgewölben sieht man Auferstehung der Toten, Hölle, Paradies.

Signorelli's Auferstehung der Toten.

Vom gestirnten Himmel herab steigen zwei große Engel; ihre Posaunen tönen, die Posaunen des jüngsten Tages. Aus dem kalten kahlen Erdreich ziehen sich mühsam hervor die Toten, ganz nackt, viele schon Gerippe, alle noch trunken vom langen langen Schlummer. Mit blöder Verwunderung blinzeln sie hinauf in den strahlenden Himmel und besinnen sich gähnend auf uralt verschwundene traumhafte Tage. Noch ungelenk sind ihre Glieder vom ersten Schrecken; der helle, die ganze Welt durchgellende, die ganze Welt jäh aufrüttelnde Ruf liegt noch wie Blei in aller Ohren. Die von Schuld Reinen sammeln sich in vertraulichen Gruppen und umarmen sich innig in der hellaufzückenden Freude des Wiedererkennens. Die meisten stehen ruhig gefaßt in Erwartung. Unschlüssig thatlos kauern andere am Boden; Angst streitet in ihnen mit Hoffnung und lähmt ihre Denkkraft. Die Heuchler suchen ihre Blöße noch jetzt zu decken. Andere wieder trotzen noch immer und blicken herausfordernd-verstockt in den offenen Himmel, den selige Engel durchschweben.

Sehr sehenswürdig ist auch in der Stadt der große Zauberbrunnen (pozzo), an den von Allahabad erinnernd, 250 Fuß tief in den Fels gehauen, ein weiter runder Schacht, von Schneckentreppen umgeben; eine führt hinab, eine hinauf. Man steigt mit Fackeln hinunter. Leise tröpfelt es vom dunklen Mauerfarnkraut, das sich aus allen Ritzen drängt. Unten erscheint dem Hinaufblickenden der Tag nur wie ein großer Stern. Der Brunnen ist versiegt, um so reicher aber sprudelt im prächtigen Albergo delle belle Arti der goldhelle Vino santo di Orvieto. Mit Recht heißt dieser Wein der heilige, in der That, er heiligt den Menschen. Die edelsten, alles erzeugenden Kräfte Himmels und der Erde flossen in ihm in größter Fülle und Reinheit zusammen. Darum je mehr wir von ihm trinken, um so weiser werden wir, und hören unter uns die dunklen Lebensbrunnen der Erde köstlich rauschen und über uns den großartigen Einklang der lichten, ewig kreisenden Sterne.

V.

Vollends nach Rom.

Hellster Vollmondschein. Lang hingestreckt, wie ein grobknochiges versteinertes Krokodil, lagert drüben überm Thal auf dem turmhohen Felsengrat das alte Orvieto. Wir aber fahren, vorn im Wagen, in der scharfkalten klaren Spätherbstnacht mit unseren fünf Pferden hinauf die vielgewundene, hochaufgemauerte Bergsteige; Besenpfriemen und Eichenknorren gespenstig am Wege; Grabesstille rings. Nicht selten zeichnet sich auf hell im Mondlicht schimmernden Steinhaufen ein schwarzes Holzkreuz ab, zum Andenken an hier Ermordete, und eisiger Schauer überrieselt die Haut der Kunstreisenden. Ihr Gespräch stockt; schweigend geht es hinüber im gestrecktesten Lauf über die hohe Heide; man hört nur noch das Knistern der in der Faust zusammengeknitterten Kreditbriefe. Dann schneidet sich der Weg wieder stark ein in finstere Bergschluchten. Ein langgedehnter schriller Schrei des Postillons findet willkommene Antwort in der tiefuntersten Thalsohle: unheimlich behutsam schlurgt es näher und näher, durchs knackende Gestrüppe scheint's wie weiße Mäntel, glänzende Spitzen funkeln zerstreut. Noch ein langer, banger, aufschluchzender Atemzug im Wagen; die dunkle Waldung teilt sich und herausdringen vier starke römische Ochsen, die wirksamste Vorspann.

Vor dem Thor von Viterbo hält endlich der Wagen. Ganz sachte von drei hinkenden französischen Invaliden die Riegel zurückgeschoben, öffnet sich knarrend das Stadtthor (Schiller) und den sichern Bürger von Viterbo schrecket nicht die Nacht aus dem Schlummer. Aber das übernächtige Ohr der Reisenden wacht um so beklommener, aufgeregt vom lockenden Geschwätz der Quellnymphen, die hier im Grunde der vielen herrlichen Steinbrunnen fortmurmeln.

Und schon dehnt sich auf der weiten
Höhe dort Viterbo hin: –
An Viterbo sah man reiten
Einst vorüber Konradin.

Und den Papst, der längst gleich Blitzen
Seinen Bann auf ihn gezückt,
Sah man auf der Zinne sitzen,
Mit der Kron' das Haupt geschmückt.

Herrlich sie vorüber wallen,
Banner fliegen hoch empor,
Konradin, so schön vor allen
Strahlt er aus dem Heer hervor.

Cymbeln und Drommeten klingen,
Deutsche Lieder jauchzen drein.
In den hellen Panzerringen
Spiegelt sich der Sonnenschein.

Aber düster auf der Mauer,
Scharfen Blicks, der Papst ersteht.
Und er ruft voll Haß und Trauer,
Als ein zürnender Prophet:

Armer Thor, dein Unterfangen,
Wie ein Rauch verrinnt es dir,
Und du selber kommst gegangen.
Wie zur Bank ein Opfertier!

Ruft es laut, nicht hören wollte
Konradin und stürmte fort,
Bis das Lockenhaupt ihm rollte
Auf Neapels blutigen Bord. – –

Die Sonne geht auf und beleuchtet weithin ein ebenes gelbes fruchtbares Ackerland; von der Hochfläche herab zieht sich die Straße den ganzen Tag durch enge steile Waldthäler, vorüber an Burgtrümmern und Bergstädtchen, die malerisch im höhlenreichen Felsgebirge wurzeln, Boden und Luft werden milder. Der Weg führt jetzt auf der alten Via Cassia mit geringen Wendungen, meist auf der Wasserscheide gerade südwärts, und wie die Heerstraße höher steigt, entfaltet sich Schritt für Schritt zur Linken wunderblau, fast unendlich gegliedert, die schneebedeckte Sabiner Alpenkette, und wo der Weg am höchsten, blitzt zur Rechten das Meer auf und vor uns liegt im Abendlichte, groß und weit über den sanften Vorhügelkranz der blauenden Albanerberge hingebettet, die ewige Stadt.

In die Heide hingebettet.
Und erhaben steht sie doch,
Riesengroß, und wird umkettet
Von den alten Mauern noch.

Das ist Rom, in goldnem Scheine
Liegt Palast und Tempelhaus,
Dunkelgrüne Gartenhaine
Breiten schwermutsvoll sich aus.

Ein Gewirr von Kuppeln, Dächern,
Säulen, Türmen – ein Phantom
Aus verzauberten Gemächern
Und Ruinen, das ist Rom!

Wie von lichtgetränkten Wogen,
Wie von einem geistigen Strom,
Fühlst du dich dahin gezogen,
Erdenpilger, das ist Rom!

Rom

1.

Wir wollten uns anfangs in Rom nur die Haare schneiden lassen, und sofort ins warme Neapel gehen; ziehen aber jetzt vor, bewegt von den hiesigen Künstlern, die Haare stehen zu lassen und im kalten Rom zu überwintern und zwar am Monte Pincio, dem gesündesten Berge der Stadt, wo die meisten Deutschen wohnen.

Neben uns liegt die berühmte Kapuzinerkirche. Letzthin waren wir dort. Ein alter Kapuziner mit ellenbreitem grauem Barte führte uns vorsichtig mit Kerzen hinab in die Unterkirche, hinab in Nacht und Moderluft. In fünf großen tonnengewölbten Kapellen beugt sich hier, eine schauerliche Art der Wandverzierung – Schädel auf Schädel, Gebeine auf Gebeine. Dazwischen in den ausgesparten Rundnischen stehen in schwarzen Kutten halbvertrocknete Kapuzinerleichname, todesjämmerlichfüß grinsend. An den Gewölben reiht sich Wirbel an Wirbel, Schulterblatt an Schulterblatt, Rippe an Rippe zu dürren, gothisch verknorpelten Rosetten; gräßlich phantastische Hängelampen, aus Hunderten von Fuß- und Fingergliedchen zusammengesetzt, tragen spärliche trübflackernde Flämmchen.

Die Stadt Rom ist, obenhin besehen, ein langweiliges Landpaëse. Die wunderbar herrlichen Schätze der Ewigen liegen so weit auseinander, sind meist so dick mit Stuckzöpfen überzogen, die Gassen sind so krumm und eng, die Pflastersteine so klein und spitzig, daß man erst nach langer bitterer Zeit der Prüfung vom unermeßlichen Horte Kleinod für Kleinod zu heben vermag; und es ist gut so, denn es find Eindrücke, einzig-großartig, unser Gemüt auf immer bewältigend, umstimmend, klärend (siehe Goethe). Rom hat etwas Sprödes, etwas von einer alten Jungfer, wenn's regnet, von einer unausstehlichen. Wenn aber die Sonne scheint, und die scheint gottlob fast immer in Italien, und ihr Antlitz mit silbernem Duft überschleiert, dann lächelt die Name schmerzlich verklärt, dann zuckt ihr der Schimmer der jungfräulichstolzen antiken Schönheit wieder herauf.

So lückenhaft ihre Zähne, geben sie doch den höchsten Begriff vom alten ehernen Gebisse, das die Welt zermalmte; auch der Magen der alten Matrone scheint immer noch ausgezeichnet zu sein, ja, wie es beim Alter überhaupt der Fall, immer besser zu werden und nachgerade alles ertragen zu können. Denn welche Auswahl von Geistlichen und Künstlern findet sich hier! Man kann sie alle Tage zwischen den Palmen und Bananen des Monte Pincio corsieren sehen, in jenen, am Nordendder Stadt in gewaltigen Terrassen aufgeführten Anlagen, mit Brunnen und Bildsäulen glänzend reich geschmückt. Auf der Vorderseite hat man ganz Rom unter sich, auf der entgegengesetzten dehnt sich über der weiten kahlen Campagna-Gbene die jetzt schnee-schimmernde, vielgliedrige Kette der Hochgebirge, unbeschreiblich schön!

Auf dem Monte Pincio bummelt
Jeden Tag die feine Welt,
Auf dem Monte Pincio tummelt
Jeder sich, wie's ihm gefällt.

Silberblau den riesengroßen
Dom Sankt Peters sieht man hier,
Und es spielen die Franzosen
Jeden Tag von drei bis vier.

Monsignoren und Signoren
Fahren Kutschen zwei und zwei,
Kön'ge, die den Thron verloren,
Sind mitunter auch dabei.

In den grellsten Purpurtinten
Läßt der Kardinal sich sehn,
Auf dem Wagenschlage hinten
Drei Lakai'n verzaubert stehn.

Und in langen Reihen ragend,
Sitzt der Mägde heil'ge Schar;
Kinder auf den Armen tragend,
Rote Mieder, Gold im Haar.

Nebenan als eine Säule
Steht der Zuav', als sagte er:
Nirgends ist die Langeweile
Größer als beim Militär.

Und den Rand des Horizontes
Krönt von Zeit zu Zeit sogar
Auch ein stillvergnügtes blondes
Junges deutsches Ehepaar.

Künstler auch, gedankenschwere,
Schieben sich in Masse ein:
Eine eigne Atmosphäre
Scheint um sie herum zu sein.

Umgeworfenen Gewandes,
Teilen sie die Menschenflut,
Wolkengipflich, breitsten Randes,
Ueberkrempelt sie der Hut.

Wie sie hin und wider wallen,
Ueber ihren Hinterkopf
Lockenströme niederfallen,
Wie ein aufgelöster Zopf.

An sie reiht voll Herrscherwürde
Sich der edle Bettler an,
Armut ist ihm keine Bürde,
Denn sie nähret ihren Mann.

Dieses ist das Lied vom Corso,
Wer's nicht glaubt, geh' selber hin,
Wo ich oft mit meinem Torso
Auf und ab gewandelt bin.

Ist die Sonne untergegangen, so kommt noch das Schönste; jene gleichmäßig-glühende Röte, die nach einer Weile den reinen Himmel gegen West und Nord allmählich ganz erfüllt. Ueber das stille Rom zieht sich ein milchweißer Nebel, in dem alle Kanten sanft vergehen, und dahinter heben sich scharf und dunkel die langen geraden Bergränder ab mit ihren einzelnen mächtigen Pinienschirmen, gewaltig durchbrochen von der Peterskuppel. Immer turmartiger erscheint diese; durch die großen Fenster ihrer hohen Trommel glüht der Himmel, als ob ein ungeheures Feuer im Heiligtume lodere, dessen Kraft sein Dach höher und höher trüge.

Es wird dunkler und ganz still, das Feuer im Petersdom verglostet: Menschen und Tiere sind verschwunden, nur zuweilen flattert noch mit ausgespreizter grauer Plaidflughaut ein deutscher Künstler hastig voran, fledermausartig, und krallt sich an einer der Travertinbrüstungen fest, versinkend ins Anschaun des Unendlichen, – um dann zu Carlin, wo gespeist wird, einzufallen. Hieher kommen alle jene Nachtflatterer und sitzen enggedrängt an den Wänden hin, die Flughaut übergewickelt, niemals abgelegt, und je nach den Bedingnissen der darunter verborgenen Kleidung kunstreich gefaltet.

Das Zimmer ist klein, doch im Vergleich zum Eingang geräumig, nur ein Mann kann hinter dem andern, die Schmalseite voran, sich einschießen. Innen hört man alle Sprachen und glaubt sie auch zu verstehen, weil man so nahe dabei sitzt.

Draußen im Reich hört man oft die Leute sagen, sie möchten nicht nach Italien, dort könne man gar nichts essen, kein Fleisch, keine Würste, kein Gemüse, und was man bekomme, sei mit Oel gekocht. O ihr Kleingläubigen! nirgends ißt man besser, als in Italien. Das Fleisch ist vortrefflich; ganz natürlich, weil die Ochsen, Hammel und Schweine nie unter Dach kommen, stets im schönsten Sonnenschein sich tummeln dürfen und dabei stets den Anblick von Denkmälern einer Vorzeit haben, wie wir keine aufzuweisen vermögen, so groß und reich und gesund, so bis ins Feinste durchgebildet; das muß übergehen in Gemüt und Geblüt. Mit Oel zu kochen, ist ferner höchst ratsam; das Oel ist das edelste Fett, ohne dabei, wie unser heimatliches Rindschmalz, wenn es einmal warm wird, zwecklos sich aufzublähen und unangenehm aufzubrausen. Zur Ehre der Butter muß ich noch beifügen, daß sie sehr häufig in Italien und mit Erfolg namentlich bei den Maccaroni angewandt wird. Und die Gemüse, o weh, wie sind die gut: Broccoli, Bohnen, Blumenkohl und Lattuga-Salat, von welch' letzterem schon Goethe ganz entzückt ist.

In der Peterskirche sind mir auch schon gewesen. Ein Gang vom Monte Pincio nach der Peterstirche hinüber hat eigentümliche Schmierigkeiten. Erstens muß man die prachtvolle vielftufige spanische Treppe hinab, wo die Bettler kauern und zuerst grüßen. – Diese spanische Treppe dient dem in Rom seit Jahren sich aufhaltenden französischen Heere zu ganz besonderer Befriedigung. Findet sich auf dem Monte Pincio ein Hund, so bindet ihm das gerade hier lagernde Regiment eine alte blecherne Breikachel oder sonst ein Erzgeräte an den Schwanz und jagt so den Hund die hohe spanische Treppe hinunter. Auf jeder Stufe fällt die Kachel donnernder auf, immer rasender setzt der Hund, immer fürchterlicher tobt hinter ihm her die Blechkachel! Am Rande des Wahnsinns fliegt das arme Tier noch die ganze, dreiviertel Stunden lange Via de' Condotti hindurch unter dem homerischen Gelächter des Populus Romanus, bis es vor der Engelsburg erschöpft niedersinkt. Die auf der Burg stehenden Franzosen sehen dann, daß ihre Brüder den Monte Pincio noch inne haben.

Will man als Mensch den nächsten Weg nach dem Vatikan machen, so muß man ganz denselben Gang thun, wie jener Hund. Die Via de' Condotti schneidet als schmaler Schlitz, mit wenigen bedeutenden Bauten besetzt, die Hauptader der Stadt, den palästereichen Corso senkrecht, und führt schnurstracks zur Engelsbrücke vor der Engelsburg. Die Burg liegt schon jenseits des Tiberflusses, der sich hier in sehr starkem Bogen durch die Stadt krümmt. Bis an seine gelben Wellen hin treten, eng aneinander gedrängt, hohe altertümliche Wohnhäuser; zunächst vor dem Kastell weichen die Häuser wie in scheuer Ehrfurcht zurück; dieser Tumulusrumpf trägt ja selbst wieder eine kleine Stadt. Von hier aus erscheint die Peterskirche in ihrer ganzen Riesen-Herrlichkeit. Wie man näher und näher kommt, duckt sich die Kuppel Michelangelo's. Die grandios erhabene, mit Doppelsäulen umstellte Trommel, der größte Baugedanke seit Erschaffung der Welt, der unvergleichlich würdig die eigentliche Kuppel trägt, geht hinter dem Rand der viel zu weit vorgebauten Fassade unter; nur die Wölbung bleibt sichtbar, jener ewig zu bewundernde Umriß; Michelangelo Buonarroti aus Florenz, geb. 1474, gest. 1563, zog ihn, es war die Hand des größten modernen Menschen.

Die Fassade der Kirche wirkt trotz ihrer Verzopfung noch immer höchst bedeutend durch ihre Größe und durch ihre Lage auf vielen Treppen, und zwischen jenen dorischen Kolonnaden, die großartig-einfach sich in zwei ungeheuren Bögen dem den Platz Betretenden entgegenrunden. Inmitten stehen neben dem mächtigen Obelisken die zwei berühmten Springbrunnen, schlichte Steinbauten; oben aus ihrem pilzartigen Mundstück steigen ganze Gießbäche lautersten Quellwassers, unbändig tosend und schäumend, als erinnerten sie sich noch gar wohl ihrer Herkunft aus den fernen freien Waldgebirgen. Sie beleben allein, ihre großen Tropfen als farbig funkelnde Sternblumen weit hinausstreuend, die trockene, steinerne Pracht des baumlosen Platzes und machen herrlich kühl. Nirgends hin brennt aber auch die Sonne so wirksam; um Mittag liegen die stummen hellgelben Gebäudemassen wie von der Glut verzaubert.

Still und heiß, nur die Kaskaden
Unaufhörlich rauschen, schäumen.
Unter allen Kolonnaden
Alle Menschen selig träumen.

Selbst der hohe Hirt der müden
Christenheit versinkt im Schlafe,
Muntre Jesuiten hüten
Unterdessen seine Schafe.

Kennst du das Haus, auf Säulen ruht sein Dach,
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn dich an:
Um fünf Bajocchi wird dir aufgethan?
Ich weiß es wohl, es ist der Vatikan.

Dem vom Monte Mario Herabkommenden erscheint zur Rechten wie eine unbezwinglich feste Burg, furchtbar hoch, der vatikanische Palast. Er bildet, von außen gesehen, einen zehn Minuten langen und nicht viel schmäleren Gebäudekoloß, den die Jahrhunderte türmten, mit Zinnen und Rundbogenfliesen altertümlich streng verzierten; und innen ward er vom göttlichen Bramante und Genossen ausgehöhlt zu Kirchen, Kapellen, Bibliotheken, Prachtsälen und Säulenhöfen, an deren Wandflächen Rafael und Michelangelo ihre beste Kraft versuchten, und auf deren Bodenflächen Alt-Rom seine Statuen-Legionen aufstellte.

Der Vatikan hat zwanzig Höfe; die Gesamtsumme aller seiner Räume soll zehntausend betragen, die alle dem Papste gehören. Bequemer ist es gewiß keinem Stadtpfarrer in Deutschland gemacht, die Stadtpfarrkirche zu Sankt Peter gerade ans Pfarrhaus gebaut, so daß der Pfarrherr in Pantoffeln in die Kirche kann, im Winkel zwischen Kirche und Haus ein reizendes Gärtchen. Hier voll immergrüner Myrten- und Lorbeerhecken und zierlichster Blumenbeete, die mit Hunderten von antiken Statuen umstellt und überall von springenden Wassern belebt sind, inmitten liegt ein allerliebstes Gartenhäuschen an plätschernder Teichanlage; es ist die berühmte Villa Pia, um 1560 von dem talentvollen Architekten und Archäologen Pirro Ligorio für Papst Pius IV. erbaut. Von hier aus hat man die beste Ansicht des Chors und der Kuppel der Stadtkirche von Rom, der St. Peterskirche. Es gehört dies zum Allergrößten. Die Formen erscheinen noch so, wie sie Bramante und Michelangelo dachten, und mit ihrer Hoheit bildet den lieblichsten Gegensatz der zierliche Prunkgarten. Der Eintritt in die päpstlichen Gärten ist streng verboten. Gold öffnete uns die Thore; wir verlebten eine unvergeßliche Morgenstunde. Der große ebene Prunkgarten lag so still, lag wie versunken zwischen den überhohen Steinbauten; uns zur Linken im Schatten die stolzen Mauerwände des Vatikans, uns zur Rechten die hochliegende Terrasse des Gartens. Dort schlug eine Nachtigall im Dunkel der immergrünen Eichen, deren vielverzweigte Kronen so dicht sich belauben, daß nie ein Sonnenstrahl bis auf den reinlichen Boden hinabdringt; und gerade vor uns am Ende des Gartens, über alles erhaben, standen die hinteren halbrundgeschlossenen Kreuzarme der Peterskirche, darüber die Kuppel. Jene riesigen Halbrunde bereiten herrlich auf die Kuppel selbst vor, machen hier den Eindruck des Doms wundervoll einheitlich. So stand er vor uns, der ganz aus lichtgelben Travertinquadern aufgeführte Bau, voll höchster Kraft und Ruhe, vergoldet und durchwärmt von den Strahlen der Frühsonne, vollkommen klar beleuchtet in den mildblauen Himmel hinaufragend. Nichts rührte sich im morgensonnigen windgeschützten Prunkgarten. Nur da und dort stäubt aus den flammenden Tulpenbeeten goldener Duft empor und schillernde Schmetterlinge fliegen langsam um die schönen, stillen Marmorbilder. Die Brunnen glitzern glückselig fort; aber längst nicht mehr hörten nur sie rauschen, so sehr nahm uns der Petersdom hin. Mehr und mehr erschloß sich uns der Sinn seiner Einzelformen, die da mit den ungeheuren Umrissen so ganz zusammenstimmen. Es war uns, wir hörten eine Musik, hochfeierlich, lauter, immer lauter, endlich wie vom Sturm geschwellt! Erst als wir uns abgewendet, kam uns die Erinnerung wieder an die Sonntagsstille des Gartens. Wir hörten die Brunnen wieder rauschen und die Nachtigall wieder schlagen im tiefen Dunkel der immergrünen Eichen.

