Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Erster Theil
Henriette Paalzow

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Wie männlich sich auch der Graf Lacy seiner Freiheit und Unabhängigkeit bewußt blieb, die Sorge, die er über die gegen die Fürstin erwähnten Verhältnisse empfand, war vorhanden und lag besonders in der Furcht, hier auf irgend einen phantastischen Plan von Thomas Thyrnau zu treffen, in welchen er den alten Grafen Lacy verflochten und der – wenn auch unausführbar – ihnen doch nicht so erschienen war. Jeder Widerspruch konnte daher unangenehme Aufregung veranlassen und eine Beleidigung werden, die ihm – dem Freunde und dem Andenken seines Oheims gegenüber – unendlich schmerzhaft schien. Am liebsten wäre er der Aufforderung des alten Mannes gefolgt und selbst nach Tein gegangen. Aber er konnte Wien nicht in einem Augenblicke verlassen, wo die Kaiserin gewissermaßen Beschlag auf ihn gelegt, und so dachte er daran, ihm ausführlich zu schreiben, als ihm aufs Neue ein Brief von Herrn Thomas Thyrnau übergeben ward.

»Warum fahren Sie fort, sich mir zu entziehen,« lautete eine Stelle dieses Briefes. »Das sind falsche Maaßregeln, die ihnen zu nichts helfen und mir die Laune verderben. Sie müssen jetzt hierher kommen; die Eröffnung des Testamentes, die Erfüllung der darin enthaltenen Bedingungen darf nicht länger verschoben werden. Ich habe Ihnen noch vorher Wichtiges zu sagen, und trotz meiner Aufforderungen widerstehen Sie, als ob Sie mit einer Beleidigung bedroht würden.

»Das ist nicht der Geist, den Ihr ehrwürdiger Oheim in Ihnen vorzufinden hoffte, und ich kann, in seinem Geiste denkend und handelnd, damit nicht zu frieden sein.« – Dann kamen wieder viele Angelegenheiten der Verwaltung – später fuhr er fort: »So lang ich Vormund war, ging das recht gut, ich konnte und mußte für Sie einstehn; aber jetzt, wo Sie schon lange mündig sind und Alle das wissen, da will ich nicht mehr auf die zweifelhaften Gesichter stoßen, die mein gutes Recht nur halb anerkennen. Thomas Thyrnau hat nicht nöthig, Versicherungen seiner Wahrhaftigkeit zu geben!«

Obwol der Graf an den rauhen, fast befehlshaberischen Ton in den Briefen von Thomas Thyrnau gewöhnt war und ihn mit der Ruhe ertrug, die ihm seine eigne Tüchtigkeit gab, reizte er ihn doch immer bis zum stolzesten Widerspruch, so wie er die Angelegenheit berührte, die dem Grafen eine unbezweifelt tolle Anmaßung über seine Freiheit erschien. Lebhaft eilte er im Zimmer auf und nieder, den Unmuth bekämpfend, den er so stark in sich erregt fühlte, und aufs Neue schien es ihm dringend nöthig, selbst nach Tein zu gehen und dem alten verwöhnten Manne durch seine persönliche Erscheinung die Täuschung zu nehmen, er habe noch mit dem achtzehnjährigen Jünglinge zu thun. Auch hoffte er durch die schonende und dennoch bestimmte Entgegnung, mit der er jede Einmischung in seine Privat-Angelegenheiten abweisen und ihm seine jetzt entschiedene Verlobung dagegen stellen wollte, dem alten anmaßlichen Herrn die Lust zu weiterer Verfolgung zu nehmen. Dies endlich für das Nöthigste erkennend, fiel es ihm ein, dem Grafen Kaunitz, der ihm so ausgezeichnetes Wohlwollen bewies, seine sonderbare Lage offen zu entdecken in der Hoffnung, der Graf werde ihm entweder zu einer schnelleren Audienz bei der Kaiserin verhelfen, oder ihm die Erlaubniß zu seiner kurzen Abwesenheit verschaffen.

Bis dahin mit seinen Beschlüssen gekommen, überraschte ihn der Eintritt des Baron von Pölten, wie immer wohlthuend; denn trotz des jugendlichen Leichtsinns des Barons, wußte er doch, welch ein rechtlicher und treuer Karakter in ihm lag.

»Ich komme von Deiner Braut, mein Lieber!« rief er – »und bringe Dir ihre Grüße. Nimm Dich in Acht! ich fange an, Deinen Wahnsinn zu begreifen und verliebe mich vielleicht für die Stunden, wo Du nicht dabei bist, in diese Geistes-Schöne!« Der Graf lachte. »Du stellst Dein Lob in so sichere Grenzen, daß mir gewiß kein Zweifel bleibt, bis wie weit Du ihr nur das Recht ihres Geschlechts – ich meine das der Schönheit – zugestehst, und so glaube ich, bist Du mir wenig gefährlich, denn ohne den Gürtel der Venus wird Dich keine Frau in Gefahr bringen.«

»Das ist wahr, Lacy! und du weißt, daß ich Dich fast haßte bei der Nachricht von dieser wahnsinnigen Verlobung. Ja! wenn ich die Fürstin nicht sehe, scheint es mir noch immer besser, ich entführe Dich – oder tödte Dich im Duell – oder überzeuge Kaunitz, daß Du das Vaterland verräthst, und lasse Dich zehn Jahre nach der Festung bringen – denn über kurz oder lang mußt Du ihr doch davonlaufen, und dann hast Du die Schuld! Jetzt käme alles auf die Rechnung Deines tollen Freundes, dessen Sündenregister schon so groß ist, daß es nicht viel verschlägt, wenn noch mehr hinzu kommt.«

»O!« sagte der Graf – »der kürzeste Weg wäre ja immer, wenn Du mich an meinen anmaßlichen, weiland Vormund verriethest und ihn und seine Enkelin mir in den Weg führtest. Sieh hier, mein Freund! da ist wieder ein Pröbchen von der Redekunst des alten Herrn – müssen kommt in jeder Zeile vor, und wenn ich acht Jahr alt wäre und die Schule nicht besuchte, in der er mich sehen wollte, könnte ich kaum bestimmter zurecht gewiesen werden!«

Kopfschüttelnd las der Baron den ihm dargereichten Brief des alten Herrn und ernster, als seine Art war, sagte er dann: »Daß die Alten doch immer vergessen, daß Kinder, die sie erzogen, endlich auch Männer werden. Sie wollen das, aber sie übersehen, wann die Zeit dazu herangekommen ist, und fahren in ihrer Weise fort, als wäre noch erst zu erwarten, was doch nur auf ihre Anerkennung harrt.«

»Daraus entstehen so viel unglückliche Spannungen zwischen dem Alter und der Jugend,« fuhr der Graf fort – eine notwendige Trennung, da der junge reifende Geist sich dem Drucke entziehen muß, der seine selbstständige Entwickelung hindert. Wie schön könnte ein ehrendes Vertrauen des Alters wirken, kaum entwickelte Keime zu pflegen! Die glühende Sehnsucht zum Beispiel, die in einem Jünglinge lebt, ein Mann zu werden, und die ihn so reizbar, so wild, so exentrisch macht und tausend Verwechslungen der Kraft mit der Roheit, der Freiheit mit der Zügellosigkeit gebiert – wie könnte sie in die rechte Bahn gelenkt werden, wenn ihm frühzeitig ein ehrendes und anerkennendes Vertrauen entgegen käme, das seinen Hoffnungen Erfüllung verhieße! Wie manche Thorheit würde er sich nehmen lassen, wenn er sich gehoben und anerkannt fühlte in dem kleinen schon errungenen Besitz! So war mein Oheim! So ist Thomas Thyrnau nicht!«

»Schüttle ihn Dir ab,« rief der Baron – »seine Weise wird immer unerträglicher!« Der Graf sagte ihm dagegen, was er beschlossen, und forderte seinen Rath.

»Hofft nicht, jetzt fort zu kommen!« entgegnete ihm Pölten. »Hat die Kaiserin einmal ihr Auge auf Jemand gerichtet, so muß er ihr stehn. Auch ist das billig, denn es kreist manches in ihrem Kopf und sie, wie ihr großer Minister, bewirken nur deshalb so viel, weil sie die Kunst besitzen, beständig das Nöthigste, das, was zuerst geschehen muß, zu erkennen und es durch nichts aus dem Bereich ihrer Thätigkeit verdrängen zu lassen. Wenn Du an der Reihe bist, kömmst Du heran und nicht früher, nicht später – das glaube mir. Aber Du sollst darauf warten, damit Du zwar, aber nicht die Kaiserin einen Augenblick Zeit verliert.«

»Ich fürchte, es ist so!« sagte der Graf. »Aber es bringt unleugbar für mich Verlegenheiten mit sich und macht mein Verhältniß zu dem alten Despoten immer schlimmer.«

»Glaubst Du,« sagte der Baron, »daß es Dir nützlich werden könnte, wenn ich nach Tein ginge! Vielleicht bringe ich den Alten zur Vernunft; vielleicht kann es Dir nützen, von mir zu hören, wie dort Alles steht. Nach Prag wollte ich überdies; Urlaub kann ich jetzt leicht bekommen, denn Graf Nadasti sammelt erst gegen den Herbst seine Kavallerie-Regimenter und Alles ist beurlaubt, was darum anhält.«

Beide Freunde wurden durch den Gedanken lebhaft erregt. Er schien manches Gute zu versprechen, wenigstens vermittelnd einzuschreiten. Bevor sich Beide trennten, ward die Reise des Barons fest beschlossen. Der Graf bat ihn, über seinen Palast in Prag zu bestimmen und wollte, ohne den zu nennen, der käme, Befehle ertheilen, Alles in Stand zu setzen.

