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X. Der neue Merlin.

Ein Lied aus dem nächsten Jahrhundert.

1888.

Den Heldenmännern, die aus Schmach und Nöten
Mein Volk beireiten, weih' ich dieses Buch, –
Die es vollbracht, nach hundertjährigem Fluch
Die deutsche Treue wieder neu zu löten.

Unselig Volk, warum dich selbst zu töten,
Machst du doch immer wieder den Versuch,
Und immer wieder aus dem Leichentuch
Hebst du das Haupt zu neuen Morgenröten?

Unselig Volk, so klein und doch so groß,
Von allen doch das herrlichste auf Erden,
Der Menschheit Zukunft ruht in deinem Schoß,

Laß meine Hoffnung nicht zu Schanden werden –
Auch dieses Lied, voll Schatten und voll Licht,
Zeigt dir dein geistig Doppelangesicht.

Im Walde.

Nicht zurück in alte Zeit
Führ' ich euch, nein kühn vorauswärts,
Mit der Dichtkunst Seherauge
Schauend in das Künftige
Meines Volks, – und nicht aus Ruhmsucht,
Nur aus eigner Angst und Liebe
Spann ich's aus dem Hirn in Fäden,
Die wie Sommerfäden glänzen
Silbern über leerem Blachfeld,
In dem letzten Sonnenschein,
Eh' der wilde Sturm die letzte
Thau-benetzte Rose knickt. –
Silberfäden sind es, weithin
Fliegend über Berg und Thale,
Greisenhaft.

Ins Grab gesunken
Ist das laufende Jahrhundert,
Und schon über fünfzig Jahre
Sind vergangen, seit der große
Bismarck Deutschland wieder hob
In den Sattel, daß es reite, – –
Und es ritt, dem Teufel grauste
Oft darüber.

Doch im Walde,
In dem hohen Buchenwalde,
Wo die Hütte steht Merlins,
Singen noch die Vögelein,
Wie am Tag der Schlacht von Sedan.

Das ist nicht Merlin, der Alte,
Der im Zaubermädchenschoße
Ewige Tage, eingelullt
Von krystallner Flötenstimme,
Wonneselig zugebracht.
Anders ist der Held geartet,
Der vor seiner Blockbauhütte,
Unterm wilden Apfelbaume
Auf der rauhgeschafften Steinbank
Ruhig sitzt im Abendlicht,
Das die riesenhohen Wipfel
Ganz durchflutet. Wohl auch silbern
Fließt ihm bis zur Brust das Barthaar,
Und die stählern-grauen Augen
Haben einen stieren Ausdruck,
Wie von einem, der verschollen,
Menschenalterlang verschollen
Aus dem Weltlauf.

Ganz in Wolle,
In die rauhhärigste Wolle,
Ist sein Leib gehüllt, einfarbig,
Wie das Dach des Winterhimmels,
Endlos schmerzlich grau – kein Fleckchen,
So von Leder oder Leinwand.

Um ihn her zu seinen Füßen
Hüpfen frohe Waldesvögel,
Längst vertraut; mit klugen Augen
Sehn sie aufwärts nach dem Manne,
Der so viele treue Jahre
Hier allein mit ihnen haushielt,
Der in seinem ganzen Wesen
Unergründlich eine Liebe
Längst gefaßt zur Kreatur.

Auf dem Kopfe trägt der Alte
Einen Breithut, ohne Futter,
Göttlich grob, die Greisenhaare
Stehlen durch die sieben Löcher,
So der Zahn der Zeit hineinfraß,
Lang hindurch sich; selbst die Schuhe
Sind von Wolle, breit viereckig,
Daß der große Zeh mit Wonne
Sich darin bewegen kann,
Und nicht schnöde, wie beim Volk
Der Gebildeten, verkümmert.

»Heute jährt sich's,« spricht der Alte
Endlich, und ein seltsam Lächeln
Ueberfliegt sein sturmgehärtet
Angesichte: »Heute jährt sich's,
Heute sind es dreißig Jahre,
Daß in diese Waldeshallen
Ich gezogen und die Eichen-
Stämme zu der Blockbauhütte
Selbst gefällt und selbst behauen.
Dreißig Jahre! Eine ganze
Welt ist heimgegangen seither
In das Grab. – Urheilige Stille
Bändigt mit erhabnem Schauer
Meine Seele. – Aber heute
Ueberkommt ein übermenschlich
Heimweh mein Gemüt: ich wittre
In der Luft ein unermeßlich
Elend über meinem Volke,
Das ich längst verließ.

Unfaßbar,
Unerklärbar, aber desto
Sichrer, eben weil's der Dinge
Letzter Urgrund, ist ein solches
Ahnendes Gefühl, das Leib und
Seele aus den Elementen
Einzusaugen scheinen. – Giebt nicht

Auch der sternbesäte dunkle
Riesenäther, wenn er nächtens
Ueber unsrem Haupte hinrollt,
Eine Wittrung: Balsam weht er
Um die Stirn uns, läßt Gedanken
Auf Gedanken ins Unendlich-
Götterhafte in der Brust uns
Selig keimen. – Und des Erdreichs
Graue Scholle, die mir alle
Meine Lieben längst hinabschlang,
Giebt doch einen unbeschreiblich
Schweren Angstduft – und die armen
Völker, die auf dieser armen
Kugel im verruchten Kampf ums
Dasein sich zerfleischen – geben
Sie nicht auch im Kriegslärm oder
Freiheitstaumel oder in der
Sklavischen Zerknirschung geisthauch-
Artig ihre bange Seele
In die Luft – und wie ein Peststrom
Oder ein erlösend Wetter,
Weht und wogt es in die Massen
Und bewegt sie; unwillkürlich
Wächst im einzelnen das Große,
Das im Luftraum, als sein eignes
Denken weiter und im Rausche
Schafft das Volk.« –

Tief sinnend hält er,
Seufzend inne: »Böse Zeiten,«
Spricht er weiter, »sind im Anzug,
Offenbar nach Pech und Schwefel
Riecht es wieder. O mein armes
Deutschland, Deutschland, keine Ruhe,
Keinen Frieden, keine Kraft,
Keine Stetigkeit.

Ich kann nicht
Sterben deinethalb. Der Tod ist
Längst mein Freund geworden, doch der
Jammer hält mich. Noch einmal
Muß ich wandern, eh' ich sterbe,
Durch das Land,« – Im tiefen Dunkel
Sitzt er lang noch, leise träumend
Von dem Thal der fernen Heimat.

Der Auszug.

An seinem Pilgerstabe strebt Merlin
Der Heimat zu in schnurgerader Richtung,
Nicht schattet mehr der Hochwald über ihn,
Er tritt hinaus in eine Tannenlichtung –

Und dann ins Feld, doch unermeßlich stumm
Empfängt es ihn mit moorigen Bezirken,
Wacholderbüsche stehn zerstreut herum
Bei Sumpfgestrüpp und schlanken Heidebirken.

Versauert ist der Boden, keine Hand
Des Menschen scheint darüber mehr zu wachen,
Was nicht zur Felsenöde ausgebrannt,
Hat sich vertorft in schmutzig braune Lachen.

Nur Dorn und Distel trägt der Acker jetzt
Und hohes, taubverwildertes Getreide, –
Das ist der Bürgerkrieg – und hier durchsetzt
Ein niedrer Damm in straffem Zug die Heide.

Gras wächst auf ihm, – hier zog die Eisenbahn
Und ließ landauf, landab die Pfeife gellen,
Nun sind die Eisenschienen weggethan,
Es frißt der Schwamm die faulen Eichenschwellen.

Das ist der Krieg! – Dem fernen Himmelsrand
Entsteigen plötzlich Rauch- und Feuersäulen,
Merlin hält spähend übers Aug' die Hand,
Ihm ist, er höre Menschenstimmen heulen –

Tiefjammervoll, und eh' er sich's versieht,
Wird er umringt von flüchtigen Bauernscharen,
Die im gestreckten Trabe durch das Ried
Auf ihren schweren Leiterwägen fahren –

Mit Weib und Kind, darüber kunterbunt
Turmhoch des Hausrats schwankendes Gerümpel,
Hallo, Hallo, fort über Schlucht und Schlund,
Und durch der Heide schilfumwogte Tümpel!

