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Meuterei an Bord der »Marina«

Der Kapitän fuhr an Land und erkundigte sich, ob er die Neger landen dürfe. Das wurde nicht erlaubt, und wir mußten weiterfahren.

Das Schiff steuerte weit von Land ab und hielt sich außerhalb der befahrenen Schiffahrtslinie. Der Kapitän sagte uns, er werde nach Kap Palmas fahren. Das war die Heimat unserer schwarzen Besatzung; das Gebiet an der äußersten Südspitze der Sklavenküste, wo die französische Kolonie an die Negerrepublik Liberia angrenzt.

Die Offiziere der »Marina« waren der Kapitän, der Erste Offizier, der Erste und der Zweite Maschinist und ich als Dritter Maschinist. Außer diesen war, als sechster Weißer, noch der Rechtsanwalt aus Duala an Bord.

Der Kapitän, Freiherr von Geyer zu Lauf, war ein erfahrener Mann. Er hatte schon viel erlebt und erzählte in der Messe öfter, wie er im Russisch-Japanischen Kriege mit einem Schiff die Blockade gebrochen hatte. Er war verheiratet und hatte seine Frau und einen kleinen Sohn in Deutschland gelassen. Obwohl er ein Bayer war, trank er sehr wenig. Er hatte immer eine große Ruhe und jedermann lobte die feine Art, wie er mit Menschen umging.

Zu ihm paßte gut der Zweite Maschinist, Brun. Beide gehörten auch einem Kreise von Europäern an, die die Lagoslöwen genannt wurden. Er war ein Kieler Junge, aus guter Familie und hatte früher einmal studiert. Aus der Zeit hatte er über das Gesicht zwei breite Schmisse und auf der Brust große Narben, die man bei der offenen Kleidung in der Hitze oft sah. Aus seiner Lebensgeschichte wußte man, daß er das Studium eines Tages aufgab, nach Afrika fuhr und da hängenblieb. Und dann wurde er ein so eingefleischter Afrikaner, daß er es schon beim ersten Urlaub in Deutschland nicht mehr aushielt und gleich in Hamburg wieder umkehrte. Das gab ein großes Hallo, als er postwendend wieder in Lagos eintraf.

Der Erste Maschinist war viel in Australien gewesen, und seine ständige Redewendung war: »Als ich in Sidney war«. Er sprach sehr gut Englisch und tat sich darauf viel zugute. Durch langen Aufenthalt in englischem Lande hatte er sich auch innerlich den Engländern sehr genähert.

Als Erster Offizier war der Kapitän des »Eggo« an Bord, eines der Barrdampfer, die wir in der Kamerunmündung versenkt hatten. Er stammte aus einer Fischerfamilie in der Nordsee und war im Sprechen so unbeholfen, wie er in anderen Dingen geschickt war. Nie sah man ihn ohne Tabakspfeife.

Der Rechtsanwalt endlich hielt sich an Bord meist beim Kapitän auf. Er war sehr reizbar und vertraute sich niemandem an.

Die übrige Besatzung des Schiffes bestand aus Negern. Es waren Leute, zu denen man großes Vertrauen haben konnte, und die im Dienst schon viel geleistet hatten. Ihre Kenntnisse als Matrosen und Heizer waren erstaunlich gut. Ich hatte auch meinen treuen Diener Freitag mit mir.

So schön der erste Tag der Seefahrt war, ein Blick auf das Deck belehrte uns, daß wir eine gefährliche Ladung an Bord hatten: 800 Schwarze, Menschen jeden Alters, auf einem Dampfer von nur 600 Tonnen. Jeder Fußbreit des Decks war mit Menschen bedeckt. Wir mußten unsere Kammern verschlossen halten, damit die Neger nicht da hinein drängten, und erreichten kaum, daß ein schmaler Gang freigelassen wurde, auf dem wir von der Kammer zur Maschine gehen konnten.

