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Als Rekrut der Fremdenlegion nach Marokko

Als »Schweizer Kirsch«, » non justifié«, Kohlentrimmer a. D., wie ein Lump an Land geworfen, stand ich verlassen auf der Mole von Dakar und sah die Sonne hinter dem Ozean untergehen. » Omnia mea mecum porto«: »was ich habe, trage ich bei mir«, dachte ich spöttisch, als ich mein zusammengeknüpftes Tuch ansah, das ich in der Hand hielt. Das Gefühl, so wenig zu besitzen, daß ich nur reicher, nicht noch ärmer werden konnte, hatte für mich etwas Beruhigendes.

Mein erster Gedanke war jetzt, einen spanischen Dampfer zu erreichen. Deshalb ging mein Blick suchend von einem Schiffe zum andern. Aber alle die Dampfer, die da lagen, gehörten französischen Linien an. Einige hatten gelbe Schornsteine mit roten Sternen. Es war die Linie » Chargeurs maritimes«. In der Mitte des Hafens lag ein Dampfer von der » Transatlantique«. Er hatte zwei gelbe Schornsteine mit einem roten gallischen Hahn.

      wie ein Lump an Land geworfen       stand ich dann auf dem Kai und sah, wie die »Ogoué« langsam durch die beiden mächtigen Molen der Hafeneinfahrt hindurchfuhr, mit voller Kraft nordwärts dampfte       (Dakar. Oktober 1914).
Nach einer Skizze von Kirsch gezeichnet von Prof. H. Ungewitter.

Das Deck war voll von feldmäßig ausgerüsteten Senegalnegern. Die Musik spielte. Am Vormast wehte der »blaue Peter«, als Zeichen, daß auch dieser Dampfer mit seiner Truppenladung im Begriff war auszulaufen.

Über den ganzen Hafen hin war großer Lärm. Auf dem Wasser lagen viele Boote der Eingeborenen. Diese Neger oder Halbaraber waren durch den regen Betrieb, der auf große Kriegsereignisse in der fernen Welt schließen ließ, noch lebhafter geworden, als sie sonst schon waren, und sparten nicht mit Zurufen an die Senegalsoldaten, die an der Reling standen und ihre Trunkenheit nicht verbergen konnten.

Die Ladewinden rasselten, tausend Menschenstimmen schrien und die frischen Klänge der Musik mischten sich dahinein: diese Menschheit schien sich zu einem großen Fest zu rüsten.

Der Gedanke, daß die großen Messer der Halbwilden vielleicht bald vom Blut meiner Landsleute rot sein würden, und daß auch diese Menschenhorden aus Inner-Afrika in dem Wahn lebten, deutsches Land plündern zu können und deutsche Soldaten zu töten, erregte mich stark.

Ich sah einem der lallenden Senegalneger in sein Gesicht und dachte: Wärst du doch bei deiner Hütte geblieben, unter den Bananenbüschen; was wirst du jetzt erleben!

An einem Pfeiler klebten Meldungen aus Europa. Da sah es so aus, als ob es mit Deutschland zu Ende gehe. Mir war bang ums Herz, als ich die französischen und russischen Siegesnachrichten las. Dann aber stellte ich mir unsere deutschen Truppen vor, wie die ins Manöver zogen, und ich dachte, die Nachrichten müßten erlogen sein, und es müsse doch wohl nicht leicht sein, in mein Vaterland einzudringen, vielleicht waren diese Neger die Getäuschten und wurden zum Kanonenfutter für den Kriegsschauplatz.

Der Anblick der trunkenen Menge widerte mich an; das war keine reine Begeisterung, es war ein Rausch. Und für die Schwarzen, die jetzt mit einmal von ihren Bedrückern so gut behandelt wurden, war es ein Rausch, auf den der Katzenjammer recht bald folgen mußte, wenn sie erlebten, daß ihre Landsleute falschen Versprechungen folgten und in den Tod gingen, statt mit leichter Siegesbeute heimzukehren.