Das glorreiche Haus Habsburg hat seinen alten Ruf großer Frömmigkeit in der katholischen Christenheit auch dadurch an den Tag zu legen gesucht, daß es in der Hauptstadt seines Reiches einen großen Flächenraum an die geistlichen Stiftungen der verschiedensten Ordens-Bekenntnisse überließ und diese ausgedehnten Besitzungen, die in allen Richtungen Wiens vertheilt lagen, mit allen Begünstigungen ausstattete, die diesen Stand damals über jedes andere Unterthanenverhältniß erhoben. Zwischen gewerbtreibenden Stadttheilen zeigten sich die weitläuftigen Ansiedlungen dieser Klöster, die hinter wohlverwahrenden Mauereinfassungen ihre großen Besitzungen zu schützen wußten, und obwol nach Innen der lebendigsten Thätigkeit nicht entbehrend, doch als Insassen einer Stadt, dieser durch ihre Absonderung von der Straße, stets in dem großstädtischen und volkreichen Ansehn, welches man von einer Residenz erwartet, Abbruch thaten. Später, bei zunehmenden Zugeständnissen und in Folge der industriellen Bestrebungen dieser geistlichen Corporationen fand sich für solche Zwecke das Grundstück des Kloster- oder Stifts-Gutes besser durch Bauten benutzt. Man fing an, im Innern abgrenzende Mauern zu ziehen, die zunächst das Klostergebäude mit Kirche, Gärten und den nöthigen Dienstwohnungen umschlossen, und führte dann auf den zwischen beiden Mauern liegenden Grundstücken kleinere und größere Wohnungen auf, die sich bei gleichzeitigen Anpflanzungen und Gartenanlagen sehr wohl verzinsten, und da hiermit das Oeffnen des ersten Klosterthores verbunden war, nach und nach anfingen auch diesen Besitzungen den Karakter städtischen Lebens zu geben. Nach Maaßgabe des Reichthums solcher Klostergüter wurden diese äußeren Höfe zu vornehmeren oder geringeren Wohnungen eingerichtet; immer aber blieben sie von der unbemittelteren Klasse gesucht, da der Miethzins im Ganzen geringer war, und kleinere Gewerbe leicht Absatz fanden, theils für das Kloster selbst, theils bei den zahlreichen Besuchern desselben; denn besondere Feste der Heiligen, oder der Besitz von gnadenreichen Bildern und Reliquien, durfte kaum in irgend einem Kloster fehlen. Man nannte diese Wohnungen nach dem Kloster, zu dem sie gehörten, als zum Beispiel: zum Kapuziner-, Benediktiner- oder Jesuiten-Hof – und es ist eben ein solcher Hof, und zwar der Ursuliner-Hof, in dessen inneren Raum wir, dem Zusammenhange unserer Erzählung gemäß, jetzt unsere Mittheilung verlegen müssen.

Das Ursuliner-Stift war nicht reich, aber das Grundstück des Klosters, an der Wallseite gegen das Neuthor zu gelegen, war weitläuftig, und nachdem die frommen Frauen einen bedeutenden Theil für sich abgezweigt hatten, blieb ihnen zu ihren finanziellen Spekulationen noch ein großer Raum, der jedoch nur mit kleinen Büdner- und Handwerker-Wohnungen und mit den gebräuchlichen Budenreihen besetzt ward, in denen an Kloster-Festtagen, welche nicht selten eintraten, eine beliebige Ausstellung kleiner Waaren zu finden war, die von den herbeiziehenden Landleuten bei ihrer Rückkehr gern gekauft wurden, und welche die Handwerker und Kaufleute des benachbarten Viertels an solchen Tagen dahin brachten.

Durch eine wohl beschnittene Hecke getrennt, stieß an diese kleine Hüttenreihe die Wohnung der Klosterpächterin oder Meierin. Dies Haus war gemauert und mit einem spitzen Schieferdach versehen, unter welchem sich der Speicher befand. Der Obstgarten lag davor, und die Kuhställe umschloß dasselbe Dach, den sie standen alle mit dem großen mittlern Hausraum in Verbindung; ebenso die Milchkammern, in denen die Pächterin, eine Schweizerin, berühmte Butter und Sahnenkäse für die ehrwürdigen Frauen bereitete, und was über das Bedürfniß reichte, an bevorzugte Stellen in der Stadt verkaufte. Ein jährlicher Käse von süßer Sahne und ganz besonderer Zubereitung gehörte dabei zu den Merkwürdigkeiten, an die sich Gedanken und Erzählungen fürs ganze Jahr anknüpften. Dieser eine Käse, welcher nur im August herzustellen war, ward alsdann, nach geschehener Anfrage und erhaltener Erlaubniß, der hohen Frau Kaiserin selbst übersendet und zwar mit immer neuen Erfindungen der guten kindlichen Nönnchen verbunden, welche diese Gabe mit echt süddeutschem Humor in allerlei Verkleidungen und Verstecke hüllten, wobei gewöhnlich zierlich geflochtene Körbchen, fein gestickte Decken und immer herrlich gepflegte Blumen des Klostergartens die Hauptrolle spielten. Zu Ueberbringern wählte man aber ein oder zwei der schönsten Kinder aus der Klosterschule, welche zu Engeln umgestaltet wurden und dann die Gabe mit einigen Versen überreichten, die aus ihren Gesangbüchern entlehnt waren, oder gar aus dem Kopfe einer begabten Klosterfrau hervorgingen.

Die Frau Kaiserin versäumte nie, das Geschenk huldvoll selbst in Empfang zu nehmen, und was sie dabei that und sagte, und was sie trug, und wo sie sich befand, das wurde so oft erzählt und wieder erzählt, zuletzt so verändert, daß nicht viel fehlte, daß man sogar einige Wunder erlebt zu haben glaubte, zu welchem Glauben die phantastische Tracht der kleinen Ueberbringer nicht wenig beitrug. Außerdem erlebte man immer noch ein für die ganze Gegend höchst erbauliches Nachspiel. Denn bald nach diesem empfangenen Geschenk des Klosters erinnerte sich die Kaiserin, daß die Aebtissin desselben ihr Spiel-Fräulein gewesen und an einem Festtage, der bald darauf gefeiert ward, erschien die Kaiserin mit ihren Damen in mehreren Karossen, hielt ihre Andacht dort, nahm bei der Frau Aebtissin hernach eine kleine Collation ein und ließ ein bedeutendes Geschenk in der Armenbüchse zurück. Niemals aber versäumte die Pächterin, Frau Bäbili Oberhofer, in ihrer reichen Berner Tracht im innern Klosterhofe sich hinter den Nonnen zu zeigen, und die Kaiserin, die unter den dunklen Gestalten leicht die schmucke, in grelle Farben gekleidete Frau erkannte, lächelte jedesmal mit holdem Kopfnicken und sagte: »Aha! Frau Oberhofer! der Käse hat gut geschmeckt – macht ihn keiner der Frau Schweizerin nach!« Nach diesen Worten glitten einige Goldstück im selben Augenblick zum Boden, als Frau Oberhofer strahlend vor Entzücken sich auf die Erde beugte, um den fernsten Rand der Schleppe Ihrer Majestät zu küssen.

Wenn Frau Bäbili nach solcher Scene mit glühendem Gesicht und strahlend vor Lust und Wonne, aber mit gesenkten Augen, als könne sie vorerst nichts Anderes sehen, in den äußeren Hof zurücktrat, war ihre Person bei allen ihren Nachbarn zu einer solchen Wichtigkeit erhoben, daß die Volksgruppen, die vor der verschlossenen Thür der kaiserlichen Rückfahrt harrten, ihr ehrerbietig Platz machten, denn Jeder wußte jetzt – die Worte der Kaiserin ruhten auf ihr, und ihre Lippen hatten die Schleppe berührt!

Langsam ging sie und wie getragen von ihrer Erhebung durch die Reihen, und Niemand konnte auf ihrem hübschen glatten Gesicht Stolz oder Hochmuth entdecken. Nur ein scharfer Beobachter hätte herausgefunden, daß sie die derben Füße mit den blauen, roth gestickten Strümpfen und den blanken Lederschuhen mit silbernen Buckelschnallen ungewöhnlich auswärts setzte, und dadurch in den kurzen weiten Rock von seinem roth wollnen Zeuge, hinten einen kleinen hochmüthigen Schwung brachte, der einen selbstgefälligen Zustand verrieth, der sich des Raums bewußt ist, den man seinen Schwingungen zugesteht. Niemand redete sie an auf dem Wege bis zur ersten Pforte, wo sie neben dem Ecksteine Platz nahm, um der abfahrenden Kaiserin sich noch einmal tief knixend zu präsentiren, obwohl dies zu den sonst gern gelittenen Dingen bei Frau Oberhofer gehörte – denn wagte dies einmal eine ihrer Bekanntinnen, überwältigt von Neugierde, dann sagte Frau Oberhofer, wie die Kaiserin selbst mit der Hand abwehrend: »Jetzt nicht, Frau Nachbarin, Ihro Kaiserliche Majestät sind noch im Bereich!«

Kaum war aber die letzte Räderspur verschwunden, dann drängte sich Alles um die Hochbegnadigte herum – und dann hieß es nicht mehr: »Frau Nachbarin!« – sondern: »Drückchen, hätte Sie gesehn! Stinchen, so was hörte Sie nie!« und von allen begleitet zog sie nun unter die Linden und an den aufgedeckten Buden hin, welche sie mit sichern Blicken prüfte, während sie immer wieder aufs Neue das Erlebte erzählte und die kleinen Handelsleute zur Verzweiflung brachte, die sich mit dem halben Leib aus der Bude herausbogen, um Frau Oberhofer zum Herantreten zu bewegen, denn erstlich wußten sie, daß 'in ihrer Tasche heute Goldstücke klimperten, zweitens, daß dieser Tag nie hinging, ohne daß Frau Oberhofer – wie sie sagte – ein Andenken zu Ehren Ihrer Kaiserlichen Majestät für ihre stets ausgesuchte Toilette kaufte.

Es konnte nicht fehlen, daß durch diese jährlich sich wiederholenden Scenen Frau Bäbili Oberhofer unter der kleinen Kolonie des Ursuliner-Hofs ein bedeutendes Ansehn erlangte, da man ihr die Veranlassung zu so ausgezeichneten Ehren zurechnen mußte. Auch war es nicht schwer, mit Frau Bäbili, wie sie Alltags genannt wurd, auf gutem Fuße zu stehn, denn ihr starkes, gesichertes Selbstgefühl war doch ohne kleinlichen Dünkel und gehässigen Argwohn. Harmlos nahm sie an, daß ihr überall der Vorrang gebühre, und von diesem beruhigenden Standpunkte aus fühlte sie mit ihren Umgebungen ein frommes Mitleiden und schritt, gerufen oder ungerufen, überall rathend und helfend ein.

So war Frau Bäbili's rothes Gesicht, ihre helle Stimme für den ganzen Klosterhof eine willkommene Erscheinung, und man übersah leicht, daß sie rasch und befehlshaberisch einschritt, wo ihr etwas nicht nach Sinn ging; denn ihr mitleidiges: »Die armen Fasels hab' das Einseh' nit« blieb fast nie ohne eine kleine thätige Aushülfe, die das Verständniß besser öffnete. Wenn aber der Sommerabend kam, dachte Frau Bäbili unter den Linden nie an Rangstreit, wenn die ganze kleine Kolonie mit Alten und Jungen, Kindern und Greisen zusammen war, und nach guter, heitrer, süddeutscher Weise sich an allen Ecken eine Fidel oder Querpfeife rührte, um zum Tanz aufzufordern.

