Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Erster Theil
Henriette Paalzow

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Prinz stand auf, und allmälig trat die Kraft in alle seine Glieder zurück. Er hob die gepreßte Brust und sein Gesicht bekam einen heftigen – zürnenden Ausdruck: »Von dem Grabe meines Weibes, noch mit den Flecken der Erde von ihrem Hügel an meinem Kleide, flog ich mit Kourierpferden nach S. Ich fuhr in den Schloßhof ein – Alle drängte ich zurück, die mir entgegen eilten – man hielt mich für wahnsinnig! Vor dem Kabinet meines Vaters standen die Teufel Wache, die ihm geholfen – sie stürzten sich mir in den Weg, um mich aufzuhalten – ich stieß sie weg wie ein Gewürm, was uns den Fuß beschmutzt. Die Thür war verschlossen – ich rannte sie auf – ich stand vor dem Verbrecher – ich ließ ihm keine Zeit – ich sagte ihm, daß ich von ihrem Grabe käme – ich nannte ihn Mörder – Giftmischer und verfluchte den Boden, worauf er stand. Dann verließ ich ihn und das entehrte Land, und dieselben Kourierpferde brachten mich zur Armee! – Oft hörte ich meine Tapferkeit loben – –«

»Du warst ein Löwe!« rief der Kaiser. –

»Aber keine Kugel traf mich,« – sagte der Prinz gepreßt – »keine Klinge war für mich geschliffen, und als der Frieden Jedem die Heimat zurückgab – floh ich die meinige und habe in Italien gelebt – wenn das leben heißen kann!«

In großer Gemüthsbewegung schritt der Kaiser auf und nieder, und in Gedanken vertieft, blickte der Prinz an den Fenstersitz gelehnt, über das im Morgenlicht heiter leuchtende Wien. Endlich fühlte er die Hand des Kaisers auf seiner Schulter – er hob sich achtungsvoll empor. Der gewaltsamen Aufregung war die müde Ruhe gefolgt, die widerstandslos sich dem Augenblicke ergiebt.

»Ernst!« sagte der Kaiser – »ich wollte Dich bereden, nach Deinem schönen kleinen Lande zurückzukehren; ich wollte Dich bitten, der edlen Prinzessin Therese, die zugleich meine Verwandte ist, Deine Hand zu reichen – aber ich habe zu Allem den Muth verloren.«

»O mein gnädigster Herr! mein theuerster Freund!« rief der Prinz. –

»Das Einzige, was ich von Dir erbitte, ist, daß Du bei mir bleibst, daß Du an einem deutschen Hofe, unter Deutschen dem Vaterlande nicht ganz entfremdet werdest und die Zerstreuungen ohne Widerstand auf Dich wirken läßt, die hier ungesucht für Dich in dem großen Wirkungskreise meiner Gemahlin und Deines Freundes liegen. Sage mir, ob Du mit diesem Vorschlage glaubst ausreichen zu können – und überlasse es dann mir, Dich vollständig gegen jede Belästigung des Fürsten von S. zu schützen.«

»Als ich dem Rufe Eurer Majestät folgte,« erwiederte der Prinz – »faßte ich den festen Entschluß, mein trauriges Schicksal der Wahrheit nach aufzudecken und mich dann in Alles zu finden, was Euer Majestät über mich beschließen würden. Die Entscheidung, die mein großmüthiger Herr und Kaiser so eben über mich ausgesprochen, ist eine Gunst, die ich nicht hoffte. Sie ist schonend, wie das gefühlvollste Herz sie nur erdenken konnte, und sie ist weise zugleich, um die Kraft zu prüfen, die sich vielleicht noch gerettet; denn der Zweifel gehört nicht zu den kleinsten Dämonen, die mich verfolgen.«

»So dachte ich,« erwiederte der Kaiser. »Du wirst aber abschließen mit der Vergangenheit und dann es mit Freude empfinden lernen, daß, wenn hundert Tausend Menschen mit ihrem Wohl und Wehe auf unsere Tugenden angewiesen sind, wir noch etwas Höheres zu fühlen haben, als unser eignes Schicksal, und – auch Glück ist Dir vielleicht noch nicht ganz und für immer verloren.«

Sie wurden durch das Geräusch an einer inneren Thür unterbrochen, und der Kaiser, der es augenblicklich zu vernehmen schien, eilte schnell, dieselbe zu öffnen. Vor ihm stand Maria Theresia, schon in dem vollen Kostüm, in welchem sie dem Staatsrathe zu präsidiren pflegte.

Lange hatte der Prinz sie nicht gesehn. Die hohe Vollendung ihrer schönen und großartigen Erscheinung schien ihn ganz zu überwältigen. Die Kaiserin trat indessen ein; ihr folgten zwei jüngere Damen, ihre Hoffräulein, die der Kaiser nun ebenfalls begrüßte, während die Kaiserin gegen den Prinzen vorschritt.

