Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Erster Theil
Henriette Paalzow

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Diese Gedanken wurden durch Hedwiga unterbrochen, die wie ein Pfeil aus dem Hause hervorschoß und in vollen Sprüngen auf den Grafen zukam. Sie war heute wieder mit ihrem ärmlichen Röckchen und einer kleinen Jacke von demselben Zeuge reinlich, unversehrt und unbeschadet ihrer Schönheit bekleidet.

»Kannst Du nicht herüber klettern?« sagte sie sogleich – »dann sind wir alle beisammen und Du kannst Dich auch an den Brunnen niedersetzen.«

Dies leuchtete dem Grafen ein. Leicht schwang er sich über den Zaun und fand ein eigenes Behagen darin, sich auf diesem Boden zu finden und auf der Bank, wohin ihn Hedwiga zog, neben ihr Platz zu nehmen.

»Hör', Hedwiga! die Fürstin Morani schickt mich, Sie will Dich zu sich nehmen – Du sollst ihr Kind sein – Du sollst etwas lernen, um ein braves fleißiges Mädchen zu werden. Willst Du mit mir gehn?«

»Und Mora?« fragte das Kind, ihn mit seitwärts gebogenem Kopf anblickend – »Egon soll auch ein Mann werden und nicht daheim bleiben – trotz dem, daß wir eine neue Ziege bekommen – wo bleibt denn aber meine Mora?«

»Ich werde mit ihr selbst sprechen,« sagte der Graf – »gewiß muß für sie gesorgt werden!« Willst Du dann mit mir gehn?«

»Das will ich, denn Mora erlaubt es schon seit lange. Wenn ich was lernen soll, dann ist es Zeit, meinte sie, und der guten alten Fürstin, der wollten wir's anbieten – und Egon will auch zu ihr.«

Als der Graf antworten wollte, standen Mora und Magda vor ihm. Die Frau war alt, und obwohl ihr Gesicht frisch und gutmüthig aussah, waren doch alle Züge gemein. Der Graf war überzeugt, die Kinder könnten nicht ihre eigenen sein. »Ihr seit Frau Mora,« sagte er freundlich, indem er ihr entgegentrat! Das Weib bejahte die Frage und ihr Auge ruhte forschend auf ihm. Mit einfachen Worten theilte er ihr jetzt seine Absicht mit und forderte von ihr die Erklärung, wer die Kinder wären, da sie unmöglich die ihrigen sein könnten.

Mora blickte mit düsterem Ausdruck auf den Grafen, dann sagte sie: »Der Armuth und dem Unglück traut man nie viel zu – die Vornehmen denken, das Gute wäre all' für sie allein. Daß ihr und die Fürstin die Kinder nehmt und was daraus erzieht nach Eurer Weise, dagegen habe ich nichts, denn sie sind es werth von Innen und von Außen, und Ihr werdet es nicht bereuen. Aber nicht ganz darf ich die Hand von ihnen ziehen und will ich auch nicht mit ihnen gehn, was ihnen nicht gut thun würde, will ich doch wissen, wo sie bleiben und nachsehen dürfen, wie es ihnen ergeht. Wenn Ihr sie nehmt, so denkt, daß es armer Leute Kinder sind, die ihre Eltern verloren, daß ihre Mutter meine Tochter war. Wir kamen aus Franken, wo uns Brandunglück verfolgte, als Bettler hierher, und sind wenig mehr geworden – die Kirche, das Pfarrhaus brannte mit ab – Beweise kann ich Euch nicht schaffen – auf das, was ich sage, müßt Ihr sie hinnehmen.«

Die etwas rohe Art der alten Frau trug dennoch den Karakter des Unbezwinglichen an sich. Der Besitz der Kinder war dem Grafen die Hauptsache; das Geheimnißvolle, was in ihrer Existenz lag, schien ihm mit ihrem Besitz nothwendig zuzufallen – die Erklärung durfte er der Zeit überlassen und der milden Freundin, in deren Händen er sie jetzt zu übergeben trachtete. Ebenso mußte er sich in Mora's Willen fügen, welche es rauh versagte, sie ihm mitzugeben und dagegen versprach, sie den Abend zu bringen.

Als er hiemit fertig, sich nach Magda umsah, war diese verschwunden. Sein erstes Gefühl war, nach ihr zu fragen – von ihr Abschied zu nehmen. Wie es kam, daß er im nächsten Augenblick über den Bretterzaun sprang und in Frau Mora's Hof stand, wußte er selbst nicht – er verließ das Ursulinerstift, ohne sie gesehn zu haben, ohne Nachfrage nach ihr zu thun.


Am Abend desselben Tages befand sich eine Dame in vornehmer Tracht, von dunkler Farbe, wie es den gealterten Zügen passend war, in einem großen düstern Gemach der kaiserlichen Burg, welches im Erdgeschosse liegend, schwerfällig gewölbt und mit tiefen Fensternischen, mehr einem Kloster als dem heitern Aufenthalte eines kaiserlichen Hofstaates zuzugehören schien. Der Sommer half diesen Räumen nicht viel, die Sonne drang nicht durch die unbeschnittenen dicken Lindenbäume, die in diesem ganz vergessenen Theile des kleinen Burggartens sich fest in einander verschränkt hatten, und an denen aus dem feuchten Grunde ein dichtes Geflecht von kleinem Unterholze und Epheu mit wilden Weingewinden sich wuchernd in die Höhe drängte. Die Luft in diesen Gemächern blieb immer düster und nebelartig, feucht und kalt, und in den großen Kaminen brannte mitten im Sommer – sobald sie bewohnt waren – ein begütigendes Feuer.