An dieser Stätte, die zu innerster Sammlung wie geschaffen ist, pflegt der heilige Vater fast jeden Morgen zu wandeln. Wir dachten uns ihn, wie er durch den Garten sinnend geht in der thauigen Frühe des Osterfestes, bevor er von der Höhe der Peterskirche herab mit starker Stimme den Hunderttausenden, die unten knieen, und nicht bloß diesen, der ganzen Welt – urbi et orbi – den Segen giebt.

Das Innere der Peterskirche wirkt wunderbar beruhigend. Die Temperatur in diesem größten Binnenraume der Welt ist immer dieselbe, und immer die beste, gesündeste; eben diejenige Temperatur, die wir verlangen, um uns darin vollkommen wohl zu fühlen, und gar nicht zu spüren, daß uns Luft umgiebt. Auf ganz dieselbe Weise stimmt uns jedesmal die Kirche selbst. Neben den überall durchgeführten Formen der edelsten Bogenlinie, des Halbkreises, ist es ihre Inkrustierung mit Mosaiken. Mosaiken haben Naturfarben und Naturfarben sind nie schreiend; Weiß, Blau, Gold herrschen vor.

Wie wir eintreten, zieht es uns durch den langen, weiten, tonnengewölbten Pfeilerbau des Mittelschiffes, der fensterlos in mattem Goldlicht glänzt, voran, dorthin, wo wir die Kuppel ahnen, wo silberblaue Strahlen von oben her sich ergießen, voran, bis sie sich aufthut. Durch die großen Fenster ihrer hohen Trommel bricht allmächtig das lautere Licht der Sonne und erfüllt, die milden Farben der Wände in sich aufnehmend, den Kuppelraum mit einer Luft, die sanfter ist und leuchtender, als jede andere irdische. Durch diesen Aether schauen wir die Kühnheit und Schwungkraft der viel- und klargerippten Kuppelwölbung im wahren Lichte. Wir schauen und schauen. Das Gefühl der Schwere scheint uns verlassen zu wollen; es hebt uns empor, aber nicht stürmisch, als möchten wir voll unbefriedigter Sehnsucht das Gewölbe durchbrechen, nein sanft, als ob wir leise hinschwebten. Wir wollen bleiben in diesem Raum. Wir vergessen in ihm, daß er uns einschließt, so herzerlösend groß und schön sind seine Formen und Farben. Merkwürdiger Frieden wird uns. Wir spüren, daß wir nicht planlos geboren wurden im Nebel dieser Welt und daß uns allen einst vergeben werden wird. Michelangelo Buonarroti schuf auch das Innere der Kuppel.

An großen Festtagen, wenn viele, viele Tausende in der Kirche sind, erkennt man erst ihren ganzen Flächenraum. So sahen wir es am Weihnachtsfeste, damals wollten wir auch den Papst sehen, und hieraus entstand folgendes Lied:

Haben Sie den Papst gesehen?
Ach, wir wollten's lange schon:
Müssen in den Peter gehen,
Heut ist große Funktion;
Und es schmückte sich ein jeder,
Und wir gingen in den Peter,
Und es war von Militär
Schon die ganze Kirche schwer.

Und gesteckt in spanische Trachten,
Kammerdiener ohne Zahl
Mit erstorbnem Lächeln brachten
Kardinal an Kardinal,
Und getrosten Muts wir stehen,
Unverbrüchlich hinzusehen,
Manche Viertelstunde schon
Auf den leeren Purpurthron.

Die auswärtigen Gesandten,
Blauen Frack am schlanken Leib,
Stolz indes vorüberrannten,
Ein willkommner Zeitvertreib;
Und wir fangen auf den Zehen
Schon begierlich an zu stehen,
Denn von oben schallte schon
Ein gelinder Orgelton.

Solos wechseln ab mit Chören,
Hochauf wölkt sich Weihnachtsqualm,
Und dazwischen ist zu hören
Eines Priesters leiser Psalm;
Und noch immer auf den Zehen
Unverrückt die beiden stehen;
Flüstern schon einander zu:
Ist er kommen? siehst ihn du?

Ja dort hinterm Hochaltare,
Wo sich hin und her bewegt
Eine goldene Tiare,
Und nun wird sie abgelegt;
Ob er's war, der sie getragen,
Meinst du wohl, man könn' es sagen?
Wenn er dieses nicht schon ist,
Kommt er doch in kleinster Frist.

Solos wechseln ab mit Chören,
Hochauf wölkt sich Weihnachtsqualm,
Und dazwischen ist zu hören
Eines Priesters leiser Psalm;
Horch, man hört ein Kommandieren,
Die Soldaten präsentieren;
Auf den Zehen stehen wir noch;
Ja, er war es; doch nicht; doch!

Nein, jetzt kommt er, jetzt beginnt er!
Aber sieh, zum Dom hinaus
Ziehn Soldaten, Pöbel, Kinder,
Komm, wir gehen, es ist aus.
Ach, noch immer hoffend steht er
In dem riesigen Sankt Peter,
Vor dem Throne purpurrot,
Wie das arme Weib des Loth.

Als die allerletzten treten
Aus der öden Kirche wir;
Hörtest du sein leises Beten,
Nein, er war doch wirklich hier?
Aber doch, es macht mir Skrupel,
Warum kam denn aus der Kuppel
Nirgends ein Posaunenton;
Und der leere Purpurthron? –

Haben Sie den Papst gesehen?
Ja, ich glaube, daß er's war,
Sahen seine Krone gehen
Hin und her am Hochaltar.
Freilich ist's der Papst gewesen!
Nein, er hat heut nicht gelesen,
Ruft sofort ein Dritter aus,
Papst ist krank und blieb zu Haus.

II.

Regenzeit.

Schwarze Wetterwolken hangen
Wie von Blei vom Himmel nieder,
Und vor Frost und Nässe bangen
Unsre armen deutschen Glieder.

Seufzend tauchen wir sie unter
In des Café's finstrer Klause,
Stürzen ein Glas Wein hinunter,
Und dann wiederum nach Hause.

Ach und mit verzweiflungsweiten
Schritten rennen wir da Wette,
Bis wir todesmatt und schreiten
Noch am hellen Tag zu Bette.

Hier auch herrscht des Frostes Grimme,
Um uns leidlich warm zu machen,
Lesen wir mit lauter Stimme
Schillers Ritter mit dem Drachen.

Aber ach, da uns am Ende
Kalt auch lassen diese Strophen,
Lesen wir im Testamente
Von den Drei'n im Feuerofen.

Andere deutsche Künstler lagern indes, Walrossen gleich, die auf Eisschollen kauern, neben uns auf den Betten, deren hetrurische Breite das wohl ermöglicht. Da gedenkt man der Heimat mit süßem Gefühl, erzählt sich von den grünen Buchenwäldern. – Tagelang kann man in ihnen fortgehen in hohem Frieden; beim Morgen- und Abendrot ist es, als ob man in einem Dom ginge mit gemalten Fenstern und von oben her ein dumpfes Läuten vernähme. Zuweilen findet man eine Quelle in tiefem Felsenkessel zum kleinen See erweitert; er ist unergründlich. Oft brausen in ihm mächtige Strudel empor; es heißt dann, der Topf siedet. Klimmt man ganz hinaus zu den Hochflächen, da stehen steinalte Bäume, Eichen und Buchen aus Weiden und Heiden. Weithin schweift der Blick über das gesegnete Unterland; die Lust weht frisch und anstrengend, und da liegen, oft noch in langen Reihen, die grünen Hünengräber. Es ist so still und einsam hier oben; nur der Schrei eines Habichts, das Lied der Heidelerchen, oder der scharfe pfeifende Wind, der den Wald erbrausen macht, tönt über dem Grab der schlafenden Helden. – In der Sommersonnwendnacht, heißt es, hört man in den Wipfeln ein wunderbares Rauschen durch den Wald gehen; in dieser Nacht wachen die Toten auf.

Wo auf der hohen Heideflur
Die starken Eichen stehen,
Da kannst du noch die letzte Spur
Der Hünengräber sehen.

Da liegen sie so still und frei
Die grünen Totenhügel,
Und über ihnen schwingt der Weih
Im Sonnenstrahl die Flügel.

Kein Erzkreuz und kein Marmor drückt
Die schlichten, mächtig großen,
Es hat sie nur der Wald geschmückt
Mit seinen wilden Rosen.

Und in der Sommersonnwendnacht
Die Wipfel alle rauschen,
Da sind die Toten aufgewacht,
Dem lieben Klang zu lauschen.

Da rauscht's im größten deutschen Dom,
Der geht von Meer zu Meere,
So donnerlaut, wie einst der Strom
Der Völkerwanderungsheere!

Wenn auf dem Schwarzwald der Schnee so hoch liegt, daß nur noch die Schornsteine der zerstreuten Häuschen herausrauchen, und vollends ganz oben auf den hohen Grinden von den Legforchen, die um die Moorseen kümmern, auch kein Wipfel mehr herausspitzt; da ist es stille. – Nur zuweilen aus der Ferne kommt ein dumpfer Hall, dann ist in den tiefen Schluchten eine von den turmhohen Tannen unter der Schneelast zusammengebrochen. In schneidiger Klarheit kreist der Sternenhimmel über den Hochbreiten und saugt der Erde letzte Wärme empor. Da ist es stille. Wohl weht der Sturm unaufhörlich, aber er pfeift nur fein, denn er hat nichts mehr, das er zum Rauschen brächte. Hier hört man oft, in den Nächten zwischen Weihnachten und dem Neujahr, durch die Todesstille ein furchtbares Sausen und Dröhnen, Stöhnen und Zischen in der Luft über das Gebirge her. Wer hinauf blickt, wehe dem! Es ist das Wodans-Heer.

Wodans Gesang im wilden Heer.

Wend' ab dich da unten, du sterblicher Wurm,
Ich fahre vorüber im rasenden Sturm,
Erschaut mich dein Auge, so bist du ja blind,
Selbst vertriebene Götter noch fürchterlich sind.

Ich ließ euch gedeihen die grünende Au,
Ich gab euch der Weisheit erquicklichen Thau,
Verhalf euch zum Sieg in verzweifelter Schlacht,
Ihr habt mich zum Danke zum Teufel gemacht.

Und habt mir die heiligen Bäume gefällt,
Die heiligen Quellen vergiftet, vergällt,
Die heiligen Berge, zerwühlt habt ihr sie,
Die heiligen Blumen, ihr gebt sie dem Vieh.

Und schloßt einem fremden Beherrscher euch an,
Doch hat er euch mehr als ich selber gethan?

Was klingen die Glocken im finsteren Thal,
Sie singen noch immer von steigender Qual;
Was bringen die Tempel mit Türmen und Chor,
Sie ringen das Kreuz als ihr Höchstes empor.

Und längst ist geborsten ihr mächtiges Dach,
Man baute die Pfeiler zu kühn und zu schwach;
Schon schiebt sich, wie Hohn, aus dem großen Ruin
Hoch über die Dome Kamin an Kamin.

Das sind nicht Altäre voll fröhlichem Schein,
Von der alternden Erde verkohltem Gebein
Ernährt sich ihr Qualm, der so schwarz und so schwer,
Und die drunten erkennen den Himmel nicht mehr.

Und ein Stamm, auf sich selber nur trotzend ersteht;
Auch das wird vergehen, denn Alles vergeht!

III.

Auf meine Photographie in Rom.

Kennt ihr das Bild auf zartem Grunde?
Mit schalkhaft eingekniffnem Munde,
Die schmalen, sehnsuchtsvollen Wangen
Vom Bartgestrüppe überhangen
Die Nase an Kartoffel mahnend,
Die Augen traumhaft, liebesahnend,
Das Antlitz gegen Osten senkend,
An seinen großen Buddha denkend,
Die Füße zu des Ganzen Frommen
In graziöses Grau verschwommen. –
So sitzt es in der schönen Fremde
Im bräunlichen Asketenhemde,
Legt wie ein Kindlein sorgenlos
Die langen Hände in den Schoß,
Ob ihm vom Himmel nicht im Spiele
Ein sanftes Lied herunter fiele.

IV.

Wieder im Petersdom.

Es dämmert schon in den erhabnen Hallen,
Zu dehnen scheint sich der Sankt Petersdom,
Der Sonne letzte Scheidegrüße fallen
Wagrecht herein in goldig rotem Strom.

Ich stehe still mit andachtsvollem Herzen
Vor jenem Bildwerk Michelangelos,
Das heut bestrahlt wird von zwölf hohen Kerzen:
Maria hält den toten Sohn im Schoß.

Wie edel ist das Werk, die Gnadenmilde,
Vom Schmerz durchwühlt und wieder ganz durchhellt,
Neigt sich herunter zu dem Jünglingsbilde,
Der heil'gen Grams gestorben für die Welt.

O die Gestalten, diese göttlich schönen,
So rührend schön, in ew'gem Jugendflor,
Langhingezogne Orgelstimmen tönen,
Wie Seraphstimmen, aus dem hohen Chor.

Schon schwillt es an, als wie ein Sturmwind stöhnend,
Das ganze Weh der Erde weint sich aus,
Und dann darüber, liebend und versöhnend,
Quellen die Wellen durch das Gotteshaus.

O Michelangelo, wer die Feuerspuren deines Geistes durch Italien herab verfolgt hat; – schon in Bologna dort am Grabe den Engel knieen sah, den du fast als ein Kind noch gemeißelt hast, wie er stille hält in reinem Gebet vor der Erscheinung des Ewigen; dann in Florenz über der Gruft der Medicäer jene liegenden Gestalten, einer andern Welt, der ganz idealen, einsam öden, wo dein Geist unter Schmerzen wohnte, entnommen, und darüber das prachtvoll-leichte Gerüst der Kapelle, – alles von deiner Hand, und bei aller leiblichen Schönheit jener Gestalten, während wir im Anschauen versinken, führt uns dein hoher Geist weit hinaus über die sinnlichen Schranken; wir ahnen in dir eine Kraft lebendig, nicht unähnlich derjenigen, die einst den Menschen werden ließ, und so hast du selbst auch Gott, den Schöpfer, drüben an der hochschwebenden Decke der Sistina größer und erhabener den Menschen gezeigt, als vor und nach dir ein Sterblicher. Aber gerne verweilt man auch wieder bei den sanften Werken deiner Jugend, bei jener Pietà, die du als dreiundzwanzigjähriger Jüngling gemeißelt hast.

Deinen Geist noch weiter zu fassen, zieht es mich endlich hinweg unter die Kuppel, die da droben sich wölbt, wie von Göttern gemacht, und auch ohne Sonnenlicht schimmert und leuchtet. Aber die Sonne bricht wieder hervor, es sind ihre letzten Strahlen, die als wagrechte Goldströme hoch oben von einem der großen Fenster zum andern hindurchschießen. Es war sein letztes großes Werk, die Kuppel, bis zu seinem Tode noch als neunundachtzigjähriger Greis daran sich mühend und kämpfend, – »unentgeltlich, aus Liebe zu Gott und Andacht zum Fürsten der Apostel, und damit nicht durch seinen Rücktritt einigen Schurken ein Gefallen geschehe, ja der Bau völlig liegen bleibe.« Und dieser Mann, der in Bildhauerei, Malerei und Baukunst das Höchste schuf, was seit Jahrtausenden geschaffen ward, den alle Welt schon bei Lebzeiten den Göttlichen nannte, hatte eine so furchtbare Schwermut in sich, die von Jahrzehnten zu Jahrzehnten wuchs und gegen das Ende seines Lebens in jenen unsterblichen Gedichten ausbrach. Als besonders bevorzugter Geist ahnte er klar die unausfüllbare Tiefe unseres Wesens, fühlte er wohl, daß alle Schönheit und Herrlichkeit dieser Welt die letzten Wunden in uns nicht zu löschen vermag, und es ist gewiß der großartigste Zug des ganzen Mannes, daß er, welcher immer das Beste und Größte gewollt und gekonnt, welcher der modernen Welt ihre Götter gegeben, zuletzt hellauf klagt über die verlorenen Jahre. Das Höchste war ihm verliehen, er blieb frei von der Eitelkeit, von der Selbstvergötterung, und ruhte nicht aus auf seinen Lorbeeren; jeden Tag ringt er mit dem Engel Gottes einen herberen Kampf, trachtet er durstiger nach den Quellen des ewigen Lebens hin, und zwar nicht in müßigem Glauben und bequemer Hoffnung, nein in glühender, immer sich steigernder innerer Arbeit.

V.

Ein Sonett des Michelangelo.

Die Märchen dieser Welt, sie nahmen mir
Die Zeit, gegeben zur Betrachtung Gottes,
Und nicht nur seiner Gaben ganz vergaß ich,
Damit zu sünd'gen, hab' ich sie verwandt.

Was sonst ich koste, macht mich blind und thöricht
Und langsam im Erkennen meines Irrtums,
Schmälert die Hoffnung, nur die Sehnsucht wächst,
Daß du mich von der Eigenliebe lösest.

Erlasse mir den halben Weg zum Himmel,
O teurer Gott, und schon die Hälfte nur
Zu steigen, ist mir deine Hilfe nötig.

Laß hoffen mich das Wesen dieser Welt
Und ihrer Schönheit Pflege und Verehrung,
Daß ich vor'm Tod das ew'ge Leben habe.

VI.

Frühling.

Endlich kam der Frühling heute,
Sonne scheint so licht und lind,
O wie das die Bettler freute,
Sonne ist für diese Leute,
Was für uns Kartoffeln sind.

Das Wetter ist schon prachtvoll, warm und klar, die großen Anemonen blühen, die Rosen gingen gar nicht aus; die Villen um Rom herum sind stille selige Ruhepunkte von einigen Quadrat-Meilen Ausdehnung. Die Brunnen darin rauschen so zauberisch dunkel, die Palmen und Pinien darin stehen so schön und friedevoll. – O Villa Pamfili Doria! In deinem Prunkgarten zu sitzen unter dem großen Eichbaum bei den schönen Blumenbeeten und den weitstrahligen silbernen Brunnen, wo aus Lorbeer- und Eichen-Grün das heiterprächtige Schloß emporsteigt voll antiker Bildwerke, und endlich weiter zu taumeln den Buchsweg hinauf durch die dunklen dichten Eichenhallen hinüber zur lichten Anemonenwiese. Rings auf dem großen, von mächtigen Pinien umwaldeten Raum leuchten in allen Farben, wie der südliche Sternhimmel, die lieben Anemonen. Nur letzten Sonntag stand sie leer die Wiese; Engländerscharen wallten daraus entgegen, die holden Blumen zu Riesensträußen in Händen.

Selbst die Kühe, selbst die Schnecken
Hatten's schonungsvoll umkreist,
Denn das Schrecklichste der Schrecken
Ist Britannien, wenn es reist.

Glänzend blauer Duft fließt über alles Land bis in die feinsten Schluchten des unaussprechlich zart und schön gegliederten Albanergebirges hinein. Es ist ein göttlicher Odem, der erste Ausfluß der Kraft der besonnten Erde, die jetzt wieder unendliches Leben keimen läßt. Noch viel reiner, lichter, stärkender als im Norden, ist dieser sanfte Hauch.

Rätselhafte Frühlingswonne,
Stille Freudenthränenflut,
Neuer Himmel, neue Sonne,
Wunderstarker Lebensmut;
O wie heilen diese Stunden
Eines ganzen Lebens Wunden.

Das Herz ist offen, wie in den schönsten Tagen der Liebe, und alle die geweihten Gestalten, die meine Seele sich fand und die mir das Leben wieder reich und köstlich machten, sie schweben vorüber, grüßend mit den leuchtenden Augen und den schönen edlen geistvollen Zügen. Nichts ging verloren, in meiner Brust hat es geschlafen unalternd und zeitlos, und quillt nun, berührt vom Lichte des südlichen Lenzes, wieder vollauf hervor.

O schönster Frühling, Sonnenleben,
Wie dringst du mir ins Herz hinein,
Um alle Berge möcht' ich schweben,
In allen Schluchten ruhend sein.

Hoch über mir die Bäume wallen
Mit langem lichtergrüntem Haar,
Und aus den weiten Wipfeln fallen
Balsam'sche Blüten, wunderbar.

VII.

Ausflug in die Campagna.

Erhebe dich, schon lodert der Sorakte
Im Frührot auf, der siebenfach gezackte!

Oeder, weiter, großartiger wird es um uns her;
durch die Trümmer des alten Roms, an ernsten Cypressengärten
vorüber, erreichen wir endlich die Mauern der
Stadt, die altehrwürdigen.

Vor dem Thore beginnt sofort die Campagna, die unermeßliche braune baumleere Heide. Noch wogt ein Nebel darüber und bald stehen wir im stillen Thal der Egeria. Noch murmelt ihr heiliger Quell im dunklen, kühlen, von langen Gestrüppfäden überhangenen Nymphäum; es ist ein tonnengewölbter Raum mit Nischen. Links davon, den Albanerbergen zu, steht der Eichenhain der Egeria. Es sind nur noch gar wenige von den immergrünen Eichen des einst so heiligen Haines; die Zeit, von allen Seiten daran nagend, hat ihn auf einen runden Hügel beschränkt, und wie ein großes Hünengrab schaut dieser einzig bewaldete Hügel über die kahle wilde Fläche.

O Campagna, wie erblühten
Deine Hügel einst so schön.
Bis hinab zum tiefen Süden,
Bis an die Sabinerhöhn.

Einst ein villenreiches Eden,
Wo die Brunnen ewig jung
Hochaufjauchzten, bis zertreten
Dich die Völkerwanderung!

Bis gezogen ihre Bahnen
Ueber dich vernichtungsschwer
Hunnen, Goten und Alanen,
Wütend wie das Wodansheer!

Bis der letzte Baum gehauen,
Und der letzte Quell versiegt.
Daß nun als ein Hort der grauen
Schlangen die Sumpfheide liegt.

Die Sonne siegt und aus dem Nebeldufte steigt zart und schön das Albanergebirge. Wir aber ziehen uns durch den Hain hindurch zur Gräberstraße hinauf, zur alten Via Appia. Hier reiht sich meilenweit die mit gewaltigen schwarzen Lavaquadern gepflasterte Heerstraße entlang Grabmal an Grabmal; Rundbauten wechseln ab mit hausförmigen begiebelten; Gesimse, Ornamente, Marmorreliefs, Säulen- und Statuentrümmer liegen zahllos umher. Von den meisten Bauten stehen nur noch die wüsten Steinkerne; in ihren Ziegelmauern sind noch die runden thönernen Aschentöpfe sichtbar. Große grüne perlmutterschimmernde Eidechsen schauen jetzt daraus hervor. Das Albanergebirge wird immer blauer und schöner und ihm zur Linken weithin entfalten sich die hohen Ketten der Sabinerberge. Mild glänzt auf ihren Spitzen der Schnee. Wir drei Wanderer sind die einzigen auf der meilenlangen geraden Gräberstraße. Herden klingeln, Lerchen singen, und droben im reinen Himmelblau schweben kreisend die freien goldigschimmernden Geier.