»Der Erbprinz von S. ist uns in gutem Andenken geblieben,« sagte sie mit einem holden Neigen ihres Kopfes, während ihr lieblicher Mund mit der sanftesten Freundlichkeit lächelte. – »Ich denke, unsere Armee wird eben so wie wir selbst sich des guten Einflusses erinnern, welchen die besondere Hingebung und Tapferkeit Euer Durchlaucht bewirkte. Es macht uns daher Vergnügen, Sie willkommen zu heißen – und auch der Kaiser wird sich gefreut haben, Sie wiederzusehn!«

»Eure Majestät erhöhen durch Ihre Gnade das Glück, welches mir die gnädige Aufnahme des Kaisers schenkte und das treue verehrende Herz, das ich wieder mitbrachte, scheint mir zu gering für so viel Huld und Güte.«

»Wir wollen es uns dennoch lieb sein lassen,« lächelte die Kaiserin – »denn es steigt dagegen wol mit Grund einiger Zweifel auf, wenn man, wie Euer Durchlaucht beliebten, Jahrelang das deutsche Vaterland verläßt und in einem fremden Lande Zeit, Kräfte und Mittel zu verwenden vorzieht.«

Der Prinz schwieg und die Kaiserin, die leicht warm ward, setzte hinzu: »Nicht Recht will uns bedünken, daß ein Erbprinz seinem Lande fremd wird – und die Klagen, die wir darüber gehört, scheinen uns nicht ungegründet.«

»Ich bin angeklagt,« erwiederte der Prinz mit Ruhe – »und habe den Schein gegen mich. Aber die gerechteste Fürstin, deren Blick die Tiefen der Menschen durchdringt, wird nicht über den Ungehörten richten wollen.«

»Dies, hoffe ich in Wahrheit, ist nicht unsere Art!« sagte die Kaiserin in milderem Ton – und eben trat ihr Gemahl, der mit den Damen sprechend erst jetzt die gefährliche Wendung der Unterredung vernommen hatte, zu Beiden heran. »Und vielleicht« – sagte er freundlich ernst – »nimmt mich meine Gemahlin indessen als Bürgen an, da ich bereits alle Verhältnisse des Prinzen kenne und ihn Ihrer Gnade empfehle, mit der Ueberzeugung, wie sehr er sie verdient.«

»Das höre ich gern,« erwiederte die Kaiserin – »und es ist für den Augenblick ganz ausreichend. Jetzt aber wollen wir uns mit der Bitte an Eure Majestät wenden, um die wir Sie schon so früh belästigen. Unser wartet im Vorzimmer ein kleiner Fastnachtsscherz! Die Klosterfrauen von St. Ursula schicken uns wieder ihren jährlichen Tribut, einen unvergleichlichen Käse, den wir stets geneigt sind mit gebührendem Lobe hinzunehmen und den die guten Nönnchen mit allerlei Verkleidungen umhüllen und dabei Monate lang allen Humor, wie er in einem Kloster sich vorfinden will, verwenden, um ein nie dagewesenes Schauspiel darzustellen. Wollen Euer Majestät mir die Ehre erzeigen, mich zu begleiten? Ich weiß, daß dies die Freude der guten Damen, wenn sie es erfahren, sehr erhöhen wird.«

»Das ist in Wahrheit ein sehr willkommener Vorschlag!« entgegnete der Kaiser. – »Nur setzen wir die Bedingung, daß Euer Majestät eben so bereitwillig sind, mit uns nachher den schönen Käse zu theilen, wie jetzt uns beim Empfang desselben zuzulassen.

»Wir wollen sehen!« erwiederte die Kaiserin – »und vielleicht werden Sie dann einräumen müssen, daß er es verdient, wenn wir uns stets die Form, in der man uns diese Gabe darbringt, gefallen lassen und uns gern dankbar dafür bezeigen. Fordern Sie den Erbprinzen auf, uns zu begleiten – er wird dann erfahren, daß der Süddeutsche schon Phantasie und Laune genug besitzt für kleine Mummereien, wie er sie in Italien fand – und welchen Werth sie überdies noch haben durch den Grund harmloser Biederkeit, treuer kindlicher Gesinnung gegen ihren angestammten Oberherrn – und wie es von dem wohltuendsten Einfluß ist, sich solche kleine Scenen des Volkslebens nahe kommen zu lassen – nicht allein für das Volk, was dadurch sich inniger anschließt – sondern zugleich für uns selbst, die wir den Karakter desselben daran erkennen lernen. Eine höchst wichtige Erfahrung für Alle, die regieren wollen!«

Der Kaiser bot seiner Gemahlin den Arm, nachdem er dem Prinzen einen Wink gegeben hatte, einer hinter der Kaiserin stehenden jungen Dame den Arm zu geben, während die zweite Dame die Schleppe der Kaiserin mit den Fingerspitzen faßte und so zwischen beide Paare trat.