Die alte Dame hatte sich so eben bemüht, von dem reichen Holzvorrathe die sinkende Glut des Kamins zu erhöhn, um sich dann in einem Lehnstuhl an der belebten Luft zu pflegen, als die Uhr hinter ihrem Rücken eilf schlug und die alte Dame nun etwas unzufrieden den Kopf schüttelte und einen leer vor ihr stehenden Lehnstuhl noch näher zum Feuer schob, den mit Pelz gefütterten Sammetmantel, der darüber hing, ausbreitete und das seidne Fußkissen dicht davor schob. Sie erwartete Jemand, das war leicht zu merken, und, wie es schien, nicht vergeblich, denn im selben Augenblicke hörte man Thüren schlagen, laute Stimmen im Vorzimmer und, die Flügeltüren aufstoßend, mit dem Armleuchter vorleuchtend, trat ein kaiserlicher Lakai voran. Ihm folgte in großer Galla eine Dame, welche zwei Fingerspitzen auf den seidnen Rockärmel des Grafen von Reutenberg, des Kammerherrn Seiner Majestät, gelegt hatte, welcher mit abgezogenem Hute die schöne Dame bis hierher geleitete. Jetzt fragte er unter tiefen Verbeugungen, ob Ihro Durchlaucht noch irgend einen Befehl für ihren unterthänigsten Knecht habe, oder an Seine Majestät? Ohne ihm zu antworten, schritt die Dame dem Kamine zu, erwiederte die ehrfuchtsvolle Verneigung der alten Dame eben so wenig, sondern hob ihre beiden schönen Arme hoch in die Luft und knipste dabei eigentümlich mit den Fingern der aufgehobenen Hände. Augenblicklich flogen zwei Kammerfräulein herbei, und mit äußerster Schnelligkeit war die schwere Robe von Silberbrokat, in der das Geheimniß von ein paar pauschigen Bouffanten ruhte – gelöst, und das kostbare Unterkleid von weißem Atlas, mit bunten Blumen durchwirkt, zeigte die volle Schönheit eines jugendlichen Körpers, der zu seiner Rundung der entstellenden Mode nicht bedurfte. Der Graf von Reutenberg stand wie bezaubert als Zuschauer dieser reizenden Umwandlung, deren Zeuge er so unerwartet und so überraschend war, daß er immer fürchtete, er müsse davon laufen, obwol er noch nicht beurlaubt war, oder – man habe ihn blos vergessen. Die Dame, die sich also erleichtert hatte, sank in den Armstuhl, der so vorsorglich bereitet war, zog den Sammetmantel um ihre reizende Gestalt, schleuderte die hochhakigen seidnen Schuhe mit den blitzenden Schnallen von den kleinen Füßen und bettete diese neben einander in den weichen Flaum des seidnen Kissens.

Dann glitt über das frische Antlitz ein schalkhaft-boshaftes Lächeln, was den Kommentar für die kecke Weise des eben Vollführten gab, und diesem Lächeln folgte das Aufschlagen ihrer lebhaften blauen Augen, die den Grafen so herausfordernd trafen, daß er es wagte, sich eben so lächelnd, tief vor ihr zu verbeugen.

»Wie?« fragte sie jetzt mit einer hellen Stimme, »ich sollte Euch befehlen? Ach!« fuhr sie fort – »schade, daß es schon so spät ist; ich werde heute nicht mehr mit Allem fertig. Mein erhabener Vetter hat in dem paradiesischen Aufenthalt dieser Götterburg so alle Genüsse der Erde vereinigt, daß natürlich das Salz des Lebens, der Gährstoff langweiliger Stunden, das Räderwerk, was unsere ablaufende Weisheit wieder aufzieht, das Geheimniß des ganzen Daseins – ich meine Wünsche – unbefriedigte Wünsche! – daß er natürlich diese Nektartropfen seinen Gästen nicht von den Lippen zieht, sondern sie in diesen reizenden Gemächern in vollen Bechern kredenzen läßt.«

»Wie anmuthig, meine Liebe!« fuhr sie fort, sich mit der größten Freundlichkeit gegen die alte Dame wendend, »daß Du an diesem warmen Juliabend ein so schönes Kaminfeuer unterhalten hast und meinen Pelzmantel erwärmt! Man wird selten in diesem Monat so angenehmen Wechsel erleben können, als er mir jeden Tag aufgehoben ist. Wenn ich aus den sonnenhellen Salons Ihrer Majestäten, wo weder Vorhänge noch Jalousieen uns einen einzigen Strahl auf Kopf und Nacken ersparen, halb gebraten in diese reizenden Gewölbe niedersteige, glaube ich zu den Ahnen des Hauses Habsburg einzugehen. Ich empfinde die erhabenen Schauer, die uns bei dem Anblicke von Katafalken und Sarkophagen ergreifen – selbst der feuchte Moderduft, der ein beständiger Bewohner dieser Gemächer ist, trägt dazu bei, die Illusion zu erhalten. Doch plötzlich dringt durch die bläulichen Nebel der Schein einer traulichen Flamme – alle erhabenen Schauer sind verflogen – die anmuthige Häuslichkeit eines Winterabends breitet ihre heiteren Schwingen über uns aus – an dem knisternden Feuer trocknen wir unsere feuchten Kleider und erlustigen uns, wenn die fleißige Flamme von den Wänden die Krystallisation in zarte Tröpfchen auflöst, die – wie der Thau auf Blumen – auf unsern Scheitel niedersinken.«

Schaudernd wickelte sich die lebhafte Spötterin bei diesen Worten noch tiefer in ihren Pelz und Graf Reutenberg benutzte gewandt diese Pause, um zu fragen, was eigentlich, nach einer so bezaubernden Auffassung der vorhandenen Zustände, der Allerdurchlauchtigsten noch übrig bliebe von dem, was sie mit dem Namen »Wünsche« bezeichnet habe.

»Ja!« rief die Schöne, laut auflachend. – »Ihr habt wohl recht, diese Frage zu thun! Aber seht, das ist der Unterschied zwischen mir und meinen erhabenen Verwandten in dem Lande der Holters! Diese lieben ehrlichen Leute sind hier so eingebürgert und von Jugend auf an ihre beabsichtigten Bequemlichkeiten gewöhnt, daß sie mit Recht den Genuß entbehren, sich etwas Besseres denken zu können, als was ihnen von den Resten Alt-Kastilianischen Glanzes in dem Nachlaß Ferdinand des Katholischen über die Pyrenäen zugeführt wurde. Es ist schön! rührend! Das Alte ist so ehrwürdig! Aber seht! ich bin durch die Fülle meiner hohen Verwandten in einer eigenen Lage. Das Haus Lothringen, dem ich durch meine Mama angehöre, hat seine Vettern in allen Ländern – ich mußte daher mit meinem Vetter Ludwig dem Fünfzehnten in Versailles tanzen – und bei meinem Vetter, dem römischen Kaiser in Wien, Dampfnudeln essen – ist das nicht sehr komisch?« rief sie lachend. – »Doch ich halte Euch unnütz auf, mein lieber Graf! Seht! seht! Ei hebt doch die Füße auf – es war eine Ratte an Euren Schuhschnäbeln! die lieben Dinger sind hier Alle ganz zahm – sie frühstücken mit uns und theilen alle Mahlzeiten – sogar unsere Betten. Oder war es ein lieblicher kleiner Frosch? O! wir haben hier sehr viele. Ich fange sie zuweilen und schicke sie dem Koch zum Frikassees. »»Aber holter! er weiß nit, wasch er mit macke soll.«« Er backt nur seine alten Kapaunen in dem schweren Mehlteig seiner Pasteten.«

Hier ward die Dame von einem so schallenden Gelächter des Grafen von Reutenberg unterbrochen, daß sie trotz dem Fluße ihrer Rede genöthigt war, inne zu halten und, bald getröstet, nicht üble Zeichen machte, die fröhliche Laune des Grafen durch ihre persiflirenden Geberden zu unterstützen.