Unsere Betrachtung geht bald in süßes Dämmern auf antiken Architraven über, bis unser edler Freund Rotbart, von schleichenden Fiebergespenstern und jähzornigen Schlangen munkelnd, uns emporschreckt; wir gehen auf der Straße zurück, in der Richtung gegen Rom, zu den Katakomben des heiligen Calixtus, den bedeutendsten der Stadt. Der Custode giebt uns brennende Wachslichter und wir steigen die hölzerne Treppe hinunter. Es sind drei Stockwerke, eine unübersehbare Totenniederlage.

Sophronia dulcis, semper vivis, vivis Deo,

ist in einer der innersten Kapellen mit unsteter Hand eingeritzt in eine Marmortafel, und vorher steht hin und wieder in den langen engen Gräbergängen mit Graphit geschrieben Sophronia, Sophronia. – Des Bräutigams Schmerz um die Heißgeliebte, Frühgestorbene ist nach anderthalbtausend Jahren längst auch vergangen; nur seine Liebe glostet noch fort in den wenigen Wortzeichen und erwärmt noch heute das Herz der nordischen Wanderer, die durch diese Stadt der Toten schweigend wandeln. Es ist wirklich eine vollständige Stadt, tief im dunklen Schoß der alles gebärenden, alles verzehrenden, heiligen Erde. Die Straßen dieser Stadt sind nur enger, stiller und bieten nicht Wohnung für Gewerb und Handel, nur zu ruhigem Schlummer. Die einzelnen Häuser mit ihren Stockwerken sind zusammengeschrumpft zu Sargbetten übereinander; darin liegt noch der Leichnam und außen steht noch der Name des Besitzers auf der das Grab senkrecht verschließenden Marmortafel. So liegen nun Straßen an Straßen, Haus an Haus, Nachbarfamilien mit Kindern und Enkeln an Nachbarfamilien, turmtief unten in der ewig stillen Dunkelheit. Nicht selten sprengt sich, wie eine Einfahrt, ein bescheidener Rundbogen, das hiedurch ausgezeichnete Grab eines Märtyrers; die heilige Cäcilie ruht auch hier. Dann und wann erscheinen als freie Plätze freskengeschmückte Kapellen. Man könnte sich heimisch fühlen, hier unten ist alles wie oben, nur in wohlthuender Nacht, unendlich friedevoll.

Doch mit neuer Liebeswonne
Grüßen wir den goldnen Tag
Und die warme goldne Sonne
Und den lauten Lerchenschlag.

Die Sonne steht am höchsten, und somit ist jetzt das Licht über der Gegend am reinsten, am kräftigsten.

In vollkommener Klarheit erhebt sich der Kranz der Gebirge. Der silberne Nebelduft ist zusammengeronnen in einen zarten Streifen, der sich an ihrem Fuße fernhin durch Trümmerstätten und Pinienwildnisse leuchtend zieht. Es ist Frühling, Frühling in der Campagna di Roma.

Wer kennt nicht im Norden jenes Ringen und Sehnen in der Brust, wenn bei uns der Südwind, der den Frühling über die Alpen bringt, über die sanftgrauenden Scheitel der knospenden Bergwälder weht. Ahnung oft in Träumen geschauter, von herrlicherem Sonnenlicht erhellter, unermeßlicher Ebenen, an deren Rand Felsgebirge, wie Abendwolken, zauberhaft aufsteigen, bestürmt uns und drängt uns selig hoffend in die Ferne. Diese Hoffnung wird erfüllt an einem Frühlingstag in der Campagna di Roma.

Die Freunde lassen sich nieder und zeichnen, langsam, wie leise betäubt von aller der Schönheit, firmle ich dahin und dorthin, bald ein schimmerndes Stückchen antiken Marmors vom Boden auflesend, bald wieder niederkauernd auf einen alten Ruinenkern, die Eidechsen belauschend und das Wachstum der kleinen zartgefiederten Pflänzchen, die aus allen Mörtelritzen sich drängen, oder die weißen Schnecken zählend, die an den Marmorzierden in sich zusammengerollt zu Hunderten sitzen und ihrer Häuschen wegen unablässig an dem alten Marmorstaub lecken, nicht ganz unähnlich unseren deutschen Gelehrten, die auch schon seit Jahrhunderten aus antikem Marmorstaub ihre Häuschen mühsam sich bauen für sich und ihre meist zahlreichen Familien. – Bald blicke ich wieder auf über die riesige Landschaft, die das Herz so göttlich erweitert, daß man den Kopf wieder sinken läßt, in der im Gemüt selbst aufgehenden Fülle schwelgend. Keine Wolke am milden tiefblauen Himmel. Eine sanft einfurchende trockene Rinne zieht sich hinab und leitet in größere Thalkrümmung und am Bächlein hin, das an blattlosen ärmlichen Ulmenstrünken sich weiter schlängelt; die Rinne geht tiefer, längst keine Ausblicke mehr, es ist so einsam und so vertrocknet hier, der Boden von dürrem Grase bedeckt, abschüssig und öd – und siehe, da finde ich dich wie durch ein Wunder emporgeblüht, schöne, duftende, saftschwellende Hyacinthe.

Zum erstenmale scheint mit voller Kraft
Die Sonne in die braunen Thalgewinde,
Und sieh, da blühst du schon auf schlankem Schaft
Und duftest in den Aether, Hyacinthe.

Wie lange lagst du in der Erde Schoß,
Ein säftereicher, aber schwerer Knollen,
Nun bist zur Blume, schön und schattenlos,
An einem Morgen du heraufgequollen.

So ist ein Herz, das dieses Lebens Qual
In sich verkämpft in langen Uebungsjahren,
Um dann der armen Welt mit einemmal
Voll ewiger Liebe sich zu offenbaren.

»Haut ihn, er hat wieder ein Gedicht gemacht, man sieht's an der Haltung,« rufen die Freunde, die den Traumwandelnden wieder gefunden haben, und rasch wenden wir uns zu anderen Kreisen des Daseins. Zäune und Verhacke werden gewaltsam durchbrochen, um über die grobstoppelige Heide rücksichtslos vorzugehen gegen die Kneipe, dort an den Wasserleitungen, die in unzähligen Bögen sich glänzend ins dunklere Gebirg verlaufen.

Die Heide wird immer von tiefen trockenen Rinnen durchschnitten und die weiße Kneipe, erst nur wie ein Stern schimmernd, dann aber groß wie die Sonne, geht auf und unter. Schon ist wieder ein mächtiger Graben im Sturm übersetzt, da schiebt sich plötzlich eine große römische Schafherde in schiefer Schlachtordnung zwischen uns und unser Ziel. Drei große weiße wütende Campagnahunde marschieren an der Spitze des Heers rekognoszierend vor, unsere ganze Linie alarmierend. Wir konzentrieren uns rasch, die Vorposten einziehend, Klumpen bildend, an das nächste, steil und felsenhaft eingeschnittene Flußufer, und ziehen, nachdem der Uebergang nicht ohne Opfer erzwungen, in guter Ordnung an dem indessen auf dem andern Ufer breithingelagerten feindlichen Heere spottend und höhnend nach alter deutscher Barbaren-Sitte vorüber, der Kneipe zu. – Aber wie Abraham die Engel, die Sodoma zerstören sollten, nimmt uns gar gütig der Wirt auf, ein holdes patriarchalisches Mahl vorsetzend. In einer Reihe sitzen nun auf der Bank an der warmen sonnigen Hauswand still beseligt wir drei mit begeisterten Zungen:

Nicht so übel ist's hienieden.
Sanfter Sonntagssonnenschein;
Aus dem Herzen quillt der Frieden,
Aus dem Glase quillt der Wein.

Lieblich auch sind unsre Reden,
Atmen erste Frühlingsluft,
Also duften einem jeden
Junge Veilchen an der Brust.

Durch die feinumrankten Vignen
Schauen wir das ew'ge Rom,
Breit beschirmt von dunklen Pinien,
Mild beherrscht vom Petersdom.

Und wie sich die Berge dehnen
Durch die wunderblaue Luft!
Alte Wonne, neues Sehnen
Mischt sich in den Veilchenduft.

Und das alles schlägt sich nieder
In den Gläsern mehr und mehr;
Unwillkürlich ward schon wieder
Unser großer Weinkrug leer.

Die Nacht schwebt herauf, still und hehr, über die Campagnaebene. Groß und golden treten die Sterne hervor. Nicht ohne Schauder nahen wir uns den finstern, noch immer ganzen Mauern der ewigen Stadt. Wie um uns zu höhnen, starren die Türme und Zinnen in die durchsichtige Nachtluft; weißer Dunst quillt an ihnen empor, als winkten riesenhafte Schatten erschlagener Heldenstämme, die dem mit Blut übertränkten Boden zornig entsteigen. Fast das ganze hochedle Volk der Ostgoten liegt hier, unter Witiges stürmend gefallen.

O Campagna, blut'ger Boden,
Mich umweht's wie Grabgesang:
Fast das ganze Volk der Goten
Fand hier seinen Untergang.

– Endlich mit den letzten Goten
Reitet Totila durchs Thor,
Aber eine Stadt der Toten
Findet er in Roma vor.

Rom, die Riesin, ganz ergrausend
Still und öd' und ausgeleert,
Die Bewohner bis auf tausend
Fraß der Hunger und das Schwert!

Reichste Prachtgebäude füllen
Sie bis an die Mauern an,
Aber nur als welke Hüllen
Ragt dies alles himmelan.

Ganz verwahrlost – Lauch und Distel
Wühlt am Marmorgiebelsaum,
Und es saugt die bleiche Mistel
Dörrend aus den Lorbeerbaum.

Und die Tempelzellen klaffen
Trostlos, weil von Thür und Dach
Der Vandale mit den Waffen
Alles Erz herunterbrach.

Noch von ihren Fußgestellen
Grüßen Bacchos und Apoll,
Mit den langen Lockenwellen,
Mit den Lippen wonnevoll.

Doch daneben aus Absiden
Schauet groß in Mosaik,
Christi Brustbild, keuschen Frieden
In dem Weltenrichterblick.

Segnend seine Rechte hebt er,
Legt die Linke auf die Schrift, –
Totila, zusammen bebt er,
Wie ihn dieses Auge trifft!

Und den längst vergessnen Worten
Denkt er düster ahnend nach,
Die einst vor Casinos Pforten
Benediktus zu ihm sprach:

»Thue Buße, all dein Siegen,
Gotenfürst, hat keinen Wert,
Rom wird dir zu Füßen liegen,
Doch dann frißt auch dich das Schwert!«

Und der edle Held, zu heilen
Die Verwundeten gebot,
Und in Fülle auszuteilen
An die Armen Wein und Brot.

Das ist auch noch dieselbe Heide, worüber sie bei Nacht und Nebel die Leiche Kaiser Ottos III. trugen.

Von ferne leuchten
Hoch im Gebirge die zerstörten Städte
Und schwer und schwül Scircco-Lüfte feuchten.

Und mit der Leiche
Des jungen Königs, ziehn sie weiter, weiter,
In offner Bahre liegt die anmutreiche.

Das Wehn des Windes
Bewegt wie Geisterhand die langen Locken
Des früh vor Gram gestorbenen Heldenkindes.

Des Heldenkindes
Vieledle, weltumfassende Gedanken,
Sie waren eitel, wie das Wehn des Windes

Nichts kann bestehen:
Dem Helden wohl, der in der Jugend hinsinkt,
So wird sein Bild durch alle Zeiten gehen.

VIII.

Auf dem Monte Pincio.

Wie gar oft wünsche ich jetzt, ihr möchtet herkommen zu mir, ihr Geliebten, mich hier liegen zu sehen in der Nähe der Bettler auf der breiten, von der Mittagssonne warmen Balustrade des Monte Pincio, wo man so ganz mühelos, nur mit geringer Wendung des Hauptes, die erhabenste Stadt mit ihren Monumenten und dahinter in seligem Sonnenduft schwimmend die Peterskuppel erschaut.

Die saugt vom frühsten Morgen ein
Den Segensstrahl der Sonne,
Und schwimmt bis in die Nacht hinein
In einem Meer von Wonne.

Ein nie zu ersättigender Anblick! Und zur Seite streift das Auge in gar liebliche hellgrüne Thale mit reizenden Gehöften, daran dunkle Cypressen stehen; im Hintergrund weiche holdblauende Berge. Mir ist, ich sehe die Heimat, und Lieder klingen im Herzen. Auch die großen Pinien, gleich da drüben auf der lichten sonnigen Heide der Villa Borghese, mahnen mich heute daran.

Einsam und gewaltig stehen
Pinien mit stolzen Kronen
Auf dem weiten Wiesenteppich,
Der gestickt mit Anemonen.

Frühlingsodem, durch die Wipfel
Wie durch Windesharfen zieht er,
Und es rauscht zu mir herüber,
Wie der Heimat ferne Lieder.

Eurer denk' ich, hohe Föhren,
Die ihr auf dem Berge stehet,
Und mit euren treuen Häuptern
Nach dem Thale niedersehet.

In die Herzen der Geliebten
Haucht ihr jetzt auch holde Grüße,
Daß der Winter ist vergangen
Und der Frühling naht, der süße.

Wenn ich oft so sitze und bummle und bummelnd höchste Wonne und höchstes Leben schlürfe, mein Gemüt mehr fördernd als lange Jahre wissenschaftlicher Ochsung, da kommt mir oftmals der Geist herübergeweht aus jener Stätte, die sich wohl allein noch mit Romas Mildheit und Größe vergleichen läßt, und es tritt zu mir von Hellas herüber das Urbild höchsten Menschentums im heitersten Bummelgewand, jenes alte Hebammenkind Sokrates, Bildhauer, Burger und Bummler zu Athen. Sokrates, der geborenste Humoriste, und die Humoristen haben das tiefste, leidendste, lachendste Herz aller Erdbewohner; in ihrer Brust fließt ewig die Wunde des Elends, daß sie geboren sind und die Welt umher so schön und göttlich ist von außen wie auch im innersten Kern, doch im Mittelgrunde graunviel des Jammers und der Abscheulichkeit aufweist. Und so schuf sich der Alte kühn um sich her eine eigene göttliche Welt aus schönen Menschen und heitergroßen Gedanken; die bisweilen Licht hinaussenden, die ganze schwarze Tiefe der Welt durchzündend, und im Herzen alles Daseins mündend, so daß man, wie einem durch Wolken brechenden Sonnenstrahle folgend, plötzlich hinausblickt auf niegeahnt-selige Auen. – Aber da kommen die Philister von Athen, geführt von einem Gerber, einem Dichter und einem Schulmeister, und klagen ihn peinlich an, er verderbe die Jugend und ehre die Herrn Götter nicht, und sie kredenzen ihm zierlichst den Giftbecher. – Wunderbar erhebende Tage, die letzten dreißig, die der Weise noch erlebt, in denen die Geliebten im Gefühl der Todesnähe ihre Liebe noch steigern.

Sokrates an Platon.

Rein ausgebreitet liegt mein Leben nun
Vor mir, wie eine sonnenhelle Landschaft:

Was ich gelebt, ist nicht allein mein Werk,
Es ist das Mitwerk eines höhern Geistes,
Der mir gerade so viel zugemessen
Von Glück und Unglück, Thatkraft und Begierden,
Als gut gewesen, nicht ein wüstverworren,
Ein heilig Treiben war's mit Sinn und Endziel,
Und wenn ich nun das Ganze überschaue,
Muß ich gestehen, daß ich glücklich war,
Denn was den Sterblichen so selten wird,
Das wurde mir, das höchste Glück, der Frieden.
Doch glaube nicht, mein Freund, daß nicht dagegen
Ein Uebel auch in meiner Brust gewohnt:
Es war ein Weh des Körpers, will ich sagen,
Denn Geist und Körper rinnen ja in eins,
Das mich geängstigt, o wie oft, wie oft.
Und meine Sinne feuersgleich durchwühlte,
Und was ich Schlimmes an mir selbst gethan,
Und was die andern Schlimmes an mir thaten,
Das tobte mir in diesen Flammen fort;
Doch jedesmal nach einer solchen Nacht,
Am lichten Morgen traten mir die Götter
Mit einem goldenen Geschenk entgegen,
An dem auch nicht ein Hauch von Schatten war,
Das lichtvoll ganz, und das wie neugeboren,
Mit ganzem Geiste ich genießen durfte,
Den Göttern gleichend in die reine Sphäre
Der reinen Schönheit wunschlos eingegangen.
Und, o Geliebter, wenn das stärkste Weh,
Der Todeskampf mich nun durchlodert hat,
Und meine Sinne unnennbar gereinigt,
Dann treten mir am lichten Morgen wohl
Die Götter auch entgegen, ein Geschenk
Mir bringend, das unnennbar herrlich ist.

IX.

Im Pantheon.

Die wirklich zauberhafte Wirkung des Pantheon-Innern, bekanntlich kreisrund und halbkugelformig überwölbt von gleichem Durchmesser und Höhe, beruht neben seiner wunderbaren baulichen Einheit auf seiner Beleuchtung durch das einzige große runde unverglaste Oberlicht.

Durch die gänzliche Fensterlosigkeit und Geschlossenheit der Wände rein abgezogen von der Außenwelt, befinden wir uns deshalb noch nicht in einer Kapsel (was man bei uns durch ein Glasdach bewirkte); nein, wir verkehren mit der Welt außen, aber nur mit ihrem Feinsten, Edelsten. Wir dünken uns entrückt der gewöhnlichen rauschenden Fläche des Lebens, hinauf auf einen stillen heiligen Berg, wo der Himmel viel näher; wir fühlen das Konzentrische des Baues mit dem Himmelsgewölbe, und in die untere greifbare marmorne Himmelsschale strömt aus der obern unerschöpfliche Fülle sonnigsten Lichts, und wie reine selige Göttergestalten streifen vorüber die weißen Wolken durch das ewige Blau.

X.

Auf dem Palatin.

Sie hatten's gut die alten Kaiser,
Sie wohnten auf dem Palatin,
Wo jetzt die wilden Lorbeerreiser
Den ungeheuren Schutt umziehn.

Die alten Kaiser hatten's prächtig,
Vor sich aus Marmelstein und Gold
Die Weltstadt Rom, dahinter mächtig
Der Hochgebirge Zug entrollt.

Und all' dies sahn die guten Kaiser
Als ganz von selbst verständlich an,
Und wurden nie poetisch heiser,
Wie unsereins gemeiner Mann.

Nur einmal als der feurigrasche
Nero des Lebens Prosa satt,
Sang er ein Lied und legt in Asche
Dazu die ganze goldne Stadt.

Der Blick von hier über Stadt und Gebirge, Alt-Rom im Vordergrund, ist unbeschreiblich großartig und schön. – Und jetzt läßt der jüngste aller Cäsaren, Napoleon III., die alten Paläste wieder aufdecken. Tief hinunter steigt man in den engen Häuserschlitz der alten Via Sacra, kann wieder herumgehen in den Erdgeschossen und erstaunt über die feine Schönheit der noch erhaltenen Decken, an denen Stuckarbeiten und Malereien herrlich zusammengeordnet sind. Man hat schon schöne Funde gethan, ein kleines Museum errichtet, das auf das freundlichste geöffnet wird. Der kaiserliche Schriftsteller fördert auch hier die Grundfesten der alten Cäsaren-Macht wieder eifrig zu Tage.

Napoleon III.

(1863).

Kennt ihr die große Zauberspinne,
Du kennst sie wohl, mein Vaterland,
Die in Europa mitten inne
Ihr Zaubernetzwerk ausgespannt.

Von der die feinsten Fühlerfäden
Sich längst gesenkt in jede Brust,
Und ihr enthüllt die großen Schäden,
Gleich wie des Kleinsten Schmerz und Lust.

Und weh der ungestümen Fliege,
Die je an ihre Maschen stieß:
Wie bald es da vom großen Siege
Dumpf widerhallte in Paris

Nicht offen sucht sie zu verwunden,
Nein erst wenn ganz von ihr verstrickt,
Der Feinde Glieder sich gebunden,
Der Atem ihnen fast erstickt.

Dann kommt in sie ein furchtbar Leben,
Dann That auf That, wie Blitz auf Blitz,
Noch grauser ihr geheimes Weben
Auf ihrem einsam höchsten Sitz.

Wo ist ein Volk auf dieser Erde,
Das ihr nicht nach den Fingern schaut:
Und wo der Mann, der mit dem Schwerte
Das unbequeme Netz zerhaut!

XI.

Der Anblick von Rom.

In der Mitte der Halbinsel gelegen, vereinigt Rom alle Eigentümlichkeiten der andern italienischen Städte. Hier wo die einzige größere Ebene die Gebirge unterbricht, thront sie über mächtig-weitem fruchtbarem Ackergrund, als großartigste Bergstadt, nahe genug den Hochgebirgen, wie dem Weltmeere, zu dem der schiffbare Tiber hinabströmt und das man von den höchsten Gebäuden der Stadt aus am Rande der flimmernden Ebene aufblitzen sieht. Was sind gegen Rom alle jene nahen und ferneren Bergstädte; seine Bedeutung schon in der Urzeit kann nicht hoch genug angeschlagen werden.

Vom alten Mons Janiculus aus hat man den besten Ueberblick über die ewige Stadt. Ihre Hügel lassen sich gar wohl erkennen, denn sie sind hoch und ausgezeichnet durch bedeutende Kunstbauten, die in den von Röhren-Gängen durchhöhlten Grundmauern alter Tempel und Kaiserpaläste wurzeln. Schon dadurch würde das Einerlei der Wohnhäuser-Gassen verdrängt, aber in Rom erheben sich auch in den Niederungen Kirchen und Paläste, Reihen an Reihen; und dazwischen noch ragen riesenhaft die antiken Werke und ziehen sich zur Rechten weit über die eigentliche Stadt hinaus, über den ungeheuren, von den alten Mauern umschlossenen öden Raum hin: Gärten mit Kirchen und Klöstern umgeben hier jene Backsteinmauern, die durch die Größe ihrer Verhältnisse natürlichen Felsbildungen gleichen.

So erscheint dieses Rom nicht als eine Stätte für gewöhnliche Bedürfnisse geschaffen, nein, als eine Welt von Denkmälern, die von den höchsten Ahnungen der Menschen aufgerichtet wurden, als eine heilige Stadt; und damit steht im Einklang die erhabene Entfaltung der Landschaft, jener hohen wunderschönen Gebirgsketten, über der mächtigen Ebene glanzhell ansteigend.

Wie oft schon ging ich hinauf nach dem alten Janiculum und schaute wieder über die frühlingssonnige Stadt. Alle Erinnerungen an die Greuel, die schon auf ihrem Boden geschahen, sie können nicht aufkommen gegen die Stimmung des höchsten Friedens, womit der Anblick unser Herz umfängt. Es ist, als ob alles Traurige und Häßliche, das durch Natur- und Menschenwelt spukt, hier turmtief verschüttet wäre; nur das Schöne tritt zu Tag, und jene sanfte sonnige Luft, die alle diese Herrlichkeit noch verklärt, weht darüber, wie der gute Geist der Menschheit. Nie stärker als hier, erfüllt sich meine Brust mit Hoffnungen, die weit hinausgehen über alles Sichtbare, Greifbare, und mit schauerndem Herzen suche ich dann das heilige Dunkel auf des nahen Pinienhaines in Villa Pamfili, das Angesicht überströmt von Thränen des Dankes für die ewigen Güter, die in uns alle gelegt sind.