Zuvörderst rennt ein langer dürrer Mann,
Ein alter Schäfer, schlägt mit seinem Stecken
Wahnsinnig um sich, schreit, so laut er kann,
Und reißt die Augen auf im Todesschrecken:

»Hallo, Hallo, in allen Städten steht
Der Pöbel auf und rottet sich zusammen,
Und wo ein Dampfrad oder Mühlrad geht,
Loht auch das Haus in hellen Feuerflammen.

»Wo eingepfercht in hölzerner Fabrik
Das Kindervolk gesponnen an der Spule,
Entfachen sie des Feuers Tigerblick,
Befreien sich aus ihrem Höllenpfuhle.

»Hallo, Hallo, vom Wald herunter weht
Der Sturmwind in die Millionen Spindeln,
Hallo, Hallo, wie sich der Dachstuhl bläht,
Bedeckt das ganze Thal mit glühenden Schindeln.«

So schreit er auf. Versteinert steht Merlin,
Hört Wort für Wort mit namenlosem Leide; –
Sie sind hinweg; – schon wird es Nacht um ihn,
Mit letzten Kräften eilt er durch die Heide.

Und sieh, die Felsenstaffeln stürmt herauf
Ein wilder Troß, mit blutigroten Fahnen,
In blauen Blusen, Freiheitsmützen auf,
Und blut'ge Köpfe auf den Partisanen.

Halbtot – ziehn Weiber hinter sich am Strick
Gefangne fort, – das waren reiche Leute –
Und einer Trommel gräßliche Musik
Dröhnt in den wütenden Gesang der Meute:

»Gieb her dein Geld, das du mit tausend Mühen
Uns armen Sklavenseelen abgepreßt,
Siehst du im Brande die Paläste sprühen?
Wir feiern heut das große Bruderfest!

»Gleich, alles gleich! was Testament und Erben!
Schließt endlich eure Wucherkästen auf!
Wer nicht mit uns ist, der muß sterben, sterben.
Das gegenzeichnet unsres Schwertes Knauf.

»Wo sind die Gelder, sind die Milliarden,
Die unser Volk in schwerem Schweiß geholt,
Das sich gestürzt in Feindes Hellebarden,
Sich das Gehirn im Pulverdampf verkohlt.«

So brüllen sie, und wie ein Traumbild jagt
Der Zug dahin im Ungewissen Scheine
Des Vollmondlichtes; nur der Nachtwind klagt
Unheimlich wieder um die Felsensteine.

»Weh,« ruft Merlin, »weh, über meinem Staub
Muß wieder neu die alte Zwietracht rasen,
Und muß mein armes Volk, wie dürres Laub,
Haltlos und schlecht in alle Winde blasen.

»In Asche fällt, was ein Jahrhundert lang
Gewerb' und Kunst in üpp'gen Lagerstätten
Trüb aufgehäuft, und aus dem Untergang
Wird nur der Wolf mit seiner Brut sich retten,«

Sein Atem stockt, vor namenlosem Schmerz
Fühlt er die Bande seiner Brust zerbrechen, –
Dann aber geht ein Blitz ihm durch das Herz
Und in Verzückung fährt er fort zu sprechen:

»Doch über all den grausigen Ruin
Seh' ich ein Haupt bis an die Sterne ragen,
Fernher von Sonnenaufgang wird Er ziehn,
In Kreuzes-Form ein Schwert in Händen tragen.

»Auf weißem Roß, im Feuerflammenhauch
Fährt Er daher, Ihm ist die Welt zu enge,
Und hinter Ihm im Wetterwolkenrauch
Lawinenhaft des deutschen Volkes Menge.

»Und fürchterlich mit Seines Schwertes Schlag
Er alle Feinde meines Volks vernichtet,
Bringt nach jahrhundertlanger Nacht den Tag,
Der meines Volkes tiefstes Herz durchlichtet.

»Der unser Herzblut fraß, der alte Wurm,
Krümmt unter Seinen Streichen sich im Staube,
Und über Schutt und Blut und Schlachtensturm
Blüht unserm deutschen Volk ein neuer Glaube,

»O Frühlingszeit. – Mit meinen Augen nicht
Darf ich den Herrlichen im Leben schauen,
Doch einem Gott gleich wandelt Er im Licht,
Und in die Grabnacht steig' ich ohne Grauen.«

In der Heimat.

Apfelbäume, arme, kranke,
Angesaugt von fetter Mistel,
Stehen schief am Weg, wie flehend
Vorgereckt die dürren Aeste
Nach dem alten Mann, der mühsam,
In Erinnerungsgedanken,
Sich dahinschleppt, bis er endlich
Rechts in einen Seitenpfad biegt,
Breit und wiesig; Glockenblumen
Wachsen drauf und hohes Dörnicht,
Draus die aufgestörten Vögel

Schreiend schwirren. Ganz am Wegend'
Ragt ein Lindenbaum, das dichte
Kronwerk auf die Mauer legend,
Welche langhin, halbzerfallen,
Im Geleucht der Abendsonne
Vor den tiefgefurchten grünen
Waldschluchtbergen funkelnd ansteigt.
Ist es doch die Friedhofmauer
Seiner Vaterstadt, weit offen
Liegt der Thorweg, längst verlassen
Ist der Garten, als ein Urwald
Wirrt sich sinnlos durcheinander
Wein und Epheu bis zum Wipfel
Sturmzerfressener Cypressen,
Eschen, Eichen, Pappeln, rankt sich
Rücksichtslos um Obelisken,
Rundturmart'ge Säulen, oder
Engelknaben, die verloren
In der golddurchstrahlten Wüste
Und verstümmelt stehen. Oftmals
Mit dem langen Pilgerstab
Tastet er die Brombeerketten
Aus dem Weg sich.

Aber wo die
Thränenweide, ganz umschlungen
Von der Rose Schwesterarmen,
Tief herabhängt, hält er inne,
Setzt sich nieder auf die Moosbank,
Denn hier stehen, schon verwittert,
Und verwuchert von dem Baumwuchs,
Stehn die Male seiner Lieben,
Marmorkreuze, doch der Marmor
Ist verkalkt, und abgewaschen
Sind die Schriften. – Seine Eltern
Ruhen hier und seine Liebste,
Die nach langem Kampf und Sehnen
Sein geworden und die Schwere
Von der Seele ihm hinwegnahm,
Daß ein lichter Maientag
Ihm das Leben. Auf der Moosbank,
Tief gesenkt das alte Antlitz,
Sitzt er, in der Thränenweide
Schlägt die Drossel ihre letzten
Liebeslieder, und die weißen
Abendnebel kommen schon
Aus dem Waldthal. Seines Lebens
Heilig irr verschlungne Pfade
Denkt er wieder bis zum Anfang:
Bild auf Bilder, sonnengoldig,
Rosenduftig, geistumsprüht,
Wehn vorüber – wie ein Liedstrom
Klingt und klagt es.

Seine Hände
Zittern und sein Pilgerstab
Fällt zu Boden. – »Ausgestoßen,«
Spricht er endlich, »aus der Menschheit,
Sitz' ich hier. Uralte Tage,
Wo ich glücklich, über alles
Glücklich war, sie rauschen wieder
Dunkel aufwärts samt dem Rätsel
Meines Daseins; werd' ich wieder
Euch begegnen, der ich leide.
Mehr als menschlich leide, leide,
Mit der ganzen ungeheuren
Dreißigjährigen Verödung,
Die ich trug, und die das Herz mir
In der wunderbaren Wildnis
Gott genähert, wenn ich also
Reden darf, daß ein unendlich
Hoffen und Verstehen meine
Seele nach des Todes Thoren,
Wie nach einem unerklärlich
Süßen Wohnort, schauernd hinzieht.«

Gefunden.

Der Alte schleppt sich lendenlahm
An eine Trödelbude,
Da sitzt bei seinem Bücherkram
Ein armer Trödeljude.

Da stehen sie in Corduan
Und Saffian gebunden,
Die einst in ihrem Dichterwahn
Mit Lorbeer sich umwunden.

Da stehen sie im Winkel dort
Vergessen und verschollen,
Und haben einst mit ihrem Wort
Die Welt erobern wollen.

Der Schrei der Not, der Schrei nach Brot,
Ist jetzt das Lied der Menge,
Der Schrei nach Brot, der Schrei der Not,
Statt lyrischer Gesänge.

Da plötzlich fährt ein süßer Schreck
Dem Alten in die Glieder,
Er starrt bestürzt auf einen Fleck,
Sieht seine eignen Lieder.