Auch hierbei liebte Frau Bäbili nicht übersehn zu werden. Ihre hübsche runde Gestalt bewegte sich voll Kraft und Gesundheit und trotz ihrer fünfundvierzig Jahre mit großer Leichtigkeit. Ihr jederzeit sauberer Anzug, dessen Schnitt dabei noch überher der Sitte ihres geliebten Vaterlandes treu blieb, machte sie ohne Zweifel selbst unter den Jüngeren fast zur angenehmsten Tänzerin. Und kam nur der Rechte und zog sie zum Tanze auf, da schoß die heitere Frau, wie ein Kreisel von der Schnur, durch die Reihen hin und alles wich ihr aus, den man mußte auf festen Füßen stehn, wenn man Frau Bäbili's kräftigen Anstoß aushalten sollte. Dieser Rechte war aber ein Insasse der kleinen Kolonie jenseits der Klosterpforte, der in seinem Viertel als Mann Frau Oberhofer repräsentirte, fast eben so viel Ansehn genoß als sie, und gleich ihr, außer seiner Persönlichkeit, in seinem größeren Wohlstande ein bedeutendes Argument führte. Dies war Meister Guntram, der Waffenschmid, dessen rauchende Esse vom frühen Morgen an die geschäftigen Arbeiter verrieth, die um denn sausenden Blasebalg und den sprühenden Ambos mit rüstiger Hand den Hammer schwangen.

Meister Guntram aber galt für eine Art Hexenmeister, denn er war, wie die Gesellen sagten, mit einer glücklichen Hand geboren; das Eisen und das Feuer, der Hammer und die Feile, alles thäte, was er wollte – er habe nur das Anfassen, da war' es schon gethan! – Er lachte stolz über ihren oft verrathenen Glauben, und that nichts, ihn zu wiederlegen, während er vor ihren Augen das Gröbste und Schwerste, das Feinste und Mühsamste mit gleichem Erfolge vollbrachte. Noch war er unverheiratet, und schon schätzte man ihn auf 45 Jahr. »Die Feueresse läßt nicht Raum für Weib und Kind,« pflegte er die Anrede darauf zu erwiedern – »der Waffenschmid wird zuletzt ein rauher Gesell wie Eisen und Stahl; er weiß mit den Weibern nicht mehr umzugehn!« Dabei lachte er mit seinen weißen Zähnen und schaute mit seinen kleinen glänzenden Augen unter den buschigen Augenbrauen so kindlich gut hervor, daß Niemand denken konnte, er sei selbst bei der Arbeit verhärtet. – Dieser nun war es, mit dem Frau Bäbili am liebsten landerte, denn dieser stand doch fest auf den Füßen und war dabei leicht wie eine Springfeder.

Frau Oberhofer bewohnte indessen ihr geräumiges Haus nicht allein. Es schien ihr zu groß für ihre dermalige Lage und sie hatte seit den Jahren, die sie hier regierte, eine alte Frau eingenommen, welche die eine Hälfte des Hauses in Besitz hatte und mit ihrer Nichte von der Frau Pächterin wohlgelitten, sich keine bessere Hauswirthin hätte wünschen können. Die Mietherin, Frau Barbara Hülshofen, hatte ein großes Gemach im Erdgeschoß inne und drüber im Erker noch denselben Raum, dessen Fenster über die Klostermauer sahen in den mit hohen Taxushecken bis zum Graben hinunter reichenden Klostergarten. Die Pachterwohnung hieß sonst das Hospitium, als statt der Ursulinerinnen – Prämonstratenser Mönche das Kloster inne hatten. Seitdem Nonnen eingezogen, war das Hospitium durch die Mauer abgezweigt worden und der Milchwirthschaft überlassen. Da nun hinter dem Hause bis zum Graben hinunter die fetten Wiesen lagen, die ein Eigenthum des Klosters waren, so paßte sich diese Einrichtung für die Zucht der Kühe ganz vortrefflich, ohne doch die ehrwürdigen Damen weiter zu belästigen.

Das lange schmale Gemach, wo Frau Hülshofen Jahr aus Jahr ein wohnte, hatte zwei einander gegenüber liegende große und oben gerundete Fenster; das eine sah nach dem Obstgarten der Frau Bäbili hinaus, das andere nach den Wiesen mit der weiten Ferne, die jenseit des Grabens ausgebreitet lag, während näher am Hause sich ein schöner steinerner Brunnen befand, in welchem die Figur des heiligen Christophorus abgebildet war. Das plätschernde Bassin, worin der Heilige stand, mußte mit den kleinen Quellen, die um seine Füße spielten, das rothe Meer darstellen. Das Kinderfigürchen des Heilands mit der goldenen Strahlenkrone, auf seiner Schulter sitzend, war aber eine liebliche Darstellung, und dieser Heilige ward von allen Hausbewohnern an jedem Morgen zuerst mit gebührender Devotion begrüßt. Steinerne Bänke liefen rund um den Brunnen und nicht weit davon stand eine eben solche Tafel – beides noch Ueberreste der früheren Bestimmung, als Hospitium des Klosters. Hier fanden früher die Pilger zuerst Ruhe und Erquickung, denn dies Plätzchen war auch bei heißem Mittage kühl und geschützt, weil die hohe Klosterkirche ihre breiten Schatten darüber hinwarf.

Das andere Fenster gewährte dagegen keine Aussicht. Frau Bäbili hatte von oben bis unten ein dichtes Rebengeländer hinübergezogen, und obwohl die Sonne, da es nach der Mittagsseite lag, hindurch zu scheinen suchte, erreichte sie doch nichts, als eben diese grüne Blätterwand mit ihren Strahlen zu erhellen, und einzelne Blitze in das Innere des Zimmers zu werfen.

Das Gemach war das ehemalige Refectorium gewesen. Es war schmal, aber lang, denn es durchmaß das ganze Haus, und hatte zwei Thüren, die beide in den großen Hausraum führten, welcher die Küche und der Speisesaal der jetzigen Bewohnerin war. Zwischen diesen Thüren befand sich ein großer Ofen, unten von Eisen, oben mit einer Pyramide von bunten Kacheln. In der Mitte des Zimmers sah man einen langen eichenen Tisch, der zu Allem diente, wozu man eines Tisches bedarf, und am Wiesen-Fenster stand ein Lehnstuhl, mit dunklem Plüsch bezogen, davor das immer summende Rädchen der alten Frau Hülshofen. Die Wände waren leer und, wo sie nicht von Eichenholz waren, wie bei der Fensterwand, mit bunten Kacheln belegt. Die Decke hatte das gewöhnliche Balkengeflecht der früheren Bauart; sie schien von der Zeit geschwärzt und man war nie bis zu ihrer Anfrischung empor gestiegen. Die Hauptwand, dem Ofen und den Thüren gegenüber, zeigte eine wunderlich gemischte Aufstellung von allen Bedürfnissen des kleinen Haushalts. Ursprünglich liefen hier unter einer eichnen Holzlehne Bänke entlang, diese waren jedoch nur noch theilweise zu sehen, und von den Bänken bauten sich nach und nach hinzugefügte Börtchen und Schränke in die Höhe, die den Bedarf der Wirtschaft theils zeigten, theils hinter Vorhängen versteckten.

Es war an demselben Tage, wo der Graf von Lacy sich verlobte, und die Klosterglocken hatten die Vesper eingeläutet. Die Sonne wich immer weiter von dem Wiesengrunde zurück und die Kühe waren schon eingetrieben. Nach dem Tumult, den dies erregte, dem Schreien der Mägde, dem Brüllen des Viehs, trat allmälig immer größere Ruhe ein, denn Frau Bäbili liebte sehr, sich allein zu hören, und verwies bald jeden unnützen Lärm in die gehörigen Schranken. Eine Zeit lang noch klapperten die Milcheimer – dann trat das Heranschieben der Bänke an den Eßtisch ein. Frau Bäbili erhob jetzt ihre Stimme und sagte ein kurzes Gebet her, in welches die Mägde und Adrian, der alte Schweizer, den sie mitgebracht, am Schlusse einstimmten, und nun folgte wieder eine kurze Stille, denn der wichtige Augenblick war da, wo die Ermüdeten die treffliche Suppe zu sich nahmen, welche die Hausfrau, in allen ihren Geschäften geschickt und rechtlich, für ihre Dienerschaft bereitet hatte.

Mit stillem Aufhorchen hatte Frau Barbara Hülshofen an dem Fenster ihres dunkelnden Gemaches diesem fernen Lärmen zugehört und daraus den längst bekannten Gang der häuslichen Angelegenheiten verfolgt. Mehr aber als diese Beobachtung schien sie das Vorrücken der kleinen hölzernen Pendeluhr zu beschäftigen; unaufhörlich blickte sie wieder hin, und ihr Erstaunen schien zu wachsen, denn Magda, ihre Nichte, blieb noch immer aus.

Diese Unruhe wuchs, als Frau Oberhofer, bei ihrer Mahlzeit zur Ruhe gekommen, von ähnlichen Gedanken ergriffen schien, da sie plötzlich die Thür aufmachte, und im Zimmer nach allen Seiten umspähend, ausrief: »Also ist sie noch nicht zurück?«

»Was kann die Veranlassung sein?« rief nun Frau Barbara, schnell aufstehend. »Guntram hat den Kahn geliehen an die Nachbarskinder. Sie werden doch kein Unglück gehabt haben?«

»Behüt's Gott! warum denn Unglück?« sagte Frau Bäbili. »Doch das läßt sich erfahren; ich werde gehen und hören, ob die Kinder nebenan zu Hause sind.«

Schnell wie ihre Gedanken schritt sie zur Thür hinaus, während Frau Barbara nach dem großen Hausraum ging, um die Treppe nach den beiden oberen Schlafkammern hinaufzusteigen, von wo sich eine weitreichende Aussicht über einen Theil des Grabens und bis an das Ende des Wiesengrundes zeigte. Aber so viel sie auch spähte, es blieb Alles still und unbewegt. Die Sonne war schon untergegangen, man sah nur den purpurrothen Gürtel an dem klaren Himmel ausgespannt, der die Stelle bezeichnete, wo sie niedersank.