Dieser kniete sogleich vor ihr nieder, hob das Kreuz seines kostbaren Galanterie-Degens in die Höhe und rief, noch immer von Lachen unterbrochen: »Ich schwöre bei dem Griff meiner untadligen Klinge, daß ich jedes Wort dieses schönen erlauchten Mundes morgen Seiner Majestät beim ersten Frühstück serviren will, und wenn er nicht eine eben so herrliche Erschütterung des Zwerchfells davon trägt, als ich, glücklicher Sterblicher, so will ich glauben, daß Seiner Majestät Lothringisches Blut unter dem Alt-Kastilianischen Pompe seiner Vorgänger erstarrt ist.«

»Sollte dies möglich sein,« rief die Dame lachend – »dann hätten wir wahrlich großes Verdienst um unsern erlauchten Vetter, und wenigstens wäre für morgen einige Hoffnung, daß er sein anmuthiges Cichorienwasser und seine Wiener Pladen ohne Magendrücken beseitigte. Doch hört! schont das Haus Habsburg dabei. Das erhabene Geschlecht dieses Stammes sieht allen Scherz für Contrebande an, und besteuert möchte ich nicht gern werden von ihrem hohen Tugendgericht. – Gute Nacht! gute Nacht!«

Nach diesem Abschiede drückte sie ihre kleinen weißen Hände vor die Augen, wie ein unartiges Kind, was keiner Form sich weiter fügen will, und der Graf ging so amüsirt von dannen, daß ihn dies kleine Nachspiel vollkommen entschädigte für die Langeweile des eben überstandenen Cour- und Spiel-Abends bei Ihrer Majestät der Kaiserin.

So wie sie jedoch die Thür ins Schloß fallen hörte, zog sie die Hände von den Augen und warf einen schnellen listigen Blick auf die alte Dame am Kamin, welche mit ziemlich strenger Miene ein stummer Zeuge der vorigen Scene gewesen war. Da dieselbe noch immer ein nachdenkliches Schweigen beobachtete, trat aufs neue das spöttische Lächeln hervor, was diesem reizenden Antlitze so besonders eigen schien, und mühsam sich erhebend, zog sie den schwerfälligen Stuhl dicht neben den Sitz der alten Dame, und indem sie neckend das Gesicht auf ihre Hand stemmte, rief sie: »Was wette ich, Du maulst mit mir?«


Die alte Dame sah auf und in das lachende Gesicht – und die Strenge des Ausdrucks ließ sogleich bedeutend nach: »Wann, ma princesse, haben Sie das erlebt? Wenn Ihre älteste Freundin oft über Ihr Betragen betrübt ist, verdient das einen andern, ich darf sagen einen besseren Namen.«

»Ich bitte Dich – und wenn Du willst – auf meinen Knieen, sei nicht so fürchterlich höflich und sanftmüthig. Dagegen habe ich keine Waffen. Schelte mich – poltere – vergiß Dich und den gehörigen Respekt gegen mich ein Dutzend Mal in Deiner Rede; aber wenn Du anfängst, ma princesse – und mit bloßer Betrübniß schließest – da machst Du mich toll – bringst mich außer mir – reizest mich – machst, daß ich Dich schelten werde – ja schlagen,« und im selben Augenblick warf sie sich mit so ungestümer Zärtlichkeit der alten Dame um den Hals, daß diese nichts anderes übrig blieb, als sie jetzt selbst fest zu halten. Sie that es mit den schnellen Uebergängen einer fast mütterlichen Zärtlichkeit und gab ihrem Liebling damit volle Sicherheit, daß ihr anscheinendes Zürnen ihr eine schwere pflichtschuldige Aufgabe gewesen, von der sie sich jetzt so bald als möglich zu erlösen suchte.

»Du weißt, Therese,« sagte sie – »daß Du mich nur immer allzu schwach findest – allzu nachgiebig gegen Deine sprudelnden Thorheiten.«

»Sprudelnde Thorheiten!« rief die Prinzessin fröhlich lachend – »Geliebte Hautois! Du wirst witzig! was sind das für köstliche Ausdrücke für die angenehmen Einfälle Deines Lieblings! O verdiente ich doch diese Bezeichnung – es reizt mich förmlich!«

»Ich bitte Dich, Therese!« rief die alte Gräfin von Hautois, ihre Gouvernante – »Du erschreckst mich förmlich! Gewiß, Du bist zu lebhaft, und ich sehe nicht ein, wie Du durchkommen willst – besonders hier an diesem strengen Hofe, den eine so tugendhafte Kaiserin beherrscht.«

»Da hast Du recht! meine Alte,« sagte die Prinzessin und streckte ihre reizenden Glieder, den Mantel zurückschlagend, auf dem riesigen Armstuhl – »ich sehe es auch nicht ein, und wir haben uns heute schon recht artige Sachen gesagt, diese tugendhafte Frau Kaiserin und ihre unterthänige kleine Cousine.«

»Welche Unbesonnenheit, bestes Kind! Sie lassen nicht ab, sich die größten Verwirrungen zuzuziehen und haben förmlich ihre Lust daran, sich bis über den Hals hinein zu stecken.«

