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Nach Lyon

Ich war aus dem Gefängnis entlassen worden und kam zur Kompagnie zurück, als eine Besichtigung durch einen Divisionsgeneral kurz bevorstand. Da gab es heillose Vorbereitungen. Der Besichtigende war bekannt als ein großer Nörgler. So wurde die eigentliche militärische Ausbildung einige Tage in den Hintergrund gedrängt und nur für die Besichtigung gearbeitet.

Das war kein schönes Gefühl, und diese Tage gaben meiner Geduld gegen den Dienst den Rest. Jede Laune und Schwäche des Generals wurde vorher bedacht und besprachen und die Vorbereitungen dagegen getroffen. Schließlich wurde sogar die ganze äußere Form des »Besichtigungsprogramms« eingeübt, so daß jede Spur von wirklicher Frische und von Geist verschwand. Man hörte abfällige Äußerungen genug, wie: »Da sprechen die Franzosen nun von preußischem Militarismus, und man kann sicher sein, daß es einen französischen jedenfalls gibt.«

Besonders lächerlich war, daß ein Vorgesetzter sich zum Schauspieler machte, um die Soldaten an das Auftreten des Generals zu gewöhnen.

Endlich kam der Tag der Besichtigung. Volle sechs Wochen hatten sich die Korporale und Feldwebel bemüht, kriegerischen Geist und soldatische Form in die Rekruten hineinzubringen, wobei nicht genug gesprochen werden konnte von dem gerechten Kampf, den die » grande nation«, vereint mit allen gerecht denkenden Völkern, gegen das bösartige Deutschland führte. Aber wie kläglich war der Erfolg nach der Meinung des Besichtigenden.

In langen Reihen standen die Legionäre auf dem Platz vor den Marabouts aufgebaut, als der General mit seinem goldgestickten Käppi und mit einem Zwicker auf der Nase durch das Tor des Klosters hervorkam.

Welch eine unfreundliche Erscheinung! » Bonjour soldats«, rief er mit bellender Stimme. Dann schritt er die Front ab. Er fand alles schlecht. Er spielte den Gereizten und Scharfen, und wenn er Antworten bekam, die ihm nicht ganz gefielen, den Beleidigten. Dabei wollte er offenbar nicht, daß ihm die Antworten gefielen. Alle Fehler, die man dem einfachen Soldaten austreibt, hatte dieser hohe Vorgesetzte. Welch eine Summe von Selbstbeherrschung verkörperte gegen ihn ein einfacher Rekrut!

Der General spielte auch den Dummen, den Trottel, den Verkalkten und dann wieder den Rechthaberischen, den Besserwisser und, wenn einer ihn auf einen Irrtum aufmerksam machte, den Unnahbaren, indem er sagte: » Je n'ai rien demandé!« »Ich habe nichts gefragt.«

Sein Adjutant begleitete ihn mit einer Schiefertafel und einem Stift und schrieb wichtig auf, wenn ein Mann eine falsche Wendung machte oder nachklappte. » Le nom du chef d'escouade?« (Wer ist der Korporalschaftsführer?) keifte der General.

»Die werden nachher alle – gehängt«, flüsterte mein Nachbar mir zu, und ich konnte mir das Lachen nicht verbeißen. Endlich kam die Besprechung, und jetzt sah man erst, welch elende Gestalt dieser General war. Eine Theaterfigur erschien er mir, als er wie zum Orakelspruch den Mund öffnete. Er sprach zuerst eine Viertelstunde von der Form der Leibbinde und daß ihm die Art, wie die angelegt worden sei, nicht gefallen habe. Dann verwirrte er sich in die unmöglichsten Behauptungen, indem er andere Kleinigkeiten erwähnte und wichtige Schlüsse daraus ziehen wollte.

Die altgedienten Korporale der Legion lachten. »Welch ein Rindvieh!« flüsterten sie. »Der weiß wohl nicht, was er will?«

»Ein verkommener Hund ist er,« zischte Lefèvre neben mir, »der will unsere Arbeit schlecht machen, der mit seinem verlogenen und eigennützigen Patriotismus, der elende Bettler, mit seinem hohen Gehalt.«

Als weggetreten war und endlich der Ruf » à la soupe« ertönte, schalt Lefèvre noch immer und sagte, die ganze Besichtigung sei gut gewesen, nur der General, »der vertrocknete Hammel ohne Gehirn«, hätte vor Dummheit versagt, und ein sehr gebildeter Tscheche, der Schriftleiter einer großen Zeitschrift gewesen war, gab ihm recht, indem er sagte: Weise und kluge Menschen polterten, keiften und tadelten nicht; es sei immer ein Beweis großer Einfalt und Beschränktheit, wenn jemand mit dem Maß der Vollkommenheit messe, während diese ganze Welt doch eben die Welt der Unvollkommenheit sei. Die Strafe sei ja auch nicht ausgeblieben, und noch nie habe er eine verunglücktere Gestalt gesehen als diesen französischen General.