Im selben Augenblick erhob sich der Gesang der Nonnen aus dem nahen Kloster. Frau Barbara wendete sich und bemerkte jetzt die beiden großen Kirchenfenster, die im Hintergrunde des Chors waren, von den Kerzen des Altars hell erleuchtet, während der Abendhimmel die grauen Pfeiler mit ihren architektonischen Verzierungen röthlich anhauchte. Von dem hohen Fenster, an welchem Frau Barbara stand, reichte der Blick über die Mauer und zwischen den Taxushecken hindurch in den Blumengarten der Nonnen, wo zierlich, wie mit dem Zirkel gemessen, jeder einzelnen Pflanze ihr Plätzchen gegönnt war und Alles sich in einer solchen Frische und Vollständigkeit zeigte, als hätten die gewöhnlichen Hindernisse gegen Wachsen und Blühen hier keine Gewalt. An vielen Stellen waren marmorne Bassins, in deren Mitte sich immer eine größere oder kleinere Sculptur befand, die entweder als Brunnen das Wasser niedertröpfeln ließ, oder als Träger eines förmlichen Springbrunnens den Strahl in die Luft sendete und in Schaalen, die von Figuren gehalten wurden, wieder auffing. Um den weißen Marmorrand dieser Bassins grünte der Rasen wie mit Gold lasirt, und hob das tiefe Blaugrün der Cypressenbäume, die zierlich beschnitten und bis zur Wurzel bewachsen, aussahen wie Nönnchen in ihre Schleier gehüllt, und die in regelmäßigen Entfernungen jedes Bassin im Kreise umgaben und die Rücklehne für die Steinsitze bildeten, die an ihrem Fuße weiß hervor leuchteten.

Es war eine wunderbare Ruhe über dieses Gärtchen ausgebreitet, von welchem der lieblichste Duft in die Höhe stieg. Selbst die Vögel schwiegen; ja, das Wasser schien geräuschlos nieder zu fallen und das röthliche Abendlicht, womit es von Außen umsäumt war, erhöhte im Innern die frische Farbe des Grüns. Hätte Frau Barbara von den anmuthigen Fabeln gewußt, die von bezauberten Gärten, durch Feen geschmückt und behütet, uns erzählen, sie hätte das Erstaunen dann vielleicht auszudrücken vermocht, womit sie das oft bewunderte Gärtchen jetzt so überrascht anblickte.

Diese Betrachtungen hatten sie für einen Augenblick von ihrer Unruhe abgezogen, und jetzt verschwand sie völlig, denn sie erkannte die Gestalt ihrer Nichte Magda, welche vor einem großen Bassin auf einem Steinsitze still und unbeweglich saß, als ob sie die ruhende Natur um sich her nicht stören wolle.

»Warum sie nicht zur Kirche ging« – murmelte Barbara. Wieder sah sie auf das Mädchen hin und jetzt bemerkte sie, daß Magda ihr weißes Taschentuch unter der Schürze hervorzog und das Gesicht damit verhüllte, ohne Zweifel in heftigem Weinen begriffen. »Was ist denn das?« fuhr Barbara fort – »was hat sie nur?« – Ein Geräusch mußte sich hören lassen – die Vesper war zu Ende, und die Nonnen gingen durch den Garten nach dem Refectorium zum Abendessen. – Magda sprang auf wie ein gejagtes Reh und war augenblicklich in der entgegengesetzten Richtung verschwunden.

Indessen war Frau Oberhofer aus dem Gartenthore hinaus gegangen und hatte sich rechts um dasselbe herum geschwungen wo ein schmaler Gang zwischen ihrer Gartenhecke und dem Unterbau der Kirche bis zu einem kleinen Hüttchen fortlief, das kaum mehr als ein befestigter Schuppen war. Nach dem Gange heraus sah man gar kein Fenster; die Lehmwände hatten nur eine schmale hölzerne Thür. Das Häuschen sah auf der andern Seite ebenfalls nach den Wiesen, aber eine halb zusammen gesunkene Bretterwand trennte es von dem Revier der Frau Bäbili und ließ einen abgesonderten Raum entstehn, wo sonst Reisig aufgeschichtet war, was man aber jetzt fortgeschafft hatte. Dies bildete einen kleinen Hof oder Garten, auf dem das Gras und ein gelegentlich gepflanztes Blümchen besonders gut fortkam. In der Mitte stand eine Linde, die ihre breiten Aeste ausruhend über das bemooste Dach der Hütte legte, daß es fast wie ein Nest in ihren Zweigen ruhte. Auch auf dieser Seite war nur ein kleines Schiebfenster und die Thür, die nach dem eben bezeichneten Hofraum führte, welche aber freilich als einzige Licht- und Luftspenderin ziemlich immer geöffnet erhalten ward.

Das Innere zeigte die größte Armuth, die nur auf die allerersten Bedürfnisse des Lebens beschränkt ist. Die Lehmwände waren von innen so unbekleidet wie von außen; der kleine Heerd mit dem Rauchfang drüber war die beste Stelle, und nur eine Bank, die durch zwei Klötze und ein Brett gebildet war, stand davor. Auf niedrigem Fachwerk gab es einige Töpfe und Teller, darunter einen kleinen schwankenden Tisch. Außerdem enthielt der Raum drei Schlafstellen von Heu mit ein paar Decken und Kopfkissen; die eine lag hinter einem roh gezimmerten Bretterverschläge. Der Fußboden war wenig über die Straße erhöht und von bloßem Lehm festgetreten.

Der größte Vorrath dieser Hütte schien eine Menge gekrempelter Wolle, die auf hölzernen Pflöcken an den Wänden hing, nebst einem Vorrath roher Wolle, der noch des Fleißes harrte und am Boden aufgehäuft war.

So tiefe Armuth hier nun sichtlich vor Augen lag, hatte dieser Raum doch einen Vorzug, der selten mit Armuth vereint ist; er war auffallend rein und eine gesunde Luft wehte dem Eintretenden darin entgegen.

Das Feuer brannte am späten Abend auf dem Heerde und ein kleiner brodelnder Kessel enthielt die Hoffnung für drei hungrige Magen. Aber wer hätte noch an das Gefolge der Armuth, den Trübsinn, denken können, wer die ältliche Frau erblickte, die auf der Bank saß – und Hedwiga, die auf einem Häufchen Wolle vor ihr kniete und ihr lachend und lebhaft gestikulirend von der heutigen Kahnfahrt erzählte.

Die Frau blickte mit lachendem Gesichte zu dem Kinde nieder, während sie, mit einer Hand den Kochlöffel haltend, in dem Kessel rührte und ihn nie ganz aus den Augen verlor.

»Mora!« schloß Hedwiga ihre Erzählung – »so hast Du die Magda nie gesehen! Wie ein kleines Kind hat sie sich gehabt!«

»Das vornehme Volk hat's ihr angethan,« entgegnete Mora lachend. »Die sind auch der Mühe werth, vor ihnen zu erblöden.«

Indem trat Egon, der im Hofraum Holz gespalten hatte, mit seinem Bündel auf dem Kopfe ein, so leicht und zierlich schreitend, als trüge er eine Blumenkrone.

»Hier, Mora, hast Du Vorrath,« rief er – »und nun sieh', wie schön ich's gemacht! Ein Stückchen ist wie das andere, und glatt wie gehobelt; da will ich sehen, ob Ihr wieder Splitter in die Finger kriegen werdet.«

»Gut,« sagte Mora, »Du bist ein tüchtiger Gesell! da sollst Du auch belobt werden und wirst, denke ich, nicht bös sein, daß die Suppe gerade fertig ist.«

»Komm, Egon,« rief Hedwiga – »hilf mir, eh' wir Suppe essen, das Holz packen!« Und schon kniete sie und legte so geschickt und zierlich die Stückchen über einander, daß ihr Aufbau zugleich ein bescheidner Schmuck dieser reizlosen Wohnung scheinen konnte. Unterdessen stellte Mora drei Teller auf den kleinen Tisch, und vertheilte sorgsam die grobe Brodsuppe, den Inhalt des Kessels, zu dessen Würdigung der gute Appetit der Jugend gehörte. Als die Kinder dann ihr Geschäft beendet, sprach Mora ein Gebet und fröhlich fuhren sie nun über ihre Teller her, welche in kurzer Zeit geleert waren.

In diesem Augenblick ward die Thür aufgerissen und Bäbili rief ohne weitere Einladung: »Aber wenn Ihr da seid, wo habt Ihr denn Magda gelassen?«

Alle sprangen auf und Hedwiga warf sich der guten Pächterin in die Arme, während diese sie umschlang und an sich drückte, doch ohne viel auf Antwort zu hören, immer wiederholte: »Wo habt Ihr denn Magda gelassen?«

»Denkst Du, Bäbili, ich kann das unartige Mädchen hüten?« rief Egon vortretend. »Den ganzen Spaß hat sie uns verdorben, nicht von der Stelle sind wir gekommen, ich habe weder die Rehe, noch Hedwiga die Vögel gesehen – und an der Fürstin lag nicht die Schuld, die hätte gethan wie immer; aber Magda hat Alles verdorben! Solche dicke Augen hatte sie sich geweint – gleich wieder fort wollte sie – und immer starrte sie den schönen jungen Herrn an. Dann trieb sie in den Kahn hinein, als wenn wir fortgeschickt würden – da bin ich zwar mitgefahren, aber reden thue ich nicht mehr mit ihr, ich sehe sie nicht wieder an. Sie kann ihren jungen Herrn betrachten, wenn ihr der so gut gefällt.«

Diese erzürnte Rede ward durch ein lautes Gelächter von Frau Bäbili unterbrochen, wobei sie sich niedersetzte und die Hände immerfort zusammenschlug. »O über das spaßige Ding von Jungen! Der Bube ist eifersüchtig – so Gott lebt! das Kernherz ist ganz toll und wild!« so rief Frau Bäbili ohne Aufhören in der besten Laune, und Mora lachte auch und sagte: »Das wär' mir was Schönes – Liebelei anfangen!«

Egon wollte aus der Haut fahren vor Zorn und Beschämung. Er sah mit wilden Augen bald auf Bäbili, bald auf Mora und achtete nicht auf Hedwiga, die den Sturm ahnte und sich ängstlich an ihn schmiegte. Mit einem Male stürzte er vor, und beide Hände von Bäbili wüthend zusammendrückend, schrie er: »Lache nicht, Bäbili – schweig' oder ich erwürge Dich!«

»Großmächtiger Gott! Heiliger Christophorus, schütze mich!« schrie Frau Bäbili – »der Bube thut mir ein Leid!«

Aber sie behielt kaum Zeit zum Erschrecken, denn so schnell wie Egon sie gepackt, so schnell ließ er sie fahren und war mit einem Satze zum Hause hinaus, über den Hof hinweg, über den Bretterzaun hinüber, in dem weit vor ihm daliegenden kühligen Wiesengrunde. Frau Bäbili, welche gewohnt war, daß man ihren Zuständen viel Aufmerksamkeit schenkte, blickte nach dieser eiligen Flucht auf Frau Mora mit der Hoffnung ihrer besonderen Theilnahme; sie sah aber, daß diese Theilnahme eine andere Richtung hatte, denn schnell, wie es die Art der rüstigen Frau war, sprang sie auf und verfolgte von der Hausthür aus den Flüchtling mit den Augen, dessen Gefühle sie sich sehr wohl vorstellen konnte.