Ich wandte mich ab und ging der Stadt zu, um mir noch vor Dunkelheit eine Unterkunft zu besorgen. Als ich einen eingeborenen Schutzmann nach der Polizei fragte, musterte er mich aufmerksam, und auch an den Blicken der Stadtbewohner, die zum Hafen hinuntereilten, merkte ich, daß mein ärmliches Aussehen auffiel. Mein Hemd war geflickt, meine Schuhe waren zerrissen, und jeder mochte schließen, daß mein zusammengeknüpftes Taschentuch meine ganze Habe enthalte.

Dakar ist eine schöne Stadt. Es ist die Hauptstadt von Französisch-Senegal. Ich fand bald den Weg zur Polizeiwache, die in einer Kaserne im Europäerviertel war, und meldete mich in der Wachtstube. Ein weißer Unteroffizier hatte das Kommando. Er sah mich unfreundlich an und ließ mich in das Zimmer des Offiziers treten, der mich fragte, was ich wolle.

Ich sagte, ich sei Schiffsheizer, sei hier an Land gesetzt worden, sei mittellos und müsse auf eine Gelegenheit zur Weiterfahrt warten. Ich bäte, mir einen Rat zu geben.

Da es spät geworden war, befahl der Offizier, ich solle für heute erst mal Unterkunft und Essen bekommen, morgen solle ich mich dann wieder melden.

Die schwarzen Soldaten gaben mir Brot und Bananen. Ich war sehr hungrig und ließ es mir gut schmecken. Dann legte ich mich auf einen Strohsack, der in einem dunklen Nebenraum lag und mir als Schlafplatz angewiesen worden war.

Die Soldaten lachten und lärmten, dennoch schlief ich bald ein und merkte erst am Morgen, daß ich in einem Raum für Schwarze geschlafen hatte. Ich wusch mich draußen am Brunnen.

Als ich mich wieder beim Unteroffizier meldete, wurde ich grob angefahren, ich solle abwarten. Ich ging auf den Kasernenhof, setzte mich auf eine Bank und sah zu, wie die Senegalneger im Marschieren, Hinwerfen und Schießen für den europäischen Krieg ausgebildet wurden. Die Rekruten übten mit dem neuen Lebelgewehr, der schlanken Waffe, an der das lange Rohr und das breite Magazin auffallen. Die weißen Unteroffiziere gingen sehr hart mit den Negern um.

Wie mancher dieser einfältigen Neger mag jetzt schon nach schweren Enttäuschungen den Tod gefunden haben und in Frankreichs kalter Erde schlafen!

Ein Neger, der mir mein Frühstück brachte, trug gute Schuhe, während die anderen barfuß gingen; er war also schon »für Deutschland« ausgerüstet.

Er war Soldat erster Klasse (Gefreiter) und trug auf dem Ärmel einen roten Streifen. Als ich ihn ausfragte, wurde er gleich sehr lebhaft. Er sprach das eigentümliche Französisch all dieser Negersoldaten; das ›r‹ sprach er wie ›l‹ aus: ›legiment‹. Er prahlte: » Moi tuer beaucoup boches« und »ich werde vielen Deutschen die Köpfe abschneiden«. Dann machte er seine Glossen über die dummen Rekruten, die auf dem Hof ausgebildet wurden; er mußte doch zeigen, daß er schon sechs Jahre diente.

Als ich gefrühstückt hatte, wurde es mir langweilig, hier weiter zuzusehen, und ich wollte einen Gang in die Stadt machen. Am Tor aber wurde ich durch einen Neger aufgehalten, der hier Posten stand und mir den Weg versperrte.