Und dann sagte er, der längst eine hohe Meinung von Deutschland hatte, daß solch ein Kerl in Deutschland gewiß nicht geduldet werden würde.

Als das Signal kam » extinction des feux«, hörte man noch immer Lachen über die Jammergestalt eines Vorgesetzten, der sich nicht beherrschen könne und es an Dummheit mit jedem Hammel aufnehme. »Und an Stolz mit jedem Maultier«, rief ein Kastilier dazwischen, der seine Tiere nicht vergessen konnte. Wenn der General geahnt hätte, wie offen über ihn gesprochen wurde!

Ich wurde jetzt dem Bataillon C zugeteilt, das nach Lyon in Marsch gesetzt werden sollte. Dieses Bataillon bestand zum größten Teil aus Tschechen. Ich mußte auf der Kammer meine Ausrüstung ergänzen und bekam Zeltstangen, Zeltbahnen und Werkzeug.

Merkwürdigerweise konnte ich mich meiner wiedergewonnenen Freiheit gar nicht recht freuen. Ich hatte zu sehr unter der rohen Behandlung gelitten und konnte mir jetzt vorstellen, wie es manchem unschuldig Verurteilten zumute sein muß, wenn er nach langer Freiheitsstrafe wieder frei umhergeht. Ich hatte auch kein Verlangen, einen Urlaub nach Biarritz durchzusetzen und meiner Retterin Lebewohl zu sagen. Auch hätte ich den Urlaub, nach dem, was geschehen war, gewiß nicht bekommen. Die beschämende Besichtigung aber hatte mir den Rest gegeben.

Am letzten Abend ging ich noch einmal in die Stadt und bemerkte so recht, wie froh ich war, hier wegzukommen. Alle Kneipen waren voll von abschiedfeiernden angetrunkenen Soldaten. Am nächsten Morgen traten die Kolonnen an und marschierten zum Bahnhof, zu der langen Fahrt über Bordeaux nach Lyon. Die Fahrt war recht anstrengend, weil die Soldaten in den Personenwagen eng zusammengedrängt waren und sich nicht ausstrecken konnten. Gerade diese Eisenbahnlinien waren durch den Krieg ungemein beansprucht, und es fehlte an Wagen.

Zum Glück wurde ich einer Wache zugeteilt, die auf den Bahnhöfen die Ausgänge bewachen mußte und während der Fahrt in einem Viehwagen Unterkunft fand, wo wir unsere Glieder in weichem Stroh ausstrecken konnten.

Für mich war die Fahrt immerhin abwechslungsreich. Bei Bordeaux fuhr der Zug die Gironde entlang, und ich sah in der Abenddämmerung die Molen liegen, an denen die afrikanischen Dampfer anlegten. Dort war auch ich hergekommen. Inzwischen war ich ja nun französischer Legionär geworden und hatte als solcher schon einen Buckel voll Erfahrungen gesammelt.

Die Bevölkerung der Städte, in denen unser Zug hielt, bemühte sich in freundlicher Weise, uns durch Erfrischungen und Liebesgaben gefällig zu sein. Gerade als Legionäre waren wir für die Zuschauer etwas Neues, und besonders auf kleinen Stationen, wo der Zug hielt, weil er noch keine Einfahrt hatte, erregten unsere farbigen Kameraden, die Schwarzen, Braunen und Gelben großes Aufsehen. Auf größeren Stationen machten sich die Tschechen bei der Bevölkerung beliebt, indem sie in Gruppen zusammentraten und Gesangvorträge hielten. Hier fiel mir wieder auf, welch besondere Stellung in unseren Reihen die Russen und unter ihnen wieder die russischen Polen einnahmen. Ein großer Teil der Fremdenlegion bestand aus Russen, die bei Ausbruch des Krieges vom russischen Konsul angewiesen worden waren, sich dem französischen Heeresdienst zu stellen, weil sie nicht nach Rußland zurückkehren konnten. Sie waren bei Kriegsbeginn als Hüttenarbeiter und Landarbeiter in Frankreich gewesen, andere auch als Studenten verschiedener Wissenschaften.