Die Pächterin schickte sich daher in die Umstände und richtete sich selbst mit ihrem höchst unbedeutenden Erschrecken ein. Da sie von Hedwiga erfahren hatte, daß Magda an der Klosterpforte von den Kindern Abschied genommen, also in Sicherheit war, erinnerte sie sich, daß nach dem Abendessen ihre Plauderstunde gekommen sei, und die Arme in einander schlagend, sagte sie zu Frau Mora, die den Knaben noch immer mit den Augen verfolgte: »Hört! hört! Nachbarin! Der Bub' wächst Euch über den Kopf! Halt, Frauchen, das geht nit mehr, der Rücken wird ihm zu grad' – hat keine Last, keine Müh' darauf. Jung gewohnt, alt gethan. Frauensleute haben keine Hand für die Buben – die Natur ist zu stark in ihrem Blut! Ihr müßt das Joch wo anders suchen – und die Hand, die es ihm auflegt, muß von dem andern Geschlecht sein!«

»Ja, ja!« sagte Mora, noch immer hinaus schauend, »das sagt sich bald, Frau Bäbili. Aber wo – wo steckt die Gelegenheit, die sich für den Burschen paßt?«

»Heiliger Christophorus, schütze mein Dach!« rief Frau Bäbili und äußerte nun ein grenzenloses Erstaunen über Frau Mora's Antwort, obwohl sie diesen Gegenstand genau mit denselben Antworten wöchentlich einige Male zu besprechen pflegte, immer mit demselben Erfolge, ohne daß dadurch die freundliche Gemeinschaft beider Nachbarinnen gestört worden wäre, denn Frau Bäbili war viel zu sehr in die Angelegenheiten des ganzen Klosterhofs versenkt, um einem Einzelnen ihre ausschließliche Aufmerksamkeit schenken zu können. Mehr aber noch lag das wohlbewahrte Einverständniß der beiden Frauen darin, daß Frau Mora noch viel entschiedener, als Frau Bäbili war, und diese daher gewöhnt, blos ihre Reden frei zu haben, übrigens aber immer zusehen zu müssen, wie die kecke Frau Mora die Dinge nach ihrer Art handhabte.

Dabei war für Frau Mora das Maaß der Verpflichtung gegen die gutmüthige Pächterin so ungewöhnlich, daß eine größere Nachgiebigkeit nur natürlich erschienen wäre. – Die Bekanntschaft beider war so entstanden, daß Frau Bäbili an einem regnichten und stürmischen Novemberabende spät von einem Besuche zurückgekehrt war und in dem trockenen Graben vor der Mauer des ersten Klosterhofes das klägliche Weinen von Kinderstimmen vernommen hatte. Beim Nähertreten hatte sie ein armes Weib gefunden, welches zwei Kinder gegen Kälte und Regen mit ihrem eigenen Körper zu schützen suchte, und auf die mitleidige Anfrage der gutmüthigen Pächterin, folgte der unglücklichen Frau flehende Bitte um Schuh und Hülfe. Diese Frau war Mora und die halbverhungerten und erfrornen Kinder Egon und Hedwiga.

Kaum hatte Frau Oberhofer bei dem Schein ihrer kleinen Blendlaterne den kläglichen Zustand dieser Hülfsbedürftigen erkannt, als sie sich unter Thränen des Mitgefühls ihrem Heiligen empfahl und Mora hieß, ihr mit Egon zu folgen, während sie das bleiche Engelspüppchen, wie sie sich ausdrückte, die kleine verschmachtete Hedwiga unter ihren Regenmantel nahm und mit Allen ohne weitere Ueberlegung der Pächtern zuschritt, wo die Flamme, die den Hausraum schon wohlthuend erwärmt hatte, jetzt die großen Töpfe dampfen machte, in denen die reichliche Kost für den Abend harrte.

Schnell wußte Frau Bäbili den Antheil für ihre Findlinge auch in Frau Barbara zu wecken und Magda pflegte nicht zu fragen, wenn eine Idee sie beherrschte. Sie schleppte Wäsche und Kleider herbei und Hedwiga lag bald in trockner Wäsche von Magda und in einen roth wollnen Rock von Frau Bäbili gehüllt, in dem Schooß derselben und aß einen Teller lange nicht gekosteter Suppe, während die schönen vertrauend blickenden Aeuglein mit dem Schlafe kämpften und das Köpfchen immer wieder das weiche Ruhekissen suchte, worin ein immer zärtlicheres Herz ihr entgegenschlug.

Der Knabe lag dagegen im heftigsten Fieber, und seine ängstlichen Bitten an Nora, Hedwiga zu retten, sie ihn tragen zu lassen – seine Furcht, den warmen Thee zu trinken, die trocknen Kleider anzulegen, immer weil er alles an Mora und Hedwiga geben wollte, bewiesen die Anstrengung, mit der er bis jetzt die Widerwärtigkeiten ertragen. Frau Bäbili's Augen entfielen Thränen auf Thränen und sie rief immer aufs Neue: »Das herz'ge Bübchen! Da hat mich der Herr zur rechten Stund' geschickt!«

Erst als sich die erste Hitze des Fiebers brach und er auf dem weichen Heu in Decken gehüllt, vom Schlaf überwältigt verstummt war, Hedwiga im eignen Bette der Frau Bäbili ruhig wie in der Heimat schlief, nahm Frau Mora Hülfe an. Wie nöthig sie ihr war, zeigte sich bald, denn auch sie hatte ihre Kräfte über Vermögen angestrengt und wunde Füße, zerrissene nasse Kleider, ein nicht mehr zu bekämpfendes Gefühl des Hungers trat so gebieterisch hervor, daß die tiefe Noth der Unglücklichen Allen vor Augen lag. Auch ihr wurden trockne Kleider gegeben, die Füße gebadet und verbunden, und nachdem der Hunger gestillt, sank sie überwältigt neben dem Knaben auf das weiche Heulager hin.

So viel auch Frau Oberhofer zu ordnen gehabt, sie hatte doch Zeit behalten, zu bemerken, daß ihre Schutzbefohlenen keine Einheimische waren. Sie sprachen ein anderes Deutsch, und da sie einmal durch Franken gekommen war, glaubte sie, daß sie daher seien. »Gewiß Wallfahrer,« seufzte sie – »die irgend ein Gelübde zu lösen haben! Es ist halt gut mit der Frömmigkeit, aber die Heiligen spinnen und pflügen nicht, indeß wir singend die Landstraße ziehn!« Dies war ihr Denkspruch, der nach ihrem Sinn einen leisen Schatten auf die andächtigen Wallfahrer warf.

Ordentliche und geschäftige Leute tragen aber Sorge, jede Störung in ihrem Wirkungskreise auf irgend eine Weise auszugleichen; entweder – sich von dem Gegenstande los zu machen oder ihn einzufügen, damit er den gewohnten Gang mitgehe und die hergebrachte Ordnung nicht länger gestört werde. Bald war die Sorge für diese Familie in Frau Bäbili's Tagesordnung eingeschaltet und endlich gab sie fast ungern zu, daß Mora sich in der aufgefundenen Hütte mit den Kindern einrichtete. Bäbili's Schuld war es auch wahrlich nicht, wenn die Spuren der Armuth daraus nicht sichtlicher verschwinden wollten! Aber mit den wiederkehrenden Kräften der stets fleißigen und gesunden Mora kehrte auch ihr selbstständiger Sinn zurück und sie zeigte nun, daß sie arbeiten könne – und nur durch Arbeit für ihre Schutzbefohlenen sorgen wolle. Ließ sie auch Geschenke an Kleidern und Wäsche für die Kinder zu – mußte dies doch selten, sparsam und mit guter Art geschehen, wenn es nicht ihre Zurückweisung erfahren sollte. Längst aber wußte Frau Bäbili, daß ihre Findlinge keine Wallfahrer waren; aber zu gleicher Zeit erfuhr sie wenig mehr. Frau Mora war nicht die Mutter. »Der Krieg! der Krieg!« war die stete Antwort, und was lag nicht in der Phantasie der guten Pächterin über diesen Gegenstand aufgeschichtet! Die abenteuerlichsten Zustände, die sie hätte erfahren können, würden Raum darin gefunden haben. Da sie überdies von den Bewohnern der kleinen Kolonie gedrängt ward, über ihre Schützlinge Rechenschaft zu geben, und es fast kränkend empfand, so wenig von ihnen sagen zu können, war ihr nach und nach eine kleine Geschichte ihrer eignen Erfindung entrissen worden, die von Kriegsunglück, Mord, Brand und Hunger handelte und von Allen willig geglaubt ward, da sie in die Geschichte der kaum überstandenen Zeit vollkommen paßte. So schlich sich das oft Erzählte zuletzt in die eigene Ueberzeugung der guten Frau ein, und es würde ihr nach einiger Zeit sehr schwer geworden sein, heraus zu finden, was wahr und was von ihr hinzugefügt worden sei. Frau Mora übernahm nie das Geschäft, den oft in ihrer Gegenwart wiederholten Wust aufzuräumen; aber mit einem unendlich komischen Ausdruck ihres gutmüthigen Gesichts stieß sie ein kurzes Lachen aus und pflegte zu sagen: »Ja! ja! wer deutsch redet, weiß, was Krieg heißt!« Jeder nahm dies für eine Bestätigung, und die Sache behielt ihren Bestand.