O milder Tag, der alles Sehnen stillet.
Auf mein Gemüt wie lauter Balsam quillet.

Der Regen ist zu Goldgewölk zerflossen,
Bis an das blaue Meer das Land erschlossen.

Die Ebene in Abenddämmrung schweigend,
Glanzhell empor die Hochgebirge steigend.

Und hier das Thal mit seinen grünen Erlen,
Um deren Wurzeln frische Wasser perlen.

Und über meinem Haupt Cypressen ragen,
In deren Dickicht Nachtigallen schlagen.

XII.

Der Eros des Praxiteles.

Sinnend bin ich oft gestanden
In der Jugend erstem Sehnen
Vor dem schönen Götterbilde,
Vor dem Eros der Hellenen.

Als den Genius des Todes
Deuten jetzt ihn die Gelehrten,
Mit dem Lockenhaupt, dem schmalen,
Träumerisch in sich gekehrten.

Eine Wehmut, unaussprechlich-
Selig liegt auf seinen Lippen,
Treibt die Seele wie ein Feuer,
An dem Taumelkelch zu nippen.

Heiße Flammenpracht der Liebe,
Todessehnsucht, schlummerkühle,
O wie gleichen sich die beiden
In dem irdischen Gewühle.

XIII.

Fontana Trevi.

Ob da nicht noch eine Riesen-Idee Alberti's oder Michelangelo's mit herausklingt, auch die Architektur des Palastes ist verdächtig. Wunderbar, wie hier eine geradlinige stolze Palastfassade aufwächst aus regellos wildem Felsgetrümmer, das von großen aus den Kalkfelsen herausgemeißelten Pflanzen belebt wird; aufstarren hier steinerne Kletten, Farnkräuter, Feigen- und Lorbeerbüsche, dort Reben mit Trauben, Disteln, Bärenklau und anderes trotziges, vor Alter graugewordenes Krautgestrüppe, von feingefiederten lebendigen Gräsern und Blumen umgrünt und umzittert, und über diese Felsen empor steigen stürmisch bewegt die großen Marmorgestalten: der Meergott auf dem Muschelwagen, gezogen von zwei schnaubenden Seerossen, die von den Tritonen kaum zu bändigen sind. Dies alles aus Stein und nun, wie ein Ueberströmen der Gewalt, drängen die Felsen herunter ganze Ströme lautersten Wassers, oft hochaufspritzend als Springquellen, oder fächerförmig sich zerglasend, oder in schweren Güssen mit Rauschen hinabfallend. Durch alle Ritzen des vielzerklüfteten Travertinsteins strebt es hindurch, zischelt und orgelt, oder hängt in dunklen Höhlungen als feine Fäden, wie Oel, lautlos nieder, hellgrünes Moos und Algenwerk mit sich herabziehend; inmitten aber, vor dem Gott einher, wogt dreimal gestuft, majestätisch wallend, der durchsichtige Hauptstrom und giebt den schweren Grundton des ganzen Gerausches. Unten aber sammelt sich die Menge des Wassers in breitem weichumrandetem Seebecken und schaukelt ewig bewegt in kleinen kurzen im Sonnenlicht glitzernden Wellen. Großartig ernst ruht hinter dem allem der Palast, mit weiter säulenbesetzter Nische den Meergott umfassend. Hohe korinthische Pilaster, dazwischen festlich mit Kränzen umhängte Fenster, schmücken ihn, und wie er unten mit den Felsblöcken verwachsen vom Boden sich hebt, so gipfelt er oben kühn und frei in dem riesigen von Engeln gehaltenen Papstwappen, das mit seinen vielfach zerlöcherten Umrissen in den Himmel hineinragt.

Ein herrlicher Rastort diese Fontana di Trevi, mitten im engstraßigen, schmerzlich lebhaften, schmutzigen Rom; das entsetzliche Gerassel auf dem elenden Pflaster wird weit übertäubt von dem frischen melodischen Rauschen der Wasser, die fern aus den Bergen von Trevi über hundert und aber hundert altrömische Wasserleitungsbögen freudig herbeiströmen. – Bei Nacht, wenn Rom ganz verödet und verstummt ist, so daß man in den Seitengäßchen das Schnarchen der Räuber deutlich von dem der anderen Schurken unterscheiden kann, wird man vollends überrascht beim Heraustreten auf den Fontana di Trevi-Platz. Wie gelockt von tausend Wasserfräulein mit silbernen Stimmen, steigt man hernieder zum kühlenden Hauch der Gewässer, das weinmüde Haupt an die sanft ausgehöhlten Felsen senkend, – das klinget so süß, unergründlich süß, als könnte man hineinhorchen in die Grundtiefen der Erde.

Abschied von Rom

Der Genius der Menschheit wahr und tief
Hat er mir hier mein Wesen durchgestaltet.
Und was von zäher Keimkraft in mir schlief,
Mit einemmale war es rein entfaltet.

In Götterfreiheit lebte ich dahin,
Hochaufgeführt vom Sturme der Gedanken,
Und was mir noch umschränkte meinen Sinn,
Das waren nur der Schönheit lichte Schranken.
Nicht fremd erschien mir, was ich um mich sah.
Die Heimat war's, doch durfte sie sich dehnen
In die Unendlichkeit, so stand ich da
Sprachlos und mild, im Auge sel'ge Thränen.

Im Sabinergebirge

I.

Tivoli

Nicht umsonst war hier schon in unvordenklicher Zeit eine hochheilige Stätte des Naturdienstes. Nirgends ist auch die Natur großartiger und gütiger. Noch jetzt stehen vier Tempelheiligtümer aufrecht und unten am Fuße des Bergstocks, auf dem Tivoli liegt, zieht sich über der letzten Vorstufe, die sanft in die unermeßliche Campagna di Roma auslauft, weithin die Trümmerstadt der Villa Hadrians. Mannigfaltigste Räume ragen hier aus verwilderten Gärten, voll von Piniengruppen und Cypressenreihen. Selbst Gewölbe, daran zarte schöne Stuccaturen, schweben noch weit und kühn zwischen riesigen Backsteinpfeilern. Hier fand man auch in dem hohen, von schlingendem Unkraut ganz übersponnenen Schutt jene Bildsäulen des Antinous, des jungen schönen, nach seinem Tode vergötterten Bithyniers, der für seinen kaiserlichen Freund Hadrian in den Fluten des Nils geheimnisvollem Opfertod sich weihte. Man fand ihn dargestellt als Bringer des Frühlings, als Antinous Vertumnus mit dem Füllhorn; oder man fand ihn, den bacchischen Kranz ums reiche kurze strenggelockte Haupthaar und in der Hand den Thyrsusstab. Das breite Haupt hat er immer stark gesenkt; die schönen Gesichtszüge sind fast trübwehmütig. Bedeutsam ist diese letzte freie Schöpfung der antiken Welt. Nachdem sie seit jahrhundertelangem Sinken, nicht mehr im stande, ein neues Götterbild zu schaffen, gewinnt sie nahe dem Niedergang wieder ein Aufblitzen, eine Kraft der Zeugung, und schafft jene wehmütig-schönen, von der Ahnung baldigen Todes durchzuckten Züge der Antinous-Statuen. Diese stehen jetzt in Rom. Wie ergreifend müßte es sein, wenn sie noch zwischen den Trümmern der Villenstadt ständen. Wenn in der sonnigen Einsamkeit der Epheu, der die Mauerkerne überkriecht, und der blühende Wein lebendig umwände Kranz und Stab des Göttlichen; Narcissen, Lilien, Hyazinthen und Crocus ihm zu Füßen glänzend umher.

Von der Villa Hadrians führt der Weg zwischen prachtvollen Oelbäumen nach Tivoli empor. Dle Stadt liegt äußerst malerisch auf hohem, aus Kalktuff-Felsen gebildetem Bergstock, den einst der Aniofluß vom übrigen Sabinergebirg lostrennte und als freistehenden Felsklumpen in die Campagna vorschob. Es müssen furchtbar wilde Gewalten gewesen sein, die solchen Stoß vollführten. Noch jetzt glaubt man in der Schlucht, die zwischen Tivoli und dem Sabinergebirge klafft, im Innern des Erdgerippes den alten Neptun donnern zu hören in jener Höhle, aus der ein Strom des Anio, Dunstwolken auftreibend, herausstürzt, um sofort in zweiter, weit überhangender Grotte tosend zu verschwinden. In dieser glaubt man tiefunten den Gesang der Sirenen zu vernehmen, lockend, versöhnend. Und wirklich versöhnen sie den wilden Anio. Wiedergeboren zum breiten ruhigen Strom, entquillt er unterhalb ihrer Höhle dem Felsgestein und um ihn weitet sich reizend ein üppiges, ölbaumgrünes Thal gegen die Ebene hin. Aber dies ist nur ein Arm des Aniostromes. Die Hauptmenge seiner Wasser wühlt sich viel tiefer ein, möchte den Felsblock, worauf die Stadt wurzelt, noch immer weiter vordrängen in die Campagna. Unaufhörlich den Felsen durchstürmend und durchklüftend, bricht er rings unter den Grundvesten der Stadt in Hunderten von Quellen hervor, die in losen silbernen Güssen dem Bruder im Thale zustürzen.

Der Verschönerungsverein von Tivoli hat schon seit Jahren vortreffliche Wege angelegt, die durch Schling- und Strauchwerkdickicht, vorüber an schlanken Laubbäumen und leuchtenden Waldblumen über Staffeln hinunterführen ins tiefe Felsenthal; oder auch, breit und eben, über dem Thale drüben, auf gleicher Höhe mit der Stadt in weitem Bogen sich zwischen Oelbäumen hinziehen. Und nirgends sind die Oelbäume so schön als hier. Merkwürdige Bäume, uralt, kernlos; die stehengebliebenen Rindenschalen, allseitig verkrümmt und zerteilt, winden sich als abenteuerlichste Bilder aus dem Boden empor, als wären es Menschen, die schon halb zu Bäumen geworden, die schon Wurzel geschlagen und noch mit aller Kraft sich der Erde entwirbeln möchten. Dante hat gewiß davon sein Bild von den zu Bäumen werdenden Menschen genommen. Sehr lieblich an den Oelbäumen ist auch ihr zartes Geästel und ihr schmales silberglänzendes Laub, besonders wenn die Sonne und der blaue Himmel hindurchscheinen; ihr Schatten ist dann wunderbar licht.

Von diesem Oelbaumwald übersieht man, gemütlich zwischen Aloebüschen und goldgelbblühenden Pfriemen auf dem harten Kalkfelsen sitzend, das ganze Thal. Reinliche Lämmerherden weiden vorüber. Und zwischen den gelben verworrenen Wurzeln der breitblättrigen Aloë blickt zuweilen eine kluge stahlgraue Viper neugierig hervor.

O süßes Ruhn am Felsenrande,
Und Schauen in die fremden Lande,
Und Schönres schautest du noch nie,
Als heut ins Thal von Tivoli.

Die Stadt mit ihren grauen Türmen,
Von der die Cascatellen stürmen,
Demantenhell im Morgenstrahl
Hinab ins ölbaumgrüne Thal.

Und weiterhin durch die Ruinen
Die schimmernden Cascatellinen,
Und fern in blauster Lüfte Strom
Die ew'ge Stadt mit ihrem Dom.

Gerade unter uns steigt über hohe Ulmenwipfel der Dunst jenes Wasserfalls empor, dessen Fluten einst auch die Stadt unterwühlten und teilweise zerstörten, denen aber jetzt ein Ausweg durch die Felsen der mit den Sabinerbergen zusammenhängenden Thalseite künstlich gebrochen wurde. Man hört ihn mächtig rauschen. Sein Dunst, in Regenbogenfarben spielend, vermischt sich mit den noch tiefer innen in der Schlucht aus der Neptunsgrotte steigenden Wolken und schwebt wie ein heiterer Opferrauch um die edlen Säulen des ganz auf der Felshöhe stehenden runden Vestatempels. Noch steht dieser fast unversehrt; der Himmlischen Obhut verblieb ihm. Der wunderschöne korinthische Bau ist nichts weniger als groß, aber er beherrscht weithin durch seine Stellung. Es ist ein echter Tempel, zu hoher Ahnung stimmt er uns, mahnt uns, daß wir göttlichen Geschlechtes. Als die höchste und letzte Blüte der Natur ringsumher steht er da; Jahrtausende lang mußte das Thal in einsamer wilder Schönheit harren, bis der Mensch kam, der sich selbst zu erlösen vermag, den Zauber brach und klar ausgestaltete, was er nur erst, wie ein dumpfes Verlangen, in den Formen der Gegend vorgebildet fand. – Es ist hier eine Stätte heiligsten Naturdienstes.

Neben dem Vestatempel steht noch ein Heiligtum, dieses mit jonischen Säulen und von rechteckiger Grundform. Lassen wir von hier rechts hin den Blick fortgleiten, wo die Stadt mit ihren Kirchen und Türmen oft noch höher ansteigt, so erscheinen uns von den aus ihren Wurzeln herausdrängenden Wassern zwei Hauptgruppen: die über die hohen grünen Terrassen von den Mühlen herstürzenden, die Cascatellen, und weiterhin, die aus den vielen gewaltigen rundbogigen Untermauerungstrümmern des antiken Herkulestempels vorbrechenden – die Cascatellinen.

Selbst auf der mehr abgewandten Seite des Bergstocks drängt noch Wasser die Fülle hernieder; – in Villa d'Este. Man sieht ihre turmhohen Cypressen und den mächtigen Palast drüben über den Trümmern des Herkulesheiligtums emporsteigen. Villa d'Este ist das herrlichste Kleinod, das Tivoli in seinen Mauern birgt, sein größter und wasserhellster Diamant. Villa d'Este ist ja die schönste von allen den schönen italienischen Villen und die älteste. Der kunst- und prachtliebende, geistvolle Kardinal Ipolito d'Este II. ließ sie um das Jahr 1549 als hochgewaltigen Terrassen- und Palastbau am Berg anlegen.

Ein Arm des Anio speist noch heute die Hunderte von springenden Brunnen. Den Zugang durch den Garten zum Paläste bildet ein unvergleichliches Uebereinander von Treppen, Grotten, Nischen, Vorbauten, Balkonen; alles von den Wassern durchstrahlt und durchrauscht, umrahmt von jenen dreihundertjährigen weltberühmten Cypressen, die wie Türme aus dem überüppigen Eichen-, Lorbeer- und Platanendickicht sich erheben. Die meisten sind schlank, andere sind nur noch Ruinen, vom Blitz zerschmettert, verkohlte Splitter emporstreckend, und ihr Stamm ist eichenartig verknorrt.

Solche uralten Cypressen sind heilig. Stumm, einsam ragen sie hoch aus dem Strauchwerk, das immer die Blätter und die Farbe wechselt; sie selbst immer gleich dunkelerzfarbig, wie von edlem Rost überzogen. Nie regt der Wind ihre Wipfel hin und her; nur Adler, in ihren Spitzen horstend, entschwingen sich ihnen, hinauf in weiten Kreisen ins reine Himmelsblau. In solchen Bäumen lebt etwas wie ein großartiger sittlicher Ernst. Gedankenvoll stehen sie, den Männern gleich, die in Selbstbeschauung versunken, ihre Zeit weit überragen und überwanden. Kein Stamm, noch ihre fast endlose Verästelung ist sichtbar; gegen außen einheitlich, aber doch bis ins Kleinste gegliedert und durchgebildet, lassen sie die innere gewaltige Zerteilung und Zerklüftung wohl ahnen. So stehen sie da als Denkmäler, welche die ihnen eingeborene göttliche Kraft sich selbst gesetzt hat.

Da wo es in der Welt
Am meisten mir gefällt,
Da tritt der Schlaf zu mir,
So kam auch er in dir,
Und das war noch das Beste,
Du schöne Villa d'Este.

So zog in meine Träume
Die Wonne deiner Räume,
Der herrliche Palast,
Im Mittagssonnenglast,
Cypressen, die uralten,
Schwarz, turmhoch, blitzgespalten,
Die tiefen Lorbeergänge,
Der Nachtigall Gesänge,
Die Seen so still und blau,
Die ferne grüne Au;
Der Brunnen wirr Gewühle,
Fortrauschend, köstlich kühle.

Und als ich aufgewacht,
War's nicht erträumte Pracht,
Was ich im Geiste sah,
Stand schimmernder noch da,
Und das war noch das Beste,
Du schöne Villa d'Este.

Drei Wochen schon sind wir in Tivoli, und Villa d'Estegarten läßt uns nicht weiter vordringen. Haben wir des Abends unter seinen Zypressen noch so lange gerastet und die Sonne drüben über der Campagna noch so langsam untergehen lassen und uns, Thränen in den Augen, durch den feuchtwerdenden dämmernden Garten noch so leis hinweggeschlichen, die Nachtigallen nicht aufzuwecken, die hier in jedem Lorbeerbusche nisten; sie wachen doch auf in der Frühlingsnacht und singen vor unsern Fenstern so laut, o so laut und süß, daß wir wieder halbwach werden in unseren Träumen und die Brunnen wieder rauschen hören, die unzähligen. Und der Garten selbst taucht vor uns empor, wie er traumhaft ruht im Mondschein; die goldig erblühenden Lorbeerbäume duften stärker denn je; aus dem warmen Boden steigt feuchtender Hauch und hängt sich, vom klaren Mondlicht durchflimmert, als silberner Duft um die dunklen stillen Zypressen. Wieder wie am Tage, nur noch zaubergefesteter, wandeln wir durch die breiten Laubgänge, daran die Wasser jauchzend hochaufspringen, oder in Grotten, wo Quellgötter lagern, tiefsinnig murmeln, und unversehens faßt uns eine sechzehnjährige Prinzessin bei der Hand. Sie führt uns durch den Garten an der Girandola hin, wo, einem Prachtfeuerwerke gleich, Reihen an Reihen von blitzenden Wasserstrahlen mit süßer Musik steigen und fallen, und führt uns rasch hinauf zum hohen Palaste, auf den Balkon. Ueber die ruhenden Baumwipfel schauen kühn da drüben durch den Dunst die drei Monticelliberge; aus ihren Felsgipfeln wachsen noch Städte, Burgen und Klöster, Zur Linken senkt sich der großgestirnte Nachthimmel hoch und steil auf die unermeßliche Ebene. An ihrem Rande, wie das Schattenbild einer himmlischen Stadt, das der Mondschein auf die Erde wirft, – dorthin deutet mit leichter Handbewegung stolz die Prinzessin: Roma la eterna!

Kommen Sie, wir gehen jetzt hinab in den Rosengarten, wo die Wasserorgel uns zu Häupten gar so lieblich singt und vor uns die Teiche glänzen. Voran ist sie und fort. – Der arme bedächtige Deutsche erwacht. Die Nachtigallen singen noch immer so süß, fortrauschen die Brunnen und seliges Licht strömt lockend durch die Fenster. Kaum angekleidet, dringt er traumtrunken hinaus in den Garten, sehnend, suchend. Auf der Bank am Rosengarten, wo die epheu-durchwilderte Thränenweide ihre weichen grünen Zweige in den klaren Teich hereinwehen läßt, sitzt sie nicht mehr, die sechzehnjährige Prinzessin; die Bank steht leer, doch zieht es den Traumschweren nieder. Die rings den Berg ungeduldig herabdrängenden, unaufhörlich lauten Wasser werden hier plötzlich ruhig und sammeln sich still in den großen Teichbecken zu feuchtverklärenden Spiegeln für Himmel und herrliche Baumwipfel. Immer milder verflimmert in der Ferne die blauende Campagnaebene ins reine Licht des Himmels, immer lieber blickt Der auf der Bank über die glänzenden Spiegel: das reine Licht des Himmels bricht stromweis bis zu ihm herüber und erfüllt ihn ganz, und hart neben ihm laßt unversehens noch Einer sich nieder, der dieselbe sucht, und trinkt ebenso friedensselig in vollen Zügen das reine Licht des Himmels, bis sie wechselseitig langsam sinnend sich anschauen und zuckend mit den erstaunenden Augen, sagt einer zum andern: Guten Morgen! –

II.

Ritt durch das Sabinergebirge

Frühmorgens, als im Hofe unseres biderben Albergo della Pace die Hähne krähten, von deren Hennen wir seit drei Wochen nach genauer Berechnung 567 Eier gegessen, sitzen wir auf, und zwar diesmal auf Esel von Kamelsgröße und dem Feuer eines Berberrosses. Wir sind zu Drei und drei Esel. Der erste ist hoch, kurz und braun, heiter und ergeben. Der zweite ist lang bis sehr lang, braun, verdrossen, doch auch ergeben; er gleicht einem halbgezähmten Alligator, Der dritte ist stark, riesenhaft, dabei stolz und faul und von weißlicher Farbe.

Eine Weile führt der Weg in der üppigen Thalebene des Anio. Man kommt unter gewaltigen römischen Wasserleitungsbögen durch, auf denen ein mittelalterlicher Turm steht; dann führt, vorbei an halbversunkenen Städtetrümmern, der Weg links hinauf auf das steile, steinige Gebirge. Aus jäh einbrechender Schlucht steigt als schmaler Streifen San Gregorio empor. Am laut vorbeistürmenden Wildbach tränken wir die Tiere, und wieder geht es hinauf und hinab und am Thalrande hin. Alte Eichen stehen hier, den deutschen ähnlich, nur mit seiner gezackten Blattern und zarterer Verastung. Durch ihr frisches Grün schimmert Poli, wie alle diese Gebirgstädtchen ein kastellartiger Klumpen, über dem freundlichen Thal aus hohen Ringmauern hervorwachsend.

In Poli wird gehalten. Wir können nur mit Mühe von den Eseln getrennt werden, aber der dunkelrote glühende Wein erwärmt die scheintoten Glieder und weltumseglerisch kühn geht es von Poli, fast ohne Weg, dem höchsten kahlsten Gebirge zu. Wir steuern gerade südwärts eines jener breiten und langen Hochthäler hinauf, zur Linken ein leeres Flußbett, voll weißer Gerölle. Feierlich öd ist es hier und fürchterlich trocken. Der Regen, der hier niederfällt, stürzt sofort in wilden Strömen an den baum- und grasleeren Hängen den Tiefthälern zu, und was noch übrig, saugt gierig der gänzlich zerklüftete Kalkboden ein, um es im Schoß der Berge in großen Höhlenbecken zu sammeln, aus denen am Fuß des Gebirges mächtige Quellen hervorbrechen. Kein Laub errauscht, kein Vogel schwirrt auf; dünn, scharf, dunstlos ist die Luft und klanglos fallen uns die Worte von den Lippen. Wir dünken uns Araber, auf Schiffen der Wüste dahinsegelnd. Die Steinbrocken werden größer und bilden hohe Querdämme, die mühsam zu überreiten sind, bis auf einmal uns zur Rechten Kastell San Pietro trümmerhaft auf der höchsten, vorgeschobensten Felsenspitze steht, und fast senkrecht fällt neben uns das Gebirge dreitausend Fuß tief gegen die Campagnaebene hinab, die unermeßlich mit dem hohen Bogen des sanftblauen Meeres sich öffnet. Wie dem Moses auf dem Sinai wird uns zu Mut!