Ich war von den deutschen Kolonien unbedingte Unterordnung der Schwarzen unter jeden Weißen gewohnt, und es wurde mir recht schwer, diesem Neger zu gehorchen. Als ich mit dem Neger einen Wortwechsel hatte, trat ein Unteroffizier aus der Wachstube und fuhr mich an: »Das könnte dir wohl passen, hier zu fressen und dann die Stadt unsicher zu machen«. So ging ich denn in den Raum, in dem sich die Unteroffiziere nach dem Dienst versammelten, und machte mich dort etwas nützlich. Die Korporale kamen herein, wischten sich den Schweiß von der Stirn und schimpften über den Dienst: »Wir sind doch nicht herausgekommen, um uns mit Exerzierdienst abzurackern, wir wollen nach Deutschland«. »Ach«, sagte einer, »wenn wir endlich hinkommen, ist Deutschland längst erledigt, und wir haben das Nachsehen.« Das war's, was alle fürchteten.

Gegen Mittag kam ein Beamter, ein älterer Herr, der sehr sauber angezogen war und mich freundlich und teilnehmend ausfragte. Ich gab an, ich sei aus dem Krankenhause in Kotonou entlassen worden und sei dann als Kohlentrimmer hierher verschlagen worden. Ich zeigte meinen Schein, in dem stand: »Der Schweizer Kirsch ... unsicher«. Es war mein Glück, daß niemand hier an dem »Schweizer« zweifelte. Der Beamte sah sich den Schein an und fragte: »Was wollen Sie denn jetzt machen; haben Sie Geld?« »Nein.« »Wie wollen Sie denn nach Europa kommen?« »Ich will mir das Geld auf der Überfahrt verdienen.« »Das geht nicht; Sie haben doch schon schlechte Erfahrungen gemacht. Die Schiffe haben Leute genug. Die Kapitäne nehmen außerdem lieber schwarze Trimmer. Und dann: nach Ihrer Vorgeschichte wird Sie wohl kein Kapitän gern annehmen.«

Er schien zu überlegen. Auf einmal fragte er: »Haben Sie eigentlich in der Schweiz schon gedient?« »Nein.« »Sie werden aber jetzt in Ihrer Heimat dienen müssen. Ist es Ihnen gleich, wo sie Soldat sind?«

Ich wußte noch nicht, wo das hinaus sollte, als er schnell fragte: » Voulez-vous vous engager dans la légion?« (Wollen Sie nicht in die Fremdenlegion eintreten?)

Ganz entrüstet rief ich aus: »Ich will nichts mit der Legion zu tun haben!«

»Was haben Sie denn von der Legion gehört? Etwa von dem Lebendig-begraben-Werden ( la crapaudine), oder von dem An-Händen-und-Füßen-gefesselt-im-glühenden-Sande-Liegen? Das sind ja alles Schwindeleien, die das neidische Deutschland aufgebracht hat.«

»Übrigens,« sagte er forschend: »Wie stehen Sie denn zu Deutschland?« Er schien an das Wort » non justifié« zu denken und Verdacht zu haben, daß ich ein deutschfreundlicher Schweizer sei. Deshalb sagte ich: »Ich bin als Schiffsheizer einmal in Hamburg gewesen und habe da schlechte Erfahrungen gemacht: man hat mich da nicht behandelt, wie ich es in der Schweiz gewöhnt bin; in Deutschland ist mir zu viel Polizei.« Er lächelte verständnisvoll, und ich dachte: Wie blöde doch die Menschen sind, daß ihnen ein einziges Vorurteil genügt, um ein Land und ein Volk zu kennzeichnen.

»Können Sie Deutsch sprechen?«

»Ja, ich hab's gelernt, aber bei uns zu Hause sprechen sie nur Französisch.«

Als ich sagte, ich sei in Montreux geboren und wohnte in Genf, fragte er: »Wo wohnen Sie denn in Genf?«

Gerade jetzt kam ein Mann herein und legte eilige Briefe, die unterschrieben werden mußten, auf den Tisch. Ich besann mich schnell, daß mein Freund mir ja seine Wohnung geschrieben hatte: Rousseaustraße 11.

