Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Erster Theil
Henriette Paalzow

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Es war die schönste Sommernacht. Der Mond war eben aufgegangen. Die Baumpartieen des Gartens traten aus der dunklen Masse hervor und waren mit dem sanften Glanz übergössen, der ihnen zwar die Farbenpracht raubt, aber ihre Formen an Rundung und Fülle zu verschönern scheint. Sie wendeten sich rechts nach der Abendseite des Schlosses, wo die Blumengärten lagen, die nur durch einen Kiesweg und ein kleines Bassin von den Zimmern getrennt waren, die hier hinaus ihre Fensterthüren öffneten. Der Baumwuchs, der den übrigen Garten sehr schattig machte, trat hier zurück und schützte nur in gemessener Entfernung die kleineren Sträuche und die Blumenparterre's gegen den Wind. Diese Zimmer hatten die schönste Luft und wurden für die gesundesten des Hauses gehalten. Die beiden Kabinette, in denen die armen Kinder ihre Schlafstätte gefunden, lagen neben einander: durch eine Thür im Innern verbunden, hatte jedes nach dem Blumengarten noch eine Flügelthür, die mit ihren Scheiben dem Zimmer Licht gab. Beide waren auf gleiche Weise in seinem Holze getäfelt und durch zierliche Vergoldungen verschönt. Alle Meubles waren in derselben Art wie die Wände; einfach für die Ansicht der gewohnten Ausstattung, glänzend für die Lage, der die Kinder so eben erst entrückt waren.

Beide waren nach einem behaglichen Bade zuerst in die Kleider gehüllt worden, die ihnen nun zugetheilt werden sollten, und es war das feine Gefühl der Fürstin zu erkennen, daß die erste Veränderung darin in dem schmucklosen, blendendweißen Nachtkleide bestand, welches die schönen Gestalten wie die Engelsgewänder von den Schultern an in weiten Falten verhüllte. Man trat vom Garten aus zuerst in die geöffnete Thür, die nach Hedwiga's Zimmer führte, welches dicht neben dem Schlafgemach der Fürstin lag. Im Hintergrunde stand das kleine Bett, von dem die Vorhänge weit aufgeschlagen waren; der Mond erhellte die duftenden Blumenbeete vor dem Zimmer mit seinem klaren Licht, und der Widerschein beleuchtete das schöne Kind. Die warme Nacht und der Schlaf nach dem aufregenden Tage hatten die Wangen und Lippen des Kindes mit dem glühendsten Roth gefärbt. Die Decke war zurückgeschlagen und es hatte unendlich lieblich seinen kleinen rosenrothen Fuß in die Hand genommen, wodurch es so leicht und gehoben ruhte, als habe es tanzend der Schlaf überrascht. Das wunderschöne Köpfchen lag mit geöffneten Lippen hintenüber, so daß man unter dem Kinn die reizenden Linien des seinen Halses sah. Die Augen hatten den verklärten Ausdruck, als sähen sie unter den geschlossenen Augenlidern nach oben, und jeden Augenblick schien es, als müsse sich die leichte Decke öffnen. Die Rosen der Prinzessin waren so dicht in die vollen Locken genestelt, daß die alte Kammerfrau sie auf Bitten des Kindes darin gelassen hatte; sie drängten sich um die Schläfe vor, als wären sie neugierig, ein Kind zu sehen, das so schön als sie selber war. Die, welche das Mieder geziert, hatte das Kind fest mit dem andern weißen Händchen gepackt und drückte sie an die Brust. Die selige Ruhe des Schlafes war über dies bezaubernde Bild gegossen, und doch schien es, als sei es davon mitten im Tanzen überrascht, mitten im Aufjauchzen holdseliger Freude.