Der Prinz war zu zerstreut und abgezogen, um gegen die Dame, die er führte, mehr als ein höflicher Begleiter sein zu können – plötzlich redete ihn dieselbe an. »Der Weg ist zu lang, um ihn ganz stumm zurück zu legen; wollen Sie mir sagen, an wessen Arm mich die Fürsorge des Kaisers verwies?«

Der Prinz blickte erstaunt auf. »Ich glaubte, Euer Gnaden hätten gehört, daß ich der Erbprinz von S. bin?«

Er fühlte den schönen Arm in dem seinigen zucken, und sah, daß die junge Dame sich entfärbte. »Nun in Wahrheit,« erwiederte sie lebhaft – »Seine Majestät sind sehr vorsorglich! So viel ist gewiß, mein Gespräch mit dem Kaiser hat mich verhindert es zu hören, daß die Kaiserin Euer Durchlaucht vielleicht schon nannte.«

»Aber« – sagte der Erbprinz – »ich will hoffen, Euer Gnaden sind nicht schon im Voraus gegen den Besitzer des Namens – den Sie befahlen kennen zu lernen – eingenommen und ich habe dadurch einigen Anspruch erlangt, denjenigen zu erfahren, den meine Gefährtin trägt?«

»Ganz und gar nicht,« rief das Fräulein lebhaft, – »denn – hätte ich nicht die gewöhnliche Rolle der Frauen übernommen – nämlich die der Neugierde – ich wette, Euer Durchlaucht gingen noch in derselben angenehmen Zerstreuung an meiner Seite wie zu Anfang, und diese abgenöthigte Theilnahme, die ich jetzt erfahre, will ich nicht an meine Person gefesselt sehen, die Sie dann künftig mit Namen nennen könnten, um ihre Thorheit zu belächeln.«

»Sie sind sehr streng, meine Gnädige,« sagte der Prinz, unwillkürlich angezogen durch ihr harmloses lebhaftes Wesen. »Sie werden mich zwingen, andern Rath zu holen, denn unmöglich können Sie verlangen, daß ein Mann nur wenige Minuten Ihrer Rede horchte, ohne das lebhafte Verlangen, so großen Genuß an eine Person zu knüpfen, die er künftig nennen darf.«

»Mit meinem Willen sollen Sie das nie erfahren,« fuhr das Fräulein sogleich heraus – »und wenn Euer Durchlaucht anfangen, mir Höflichkeiten zu sagen, so werde ich untröstlich sein; denn nichts wird mich von dem Vorwurf frei sprechen, sie selbst fast mit Gewalt herbeigeführt zu haben.«

»Meine Gnädigste,« sagte der Prinz – »ich gestehe ein, daß in dem Augenblick, wo mir das Glück Ihrer Bekanntschaft zu Theil ward, ich zu tief erschüttert war, um mich dem höchsten Reiz des Lebens hingeben zu können. Ich muß dies aussprechen, wie schwer es mir auch wird, um mich gegen den unnatürlichen Vorwurf zu sichern, daß ich an dem Arm einer solchen Dame meine Zerstreuung beibehielt? Beleidigen mich Euer Gnaden nicht, indem Sie mir dies abermals als Höflichkeit anrechnen.«

»Genug denn!« erwiederte das Fräulein – »wir wollen abbrechen, wenn ich auch noch nicht bestimmen möchte, ob das Waffenstillstand oder Frieden heißt?«

»Lassen Sie es Frieden sein!« rief der Prinz mit mehr Wärme, als er begreifen konnte.

»Still! wir kommen in die Zimmer der Kaiserin,« flüsterte das Fräulein. »Geben Sie doch Acht, es sind schon lauter beobachtende Augen um uns her, und ich will nicht beobachtet sein,« setzte sie rasch hinzu, verließ mit großer Schnelligkeit seinen Arm und verschwand durch eine Seitenthür.

Noch ruhte das Erstaunen auf dem Angesichte des Prinzen, als der Kaiser sich jetzt von seiner Gemahlin wendend, etwas überrascht den Prinzen allein stehen sah.

»Nun!« – sprach er – »hat Ihre Dame Sie verlassen?« –

»In Wahrheit fühlt man sich verlassen;« sagte der Prinz – »wenn ein so lebhafter Geist sich von uns entfernt, und ich bedauere nur, daß ich sie nicht habe bewegen können, mir ihren Namen zu sagen.«

»Hat sie Ihnen gefallen?« sagte der Kaiser lächelnd. »Ja! daran erkenne ich sie – wahrscheinlich sagten Sie ihr Ihren Namen, was ich ihr vorher verweigerte!«

»Dazu hatte ich kein Recht, sobald sie ihn zu hören befahl,« erwiederte der Prinz.