Als der Herr mit seinen Unterschriften fertig war, fügte er: »Na, nun zu unserer Sache. Wo wohnen Sie also?«

»Rousseaustraße 11.«

»Wohnen Ihre Eltern noch da?«

Ich glaube, ja.«

Nun fing er wieder an, die Fremdenlegion zu loben, sagte, daß es sehr zweifelhaft sei, ob ich als Schweizer Soldat je zum Schlagen käme, und nannte eine ganze Zahl ruhmvoller Siege der Legion. »Sie wissen doch wohl, daß die Schweizer Soldaten stets › les soldats les plus fidèles de la France‹ (die treuesten Soldaten von Frankreich) gewesen sind? Mit Ihren Kenntnissen können Sie es schnell zum Offizier bringen.«

Ich sagte: »Ich will aber nicht Fremdenlegionär werden.«

»Es ist gut«, sagte er kurz und verstimmt.

Ich blieb stehen.

» C'est bon«, wiederholte er.

Ich ging hinaus und bummelte, um mir Essen zu holen, zum Sergeanten. Der fuhr mich an: »Denkst du denn, du seiest hier nur zum Fressen?« und gab mir gleich nach dem Essen auf, die Wachtstube zu fegen. Das war eigentlich die Arbeit der Schwarzen, und die freuten sich, daß ich, ein Weißer, ihre Arbeit tun mußte.

Es vergingen zwei Tage. Ich schlief jede Nacht in demselben Raum und besorgte tags das Essen für die weißen Unteroffiziere. Sie waren bald nicht mehr unfreundlich, weil ich mich bescheiden benahm und einer gesagt hatte, es sei unrecht, mich in Gegenwart der Schwarzen so schlecht zu behandeln.

Oft fragten mich die Unteroffiziere nach meinen Abenteuern und hörten gern zu, wenn ich erzählte. Sie fragten auch nach den Deutschen, und ich erzählte allerlei von dem deutschen Militär.

Einer der Dampfer hatte große Warenballen mit dicken Tuchuniformen gebracht, die auf dem Hof geöffnet wurden. Die Schwarzen, die diese Uniformen auf die Kammer tragen mußten, hatten an den schönen Sachen ihre große Freude. Es waren die neuen Uniformen für das nördliche Klima.

Die Unteroffiziere bekamen Post aus Europa. Man hörte von einem Angriff gegen Mülhausen und von großen Siegen der Franzosen. Die Unteroffiziere sagten: »Wir werden wohl schon morgen in Straßburg sein.« Wenn aber eine Nachricht nicht gut klang, erinnerten sie sich an Joffres großen Sieg an der Marne, wovon alle Welt sprach. Einer erhielt eine Karte, auf der eine alberne Darstellung des Kaisers war.

Nach zwei Tagen wurde ich wieder zu dem Beamten gerufen: »Hören Sie mal,« sagte er streng, »Sie haben mich belogen: »Ich habe mich mit dem Schweizer Konsulat in Verbindung gesetzt, Sie stammen gar nicht aus Genf.«

Ich glaubte ihm nicht, daß er sich erkundigt habe, und sagte dreist, ich hätte doch keinen Grund, ihn zu belügen. Da sagte er, die Rousseaustraße sei eine sehr vornehme Straße, da könne ich nicht her sein. Er hatte wohl inzwischen jemand getroffen, der Genf kannte, und hatte dabei Vermutungen gehört, daß meine Angaben vielleicht falsch seien. Ich fand aber schnell eine Ausrede und sagte: »Mein Vater ist Pförtner, weshalb soll er nicht in einem feinen Hause angestellt sein?« Die Antwort genügte dem Beamten.

Der Herr sprach sehr langsam; nur wenn er auf die Legion zu sprechen kam, wurde er lebhaft. Als er mich entlassen hatte, überlegte ich, ob es nicht möglich sei, auf dem Wege über die Legion nach Deutschland zu gelangen. Ein großer Dampfer sollte abgehen. Der Neger, der mir zuerst das Essen gebracht hatte, kam zu mir und freute sich kindisch, daß er nach Frankreich reisen durfte. Da sagte ich mir: Mußt du weg, dann auch auf diesem Dampfer. Das ging doch immer näher nach Europa.