»Wir müssen jetzt einlenken links in die Schlucht hinab, hier vorne, Palästrina zu, sitzen Briganten.« So sagt jetzt ganz beruhigt unser Führer und mit lobenswerter Sicherheit klettern unsere Saumtiere an den Felsen hinab. Jeder Fehltritt, bei den Eseln doppelt zu befürchten, weil sie vier Füße haben, wäre gewisser Tod. Immer an den äußersten Saum drücken sie hinaus und essen lustig dazu in ihrer Saumseligkeit. – So ein Esel steigt die schauerlichsten Pfade auf und ab den ganzen Tag mit stetem Mute. Würde er nicht so schlecht behandelt, es wäre eines der edelsten Tiere. Trotz seiner seltenen Pflichttreue und seines großen Verstandes prügeln ihn aber die Menschenkinder beharrlich, weil sie ein etwas rascheres Tempo lieben.

Hier im kühlen silbergrauen
Oelbaumgarten ruht sich's fein.
Berge, welche sanft erblauen,
Fassen rings die Eb'ne ein.

Licht im Thal die Mandelblüte
Und die lachend grüne Saat,
Ach und sieh der wandelmüde
Esel hier am Felsenpfad.

Wie ich ihm so Mitleid zollte,
Giebt sein Auge einen Glanz,
Gleich als ob er sagen wollte:
Du allein verstehst mich ganz.

Bald erreichen wir Cavi. Malerisch liegt es auf felsigem Vorberg mitten im blühenden weiten Thal. Von da geht der Weg eben nach Genazzano, das lieblich am Berge liegt und da, wo es am höchsten, das große Schloß der Colonna trägt. Auf turmhohen schrägen Untermauern ragt das in einfachem Renaissancestil erbaute empor, von kecken Säulengängen belebt. Eine starke Bogenbrücke führt vom Städtchen hinüber. Dieses ist wieder prachtvoll verknorpelt. Wohnhäuser aus alter Zeit erfreuen durch ihre gotischen Maßwerkfenster, die auf das reichste und zierlichste aus weißem Marmor gemeißelt sind. Daneben ergreift den Wanderer noch mehr die Höllenschwärze der sonstigen Häuslein, die in den engen Staffelsträßchen stehen, von innen durch das Feuer auf dem großen rußigen Herde geisterhaft erhellt. Sie gleichen den Kürbissen, welche die Kinder im Herbst aushöhlten, innen beleuchteten und einige grausige Löcher hineinschnitten, Schöne schwarze, etwas besudelte Menschen sitzen seelenruhig davor in bunter kleidsamer Tracht.

Nach Olevano hinüber führt ein mörderischer Weg, hinab und hinauf bis an das aus Felsriffbergen am Hang sich hintürmende, uralte Sabinerstädtchen, das überragt wird von einem noch kühneren Riff mit wilden Burgtrümmern und auch das wird noch übelgipfelt, und zwar von einem der höchsten und hehrsten Wirtshäuser unserer plattgedrückten Erde. Ja vortrefflich innen und außen. Von seiner Altane hat man unumschränkte Aussicht auf die bei aller Größe so viel und so schön gegliederten Gebirgsketten. Grat an Grat zieht hinter dem andern her, im Sonnenduft schwimmend, voll silberner Wolken.

Drei Hauptgebirgsgruppen sind zu unterscheiden. Ganz zur Linken, gegen Süden, liegen über der breiten fruchtbaren Thalsohle die Volsker-Gebirge: hoch, langgestreckt, drei bis vier Ketten hintereinander, weich gegliedert und grünlich leuchtend. Weiterhin gegen rechts, Südwesten, steigt aus der Ebene duftig-blau ein pyramidaler Gebirgsstock, das Albanergebirge. Und vor uns, mehr gegen Nordwest, liegen ganz nahe die Sabinergebirge, wie ein im Sturm versteinertes Meer, ernst, grau, baumlos; auf den höchsten Felsgräten wieder uralte Bergstädte. Eine liegt ganz nahe uns zur Rechten auf gewaltiger Klippe. Es ist Nivitella, Stadt und Felsen sind nicht von einander zu scheiden; wie ein furchtbares Korallriff starrt es in den Himmel hinein. Und als angenehmer Vordergrund steigt unter uns aus sanften Oelbaumgärten die Burg von Olevano samt dem kühnen Städtchen empor.

Ueber allen Bergeskronen
Auf der höchsten Felsenspitze,
Ueber allen Königsthronen
Auf dem freisten Ruhesitze;
Unter uns die Wolken gehen
Und in Silberluft verwehen,
Unter uns die ganze Welt,
Nah genug das Himmelszelt.

Also über allen Landen,
Hell im Gold der Abendsonne,
Einen Becher Weins zu Händen,
Harren wir, Gebieterwonne,
Herrscherglanz im Angesichte,
Auf die kommenden Gerichte,
Lehnend an der anerkannt
Wunderbarsten Wirtshauswand.

Eines Morgens gehen wir nach Civitella hinauf, es scheint ganz nahe zu liegen, so großartig sind alle Formen. Auf halbem Wege streift man einen fast erstorbenen Eichwald, die morschen, vom Sturm zerstümmelten Bäume sind ganz übermoost und lange graue Flechten hangen daran wie Greisenhaare herab. Eine Wolke überweht uns; wir müssen im Nebel weitersuchen über die kahle Heide, aus der hohe weiße, von den Regengüssen zerwaschene Kalksteinnadeln wie heidnische Sonnensteine hervorstarren.

Auf dem höchsten Kamm liegt das Urnest. Am Eingang stehen kyklopische Bautrümmer, sehr große, fast rechteckig behauene Quader mörtellos in regelmäßigen Schichten aufeinandergebeugt. Mädchen steigen am Felsabsturz mit zierlichen Erzkrügen zum Brunnen hinab. Sie sind sehr schön und sehr schwarz, schlanke, feine und doch kräftige Gestalten, mit guten meergrünen Miedern, rot und gelb gestreiften Triolettchen und nackten Füßen, Auch die jungen Schweine gehen hier wieder zahm und manierlich an der Leine, nur noch gazellenflüchtiger, als dort in Assisi.

Wir stürmen die Stadt hindurch, noch immer im Nebel. Draußen vor dem Thorturm fängt das Ende der Welt an. – Nichts als Wollenmassen, die unbändig gegen einander losstürzen und die Sonne verhüllen. Und die Sonne verliert ihren Schein. Es ist, als ob die Götterdämmerung begänne. Stumm ringen die ungeheuren Geister für und wider das Licht, entsetzlich aufgeregt, und zerstören sich wechselseitig, bis endlich wieder unten, wie frisch aus den Fluten gezogen, die neue grüne Erde erglänzt: unzählige Hügel und Berge und Gräte mit Eichwäldern, grünen Feldern, geschlungenen Wegen, ragenden Schlössern und Städten. Paradiesesfrieden waltet. Aller Kampf und alles Wehe scheint getilgt. Wie Selige pilgern die Menschen unten zu den schönen Bergkirchen empor. Sanfte Glockentöne werden wach. Und rings auf den höchsten Bergen sitzen jetzt die ungeheuren Geister wieder, versöhnt, hohe, edle, weiße Gestalten, und schauen lächelnd nieder auf die glückliche, thauglänzende Erde, über der die reine Sonne wieder aufgegangen.

Merkwürdig, wie hier oben die Leute seit Jahrtausenden auf diesen höchsten Spitzen der Gebirge leben, zur Hälfte ihres Daseins von Wolken verhüllt. Nicht Straßen, nur Saumpfade führen hinauf. Es sind Trümmer längst untergegangener Volksstämme, die sich im allgemeinen Schiffbruch robinsonartig auf die einzelnen Klippeninseln gerettet. Schon der alte Vater Noah kann mit seinem zoologischen Kasten sehr wohl an einer dieser Klippen, zumal wenn das Wirtshaus von Olevano schon stand, hangen geblieben sein.

Hier oben ist es herrlich, da ist gar keine Regierung. Die Menschen werden hier wie die Adler, unbändig frei und kühn, und verachten die Welt, die sie fast nur aus der Vogelschau haben. Ganz anders werden sie, als unsereins, der im flachen kohlreichen Hügelland unter polizeilicher Aufsicht heranwächst.

O wie waren die Nächte schön in Olevano! So unendlich
still hier oben; nur die Nachtigall schlug aus den Oelbäumen.
O Nachtigall,
Du süße singst schon viele viele Stunde,
Und niemand lauschet deiner Lieder Schall.

Im Vollmondglanz
Die tiefzerrißnen, dunst'gen Thäler liegen,
Der Felsgebirge baumlos öder Kranz.

Verströmen muß
Selbst auf der höchsten todeskalten Höhe
Des Dichterherzens lodernder Erguß.

Doch kräht der Hahn,
Verstummt dein Sehnen, denn im Städtchen drunten
Hebt dann ein Esel nach dem andern an.

Ein vier Stunden langer Weg führt über die öden Kämme und Schluchten des Gebirges nach Subiaco. Mehrere hundert Fuß hoch steigt die Stadt staffelformig um den Berg empor mit Türmen und Zwingern, ganz oben vom alten Castello beherrscht; und ringsum herrlichste Hochgebirgsgegend, schön bewaldete Bergspitzen, und dahinter stufen sich die mächtigen nahen Kammzüge der großen Gebirge vielfach empor. In der tiefen Felskluft, aus der aus dem Dickicht riesiger Laubbäume der kalte Anio bricht, liegen kaum zugänglich die weltberühmten Benediktinerklöster. Das oberste ist das bedeutendste. Der einsame Pfad führt über Staffeln durch den heiligen immergrünen Eichwald; es ist noch derselbe, in den sich am Schlusse des fünften Jahrhunderts der junge Benedetto zurückzog und in seinen Höhlen, in Tierfelle sich hüllend, lebte. Aus und über diesen Höhlen erwuchs die Wallfahrtskirche, Stockwerk um Stockwerk, ganz mit Malereien aus dem zehnten bis fünfzehnten Jahrhundert bedeckt. Viele davon sind auf den nackten Fels gemalt.

Benediktus war in dem Orte Nursia, in Umbrien, um das Jahr 480 geboren. Als Knabe von vierzehn Jahren, so erzählt man, kam er nach Rom, um sich daselbst in den Wissenschaften auszubilden, und man zeigt noch heute im Trastevere in der kleinen Kirche San Benedetto in Piscinale die Stelle, wo das seinem begüterten Vater angehörige Haus soll gestanden haben. Der Jüngling wurde indes von einer tiefen und unwiderstehlichen Neigung zum beschaulichen Leben bald ergriffen. Er verließ seine römischen Studien und entwich der Welt in die sabinischen Einsamkeiten von Sublaqueo (Subiaco). Hier warf er sich in eine Höhle und in Tierfelle sich hüllend lebte er, von dem frommen Einsiedler Romanus mit Kost versorgt.

Aber die Bilder der Liebe traten stets wieder vor die Seele des Jünglings, seine Brust mit dem Feuer der Sehnsucht zehrend erfüllend und ihn aus der sturmfreien Höhe der Selbstüberwindung wieder herabzuziehen drohend in den heil- und ziellosen Umstrom des irdischen Lebens; da warf er sich einmal in der furchtbarsten Aufregung in die dornigen Rosengestrüppe der Wildnis.

Weh mir, noch immer scheint dies Zauberbildnis
Herein in diese grausenvolle Wildnis,
Wo kühnen Sturzes, lichtlos, felsumschattet,
Der keusche Anio sich selbst bestattet.

Sagt mir, getroffen von der Stürme Streichen,
Prophetenworte, tausendjährige Eichen,
Zerreiße Dorngestrüpp den Unbeschuhten,
Daß diese Wunden endlich aus sich bluten.

Daß er versöhnt mit dem lebend'gen Gotte,
Sanft schlummert bei der Natter in der Grotte,
Daß er von allem Wunsch und Wahn entsündet,
Das Paradies in seiner Brust ergründet.

III.

Zurück nach Tivoli.

Subiaco, Zahnwehgewimmer,
Und was noch millionenmal schlimmer,
Drei Franzosen im Nebenzimmer.
Die ganze Nacht kein Auge zugethan.

Aber nach solcher Nacht erscheint am lichten Morgen die Welt noch einmal so schön, wir sind durch das Feuer der Schmerzen geläutert, wie neugeboren, und sehen daher um so schärfer; das Rätselhafte der Welt ist ja bloß in uns. Auf zweirädrigem Einspänner brausen wir windschnell am Anio hin. Zuseiten erscheinen und verschwinden, schönen Traumbildern gleich, auf den höchsten Felsklippen wieder Bergstädte, darunter Saracinesco, von den Saracenen gegründet. Die Berge werden niedriger, milder, grüner, und prächtige, eben aufgebrochene Ahornbäume breiten ihre Kronen über die Straße und spiegeln sich im stillen Anio. Es ist der erste Mai.

Im Villa d'Este Garten ist jetzt auch alles grün geworden, selbst die großen Platanen, die sonst so grau gestanden. Unglaublich üppig wird der Pflanzenwuchs in Italien, so wie er Feuchtigkeit genug bekommt. Wie hold wirren sich jetzt im Strauchwerk unter den ernsten Baumriesen Geißblatt, Epheu, wilder Hopfen, meine Lieblinge die weißglockigen Winden und andere schlingende Pflanzen durcheinander. Und diese Nachtigallenzusammenrottung in den noch immer blühenden Lorbeerlauben. Nach Mittag regnet es gern, und wie herrlich ist es nach dem Regen, wenn es kühl geworden ist im Garten. Blüten und Blätter duften stärker; einer Feuersäule gleich zieht der Regen fernhinweg über die Campagnaheide. Die sinkende Sonne blitzt noch einmal auf, die Lorbeerblätter glänzen wie lauter goldene Spiegel; nur die Cypressen stehen dunkler und einsamer, als je. Aus den Tiefen der Oelbaumwälder quellen blaue Nebel, die überschüssige Segenskraft, die vom Himmel kam; man fühlt mit jedem Atemzug in volleren Strömen, wie die Welt erquickt ist.

Schönster Tage schönste Blüte,
Müheloses Fröhlichsein,
Mühelose Herzensgüte,
Wurde hier in Fülle mein.

Tempelheiligtümer glänzen
Herrlich ob dem tiefen Thal,
Und von seinen Felsenkränzen
Stürzen Ströme Strahl an Strahl,

Wo der Erde Grund gespalten
Ihrem Schwall entgegengähnt,
Daß man unten die uralten
Götter dumpf hindonnernd wähnt.

Durch das Dunkel der Cypressen
Nie genug das Auge schaut
Nach der Ebne, unermessen,
Die dem Meer gleich glänzt und blaut.

Goldne Wetterwolken wallen
Pfeilschnell über das Gefild,
Und das Lied der Nachtigallen
Mit dem Sturme schwillt und schwillt!

Schönster Tage schönste Blüte,
Müheloses Fröhlichsein,
Mühelose Herzensgüte,
Wurde hier in Fülle mein.

Im Albanergebirge

I.

Frascati.

Schöne Villa, Mondragone,
Stehst verfallen und verlassen
Mit den prächtigen Palästen
Auf den mächtigen Terrassen.

Deine lebensfrohen Brunnen
Gingen alle längst versiegen,
In den öden Marmorschalen
Wucherpflanzen hochaufstiegen.

An den stolzen Rampentreppen
Klaffen tief und schwarz die Fugen,
Schauerlich die leeren Fenster
In den hellen Himmel lugen.

So stehst du da mit dem ungeheuren Palaste, einst von Papst Paul III. gegründet. Ringsum ist der Garten zum Urwald verwildert, riesige Pinien erfüllen die weite Thalschlucht, zuweilen steht noch mitten im Dickicht ein marmornes Götterbild. Die Aussicht ist ganz wundervoll auf Gebirge, Campagna und Meer.

Frascati ist die Stadt der Villen; auf allen Seiten ziehen sie sich am Berge hin. Rechts an der Stadt, wenn man von Rom kommt – Mondragone liegt zur Linken – liegt die allerschönste von ihnen, Villa Conti Torlonia, stets geöffnet von dem edlen Besitzer. Hinter dem Schloß ein großer immergrüner Eichenhain.

Da ist ein Eichenhain,
Worin es ewig dunkelt,
Worin der Sonnenschein
Wie tausend Sterne funkelt.

Weit und eben dehnt er sich hin; wo seine Wege sich kreuzen, springen Brunnen. Hinten an der sehr hohen Eichenterrasse drängen klare Waldströme aus schönen Seebecken rauschend herab, und selig herein bricht der Glanz der unermeßlichen Landschaft, die das mildblaue Meer umrandet. Ein Aufenthalt würdig des Weisen.

Hoch oben über der Stadt auf kahlem Felsberg liegt in Trümmern das alte Tusculum. Von einer Villa zur andern gelangt man auf schattigen Pfaden empor. Rechtshin erhebt sich über dem Thal mächtig der waldige Monte Cavo; einsame Pinien stehen hier auf sanfter grüner Weide. Wie wir linkshin weiter steigen, erscheint der Felsgrund mit den Trümmern der Stadt, ein Theater ist noch wohl erhalten. Auf dem Scheitel des Berges, auf breiter Felsplatte, stand die Burg mit den Heiligtümern, mächtige Quaderblöcke liegen umher in der sengenden Sonnenhelle. Die Aussicht ist so großartig als lieblich.

Hier oben entgingen wir einer großen Gefahr. Eine Menge jener stahlgrauen Vipern ringelte sich uns zu Füßen und wir spielten mit ihnen, ohne zu wissen, daß sie tödlich giftig. Auch sonst noch Bemerkenswertes aus dem Tierreich giebt es hier oben. Wir konnten die Kraft und Geistesgegenwart eines römischen Landkäfers, eines Baccherone, nicht genugsam bewundern, der mit unverwüstlicher Ausdauer eine Kugel, noch einmal so groß als er selbst, den steilen Felsen hinaufrollte; ja, seine Tugend zwang uns folgendes Lied ab:

Es zog ein Käfer lobesan
Die Burg von Tusculum hinan
Mit einer großen Kugel;
Sein Wuchs gedrungen, wohlgenährt,
Mit Zang' und Füßen wohlbewehrt
Und rabenschwarzer Farbe.

Der Baccherone drehte sich
Und schob die Kugel hinter sich
Wohl auf den steilen Felsen;
Und wenn im Lauf die Kugel stockt,
Er schleunigst auf die Kugel hockt,
Um zu rekognoscieren.

Was drinnen in der Kugel war,
Das ward uns leider nicht recht klar,
Sie schien uns ein Gespinste,
Darinnen sorgsam und genau
Die löwenkühne Käfersfrau
Verborgen ihre Kinder.

Die Kugel aber drehte sich
Und warf den Käfer unter sich
Und schoß den Berg hinunter;
Der Käfer aber drehte sich
Und schob die Kugel hinter sich
Wohl auf den steilen Felsen.

Und wieder fiel die Kugel um
Dort auf der Burg von Tusculum
Und schoß den Berg hinunter.
Der Käfer aber wiederum
Rollt er empor sein Heiligtum
Wohl auf den steilen Felsen.

Und endlich hält der Käfer still,
Man weiß nicht, was da werden will,
Er schnüffelt in dem Grase;
Die Kugel stellt er sich beiseit
Und macht ein Loch gar groß und weit
Wohl in den weichen Boden.

Und als das Loch vollendet war,
Schob er die Kugel wunderbar
Von hinten in die Erde;
Der Käfermutter Heldenthat,
Wert ist sie, daß sie früh und spat
Von uns gepriesen werde.

II.

Der Nemisee.

Tief im alten Kraterkessel
Liegt der See, von Wald umschlossen,
Riesengroß am Ufer sprossen
Schilf und Binsen, Lauch und Nessel.

Die gewalt'gen Bäume hangen
Rings bis auf die Flut herunter;
Wein und Epheu wild und munter
Alle Zweige überschlangen.

Manchen starken Eichenwipfel
Sie schon gänzlich niederzogen,
Wieder aus den blauen Wogen
Streben Inseln gleich die Gipfel.

Von der Sonne Glut verschlungen
Wird des klaren Bergsees Kühle,
Eine geisterhafte Schwüle
In den gold'nen Dämmerungen.

Aus dem Kelch der Anemonen
Noch so starke Düfte steigen,
Hörbar in dem tiefen Schweigen
Oeffnen sich der Lilie Kronen.

Und mit einem Zauberschlage
Schieben aus dem heißen Boden
Junge Pflanzen ihre Loden,
Wie am ersten Schöpfungstage.

Neapel.

Nehme ich jetzt einen Stein und werfe ihn zum Fenster hinaus, so fällt er ins Meer, und könnte ich ihn so geschickt werfen, daß er immer wieder aufspringt, so würde er bis nach Resina kommen und den Vesuv treffen, den alten ewig rauchenden Philister mit seinem dicken Kopfe. Der Vesuv, von Neapel aus gesehen, ist das einzige im ganzen großen Golf, das noch schöner sein könnte. Die wunderschön straffe Linie des Berges, die sich links aus der Ebene bis zur hohen halbeingestürzten Somma heraufzieht, beweist, wie herrlich der Berg gewesen sein muß, ehe ihm ein anderer Kopf wuchs.

Um so nobler gebildet ist das Felsengebirge, das sich, rechts vom Vesuv, meilenweit gegen Capri hinstreckt und mit seinem Monte S. Angelo, voll unergründlicher Waldschluchten und unvertreiblicher Räuber, bis über die Wolken steigt. Unten am Gebirge, als gewaltige lotrecht ins Meer abstürzende Felsenstufe, dehnt sich bald breiter, bald schmäler die Orangen- und Limonenwaldebene von Sorrent hin, aus der unzählige Häuser, Villen, Burgen, Kirchen und Klöster hervorglänzen, und an die Spitze des Gebirgszuges reiht sich das sehr hohe, furchtbar schroffe Capri. Alles leuchtet wunderbar blau.

Stundenlang kann man hinübersehen, das Auge wird nicht stumpf, das Herz nicht verdrießlich. Die Formen sind zu schön, und jener reine heitere Glanz, der von ihnen ausgeht und den das Auge fort und fort einsaugt, teilt sich dem ganzen Menschen mit, daß sein Antlitz endlich selbst erstrahlt, wie jene glückseligen Küsten.

Capri.

Capri, stolze Klippeninsel,
Zauberhaft dem Meer entragend,
Dem tiefblauen, auf den Gipfeln
Aller Zeiten Trümmer tragend.

Deinem wunderschön gezackten,
Silberblanken Felsenkerne
Naht, gewiegt in sel'ge Träume,
Sich der Wanderer so gerne.

An den himmelhohen Wänden
Fort und fort die Wogen branden.
Nur nach langem Kampf vermochten
Wir mit unsrem Kahn zu landen.