Die Schwarzen, die in der Nacht ruhig gewesen waren, verloren allmählich ihre Schüchternheit. Es waren Neger aller Küstengebiete Westafrikas. Unser Unglück aber waren 200 Aschantineger aus Accra. Sie hatten durch ihre Frechheit eine gewisse Überlegenheit über die anderen Neger.

Gleich heute gab es einen Mordslärm. Es war nur ein einziger Reiskessel an Bord. Den beschlagnahmten natürlich die dreisten Accraleute. Das wollten sich die anderen nicht gefallen lassen. Der Kapitän ließ die »Headmänner« zusammenrufen und befahl ihnen, wie sie es einrichten sollten. Das wirkte aber gar nicht, und der Streit wurde immer heftiger.

Die Neger hatten viel Gin mitgebracht, einen aus Europa eingeführten Schnaps. Der Kapitän bemühte sich vergeblich, den Negern das gefährliche Rauschgetränk wegzunehmen, das auf Schwarze bekanntlich ebenso schädlich wirkt wie auf Menschen mit anderer Hautfarbe. Die Häuptlinge waren schon stark betrunken und vergaßen deshalb die Achtung vor den Weißen. Besonders die Accraleute, diese Hosennigger, waren nicht zu beruhigen. Sie glaubten wohl, daß die wenigen Weißen gegen die Menge der Schwarzen wenig ausrichten könnten.

Wir beobachteten, daß die Neger das Süßwasser verschwendeten, das wir zum Trinken mit hatten, und mußten schnell einschreiten, weil Wassernot an Bord furchtbar gewesen wäre. Deshalb ließ der Erste Offizier ein Schloß vor den Wasserhahn legen und das Wasser nur in kleinen Mengen ausgeben.

Schon am zweiten Tage fehlte es an Nahrung. Die Schwarzen beklagten sich beim Kapitän, sie hätten Hunger. In der lächerlichen Sprache, in der die Küstenneger Westafrikas sich mit den Europäern verständigen, sagten sie: » Massa, I beg you, look my belly, I want chop, I get plenty hungry«. Zu deutsch: »Herr, ich bitte dich, sieh meinen Leib, ich will was zu essen haben, ich bin sehr hungrig«.

Es stellte sich heraus, daß die Neger in ihren Bündeln und Matten nicht genug Nahrungsmittel mitgebracht hatten. Das war eine neue, schwere Sorge.

Der Kapitän schickte die Ersten, die sich beklagten, weg. Aber es kamen immer mehr. Es half nichts, daß man die Neger ermahnte, sich gegenseitig auszuhelfen. Sie wurden gewalttätig, und bald fielen die ersten Schläge zwischen Leuten, die sich um das Essen stritten. Wir konnten da nicht einschreiten und mußten fürchten, daß die hungrigen Neger bald auch gegen uns Gewalt anwenden würden, um Nahrungsmittel zu bekommen. Der Zustand war schlimm. Wir besprachen uns untereinander. Die Sorge ließ uns in der Nacht nicht ruhig schlafen.

Am Nachmittag des dritten Tages war ich gerade in der Maschine, als mein schwarzer Diener meldete, daß die Neger in die Messe eingebrochen seien und Nahrungsmittel herausgeholt hätten. Das wollten wir nicht hingehen lassen und suchten die Täter. Dabei aber waren die Eingeborenen so frech, daß wir die Meuterei kommen sahen.

Als wir den Abend in der Messe saßen, wurde die Tür aufgerissen. Ein betrunkener Häuptling kam herein und machte dem Kapitän Vorwürfe, auf anderen Dampfern dauere die Fahrt weniger lange, er wolle wissen, wo denn die Reise hinginge. Vor der Messe sammelte sich ein ganzer Haufe Betrunkener. Wir verließen die Messe, schlossen ab und gingen auf die Kommandobrücke, in den Raum des Kapitäns. Wir hatten aus der schwarzen Besatzung des Schiffes Posten aufgestellt, konnten aber nicht hindern, daß die beiseitegedrängt wurden, und mußten schon dulden, daß das Bootsdeck von den Negern eingenommen wurde. Das also hatten sich die Neger durch ihre Überzahl erzwungen, und wir konnten auf weitere Gewalttaten gefaßt sein.