Stumm und gerührt blickten Alle auf sie hin und Lacy namentlich schien, völlig in ihren Anblick verloren, nichts um sich her weiter zu beachten. »Gott segne Dich, mein liebes Kind,« sagte endlich die Fürstin mit sanfter, thränenbewegter Stimme. Sie bog sich nieder und küßte die leuchtende Stirn; als sie aber zu Lacy umblickte und ihm die Hand reichte, rief dieser: »Ich glaube mich endlich zur Klarheit durchgedrungen zu haben, warum dies Kind mich mit Erinnerungen peinigt und solche Gewalt über mich ausübt. Die jetzige Ruhe seines Anblicks zeigt mir die große und auffallende Aehnlichkeit des Kindes mit einem Bilde, welches in dem Schlafgemach meines Oheims hing. Es war von ihm wie ein Heiligthum gehegt und erweckte in mir als Knaben eine so leidenschaftliche Bewunderung, daß ich sagen kann, es war meine erste Liebe. Das Bild stellte die Prinzessin von D. vor, von der es hieß, mein Oheim habe sie geliebt und sogar Hoffnung zu ihrem Besitz gehabt.«

»Sie muß sehr schön gewesen sein,« erwiederte die Fürstin – »und Sie werden mich auf Hedwiga eifersüchtig machen; darum kommen Sie zu dem Knaben, wir müssen beide Kinder in ihrer Ruhe belauschen; sie verräth so viel von der augenblicklichen Gesinnung – und ich muß wissen, ob es Ihnen so recht ist – ob Ihnen meine Einrichtung gefällt.«

Der Knabe lag grade ausgestreckt auf dem Rücken. Sein kleines, von Guntram verfertigtes Rapier, das ihn begleitet hatte und das er gewohnt war mit zu Bett zu nehmen, lag auch jetzt, die Spitze zwischen den Zehen beider Füße, das Kreuz des Griffes auf der Brust, darüber die geschlossenen Hände. Die gerade feste Stellung, das lange weiße Nachtkleid, das schöne ernste Gesicht des Knaben machte auf Alle einen lebhaften Eindruck. »Er sieht wie der Denkstein auf dem Grabe eines jungen Ritters aus!« sagte Georg Prey.

»O nein!« entgegnete die Fürstin – »und doch fühle ich mich auch an ein schönes Denkmal erinnert.«

»Wie ein junger Ritter, der seine erste Waffenwache hält, sieht er aus!« fügte Lacy hinzu. »Ich wollte nicht rathen, ihm das Degenkreuz zu entwinden!«

»Ach nein,« hob Gertraud schüchtern an – »ich gab nur nach, daß er es mit zu Bette nahm, weil mir Bernhard sagte, wir könnten es ihm leicht nehmen, wenn er schliefe. Aber als wir es jetzt versuchten, da hat er es noch viel fester gepackt und er hat noch die Falten auf der Stirn – so zornig zog sich das fest schlafende Gesicht.«

»Claudia,« sagte der Graf, als er sie zurück führte – »lassen Sie morgen Frau Mora rufen und suchen Sie das Geheimniß zu enthüllen, das über diesen Kindern schwebt. Meine Ahnung täuscht mich sicher nicht. Wir werden etwas Anderes erfahren, als bis jetzt vorgegeben ward.«

»Ich kann mich derselben Meinung nicht entziehn,« erwiederte die Fürstin – »und bin Ihnen in meiner Ueberzeugung näher, als meine Neckereien Ihnen bisher zugestanden.«

Dennoch sollte die Hoffnung einer zu erlangenden näheren Nachricht noch für längere Zeit unbefriedigt bleiben; denn Gertraud, welche sich anderen Tages nach dem Ursuliner-Hof begab, um Frau Mora zur Fürstin zu bestellen, fand die Hütte leer und verschlossen, und erhielt von der weinenden Bäbili den Bescheid, daß Mora von ihr Abschied genommen und ohne ihr über den Zweck ihrer Entfernung Auskunft zu geben, sie noch am vorigen Abend verlassen habe, allerdings mit der Zusicherung, dereinst wiederzukehren. Eben so waren Frau Barbara Hülshofen und Magda Tags vorher abgereist; wie Bäbili versicherte, die eine nach Nord, die Andere nach Süd, und Bäbili's Thränen über diese plötzliche Vereinsamung flossen so heftig, daß Gertraud es aufgab, mehr von ihr zu erfahren.

Ende des ersten Theiles.


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