Staffeln bloß, nicht Weg' und Stege,
Führen auf die kühnen Warten,
Aber oben ist es herrlich
In Paganos Palmengarten.

Unter der Limonenbäume
Dicht verschränktem Dach wir ruhten.
Ließen den berühmten Bergwein
Langsam sich in uns verbluten.

Bis er zu der rechten Anmut
Unser Innerstes erregte,
Auf der Insel höchste Spitze
Windschnell uns hinaufbewegte.

Keine Blumen, keine Früchte
Hier den schwarzen Grund bedecken,
Halbversengte Farrenkräuter
Ueberziehen alle Strecken.

Da vor unsern Blicken endlos
Lag das Weltmeer aufgeschlossen,
Weit und weiter, Erd' und Himmel
Leuchtend ineinander flossen.

Und das ungeheure Schauspiel
Hat uns mit empor gehoben.
Und wir glaubten schon, wir könnten
Greifen nach den Sternen droben.

In Sorrent.

1.

Wie hier im Orangenhain
Rastlos Frucht und Blüte,
Drängt sich Glück an Glück herein
Ueber mein Gemüte.

Bin so gern am Meer entlang,
Wenn der Frühwind feuchtet,
Und der hohe Küstenhang
In der Sonne leuchtet.

Meilenweit am Ufer gehn
Die Orangenwipfel,
Wie in blauen Flammen stehn
Capri's Felsengipfel.

Bin ich so voll Licht und Ruh,
Ganz im Schaun versinkend,
Rufen mir die Freunde zu,
Auf dem Dache trinkend.

Wein und Witz und Witz und Wein,
Paradiesespforten,
Und dazu voll Liebesschein
Briefe aus dem Norden.

2.

Alle Morgen blühen neue
Blumen an dem Fenster mir,
Alle Morgen lockt des Himmels
Bläue mich hinaus von hier.

Alle Morgen an dem Meere
Süß mein Haupt in Träumen ruht.
Und ich bin mit mir zufrieden.
Denn ich hab' es riesig gut.

Wieder in Neapel.

Um wieder auf Neapel zu kommen, so gehört ein Gang durch den Toledo zum belebendsten; sein Eselsgeschrei dringt allmächtig auch durch dieses bescheidene Reisebuch. Der Toledo läuft bekanntlich vom Schloß zum Nationalmuseum hinauf und teilt die eigentliche Stadt in zwei Hälften. Die rechts beim Hinansteigen bildet den ebenen Teil am Meere; man sieht das blaue heraufglänzen durch die hohen engen Gassen, deren vergitterte Altane mit bunter Wäsche und anderem lustigem Gerümpel überladen sind. Die linke Hälfte steigt sofort mit steilen Staffelsträßchen an das fast überhängende Kastell St. Elmo empor; hier schaut man an saftgrüne Orangen- und Piniengelände. Der Toledo hat seinen Ruf nicht umsonst; er ist die vollkommenste Straße, eine südliche Seestadt von mehr als einer halben Million Einwohner teilend und verbindend; nicht zu schmal und vor allem nicht zu breit; lauter stolze Renaissance- oder Zopf-Paläste mit überreichen Balkonen vor jedem Fenster. Unten die glänzendsten Schauläden und Cafes. Besonders thut noch der Straße gut, daß sie ziemlich ansteigt, und man so nach oben, wie nach unten das wogende Getriebe der Fußgänger, Reiter und leichten Fuhrwerke, welche dicht hinter einander her in vier Reihen dahinrasen, ganz überblicken kann. Das Tosen ist beträchtlich, die Ordnung aber musterhaft, Reinlichkeit und Verkehr haben seit der neuen Regierung erfreulich zugenommen.

Jedermann weicht aus, was mich von meiner Vaterstadt her sehr überraschte, und steigt vorsichtig über die quer über den Weg her schlummernden Lazzaroni. Hier, auf dem Toledo, kann man sich stets unterhalten; durchaus kein betäubendes, gerade so recht das frische Rauschen und Branden einer klugen gefälligen Volksströmung.

Die Lazzaroni, vor denen wir uns in Deutschland so sehr fürchteten, weil wir sie uns laut den vielen Beschreibungen zu achtzigtausend in einer Reihe, nackend und drohend am Hafenstrand hingelagert dachten, verschwinden; nur hier und da taucht einer von ihnen aus süßen Träumen, um in noch süßere hinüber zu nicken.

Einschlafen erst, dann ruhn,
Und dann sich niederlegen;

ist ihres Lebens Richtung, wenn sie nicht eben an einem fremden Herrn etwas Reisekofferartiges, auch nur von der Größe eines Hühnereies, entdecken. Dem Manne kann nicht mehr geholfen werden, und wenn er auch elf lebendige Kinder um sich hätte. Es ist schön, wie die Lazzaroni arbeiten; mit welcher Hast sie das alles thun, um so schnell als möglich fertig zu werden. Auch ihr Fleiß ist Faulheit und ihr Gedankengang ist etwa folgender:

Viel Besitz,
Wenig Witz:
Nichts erwirb,
Iß und stirb.

Die meisten Lazzaroni giebt es um die Piazza del Carmine, der Stätte, wo Konradin von Hohenstaufen enthauptet worden. Durch die tausend Masten des Hafens hindurch, die hier das verdunstende Meer in dichten lichtblauen Nebel hüllt, erkennt man an seinen scharfen Gräten Capri. – Wer kann diese Stätte betreten, ohne still und nachdenklich zu werden:

Konradin

Schon wirst du mit gebundnem Arm
Aufs Blutgerüst geführet,
So jung und schön, daß selbst der Schwarm
Der feindlichen Ritter gerühret.

Noch einmal erblickst du das freie Meer,
Italiens reiche Gefilde,
Das deine Ahnen, groß und hehr,
Beherrschten mächtig und milde.

Jetzt umarmst du Friedrich von Oesterreich,
Den Freund, umarmst ihn wieder,
Und dann zu empfangen den Todesstreich,
Kniest du gelassen nieder.

O Mutter, Mutter, welchen Schmerz!
Hört man dich jammernd rufen;
Das Haupt erhebst du himmelwärts,
Dann rollt es über die Stufen.

Sie scharrten ohne Denkmal ihn
In ungeweihten Boden,
Ein fremdes Volk geht drüber hin,
Weiß nichts vom herrlichen Toten.

Wir denken noch immer mit Thränen an ihn.
Und kummerschwerem Gemüte,
O Konradin, o Konradin,
Du letzte, du lieblichste Blüte.

Wären wir Deutschen wie die alten blinden Heiden, wir hätten längst ihn und seine Vorfahren in den Kreis halbgöttlicher Wesen erhoben durch die Kunst, namentlich die bildende. Einen sehr anzuerkennenden Anfang machte Maximilian II. von Bayern, indem er in der nahen Carmine-Kirche das liebenswürdige Bild des jungen Königs aufstellen ließ. Es ist von Thorwaldsen entworfen, von Schöpf in Marmor ausgeführt.

Ich erwähne noch den neuen Begräbnisplatz, Campo Santo nuovo, vor Porta Capuana, auf der Nordwestseite der Stadt. Eine ungeheure Totenstadt. Marmortempel, Kirchen, Kapellen, Säulen, Statuen bilden lange Gräberstraßen, beschattet von hohen Cypressen und Zirbelkiefern und großblumigen Oleanderbüschen, umflossen vom himmlischen Frieden der unermeßlichen Landschaft.

Neapel hat den Vorzug vor andern Weltstädten: es ist rasch gesehen, wenn auch nie ausgesehen. Am ersten Tage findet man sich zurecht wegen der Schmalheit der Stadt und wegen des Toledos, fast überall hat man den Anblick des ganzen Golfs, in jeder höheren Straße, dazu die wunderbare Stadt unter sich. Hier erfährt man erst was Leben heißt; hier lebt man, um zu leben, wunschlos, ziellos, als reinster Müßiggänger; genießt ein Glück, dem keine Reue folgen kann, nur segnende Erinnerung, weil es aus dem Anblick der höchsten Schönheit entspringt, und darum erfaßt uns gerade hier Heimweh. Man möchte sein von aller dieser strahlenden Herrlichkeit übervolles Herz mit mündlichen glühenden Worten vor den Geliebten in der Heimat ausschütten.

Am prächtigsten aber nimmt sich die Stadt, im Riesen-Halbkreis am blauen Golf sich auftreppend, vom Gipfel des Vesuv aus. Den Tag auf dem Vesuv will ich nie vergessen.

O Vesuv, du alter Schwefler,
Nein du bist ein böser Frevler,
Wie mir deine scharfen Laven
Meine letzten Schuhe trafen.

Wie mir dieser höchste größte
Auswurf Bein um Bein entblößte,
Riß dazu, das fehlte noch,
Meinem Rock ein großes Loch.

Alles in der Junihitze,
Glut und Rauch aus jeder Ritze,
Obenher des Himmels Strahl,
Untenher der Hölle Qual.

So im Fegefeuer wir,
Ohne einen Tropfen Bier;
Nein, was thut man nicht auf Erden,
Ein gereister Mann zu werden!

Im Nationalmuseum sind vernünftiger Weise alle Sammlungen vereinigt und stets geöffnet. Und welche Sammlungen! Des besseren nordischen Wanderers sehnsüchtige Ahnung von der Bildungshöhe der Hellenen wird hier göttlich erfüllt, er weint vor Freude und möchte sie küssen die alten ehernen Küchengeschirre.

Alle paar Wochen werden wieder neue Sachen aus Pompeji herüber gebracht. Da sieht man Lampen, Kandelaber, Herdchen, Tische, Bettladen, Stühle u. s. w., alles aus Erz und auf das natürlichste, klarste geformt, auf das maßvollste, wirksamste mit Figuren und Ornamenten belebt und zum vollkommenen Kunstwerk gemacht. Ferner eine Unzahl Gold- und Silberschmuck, Gemmen, Kameen, Laternen, Bügeleisen, Kleidungsstoffe, ja sogar noch Salzwecken, Zwetschgen, Nüsse, Schweinsrippchen, Bohnen, Seife, Mädchenangesichter, und Papyrusrollen mit echt griechischen und römischen Klassikern.

Im Museum befindet sich auch die beste Büste Homers. Ueberaus schön sagt von ihr der vortreffliche Jacob Burckhardt in seinem Cicerone: »Ich gestehe, daß mir gar nichts eine höhere Idee von der griechischen Skulptur giebt, als daß sie diese Züge erraten und dargestellt hat. Ein blinder Dichter und Sänger, mehr war nicht gegeben. Und die Kunst legte in Stirn und Wangen des Greises dieses göttliche geistige Ringen, diese Anstrengung voll Ahnung und dabei den vollen Ausdruck des Friedens, welchen die Blinden genießen! An der Büste von Neapel ist jeder Meißelschlag Geist und wunderbares Leben.«

Wer sich aber noch die größte sittliche Erhebung gönnen will, der fahre auf der Eisenbahn am schönen laubwaldgrünen Cava vorbei nach Salerno und dringe von hier nach Pästum vor. Zur Rechten hat man von Salerno aus immer das Meer; zur Linken hohe, ganz kahle, wunderbar viel und fein gezackte Bergrücken. Die Gegend wird immer einsamer und öder, ein sumpfiges Heideland; die Gebirge treten mehr und mehr zurück. Herden von schwarzen nilpferdartigen Büffeln lagern umher, im Schlamm vergraben, unter alten Erlen und Eichen, und fernhin durch die feinen Terebinthenbüsche scheint das Meer.

Wo die letzten Terebinthen
Aus dem Heideland verschwinden,
Dorngestrüppe rings herum.
Steht Poseidons Heiligtum.

Seine Farben sind verblichen,
Aber noch kein Stein gewichen.
Immer noch so schön und hehr
Schaun die Giebel übers Meer.

Der ganze Tempel ist aus gewaltigen rotgelben Kalktuffquadern aufgeführt: sie stoßen aneinander ohne Mörtel und zwar so eng, daß Fugen noch jetzt kaum zu bemerken sind. Stufen und Fußboden bestehen, nicht wie bei uns aus Platten, nein auch aus großen Quaderblocken.

Zu beiden Seiten dieses dorischen Tempels steht je noch einer, auch hochherrlich, wenn auch lange nicht so schön und wohl erhalten.

Der Tempel des Poseidon erscheint jedenfalls viel größer als er ist; man kann ihn nicht schätzen und man will ihn auch nicht schätzen. Man steht die Hände faltend davor; es ist einer jener mit allen Schmerzen versöhnenden Augenblicke, in denen uns ein Licht aufgeht, ein großes, großes Licht.

Worin besteht die göttliche Ueberlegenheit dieses Bauwerkes? Die Hellenen nahmen die einfachste Anordnung, der aber gaben sie das vollkommenste Leben. Es ist hier nichts, als immer dieselbe Stütze, die ein Gebälk trägt und auf dreifach gestufter rechteckiger Fläche steht. Gerade in dieser Grundeinfachheit, in diesem sich Beschränken auf möglichst wenige große Formen, besteht der mit nichts zu vergleichende Eindruck von Ruhe, Großheit und Erhabenheit dieses in mäßigen Verhältnissen erbauten Heiligtums. So steht es da, als das Denkmal einer Gesinnung, welche die höchste ist, weil sie das Urgesetz der Schönheit und damit das der Welt ergründete.

Am Vesuv, in der Nähe von Pompeji, liegt das Schlachtfeld, auf dem die letzten Goten unter Tejas den Heldentod starben.

Das deutsche Volk ist doch ein unglückseliges. Gleich bei seinem ersten Auftreten in der Weltgeschichte verliert es seinen mächtigsten, edelsten und gebildetsten Stamm, den der Goten. Die Völkerströme alle, die sich von den Alpen herab ergossen, spurlos sollten sie im heißen Boden Welschlands versickern. Nur noch im deutschen Heldenliede leben sie fort, und in Italien zeugen noch die stolzen Bauten in und um Ravenna von der alten Gotenmacht. Noch steht daselbst sogar das großartige Grabmal Dietrichs von Bern, aufgeführt in halb griechischen, halb urgermanischen Formen. Hier haben wir, mitten in Italien, noch eine Spur unserer alten Bildung. Und merkwürdig genug, in Oberitalien und in oft ganz vergessenen Bergstädten Toskanas finden wir an den sehr alten, sogenannten romanischen Kirchen abenteuerliche Tier- und Menschengestalten, meist runenhaft verschlungen, wie sie ganz ebenso an den Kirchen dieser Zeit in Deutschland, England und Skandinavien sich finden; und welche, grundverschieden von allem Antiken, der Ausdruck sind der alten zurückgedrängten germanischen Bildung, die trotz aller Urtümlichkeit höher und stärker war, als wir zu glauben pflegen, und die tief herein ins Mittelalter mächtig fortwirkte. Wer sich einmal den trotzig kühnen Dom von Worms mit seinen starken Steinhelmen und dem wilden steinernen Getier, das überall neben den Säulen der außen umlaufenden Galerien hockt, betrachtet hat, muß gestehen, daß in ihm noch ebensoviel Heidentum steckt, als im Liede der Nibelungen.

Von den letzten Gotenkönigen in Italien, von Totila und Tejas, sind keine Grabmäler zu schauen; man weiß nur noch die Stätten, wo sie fielen; aber Procopius hat uns ihre göttlichen Thaten aufbewahrt, ein ergreifendes Vorspiel vom Untergang der letzten Hohenstaufen.

Zehn Jahre lang hält sich noch Totila mit wenigen Tapfern, Italien und dessen Meer und Inseln in ewigen Sturmzügen durchfliegend, gegen die Uebermacht der Griechen, bis er am Apennin bei Taginas, an den Gräbern der Gallier, in der Schlacht getötet und eilig bei Capras in die Erde verscharrt wird. Es geschah dies im Sommer 552.

Längst schon ward ihm von S. Benedetto, der sich von Subiaco aus nach Castrum Casinum gezogen und dort das Kloster Monte Casino gegründet hatte, das Unheil vorausverkündet worden.

Der Goten Klagelied.

Rom wirst du erobern und gehn übers Meer,
Doch hüte dich, König der Goten,
Neun Jahre regierst du gewaltig und hehr,
Dann sucht man dich unter den Toten.

Der Mönch auf Monte Casino da,
Benediktus hat es gesprochen;
O herrlicher König Totila,
Nun liegst du von Speeren durchstochen.

Nun liegst du tot in deinem Blut
Auf dem zerhauenen Schilde,
Und warst dem Blitze gleich an Mut,
Der Sonne gleich an Milde.

Und die einst in wildem Wetterzug
Die Welt erobert haben,
Nun blieben ihrer kaum genug,
Den König zu begraben.

O Goten, weil wir verlassen den Wald,
Und stiegen die Alpen herunter,
Und die Götter verlassen, so gingen wir bald,
Doch wir gehen als Helden unter.

Wir leben unsterblich fort im Gesang,
Das ist besser als hinzusiechen,
Gemein und feig, wie schon jämmerlich lang
Die Römer und die Griechen.

Aber noch einmal sammeln sich die Goten und erwählen Tejas zu ihrem Könige. Der treffliche Gregorovius schreibt darüber, dem Procopius folgend:

»Der ruhmvolle Kampf der letzten Goten auf dem schönsten Kampfplatz der Welt, zu den Füßen des alten Vesuv, über dem Grabe versunkener Städte, im Anblick des immer blauen Golfs von Neapolis beschließt die Geschichte dieses unsterblichen deutschen Heldenstamms durch einen Untergang, der uns noch heute mit Schmerz erfüllt, aber durch seine wahrhaft tragische Größe reichlich versöhnt. Die gotischen Männer kämpften mit einem beispiellosen Heldenmut, und Procopius selbst ruft aus, daß es keinen Heroen irgendwo im Altertum gegeben, der den Tejas an Tapferkeit übertroffen habe. An Zahl gering, stritten sie in enggeschlossenen Reihen von der Morgenfrühe bis zur Nacht, ohne zu wanken; ihr König aber focht, von einer kleinen Freundeschar umringt, der vorderste unter ihnen. Vom Schlachtgewühl umdrängt, da sich die Feinde in Masse gegen ihn stürzten, stand er mit seinem breiten Schild gedeckt, fing den Hagel der Pfeile und Speere auf und stieß die Angreifenden nieder. Wenn nun sein Schild von den daran haftenden Geschossen voll war, nahm er aus den Händen seiner Waffenträger einen andern, und focht dann weiter. Er hatte so bis zur Nachmittagssonne gekämpft, als er die Last seines von zwölf Lanzen starrenden Schildes nicht mehr tragen konnte; da rief er mit lauter Stimme nach dem Waffenträger, nicht einen Fuß breit weichend, noch aufhörend die Feinde niederzuhauen, sondern er stand und rief wiederholt dem Waffenträger. Als dieser nun einen neuen Schild herbeibrachte, und der König mit ihm den anderen vertauschte, ward seine Brust einen Augenblick lang bloß, und von einem Speer plötzlich durchbohrt, stürzte er rücklings zu Boden.

Die Griechen steckten das Haupt des letzten Gotenkönigs auf eine Lanze, und trugen es zwischen beiden Schlachtordnungen im Triumph umher, aber obwohl die Tapfern für einen Moment durch diesen Anblick erschüttert wurden, faßten sie sich dennoch wieder, und fuhren fort mit doppelter Kraft zu kämpfen, bis die Nacht sie und den Feind umhüllte. Nach einer flüchtigen und trauervollen Rast erhoben sich diese Männer wieder in der hohen Morgenfrühe, und sie kämpften mit ungebrochener Stärke den ganzen Tag, ohne zurückzugehen, bis auch die zweite Nacht gekommen war. Dann ruhten sie wieder, und indem sie ihre zusammengeschwundenen Reihen zählten, berieten sie, was zu thun. Es erschienen nachts einige ihrer Hauptleute vor Narses und sie sagten ihm: die gotischen Männer sähen ein, daß gegen den Willen Gottes fürder zu streiten nutzlos sei, sie verschmähten die Flucht, sie verlangten freien Abzug, um, Italien verlassend, nicht als Knechte des Kaisers, sondern als freie Männer irgendwo zu leben. Endlich sollte es ihnen gestattet sein, ihre Habe mit sich zu nehmen, welche sie in verschiedenen Städten niedergelegt hatten. Narses schwankte, aber der General Johannes, welcher die Festigkeit der Goten aus hundert Schlachten kannte, riet ihm das Anerbieten todesentschlossener Helden anzunehmen. Während man nun den Vertrag abschloß, zogen tausend Goten, jegliche Bedingung als unehrenvoll verschmähend, die Schwerter aus den Scheiden, und rückten aus dem Lager, und die ihrer Verzweiflung ausweichenden Griechen gaben ihrem Abzug Raum. Es war der tapfere Indulfus, der sie führte, bis sie glücklich nach Pavia kamen. Die übrigen aber erklärten durch einen feierlichen Schwur, den Vertrag zu erfüllen und Italien zu verlassen. Dies geschah im März 553, am Ende des achtzehnten Jahrs des furchtbaren Gotenkriegs.«

Die Tochter des Tejas.

Es leuchtet über die Toten
Mit der Fackel eine Gestalt,
Das ist des Königs Tochter,
Sie hat ihn gefunden bald.

Da liegt des Königs Leichnam,
Entsetzlich anzuschaun.
Die grimmen Feinde haben
Das Haupt ihm abgehaun.

In die größte Fischerbarke
Schleppt sie ihn mühsam hin:
Mach' dich bereit, mein Schifflein,
Wir wollen heimwärts ziehen!

Und in die Barke wirft sie
Den hellen Feuerbrand,
Und fährt mit vollen Segeln
Hinweg vom blutigen Strand.

In tiefem Zauberschlafe
Liegt Meer und Inselriff,
Und wie ein Stern verlodert
Das ferne Totenschiff.

Fahrt nach Palermo.

Die Sonne geht auf und beleuchtet das uferlose schweigende Weltmeer, schwarz und öde, wie ein grobgepflügtes Blachfeld, dehnt es sich aus. Nach Stunden zeigt sich ein feiner blauer Nebel, die Insel Ustica, und wächst zum hohen grünen Berg empor, an dem eine freundliche Stadt neben dichten Laubwäldern. Still und harmlos leben Hirten und Jäger auf dem einsamen Eilande.

Jetzt wie ein silberner Schild taucht das große Sicilien auf. Weithin glänzt seine hohe Felsenküste. Wolken lagern darüber, goldene Bergspitzen dringen strahlend hindurch, Land und Meer umfließt zauberhaft ein farbig schimmernder Dunst. Palermo! Es liegt in der üppigsten Ebene, von lichtgrünen Hochgebirgen umschlossen, die als ungeheure Felsabstürze ins Meer heraustreten; von dem rechts an der Stadt liegenden, vom Monte Pellegrino herab, grüßt das hohe Bild der heiligen Rosalia.

Palermo gleicht ganz einer morgenländischen Stadt. Die Häuser haben platte Dächer; weiße Kuppeln, minaretschlanke Türme, hohe Palmen ragen überall empor. Himmel und Meer sind wundervoll rein und blau, und die Strahlen der Sonne berücken durch ihren Glanz märchenhaft die Sinne.