Der Kapitän hoffte, daß der Schnaps der Neger jetzt ausgetrunken sei. Leider aber hatten die Neger gerade davon noch Vorrat genug und tranken in der Nacht weiter. Es gab schon gegen Morgen großen Lärm. Die Schwarzen kamen untereinander in Streit. Weiberstimmen klangen dazwischen, mehrere Neger wurden getötet und andere im Streit lebendig über Bord geworfen.

Der Erste Offizier ging auf das Vordeck und wollte Ruhe stiften, da wurde er von einem betrunkenen Neger von hinten mit einem Buschmesser verwundet und fiel besinnungslos an Deck.

Ich kam gerade aus meiner Kammer, sah das, griff nach meinem Revolver und schoß in die Luft. Die Schwarzen stutzten und wichen zurück. Diesen Augenblick benutzte ich und griff schnell zu, um den Verwundeten auf die Brücke zu tragen; der Zweite Maschinist, Brun, half dabei. Ich bedrohte die nachdrängenden Schwarzen mit der Waffe.

Als die Neger dennoch schreiend und schimpfend vordrangen, schoß ich in die Menge, und neben mir fielen noch andere Schüsse. Mir wurde ganz rot vor den Augen, als ich auf die Menschen abdrückte. Das Schreien der Getroffenen mischte sich in das Wutgeheul der betrunkenen Neger. Mir fiel ein, daß mein Platz notwendig an der Maschine sein müsse, wenn der Verkehr über Deck durch die meuternden Neger gesperrt werden würde, was bevorzustehen schien. Ich nahm deshalb meinen Revolver schußbereit und sprang mit Wucht in die Menge hinein, um mir einen Weg zu bahnen. Die Nahestehenden fielen auf andere, und ich war in wenigen Sekunden am Niedergang zur Maschine. Hastig schloß ich die Tür hinter mir, zog die Schlüssel heraus, sprang an die andere Tür, durch die zum Glück auch gerade Brun hereinkam, und schloß auch diesen Zugang.

Zum Verständnis der Vorgänge an Bord der »Marina«.
Der Dampfer nach einer Handzeichnung, die Kirsch aus dem Gedächtnis anfertigte.

Der Erste Maschinist war unten und bemühte sich gerade um ein Maschinenlager, das warm gelaufen war.

Wir fragten nach der Kommandobrücke hinauf, wie es dem Ersten Offizier gehe, und erfuhren, daß er wieder bei Besinnung sei.

Die Schwarzen, die uns jetzt in wilder Wut nachstellten, klopften und hämmerten gegen die Tür des Maschinenraumes.

Von oben kam durch das Sprachrohr die Anfrage: »Könnt ihr's unten aushalten?« Unsere Antwort war: »Jawohl, wir werden's schon machen.«

Bis auf den Maschinenraum und die obere Brücke wurde das Schiff jetzt von den Negern beherrscht. Die Meuterer versuchten, durch die Windschächte und durch kleine vergitterte Fenster, die über dem Kessel lagen, Flaschen und andere Gegenstände herunter zu werfen. Wir hörten einen wüsten Lärm an Deck. Schüsse fielen, lautes Geheul erhob sich. Was sich ereignete, erfuhren wir erst später durch das Sprachrohr.

Zur oberen Brücke führte eine Treppe, die mit zwei Bolzen befestigt war. Der eine Bolzen war los. Die Neger machten einen neuen Versuch, die Brücke zu besetzen. Als aber die ersten die Treppe erreichten, schoß der Erste Offizier, und der Kapitän, dem es an schnellem Entschluß nie fehlte, nahm eine schwere Handspake, setzte sie unter den oberen Rand der Treppe und brachte die Treppe zum Kanten, so daß sie sich um den festen Bolzen drehte, bis der Bolzen brach und die ganze Treppe über Bord fiel. Sie riß zwei Neger mit, und das brachte die erregte Menge noch mehr in Wut. Die Brücke wurde jetzt wie eine Festung verteidigt.