Er deutet auf den Tisch sodann:
»Was soll das Büchlein gelten?«
»Zwei Mark,« versetzt der Trödelmann,
»Das Buch ist ziemlich selten.«

»Wer schrieb es denn?« – »Man weiß nicht mehr,
Der Mann ist längst begraben,
Sein Kopf war etwas überquer,
Was öfter bei den Schwaben.

»Im tiefsten Wald verborgen sei
Er ganz zuletzt gewesen,
Aus Zorn, weil seine Dichterei
Von niemand noch gelesen,«

Der Alte lächelt vor sich hin.
Zahlt die verlangte Summe,
Schlägt auf das Buch und liest darin
Mit fröhlichem Gebrumme.

Und fröhlich brummend geht er fort
Zum nächsten Ausruhsteine
Mit seinem Buch, und setzt sich dort
Im Abendsonnenscheine.

Jungheinrich.

Also liest Merlin. Da drängt sich
Neben ihn ein braungelockter
Knabenkopf: »Laß mir das Büchlein,
Lieber Mann, schon lang vergebens
Fahnd' ich drauf; es sollen echte
Lieder drin sein, wie sie unsre
Dichter nicht mehr schreiben.« – Staunend,
Staunend sieht Merlin, der alte,
Auf den Knaben, der errötend
Vor ihm steht mit schlanken Gliedern,
Wonnevoll, im edlen Antlitz
Jene schwärmerische, süße,
Sanft von Schwermut überhauchte,
Heilige Schönheit, die das Heimweh
Nach dem reinen längst verlornen
Paradiese in der Brust uns
Schmerzlich aufreißt.

Wie verzaubert,
Faßt Merlin mit seiner rechten
Hand des Knaben linke schmale,
Hält sie zitternd fest, und langsam-
Feierlich beginnt er: »Gerne
Schenk' ich dir das Liederbuch,
Wenn du mich sofort aus dieser
Stillen Stadt zum Wald hinaufführst,
Wo die alten Föhren, rauschend
Ob der Sandsteinfelsenkante,
Von uralt verschollnen Tagen
Uns erzählen.« – »Laß uns eilen,«
Sagt der Knabe. – Wie ein Junger,
Springt der Alte auf. Sie wandeln
Schweigend fort. Verwundert schauen
Rings die Menschen an dem Steinweg,
Der zum Föhrenwald emporführt,
Auf die beiden. Immer noch
Schweigt der Alte, und dem Jüngling
Wird es fast unheimlich, sieht er
Auf den Wollanzug, den Breithut,
Auf die Schuhe, und den Bart auch,
Der wie Silber bis zum Gürtel
Tief herabflockt. – »Ist ein Schwindler
Dieser Alte, der vornehmer
Leute Söhne, mit Geheimwerk
Schnöd beluchsend, in den Wald lockt?« –
Aber wie die Brillenschlange
Augenfunkelnd ihre Opfer
Starren macht, so sieht der Alte
Auf den Knaben: »Sonderbar
Schein' ich dir,« beginnt er fragend,
»Mehr als sonderbar, doch mehr als
Sonderbar ist auch das ganze
Weltgebäu, mein bester Junge,
Denk', ich lebe schon so lang, so
Bitterlang; fast ein Jahrhundert
Rauschte über meinen Scheitel.
Aus dem vorigen, das siehst du,
Ist die Tracht noch. Große Tage
Sah sie, riesenhafte Tage,
Als im Heldenkraftzenith stand
Unser Volt. – O bleibe bei mir
Diese Stunde,« –

Und der Knabe,
Wie zu einem höhern Wesen,
Blickt er aufwärts, mit den blauen
Jugendaugen. Vor der Stadt schon
Gehen sie, elende Hütten
Sind zerstreut noch zwischen grünen
Aermlichen Gemüsegärten,
Halb verlass'nen. – »Meine Heimat,
O wie sankst du,« sagt der Alte,
»Wo jetzt giftbesamtes Unkraut,
Rote Disteln und des Schlehdorns
Wildunfruchtbares Gespenste,
Trug der Hügel einst Paläste,
Wunderstolze, und bewohnt einst
Von vieledlen, liebenswürd'gen,
Hochgastfreundlichen Bewohnern,
Und die süße Glut des Rheinweins,
Und der Tonkunst reichste Fülle,
Und der scherzberauschten Dichtkunst
Schier prophetenhafte Strahlen,
Schossen durch die marmorblanken,
Goldgetäfelt hohen Hallen,
Dran die schwülen Palmenhäuser,
Hold besprüht von nimmermüden
Silberbrunnen, zauberisch
Dufteten.« – »Das ist nun anders,«
Sagt der Jüngling, »wenig Reiche
Nährt die Stadt noch und die meisten
Sind semitischen Gepräges,
Sagen sie.«
Verstohlen lächelnd,
Spricht Merlin dagegen: »Siehe,
Siehe, wie so schön noch immer,
In das reinste Sonnenblau
Hingetaucht, die weichgeformten
Fernen Berge meiner Heimat
Sich verschränken; nicht gealtert
Ist die gute Mutter Erde,
Immer noch mit gleichem Liebreiz
Drängt sie nach dem ewigen Licht
Ihre Berge, ihre Bäume,
Nur der Mensch, das gottbegnadet-
Unglückseligste der Wesen,
Ist gealtert, seine Seele
Klebt am Staub und als ein Spottbild
Irrt der Edle.

Und die Zukunft,
Pech und Schwefel! Byzantinisch
Aufgebauscht und babylonisch,
Rennt die Menschheit, hirnlos, herzlos,
In das Leere. Kalter Nachtreif
Kam auf unsere Zeit, vernichtend
Auch die letzte Poesie.
Junger Freund, ich bin aus Zeiten,
Da noch keine Eisenbahnen;
Mit dem Ränzlein auf dem Rücken
Schweifte man von Berg zu Berge
Nach gebrochnen Ritterburgen,
Um zuletzt in rebenkühler
Weinschanklaube einzukehren;
Zeit der Liebe, Zeit der Lieder!
Nur bisweilen noch in fernen
Thälern singt am Quell die Hirtin
Jene Weisen, Geisterstimmen
Längst vergangener Geschlechter.
Zeit der Liebe, Zeit der Lieder,
Zeit der Jugend unsres Volkes!«
»Aber auch in diesem Buche,«
Spricht der Knabe, »sollen solche
Lieder sein, oft sprach davon
Mir mein Vater, und nun liegt er
Selbst im Grab schon; meine Mutter
Hab' ich nie gesehen.« – Zuckend
Mit den Augen senkt der Alte
Tief das Antlitz: »Und die Götter
Gaben dir dafür das höchste:
In dem Ebenmaß der Glieder
Eine reine makellose
Selige Seele, blühend-offen
Jedem Glutstrahl der Verheißung;
Möchten sie dir auch das andre
Höchste geben, frühen Tod!«
Murmelt er; dann zu dem Knaben
Sanft sich wendend: »Nun, so wisse,
Der das Buch geschrieben, lebt noch,
Selber schrieb ich's, in der Jugend
Thränenleid schrieb ich die Lieder,
Als die Maiensonne schien
In mein Herz. Wohl sechzig Jahre
Sind dahin.« – Aufstaunt der Knabe
In des Alten Augen, die da
Friedvoll leuchten. An der Schulter
Faßt der Greis ihn: »Meine Jugend
Kehrt zurück, o bleibe bei mir,
Bis ich sterbe, – Balde, balde
Wird ein ungeheures Schicksal
Diese Stadt zu unsern Füßen
Von dem Boden fegen. Glaube,
Glaube mir, ich bin gewandert
Ganz das Land durch, und ich schaue
Geierartig in den Abgrund,
Der, seit mehr als hundert Jahren
Langsam sich erweiternd, aufklafft
Und der ganzen längst vermorschten,
In dem tiefsten Kern verfaulten
Und verrotteten Gesellschaft
Jetzt den Garaus macht.« Erschrocken
Klammert sich der Knabe heftig
An den Alten an, – »O fürchte
Nichts, mein Liebling, unser Leben
Liegt weitab von jenem Greuel,
Den ich ahne. – Nicht zu schnödem
Gelderwerb und Güterschacher
Haben wir das Pfund des Himmels
Umgetrieben, haben keine
Schuld an jener frevelhaften
Goldanhäufung auf der einen,
Der Verarmung und Verrohung
Auf der andern Seite, haben
Keine Schuld am öden Sumpfhauch,
Der, die letzten Geistessäfte
Unsres Volks verstockend, grausig
Innere und äußere Lügen
Großgebrütet, – Darum wird auch
Er, so über Tod und Leben
Einsam richtet, ohne Den kein
Sperling von dem Dach und ohne
Den kein Haar von deinem Haupt fällt,
Durch Millionen aufgehobner
Schwerter heil uns führen. – Hörst du
Nicht die Amsel in der Föhren
Abendgoldumsäumten Wipfeln,
Siehst du nicht am fernen Himmel,
Wie der Abendstern die feine
Strahlenflut aus einer andern
Welt in unsre ruhelose
Niedersendet. – Dringe, dringe,
Durch den schweren Dunstkreis dieser
Erde in den unermeßlich
Sternenlicht-durchblitzten Weltraum,
Und dein angsterfülltes, armes,
Junges Menschenherz wird stille.«

Sturmnacht.