Unter einem Affenbrotbaum
Findet ihr mich endlich wieder,
An Siciliens Felsenküste
Ausgestreckt die edlen Glieder.

Gut ist's in Palermo, lieblich,
Mild und klar, wie mein Gemüte,
Ist hier Himmel, Meer und Erde,
Duftend von Orangenblüte.

Und wie schön sind hier die Menschen,
Die in den Palästen wohnen,
Hinter ihren Gitterfenstern
Mit den reizenden Balkonen.

Um die Stadt her blühen Gärten,
Kühn vom Hochgebirg umgeben,
Das wie frohe Götterbilder
Zarte Wolken überschweben.

Alles in den Zauberfarben
Ewigen Glutsonnenscheines,
Und hievon der reinste Ausfluß
In der Goldflut hies'gen Weines.

Ja, Panorm ist gut und lieblich,
Stets gefiel es hier den Schwaben,
Ließen sich sogar als Kaiser
Einst in seinem Dom begraben.

Rings um die Stadt ist Hochgebirgsland. Die Berge sind kahl, voll von Rissen und Zacken, dazwischen senken sich grüne Matten. Jedes Fleckchen Boden an den Gehängen wird zum Feldbau benützt. Auf den Felsen wachsen hoch und wild und blühen herrlich Aloe, Kaktus, Oleander, Myrten und Heiden. Nur wo Flüsse herausbrechen, bei Palermo der Oreto, ist das Land in der Nähe des Meeres einige Stunden weit eben und erfüllt von Wäldern aus Oliven, Citronen-, Orangen- und Johannisbrotbäumen. Dann liegen aber wieder berghohe Felsmassen mitten in der Ebene, am Ausfluß der Flüsse und bilden treffliche Häfen, wie hier zunächst der Stadt der Monte Pellegrino, ein ganz kahler Kalkfels von den edelsten Umrissen, ganz freistehend, ein stundenlanger zweitausend Fuß hoher Stein. An solchen Bergen ahnt man so recht das fürchterliche Gewicht ihrer Masse. So ragt der unverwüstliche starre über Wipfel und Wogen, von silbernen Wolken das breite, in glühenden Farben flimmernde Haupt umflogen. – Hier oben hielt sich Hamilkar Barkas drei Jahre lang gegen die Römer.

Palermo liegt auf sanft ansteigender Fläche. Zwei sich kreuzende Hauptstraßen teilen die Stadt in vier gleiche Teile. Die zum Meer führende Hauptstraße, der Toledo, ist dem in Neapel sehr ähnlich, nur noch bunter und anregender; an den hohen Palästen hat jedes Fenster wieder seinen reichen Balkon; die Fenster selbst sind malerisch vergittert. Von außen herein leuchtet das dunkelblaue Meer und hohe grüne Berge.

Im Innern der Häuser sind prächtige Säulenhöfe, belebt von Brunnen und fremden Gewächsen. Der Bauart des Schlosses und der Kirchen ist viel von der arabischen beigemischt. Die Sonne strahlt entsetzlich hell und heiß; doch am Meer, unter den rotblühenden Affenbrotbäumen ist es immer angenehm. Hier liegt der schöne botanische Garten, worin Goethe auch sehr lange über die Urpflanze nachgedacht hat.

Die Orangen sind süß wie Honig und duften wie der Garten des Paradieses, der Wein aber ist unermeßlich gut, ängstlich wohlfeil und stark wie ein Dämon.

Der Dom von Palermo ward in seinen großen Formen so wildkühn getürmt und zerklüftet, wie der fjordreiche Felsenstrand des Nordmeers, und dabei sind sie so zart und so schwärmerisch reizend ausgebildet, als hingen des Morgenlandes Gärten über die furchtbaren Klippen und Klüfte. Man nennt es im gemeinen Leben den arabisch-normannischen Stil. – Wie vom reinsten Gold erglänzen in diesem Sonnenschein die vielen hundert Zacken und Spitzen seiner mächtigen Türme und des reichen Chores, daß man die Augen schließen muß. Man glaubt den Dom schon früher im Traume gesehen zu haben.

Etwas außerhalb der Stadt, mitten in der sanftansteigenden Ebene, liegt das Saracenenschloß, die Zisa, erbaut im zehnten Jahrhundert. Unbeschreiblich schön ist die Aussicht von hier aus: links und rechts vom Monte Pellegrino erblickt man das Meer. Prachtvolle Pinien drängen ihre Kronen an das hohe Steinhaus, dessen gelbe Kalksteinwände nur von einigen Fensterchen durchbrochen, von schlichten Zinnen bekrönt werden. Vornen aber, mitten in der ernsten einfarbigen Steinwand, eröffnet sich ein mächtiger Bogen, durch den eine große Halle in allen Farben schimmert. Durch eine quer sich hinziehende Vorhalle gelangt man in die eigentliche Halle. Ein bedeutender Raum, viereckig, von einem Kreuzgewölbe überspannt; die Wände sind vertieft zu großen rechteckigen Nischen, die sich in überquellend reichen Bienenzellgewölben gegen das Hauptgewölbe herausneigen. Alle Kanten werden durch granitne Säulen gestützt; zwischen den zarten Blättern ihrer schlanken Marmorkapitäle sitzen an Trauben pickende Vögel. Die Wände schimmern im freudigsten Goldmosaik und an der Rückwand quillt klares Wasser über einen zierlichen Staffelbrunnen (in Pompeji finden sich ähnliche) und strömt auf dem Boden weiter durch eine schöne marmorne Rinne, die durch zwei vertiefte Schalen führt. Goldmosaikmuster fassen die Rinne und leuchten verklärt aus dem Grunde der beiden Schalen.

Wo sich im Oretothale
Die Orangenwälder dehnen,
Stehst du noch mit stolzen Zinnen,
Zisa, Burg der Saracenen.

Von dem platten Dache schaut man
Alle Herrlichkeit der Erden;
Schönste Stadt und schönste Berge,
Die vom Meer umschimmert werden.

Deine Fenster sind vermauert,
Aber unten in der Halle
Murmelt noch der alte Brunnen
Mit melod'schem Wasserfalle.

Kühl und klar gehn seine Fluten
Durch des Bodens reine Schalen,
Nur als goldnes Zwielicht spiegeln
Hier herein die Sonnenstrahlen.

Doch verlassen, Zisa, stehst du,
Wie versenkt in tiefes Sinnen;
In der Todesstille hört man
Ueberlaut den Brunnen rinnen.

Selten lauscht ein echter Gläub'ger
Deiner Wasser klugen Reden,
Aber der hört dann ein Rauschen,
Wie vom Barte des Propheten.

Ausflüge.

I.

Nach Monreale und San Martino.

Nach Monreale hinauf, das im Hochthal des Oreto liegt, führt eine glänzende, mit Marmorbänken und Marmorbrunnen geschmückte Kunststraße, stets mit untadeliger Aussicht auf Palermo und die hohe See. Vor dem Thore wird der Orangenduft so stark und berauschend, daß kaum weiterzukommen. Zur Seite stehen, hoch wie Bäume, Feigen-, Oleander- und Kaktushecken; prachtvoll gelbblühende Disteln und die vielarmigen Leuchter der Aloe erheben sich rings aus den nackten Felsen. Zur Linken blickt man weithin ins Thal über saftgrüne Palmen, Orangen- und Johannisbrot-Bäume. Zuweilen auch schaukeln an quergelegten Zuckerrohren totgeschlagene Schlangen von erschreckender Länge, Eidechsen treten auf, bis zu 2-½ Fuß messend, smaragdgrün und sehr gemütlich, kolossale spanische Fliegen, Heuschrecken fast wie Habichte, Tauben wie Adler durchschwirren die reine Luft. Alle unsere Zierpflanzen gedeihen hier wild.

Monreale ist berühmt durch seinen 1170–76 von König Wilhelm dem Guten erbauten Dom, eine gewaltige schlanke Säulenbasilika, ganz mit Mosaiken auf Goldgrund bedeckt. Großartig feierlich grüßen aus den drei halbrunden Chören das riesenhafte Brustbild Christi und zweier Apostel herüber, und an allen Wänden ziehen Gestalten auf Goldgrund; auch der sichtbare Dachstuhl ist vergoldet, eine milde goldene Dämmerung durchströmt daher den mächtigen Raum. Alle Wölbungen sind spitzbogig. Arabische Anklänge erkennt man namentlich auch außen an den herrlichen Chören, die sich tief am Berg hinabsenken: ihre drei Stockwerke sind von Säulen umstellt, die hohe, kühne, sich mehrmals durchschneidende Spitzbögen tragen. Daneben steht, in tiefer Einsamkeit, mit mehr als zweihundert gewundenen Marmorsäulen, dem Vorhof einer Moschee gleich, der große Kreuzgang.

In der Nähe finden sich Katakomben, worin die Leichname der besseren Einwohner von Monreale getrocknet und aufbewahrt werden. Man wandelt zwischen ihnen umher; sie sind in ihren Sonntagskleidern und haben noch hohe Hüte auf und Köpfe wie dürre Zwetschgen. In einer großen Truhe, die man uns aufdeckte, lag in schwarzem Frack und weißer Halsbinde der letztverstorbene Bürgermeister von Monreale. Schauerlich grinste der Hohn der Verwesung in den auch im Tode bewahrten amtlichen Ernst des Mannes hinein. Die Luft ist hier so rein, daß die Leichname, ohne im geringsten übel auszudünsten, langsam vermumien.

Von Monreale führen einsame Pfade über steile Felsen, vorbei an zerfallenden Saracenenkastellen, nach der prachtvollen Abtei San Martino; sie mahnt an das Eskurial in Spanien. Mutterseelenallein unter dunklen Cypressen und Pinien steht sie da, von den fürchterlichsten Felsbergen und Klippen umstarrt, Wolken schauern darüber, bald aber hebt sich wieder hell und klar mit schneeweißschimmernder Kuppel der langhingestreckte Palast. Durch den Riß der Schlucht erglänzt von fern das blaue Meer.

Im Innern der Abtei führen weite hallende Korridore zu rauschenden figurenreichen Brunnen. Alles ist im spanischen Renaissancestil gehalten. In der großen Bibliothek sieht man Dr. Martin Luthers sämtliche Werke, von ihm selbst mit Randbemerkungen versehen. Dann schöne antike Sachen, – Majoliken, – Rüstungen, – Münzen, – Mineralien, – Mißgeburten.

Auf dem näheren Heimweg durch das öde Gebirge schlossen wir uns einer Schar sicilianischer Bürgerwehrmänner an, die höchst malerisch und kriegerisch, lange Flinten auf dem Rücken, das Haupt mit eiförmiger roter Mütze bedeckt, auf ihren Maultieren dahinritten. Der Weg war hoch schauerlich, aber gut. Von Felsschlünden zu Felsschlünden windet er sich durch, bis tief unten Palermo mit seinen Gärten, Meerklippen, Türmen und Masten im Abendglanz erscheint. Wie entsetzlich zerklüftet sind doch diese Schluchten!

Als riesige Nadeln steigen die Kalkfelsen auf. Kein Baum, kein Strauch, kein Fleckchen grüner Matte, nur die Aloe mit jenen Klippen wetteifernd an Kühnheit, Schlankheit und Höhe lebt noch hier, als ein ergreifendes Bild von der ewig nach Licht und schönem Leben ringenden Kraft der Welt. Aus den starren Felsen, an die sie sich festklammert, kann sie sich nicht ernähren; alle ihre Nahrung saugt sie aus der Luft des Himmels. Selbst wie versteinert sind ihre stachlichen Blätter, doch in ihnen kreist das flüssigste Leben, das plötzlich unwiderstehlich den Blütenglockenbaum emportreibt. Da steht er nun zwischen den bleichen toten Steinspitzen, die vor Glut gemach zerbröckeln, seine tieffarbigen Kelche der Sonne sehnsüchtig entgegenöffnend, durch seinen Duft betäubend, und träufelt aus innerer Fülle große Tropfen kühlen Honigs herab.

Saug' mich ganz, du sel'ge Sonne,
            Auf zu dir,
Was ich hab' von Glück und Wonne,
            Gabst du mir.

Rangst mich von der starren kahlen
            Erde los
Durch dein liebewarmes Strahlen
            Ward ich groß.

Immer reger mich durchglühte
            Deine Macht,
Bis auch ich zu heller Blüte
            Mich entfacht.

Bis die Ahnung deiner Wonne
            Auch in mir,
Saug' mich ganz, du sel'ge Sonne,
            Auf zu dir.

II.

Auf dem Monte Pellegrino.

Oben auf dem kahlen Berg ist die feuchte kühle Grottenkirche der heiligen Rosalia, der schönen Nichte Wilhelms des Guten, die in früher Jugend sich zurückzog von der Welt und hier oben lebte. Durch ein vergoldetes Gitter erblickt man das schöne liegende Bild der Heiligen.

Ueber die braune Heide gelangt man vor zum verfallenen Tempelchen, woselbst ein hohes Steinbild der Heiligen steht und der Felsberg auf drei Seiten zweitausend Fuß tief senkrecht ins Meer abfällt. Das tiefblaue, spiegelglatte lag vor uns, wie wenn es nur einige Schritte hinunter wäre: und wirklich wir versuchten, an dem zwerghaften Myrtengestrüpp uns haltend, hinab zu klimmen, – natürlich vergebens, – so sehr hatte uns der Glanz und die Schönheit und die Größe des Anblicks berauscht.

Den Rand des Meeres, der so gewaltig hoch wie der Berg emporsteigt, säumen ausdünstende weiße Wolken. Man ahnt seine unerschöpfliche Fülle, man ahnt die tiefe Verwandtschaft von Wasser und Luft. Die ungeheure Flut hat sich oben durch die Glut der Sonne verdünnt, geklärt, gehoben und schwebt nun als blauleuchtender klarer Nebel über dem Meer und um die felsigen Küsten Siciliens, die scharfen Felsrippen der Erde sanft abrundend.

Hier lebte die heilige Rosalia, die schöne junge Einsiedlerin, hier oben, wo das Licht der Sonne so stark ist, Luft, Meer und Erde so ganz durchdringt, gleichsam entzündet. Hier lebte sie, einer Aloe gleich, von jenem Urlicht, das in uns selbst brennt, und dem auch das Licht der Sonne entflossen, ganz durchflammt und verzehrt. Hier in der großartigsten Einsamkeit, wo man nur die Wellen des Meeres, wenn der Sturm tobt, fernunten am Fels andonnern hört.

Lied der heiligen Rosalia.

Hoch über dem Meer auf dem Felsengestein,
Nur die Bergmyrte wächst hier noch mühsam und klein,
Nur die wandernden Vögel begrüßen mich hier
Und picken das Brot aus den Händen mir.

Wie sprangen die prächtigen Brunnen so kühl
In des Vaters Palast, doch mir wurde so schwül;
Jetzt empfängt mich ein Frieden, so tief und so hehr,
Wie das in den Himmel verschimmernde Meer.

O Gnade von Oben, du göttlicher Schmerz,
Du brachst mir und hobst mir für immer das Herz,
Nun versteh' ich das laute verlangende Lied
Des Vogels, der in die Heimat zieht.

Oft tief in der Nacht, unterm steinigen Dom,
Entstürzt meinen Augen von Thränen ein Strom,
Und ich schaue voll Ahnung blitzartig erhellt
Von seligem Lichte die schweigende Welt.

Heimfahrt

I.

Hohle See.

Wog' an Woge hergeschossen,
O wie schwankt die Barke nicht,
Ausgestreckt, das Aug' geschlossen,
Nur die Seekrankheit in Sicht;
Allen ist so wind und weh.
Sogenannte hohle See.

Drüben Capris Felsen ragen
Und Sorrent liegt leuchtend dort.
Doch wir haben keinen Magen
Für der Erde schönsten Bord;
Alles Sehen thut uns weh,
Sogenannte hohle See.

O wie herrlich ruft der Eine,
Ruft der Einz'ge, der gesund,
Taucht im goldnen Abendscheine
Napoli aus Meeresgrund;
Selbst Neapel thut uns weh,
Sogenannte hohle See.

Du bist heute unser Vater,
Nah gelegener Vesuv,
Deinem breiten Ausbruchkrater
Folgen wir beim ersten Ruf;
Ewiglich Ade, Ade,
Nie mehr gehn wir auf die See!

II.

Velletri

Das ferne Meer erglänzte
Im letzten Abendschein
Durchs rebenlaub-umkränzte,
Saftgrüne Land herein.

Die Regenwolken ballten
Sich traumhaft, bleiern schwer
Zu finsteren Gestalten
Und sanken in das Meer.

Die Nacht kam kühl und schaurig
Auf Berg und Thal und Flut,
Mir ward so nordisch traurig,
So heimatlich zu Mut.

III.

Bei Narni.

Grandios herrlich ist der Schienenweg, der von Rom gegen Narni führt, jene Schlucht, ganz eng, furchtbare Abgründe und überall der Fels überwachsen von dunklen immergrünen Eichwäldern, die so trefflich zu Fügung, Form und Farbe des wirklich edelschönen Gesteines stimmen. Zur Linken steigt an den Felsen steil hinan eine Stadt, darüber das Kastell und über ihm noch andere Burgtrümmer, aber nicht bloß diese, die ganze Stadt ist verstümmelt und vollständig menschenöde. Die steinernen Häuser stehen noch straßenlange, zum Teil noch mit den Dächern, zum Teil halbeingestürzt; durch die kahlen Fenster fliegen Vögel aus und ein, Epheu und stachliches Gebüsch hat kühnwuchernd ganzer Häuserreihen sich bemächtigt.

IV.

Rimini.

Der Dom zu San Francesko in Rimini, eine der merkwürdigsten Kirchen des Abendlandes, ein Gebäude, das bestimmt war, besondere Gedanken und Empfindungen eines Menschen auszudrücken, und dies, soweit es überhaupt möglich sein kann, auch leistet. Kein Gotteshaus sollte es sein, nur ein kolossales Ruhmes- und Todesmal, das der ruchlose, talentvolle, durch eigene Kraft und Scheußlichkeit als Herr von Rimini sich haltende Sigismondo Malatesta sich und seiner frühgestorbenen Geliebten setzte. Der Tod, der nimmer sich einschüchtern läßt, hatte dem Gewaltherrscher sein Liebstes entrissen, die schöne Isotta. Auferwecken konnte er sie nicht mehr, nur ein riesiges Mausoleum, womit sein und ihr Name verewigt werde, konnte er aufrichten lassen auf dem Erdboden, und so ließ er in altheidnischem Trotz gegen die Götter durch einen der ersten Männer Italiens, durch den großen Leon Battista Alberti, dem ernsten gotischen, aus braunen Ziegeln erbauten Franciskanerdom in Rimini eine Hülle von antiken Formen umwerfen, und zwar aus Marmorstücken, die er von überall her zusammenraubte, sogar aus dem fernen Ravenna, woselbst er die ehrwürdigen, schon von den Ostgotenkönigen gebauten Basiliken plünderte. Wie mengen sich nun an diesem Gebäude der lichte und hohe Geist des Baumeisters mit dem Ungestüm und der Prahlerei des wilden und doch wieder gebildeten Bauherrn zusammen zu einem Werte, einzig in seiner Art. Alberti, neben Brunellesco der Wiedererwecker der antiken Baukunst, umkleidete die Westseite des alten Doms mit prachtvoller, von drei Triumphbögen geschmückter Fronte, den Langseiten aber gab er eine ähnlich großartige, nur schlichtere Gestalt, dort ließ er je sieben tiefe, auf starken rechtkantigen Pfeilern ruhende Rundbögen sich hinziehen und in jede dieser Nischen ward ein großer Sarkophag aus dunklem Steine gestellt, dem Andenken berühmter Gelehrter, Künstler und Dichter geweiht, die zu dieser Zeit an Malatesta's Hofe lebten und hier im Dom bestattet wurden. Zwischen den Bögen sind rings um das Gebäude schöne Trauerkränze ausgemeißelt, und unten über dem Sockel läuft in buntem Steinmosaik ein breites Band, geschlungen aus Rosen und Elefanten, den Wappenzeichen Isotta's und Sigismondo's, und oben am Fries der Westfronte steht groß: Sigismundus Pandulfus Malatesta Pandulfi filius fecit anno gratiae MCCCCL, innen aber ziehen sich solche Bänder und Inschriften überall umher an Hochschiff und Kapellenreihen. In einer der Kapellen rechts ist das Grabmal Isotta's; P. Isottae Ariminensis M. sanctum 1450 steht auf dem einfachen Sarkophage, der von zwei marmornen Elefanten getragen wird, – darüber schwebt ein Prachtvorhang und ein ungeheurer Helm. Aehnlich, auch von Elefanten gestützt, prunken in andern Kapellen die Grabmäler Sigismondo's und anderer Malatesta's. Alle Kapellen werden von künstlich gearbeiteten Marmorschranken geschlossen, geschlungen aus Elefanten, Rosen und Bändern, und auf diesen Bändern steht immer wieder und wieder Isotta, Isotta, und dazwischen steht der wie im Hohn der Verzweiflung über den unwiederbringlichen Todesraub hingeschriebene tiefsinnige Spruch: tempus loquendi, tempus tacendi. In der ersten Kapelle links, die ganz mit Bildhauereien erfüllt ist, sieht man eine Darstellung des Leichenzuges, den von vielen Pferden gezogenen Prachtkatafalk, und an der Wand gegenüber thront Isotta im Tempel als Göttin, umgeben von einer Menge von Menschen.

Der Bau blieb unvollendet, innen, wo er nur halb mit den schönen weißen Marmorpilastern vertäfelt ist, und außen, wo das zweite Geschoß der Fassade trümmerhaft in die Luft ragt, und an den Langseiten schauen aus dem Grunde der tiefen Sarkophagnischen noch die rohen Ziegelmauern des alten Domes hervor – ein Bild vom Schicksal des Bauherrn selbst, den die Wucht seiner Verbrechen früh in den Abgrund hinabzog.

Alberti beim Bau von San Francesko.

König bist du, groß und stark,
Und ich selber muß dir bauen,
Doch in deinem tiefsten Mark
Wohnt das Elend und das Grauen.

Schöner Wissenschaften Licht,
Und der Kunst erhabne Blüte,
Mildern wohl, doch brechen nicht
Dein entsetzliches Gemüte.

Seit das Schicksal dir entriß,
Dran allein dein Herz noch glaubte,
Wehe, ganze Finsternis
Wird es nun in deinem Haupte.

Riesenhaft ein Ruhmesmal
Soll ich stellen auf die Erde,
Daß von deiner Lust und Qual
Ewig hier gesprochen werde.

Heute soll schon fertig sein,
Was dir gestern kam zu Sinne,
Um des Marmors wirfst du ein
Deiner Väter Turm und Zinne.

Tempelheiligtümer hehr
Lässest du in Stücke schlagen,
Greifst wie wütend übers Meer
Nach Ravennas Sarkophagen.

Klang es nicht wie Klagechor
In den alten Tempelsteinen,
Stob nicht wilder Dunst empor
Aus den Märtyrergebeinen!