»Deshalb war es Zeit, daß ich meine erhabene Vase wieder daran erinnerte, mit wem sie es zu thun hatte. Sie nahm wieder ihren Anlauf, in der Hoffnung, mich zu überrennen, und das sage ich Dir: ist ein Weib einmal herrschsüchtig, dann bleibt sie's bis an's Ende ihres Lebens und wenn sie alle ihre andern Laster abschwört, für diesen allerwiderwärtigsten Fehler webt sie immer einen neuen, einen wärmeren Mantel, damit er sich ja conservire. Niemals wird sie sagen: Ich kann es nicht ertragen, wenn sich irgend wer untersteht, andere Gedanken und Ansichten zu haben als ich – in meinem Bereich soll man nur für gut und recht halten, was ich dafür ansehe, also was mir angenehm und bequem ist – und es mag Dir leicht oder schwer werden, es mag Dich glücklich oder unglücklich machen, Du mußt Dich darein fügen, denn ich kann mich nicht irren und habe das vollkommene Recht, von allen Menschen zu fordern, daß sie dies anerkennen. – Niemals sagt der abscheuliche hochmüthige Lügenbalg also – sondern er sagt: »Ich habe Menschenkenntniß und weiß, wie es hergeht in der Welt – ich kann nicht zugeben, daß Dieser oder Jener diesen oder jenen dummen Streich macht – nach der Vernunft muß jederzeit gehandelt werden (d. h. nach meiner Vernunft) – Jeder muß seine Pflicht erfüllen, und sieht er das von selbst nicht ein, so muß man ihn dazu zwingen.« Dann kommt noch der Nachsatz, die Klage, der Vormund aller Menschen sein zu müssen, da doch Jeder, der es wagen würde, sich selbst lenken zu wollen, augenblicklich von ihrer Mißbilligung, ihrer böslichen Anschuldigung, oder geht das nicht an, von der gänzlichsten Vernachlässigung und der vornehmsten Geringachtung verfolgt werden würde. Sieh, Alte! ich könnte diese herrschsüchtigen Hochmuthsteufel züchtigen wie kleine Kinder, denn sie sind eben so unbezwinglich hartnäckig und allen Gegengründen verschlossen, als die ungezogenen Bälger, die auch nur nachgeben, wenn sie Gewalt fühlen, die eben so stark ist als ihr Sinn.«

»Nun ich danke für die Aufgabe dieser Züchtigung!« sagte die alte Gräfin.

»Ich nicht! mich reizt es, ihnen eben so viel unbezwinglichen Geist entgegen zu halten. Denn ich will lieber einem Weibe die Arme öffnen, das so viel tollen Spuk in der Liebe getrieben hat, als Jugend und Schönheit fertig bringt – als solch einem starren Hochmuths-Weibe, das jede eigne Jugendverführung schnell vergißt um sie an andern streng zu richten. Glaub' mir, liebe Alte! die Magdalenen sind so übel nicht. Da bleibt ein ewig rinnender Born der Liebe und wenn die Wangen welken und die Locken erbleichen, da lieben sie noch die halbe Menschheit und weinen um jeden Irrenden, und haben den Schleier für jeden Sünder in der Hand.«

»Nun! nun! es ist auch nicht die rechte Art, dies ewige Bemänteln und Verschleiern des Bösen in der Welt. Man soll die Dinge beim Namen nennen, sonst fürchtet sich keiner mehr davor, und es geht wie in der Fabel dem Kinde – das dem Löwen in den Rachen lief, weil in der Fibel nur von seiner Großmuth und Schönheit – nichts von seiner Gefräßigkeit stand.«

»Will ich Anderes?« rief die Prinzessin – »Aber Jeder soll's mit sich abmachen. Du sprichst von der Fibel – ich mußte heute immer vor meiner kaiserlichen Muhme im Stillen deklamiren: »Gar grimmig ist der wilde Bär – wenn er vom Honigbaum kommt her.« – Ich hatte sie auf was gehetzt – was gerade so recht ihre Art und Weise war; da hatte sie sich wahrscheinlich übernommen und im heiligen Eifer führte ihr cholerisches Blut sie zu weit. Sie natürlich konnte keine Schuld haben – da fand sie bald denjenigen, der den Pfeil auf den Bogen gelegt hatte.«

»Was hast Du denn wieder vor,« rief die alte Gräfin, »was ist denn das?«

»Ach! was wird es sein?« entgegnete die Prinzessin. »Kannst Du Dir denken, daß meine alte vierzigjährige Muhme Morani, die wie eine Puppe von vergoldetem Pergament aussieht, den Gedanken faßt, den schönen, reichen, jungen Grafen Lacy zu heirathen?«

»Du scherzest!« rief die Gräfin Hautois lachend – »solche Verirrung wäre in Israel nicht zum zweiten Mal zu finden!«

»Das dachte ich auch – und da ich bei meinen öfteren Besuchen die alte Taube girrend fand und den schönsten jungen Mann in einer gewissen Tugendanbetung vor ihr – dachte ich wol, man müsse den preßhaften Umständen der alten Jungfer zu Hülfe kommen und flößte ihr nach und nach sehr gottselige Gedanken über das Klosterleben ein. Denn, lächerlich genug, die alte Dame schwankte schon seit lange über die Wahl zwischen dem Brautkranz und dem ewigen Jungfrauenschleier. Fast glaubte ich so weit zu sein, wie ich sein wollte – da plötzlich schlägt die ganze Geschichte um. Georg Prey – dieser alte Sünder – der seinem heiligen Stande nicht genug Opfer sollte sammeln können – der ward mein größter Widersacher, und wie ich eines Morgens zu meiner holden Cousine eintrete, ist sie couleur de rose vom Kopf bis zu den Füßen, und weiß vor zimperlicher Freude gar nicht Worte zu finden, um mir endlich zu gestehn – sie sei die Braut des Grafen Lacy! – Gott sie ist mir unausstehlich!«

»Hem!« sagte die alte Gräfin – »darf man wol fragen, wem Dein ungewöhnlicher Zorn am meisten gilt? Der alten Cousine, oder dem schönen jungen Grafen?«

»O Du alte Listige!« rief die Prinzessin lachend – »hast Du mich wieder weg? War's nicht empörend, daß ich in der Nähe dieser alten Holzpuppe übersehen werden konnte? Ja, er ist schön und der Mühe werth, ihn sich zu unterwerfen, denn er leistet Widerstand, ist geistvoll, stolz, kritisch – genug – gerade wie ich die Männer liebe, die zu besiegen ich mich herablasse!«