In der Wachtstube war ein Unteroffizier, der wegfahren sollte. Der war sehr froh, die anderen aber schimpften. Ich hörte auch die Worte: »Na, wenn wir hinfahren, dann werden wir uns aber in Las Palmas nochmal amüsieren.« Ich kannte Las Palmas von früher. Nun war mein Plan gefaßt. Ich wollte mich zur Legion melden, als Rekrut nach Las Palmas mitfahren und entfliehen. Dort wäre das für mich ein leichtes gewesen.

Gegen drei Uhr kam der Beamte wieder. Ich wartete am Tor auf ihn, ging ihm nach und sagte: »Ich habe mir die Sache überlegt, ich will in die Legion eintreten.«

»Wirklich? Das ist brav. Kommen Sie heute abend wieder.«

Bald danach stand ein »gutes« Essen für mich bereit: Eier mit Speck, Wein und Fleisch. Ich hatte großen Hunger und ließ mich nicht lange nötigen. Alle Leute schienen jetzt freundlicher zu sein als vorher.

Als ich den Beamten gegen Abend aufsuchte, legte er mir einen Zettel vor, auf dem ich die Worte las: »Ich verpflichte mich, als Soldat in die Fremdenlegion einzutreten.« Mit Tinte war geschrieben: » pour la durée de la guerre« (auf Kriegsdauer). Die Worte » pour cinq années« (auf fünf Jahre) waren durchgestrichen.

Der Beamte gab mir die Feder in die Hand. Ich war sehr aufgeregt, stieß mit der Feder ins Papier und machte eine sehr schlechte Unterschrift.

»Na ja«, sagte er und reichte mir die Hand. In der Wachstube drückten mir alle begeistert die Hand, als sie von der Sache hörten. »Du hast ja noch mehr Glück als wir alle«, hieß es, »du kannst gegen die Boches (Schimpfname für Deutsche) gehen.« Den ganzen Abend wurde getrunken, und man vergiftete sich auf aller möglichen Menschen Gesundheit mit Alkohol. Am meisten geschimpft wurde auf den Kaiser und sein Haus. Es war Abscheu erregend, welche Albernheiten diesen Leuten über den Kaiser erzählt worden waren. In einer Zeitung stand, der Kronprinz habe in einem Quartier Wertsachen gestohlen. Einer hatte eine Karte, auf der stand: » la culture« (die Kultur). Die Abbildung zeigte einen vollbärtigen Deutschen, der seiner rothaarigen Brunhilde eine gestohlene Wanduhr bringt: »Hier bringe ich dir ein schönes Geburtstagsgeschenk.«

Absinth war verboten. Heute wurde zuerst Wein getrunken, dann aber holte jemand aus einer Ecke eine Flasche hervor, und es wurde doch »Pernot« eingeschenkt. An den Wänden hingen die grellen, farbigen Bilder der französischen Zeitungen und viele Postkarten. Die meisten stellten den General Joffre dar.

Am nächsten Morgen wurde ich auf eine Schreibstube gerufen. Scheine wurden für mich ausgeschrieben und ich bekam etwas Taschengeld. Ich mußte dann zu der Geschäftsstelle der Dampferlinien.

Viele Frauen waren auf den Straßen und sahen mir nach. Einigen erzählte ich Räubergeschichten über mich, und man wünschte mir Glück. In der Kaserne nahm ich rührenden Abschied. Die Unteroffiziere ließen sogar noch ein Glas Wein bringen. Ich war guter Stimmung, denn ich hatte mich, wie immer, auch am Abend vorher vom Trinken zurückgehalten und freute mich jetzt auf Las Palmas.