Mit den Polen habe ich mich am besten vertragen. Man merkte, daß sie für Deutschland nur freundliche Gefühle hatten, ja sie freuten sich, wenn deutsche Erfolge eingestanden werden mußten. Sie waren über ihre Behandlung in der Fremdenlegion verärgert und konnten sich auffälligerweise schlecht mit den Tschechen vertragen, obwohl auch sie doch Slawen waren. Als Polen hatten sie sehr viel für Österreich übrig, weil sie anerkannten, daß die Polen von niemand besser behandelt worden waren als von Österreich; deshalb verstanden sie die deutschfeindliche Stimmung der Tschechen nicht.

Auf jedem Bahnhof freuten sich die Soldaten, die Glieder ausstrecken und einmal wieder frische Luft holen zu können; denn der Tabakrauch in den Eisenbahnwagen war unerträglich, und es gab da keine Rücksicht auf die wenigen Nichtraucher.

Am Mittag des dritten Tages kamen wir in Lyon an. Der Zug lief in einen Güterschuppen ein. Die Soldaten traten heraus und legten ihr Gepäck an. Nachdem alle Riemen und Riemchen zurechtgeschnürt und wir in Reih und Glied ausgerichtet worden waren, erscholl der Ruf: » Baïonette au canon« (Seitengewehr pflanzt auf)! Der Befehl wurde von Zug zu Zug wiederholt, und tausend blinkende Waffen glänzten im Sonnenlichte.

Als das Gerücht in die Stadt gedrungen war, daß ein großer Truppentransport angekommen sei, und als gar bekannt wurde, daß es Fremdenlegionäre seien, strömte die Bevölkerung der Stadt zum Bahnhof. Der Reiz der Fremden und der Ruf einer Truppe, die oft in Friedenszeit siegreiche Gefechte in den Kolonien geliefert hatte, und deren Namen man in französischen Zeitungen stets in Verbindung mit den Kolonialsorgen von Madagaskar, Cochinchina, Dahome, Mexiko, Marokko und Algier gehört hatte, lockte unzählige Neugierige herbei.

Es war auch ein erhebendes Schauspiel, als sich die große Truppe in Bewegung setzte. Die Musik mit ihren vorzüglichen Bläsern ( clairons) voran. Dahinter die alte zerfetzte Fahne des 1. Fremdenregiments mit ihrer bekannten goldenen Inschrift » honneur et discipline« (Ehre und Zucht). Sie hatte ein Stück französischer Kolonialgeschichte mitgemacht und erregte die Einbildungskraft und Begeisterung der Franzosen. Hinter der Fahne ritten die höheren Offiziere. Es waren zum Teil bekannte Männer, die in den Kolonien ihre Lorbeeren geerntet hatten und eine ganze Reihe Erinnerungsmünzen an der Brust trugen. Dann folgten die Legionäre in Gruppen zu vieren. Bei der 7. Kompagnie war ich der Flügelmann. Vor mir gingen in größerem Abstande zwei Verbindungsleute. So kam es, daß die Blumen werfenden Frauen sich gerade erholt hatten, wenn meine Gruppe vorbeimarschierte und ich an allen Stellen mit Blumen geradezu überschüttet wurde. Die Mädchen drängten sich, und an einer Straßenecke, an der sich der Zug einen Augenblick staute, sprang eine hübsche Französin hinzu und steckte mir eine große Rose ins Knopfloch. Es war ein Lärm und eine Begeisterung! Ich konnte auf Augenblicke vergessen, daß diese Begeisterung eigentlich mir nicht gelten durfte.

Offenbar erregten auch die großen Gestalten vieler Legionäre Aufmerksamkeit. Ich selbst war mit meinen hundertdreiundachtzig Zentimetern lange nicht einer der grüßten. Es waren Riesengestalten von Russen und Kanadiern unter uns, Menschen, wie man sie in dem durch Alkohol entarteten französischen Volke selten zu sehen bekommt. Dann aber erregten auch die Farbigen, die Anamiten und Malayen, die Neger aus Nordafrika, die Japaner, Chinesen und Araber die Neugierde der Zuschauer. Was auch noch auffallen mußte, war die Mischung von jung und alt. Da waren die alten Legionäre, die wettergebräunten, abgehärteten, durch Krieg und Lebensschicksal stark mitgenommenen Gestalten der Männer, die allen Lastern der Legion und der Umgebung standgehalten hatten.