»O Therese!« rief Frau von Hautois. –

»Still!« unterbrach sie die Prinzessin – »höre erst, wie ich darauf mit der Kaiserin zusammenkam. Claudia fühlte das Unpassende und Lächerliche ihres Schrittes; sie fürchtete das Gerede der Menschen, vorzüglich die Kaiserin. Dies benutzte ich, machte Ihrer Majestät einen Bericht, daß sie sich die Seiten hielt – doch lange hält ihre Lachlust nicht vor, das wußte ich wol, und dann setzt sie sich auf ihr hohes Pferd, und nun war bald die ganze Sache mit den stärksten Ausdrücken bezeichnet – Skandal – Lächerlichkeit – Unvernunft waren die milden Benennungen. – Genug! es stieg zu einer bedeutenden Entrüstungshöhe – man hätte denken können, es sei eine persönliche Beleidigung ihrer erhabenen Person. Nun hätte ich mir gern etwas die Seiten gehalten. Es verging mir aber auch, als ich hörte, das Brautpaar werde anderen Tages schon seine Antrittsaudienz haben. Das war meinen Plänen nicht günstig; war die Sache schon so weit vorgerückt, mußte ich den Widerstand des Grafen und die Nachgiebigkeit der Kaiserin fürchten. Doch war der Empfang nicht sehr huldvoll, und als Beide nach ihrem Kabinet entboten wurden und jene gewisse Ader auf der Stirn der Kaiserin sichtbar hervortrat, schien es mir nicht ganz umsonst. Doch durften wir nicht folgen, mußten uns im Vorsaal postiren, da die Kaiserin gleich nach dem Staatsrate wollte, wohin wir sie immer bis zur Schwelle begleiten müssen. Was daher im Innern vorgefallen, weiß ich nicht genau; als meine hohe Cousine aber aus ihrem Kabinet trat, glühte Dero ganzes Gesicht; ihre Augen suchten mich, und sie nickte dazu drohend mit dem Haupte, und ich ward herbei gewinkt. »Ma princesse sind sehr übereilt in Ihrem Bericht über Dero Cousine, die Fürstin Morani, und deren beabsichtigte Vermählung gewesen. Die Verbindung stellt sich nach unserer eignen Ansicht der Sache jetzt ganz anders heraus.«

»O,« unterbrach ich sie, so freundlich als möglich – »ist meine holde Cousine unterdessen jünger geworden? oder schöner? hat sich die Macht des gnädigen Blicks bei Eurer Majestät aufs Neue bewährt und meine liebe Verwandte von allen ihren Gebrechen geheilt?«

»Sieh, meine alte Hautois, eine Gewalt habe ich über diese erhabene Potentatin, der sie sich nie ganz entziehen kann – ich weiß sie zuweilen gegen ihren Willen zum Lachen zu reizen. Auch jetzt sah ich das verräterische Zucken um den Mund, aber ihr Zorn heizte nach.«

»Nein, Prinzeß Therese,« – sagte sie – »solche Wunder waren nicht nöthig, um mich zu überzeugen, daß ein vernünftiger Mann, wie Graf Lacy, eine aufrichtige und beständige Zuneigung zu einer Dame fassen kann, von so hohen weiblichen Tugenden, als die Fürstin Morani besitzt, wenn ihr auch die erste Jugend und eine üppige Schönheit abgeht – welche Eigenschaften nicht immer zum wahren Heil unseres Geschlechtes gereichen.«

»Dies sollte nun ein niederschmetternder Hieb auf mich sein! Ich aber bog mich auf ihre Robe, küßte sie und sagte ihr, wie dankbar ich wäre für dies meiner Base ertheilte Lob – und wie nun mein Gewissen leicht aufathmete, weil ich nichts Anderes gefürchtet habe, als gegen mein eignes Blut selbst die Hand aufheben zu müssen, um es vor dem hohen Tugendgericht Ihrer Majestät anzuklagen. Verzeihen mir Euer Majestät mein einfältiges Urtheil, fügte ich hinzu – aber wer eine Zeit lang an diesem erhabenen Hofe lebt, gewinnt eine ganz neue Anschauung von Tugend und Recht, und glaubt immer vor dem ehrwürdigen Gerichtshof zu stehen, der seinen Maaßstab allen Zuständen anlegt.«

»Nun mußt Du wissen, daß meine schöne Muhme über diese hochmüthige Einrichtung – ich meine das Tugendgericht – nicht ganz einig mit sich ist, und wie es eines Theils ihrer Herrschsucht zusagt, fürchtet sie doch heimlich, es witterte dahinter ein klein Weniges von Lächerlichem. Sie ahnt, was hinter ihrem Rücken für lose Reden darüber geführt werden, und so kommt es, daß sie Zeitenweis es ganz verläugnet, seine Existenz kaum anerkennt, und keiner ihrer Hofleute, ohne starke Entgegnungen sie daran würde erinnern dürfen, wenn ihre eigne Heftigkeit sie nicht zuweilen wieder hinriß, es geltend hervortreten zu lassen.«

»Du kannst daher denken, daß sie meine Bosheit sogleich erkannte und fühlte, daß sie eine gefaßte Gegnerin habe. Du hättest die Blicke ihrer feurigen Augen sehen sollen, mit denen sie mich während meiner kecken Rede überlief – und welche Gewalt es sie kostete, in Gegenwart ihrer Hofdamen die Muhme ihres Gemahls nicht wie ein Gänsemädel auszuschmähen. Aber sie überwand sich, und während sie so mit ihrem wilden Blute kämpfte, bekämpfte sie mich mit; denn ich mußte, mitten in diesem jetzt stummen Gezänk unter uns, mir gestehn, sie sei ein tüchtiges starkes Weib und schon der Mühe werth, den Kampf mit ihr zu bestehen. Ja ich glaube, ich hatte sie lieb und hätte ihr gern den schönen schmollenden Mund geküßt; aber meine Zeit war noch nicht wiedergekommen. Sie wendete sich von mir ab und redete die alte Oberhofmeisterin Gräfin von Fuchs an, die schon zitterte, nur von fern den Zorn der Gestrengen zu beobachten. »Meine Liebe,« sagte sie – »deklariren Sie doch meinem Hofstaate die mir sehr wohlgefällige Verlobung meiner lieben Fürstin Morani mit dem Grafen Lacy. Sie werden das Brautpaar in meinem Namen im Palais Morani bekomplimentiren, und es ist zu erwarten, daß die Fürstin viel Besuch von meinem Adel bekommen wird.«

»Und wie war sie denn diesen Abend gegen Dich?« fragte die Gräfin Hautois besorgt. –

»Als hätte sie gar kein Gedächtniß für die Unarten ihrer holden Muhme. »Prinzessin« – sagte sie – »ich sehe Sie fast am liebsten in weißen Stoffen! Sie haben den merkwürdigen Teint, der das verträgt. Doch sollten sie billig nicht so schöne Toilette machen! meine armen Cavaliere bekommen Alle das Herzweh davon.« Du mußt gestehen, das war fast eine frivole Rede in diesem Munde!«

»Ja,« unterbrach sie die Gräfin Hautois – »schade nur, daß sie glauben muß, es sei der beste Ton, Sie zu versöhnen!«

»Nun,« lachte die Prinzessin – »ich kann mich nicht beklagen, daß Du nicht gelehrig seist – jetzt bist Du grob genug. Aber ich hab's gern von Dir. Aendern will ich mich einmal nicht, und da müßte es Dir ja das Herz abstoßen, wenn Du nicht mitunter über mich herfielest mit Deinen bösen Stachelreden.« Behaglich löste sie dabei ein bindendes Stückchen ihrer Toilette nach dem andern und beschaute mit anmuthiger Ironie ihre schönen Arme.