Während dem wurden die Thüren nach der Bilder-Gallerie geöffnet, worin die Kaiserin heute bestimmt hatte, den Klosterkäse zu empfangen. Der Saal war schon mit einem Kreise von Personen aus der Hofgesellschaft angefüllt, die Alle das Vergnügen dieser kleinen Maskerade seit langer Zeit mit der Kaiserin zu theilen pflegten und aus deren Mitte der junge Erzherzog Joseph sogleich seinen Eltern entgegeneilte.

»Mein Lieber!« sagte die Kaiserin, indem sie ihn küßte – »ich freue mich, daß Sie heut Gelegenheit haben werden zu sehen, welch eine Aufheiterung es gewährt, die unschuldigen Beweise von der Liebe unserer Unterthanen entgegen zu nehmen.«

»O!« sagte der Erzherzog – »das weiß ich schon lange! Die Volksfeste sind mir viel lieber, als die Hoffeste.«

»Ihre Lebhaftigkeit verleitet Sie immer zu irgend einer Übertreibung,« erwiederte die Kaiserin mit erhöhter Farbe – »wir müssen unterscheiden lernen zwischen dem Vergnügen, was für uns paßt, und dem, welchem wir wohlwollend beiwohnen dürfen, ohne es zu einer Liebhaberei zu machen. Wir wollen, wenn's beliebt, Platz nehmen« – sagte sie darauf, gegen ihren Gemahl gewandt – »und Erlaubniß ertheilen, den kleinen Mummenschanz einzuführen.«

Während dieser Zeit war die Dame wieder erschienen, die der Erbprinz geführt. Sie grüßte vornehm, aber freundlich, welches sehr achtungsvoll erwiedert ward, und nahm in der Reihe hinter der Kaiserin ihren Platz. Der Prinz betrachtete sie nun erst genauer. Sie hatte die ausgebildete Schönheit eines Mädchens von sechsundzwanzig bis achtundzwanzig Jahren, eine volle schöne Gestalt über mittlere Größe, freundlich länglich geschnittene blaue Augen, eine kleine, feine, etwas gehobene Nase, aber zu dem klugen frischen Gesicht ungemein passend, einen wunderschönen vollen Mund mit glänzenden Zähnen und die reizendste und zarteste Gesichtsfarbe, wodurch die dunklen, etwas starken Augenbrauen sich noch mehr hoben. Jede Bewegung war Leben und Ungezwungenheit, und der Ausdruck von Verstand und Karakter war gewiß die erste Wahrnehmung eines Jeden, der sie ansah.

Der Prinz hatte über diesen Beobachtungen vergessen, daß er ihren Namen sogleich erfahren könne, denn sie schien von Allen gekannt. Als sie sich aber plötzlich umsah und ein spöttisches Lächeln ihn herausfordernd traf, wandte er sich im selben Augenblick an den Herzog von Lothringen, neben dem er stand und rief fast zu laut: »Können mir Euer Hoheit sagen, wer die Dame hinter der Kaiserin ist?«

»Die, welche uns ansieht und eben gegen Sie oder gegen mich den Finger aufhebt?« fragte der Herzog.

»Dieselbe,« entgegnete der Prinz – »obwohl sie eben wieder, vielleicht keinem Andern wahrnehmbar, mit dem Finger drohte.«

»Das ist die Prinzessin Therese!« erwiederte nun der Herzog – »unsere Cousine, und Sie beweisen Ihren Geschmack, mein lieber Prinz, gerade nach ihr die Frage zu stellen. Nun,« setzte er lachend hinzu – »ich kann Ihnen den Trost geben, daß sie weder verlobt noch versprochen ist.«

Der Prinz behielt nicht Zeit zu antworten; Alle drängten sich im selben Augenblick vor, denn die Thüren nach dem Vorzimmer öffneten sich und es zeigte sich ein reizender Anblick, der die Augen Aller fesselte und jede Unterredung unterbrach.

Es kam nämlich ein kleiner Wagen angerollt, den zwei schneeweiße Lämmer zogen, welche wieder von zwei Kindern geführt wurden, die in Engelskleidern, mit bunten Flügeln und Myrthenkränzen im Haar, auf jeder Seite der ziehenden Lämmer gingen. Ein Kunstwerk aber war der kleine Muschelartige Wagen, der von Moos und Blumen gewebt schien; in der Wahl der Farben und Blumen war eine so sinnreiche Ordnung zu erkennen, daß die Zusammenstellung die schönste Arabeske bildete, die den äußeren Rand der Muschel umschloß. Im Innern war sie dagegen mit schönem hellgrünem Moose ausgefüttert, und in der Mitte erhob sich ein junger Lorbeerbaum, dessen reiche und vollbelaubte Zweige geschickt gebogen waren und ein kleines Laubdach bildeten über einem Engelchen, welches hier neben einem runden Korbe stand, der den bewußten Klosterkäse enthielt, verhüllt mit Blättern und Blumen.