Sie schlafen schon in tiefer Ruh,
Grüntannenreisach deckt sie zu.

Und oben in den Wipfeln zieht
Des Walds uraltes Schlummerlied.

Das klingt so schaurig und so schön,
Und immer stärker wird der Föhn,

Und immer lauter braust das Meer
Der Wipfel um die beiden her:

Sie fahren auf, noch halb im Traum,
Und halten sich am Föhrenbaum.

Und sieh, und sieh, im tiefen Thal
Da flammen Feuer, Strahl um Strahl.

Es heulen von dem Münsterturm
Die Glocken wütend in den Sturm.

Kanonendonner, Böllerkrach,
Das Feuer stiegt von Dach zu Dach.

Die Glocken heulen fort und fort,
In allen Straßen Brand und Mord,

Triumphgeschrei und Sterbgestöhn,
Und immer lauter rast der Föhn.

Und immer hoher steigt der Glast,
Im Walde leuchtet jeder Ast.

Die Füchse rennen aus der Kluft,
Die Tauben steigen in die Luft.

Verstöbert um die Wipfel kreist
Die Schleiereule, wie ein Geist.

Das ganze Himmelsfirmament
In blutigroten Wolken brennt.

»Schau,« ruft Merlin, »zum alten Dom
Walzt sich hinab der Feuerstrom.

»Die Dächer flammen um und um,
Die Glockenhunde werden stumm.

»Geschmolzen fällt ihr glühes Erz
In breiten Klumpen niederwärts.

»Die Wölbung birst! – Allein, allein
Ragt riesenhaft im Flammenschein

»Der Krucifixus, siehst du nicht
Des Welterlösers Angesicht?

»Den Gottessohn, voll Menschenweh,
Wie damals in Gethsemane?«

So zu dem Knaben ruft Merlin;
Sie stürzen auf den Boden hin.

Sie stürzen hin, zum Tod betäubt,
Von Aschenflocken überstäubt.

Am Kirchhof.

Sie ziehen in der Oede fort,
Nun ist die Welt so stille,
Der Kuckuck ruft vom Walde dort,
Im Felde zirpt die Grille.

Sie ziehen fort, feldaus, feldein,
Die Pfade werden schmäler,
Sie ziehen in den Wald hinein,
In enge Felsenthäler.

Zaunkönig mit behendem Schwung
Schnellt über Bach und Kiesel,
O grüne Waldesdämmerung,
Einschläferndes Geriesel.

Sie treten in ein Wiesenthal
Heraus in Tageshelle,
Da schimmert noch im Sonnenstrahl
Die gotische Kapelle.

Hochaufgebaut mit Turm und Chor,
Umhegt von alter Mauer,
Und vor dem offnen Bogenthor,
Da sitzt in tiefer Trauer

Ein ländlich Kind, kaum sechzehn Jahr,
Mit Gold gestickt das Mieder,
Es hängt ihr schönes blondes Haar
In langen Zöpfen nieder.

Der Alte fragt: »Was weinest du,
Wer ist dir denn gestorben?« –
»Mein Bruder war's, doch keine Ruh'
Hat er im Grab erworben.

»Beim großen Brande in der Stadt
Ward er in Kopf geschossen,
Bis hierher bracht' er sich und hat
Die Augen zugeschlossen.

»Sie wollten auf dem Kirchhof hier
Ihn lutherisch begraben.
Das weigert der Kaplan, weil wir
Nicht seinen Glauben haben.

»Auch ließ er ihm nicht läuten mehr
Und ging im Zorn von hinnen;
Als ob ein Dieb mein Bruder wär',
Liegt er im Grabe drinnen.«

So klagt das Kind, – zum Tode bang
Beginnt ihr Herz zu pochen;
Schwarz ist vor ihr drei Schritte lang
Das Erdreich umgebrochen.

Merlin jedoch besinnt sich kaum.
Geht wieder nach dem Walde,
Mit einem jungen Lindenbaum
Kehrt er zurück alsbalde.

Rasch setzet er das Lindenreis
Dem toten Mann zu Häupten,
Daß Lindenblüten silberweiß
Aufs Grab herunter stäubten.

Wie nun das Grab im Schatten ruht,
Ist er zurückgetreten,
Nimmt sich vom Haupt den Pilgerhut
Zum Vaterunserbeten.

Es beten still die andern auch,
Die Hände fromm gefaltet,
Ein milder Gottesfriedenshauch
Durch ihre Seelen waltet.

»Schlaf',« spricht Merlin, »schlaf' ungeschreckt
Von allen Erdensorgen,
Bis dich zu neuem Leben weckt
Der Auferstehungsmorgen.

»Verloren geht kein Samenkorn
Im weiten Weltbezirke,
Gott sammelt es im Geistesborn,
Damit es ewig wirke.«

In der Waldschenke.

Siehst du, Kind, den heiligen Berg dort,
Leicht von Wolken überschauert,
Unersteiglich vom Gerüllwall
Aus der Heidenzeit ummauert.

»Oben auf der kahlen Breite
Laß uns eine Hütte bauen,
Fröhlich auf die Herrlichkeiten
Unsrer Heimat niederschauen.

»Wäldermeere, Felsenzinnen,
Rascher Ströme Silberbänder,
Die durch goldne Auen rinnen,
Bis an blau'ste Bergesränder.

»Wenn sich dort mit Wolkenschwere
Ueberdeckt der Winterhimmel,
Reitet vor dem wilden Heere
Wodan auf dem Geisterschimmel.

»Durch den Bergwald eine Gasse
Bricht er Götterhaß-durchwutet,
Weil im Thal das leichenblasse
Volk sich jammervoll verblutet.

»Geh', wir weiden deine Schafe,
Geh', wir werden deine Lämmer,
Leg' dich hin zum ewigen Schlafe,
Hin zum ewigen Seelendämmer!

»Schlafe, schlafe, bis am jüngsten
Tag des Totenrichters Sichel
Deine Knochen aus dem Grab reißt,
Schlafe, schlafe, deutscher Michel!«

So Merlin, mit wildem Hasse, –
Aber sanft und leise gehen
Abendlüfte, – an der Gasse
Sehn sie links ein Wirtshaus stehen.

In der Abendsonne glitzen
Seine blanken Fensterscheiben,
An dem Holzwerk, dem geschnitzten,
Rosen ihre Ranken treiben.

Und Merlin: »Hier laß uns rasten,
Hier muß Recht und Friede wohnen,
Wird uns reichlich für das Hasten
Dieser Wanderfahrt belohnen.«

Aber wie der Wind so schnelle.
Wie das Vöglein aus dem Bauer,
Fliegt ein Mädchen aus der Schwelle –
Jenes von der Kirchhofmauer:

»Seid viel tausendmal willkommen!«
Und sie führt sie in das Zimmer;
Von des Abends Gold durchglommen,
Leuchtet in verklärtem Schimmer

Das Getäfel und die schöne
Bunt bemalte Balkendecke;
Wirt und Wirtin und vier Söhne
Treten grüßend aus der Ecke.

Und der Wirt ergreift des Greisen
Hände, während seine wanken:
»Gott im Himmel muß ich preisen.
Der mich würdigt, dir zu danken.