Dagegen traten nun viele Eigenthümlichkeiten hervor. Mora arbeitete Tag und Nacht für die Erhaltung der Kinder, aber sie blieb wie angenagelt in ihrer Hütte. Kaum wußten ihre nächsten Nachbarn, wie Frau Mora aussah. Alle Arbeit, die in seinem Nähen, in besonders reinem Krempeln der Wolle, in einer sauberen Stickerei von Zwickeln, Gürteltaschen und Pantoffeln bestand, ging durch Frau Bäbili's Hände. Nie wollte sie an den Abendzusammenkünften der kleinen Klosterkolonie Antheil nehmen, noch weniger den Kindern gestatten, Frau Väbili dahin zu begleiten. Sie selbst spielte mit den Kindern, lehrte sie Lieder und oft trieb sie solche Possen mit ihnen, daß Frau Bäbili das Lachen bis zum Brunnen hörte und dann, selbst erheitert, ihr rothes Gesicht über den kleinen Zaun steckte, wo sich dann gleich großes Freudengeschrei erhob und sie nicht selten eine Theilnehmerin der munteren Gesellschaft ward. Doch daß Mora auch ernst sein konnte, zeigte sich am deutlichsten, wenn sie ihre seltenen Besuche bei Frau Hülshofen machte. Aus allem diesem entstanden Zugeständnisse, die Väbili gern sah und ihrem Fürwort zurechnete; wie denn auch die Gemeinschaft von Magda mit den beiden armen Nachbarländern, Egon und Hedwiga, daraus hervorging. Was Magda bei den Klosterfrauen lernte, lehrte sie die Kinder wieder, meist geschah es unter Frau Barbaras Aufsicht und am häufigsten mit ihrer Unterstützung. Beide lernten lesen, und nach einem Besuch der Frau Barbara im Kloster, ging Egon eines Tags zum Klostervoigt und nahm seitdem an dem Unterricht Theil, den Jener dort einer kleinen Anzahl Knaben ertheilen durfte, und der, wie gering auch immer, doch die ersten Elemente des Wissens enthielt. Hedwiga dagegen malte mit unermüdlichem Fleiße die zierlichen Buchstaben nach, die Magda ihr vorzeichnete, und es war Hoffnung, daß sie in einigen Jahren werde schreiben lernen. Zu diesen Anordnungen der drei Frauen für die Erziehung der hoffnungsvollen Kinder fügte Egon noch aus eigener Machtvollkommenheit den Unterricht hinzu, den ihm die Bekanntschaft mit Guntram, dem Waffenschmid, verschaffte. Sein Weg zum Klostervoigt, dessen Wohnung außerhalb der innern Klostermauer auf der andern Seite der kleinen Kolonie lag, führte ihn täglich an der Schmiede vorüber, und täglich blieb er stehen und sah dem Entstehen der kunstreichen Werke zu, die für ihn mit fast zauberhafter Gewalt aus der Glut des Feuers hervorgingen. Wenn er zurückkam und Mora und Hedwiga von dem erzählte, was er eben gesehen, so glühte seine Stirn und er gestikulirte mit Händen und Füßen, um die Wunder anschaulich zu machen, die, wie er glaubte, dort geschahen. Wie konnte es fehlen, daß der scharfblickende Guntram bald auf den schönen Knaben aufmerksam wurde, der an der Schwelle der Schmiede lehnend jeden Erfolg mit seinen glänzenden Augen verschlang, und bald dreist und selbstvergessen mitten unter ihm und seinen Gesellen stand und laut jauchzte, wenn der Hammer das zischende Eisen beugte.

Bald schaute Guntram nach dem Knaben aus, wenn die Schulstunde vorüber war, und später hätte es scheinen können, des Meisters Freistunde fiele immer mit der des Knaben zusammen, denn wie an einem Eichbaum kletterte Egon an Guntram hinauf, so wie er ihn in fröhlichen Sätzen erreicht hatte, und dann arbeitete Jener nur noch, um dem Knaben den Hammer führen zu lehren, oder in der Polirkammer den Gebrauch der Feile und des Bossirbeins. Zuletzt aber blieb ihr vorherrschendes Vergnügen, die Rapiere mit einander zu führen, und nachdem der Meister für Egon mit eigenen Händen ein passendes geschmiedet, zeigte es sich, daß er in guter Schule es schwingen gelernt hatte. Wie gern standen die Gesellen und sahen fröhlich zu, wenn Guntram und Egon, nicht unähnlich dem David und Goliath, auf dem Rasen des Gärtchens hinter der Schmiede sich tummelten!

Diese Besuche Egon's gestattete Mora; ja sie hörte wohlgefällig lachend seinen Erzählungen zu und rief: »Sieh Hähnchen! lernst Du krähen?« Bald faßte sie Vertrauen zu Guntram, obwohl sie ihn nie sah, und die Zugeständnisse erweiterten sich. Egon nahm nach tüchtiger Waffenübung Theil an dem kräftigen Mahle des Meister Guntram, und die Stunden der Erholung nach dem Essen füllte er dann mit Erzählungen eines früheren unruhigen Lebens aus, in denen Mittheilungen aus der Welt enthalten waren, denen Egon mit angehaltenem Athem zuhörte. Guntram war früher in einem kleinen Fürstenthume bei dem Hofstaate des Erbprinzen als Waffenschmied angestellt gewesen, dann mit in den Krieg gezogen, als der kleine Staat Hülfstruppen für Oestreich stellte. Und was hatte er nun nicht Alles im Kriege erlebt, und wie wußte er anschaulich zu erzählen und jene Bilder hochherziger Tapferkeit und männlicher Kraft und Ausdauer mit den ihn selbst immer tief bewegenden Erinnerungen an die Heimat zu verflechten, an die erste Zeit der Jugend, an die milden friedlichen Zustände einer glücklichen Lage unter dem Schütze eines geliebten und gütigen Herrn!

»Und warum kamst Du hierher?« rief Egon so heftig, daß der Waffenschmid den Druck der kleinen derben Hand auf seinem Arm fühlte. »Warum hast Du Deinen guten gütigen Herrn verlassen, da er Dir so viel zu Liebe that?«

Nur einmal führten sie das Gespräch, was jetzt folgte, und deshalb heben wir es aus den täglichen Erzählungen hervor, da es hinreichend zeigt, wie nah sich Guntram den Knaben hatte kommen lassen, wie dieser ihm zum Vertrauten heran gewachsen war.

Guntrams Augen blitzten auf, als Egon die kühne, fast zürnende Frage that; er schien ihm erwiedern zu wollen, wie ein Mann dem andern bei lästigem Einspruch. Aber als er den schönen Knaben ansah, verlor er sich in dem Gedanken, wie zart und jung er sei, und wie tüchtig und furchtlos zugleich. »Knabe,« sagte er – »Du hast kecke Weise! Doch will ich Dir antworten,« fügte er nach einer kleinen Pause ernst hinzu.

»Was weiß ich, was Du sprichst!« sagte Egon. »Aber erzählen mußt Du mir, warum Du nicht treu bei ihm aushieltest, der Dein Herr war, Dir Gutes that und den Du liebtest?«

»Egon,« erwiederte Guntram, »mein Herr blieb selbst nicht in der Heimath – er verwünschte den Boden, auf dem er geboren – das Vaterhaus, das ihn gepflegt! So stürzte er fort in die Welt hinein und ich wollte auch nicht bleiben, wo man ihn so tief gekränkt; dem alten bösen Vater meines jungen Herrn, der noch regierte, dem wollte ich auch nicht dienen. Da räumte ich zusammen, verkaufte die alte Feuerstelle und baute hier diese Esse wieder auf!«

»Also der Vater war böse und vertrieb den Sohn, und Du wolltest dem nicht dienen, der Deinen Herrn kränkte?« Froh schlug Egon bei diesen Worten in die Hände, dann drückte er sich an Guntrams Arm und versuchte den Riesen zu schütteln, was so viel Erfolg hatte, als ob er die Eiche umschlungen hätte, unter der sie saßen. Guntram aber fühlte den Beifall des Knaben mit einer Befriedigung, die von seiner Liebe zu ihm zeugte, und Beide sahen sich wie Vater und Sohn in die Augen.

»Aber was that denn der alte böse Mann Deinem jungen Herrn?« fragte Egon unbefangen weiter.

Doch jetzt fuhr Guntram in die Höhe, als stäche ihn eine Natter. »Schweig!« schrie er mit rothem Gesicht, in dem die Adern schwollen, während der Mund bebte – »schweig – und frage mich nie danach!«

Der Knabe blickte trotzig auf. Aber Guntram war ein zu tüchtiger Mann, um dem Knaben nicht Achtung einflößen zu können. Die Entgegnung unterblieb, aber das Beisammensein war gestört. Guntram stand auf und ging in die Schmiede, er nahm dem nächsten Gesellen den Hammer aus der Hand und als er das glühende Eisen unter seinen gewichtigen Schlägen sich krümmen sah, schien ihm das Herz erst wieder leicht zu werden. Er schaute nicht um nach dem Knaben; er wußte, daß er fort war denn er vertrug kein rauhes Wort und er liebte ihn darum nicht minder. Aber der Tag war ihm ohne den Knaben zu lang und der nächste Morgen, bis die Schule beim Klostervoigt aus war, ließ ihn unruhig und ungeduldig. Als er ihn von fern kommen sah, stellte er sich vor die Thür und feilte etwas an dem Rapier, was Egon gehörte; dieser sah es und wollte doch nichts darauf geben. Er konnte aber auch nicht vor dem Hause vorbei, so langsam er heute auch ging, und endlich blieb er stehen und sah nach dem Storchnest auf dem Dache, als sähe er den Meister nicht.

»So,« sagte Guntram, der lächelnd alles bemerkte, und legte die Feile weg – »nun wird's besser sein. Das lähmte Dir immer die Hand. Komm mal, wir wollen's gleich versuchen.«

Er ging hinein. Da konnte Egon nicht länger widerstehn; er nahm das Rapier und folgte ihm auf den Grasplatz hinaus, wo sie immer zu fechten pflegten. Wie die glänzenden Klingen in der Luft flogen, so flog die Verstimmung des Knaben dahin und er war Meister an Gewandtheit, Vorsicht und schlauem Scharfblick.

Erst als der Schweiß Beiden von der Stirne perlte, ruhten sie aus und jetzt sahen sie sich mit den alten Augen an und Guntram sagte: »Ich hab' Dir einen Fleischpudding und Knödeln machen lassen! da muß die Frau Mora heute wol allein essen!«

Egon aber hing sich lächelnd an seinen Arm und trat mit ihm in die kleine kühle Stube, deren Fenster von Weinlaub verhangen waren, und wo es nach Nußbaumholz roch, weil die halbe Wand mit eingelegten Schränken bekleidet war. Auch die alte blitzende Kommode und der Eßtisch, auf dem die blanken zinnernen Teller und Becher standen, und die steifen hochlehnigen Schemel ringsherum – alles war von demselben blankgebohnten Holze.

Als sie nur erst neben einander saßen, da zeigte es sich bald, daß die alte Freundschaft nichts verloren hatte. Ja die kleine Pause hatte in Egon fast eine größere Liebe erweckt! Er hörte mit leuchtenden Augen, was aus Guntrams klugen Munde kam, und machte dabei geschickt die Kunststücke nach, welcher dieser mit Messer und Gabel vormachte, nachdem sie ihr Werk an dem Fleischpudding und den Knödeln vollführt hatten.