»Ach, Therese,« sagte die Gräfin traurig, »alle Andern können auch Deinen Thorheiten ruhiger zusehen als ich – die ich den Titel Deiner Gouvernante führe. Welch ein Vorwurf für mein ganzes Leben ist jede unerlaubte Handlung Deiner Seits, der ich zusehen muß, als hätte ich keinen Antheil an Dir. Wie verwickelt sind jetzt wieder Deine Angelegenheiten, und wie schwer wirst Du einmal für all' die Intriguen gestraft werden, deren so viele sind, daß Du eine mit der andern verwechseln könntest!«

»O, Du bist heute gar zu witzig, liebe Alte!« rief die Prinzessin – »doch gestehe nur – wer von meinen Anbetern hat Dir die Laune so verdorben? Ach! ich errathe – es war mein junger leichtfüßiger regierender Fürst von S.!«

»Ja, spotte nur! Es war dieser alte Thor, der doch vielleicht zu fürchten ist, wenn er erst einsieht, daß Du Dein Spiel mit ihm treibst.«

»Liebe!« rief die Prinzessin – »glaubst Du, er zweifle noch daran? Ist eine solche Last denkbar? Also müßte ich ihn noch lächerlicher machen, noch toller foppen, ehe es durch sein dummes Verständnis dränge, daß ich ihn zum Besten habe?«

»Willst Du mich auch täuschen? Soll ich nicht wissen, daß Du wirklich daran gedacht, ihm Deine Hand zu geben? War es nicht deshalb, daß man Dich aus Z. hierher versetzte, um diese tolle Verbindung Dir aus dem Sinne zu bringen?«

»Es kann sein!« sagte die Prinzessin in bester Laune – »Aber warum soll ich es noch wollen, wenn mir die Lust daran vergangen ist? Gerade weil diese klugen Leute sich einbildeten, sie könnten mich von etwas abhalten und nach ihrem Sinne lenken, gerade das reizte mich, ihnen unter den Augen alles zu thun, wovon sie mich abhalten wollten. Ja hätte der alte Thor nur damals Muth gehabt, mich zu entführen, ich hätte mich auf der Grenze mit ihm trauen lassen, blos um die Andern für ihre Klugheit zu strafen. Jetzt hab ich mich anders besonnen. Ich fange an, mich – trotz dieser Katakomben, in welche die Gastfreundschaft meiner erhabenen Verwandten mich eingesperrt hat – zu amüsiren! Ich muß noch Einiges hier mit ansehen – betreiben – es fangen einige lustige Verwickelungen an.«

»Also wieder etwas Neues?« seufzte die Gräfin.

»Neues oder Altes, wie Du willst. Der Erbprinz ist hier und ich habe ihn seit fünfzehn Jahren zum ersten Mal wiedergesehen.«

»Ist es möglich?« rief die Gräfin, wie verklärt aufstehend – »Der Erbprinz von S.? O, geliebte Therese! sagen Sie mir – wie benahm er sich gegen Sie?«

»Laß das,« sagte die Prinzessin – »ich habe etwas Anderes vor – und das ist der stolze hartherzige Lacy, der, glaube ich, noch immer nicht weiß, ob mich weißer Stoff wegen meines merkwürdigen Teints am Besten kleidet!«

»Aber Prinzessin, der Verlobte Ihrer Cousine?«

»Das ist es eben. Ich muß ins Mittel treten, diese liebe, tugendhafte alberne Cousine von der größten Bêtise ihres Lebens abzuhalten. Ich muß das großmüthige Opfer bringen, diesem schönen Knaben die Augen zu öffnen für meine Verdienste, damit die arme alte Thörin Zeit behält, in ein Kloster zu gehn!« »Abscheulich! abscheulich! Chère princesse. O wer Sie nicht kennt, wie ich – der muß Sie für die böseste hartherzigste Person der Erde halten – und doch sind Sie blos –«

»Was denn? was bin ich denn blos – ?«

»Coquette!« rief die alte Gräfin mit einer Verachtung in dem Tone ihrer Stimme, daß die Prinzessin plötzlich die Augen aufschlug und mit einiger Unsicherheit das Antlitz ihrer schwer geprüften Gefährtin suchte.

»Coquette?« wiederholte sie sinnend – »brauchst Du denn dazu so verächtlich auszusehn? Ist es denn ein so großes Verbrechen? Was kann ich dafür, daß die Männer zu so elendem Spielzeug brauchbar sind? Es ist wahr, es reizt mich, meine Macht an ihnen zu versuchen – ich muß es heraus haben, auf welche Art ich sie schwach finden kann. Ich belausche mit kindischem Vergnügen ihre kleinen Niederlagen, bis sie sich endlich mir ganz übergeben. Weiß ich's dann, daß ich mit ihnen machen kann, was ich will, daß sie mich anbeten, wie die Heiden ihre Pagoden, was soll ich dann weiter mit ihnen? Dann sind sie alle langweilig. Oder willst Du, daß ich ebenfalls verliebt werden soll? Wie ein Schäfermädchen seufzen und stöhnen – oder gar mit Einigen davon laufen und eine Idylle aufführen zwischen Fels und Thal?«