»Bleibt bei uns, am runden Tische
Sitzen wir gemütlich nieder.«
Und der Alte: »Gern erfrische
Ich die müdgewordnen Glieder.«

Und er setzt sich mit Jungheinrich
Zu den beiden Ehehalten,
Zu der Söhne wetterharten,
Hochgewachsenen Gestalten;

Zu dem Mädchen, hold und minnig,
Das in erster Jugend pranget,
Dessen Auge still und innig
An dem fremden Knaben hanget.

»Margareta, mit den Broten
Bringe Wein vom allerbesten,«
Ruft der Wirt, »den dunkelroten
Klevnerwein aus Neckarwesten.«

Und sie kommt mit großem Kruge,
Füllet die krystallnen Becher, –
Feierlich in langem Zuge
Trinkt Merlin, der alte Zecher.

»Diesen Abschiedstrunk,« beginnt er,
»Bracht' ich eurem teuren Sohne,
Kaum entrückt dem Spiel der Kinder,
Fand er schon des Lebens Krone.

»Seine Seele ruht im Frieden,
Ledig aller Leidensbande –
Wäre solches auch beschieden
Unserm armen Vaterlande.

»Einmal muß das Weh sich mindern,
Der Gewittersturm versausen,
Bald mit Kind und Kindeskindern
Werdet ihr im Frieden hausen.«

»Ostwärts,« spricht der Wirt dagegen,
»Sagte heut der Dorfschulmeister,
Soll es sich gewaltig regen,
Ist ein Riesenkampf der Geister.

»Ist ein Glaubensheld erstanden,
Und zertrümmert alle Ketten,
Prediget von Land zu Landen,
Uns vom Teufel zu erretten.«

»Auf, ihr Faulen, die da schliefen,«
Ruft Merlin, – wie Sterngefunkel,
Stechen seine alten tiefen
Augen durch das Dämmerdunkel.

»Ich gedenke jener hohen
Tage, jener heiligen Streiter,
Freilich längst verging das Lohen
Dieser Siegesflammenscheiter.

»Selige Tage, die ich meine,
Als ich noch in jungen Jahren,
Anno Siebzig, nach dem Rheine,
Zum Franzosenkrieg gefahren.

»Eine, eine Glut entflammte
Von dem Felsen bis zum Meere
Unser Volk, und das gesamte,
Knecht und König, griff zur Wehre.

»Griff zur Wehre, endlich, endlich,
Nach jahrhundertlangem Drucke,
Trostlos schändlich, unabwendlich,
Vorwärts mit gewaltigem Rucke.

»Vorwärts! Mit der Rache Flügel
Und dem nie verjährten Hassen
Stürmen wir die Weinberghügel,
Wörths gemauerte Terrassen.

»Vorwärts! Roß und Mann verendet
Im Geträtsch der Kugelspritze,
Mit den eignen Händen wendet
Man die Speichen der Geschütze.

»Vorwärts! In den Staub geschossen
Rohre, Räder und Lafetten,
Aber vorwärts! Kurzentschlossen
Aufgelöst in Schützenketten.

»Schwenkt nur eure Katzenwedel,
Ungetaufte Muselmanen, –
Mit tief eingeschlagnem Schädel
Kollern sie zu ihren Fahnen! –

»Da verdunkelt sich der Himmel!
Erzgeschirmter Kürassiere
Wolkenähnliches Gewimmel –
Von dem Hufschlag ihrer Tiere

»Bebt der Erdenball. Wir rucken
Brust an Brust, Schnellfeuer gebend, –
Ein Gewimmer, ein Verzucken,
Nicht der zehnte Mann bleibt lebend.

»Aber sieh, auf stolzem Rosse
Dort der Sohn des Preußenkönigs,
Vom Gehagel der Geschosse
Unberührt, ein Schlachtenphönix.

»An dem hohen Heldenbilde
Aller Blicke glühend hängen. –
Unter seinem Heeresschilde
Wir von Sieg zu Siege drängen.

»Bis wir in die Heimat wieder
Voller Sehnsucht eingezogen,
Beim Gesang der Siegeslieder,
Unter grünen Ehrenbogen.

»Wilhelm mit dem Heldensohne,
Schön gebräunt vom Schlachtenqualme,
Ueber ihre Lorbeerkrone
Spielt das Laub der Friedenspalme.

»Selige Tage! Eure Spuren
Sind auf Erden längst verlodert,
Unter Larven und Lemuren
Unser Volk zusammenmodert!

»Trotz der heißersiegten Schlachten
Geht es wiederum zunichte.
Wenn nicht unsre Herzen trachten
Endlich nach dem ewigen Lichte.

»Unser Glaube muß sich klären,
Aus dem Urgrund alles Seines
Unser Volk sich neu gebären.
Alles andre Sein ist keines!«

»Lasse mich,« beginnt der Knabe,
»Gegen Sonnenaufgang dringen,
Wenn ich dort Gewißheit habe,
Will ich dir die Kunde bringen.

»Was in kühnen Reimgeflechten
Du mir oft verzückt gesprochen,
In geweihten Sternennächten,
Dieses Licht ist angebrochen.«

Göttlich aufgeregt erhebt sich
Hoch der Greis und legt die Hände
Segnend auf das Haupt des Jünglings:
»Als Apostel ich dich sende.

»Aber denke, Kind, bedenke,
Bis geschehen solche Thaten,
Muß bis an das Wehrgehenke
Unser Volk im Blute waten.

»Auch des Geistes Flammensäulen,
Auch des Friedens Mannathauen,
Wird auf Erden erst mit Keulen-
Schlägen aus dem Stoff gehauen.«

So der Greis. – Begeistert springen
Auf die Brüder in der Runde,
Lassen ihre Becher klingen,
Rufen wie aus einem Munde:

»Alle gehen mit zum Kampfe,
Kommt der Mann, den Gott verheißen,
Der wird im Kanonendampfe
Unser Volk zusammenschweißen!«

Des Alten Berglieder.

Laß uns zu Berge steigen
Noch einmal lusterfüllt,
Bevor in Todesschweigen
Der Schnee die Gegend hüllt.

Ich weiß dir einen Gipfel,
Unsagbar still und hehr,
Um den die Tannenwipfel
Hinwogen wie ein Meer.

Da sind verborgne Tiefen
Von moosigem Gestein,
Aus allen Ritzen triefen
Quellen, krystallenrein.

Von Völkern, längst zertreten,
Zeigt sich noch heilige Spur,
Wo sie versucht zu beten
Zur ewigen Natur.

Dort auf dem Opfersteine,
Im rauhen Sturmgetos,
Wird uns, mit Gott alleine,
Die Seele riesengroß.

Alte Städte sah ich liegen,
Schön umschirmt vom Mauerkranz,
Um zerfallne Thore schmiegen
Epheu sich mit feuchtem Glanz.

Alte Dome sah ich ragen,
Siebenfach getürmten Bau,
Wolken ihre Flügel schlagen
Drüber her in düstrem Grau.

Heil'ge Ströme hört' ich brausen
Durch das enge Felsgebiet,
Und die Buchenwälder sausen
Ein uraltes Heldenlied.

Meine Heimat sah ich wieder
In der Rebenberge Grün,
Von der Felsenkante nieder
Tausend goldne Blumen blühn.

Unter Trauerweiden rauschte
Mir der Bach den Wiegensang,
Daß ich wie verzaubert lauschte,
Viele, viele Jahre lang.

Aber als ich jäh erwachte,
War der Zauber jäh vorbei, –
Sonnenwende, – und ich dachte,
Daß ich alt geworden sei.

Meiner Jugend denk' ich wieder,
O, wie war es wundervoll.
Als der erste Hauch der Lieder
Ueber meine Seele quoll.

Als ich auf den Bergeswarten
Meiner Heimat träumend saß,
In dem wilden Blumengarten
Alles Erdenleid vergaß. –

Lange bin ich fortgeschritten, –
Härter war's, als ich geglaubt;
Ausgekämpft und ausgelitten,
Senkt sich still mein graues Haupt.

Nur die Sehnsucht, die den Knaben
Einst erfüllt mit Himmelslicht, –
Alles, alles ist begraben,
Nur die Sehnsucht ist es nicht.

Immer heftet sie sich wieder
In mein Herz voll süßer Qual,
Wie der Klang der Jugendlieder
Aus dem fernen Heimatthal.

An meines Heimat-Baches Borden
Hinlegt' ich gern das müde Haupt,
Sein Haar ist greis und schlaff geworden,
Der Glanz der Jugend ihm geraubt.