Daß Guntram auch für ein Vergnügen des Knaben sorgte, worein er die Mädchen verflechten konnte, haben wir an der Wasserfahrt gesehn, denn Guntrams Garten stieß ebenfalls an den Graben. Ihm gehörte der Kahn, er lehrte ihn Egon führen und durfte ihn endlich ihm allein überlassen, weil er hinlänglich Kraft und Geschick dazu zeigte, und da die Kinder die lieblichsten Gesänge mit einander erlernt hatten, wurden sie auf diese Weise mit der gütigen Fürstin Morani bekannt.

So nachgebend sich nun Mora gegen Egons Umgang mit Guntram, dem Waffenschmied, zeigte, so halsstarrig widerstand sie, wenn Frau Bäbili sie aufforderte, den Knaben ganz bei dem Meister in die Lehre zu geben, und es gehörte zu dem regelmäßigen Gezänk der beiden Frauen, welches jedesmal mit dem grenzenlos erstaunt scheinenden Ausrufe der Frau Bäbili endete: »Auf was für einen Ehrenplatz denn Frau Mora für den großen ungezogenen Jungen warte!«

»Kommt Zeit, kommt Rath!« sagte Mora – »dienen soll er nicht, so lang' ich noch Finger habe zum Nähen und Krempeln!«

Auch an jenem Abende, wo Bäbili Egons Heftigkeit erfahren, kam das Gespräch beider Frauen bald auf den Gegenstand ihres Streites zurück, und die hellen Stimmen kämpften muthig mit Wiederholung der längst bekannten Gründe für und wider, wobei Mora stets im Nachtheil erschien, da ihre hartnäckige Weigerung baarer Unsinn ohne alle Gründe, blos ihren Willen kund gab, während Bäbili's Entgegnungen in die Augen fallenden Rechtsgrund hatten.

»Hört, Mora,« sagte endlich Bäbili – »Behüt's Gott, aber auf dem einen Punkt ist's nit richtig mit Euch! Da seid Ihr ein Fasel wie eins!«

»Mag's drum sein! erwiederte Mora – »Ist wenig Verdienst, wenn die Leute ihr Bischen Hirn behalten; Anderen dagegen möchte es ausschwitzen von aller erfahrnen Noth!«

Solche Wendung verfehlte nie, der guten Bäbili zu Herzen zu gehn und stimmte den Ton herab, mit dem sie sonst ungeduldig einsprach. »Denkt Ihr denn nichts Anderes aus für den Buben?« fragte sie deshalb im milderen Tone.

Mora seufzte und schwieg, dann sagte sie in sich hinein und wie zu sich selbst: »Er speist die Raben unter dem Zelte des Himmels – er kleidet die Lilien auf dem Felde – sollte er die Kinder vergessen, die Keinen haben als ihn? Ich will warten auf die Gnade des Herrn! Amen.«

Frau Bäbili trocknete die Thränen mit dem Zipfel ihrer Schürze und zog Hedwiga auf ihren Schooß und strich ihr Köpfchen und drückte sie an sich. »Still! still! Mora. Der, den ihr anruft, weiß schon, was gut ist. Hat er mich doch immer zur Zeit der höchsten Noth – er weiß immer die Stunde! Und nun hört nun gleich, was ich noch nicht ausplaudern wollt' – doch geschehe es, daß Ihr Trost habt. Ich hab' mit der Hedwiga was vor – – ja! ja, mein Aculi,« fuhr sie fort, »die Frau Aebtissin Gnaden will Dich klein Gemschen sehn und – und rath mal? was thut die Bäbili alle Jahre Großes – Schönes – zu hohen Ehren verrichten?«

»Einen Käse machen!« jauchzte Hedwiga, denn dies Ereigniß erwarteten die Kinder kaum mit weniger Sehnsucht als Frau Bäbili selbst, da hierbei tausend kleine Freuden für sie mit einliefen.

»O du schmuckes Aeule,« rief Frau Bäbili und herzte das Kind – »was es schlau ist. Aber was weiter, mein Lieb? Rathe! Was hat die Frau Aebtissin Gnaden der Frau Bäbili, die ein Wort mitreden darf, zugestanden? Nu? – nu?«

Doch hier war Hedwiga's Schlauheit zu Ende; sie schwieg beschämt. »Nu,« fuhr Bäbili fort – »was thun die ehrwürdigen Klosterfrauen denn alljährlich? Wenn wir halt dies Jahr das weiße Röckchen – und die Flügel – und den Rosenkranz für mein kleines Schätzchen, für Hedwiga, machten.«

Ein lautes Gejauchze der überraschten Kleinen war die Antwort. Sie war mit einem Satze von Bäbili's Schoß und hatte sich jubelnd an Mora's Hals geklammert. Erst lachte das arme Weib bei dem Anblicke des glücklichen Kindes, dann kehrten andere Gedanken ein und sie sagte traurig: »Setzt Ihr keine Spaße in den Kopf, Frau Bäbili!«

»Späße! Späße!« rief diese – »daß Gott behüt! Bin ich ein Fasel? He? Wo habt Ihr die Kunde her? Frau Bäbili täuscht Keins! Was Bäbili sagt, ist wahr, wie Schweizer Art! Längst,« fuhr sie nun eifrig fort, »hab' ich der Frau Aebtissin Gnaden das Gemsli hier empfohlen – aber die Gnaden hatten zu viel Zudrang – die Klosterschule immer noch ein wollig Schäfchen, das von dieser oder jener Klosterfrau Vorschub genoß – und bald soll's ein Schulkind sein – bald soll's von Eltern sein, die zu nennen – und was da all' war! Aber diesmal fing ich früh an – und that mir's zur Gnade erbitten, daß ich das kleine Englein erwählen thät' und da Hab' ich's denn bis aufs Ansehen fertig. Nu, Liebli, ziehst Du morgen das gute Röckchen an und setz'st die rothe Kappe auf und dann woll' wir sehn, ob die Bäbili Recht bekömmt? denn ich selbst führe Dich vor Ihro Gnaden, die Frau Aebtissin.«

Es mochte sich jetzt etwas in Mora's Sinn wenden, und so wenig sie auf Bäbili's Worte zu achten schien, verrieth ihre nachdenkende Miene doch, sie habe den Fall erwogen. Sie blickte das Kind an, was noch in ihrem Arm hing, mit einem Ausdruck, in welchem eine Fülle von Liebe und Schmerz lag, dann sagte sie: »Halte wer kann, wenn die Zeit kommt, die's weg nimmt. Weiß ich, wohin's führt? Ist doch viel Gutes dabei.«

»So denk' ich,« sagte Bäbili – »und freut mich, daß Euch daß Verständniß kommt. Nu! so wär's denn gesprochen; und Ihr wißt, wozu ich das Herzli morgen abhole.« Damit erhob sie sich und kehrte nach dem Hospitium zurück.

Kaum hatte sie den Rücken gewendet, so knisterte der Bretterzaun und Hedwiga, die das kleinste Geräusch hörte, flog zur Hausthür hinaus und Egon entgegen, der über die Bretterwand stieg, die Ziege hinter sich her zerrend, die er glücklicher Weise noch auf der Wiese gefunden hatte, und die er nun benutzte, um seine Rückkehr vor dem Ausdruck der Verlegenheit zu schützen, die er nach seinem ungestümen Betragen nur zu lebhaft fühlte. Sonst freilich wurde die gute Ziege, die Freundin und Wohlthäterin der Kinder, durch's Haus der Frau Oberhofer geführt, da der Bretterzaun keine Thüre hatte, und sie mochte wohl sehr erstaunt sein, daß ihr Führer an diesem Abende verlangte, sie solle über den ziemlich hohen Zaun klettern. Dessen ungeachtet versuchte sie, was mit knabenhaftem Ungestüm von Egon gefordert ward; sie stand auf den Hinterfüßen hoch aufgerichtet und steckte ihren bärtigen Kopf mit leisem Gemecker über den Rand des Zauns, während Egon immerfort den Sprung verlangte, den das alte steife Thier nicht mehr zu machen verstand. Auch Hedwiga redete der armen Ziege zu und hielt ihr Klee und sogar eine Rinde Brod vor: aber wenn sie auch zuweilen ihre steifen Füße mühsam in die Höhe schob, fiel sie doch wieder zurück und sie gab dann ihre Gegenvorstellungen durch ein klägliches Gemecker zu verstehn. Nun schmolz Hedwiga's Herz; sie verlangte, Egon sollte zurück steigen und die Ziege durch Frau Oberhofers Haus führen, wie dies sonst immer geschah. Dieser Vorschlag aber hieß Egons wunde Stellen berühren, denn in jenem Hause war Alles, was ihm heut weh gethan, und woran er sich versündigt hatte.

»Das thue ich nicht!« rief er – »in das Haus gehe ich nicht – niemals, niemals gehe ich wieder hinein. Die Ziege soll herüber klettern!« Und damit schwang er sich über den Zaun zurück und ergriff die gute alte Ziege an den Hinterfüßen und da sie dadurch gehoben ward, stand sie unter jämmerlichem Gemecker wieder auf den Vorderfüßen und schaute traurig zu Hedwiga hinüber, die ihr die schönsten guten Worte gab und sie immerfort mit ihren kleinen schnalzenden Fingern lockte, da sie Egon genug kannte, um zu wissen, er werde nicht davon abstehen. Doch mit einem Wale nahm dieser hinter ihr all seine Kräfte zusammen, hob die Ziege in die Höhe und stürzte sie über den Zaun hinüber. Auf diesen letzten Akt der Gewalt war weder Hedwiga noch die Ziege gefaßt, ihr blieb keine Zeit zum Springen, der Kleinen keine Zeit zu entschlüpfen, und so stürzte das alte steife Thür auf Hedwiga, warf sie um und blieb nach einigen mißglückten Versuchen sich aufzuraffen, auf ihr liegen. Mit einem Satze war Egon nun herüber und ihm entgegen stürzte schon Frau Mora, die eben mit einem Kruge Wasser aus dem Christophorus-Brunnen zurückkehrte.

»Unselig Kind, was hast Du gemacht?« schrie sie außer sich und zog Hedwiga unter der Ziege hervor, da diese unbeweglich mit ängstlich sich hebendem Leibe dalag und keinen Versuch machte, ihren kleinen Liebling von ihrer Last zu befreien.