Auf der Brücke waren genug Eßvorräte: Kartoffeln, Reis und große Bündel Bananen. Wir unten in der Maschine mußten uns mit einem Sack Reis begnügen, den die schwarzen Heizer in dem Schraubentunnel versteckt hatten.

An Waschen war nicht zu denken. Schlafen mußten wir in dieser Nacht nacheinander im Schraubentunnel. Der Aufenthalt im Maschinenraum ermüdete uns sehr. Die Luft war schlecht und wurde nicht erneuert, weil die Köpfe der Windfänger nicht in den Wind gedreht werden konnten.

Die Trunkenheit der Eingeborenen legte sich auch am folgenden Tage nicht, und auf einmal in der Frühe hörten wir an der Steuerbordtür ein Geräusch. Die Neger versuchten die Tür mit einer Eisenstange aufzubrechen.

Was tun?

Der Zweite Maschinist löste die Spannung. Er nahm eine Handvoll Baumwolle, ergriff damit das kupferne Wasserablaßrohr, das von dem Wasserstandsglas des Dampfkessels an Steuerbordseite zur Bilge führte, und drehte es so nach oben um, daß ein Ende des Rohres durch das Gitter zur Tür zeigte. An den Dampfhahn band er eine Schnur, deren Ende er in der Hand behielt.

Ich hatte gerade Wache und bediente die Maschine am Führerstand. Das Brechen an der Tür dauerte fort, und mit einem Mal sprang die Tür auf. Mehrere Neger standen da. Sie stutzten einen Augenblick und sahen die wenigen Menschen in der Maschine. Dann wurden sie von hinten durch die Tür gedrängt. Da riß Brun den Dampfhahn auf, und ein zischender Dampfstrahl von zehn Einheiten Druck fuhr den Eindringenden entgegen.

Dieser Querschnitt durch den Dampfer erläutert, wie sich die Weißen gegen die meuternden Neger verteidigten.
Nach einer flüchtigen Handzeichnung von Kirsch.

Es entstand ein Höllenlärm. In einem Augenblick war der Raum mit heißem Dampf erfüllt. Ich hatte das Gefühl, als ob ich selbst verbrannt sei. – Dann hörte das Zischen auf, und ich erkannte durch die Dampfwolken Brun, den Zweiten Maschinisten. Er hatte sich einen Sack über den Kopf gestülpt, war auf den Hahn zugesprungen und hatte ihn geschlossen. Man hörte Wimmern, Stöhnen und Ächzen, und als der Dampf sich verzog, sahen wir auf dem Gitter die verbrühten Leiber dreier toter Neger liegen. Sie sahen entsetzlich aus. Wir selbst hatten leichte Brandblasen im Gesicht. Der Dampfstrahl hatte sich an der Schwelle der Tür gestoßen, war dort abgelenkt worden und war in den Maschinenraum zurückgeschlagen. Die Schwarzen hatten im ersten Schrecken den ganzen Gang geräumt. Wir machten uns die Lage schnell zunutze, warfen die verbrühten Leichname über die Schwelle und banden die Tür, deren Schloß gesprengt war, mit Draht zu. Dann meldeten wir, was geschehen war, nach der Brücke.

Der Kapitän hatte den schrecklichen Lärm gehört und den Dampf aus den Öffnungen des Maschinenraumes strömen sehen, ohne zu wissen, was sich unten ereignete.

Die Neger waren über die furchtbare Wirkung des Dampfes aufs höchste erschrocken und mieden das Mittelschiff; sie bedrohten den Kapitän und schrien ihn fortwährend an, er solle sie an Land setzen. Der Kapitän sagte uns zur Maschine herunter, die Lage sei gefährlich, und er habe die Absicht, nachzugeben und auf die Küste zuzuhalten.

Wir waren darüber recht froh, weil auch unsere Lage auf die Dauer unerträglich war.