Im Innern der Stadt, als wir die Hauptstraßen ( boulevards) durchschritten, wurden wir mit Blumen, Zuckerwaren und Gebäck überschüttet. Bäcker kamen aus ihren Läden heraus, liefen neben uns her, öffneten unsere Brotbeutel und steckten Süßigkeiten hinein. Als wir in unserm Unterkommen, einer Hebammenschule(» maternité«), ankamen, wurden wir nach einer kurzen Musterung auf die einzelnen Räume verteilt. Zuerst aber wurde jedem gleich an den Gewehrpyramiden ein Becher Glühwein gereicht und Essen ausgegeben.

Ich nahm meinen Becher und mein Essen und setzte mich erst mal ruhig auf einen der Strohsäcke, die für die Nacht auf dem Boden ausgebreitet lagen. Dann begann ich ganz langsam zu essen, getreu einer Erfahrung, die ich in Afrika gelernt hatte: daß das Essen viel besser bekommt, wenn der Körper ein wenig ausgeruht hat.

In der Kaserne war eine frohe Stimmung. Jeder freute sich hinauszukommen und Bekanntschaften zu machen unter den Hunderten von Mädchen, die sich um den Eingang des Gebäudes wartend drängten. Ein Teil der Mannschaft mußte zurückbleiben, aber es wurde kameradschaftlich geregelt, daß zwei Parteien sich ablösten.

Ich selbst mischte mich in den Trubel von Menschen und sah den großstädtischen Betrieb in einer der bedeutendsten Städte des Feindeslandes. Ich vermied aber, Bekanntschaften zu machen, weil ich mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt war und unter dem Eindruck stand, daß der Tag der Entscheidung jetzt nahe gekommen sei. Wohin mich das Geschick aber führen würde, konnte ich nicht wissen.

Als ich gegen elf Uhr abends in die Kaserne zurückkehrte, waren meine Kameraden teils gesprächig begeistert, teils betrunken und erzählten die merkwürdigsten Erlebnisse. Ich hörte die Äußerung: »Hier haben wir es aber fein, hier brauchen wir nichts zu bezahlen, jeder hält uns frei.« Ein Neger, der » chocolat« genannt wurde, wieherte vor Vergnügen, wenn er sich daran erinnerte, wie die weißen Frauen hinter ihm hergelaufen waren, und erzählte jedem, der es hören wollte, in der geschwätzigen Art seines Volkes die Erlebnisse des Abends. Im Nebenraume lärmten die trunkenen Urlauber.

Die Räume, in denen wir untergebracht waren, waren groß und hell, und in den Öfen brannte gutes Brennholz. Ich war darüber sehr zufrieden und empfand den Gegensatz zu Bayonne, wo ich zuletzt in den nassen Marabouts hatte schlafen müssen.

Lyon! Es war ein ganz anderer Schall, den das Signal »Wecken« hier in den Wänden der Schule am nächsten Morgen gab. Am Vormittag packten wir unsere Sachen aus und ordneten die Kleidungsstücke und Handwaffen. Dann war Musterung.

Eine solche Musterung beim Ersten Fremdenregiment bot jedesmal ein eigentümliches Schauspiel. Das Regiment trat im Viereck auf dem Hofe an. Die einzelnen Volksstämme hatten ihre Dolmetscher, das waren meist Unteroffiziere. Die hörten den Befehl, der auf französisch vorgelesen wurde, dann sagte der Offizier: » expliquez les ordres à vos hommes« (erklärt die Befehle Euren Leuten). Die Dolmetscher machten kehrt und erklärten den Befehl in ihrer Sprache. Das war ein Durcheinander, ein Gemurmel! Und jedesmal war es dasselbe: Die eine Sprache erforderte mehr Ausdrücke als die andere und dauerte länger; endlich sprach nur noch einer, und dann kam zur Freude der Wartenden, endlich die Meldung: »Bekannt gegeben«.