Hedwiga's Wange blutete und der Schreck machte ihren zarten Körper unter dem Schluchzen zucken. Egon hatte ihre Hände ergriffen und schrie ihren Namen so wehklagend und verzweifelnd, daß das arme Kind seine Schmerzen zu überwinden suchte, sein Aermchen loswand und ihn um den Hals faßte, und nun an seiner Brust weinte. Mora zog das arme Kind aus Egons Armen, und klug überlegend, was seinem trostlosen Zustande zu Hilfe kommen könnte, forderte sie ihn auf, selbst die kühlenden Umschläge zu besorgen, und nachdem sie sich überzeugte, daß die Wunde nicht tief ging, sondern wahrscheinlich von dem Horn oder der Klaue der Ziege gekommen sein müsse, trug sie das jetzt sanft schweigende Kind nach der Hütte auf ihr Lager und beorderte Egon, die Umschläge zu erneuen. Heimlich glaubte nämlich Frau Mora noch einen Kranken entdeckt zu haben, und das war die Ziege selbst, die still und regungslos am Platze liegen blieb, wohin sie durch Egons Gewalthat geschleudert worden war. – Es fand sich, wie sie fürchtete. Vergeblich suchte Mora sie auf die Füße zu bringen – beide Vorderbeine waren gebrochen. Welch' ein Verlust war dies – abgesehen von dem Mitgefühl für das lang besessene Thier, das die Hauptstütze der kleinen. Wirtschaft war und außerdem das Glück der Kinder, der Gegenstand ihrer Sorgfalt, ihrer Beschäftigung – ihr bester Spielkamerad, ihr geduldiger Gefährte bei all' ihren kleinen abenteuerlichen Spaßen.

In einem Augenblicke hatte Mora die Eigenschaften der alten guten Ziege überdacht und kaum konnte sie anders als Egon zürnen, dessen trotziger Uebermuth, wie sie sogleich einsah, alles dies veranlaßt hatte. Der Junge wird zu keck unter Deiner Hand, seufzte sie und vielleicht fielen ihr Frau Bäbili's gute Gründe, die sie noch eben so lebhaft bekämpft, mahnend wieder ein, denn still weinend trug sie die leise stöhnende Ziege nach ihrem kleinen Stalle, sicher glaubend, das Alter des Thieres werde Heilung verhindern, und dann der Verlust da sein, ohne Hoffnung des Ersatzes.

Auch konnte Egon das neue Unglück nicht lange verborgen bleiben, denn da Hedwiga etwas Milch begehrte, stürzte er mit einem Töpfchen nach dem Stalle; er fand nun die von ihm so schwer Beleidigte unter Mora's wohlthätigen Händen stöhnend auf ihrem Lager, und die beiden verbundenen Pfoten zeigten, was er angerichtet. Erst stand er ganz erstarrt vor dem sich häufenden Unglück, dann brach sein stolzer trotziger Muth zusammen und er umklammerte die arme traurige Mora und weinte mit neuer Stärke sein tiefes Herzeleid aus.

»Ja, Egon!« sagte Mora – »das gute Thier, das uns so lange nährte, werden wir jetzt verlieren. Die Füße heilen nicht wieder – schon ist die Milch vergangen – sie stirbt gewiß – und zum Wiederkaufen haben wir noch lange kein Geld.«

Ein härteres Strafgericht war noch nie über den unglücklichen Knaben ergangen. Was er auch später erleben mochte, trostloser, strafwürdiger fühlte er sich nie, wie an diesem Wendepunkte seiner Kinderjahre. – Doch übergehen wir die weiteren Ausbrüche seiner leidenschaftlichen Aufregung und erzählen nur, wie er es mit den zärtlichsten Bitten bei Mora durchsetzte, daß sie sich endlich auf ihr Lager niederlegte; und wie er nun die ganze Nacht aufblieb, und bald an Hedwigas, bald an der alten Ziege Seite saß, und nachdem die Kleine sanft eingeschlafen, nicht mehr gestört werden durfte, nun der armen seufzenden Ziege ein zärtlicher Gesellschafter war, ihr das Heu aufschüttelte, die Umschläge näßte, Wasser zum Trinken reichte und alle Viertelstunde versuchte, ob sie nicht Klee essen werde, den er ihr jedesmal frisch von der Wiese, mit einem Satz über den Zaun springend, herüberholte. Auch schien das Thier die Wohlthaten seines kleinen Gefährten zu fühlen; immer noch schlug es die Augen zu ihm auf und leckte zuweilen die Hand des Knaben, als wollte es ihn trösten für die Unmöglichkeit, den Klee zu essen. Wir verlassen hier die Hütte, um zur Frau Barbara Hülshofen zurückzukehren, welche nach der gewonnenen Ueberlegung von Magda's Sicherheit, mit der ihr eigentümlichen Ruhe zu ihrem Lehnstuhl zurückgegangen war, sicher, den Gegenstand ihrer Sorgen bald selbst eintreten zu sehen. Es war auch kaum Zeit, den Abendsegen auszulesen, da trat schon Magda mit leichten sichern Schritten in die Thür dem Wiesenfenster zunächst, und sagte sogleich: »Ich bleibe länger, als Du dachtest – heut ging es aber nicht anders.«

Frau Barbara schwieg – und in ihrem Schweigen lag gerade die Aufforderung, mehr zu sagen. Magda ging auch vor, als wäre sie gerufen worden, bis zu dem Lehntisch der alten Frau, dann sagte sie: »Ich habe heute genug erlebt.«

»Dagegen habe ich nichts!« erwiederte Frau Barbara ruhig, »aber das unnatürliche Weinen, welches ich sah, als ich Dich suchte und im Klostergarten sitzen sah – mißfällt mir.«

Schnell blitzten Magda's Augen auf – dann schoß eine glühende Röthe in ihr blasses Gesicht, und nach einer Pause sagte sie: »Mir gefällt's auch nicht, Base, und darum wollte ich es heimlich abthun.«

»Es giebt nichts Heimliches – Einer sieht es immer – selbst wenn Menschenaugen nicht bis zu uns reichen, entgegnete Barbara.

»Den einen fürchte ich nicht! Mein Weinen wird nicht so wenig Ursach vor ihm haben, denn Er weiß den Zusammenhang.«

Auch diese Aeußerung führte noch zu keiner Frage, obwol ein forschender Blick der Alten das Mädchen streifte. »Thue jetzt das Versäumte,« sagte sie dann ruhig.

Im Augenblick flog Magda dahin. Rasch und mit Geschick setzte sie Teller auf den Tisch in der Mitte des Zimmers. Dann eilte sie hinaus, da in Frau Bäbili's Bereich sich noch ein Raum für die Vorräthe der alten Frau Hülshofen befand und bald trug sie den Napf mit gesäuerter Milch, das kräftige Brot und die glänzende Butter auf. An dem Brunnen schöpfte sie dann die blinkende Kanne voll mit Wasser und stellte die kleinen Becher daneben; dann kniete sie vor Barbara hin, sprach ein kurzes Gebet und beide setzten sich an den Eßtisch in dem heimlich dämmernden Zimmer, vor dem der Abendhimmel mit auftauchenden Sternen lag.

Die Alte aß ihr gewöhnliches Maaß, ohne zu sprechen und ohne aufzublicken; Magda dagegen ließ ihren Teller leer und ihre Augen sahen fest durch das Fenster.

»Sollen wir nicht zusammen essen?« fragte Barbara, als sie das Mädchen ein Weilchen betrachtet hatte – »Warum sind Deine Gedanken nicht bei Dir? Willst Du ein Mädchen werden, die Alles halb thut? Willst Du nicht wissen, wo Du bist? Sollen Deine Hände ohne den Lenker Deiner Gedanken wirr und ungerathen Halbes verrichten? Soll ich Deinen Leib sehen und denken, Deine Seele habe ihn verlassen? Ist das Sitte und Recht.«

Magda hatte sich zu ihr gewendet und sog die Worte von ihrem Munde. Plötzlich stand sie auf, richtete sich in die Höhe, athmete tief auf und sagte dann: »Nein, Base! weder Recht noch Sitte – und soll es so nicht bleiben, so wahr ich Magda heiße! Gleich werde ich anders sein – gieb Acht! Ich räume schon weg mit meinen Gedanken, so so gut wie mit meinen Händen, Ja! essen will ich auch – nein! nein, es soll mir nichts anhaben!« Doch stürzten bei diesen Worten dicke Thränen über ihre Wangen. »Wie ich das hasse, Base!« fuhr sie eifrig fort und strich mit der schlanken Hand die Tropfen von den Wangen –»so wie Du sagst – nicht bei sich sein! Das ist so recht, wie dann die Menschen schwach werden – und Jeder mit Solchen machen kann, was er will, Nein! nein! Base, ich will nicht schwach sein – da sollen sie nur machen können, was ich will – und ich will bei mir sein – die Augen, die aus mir sehen, sollen von meinen Gedanken wissen!«

Sie aß während dem hastig die gewöhnliche Portion und zwar mit einem Eifer, wie man eine Arbeit abthut Ihr blasses Gesicht färbte sich, und wenn sie nicht zu tief in ihre eigene Gedanken versunken gewesen wäre, hätte sie bemerken können, daß jetzt erst Barbaras Augen unruhig und erstaunt ihrem hastigen Wesen folgten. Doch war die schweigsame Frau mit der Anregung zufrieden, die sich n Magda kund gab; sie liebte nicht zu stören und sah lieber zu, wie sich die Menschen um sie her von selbst ein richteten.

Als Frau Barbara hinter den Vorhängen ihres Bettes der oberen Schlafkammer lag und das leise Tappen und Knistern verfolgte, womit auch die schweigende Magda sich zur Nachtruhe rüstete, war ihr Herz sorgenvoller, als sie sie sich gern zugestand, denn sie wußte, Magda würde noch an ihr Bett kommen und beten, und ihr gute Nacht sagen.

Jetzt war es so weit. Magda schob die Vorhänge zurück. Die puritanische Haube war verschwunden, die rabenschwarzen Zöpfe hingen lang über den Rücken hinunter, ein kleine weiße Kappe war um den reizend geformten Kopf gezogen und unter dem Kinne fest gebunden. Sie trug um den Oberkörper nichts als das weiße Hemd, das zugebunden die Schönheit der jugendlichen Formen zeigte; ein Röckchen von buntem Damast machte die übrige Bekleidung. Sie betete ernst und ihre Stimme ward immer fester und ruhiger – dann kniete sie zum Segen hin – küßte die alte Barbara und wünschte ihr gute Nacht.

Jetzt zog sie mit der einen Hand die Vorhänge zu – Barbara horchte – sie blieb stehn – leise öffnete sie noch einmal den Vorhang – sie steckte den Kopf hinein und sucht die Alte – diese saß noch aufrecht – »Base,« sagte sie dann – »ich habe heute den Grafen Lacy gesehen!«

Die Alte fuhr zusammen, als fühlte sie einen Stich – schon hingen die Vorhänge geschlossen ruhig neben einander, und ein leises Knistern und das Erlöschen der Lampe verrieth, daß Magda zu Bette ging.


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