So steuerte der Kapitän nach Norden auf die Küste zu. Gegen Abend kam ein starker Nebel, und da der genaue Schiffsort nicht bekannt war, mußte der Kapitän die ganze Nacht kreuzen, um sich der Küste nicht zu sehr zu nähern. Erst am Vormittag zerriß der Nebel, und die Küste mit einem großen Negerdorf tauchte auf. Wir konnten es an dem Freudengeheul, das sich an Deck erhob, merken, daß Land zu sehen sei. » We want go for shore!« (wir wollen an Land) riefen die Neger dem Kapitän zu.

Es kam der Befehl: »Stopp«. Wir Maschinisten konnten von der Tür aus bemerken, daß die Schwarzen die Boote zu Wasser ließen. Die Europäer blieben noch immer auf ihrer Festung auf der Brücke und sahen zu, wie sich die Neger um die Boote stritten. Eins der Boote schlug um, wurde aber wieder flott gemacht.

Den Anker konnte der Kapitän nicht werfen, weil die Besatzung des Schiffes nicht an das Ankergeschirr hinangelangen konnte. So trieb denn das Schiff. Allmählich gab es Raum an Deck. Obwohl die Neger nur daran dachten, an Land zu kommen, fanden sich doch immer einige, die die Boote wieder zurückruderten, weil sie noch Angehörige vermißten, und wenn sie dann wieder anlegten, hatten sich wieder andere ins Boot gedrängt, die Angehörige zurückließen. Nur so war es zu erklären, daß die Boote fortwährend zurückkehrten.

Als einige hundert Neger von Bord gegangen waren, wagten wir es, den Maschinenraum gut bewaffnet zu verlassen. Der findige Zweite Maschinist hatte zu dem Zweck eine Schleuse, eine Feuerschürstange, glühend gemacht und stürmte vor uns her, in die Schwarzen hinein. Als unsere schwarzen Matrosen das von der Back aus sahen, kamen sie von der anderen Seite. Wir merkten, daß die kräftigsten Neger das Schiff schon verlassen hatten. Die noch an Bord waren, sahen traurig aus. Die armen Menschen hatten in den Tagen der Seefahrt durch Hunger, Kälte und Seekrankheit und durch die Gewalttätigkeiten der Trunkenbolde schwer gelitten. Sie waren freilich noch immer in großer Übermacht und hätten uns leicht überwältigen können. Als sie uns aber gut bewaffnet anstürmen sahen, warfen sie sich auf die Knie und baten um Schonung. Sie hatten wohl auch Furcht vor den Wirkungen der Waffen, die uns Maschinisten zur Verfügung standen. Jetzt hatten wir Weißen das Schiff wieder ganz in der Gewalt.

Der Kapitän rief: »Wir müssen sehen, daß wir schnell wegkommen, auch ohne die Boote.« Er ließ die Maschinen angehen.

Ich war wieder auf meinem Posten in der Maschine, als ich mit Schrecken fühlte, daß das Schiff in seiner Fahrt sanft aufgehalten wurde. Zugleich kam auch schon der Befehl: »Stopp«. Das Schiff war auf eine Untiefe aufgelaufen. Beim Loten der Wassertiefe stellte sich heraus, daß das Schiff nur vorne fest war, und wir hofften mit der Flut wieder frei zu kommen. Vorläufig aber mußten wir bleiben, wo wir waren, und konnten deshalb beobachten, was an Land geschah. Unsere Fahrgäste plünderten das Dorf und steckten die Hütten in Brand. Wir sahen den Feuerschein noch in der Nacht, während wir auf die Flut warteten, die uns von der Bank abheben sollte. An Schlaf konnten wir auch in dieser Nacht kaum denken. Gegen Morgen, als wir gerade dabei waren, Kohlen nach achtern zu bringen und alle Menschen nach hinten zu schicken, damit das Vorschiff entlastet würde, sahen wir in der Ferne ein Schiff, das näher kam und als englisches Kriegsschiff erkannt wurde.

Wir waren von der Seenot, dem Wachen und den Sorgen der letzten Tage so teilnahmlos geworden, daß wir vorerst nur Freude darüber empfanden, überhaupt menschliche Hilfe in der Nähe zu sehen, und nicht an die Gefangennahme dachten, die uns bevorstand.