So sehr diese Ausstattung auch an sich die Aufmerksamkeit fesselte, so war doch der Anblick des Engelchens, welches in der Mitte des kleinen Wagens stand, bald der Hauptgegenstand aller Bewunderung. Das Kind war wirklich von einer Schönheit, die an's Ueberirdische grenzte, und als der kleine Wagen nun leicht und langsam daher fuhr, und endlich dicht vor der Kaiserin halten blieb, schlug diese, alles Andere vergessend, in die Hände, und rief ihrem Gemahl lachend zu: »Nun, Franz! das ist wahr, die guten Klosterfrauen machen mir heute Spaß!«

Als dies das Kind hörte, fing es so freundlich und unbefangen an zu lächeln, daß neues Erstaunen die Kaiserin ergriff. »Mein süßes Kind!« rief sie, »komm doch her zu mir!« Wie es aber sogleich lebendig ward und die kleinen schönen Füße, die – wie an Engelbildern – mit Sandalen bekleidet waren, auf den Rand der Muschel setzte, sprang der kleine Erzherzog Joseph vor und reichte die Hand zur Unterstützung. Das Kind wehrte ihn aber ab und sagte: »O geh' doch! ich muß es ja allein machen.« Im selben Augenblick sprang es nieder und stand dicht vor der Kaiserin.

Aber wer beschreibt dieses klare zärtliche Anblicken des holden Geschöpfes, dies Lachen der Freunde, das den kleinen Mund öffnete, diesen ganzen selig befriedigten furchtlosen Ausdruck des Kindes.

»Da müßte man doch wirklich denken, es sei ein Engel!« fuhr die Kaiserin heraus und blickte rechts und links und hinter sich, als wollte sie von Allen ihre Bewunderung getheilt sehn; und diesmal bedurfte es nicht des kaiserlichen Aufrufs. Alle waren hingerissen, wie sie selbst.

»Mein artig Kind,« sagte die Kaiserin – »Dein Anblick macht mir viel Vergnügen!«

»Nicht wahr?« sagte das Kind – »sehe ich nicht genau wie ein Engel aus? Fühle nur die Flügel, die sind ordentlich mit Federn beklebt – und sieh nur das Himmelsröckchen mit Sternen, und das himmelblaue Kreuzband mit Gold gestickt! Das haben alle Engel, so viel ich noch gesehen habe.«

Franz und Theresia lachten laut auf und die Kaiserin war so entzückt, daß sie das Kind an sich zog und es küßte. »O noch nicht,« rief das Kind – »erst kommt der Käse – und dann sage ich den Vers her – und dann meinten die Klosterfrauen selbst, Du würdest mich vielleicht küssen.«

»Nein!« rief der Kaiser – »einen solchen Engel haben meine Augen nie gesehen! Wer bist Du denn – wie heißen Deine Eltern?«

Das Kind winkte ihm, etwas von der Kaiserin abgewendet, als solle er schweigen. »Hab' ich's nicht recht gemacht?« sagte der gute Kaiser – und seine Gemahlin rief neckend: »Nun, sag' doch, was hast Du denn Geheimes?« Das Kind aber blickte sichtlich verlegen zur Erde. – »Nun,« fuhr die Kaiserin fort – »sag' offen, was Du hast!«

»Ach!« sagte das Kind – »Du solltest es ja eben nicht wissen. Deshalb hätten sie mich ja beinahe gar nicht zum Engel genommen und nur meine blonden Locken haben es durchgesetzt – ich habe ja gar keine Eltern.«

»Sagt' ich es nicht?« rief die Kaiserin, immer mehr belustigt – »Es ist wirklich ein Engel!«

»Ach ja! ach ja!« rief das Kind, und schlug die kleinen Hände zusammen – »das glaube doch nur – dann sind die Nönnchen gar zu vergnügt!«

»Das Mädchen behext uns,« sagte die Kaiserin – »Hör', mein Liebchen, ich glaube, Du bist ganz aus der Rolle gekommen – nun sag' mal selbst, solltest Du mit mir schwatzen?«

»Nein,« sagte das Kind – »davon sprach kein Mensch ein Wort. Aber Du hast ja angefangen,« setzte es schalkhaft hinzu – »denn die Ordnung war ganz anders. Wie ich's lernte, stellte die Frau Aebtissin Gnaden Dich, liebe Frau Kaiserin, vor, – da that ich denn erst den Sprung – dann sagte ich den Vers, – und dann reichte ich Dir den Käse.«