»Wollte Gott, Therese« – sagte die alte Dame – »Du hättest lieber eine solche Thorheit gemacht! Lieber sähe ich Dich einer solchen Leidenschaft anheim fallen – sähe Dich lieber leiden und seufzen, als Dein kaltes herzloses Treiben, in welchem Du bis zur größesten Härte und Gewissenlosigkeit vorschreitest. Fühlst Du nicht, wie Du zwischen der tiefsten Entwürdigung Deiner Weiblichkeit, und der gewissenlosesten Gleichgültigkeit gegen das Schicksal Anderer mitten inne stehst? Thoren nennst Du die Männer, die sich Dir so leicht ergeben? Aber sind sie das, wenn sie nicht Kraft haben, dem losen Spiel einer Frau zu widerstehen – was wird dann das Weib, das seine heil'gen Reize von der Seele trennt, um sie in Cours zu bringen gegen einen Mann, den sie verachtet und doch fesseln will? Wie nun, Therese? Ist ein solches Weib etwa weniger der Spielball des andern Geschlechts? Und da, wo Du Widerstand siehst – wo Dir Werth – Karakterwürde entgegen tritt – wo Du den Mann findest, der sein Herz nur um edeln Preis geben will, der in Dir die Gefahr fürchtet und Dir ausweicht – wenn Du ihn dessen ungeachtet verfolgst – ihn so lange umschleichst, bis Du den schwachen Punkt gefunden, und nun Dir die Täuschung dient, das Herz aus seinem Versteck hervor zu locken! Wenn es Dir dann mit der Wärme zugeeignet wird, die ein edler Mann erwiedert hofft und Du dann, so weit gekommen, ihm herzlos den Rücken kehrst, weil Du Deine Absicht erreicht und nun gelangweilt bist – fühlst Du nicht wie Du da um Deines Spielwerks Willen ein ganzes Dasein vergiftet haben kannst – und doch am Ende nicht Siegerin wurdest, das heißt, keinen Preis davon trügest, sondern, selbst durch Deine Sucht beherrscht, die Beute dieser Sucht – an jeden Mann verwiesen bist, der in Deinen Bereich kommt? O laß mich schweigen! Ich schaudere, daß ich Dein Bild gezeichnet!«

Es entstand eine Pause nach dieser Rede, die so lang bekämpfter Schmerz hervorgerufen. Die schöne Sünderin lag mit geschlossenen Augen hinten über – ihr Gesicht glühte – ihre Arme hingen schlaff danieder. – Schon lauschte die alte schwache Dame mit Sorge ob des auffallenden Zustandes. Jetzt drangen Thränen durch die gesenkten Augenlider und fielen auf den ungleich athmenden Busen. Die alte Freundin hielt sich nicht mehr; schluchzend stand sie auf, umfaßte den Liebling und drückte ihn zärtlich an ihre Brust. Die Prinzessin weinte fort und preßte ihr Gesicht an den mütterlichen Busen, der neben allem Zorn der Liebe alle Weichheit derselben und das ganze Heer von Entschuldigungen barg, die immer versöhnend das alte Verhältniß wieder herstellten. »O Therese, weine nicht! Mein armes liebes Kind, weine nicht – es bricht mir das Herz!«

»Laß mich weinen!« sagte die Prinzessin mit einem so dumpfen und traurigen Tone, daß die helle lachende Stimme nicht wieder zu erkennen war. »Ich weine um mich – um die Therese – die einst rein an Herz und Gedanken war – um die Therese – die sie Dir entführt haben, um Dir dies kalte, höhnende Schattenbild zurück zu geben, was Du eben so fürchterlich geschildert hast und doch an Deinen mütterlichen Busen ausnimmst. Hätte er mich geliebt – den ich in dem Heiligthume meiner ersten jugendlichen Empfindung aufnahm, mit der ganzen Kraft dieser Jugend und meines angestammten Karakters – hätte er mich geliebt – wär' ich sein Weib geworden – so wäre ich gerettet gewesen! – Ich habe seitdem nicht wieder geliebt – vielleicht weil ich nicht aufhörte zu lieben. Aber die Glut, die so früh dadurch in mir entwickelt war, nährt jetzt statt Engel – Dämonen.«

Mit einer leidenschaftlichen Aufregung riß sie sich jetzt aus den Armen der Gräfin und ihre Thränen trocknend rief sie heftig: »Was schiltst Du mich und machst mich vor mir selbst ergrauen? Schelte das eiserne Verhängniß, das über mir steht, und wundere Dich, daß ich so tugendhaft geblieben. Als mich die Amme überlieferte, ward mir schon das Lied von meinem Bräutigam – diesem schönen Götterknaben – diesem Prinzen von S. gesungen. Meine Puppen hießen Ernst und Therese – mein Papagei lernte seinen Namen – meine Blumen – meine Vögel – mein Zimmer – mein kleiner Garten – Alles hieß nach ihm – war sein Fürstenthum! Und als er nun zuerst mit seiner Mutter kam, und das zehnjährige Mädchen vor dem erwachsenen Jüngling stand, da faßte dies junge Herz sein Bild auf mit der ganzen Glut, mit der ganzen früh empfundenen Energie dieses Herzens. So ward ich fünfzehn Jahr, um alsdann auf das Schnödeste von ihm verschmäht zu werden.«

»Ha, dieser Augenblick,« rief sie nun und stand plötzlich hoch aufgerichtet, zitternd und glühend vor der alten bewegten Dame – »er hat über mein Leben entschieden! Frage Dein Gedächtniß und rufe das Bild der Therese zurück, die sich für die Braut dieses heißgeliebten Jünglings hielt – war ein Mißton in der heitern glücklichen Harmonie dieses jugendlichen Wesens? War ich stolz – war ich eitel – boshaft oder geringen Gemüthes? Nein! nein! ich weiß es, Du sagst Nein! ich war nicht Coquette, nicht wie Du es eben gesagt.« Mit beiden Händen verhüllte sie ihr Gesicht und brach in ein so heftiges krampfhaftes Schluchzen aus, daß die arme Gräfin sich ihr beschwichtigend aufs Neue nahen wollte. Aber die Prinzessin war in einer Aufregung, die sie nichts wahrnehmen ließ, als den eignen Strom der Gedanken. Sie blickte mit ihren glänzenden Augen über alles sie Umgebende hinaus in die dunkle Tiefe des Gemachs, als ob sie dort ihr Schicksal gewahre und ihm zürnend die von ihm erlebte Unbill vorbehalten wolle. »Wer hat den Sturm beschworen, wer hat nachgefragt, wie das gekränkte Herz sich retten könnte?« rief sie immer heftiger – »Ohne Vorsicht und Bedacht hatte man die Gewalt wachsen lassen und sie tändelnd genährt. Als er mich verwarf und das ganze Leben zertrümmert zu meinen Füßen lag, da war ich ihnen blos das Kind, dessen Gefühlen nicht nachzufragen ist, und so bekamen sie, was sie verdienten: meinen bittere Haß – meinen festesten Trotz! Da war ich ihnen ein wilder Gast geworden und nicht eine weise Hand streckte sich nach dem todtwunden jungen Kinde aus, das im Fieber tobte. Los wollten sie mich sein – und o der Weisheit – der frommen Güte – soll ich sie nicht preisen und mich verdammen? Nach Frankreich 209