Auch an Bord des Dampfers war am Nachmittag ein großes Abschiedfeiern. In Dakar war ein Bürgerkommando. Einige davon fuhren nach Europa. Die wurden von den Zurückbleibenden beneidet und stierbetrunken gemacht.

Am Nachmittag kamen Senegalsoldaten und wurden im Zwischendeck verstaut. Gegen Abend wurde der Dampfer abgeschleppt. Wieder war ein Heidenlärm.

Durch ein Gewirr von Fischerbooten steuerte der Dampfer der Ausfahrt zu.

Ich blieb längere Zeit an Deck und sah den Schwarzen zu, die Essen bekamen. Viele der jungen Neger blieben noch an der Reling stehen und sahen nach der Küste zurück. Ich dachte, das ist so die Stimmung, die man sich in Deutschland vorstellen mag: die unschuldigen Kinder der Wildnis werden zur Schlachtbank geführt. Die meisten Neger wußten nicht, was ihrer wartete. Sie wußten nicht, welcher Hölle sie entgegenfuhren. Nicht einmal große Geschütze kannten sie, viel weniger konnten sie sich ein Bild von den Schrecken des Krieges machen.

Ich hörte, wie die Sergeanten schimpften, weil die Schwarzen allerlei Geräte aus der Wildnis mitgenommen hatten: Fetische, Amulette, große Messer, Hausgeräte, Matten und Trinkkalabassen. Das Zwischendeck war voll von Negern. Die Leute waren buchstäblich zusammengepfercht und litten dadurch doppelt unter der Seekrankheit.

Ich ging in den 3.-Klasse-Raum und sah mir den Platz an, der mir angewiesen worden war. »Ihr werdet nicht allein sein,« sagte der Steward, »wir haben schon Kolonisten vom Kongo, die zu den Waffen eilen. Sucht Euch mal eine Koje aus.« Ich bekam zwei wollene Decken. Die meisten meiner Gefährten waren Unteroffiziere der Kolonialtruppen. Die fragten mich gleich: »Wo kommst du denn her? Wo willst du denn hin?« und sagten wohlwollend: » Tu n'as rien à craindre dans cette boîte« (du hast auf diesem Kasten nichts zu fürchten). Es herrschte ein freier militärischer Ton, und ich fühlte mich unter meinen Kameraden recht wohl. Sie halfen mir, eine gute Koje suchen. »Jetzt wollen wir aber mal futtern!« hieß es dann. »Wer ist denn an der Reihe, das Essen zu holen?« Der Wein fehlte nicht. Jeder bekam einen Viertelliter. Während des Essens wurde ich freundlich befragt, und man sagte: »Das ist ja recht von dir, daß du dich hast anwerben lassen. Frankreichs gerechte Sache muß siegen.« Die Unteroffiziere erzählten von den ersten Gefechten im Kongogebiet und wußten, daß die Deutschen in Kamerun nicht viele Truppen hatten.

Der Dampfer hatte schon eine ganze Menge Soldaten vom Kongo. Die Senegalneger hatten viel Geld bekommen. Sie saßen deshalb unter dem Sonnendeck und spielten Karten. Sie hatten eine unheimliche Spielwut und stritten sich heftig. Darüber erregte sich besonders ein junger Sergeant. Unteroffiziere, die ihre Tropenausrüstung noch hatten, verkauften den dummen Schwarzen ihre Sachen und redeten ihnen ein, sie könnten sie in Frankreich gut gebrauchen.