»Nun, so fange denn einmal von vorne an« – rief die Kaiserin ermunternd, und augenblicklich sprang das Kind zurück auf den Rand des kleinen Wagens, machte aufs Neue seinen Sprung und sagte nun mit der rührendsten Stimme und begleitet von seelenvollen Mienen und dem süßesten Lächeln den folgenden Vers:

»Großmächtigste Kaiserin!
»Schau' mit gnädigem Sinn
»Auf Sanct Ursula fromme Schaar:
»Sie bringt Dir einen Käse dar.
»Die Gab' ist wahrlich viel zu klein,
»Doch liegt ein großer Sinn darein:
»Auch David Käsekuchen trug,1. Sam. 17. 18. – von Kopisch
»Davon ward er stark genug,
»Daß er den großen Feind erschlug.
»So soll der Käs' Dir auch gedeihn
»Und Deinen Feinden zum Schaden sein!«

Die Kaiserin hörte mit einem Beifall zu, der ihre schönen glänzenden Augen immer wieder zu ihrem Gemahl hinlenkte, der, eben so freundlich wie sie selbst gestimmt, sein Ergötzen lebhaft darlegte. Als die letzten Zeilen gesprochen waren, wandte sich das Kind gegen den kleinen Wagen, um nun den im Korbe verhüllten Käse zu überreichen. Aber jetzt trat ein Umstand ein, den die guten Nönnchen in ihrem Eifer nicht berechnet hatten. Das Kind hatte Alles wohl eingelernt mit dem leeren Korbe; aber jetzt lag der vollwichtige Käse darin und vergeblich strengte es sich an, ihn empor zu heben. Ein Weilchen dauerte die vergebliche Anstrengung, dann schlug es plötzlich verzweifelnd die Händchen zusammen, und während große Thränen über seine Wangen flossen, rief es, sich kläglich zur Kaiserin wendend: »Er ist ja zu schwer – viel zu schwer – ich kann ihn Dir nicht bringen!«

»O! wer hilft meinem Engel?« rief die Kaiserin heiter. Wohl hundert Hände und Füße regten sich im selben Augenblick; selbst der Kaiser machte eine Bewegung, aufzustehen und der Fürst Batthyany, der Oberhofmeister des Prinzen Joseph, mußte diesen fest bei der Hand halten, um sein Hinzuspringen zu verhindern. Doch Alle kamen zu spät. Schnell und gewandt war die Prinzessin Therese hinter dem Stuhle der Kaiserin vorgeschlüpft, und ehe nur ein Anderer nahen konnte, hatte sie den Korb in Händen; geschickt faßte sie das Kind vor sich in ihre Arme und kniete mit dem Korbe vor der Kaiserin nieder, ihn so ihr überreichend, daß der Engel noch immer seine Rolle dabei behielt.

»O, meine geschickte gütige Muhme!« sagte die Kaiserin sehr huldvoll und küßte die Stirn der Prinzessin, die dann das Kind einen Augenblick zärtlich an ihre Brust drückte und eben so rasch, wie sie ihn verlassen, wieder hinter der Kaisenn ihren Platz einnahm. Diese aber betrachtete die schönen Blumen, schob sie etwas zurück, um des Käses wirklich ansichtig zu werden und übergab ihn dann der Oberhofmeisterin, die ihn wieder in den Wagen senkte. Freundlich wandte sie sich nun zu dem armen betrübten Engel.

»Weine nicht, mein Kind!« sagte sie sanft – »erzähle nur meiner Freundin, der Frau Aebtissin, ich hätte fast noch nie so viel Vergnügen bei ihren Geschenken gehabt, wie diesmal, und würde mich demnächst selbst dankbar bezeigen. Dir aber, mein liebes Kind, Dir möchte ich gern eine besondere Freude machen – willst du mir daher sagen, ob Du einen rechten Herzenswunsch hast, da will ich ihn Dir erfüllen, wenn's in meiner Macht steht.«

»Ach!« rief das Kind, plötzlich sonnenhell vor Freude aufleuchtend – »wenn das wäre! Ach, ich habe einen rechten Herzenswunsch, wie Du sagst – Du könntest mir eine große Freude machen!«

»Nun, so sprich – was hast Du im Sinn – was mochtest Du gern haben?«

»Ach!« sagte die Kleine, zutraulich näher tretend, – »kauf' mir eine Ziege! Unsere arme alte Ziege ist gestorben, weil Egon sie über den Zaun gestürzt hat, und nun haben wir keine Milch – und Mora weint darum, und Egon will bei der Fürstin Morani in Dienst gehn, damit er Geld schafft zu einer andern Ziege. Aber wenn Du sie uns schenkst, so kann Egon bei uns bleiben und dann sind wir wieder Alle recht glücklich!«

»Weiß Gott!« rief die Kaiserin – »Du sollst eine Ziege haben, und sollte ich sie Dir selber kaufen.«

Jetzt bedachte sich das Kind keinen Augenblick, sondern eh' die Kaiserin es sich versah, flog es in ihre Arme, schlang die Aermchen um ihren Hals und küßte sie ohne weitere Erlaubniß.