Der Tagesbefehl » Ordre du jour« spielt im Heeresleben der Franzosen eine große Rolle. » Être cité à l'ordre du jour« (im Tagesbefehl genannt werden) ist eine übliche Auszeichnung, die der Verleihung des Eisernen Kreuzes im deutschen Heere gleichkommt. Die Militärmedaille entspricht dem Eisernen Kreuz Erster Klasse. Bei mancher Musterung wurden Soldaten genannt, die große Taten an der Front getan hatten. Oft aber kam der traurige Nachsatz: »Er fand leider dabei den Tod.«

Beim Appell hieß es heute auf einmal, als die Befehle ausgerufen und erklärt worden waren: »Die Schützen, die alle ihre Bedingungen erfüllt haben, sollen vortreten.« So trat ich denn vor, weil ich einer der wenigen war, die das Zeugnis »guter Schütze« in ihren Papieren hatten. Zugleich sah ich in der Nebengruppe einen Rumänen vortreten, der mir schon öfter aufgefallen war.

Wir wurden aufgeschrieben. Nach dem Appell wurde wie üblich gerufen: » aux patates« (an die Kartoffeln). Im französischen Heer ist es Sitte, daß jeder Soldat seine Kartoffeln selber schält. Von diesem Dienst drückt sich auch keiner. Jeder nimmt sein Taschenmesser aus der Tasche und tritt mit den anderen in einen großen Kreis. An einem Bottich in der Mitte stehen Soldaten, die die geschälten Kartoffeln kleinschneiden und mitunter zum Scherz von den andern beworfen werden. Die Übung der Soldaten im Schälen ist ebenso groß wie die Fertigkeit des Zigarettendrehens. Ich liebte den Dienst, weil ich die Geschichten gern hörte, die da erzählt wurden.

Heute kam ein Bote und sagte mir, ich solle sofort zur Schreibstube kommen. Ich steckte mein Messer ein und dachte mir schon, worauf es hinausgehen werde.

Da ich schon als Mechaniker vermerkt war, wurde auch ich aus der Menge derer, die sich gemeldet hatten, ausgesucht, aber es durften nur Leute von guter Führung sein. Als ich das hörte, drückte ich mich verstohlen in die Ecke, weil ich dachte: Es hat ja doch keinen Zweck. Da stand aber der Feldwebel Guillot und sagte: »Na, Kirsch, hast du keine Lust?« Und als ich etwas von meiner Strafe murmelte, sagte er: »Ach was, der kleine Spaziergang, der schadet nichts mehr, Menschen hast du ja doch nicht totgeschlagen, verstehst du denn dein Handwerk?«

»Jawohl, durchaus.« Dann rief er zum Schreiber hinüber: »Schreibe mal hier den Kirsch auf.«

Ich war froh über die Aussicht, einen Lehrgang für Maschinenschützen ( cours de mitrailleur) mitmachen zu dürfen und auch von Lyon wieder wegzukommen.

Ich war hier auf eine Stube gekommen, in der lauter Spanier lagen. Die lärmten den ganzen Nachmittag. Jeder wollte einen besseren Platz haben. Meine Matratze warfen sie beiseite. Ich spielte den Klügeren und ging weg. Ich ging zum Hof hinunter, wo einige der aufgeschriebenen Leute standen. Sie waren alle gespannt, was aus uns werden sollte.

Als das Essen verteilt wurde, wurden wir wiederum zur Schreibstube gerufen und erfuhren, daß wir zu einem Lehrgang nach La Valbonne abreisen würden. Wir wurden nach unseren besonderen Fähigkeiten gefragt. Es mußte nämlich die Gruppe ( équipe) zusammengestellt werden, und die besteht aus einem Schützen zu je einem Maschinengewehr ( tireur), einem Lader ( chargeur), einem Hilfslader ( aide-chargeur), zu je zwei équipes nur einem Entfernungsmesser ( télémétreur) und einem Büchsenmacher ( armurier), der die Reparaturen der Maschinengewehre unter sich hat.

Als ich wieder auf die Stube kam, hatten die spanischen Kameraden mein Essen aufgegessen, eine Missetat, die in der Fremdenlegion sehr selten ist.

Ich ging zur Küche hinunter. Der Küchensergeant, ein Französisch-Elsässer, fragte: »Was bist du für ein Landsmann?« Als ich sagte, ich sei ein Schweizer, gab er mir besonders viel.

Heute ging ich mit frohen Eindrücken in die Stadt und freute mich der schönen, hellbeleuchteten Straßen. Da merkte man nicht viel vom Kriege; nur daß so viele Soldaten in verschiedenen Uniformen umhergingen, fiel auf.