Wie der Fels, der einmal fällt,
Immer rascher stürzt hinunter.
Nach dem Urgesetz der Welt
Gehst du bald mit Schrecken unter.

V.

Ravenna.

Obstbaumgärten gehen rings um die Stadt, deren Mauern noch aufrecht stehen, oft dicht überwuchert von Epheu und hängenden Gestrüppen. Sie liegt weit und eben und wirkt durch die Menge ihrer Kirchen und Türme. Vor dem westlichen Thor, an der Straße rechts, wenn man von der Landseite herkommt, erhebt sich im Gemüsegarten eines biederen Weingärtners, aus dem stehenden Wasser einer sumpfigen Vertiefung das Grabdenkmal Theodorichs des Großen, des alten Dietrichs von Bern. Es ist ein schöner und großer zweistockiger Rundbau, nach Art der Griechen mörtellos aus ganz fein gefügten Marmorquadern errichtet, und bedeckt von einer flachen Kuppel, die aus einem 34 Fuß im Durchmesser haltenden, 940,000 Pfund schweren Granitblocke besteht. Eine stille, verkommene Stätte, aber der Geist jener urversunkenen Zeit schwebt machtvoll, wie mit Adlerflügeln, darüber. Das untere Geschoß des Rundbaues ist ausgehöhlt zu niederem, kreuzförmigem und gewölbtem Gruftraum, in dem einst der Porphyrsarkophag des großen Königs ruhte, und worin jetzt das Wasser einige Fuß hoch steht. Der obere Stock bildet innen eine ansehnliche Rundkapelle mit einem Altar, und wird gedeckt von dem unten flachausgeschafften riesigen Stein. Am Aeußern sind einfach schöne Gesimse und Verzierungen, letztere merkwürdigerweise ähnlich jenen erz- und goldgetriebenen Zierden, die man in altdeutschen Gräbern damaliger Zeit findet. Um das obere Stockwerk ging früher eine leichte Säulengalerie. Die Verhältnisse des Gebäudes sind sein und klar; man denkt bei seinem Anblick zugleich an den graziösen hellenischen Grabtempelbau und an die wild-altnordische Art der Hünen, über das Grab des Helden einen ungeheuren Steinblock zu legen. So steht es, eine ganz gewaltige Aschenkiste, und erregt das Gefühl, als drücke die furchtbare Last von oben her den Bau tiefer und tiefer hinein, so daß aus dem gepreßten Boden Wasser leis sprudelnd aufdringen muß, – und daß er vielleicht einst ganz versinken werde.

In der Stadt, die weit gebaut ist mit öden Straßen und niedrigen Häusern, steht noch die Schauseite des Theodorichpalastes, ein Backsteinbau mit Nischen und Marmorsäulen; unten ist jetzt der Porphyrsarg des Königs eingemauert. Aber nicht bloß der Palast erhielt sich, die ganze sonst unscheinbare Stadt wird gehoben durch eine lange Reihe großartiger und prachtvoller Kirchen, erbaut von den letzten römischen Kaisern, dann von den Ostgoten, von Theodorich †,; 526, seiner hochgebildeten Tochter Amalasuntha, und von den andern jener Heldenkönige, – und endlich von ihren Ueberwindern, den byzantinischen Griechen, noch weiter ausgeziert. Da stehen noch weit überkuppelte Taufhäuser (Baptisterien), jenes der Nrianei, d. h. der Goten, und dieses der Orthodoxen, das letztere (begonnen schon vor 396), mit großem Taufteich in der Mitte und an den Wänden noch in pompejanischer Weise verziert mit farbigen Stuccaturen, – das letzte antike Beispiel einer Technik, die schon in den Königsburgen von Ninive prangte. In allen andern Kirchen schimmern Mosaiken, am prachtvollsten wohl in dem schon 440 erbauten Grabgewölbe der Galla Placidia, der Tochter Theodosius des Großen und der Mutter Valentinians III. Es hat die Form eines lateinischen Kreuzes und enthält verschiedene Sarkophage von Verwandten der Kaiserin. Der Altar ist zusammengesetzt aus dünnen Alabasterplatten und darauf berechnet, innen durch brennende Kerzen erleuchtet zu werden, die feuerrot hindurchschimmern und den fensterlosen gedrückten Raum geheimnisvoll mit gedämpfter Glut überhauchen, genug Licht für seine kostbaren, aus lauter Goldpasten und Halbedelsteinen zusammengereihten Mosaiken, mit denen Wände und tonnengewölbte Decken überzogen sind. Wie von gestern, schauen hier die strengen Heiligenbilder aus den herrlichen Blumenranken, darauf bunte Vögel fröhlich sich wiegen. In besonderer Kapelle steht der große Marmorsarg mit der Asche der Galla Placidia; in ihm sah man früher die Kaiserin auf dem Throne sitzend, bis im Jahre 1577 ihr Gewand Feuer fing.

Dann steht in Ravenna einer der wundersamsten aller Gottestempel, eine Form, die der Einbildungskraft der Völker stets die höchste und erhabenste war, von welcher ein Schattenbild, der heilige Graltempel, wie ein Wolkengebäu über dem geistigen Horizonte des Mittelalters stand, – ein solcher Centralbau erhebt sich in Ravenna, San Vitale, begonnen von den Goten, vollendet von den Griechen, ein großes, von einer Kuppel überspanntes Achteck, ringsum mit weitem Umgang und hohen von Säulen gestützten Kuppelnischen, welche zur Hauptkuppel sich herausneigen; alles mit Mosaiken. In der Chorkapelle sieht man gegenüber dem Kaiser Justinian dargestellt seine Gemahlin Theodora mit ihren Edeldamen, alle in ausgesuchtester Toilette, hochschlanke liebliche Mädchen mit ihren morgenländisch märchenhaften halbzugesenkten Onyxaugen und den feinen griechischen Nasen; am schönsten die junge Kaiserin selbst, auf dem Haupte den zarten weithinleuchtenden Kronschmuck. Seit anderthalb tausend Jahren von der rollenden Erde verschwunden, meist als Opfer von Haremslaunen und schrecklicher Palastgreuel, stehen sie noch hier in ihrer Jugendschöne, lächelnd und friedevoll.

Die großartigsten Mosaiken treffen wir über den Säulenarkaden des Hochschiffes der herrlichen Basilika S. Apollinare nuovo. Auf der einen Seite ziehen die Aeltesten, auf der andern die Jungfrauen der Stadt, in weißen Festkleidern hin, eine Gestalt hinter der andern; so wallen sie zu beiden Seiten dem Altarraum der Basilika zu, eine Massenwirkung der Malerei zusammen mit der Baukunst, deren Stärke durch keine andere Anordnung erreicht wird. Wie das Auge an den Säulen und von Bogen zu Bogen hinabschweift in den langen tiefen Basilikenraum – und darüber kommen geschritten jene Züge, langsam feierlich, eine klar geordnete, hohe, sinnvolle Menge, alle gleichen Alters, gleicher Kleidung, gleicher Gebärde, und gleichen auf das Heiligste gerichteten Gemütes – das höchste Zusammenwirken mit den großen weihevollen Formen des Bauwerkes; hier weht noch echt antiker Geist.

Eine schwache Stunde östlich vor der Stadt, nahe dem niedrigen Bord des adriatischen Meeres, am Saum des berühmten, schon von Dante gefeierten Pinienwaldes, der viele Meilen weit auf sumpfigem Grund am Meere sich hindehnt – urwaldartig, mit prachtvollen Bäumen, oft nicht zu durchdringen vor wildem Geranke und breiten stachligen Sumpfgewächsen, ein Aufenthalt großer Schlangen und zahlreicher Seeadler; – am Saum dieses Pinienwaldes steht ganz vereinödet die große Basilika San Apollinare in Classe, aufgerichtet 534–549. Hier blühte einst die Hafenstadt Ravennas, Classis, nun ist das Meer so weit zurückgetreten, daß man seinen dunkelblauen Spiegel nur noch vom obersten Geschosse des hohen, frei neben der Kirche stehenden Rundturmes gewahren kann. Die ganze Stadt ist spurlos vergangen, nur die Basilika blieb und zwar fast unberührt. Ihre prächtigen Säulen haben Schäfte je aus einem Stück bläulich schimmernden lichtgeaderten Marmors; die Kapitale aber sind von weißem Stein und umlegt mit außerordentlich viel- und feingezacktem Akanthus. Das Aeußere hat schlichten Ziegelbau mit Wandstreifen und Rundbögen. – Entzückt schweift von hier aus der Blick südwärts über das weite Ackerland bis an die fernen feingeschnittenen Apenninenketten; auf einem ihrer jähen Felsberge thront die unvergängliche Republik San Marino. Die Gegend erinnert sehr an die römische Campagna; dieselben zauberhaften Felsgebirge in der Ferne, die goldenen Stirnen von schimmernden Nebeln umraucht, mit heftiger Sehnsucht das Herz erfüllend, hinaufzusteigen in jene Gefilde, wo, nie berührt von den Wogen der Welt, ein einsames friedliches gutes Volk seit Urzeiten auf den rosmarinduftenden Heiden seine Herden weidet, und wo der Geist des weiterstrebenden Menschen schon im Kindesalter eine großartige Ruhe und Weite in sich aufnimmt, schauend über alle die Berghäupter hin bis an das mächtig-hoch heraufsteigende heilige Meer, aus dem die Wolken des Himmels rastlos sich heben und über dessen sanften Spiegel die weißen Segelschiffe wie Schwäne hin und wieder gleiten. Und über allem her wölbt sich der schöne tiefe, fast ewig heitere Himmel, die reine dünne stahlblaue Luft, aus der alle tranken und beengenden Dünste hinabgesunken sind in die schroffen, weit unten liegenden Felsthäler. Auf einer dieser herrlichsten Höhen, in der Bergstadt Urbino, ist Rafael geboren.

VI.

Vicenza

Reichtum und edler Sinn und der schaffende Geist eines der größten Architekten der Welt vereinigten sich hier, um eme Stadt der Paläste zu bauen, wie Italien keine zweite besitzt. Palladio hieß der Mann, der seiner Vaterstadt Vicenza zu solchem Ruhme verhalf; am Schlusse der Renaissance trat er auf, nachdem er die Erfahrungen dieser Zeit zusammengenommen und daneben so tief als je Einer zuvor in die Herrlichkeit der antiken Baukunst eingedrungen war, und er riß seine Mitbürger für seine großen Entwürfe mit sich fort. In der That der vicentinische Adel baute sich arm an diesen Palästen, die nun fast öde stehen und uns schwermütig anblicken, weil ihre Stockwerkshöhen und Säulen, ihre Hallen und Treppen lauter Verhältnisse von Königsschlössern haben. Wodurch aber Palladio seine Mitbürger zu solcher Höhe der Denkart mit sich hinaufriß, das war sein Jugendwert, die mitten in der Stadt stehende Basilika – d. h. das alte, in einem großen Rechteck sich hindehnende Rathaus, dessen vier von Spitzbogenfenstern durchbrochene Wände Palladio rings umgab mit Bogenhallen, unten mit Säulen dorischer, oben mit solchen jonischer Ordnung, und zwar that er in noch nie gesehener Weise Säulen und Bögen zusammen. Er stellte nämlich nicht, wie man gewöhnt war, von Säule zu Säule Bogen an Bogen, noch legte er nach Art der Alten wagrechtes Steingebälk über sie hin, – er vereinigte beides und setzte Rundbögen und gerades Gebälk abwechselnd auf die Knäufe der Säulen. Die stete Wiederholung dieses so reichen als ernsten Gedankens, dazu die Ausführung in lauter Quaderstücken rauhen Kornes und endlich das Dach, welches einem umgekehrten Schiffe nicht unähnlich das ganze riesige Rechteck überdeckt, giebt eine Wirkung, die selbst für den von Rom und Florenz Kommenden ganz außerordentlich ist, und so richtete damals ein solches Beispiel die Gemüter alle auf das Reingroße, oft mit Hintansetzung der Bequemlichkeits-, ja sogar der Zweckmäßigkeits-Bedingungen; so durften Palladio und seine Nachfolger Palast an Palast in Vicenza hart nebeneinander stellen. Ja und bis heute, nach dreihundert Jahren, wirkt der Segen fort, so daß selbst an den neuesten Bauten der Stadt nichts Elendes und Kleinliches aufkommt,

VII.

Venedig

Den größten Eindruck von Venedig bekommt man, wenn man vom Festlande, von Mestre aus, herüberfährt auf der mehr als eine Stunde langen Eisenbahnbrücke. Schon ist das eigentliche feste Land verschwunden, unzählige Arme fließenden blaulichen Wassers durchfurchen, wie Adern, die weite, nur um einen Fuß höhere sandige Fläche, die ganz überfilzt ist mit zartem rotblühendem Heidekraut; zuweilen erhebt sich noch zaghaft eine Föhre oder ein zitternder Tamariskenbusch oder Wasservögel rauschen auf, – eine wundersam wirkende Einsamkeit – und wo sie sich ausrandet und das grünblaue Meer beginnt, taucht auch schon in der Ferne die Stadt empor, lang, lang hingestreckt, ein leuchtendes Gewirr von Kuppeln, Säulen, Zinnen, Dächern und hohen zugespitzten Türmen, ganz fremdartig, noch halb ins Wasser vertieft, – sie scheint zu schwimmen, zu regen sich, man glaubt, es sei ein Traumgebilde, das nun schnell wieder vergeh' in die gläserne Tiefe, woraus es entstieg, – so golden ist alles und neu und umweht von schimmernder Meerluft.

Hier auf diesem Marmorpflaster Vor 1866 geschrieben.
Diese echten deutschen Knaster,
Ihre Weiber wie sie krähen
Und die Krinolinen blähen,
Ganz zu hinterst noch ein alter
Schuldentilgungsfonds-Verwalter,
Kindervoll mit Gouvernante
Und die weißen Lieutenante,
Polizeikopf in der Loge,
Draus herabgeherrscht der Doge,
Höchsten Ruhms zerrissne Runen
In den stinkenden Lagunen,
Eine große Totenfeier,
Und so fort die alte Leier. –

Man hat kaum eine Ahnung von der mondscheinbeglänzten märchenhaften Gemütlichkeit der alten marmornen Riesenseespinne, – damit möchte ich Venedig vergleichen; – ihr Magen ist der einzige Markusplatz, ihre Arme sind lange herrlichste Palastreihen, weit ins blaue Meer sich hinauskrümmend, an jedem Faden hangen Perltropfen, schimmernde Inseln mit weißen Marmortirchenkuppeln, Wohl dem, der in ihr Zaubernetz gegangen.

Abschied

Leb' wohl, du Stadt, die einst entstieg dem Meer,
Mit Türmen und Palästen stolz und hehr;
Derweil sie uns entzückt im Mondenschein,
Fällt von den Marmorzinnen Stein um Stein;
Leb' wohl, leb' wohl,
Venetia, dein Grund ist alt und hohl!

Die Riva degli Schiavoni dehnt
Sich immer noch und Schiff an Schiffen lehnt,
Doch schlecht sind alle und von Männern leer.
Und drüber liegt die Luft gewitterschwer;
Stark ist die Zeit,
Venetia, bald wirst auch du befreit!

VIII.

Semmering

Noch fern von Deutschlands Herzen,
Fühlt' ich schon seine Schmerzen,
Mich wieder arm, ernüchtert
Und mächtig eingeschüchtert.
Doch oben auf dem Semmering
War meine Freude nicht gering.

Dort saßen sonder Aerger
Dreihundert Württemberger,
Bedient von besten Dienern,
Den liebenswürd'gen Wienern,
Im Knopfloch trugen sie ein Band
Und riefen hoch dem Vaterland.

Es waren weinbenetzte,
Gutmütig untersetzte,
Thatkräftige Gestalten,
Die lange Reden halten;
Ein jeder schwang ein großes Glas
Und oben saß Herr Dr. Fraas.

Bei Messer und bei Gabel
Wird alles reformabel,
Bei Gabel und bei Messer
Geht's mit der Einheit besser;
Preßwurst, Salami, Cervela:
Erhebe dich, Germania!

Das war der berühmte Schwabenzug; da saßen sie alle im Bahnhof von Mürzzuschlag. So haben wir noch nie gelacht, wie damals, da saßen sie alle, die guten alten Bekannten, als erstes Zeichen aus der Heimat, mit ihren glitzernden Aeuglein und blinkenden Weinzähnen und hielten uns die Becher vor. – Der Empfang der dreihundert Schwaben in Wien gehört zum Wunderbarsten, Rätselhaftesten, das je die Blätter der Geschichte durchrauschte. Ein solcher Massenjubel wegen eines Häufleins harmloser Pilger. Nach Jahrhunderten noch wird man an der Donau die Stelle zeigen, wo die Schwaben landeten; ganz Wien war auf den Beinen. Die Freude war die höchste, war transcendental, zu deutsch unerklärbar. Einem Schwaben ähnlich zu sein, genügte, Aufläufe herbeizuführen; Handkoffer und Nachtsäcke, die im Verdachte standen, einem Schwaben zu gehören, riefen endloses Hochrufen hervor. Wer ganze Bahnhof war bengalisch beleuchtet beim Abschied, und da standen sie nun in dem grellen Licht unter den Wagenfenstern, wie sterblich Verliebte, mit rotgeweinten Augen, der Sprache kaum mehr mächtig, und wehten mit den weißen Taschentüchern.

IX.

München

Mit den Gefühlen der Heimatliche betrete ich wieder die Stadt, wo ich Jahre meines kostspieligen Daseins veratmete, dichtend, lernend und schauend, und wohin mich noch heute teure Bande der Freundschaft lieblich fesseln. – Ach, mir wird, ich sehe mich selbst, wie ich vor Zeiten dahinwandelte, von Theke zu Theke, von Kirche zu Kirche, von Straße zu Straße, wo die langen Prachtbauten stehen. Ich als ein Sohn der Stuttgarter Weinberge, – halbwild und aus einer Gegend, wo keine Kunstschätze waren, als der Schiller auf dem Schillersplatz, blickte dazumal an die großen Meisterwerke hinauf, wie ein frischgeworfenes Kätzchen gegen die Sonne. Ein dichter Schleier lag über meiner Sehkraft und ich erfaßte jene Kunstwerke noch mehr mit dem Gehör als mit dem Gesichte, überschaudert von heiligem Kunstfriesel, wenn ich unter den Bildern die Namen las, Rafael, Rubens, Rembrandt. Meine Seele saß damals noch fußtief im Weltschmerz, meine Augen waren des Nachts mit Thränen erfüllt und meine Lieder glichen jenen krankhaften Kellerpflanzen, die ohne Luft und Sonnenschein nur weiche, blasse, überschmächtige, blüt- und fruchtlose Stengel sehnsüchtig emportreiben. Und mit solchen Gewächsen trat ich einmal, an der Hand eines Freundes, vor das Tribunal jener hiesigen Dichter und Richter, die da thronen über den Wolken in ewiger Klarheit, in olympischer Ruhe, ein jeder auf der so und so vielten Auflage seiner höchsteigenen Werke,

Mir unvergeßlich, als ich mit stumpfer aschgrauer klagender Stimme das innerste Mark meiner Seele vortrug, meine schönsten Gedichte, wie ich damals mir dachte; ein Augenblick, nur noch dem zu vergleichen an Gewicht und furchtbarer Ernsthaftigkeit, wenn einst das Mark unserer Seele gewogen wird am Tag des Gerichtes. Denn gleich wie der wirkliche Abstand zwischen einer sündigen Menschenseele und dem allmächtigen Gott, so war hier der scheinbare zwischen mir und den Dichterrichtern. Ich bebte in mir, aber sie waren mild, lauschten freundlich und sprachen wenig darüber, namentlich die ganz großen Dichter schwiegen ganz und ließen sich dazwischen hindurch einiges »Geselchtes« (geräuchertes Schweinefleisch) geben.

Im Hofbräuhaus

In dem Hofbräuhaus zu München
Sitzt ein Fremder bierversunken,
Wieder hat der bleiche Pilgrim
Maß- an Maßkrug ausgetrunken.

Wie in einem Bienenkorbe
Ein Gesumme und Gezische,
Saure Haxen, Rettichschwänze
Ueberwuchern alle Tische.

Und mit stillem Seufzen spricht er:
Lange bin ich schon in München,
Mit dem nationalen Lethe
Meine Qualen zu betünchen.

Und es ist mir auch gelungen,
Spricht er seltsam lächelnd weiter,
Wie die Münchner selber ward ich.
Rettichfromm, bockbiersteif-heiter.

Und es ist von meinem Herzen
Alle schwüle Last genommen,
Und zu Einem großen Biersee
Mir die ganze Welt verschwommen.

Aber statt daß aus den Fluten
Nun ein neues Leben sprieße.
Seh' ich ringsum nur die Köpfe
Abgestumpfter Münchner Spieße.

Statt daß drinnen schlanke Nixen
Wiegten ihre weißen Leiber,
Quetschen mich die Riesenkörbe
Vorsündflut'ger Rettichweiber.

O mich faßt ein jähes Heimweh,
Lieber alles Leid der Erden,
Lieber Thrän' auf Thräne, als auf
Diese Weise selig werden.

Und er stößt mit beiden Händen
An den Maßkrug, daß er schier bricht,
Und die Münchner Spieße rufen:
Schmeißt ihn naus, ihm schmeckt das Bier nicht!

In der Heimat

Anemone, erste Blume,
O wie blühtest du so schön
Einst am Pinienheiligtume
Auf Pamfilis Wiesenhöhn.

Unten liegt die Stadt der Städte,
Rom, von goldnem Licht beglänzt.
Und der wundervollen Kette
Der Gebirge mild umkränzt.

Daß es Frühling, Frühling werde,
Singt der Nachtigallen Lied,
Rings aus der besonnten Erde
Warmer Lebensodem zieht.

Mit verstärktem Wellenschlage
Rauscht es aus der Felsen Brust,
Nie vergaß ich diese Tage
Reinster Auferstehungslust.

Da mir alle meine Kräfte
Wieder wurden durchgeglüht,
Lichte leichte neue Säfte
Mir erfüllten das Geblüt.

Und nun grüßt die Blume wieder
Mich im deutschen Eichenhain,
Und die alten Heimat-Lieder
Singen mir die Vögelein.

Von des tiefsten Dankes Zähren
Ueberströmt mein Angesicht:
Draußen durftest du dich klären
In dem goldnen Sonnenlicht,

Zogst in raschem Wandertriebe
Durch die Welt mit frischem Mut,
Und nun hier in heil'ger Liebe
Dir das Herz an Herzen ruht.

Wie lockest du mich immer wieder,
Italia, gelobtes Land,
Wo ich der Seele Sehnsuchtslieder
In höchster Form verkörpert fand.

Oft ist es mir, es sei gewesen
Ein Traum, ein wunderbarer nur,
Und dennoch bin ich dort genesen
In meiner innersten Natur.

Ja seitdem daß ich dich betreten,
Ist meine Seele zweifellos,
Ist all mein Leben nur ein Beten
Zu dem, was ewig schön und groß.


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