Die Kaiserin schien diese ganze Scene aus dem Bereich des Hofzwanges erklärt zu haben; denn sie stieß ihren Engel – wie sie sagte – nicht zurück, sondern küßte ihn und erhob sich dann – womit die Sache beendigt war. Sie empfing sogleich von der Oberhofmeisterin eine Meldung, und gerade als der kleine Blumenwagen über den Vorsaal fuhr, trat die Fürstin Morani an der Seite des Grafen Lacy ein.

»Ist es möglich? Ist das nicht Hedwiga?« rief die Fürstin freudig überrascht.

»O komm her! komm her!« rief diese und streckte beide Arme aus dem Wägelchen nach ihr hin – »ich habe Dir so viel zu erzählen.«

Aber die Oberhofmeisterin winkte leise und wandte sich mit der Anzeige an die Fürstin, daß die Kaiserin sie erwarte – und so rollte Hedwiga's Wägelchen trotz ihrer Bitten unaufhaltsam fort bis zu dem kleinen Nebenzimmer, wo die Kinder eine Erfrischung bekamen und die Geschenke vorläufig aufbewahrt wurden.

»Geliebte Claudia!« sagte der Graf – »dies Kind bezwingt mich ganz. Ich denke, wenn ich täglich in diese Augen sehen könnte, das müßte mir das Herz reinigen wie die Fürbitte eines Engels! Claudia,« – fuhr er fort – »wollen Sie nicht dies Kind aus seiner Beschränkung und Armuth retten? Sie sind ja reich« – setzte er mit einer innigen Zärtlichkeit hinzu – »nehmen Sie das Kind zu sich – lassen Sie diesen göttlichen Körper von einer eben solchen Seele bewohnt werden. Was müßte unter Ihrer Leitung für ein bezauberndes Wesen daraus werden.«

Die Fürstin blickte vielleicht mit einigem Erstaunen auf die lebhafte Erregung des Grafen – aber er sprach ihres Herzens Meinung aus und sie drückte leise seinen Arm. »Hab' ich Ihre Einwilligung« – sagte sie – »so ist mein eigener Wunsch erfüllt und Hedwiga von heute an mein Kind.«

»O wie herrlich!« rief der Graf – »und ich nehme sogleich Egon zu mir.« – Die Vorsäle waren aber zur selben Zeit durchschritten und Beide traten in die Bilder-Gallerie, wo sie zu ihrer Ueberraschung die Kaiserin nicht allein fanden, sondern umgeben von einem ausgesuchten Zirkel des Hofes.

Die Fürstin Morani war so lange nicht bei Hofe erschienen, daß sie kaum wieder erkannt ward, und besonders erregte es Erstaunen, daß sie an der Seite des Grafen Lacy eintrat. Dieses Erstaunen verminderte sich nicht, als man erfuhr, sie sei mit ihm verlobt.

Es war kaum möglich, die Mienen der Verwunderung zu beherrschen – und mehr wie das – zeigte sich eine Mischung von Ironie, Neid und Täuschung – ja! selbst wo diese Anregungen nicht vorwalteten, trat doch eine Mißbilligung ein, die nur zu sehr von gewonnenen Erfahrungen unterstützt war und selbst den Wohlwollenden ein Kopfschütteln abnöthigte. Die Fürstin wußte dies Alles, und sie bedurfte ihrer ganzen Selbstbeherrschung, um bei dem unbehaglichen Gefühl, gerade so von Allen angesehen zu werden, die nöthige Haltung zu behaupten. Sie fand es nicht gütig von der Kaiserin, ihre Bitte um Privat-Audienz so übersehn zu haben und ihr Stolz, der sich durch dies Uebersehen ihrer Bitte etwas gekränkt fühlte, stählte für den Augenblick ihre Kraft. Auch empfing sie die Kaiserin mit einer so wahrhaften Güte, so teilnehmend und verbindlich, daß die Fürstin darin einen Trost fand, der sie gegen die übrige Welt stützte.