Das Kriegsschiff kam auf vierhundert Meter heran und feuerte einen blinden Schuß. Dann ließ es ein Dampfboot zu Wasser und ein Rettungsboot, das mit Matrosen voll besetzt war. Die Boote fuhren einmal um unser Schiff und kamen dann heran. Ein englischer Seeoffizier rief herauf, wir sollten eine Vorleine und ein Seefallreep hinuntergeben. Die Schwarzen erwarteten den Befehl des Kapitäns nicht, sondern folgten der Aufforderung des Offiziers.

» Where is the captain?« (Wo ist der Kapitän) rief der Offizier, während er das Deck betrat. Der Kapitän antwortete nicht. Nichts konnte uns nach den Entbehrungen der letzten Tage schrecken.

»Alle Europäer aufs Vordeck!« befahl der Offizier, der mit mehreren Matrosen das Schiff betrat. Zu gleicher Zeit aber plumpste auf der anderen Seite des Schiffes eine schwere Kassette über Bord.

Ich stand am Niedergang zur Maschine und wollte die Treppe hinunter, um meinen Tropenhelm zu holen. Da sah ich, wie der Zweite Maschinist im Maschinenraum gerade eine Eisenstange zwischen die Steuerung setzte, um die Maschine unbrauchbar zu machen.

Das aber sah auch der Offizier hinter mir und rief den englischen Matrosen zu: » Bind these fellows«. (Bindet diese Burschen.) So wurden wir beide gefesselt und mit den anderen in die Messe gebracht. Dort aber ließen uns die Matrosen gleich wieder los.

Der Kapitän berichtete dem Offizier über die schrecklichen Vorgänge an Bord. Er war aber von all den Aufregungen so erschöpft, daß er dabei in einen Sessel sank.

Der Engländer war höchst erstaunt über das, was er zu hören bekam, und als er unsere Erschöpfung bemerkte, hatte er Mitleid mit uns und wurde freundlich.

Die Matrosen durchsuchten das Schiff. Wir sahen durch das Fenster, wie sie die deutsche Flagge niederholten und den Union Jack und die Flagge der Goldküste hißten. Da unsere Vorräte von den Schwarzen geplündert und aufgezehrt worden waren, schickte der Offizier das Dampfboot zum Kriegsschiff hinüber und ließ etwas zu essen holen. Englische Matrosen deckten uns den Tisch.

Der Offizier mußte wohl noch die alten afrikanischen Grundsätze vertreten, nach denen die Farbigen jeden Weißen zu achten haben, und ließ einige der Haupträdelsführer gleich festnehmen. Es gab in diesem Falle keinen Unterschied zwischen Deutschen und Engländern, sondern es hieß einfach: »Du Schwein hast dich gegen die Weißen aufgelehnt?« Diese Art des Offiziers erfreute uns, so sehr sie im allgemeinen von einer Überhebung der Weißen zeugen mag.

Unser Fahrgast, der Rechtsanwalt, hatte sich versteckt und wurde von Matrosen gefunden. Der Kapitän gab ihn als Zweiten Offizier aus; als solchen hatte er ihn in die Schiffspapiere eingetragen.

Inzwischen war wieder Hochwasserzeit gekommen, und die Engländer machten das Schiff flott. Maschinisten und Heizer vom Kriegsschiff bedienten die Maschinen, und unsere »Marina« folgte dem Kreuzer in Kiellinie. Wir blieben in der Messe und wurden von englischen Matrosen bewacht.

Nach einigen Stunden kam der Hafenplatz Accra in Sicht. Dort ging das Schiff zu Anker. Beamte der Hafenpolizei kamen an Bord und forderten die Schiffskarten und den Kompaß ein, und gegen Abend kam ein Polizeibeamter mit zehn schwarzen Soldaten, um das Schiff zu bewachen. Die englischen Kriegsschiffmatrosen nahmen freundlich von uns Abschied und verließen das Schiff. Der Kreuzer ging gleich wieder in See.


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