Als Fahrgast der 3. Klasse hörte ich die Gespräche meiner Mitreisenden an. Kein Franzose zweifelte daran, daß die Deutschen den Krieg gemacht und schon lange vorbereitet hätten. Der Fall von Antwerpen wurde als ein Verrat hingestellt. Es hieß: Schon vor dem Kriege seien alle Festungen besiegt gewesen. Eine solche Hinterlist sei kein Kunststück und werde gerächt werden. Nur der schweren Artillerie sei es gelungen, diese Festungen zu nehmen. Von den 42er Geschützen wurden märchenhafte Schilderungen gegeben. Die Brücken, hieß es, mußten verstärkt werden, um die schweren Kanonen fortzuschaffen. Viele Deutsche seien vor dem Kriege nach Belgien gekommen und hätten Tennisplätze angelegt, die als Stände für die Geschütze gebraucht werden sollten. Diesmal aber komme es anders als 70. Die Siegesgewißheit war groß. Die »russische Dampfwalze« spielte dabei eine große Rolle.

Von Grand-Bassam wurden zwei Deutsche angebracht, die an Bord der »Afrique« die Reise als Gefangene fortsetzen sollten. Morgens wurden sie von Schwarzen über Deck geführt. Die Franzosen belästigten sie nicht, sondern machten ihre Bemerkungen erst nachher. Die Herren waren, wie ich hörte, in einer Holzfirma beschäftigt gewesen. Es hieß, sie seien Reserveoffiziere, der eine sei Ulan. » Les sales boches« (die dreckigen Boschs) und »Diese Uhrendiebe« murmelten besonders die jüngeren Leute, die fast immer genug getrunken hatten. Der Begriff »Uhrendieb« war allen geläufig. Bei Tisch gingen Zeichnungen des Elsässers Hansi herum, darauf war dargestellt, wie die Deutschen zu allen Zeiten Raubzüge machten, um Uhren zu stehlen. Auf der ersten Zeichnung schleppte ein halbnackter Germane eine große Sonnenuhr.

Die Kaufleute, die an Bord mitfuhren, sprachen abfällig von dem deutschen Handel und sagten, Deutschland habe minderwertige Ware verbreitet. Die tollsten Greuel wurden erzählt, die die Deutschen den Belgiern angetan haben sollten, das steigerte den Haß. Dazu kam die Begeisterung des Augenblickes.

Unter den Fahrgästen war auch ein Südfranzose mit Namen Raoul Gazagne. Schon der Name klang nach seiner südfranzösischen Heimat. Wie der Hamburger »Hein« genannt wird, so wurde Raoul von den Mitreisenden »Marius« genannt, weil er lange in Marseille gelebt hatte. Er hatte einst bei der Kriegsmarine gedient und war dann als Maschinist in den Dienst einer Compagnie forestière auf den Flußdampfern des Sanga gefahren, also in dem Gebiet, das am Deutsch-Kamerun abgetreten worden war. Die Schiffe gingen damals mit allen Beamten in die Verwaltung der deutschen Firma über. Gazagne hatte sich nach Ausbruch des Krieges, nachdem die Deutschen ihm den Lohn gegeben hatten, in Matadi gemeldet und war mit dem nächsten Dampfer nach Frankreich in Marsch gesetzt worden. Er erzählte von Schiffen, die bei Beginn des Krieges im Sanga versenkt worden seien; auch große Leichter mit Elfenbein seien dabei gewesen.

Es waren da auch ein Korporal der Kolonialinfanterie und zwei Soldaten. Der Korporal war ein kleiner, gesprächiger Mensch und hatte viel Witz. Er paßte da zu dem Kellner, und alle hörten gern zu, wenn die beiden sich in ihren drolligen Ausdrücken unterhielten. Der eine der Soldaten, ein riesiger Kerl, schimpfte über alle Maßen auf die Deutschen. Wenn selbst die Franzosen an seinen Reden zweifelten, sagte er: » Je le sais bien, puisque je suis de l'est!« (Ich bin von der Ostfront, ich muß das wissen!) Er war aus Nancy. Übrigens war er schon mehrmals degradiert worden und sprach nur davon, daß er auf den Zivilversorgungsschein arbeite. Vom ersten Tage an ärgerte er mich durch sein rohes Wesen.

Vor dem Mannschaftsraum waren in einer Kabine zwei ergraute schwarze Feldwebel untergebracht. Ich wurde aufmerksam auf diese Neger, die in ihrer langen Dienstzeit ganz wie Europäer geworden waren. Sie hatten weiße Kinnbärte.