Die größte Rolle spielten heute noch die Neuangekommenen, die Fremdenlegionäre. Man sah sie überall in weiblicher Begleitung. Ich ging auf die Rhône zu. In den Anlagen sah ich ein echt französisches Bild. Die » midinettes«, die kleinen Ladenmädchen, drängten sich um Bänkelsänger und versuchten die neuen Lieder zu lernen. Heute wurden natürlich nur »patriotische« Lieder gesungen. Ein alter Mann sang den neuesten Schlager, einen Rachegesang auf Deutschland.

Plumpe Bilder erläuterten den Gesang und reizten die Lachmuskeln. Eine andere Gruppe sang ein empfindsames Lied: » la lettre inachevée (der unbeendete Brief), dessen Inhalt etwa so war: Ein Schwerverwundeter schreibt einen Brief, daß er an seine Rückkehr kaum glaube, darüber stirbt er, und die Krankenschwester findet den Brief. Der Schluß ist jedesmal » une charitable infirmière« (eine mildtätige Krankenschwester).

An allen Brücken standen Posten. Die Straßenbeleuchtung war aus Sparsamkeit eingeschränkt. Ich sah französische Kürassiere mit den großen Roßschweifen auf den Helmen. Zu der Truppe kommen nur die größten Leute, doch übertrafen viele der Legionäre auch diese Auslesetruppe an Körpergröße. Die kleinen Männer kommen zur Infanterie und heißen auch »die Kleinen« ( piou piou). An dem Gebäude einer großen Zeitung hielt ich mich lange auf. Dort wurden die Neuigkeiten in großen Lichtbuchstaben an der Wandfläche verkündet.

Als ich ein wenig zur Besinnung kam, erfaßte mich eine eigentümliche Stimmung. Ich erlebte die Siegeszuversicht und Betriebsamkeit der Franzosen und durfte mich nicht mitfreuen. Mich bedrückte die Ungewißheit, ob ich heimfinden würde und ob mein Land siegreich sein werde. Oft verwirrte mich auch der Gedanke, daß ich dem Feinde Deutschlands diente, und ich fragte mich, ob nicht alles Gute, was ich hier leistete, in irgendeiner Weise dazu beitrage, den Geist der französischen Truppe zu heben. Und manchmal, man verdenke es mir nicht, fühlte ich ein wenig mit der Truppe, der ich angehörte, und empfand Mitleid mit den frischen, begeisterten Menschen, die für den Gedanken erglühten, dem Vaterlande zu dienen und alles Schlechte aus der Welt zu tilgen. Der Träger aller Schlechtigkeit war für diese Menschen natürlich Deutschland, und Deutschland verführt durch Kaiser Wilhelm oder durch den Geist von Potsdam oder durch den Kronprinzen. Also war im Grunde keiner schuld, und doch stand das eine fest: Deutschland besiegen, heißt die Menschheit von allem Schlechten befreien, und dafür kann man schon mal sein Leben dranwagen. » Les sales boches«, ohne Erregung mußte ich meine Landsleute täglich so nennen hören, von Menschen, die das schöne Deutschland nur dem Namen nach kannten. Am meisten liebten es diese Kenner, von den Deutschen als von unmäßigen Biertrinkern und Fleischfressern zu sprechen, indem sie sich an die Bilder einzelner krankhafter Personen hielten, die als typische Deutsche in den Zeitungen abgebildet waren. Wie mußten die guten Südfranzosen staunen, als die ersten Gefangenen angebracht wurden und so viele große schlanke Gestalten darunter waren und Gesichter, denen man Ernst und Zucht, aber nicht Genußsucht und Verfressenheit ansah.

In der großen Stadt fiel ich nicht auf und konnte mit meinen Gedanken allein sein.

Ich sah viele Verwundete, auch englische Offiziere, die mit französischen spazieren gingen.

Ich ging ein Stück Weges mit einem Kameraden, einem Belgier, der einen großen, blonden Bart trug. Er hatte sich, wie viele seiner Landsleute, gleich zu Anfang des Krieges gestellt und war in die Fremdenlegion gesteckt worden.

Am nächsten Morgen wurde gepfiffen: »Die Leute, die für La Valbonne bestimmt sind, antreten vor der Schreibstube.«

Schnelle Handzeichnung, die Kirsch als französischer Entfernungsmesser bei Reims machte, um die Maße des Gefechtsabschnittes festzuhalten.

Wir mußten unsere Lebelgewehre gegen Karabiner umtauschen. Ich, als Entfernungsmesser bekam eine Pistole und ein Bajonett älterer Art.

Gegen Mittag musterte uns der Oberst. Er erkundigte sich nach unseren Fähigkeiten.


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