zur lieben Muhme Orleans, auf den tugendhaftesten Boden dieser Erde, ward ich geschleudert. Hier, wo jeder Greul des Lasters seine Freistatt hatte und mit einem Scherz – mit einem Witz der Hölle bezeichnet ward – hier, wo die Luft schon die reinen Blüten des Weibes zum Welken bringen mußte – wo das ganze Geschlecht zu einer Waare herabgesunken war, die nur nach ihrem äußern Reize Geltung fand – dahin, du finstres, furchtbares Schicksal, stießest Du das liebekranke Mädchen, das wild in die Schneide des Schwertes griff, um sich zu rächen für den heißen Schmerz – und das nicht fühlte, wie die Sehnen des gesunden Gliedes zerschnitten wurden und es statt Rache, Blut und Zerstümmlung fand! Ja, ich haßte alle Männer, denn ich konnte keinen lieben wie ihn – und von dem schönen Ludwig mit der Krone bis zu dem Knaben, der meine Schleppe trug, mußten sie seufzen lernen vor der deutschen Schönheit! O! öde Lust, die keine Einsamkeit mit ihren Bildern schmückt – die das einmal ihr verfallne Weib mit Sturmwinds Hast aus allen Tempeln jagt, wohin umsonst der Schrei der innern Kränkung es zurück zu rufen scheint. O! öde Lust! bewundert sein von denen, die du hassest und verachtest? O öde Lust des Glanzes dieser Feste, die Schande bergen sollen und den Geber wie den Empfänger brandmarken! ich kenne dich! Lehrmeister fand ich hier auf jedem Schritt, und lehrbegierig ward ich bald. Ach! ich stand allein! Du warst zu alt, zu ungelenk, um den glatten Boden dort mit mir zu betreten – Du wurdest von mir getrennt. Lenora, die kalte Buhlerin, am Hofe zu Versailles nur zu bekannt, ward meine Gouvernante. Genug! genug! Doch schilt nicht mein kaltes Herz und daß ich lernte, Scherz mit Männern treiben. Danke Gott, daß ich's gelernt. Hast Du denn nicht den Ruhm gehört, der mir aus jenem Lande folgte? Die tugendhafte Deutsche hieß ich ihnen! und diese tugendhafte Deutsche hatte doch das ganze Heiligthum ihrer Seele Preis gegeben – war vor sich selbst entwürdigt – haßte die Menschen nicht stärker als sich selbst – und hielt sich mit dem jungfräulichen Leibe doch aus diesem heil'gen Reiche verbannt. Wenn Du fragst, warum ich dennoch der Sklave jener Welt geblieben bin, so will ich Dich das Geheimniß lehren, was mich bezwang, und Du kannst schwören, daß es das siegreichste Mittel der Hölle ist – man hatte mich langsam daran gewöhnt

»Um Gotteswillen halte ein!« rief hier die Gräfin Hautois – »Du sprichst im Wahnsinn und regst Dich auf – daß ich davor erbebe!«

»Wahrlich Du hast Recht!« entgegnete die Prinzessin, tief aufathmend – »ich rede im Wahnsinn! Nun,« fuhr sie fort und ließ sich gemächlich in ihren Lehnstuhl nieder – »es ist Schlafenszeit. – Gehe zu Bett, meine liebe Alte – Du wirst müde sein – und Deine Mäuse werden schon nach ihrem lieben Schlafkumpan verlangen. Die Mädchen können in meinem Zimmer angekleidet schlafen; ich wecke sie, wenn ich sie brauche.«

»Und Du, die Du der Ruhe so sehr bedürftig bist, willst Du nicht schlafen gehen?«

»Vorerst noch nicht – ich habe noch Geschäfte! Sieh! ein Gutes haben diese Grabgewölbe; sie besitzen so viel geheime Thüren – Gänge – Treppen – wie ein Inquisitionspalast. Ich habe aber meine Kunst in Paris gelernt; überall kenne ich bald das Terrain und sehe, welche Gänge mir zu eröffnen bequem sind.«

»Was soll das bedeuten?« sagte die Gräfin mit traurigem Ton – »was habe ich wieder aufs Neue zu fürchten.«

»O nichts auf der Welt, meine Liebe!« rief die Prinzessin bitter lachend – »ich erwarte Besuch – und da es eine etwas verdächtige Person ist, die namentlich jetzt von den Majestäten nicht wohl gelitten sein würde, so wird sie um die Stunde der Geister in ihrer ätherischen Herrlichkeit hier aus dieser Holzwand – unter diesem mittlern Fenster hervortreten – denn es hat sich gezeigt, daß von Außen zwischen Dornen und Disteln ein verborgenes Treppchen hinaufsteigt und an einem Pförtchen endet, was just hier hinein führt.«

»O Prinzessin!« rief die Gräfin – »wenn das verrathen wird, sind Sie um ihren ganzen Ruf!«

»Ohne Zweifel bin ich das! Doch denke ich, wenn mein Ruf die Gefahr dieser Nacht überlebt, wird er demnach jeder weiteren Beunruhigung überhoben sein – denn ich habe beschlossen, es soll die letzte sein.«

»Wollte Gott, es wäre so! Aber bedenken Sie, theure Therese – kann nicht diese auch vermieden werden? O bedenken Sie, was Sie thun.«

»Ich bedachte!« rief die Prinzessin entschlossen. »Dieser Brief wird Dir sagen, daß ich einen letzten entscheidenden Schritt mit Seiner Durchlaucht thun muß, wenn ich seinen Belästigungen nicht fortdauernd ausgesetzt sein soll. Geh jetzt zu Bett; helfen kann ich mir nur allein. Doch laß die Thür nach Deinem Schlafzimmer auf – das wird dem schönen Organ Seiner Gnaden etwas zu Hülfe kommen, denn ich werde ihn mit der Furcht quälen, daß Du erwachst, wenn er wie gewöhnlich in eine Art wilden Grunzens übergeht. Doch bitte, verwahre die Vorzimmer.«

Nur wer die auffallende Blässe des schönen Gesichtes sah, das jetzt wieder in den Kissen des Lehnstuhls ruhte, konnte ahnen, daß dieses stille, sanft athmende Wesen dieselbe Prinzessin Therese war, die noch eben von so tief gehenden Leidenschaften durchwühlt, gegen sich und ihr Geschick in so bittere Anklagen ausgebrochen war. Die Gräfin, von dem Verschließen der äußeren Thüren zurückkehrend – blieb seufzend einen Augenblick vor ihr stehen. Da sie aber keine Zeichen der Theilnahme erhielt, wußte sie, daß ihr nichts übrig blieb, als das alte Loos – nachzugeben. Sie schlich traurig ihrem Schlafgemache zu – und jetzt war die Prinzessin mit dem Glockenschlage zwölf allein.


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