Auch die Reisenden, die schon an Bord gewesen waren, feierten stark und standen unter Alkohol.

Marius sagte zu mir: »Was sitzest du da? Warum trinkst du nicht?« »Ich habe kein Geld«, sagte ich, ohne mich dessen zu schämen. »Na, komm mal her, ich gebe einen aus!« Wir setzten uns in die dritte Kajüte. Plötzlich erhob sich großes Geschrei. Ein Trupp Leute kam. In der Mitte ein langer Kerl, ein schön gebauter Mensch. Er war abgeteilt worden, in Dakar zu bleiben. Aber er und zwei andere hatten sich auf dem Dampfer verborgen, um in Frankreich mitzukämpfen. Er hatte sich in der Kombüse hinter dem Kohlenkasten versteckt. Ein anderer wurde aus der Anrichte herausgeholt.

Das war ein feiner Grund zum Trinken. Alle Fahrgäste wollten den drei Helden zutrinken. Die Leute wurden aber erst einmal zum Verwalter und Kapitän gebracht. Der sagte, er wolle sie im nächsten Hafen von Bord geben.

An Bord befanden sich auch viele Belgier und einige Deutsch-Schweizer. Manche Belgier waren den ganzen Abend nicht nüchtern. Am Abend gab es patriotische Kundgebungen.

Als der Lärm unten zu groß wurde, ging ich mit Marius an Deck. Wir sahen in den Speisesaal der ersten Klasse. Da saßen viele Offiziere in Galauniform. Ich fragte Gazagne nach den einzelnen Abzeichen und lernte, was ein Sous-Lieutenant, was ein Kapitän, ein Kommandant und ein Kolonel sei.

Ich hatte am Abend nur so getan, als ob ich mitmachte, stand am folgenden Morgen früh auf und wusch mich an Deck. Die andern lagen noch in ihren Kojen und schliefen ihren Rausch aus. Ich hatte nur Vorteil von meiner Nüchternheit und Frische und konnte mich auch über die Reise freuen, die mich der Heimat um so viel näher brachte.

Am zweiten Abend schloß der Steward alle Fenster. Das Licht wurde abgestellt. Man hörte, wie die Maschinen arbeiteten, und ich lief an Deck. Es war aber nichts zu sehen. Die tollsten Gerüchte kamen auf. Man sagte, deutsche Schiffe seien in der Nähe. Als Offiziere hereinkamen, wurde bekannt, der Kapitän habe einen Funkspruch erhalten, er solle nicht nach den Kanarischen Inseln fahren, dort sei ein deutscher Hilfskreuzer gesichtet worden. Ich war in großer Erregung. An die Möglichkeit, von einem deutschen Kriegsschiff aufgenommen zu werden, hatte ich noch gar nicht gedacht und war voll Hoffnung. Später erfuhr ich, daß in der Tat der Hilfskreuzer »Kronprinz Wilhelm« in der Nähe gesehen worden war.

Der Kreuzer »Friand« begleitete uns. Die Begeisterung über das Kriegsschiff war groß.

Wir kamen am Abend des dritten Tages nach Cap Juby. Am äußersten Landvorsprung lag eine »Casba« mit flachem Dach, ein weißes Gebäude, das sich von dem schwarzen Hintergrund der Felsen abhob. Es wehten drei Flaggen darauf. Man sah danach aus, und erkannte, als wir näherkamen, drei Flaggen: die marokkanische, die spanische, und eine dritte, die noch nicht zu bestimmen war. Endlich glaubte einer, die deutschen Farben zu sehen, und hatte recht. Wahrscheinlich hatten die Marokkaner die Besatzung des Forts getötet.

Der »Friand« setzte ein Boot aus, und vertrieb die paar Marokkaner, die sich den Streich mit der Flagge erlaubt hatten.


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