Was kleb' ich noch an dieser Scholle
In mühsam-ödem Pilgerlauf,
Schon rollt sich das geheimnisvolle
Gebiet der Geisterwelt mir auf.

O kommt, ihr Lieben, die ich habe,
Verlaßt mich nicht in solcher Zeit,
Nehmt mir die Hand vom Wanderstabe,
Noch ist das Ziel entsetzlich weit.

O sprecht mir Worte, singt mir Lieder,
Kredenzt mir einen Becher Wein,
Und lullt das Himmelsheimweh wieder
In meiner Seele Tiefen ein.

Aus der Sündennacht des Bösen,
Aus der irdischen Natur
Bangem Fluche kann erlösen
Uns die reine Schönheit nur.

In dem Anblick ganz versunken,
Und uns selber kaum bewußt,
Spüren wir den Götterfunken
Jauchzend in der eignen Brust.

In dem Ebenmaß der Glieder
Finden wir die heilige Zahl
Als das Weltgeheimnis wieder,
Und vergessen Angst und Qual.

Von unsterblich-lichten Wesen
Ueberschauert uns ein Traum,
Giebt ein grenzenlos Genesen
In dem grenzenlosen Raum.

An meines Lebens letzter Grenze
Begrüßt mich deiner Augen Licht,
Daß durch die nahen Totenkränze
Ein Widerschein vom ewg'en Lenze
In Paradiesesströmen bricht.

Die blauen, heiligen, gefeiten,
Vom ersten Jugendhauch bewegt,
Sie scheinen mich hinauszuleiten
In jene unnennbaren Weiten,
Wo frei mein Geist die Flügel regt.

Betracht' ich dich, du schöner Knabe,
Bethränt sich still mein Angesicht,
Als müßtest du mit mir zu Grabe,
Damit ich einen Führer habe
Hinüber in das ewige Licht.

In den Abgrund meiner Schmerzen
Fällt ein milder Hoffnungsstrahl,
Wie das Licht der Sternenkerzen
In den dunklen Himmelssaal.

Und mit grenzenloser Rührung,
Und mit seligem Dankgefühl,
Denk' ich an die heilige Führung
Durch das irre Weltgewühl.

Der ich, fern dem Erdenlohne,
Dennoch nicht verloren ging,
Und des Lebens höchste Krone
Still aus Gottes Hand empfing.

Letzte Blumen auf der Heide,
Augentrost und Enzian,
Letzte lichte Lebensfreude,
Denn schon fängt der Winter an.

Leichten Schwungs in kleinen Heeren
Ziehn die Finken nach dem Süd,
Naschend an den Purpurbeeren,
Wovon Baum an Baum erglüht.

Krächzend schwirren auf die Raben,
Rauh der Wind aus Norden tost,
Und es will der Schnee begraben
Enzian und Augentrost.

Die grauen Nebel drücken
Sich auf die Heide schwer,
Du wolltest Blumen pflücken
Und findest keine mehr, –
Die Wälder nur, die hehren,
Mit goldnem Blättersaum,
Davor mit roten Beeren
Der Ebereschenbaum.

Sobald des Schneees Hülle
Mit strengem Hunger droht,
Giebt dieser Baum in Fülle
Den armen Vögeln Brot;
Drum war in alten Tagen
Den Göttern er geweiht,
Das sind verklung'ne Sagen,
Das ist versunk'ne Zeit.

Ich aber blieb ein Heide,
Ein Kind der stillen Flur,
Und sang in Lust und Leide
Den alten Göttern nur;
Sie werden mich behüten,
Bis mir das Auge bricht,
Und decken dann mit Blüten
Des Toten Angesicht.

Ueber die herbstliche Heide jagen
Bleischwer lastende Wolken davon,
Sausende Winde die Flügel schlagen
Scharf um des Berghaupts felsigen Thron.

Goldene Lieder und Träume geschüttelt
Hat einst von blühenden Bäumen der Mai,
Aber jetzt über der Herbstheide rüttelt
Einsam der Habicht mit kläglichem Schrei.

Schauerlich hell von der Sonne beleuchtet,
Starren die Gräber der Hünen empor,
Wald auf dem Haupt, doch von unten befeuchtet
Trüb von der Heide verschwimmendem Moor.

Tot sind die Götter! Wer türmt einst den Rasen
Berghoch und still auf mein elend Gebein;
Tot sind die Götter! An Quellen und Straßen
Stehen die Kreuze, – Ich sterbe allein.

O weh meines Volkes, ich kenn' es nicht mehr,
Verbraucht und verblendet, blutrünstig und leer,
Vergangen die Kraft und der feurige Mut,
Der selbst auch im Schwächlichen Wunder noch thut.

Was das arme errungen und endlich besaß,
Ward dem Volk aus der syrischen Wüste zum Fraß,
Auf was es gebaut noch, an was es geglaubt,
Ward ihm von den falschen Propheten geraubt.

Von außen steigt Wetter an Wetter daher,
Ich schaue die Feinde, wie Sand an dem Meer,
Ich schaue die Waffen, den Haß und die Glut,
– Aber hütet euch vor der teutonischen Wut.

Wenn donnernd herfahren im Wolkengewirr
Die Götter der Heimat mit Roß und Geschirr,
Hoch über die Berge der schwäbischen Alb,
Zum Kampf mit dem Kreuz und dem goldenen Kalb.

Sie werden zerbrechen. Zu wild und zu groß
Ist unserer Götter verzweifelter Stoß;
Und auf Erden bleibt der Sieger im blutigen Feld
Das germanische Volk und erobert die Welt.

Nach dieses Herbstes wildem Toben
Strömt nun in lauer Lüfte Hauch
Der letzte Sonnenschein von oben
Und wärmt das Laub an Busch und Strauch.

Vergoldet glühn des Waldes Säume
Herunter in das stille Thal,
Es kommen mir die Frühlingsträume
Voll sel'ger Rührung noch einmal.

Nie Vöglein fangen an zu schlagen
Von Liebesglück und Maienlust,
Sanft quillt, wie in der Jugend Tagen,
Das eigne Lied mir aus der Brust.

So wird an meines Lebens Scheide,
Nach Jahren voller Kampf und Mühn,
Durchtränkt vom ew'gen Sehnsuchtsleide,
Mein Haupt im Gotteslichte glühn.

Da wird nach diesen tausend Schmerzen
Ein unnennbarer Friede mein,
Ein Glück, unfaßbar meinem Herzen,
Und alles wird vergessen sein.

Zum letztenmal erglühen
Die Wolken rosenrot,
Zum letztenmal erblühen
Die Blumen und verblühen,
Und sinken in den Tod.

Zum letztenmal erklingen
Wehmütig süßer Lust
Die Lieder und verklingen,
Die letzten Saiten springen
In meiner trüben Brust.

Auf heißes Jugendstreben
Folgt harte Winterszeit, –
Doch aus dem Erdenleben
Wird meine Seele schweben
Beflügelt und befreit.

Wiedersehen.

Oktobernacht. Es funkeln alle Sterne,
vor seiner Hütte sitzt der Alte noch;
Da plötzlich stürmt aus neblig dunkler Ferne
Jungheinerich herauf das Bergesjoch.

Schon ist er da, und tiefaufatmend nieder
Wirft er sich auf die Bank, zum Tode müd,
Umarmt Merlin, umarmt ihn wieder, wieder,
Von unnennbarer Seligkeit durchglüht.

»Das Riesenwerk,« ruft er mit freudigem Stolze,
»Der Freiheit und der Einheit ist vollbracht;
Des Reiches Baum grünt neu am alten Holze
Nach unerträglich uralt banger Nacht.

»Geliebter Vater, lasse dir erzählen
Beim Sternenhimmel, der voll Licht und Ruh:
Im fernen Osten jauchzen alle Seelen
Schon ihrem künftigen Erlöser zu.

»Wohl hundert Meilen bin ich fortgeschritten,
Der Hunger war mein Koch, der Wald mein Dach,
Ich habe viel, unsäglich viel gelitten,
Bis in mein Herz die Morgenröte brach.

»Das Volk steht auf! Gerad in jenen Landen
Wächst wunderbar des neuen Glaubens Glut,
Die schon jahrhundertlange in den Banden
Der Geistesdumpfheit jämmerlich geruht.

»Dem deutschen Kernvolk, das an Alpenriesen
Von Gletscherwassern brausend wird getränkt,
Hat Er zuerst den Weg ins Licht gewiesen,
Blitzartig rasch die Fesseln abgesprengt.

»Sein Angesicht; ich hab' Ihn selbst gesehen,
Er stand auf einem heiligen Berg, wie du,
Ein Sturmwind wurde Seines Wortes Wehen,
Kam auf mein Herz in Feuerflammen zu.

»Wacht auf, rief Er, zum letztenmale seien
Die Schwerter aus der Scheide losgezückt,
Es gilt dem Geist, die Geister zu befreien,
Damit das grause Schlachtenwerk uns glückt.

»Wacht auf, wacht auf! Einst an des Indus Borden
Hast du, o Volk, im Palmenhain geruht,
Bis dich hinauf zum blütenlosen Norden
Gedrängt die große Völkerwandrungsflut.

»Ein Heimweh blieb dir, ein Gefühl der Leere,
Ein Ahnen von verlorner Seligkeit,
Damit dich jetzt dein eigner Geist verkläre
Ins höchste Licht nach grenzenlosem Leid.

»Wacht auf, wacht auf! Es rühren sich die Gräber,
Erhellt von dieser Jubeltage Schein,
Ihr müsset euer eigener Erheber,
Und euer eigener Vollender sein.

»Doch glaubet nicht, daß ich am Kreuzstamm schmähe
Das hohe, wundervolle Gnadenbild,
Ich selber fühle seine Gottesnähe,
Aus der das Blut der ewigen Liebe quillt.

»Wacht auf, wacht auf! vergeßt das trübe Trauern,
Das knechtisch eure Seelen eingeschnürt,
Und werdet von den Offenbarungsschauern
Des ewigen Geist's glückselig aufgerührt.

»Mit ihm versöhnt im freigewordnen Herzen,
Vom Glauben an Unsterblichkeit durchloht,
Könnt ihr besiegen alle Lebensschmerzen,
Euch freudig stürzen in den Schlachtentod!«

»So rief der Held! – Aus Seinen Augen fahren
Sah furchtbar ich des ewigen Lebens Licht,
So rief der Held! – Und Seine Kriegerscharen,
Sie fielen betend auf ihr Angesicht.

»So weit ich kam, vom Felsen bis zum Meere
Stand Berg an Berg in Siegesflammenglut,
Er zieht heran mit ungeheurem Heere,
Verschlingt die Welt mit seinem Heldenmut.« –

So spricht der Jüngling, – mit erhab'ner Wonne
Der Greis an seinem Angesichte hängt,
Sein Geierblick wird eine Geistersonne,
Draus Blitz an Blitz sich wetterleuchtend drängt.

Dann spricht er leise, seine Hände beben
Vor Seligkeit: »Dem Gott im Himmel Dank,
Das Heil, das ewige, darf ich erleben,
Eh' mir die Rundung dieser Welt versank.

»Der Freude Glut darf ich hinübernehmen
In jenes unbekannte Geisterreich,
Gesühnt, gesühnt ist meines Lebens Grämen,
Die reine Seele blüht den Sternen gleich.

»Gesühnt, gesühnt hat sich das Riesenelend
Des deutschen Volks, die Tiefe seines Falls,
Nun steht es da, beseeligt und beseelend,
Vorkämpferin des ganzen Erdenballs.« –

»Ja,« ruft der Knabe, »auch im fernen Süden
Hebt sich das Volk ins helle Gotteslicht,
Auch über jene Glanz- und Schönheitsmüden
Das Morgenrot des neuen Geistes bricht.«

»O dieses Land der Eichen und Cypressen,«
Stimmt voll Begeisterung Merlin mit ein:
»Da sind wir auf dem Felsenberg gesessen,
Am Steintisch trinkend honigsüßen Wein.

»Zu unsern Füßen lagen beide Meere,
Die Marmorküste glänzte wie Krystall,
Und hinter uns stieg in des Himmels Hehre
Des nackten Felsgebirgs Gigantenwall!

»Stadt meiner Sehnsucht, himmlisches Firenze,
Mit Brunellesko's kuppelstolzem Dom,
Ihr Glockentürme und ihr Mauerkränze
Am brücken-schönen gelben Arnostrom.

»Es fiel von meiner Brust die Eiseshülle,
Des deutschen Bundes rostiger Kettenstaub,
Ich trat hervor in edler Geisterfülle,
Die Stirn umkränzt mit Dante's Lorbeerlaub.

»Mir brachen auf des Lebens tiefste Quellen,
Für ewig wurde meine Seele groß,
Sah ich anbetend in den Grabkapellen
Die Götterbilder Michelangelo's. –

»Im Riesenschatten seines Riesengeistes,
Wie lange hat auch dieses Volk gebraucht,
Dem unsern gleich, ein macht- und lichtverwaistes,
Von Pfaffenlist in Nacht und Blut getaucht.

»Die beiden Völker in Europas Mitten
Begehen ihren Auferstehungstag,
Die heilig-großen, welche mehr gelitten,
Als was ein Volk zu leiden sonst vermag.« –

»Geliebter Vater,« spricht der Knabe weiter,
Und seine Wange glüht in rosigem Brand,
»Wenn in das Land kommt jener Gottesstreiter,
Dann drückst auch du ein Schwert mir in die Hand.

»Dann will ich auch mit meinen schwachen Kräften
Mithelfen bei dem großen Siegesritt,
An seines Rosses Bug will ich mich heften,
Sein Flammenhauch reißt mich im Sturme mit.«

»Es sei, es sei,« beginnt der Alte wieder,
Ein kalter Strahl durchbohrt sein ödes Herz,
»Es sei, es sei,« und kämpft gewaltsam nieder
In tiefster Brust der Todesahnung Schmerz.

»Es sei, es sei, aus einem Hünengrabe
Erhob ich jüngst ein goldnes Hünenschwert,
Das drück' ich in die Hand dir, holder Knabe,
Ein König trug es, du bist seiner wert!«

Da plötzlich kommt ein fürchterliches Rasen,
Ein Wolkenmeer; es löscht der Sterne Licht:
»Das ist das Mutesheer, das sind die Asen,
Verbirg in Grabesnacht dein Angesicht!«

In ihre Mäntel sie die Häupter hüllen,
Umklammern sich im jähen Todesschreck,
Und fürchterlich mit fürchterlichem Brüllen
Geht über sie das Mutesheer hinweg.

Die Schlacht.

Traurig, bis zum Tode traurig.
Sitzt der Alte auf dem Felsriff,
Unter sich die ungeheure
Landschaft, bis zu fernsten Bergen
Aufgeschlossen, und bedeckt schon
Von unzähligem Gewimmel
Kampfeswut-durchraster Menschen.

Die zwei riesenhaften Heere
Wälzen sich, zwei schwarze schwere
Wolkenballen, daraus tausend,
Abertausend Blitze zucken,
Gen einander, stumm und furchtbar.
Noch erklingt nicht das Gebrülle
Der Geschütze auf dem Blachfeld,
Wo die Würfel fallen müssen
Auf Jahrhunderte hinein.

Seine Seele weilt wo anders,
Weilt beim Liebling, der im ersten
Thau des Morgens von ihm fortging
In die Schlacht; im Riesenkampfe
Der Germanen mitzukämpfen,
Mitzubluten, mitzusterben
Für die längst von Gott verheißne,
Gottdurchblitzte Geistesfreiheit
Seines Volkes, nach den tausend
Hungerjahren in der Wüste. –

Traurig, bis zum Tode traurig,
Sitzt der Alte auf dem Felsriff:
»Nimmer werd' ich dich erschauen,
Meines höchsten Greisenalters
Letzte Blume, Grau in Grau
Wird mein Ende. Aber niemals
Hätt' ich dich zurückgehalten.
Heute müssen Greis und Knabe,
Alle kämpfen, rasen, siegen,
O ich selber kämpfe, kämpfe,

Leide mehr als tausend, tausend,
Die den glühen Feuerschlünden
Heut entgegendürfen. Ewig
Dank dem Himmel, daß auch ich noch
Mitzulieben, mitzuleiden.
Trostlos lebe. Meines ganzen
Volkes riesenhaften Kampf und
Angst und Sehnen mitentscheide,
Und ich siege. Nicht vergebens

Hab' ich diese Nacht unsäglich.
Alle Qualen frühern Lebens
Wiederholend, durchgelitten
Um den Liebling, den man tot mir,
Mit durchschoss'ner Brust mir bringen
Wird, – Das ist das Ende.

Ja der
Ewigkeit Sirenensänge
Dringen schon herein; wie Geister-
Flügel rauscht es seltsamlich und
Hinter mir verschollen, zwecklos,
Ausgelöscht in Lust und Leide,
Liegt das Leben. Unermeßlich,
Graun-unendlich gähnt des Todes
Abgrund vor mir, gähnt des ewigen
Lebens keinem Menschengeiste
Je gelöstes Rätsel, strandlos,
Wie dem Vogel, der das feste
Felsenriff verlassend, übers
Grenzenlose Meer dahinfliegt.
Furchtbar! Aber ein allmächtig
Gläubiges Vertrauen sitzt im
Kernpunkt meines Wesens; stille,
Still und fromm leg' ich die Hände
In den Schoß. – Nun walte, walte,
Ewige Liebe, ewiger Geist,
Ueber mir und diesem edel-
Stolzen Knaben. – Dessen Seele
Wird auch nicht verwehn im grausen
Allgewühl und wird vielleicht noch
Nach Aeonen süß-unkenntlich
Mir begegnen. – Walte, walte,
Gwige Liebe, ewiger Geist.«

Also sinnt der Greis. Da rüttelt
Ihn der Donner der Geschütze,
Der, die Ebene durchrollend,
An den Berg schlägt, auf, – entsetzlich
Brüllend. Ineinander hängen
Sich die beiden Riesenheere,
Unabsehbar. – Vorgebeugt
Blickt der Alte, stieren Auges,
In das Schauspiel. Ihm zur Rechten,
Auf dem seichtgewellten Vorland
Hält das Heer der Freunde, mutvoll
Stehen sie dem Andrang. Aber
Von der linken Seite kommen
Alle Feinde unsres Volkes!
Endlos aus der Ferne sieht er
Sie sich vorwärts drängen. – »Wehe!«
Ruft der Greis, »die Zahl der Feinde
Wächst noch immer; Fahnen seh' ich,
Feindesfahnen, Trikoloren,
Blutigrote, rabenschwarze,
Mit einander flattern, eine
Grause Mischung!« – Toller immer
Rast die Schlacht. Der Pulvernebel
Ueberwölkt das ganze Blachfeld,
Wie ein Tuch, draus fahren Blitze,
Kocht der Atem der Geschütze,
Erderschütternd, wogenbrandend,
Wie die Sturmflut, daß die Lerchen
Aus der Luft heruntersinken
Zu dem Alten auf das Felsriff
Und mit scheuen Augen bei ihm
Hilfe suchen. Grauenhafte
Angst der Seele perlt auf seinem
Angesicht; ihm scheint des Feindes
Anprall Boden zu gewinnen.
Unaufhörlich rollt es, grollt es
Aus dreitausend Feuerschlünden,
Daß die fernen Riesenberge

Aufzuschwanken scheinen. Krampfhaft
Folgt er mit dem Pilgerstab
Jeder Regung. Immer neue
Scharen walzen sich und Igel-
Artig muß das Heer der Deutschen
Sich zusammenziehn und wieder,
In der äußersten Verzweiflung,
Auf sich spannen und die Stacheln
In die Feinde treiben. – Nutzlos,
Jede Kraft verbraucht sich – grausig,
Grausig, und der Alte, an dem
Stabe reckt er zähneklappernd
Hoch empor sich und verschlingt
Das Getümmel mit den Augen.
Da erleichtert sich der Pulver-
Dampf urplötzlich. Eine Gasse,
Eine weite Sonnengasse,
Reißt der Sturm, von Osten kommend,
In den Greuel, läßt erblitzen
Millionen hochgezückter
Todeswaffen, wirft die schwarzen
Abgrundnebel auf die Feinde.
Und die Deutschen, wie die wilden
Tiere stürzen vorwärts auf die
Abendlichen Streiter. Rauschend
Klingen Siegsdrommeten, klingen
Schlachtenhörner, mit gefälltem
Bayonette stürzen alle
Löwenartig, ohne einen
Schuß zu thun. – Auf Leichenhügel,
Leichenwälle, Leichenberge,
Geht es rasend. Ein entsetzlich
Schlachtlied reißt sie, überheulend
Selbst den Donner der Kanonen,
In die Feinde, und die beiden
Flügel weit entfaltend und des
Feindes Schlachtenreih' umklammernd,
Geht es vorwärts; in die Lücke
Brechen hunderttausend Reiter,
Harnisch unter weißen Mänteln,
Wie die Geister der Erschlagnen,
Der seit tausend Jahr Unschuldig-
Hingesunknen Rachegeister,
Sturmbeflügelt, und inmitten,
Riesenhaft des deutschen Reiches
Heldenbanner mit den beiden
Händen haltend, hoch im Goldhelm,
Auf dem weißen Roß sich bäumend,
Sprengt der Führer.

Uebermenschlich
Angestrengt das Licht der Augen,
Glaubt Merlin, sein Götterantlitz
Zu erkennen. Jäher Sieges-
Taumel faßt ihn, mit der Rechten
Seinen Pilgerstab aufhebend.
Wirft er ihn, gleich einem Wurfspieß,
Nach dem Völterschlachtenknäul. – Da
Surrt herauf vom Feld verloren
Eine Kugel auf die Stirn ihm,
Und im Tode stürzt der Alte
Rücklings nieder auf das Felsriff.

Am Ende.

Vier Grenadiere, stark und jung,
Vom Schlachtgefilde schreiten,
Da mit der Morgendämmerung
Noch Nacht und Nebel streiten.

Die Brüder sind's der Margaret:
Auf ihren Schultern tragen
Sie angestrengt und still und stet
Weit offen einen Schragen:

Drin liegt das junge Heldenbild;
Sie haben ihn gefunden
Im leichenstarrenden Gefild,
Bedeckt mit Todeswunden.

Sie tragen zu dem Berge hin
Die Leiche dieses Knaben,
Hinauf zu seinem Freund Merlin,
Er möge ihn begraben.

Er möge ihn auf Bergeshöhn
Zur ewigen Ruh bestatten,
Die Blumen blühen dort so schön
Auf sonnenhellen Matten. –

Tiefunten jagen durch das Feld
Beschwingte Reiterscharen,
Lobsingen laut dem Herrn der Welt
Beim Klange der Fanfaren:

»Der Völkerkampf hat ausgeloht,
Die Herzen sind entsündet,
Ihr Leben in das Morgenrot
Der ewigen Liebe mündet.«

So geht das Lied und allgemach
Verweht es in den Winden,
Sie sehen schon das Hüttendach
Im Schatten zweier Linden.

Sie spähen ängstlich her und hin
Rings auf der Bergesscheide,
Sie rufen laut: Merlin, Merlin!
Grabstille bleibt die Heide.

Und wie sie mit dem Sarg sodann
Das Felsenhaupt erstiegen.
Sehn sie den ururalten Mann
Gestreckt im Tode liegen:

In seinem härenen Gewand
Wie mit der wettergrauen
Und wetterharten Felsenwand
Aus einem Stück gehauen.

Der jüngste von den Trägern ruft:
Er darf nicht in die Erde,
Sein Wunsch war, daß in freier Luft
Er eingeäschert werde.«

Sie setzen auf den Boden hin
Die rauhe Totenbahre;
Ein Friedensengel schläft darin,
Im braunen Lockenhaare.

Sie gehen nach dem Walde fort
Und holen Tannenscheiter,
Wacholderbüsche, längst verdorrt,
Auch grüne Alpenkräuter.

Sie schichten hoch den Scheiterhauf
Und betten Leich' an Leiche,
Sie werfen Eschenzweige drauf
Und wilde Rosensträuche.

Der Frühling und der Winter ruht
Beisammen, eng verschwistert,
Sie fachen an die Feuersglut,
Es flattert und es knistert.

Ein schweres Rauchgewölke stürmt
In düster roter Farbe, –
Und aus dem Rauchgewölke türmt
Sich eine Feuergarbe.

Den Mannen scheint ein Traum zu sein
Das Wert, das sie begonnen,
Sie starren in die Glut hinein,
Von Thränen überronnen.

Die Flamme singt so sonderbar, –
Und wie sie aufwärts schauen,
Sehn sie ein Adlerbrüderpaar
Verschwinden hoch im Blauen.


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