»Sie finden uns hier, meine liebe Fürstin« – fuhr die Kaiserin nach der sehr freundlichen Begrüßung fort – »in einer wahren Aufregung um ein kleines Mädchen, welches uns eben den bewußten Klosterkäse gebracht hat, welcher Gebrauch Ihnen wohl noch von sonst her erinnerlich sein wird. Nie sahen meine Augen etwas Schöneres – was einer Mutter doch schwer werden soll einzugestehen – als dies arme fremde Kind. Wenn ich die guten Frauen zu St. Ursula besuche, werde ich erfahren, wer das Kind ist, und worin ihm vielleicht zu dienen – das hat einen Geleitsbrief auf dem Gesicht, der ruft einen auf, ihre Seele zu sichern!«

»Dann darf ich hoffen, Euer Majestät Segen zu empfangen,« sagte die Fürstin schnell – »denn eben habe ich meinem Wunsche nachgegeben und den Entschluß gefaßt, dies arme älternlose Kind zu mir zu nehmen und seine Erziehung so viel als möglich unter meiner Aufsicht zu leiten.«

»Nun,« sagte die Kaiserin, »da übertreffen Sie uns Alle! Es heißt Gottes Segen herbei ziehen, wenn man so schnell bereit ist zu einem Werke der Wohlthätigkeit. So etwas hat unsern ganzen Beifall – während wir gesprochen, haben Sie gehandelt. Wir wollen Sie in unserm Kabinet verabschieden,« fuhr sie fort – gegen die Anwesenden eine Handbewegung machend – »und entlassen unsern Hof zu geneigtem Wiedersehen.« Dann schritt sie grüßend durch die Versammlung und Niemand folgte ihr nach ihrem Kabinet, als die Fürstin und Graf Lacy. Ehe sie es aber erreichte blieb sie einen Augenblick stehen und blickte auf ihren Gemahl, welcher lebhaft mit dem Erbprinzen von S. sprechend, ihr abgewendet war, während der Prinz gegen sie gewendet stand. Sie erstaunte über die Todtenblässe seines Gesichts und den Ausdruck von Verstörung, der seine Züge fast unkenntlich machte, und konnte sich nicht entschließen, weiter zu gehen, weil sie irgend ein besonderes Ereigniß annehmen mußte.

Indem verneigte sich der Erbprinz vor dem Kaiser und ging, ohne die Kaiserin zu bemerken, langsam und wie ein Kranker, der sich kaum auf den Füßen erhält, aus der Gallerie.

»Was ist geschehen?« fragte Maria Theresia ihren Gemahl, als er jetzt auf sie zukam. »Was hat der Prinz – ist ihm ein Unglück wiederfahren?«

»Sie müssen mir darüber eine ausführlichere Antwort gestatten,« erwiederte der Kaiser. – »Um den Prinzen in diesem Augenblick zu verstehn, müssen Sie sein ganzes Schicksal kennen lernen.«

»Eure Majestät werden mich verbinden,« antwortete die Kaiserin. »Diesen Mann des Geheimnisses kennen zu lernen, spannt ungemein meine Erwartung.«

»Und Sie werden die aufrichtigste Theilnahme empfinden« – entgegnete der Kaiser – »denn eben durch diese ist er an Ihr ganzes Geschlecht verwiesen.«

»Nun,« – sagte Maria Theresia – »so will ich blos wünschen, daß ihm die Kaiserin dabei nicht in den Weg tritt. Nicht immer sind wir in dem glücklichen Falle, den Naturberechtigungen unseres Geschlechts nachgeben zu dürfen.«

»Ich hoffe, Sie werden hierbei in keinen Widerspruch gerathen,« erwiederte ihr Gemahl und grüßend verschwand die Kaiserin in ihr Kabinet.

»Jetzt, meine liebe Claudia,« rief sie, als die Thüren sich hinter den Dreien geschlossen – »muß ich Ihnen offen sagen, daß ich sowohl Ihren als des Grafen Lacy Entschluß höchst auffallend, gefährlich, ja unüberlegt finde. Ich kann so ein Weniges rechnen und weiß ungefähr wie viel älter Sie sind als ich – und doch würde selbst ich anstehn, einen so viel jüngeren Mann als dieser zu ehelichen. Mein Kind, was wider die Natur ist, das rächt sich; jetzt geht das – weil einmal die Liebhaberei dieses Herrn darauf die Wendung hat und alle Männer an dem fest halten, wobei sie Widerstand finden oder erwarten. Aber später, wenn ihnen selbst die Lust daran vergeht, dann fällt ihnen Alles ein, was sie früher dagegen hörten, und sie sind alsdann geneigt, das selbst als ihre Entschuldigung anzuführen, was sie früher als nicht auf sie anwendbar zurückwiesen. – Mein Graf Lacy – ich bin eine offne deutsche Frau und halte dafür, die Wahrheit vorher zu sagen; wenn's geschehn, sieht sie jeder Thor ein, und wir haben nicht die Art, nachher in die Hände zu klopfen und zu sagen: Ich hatte Recht! Außerdem, meine Liebe, ist Gesundheit und Lebenskraft bei Ihnen gebrochen. Sie werden dem Hause Lacy keine Nachkommen geben – und doch wäre dies wichtig und wird später in die Wagschale fallen.«

Die Kaiserin war in ihrem Eifer, bei ihrem klugen und scharfsinnigen Kombinationen, gewiß noch lange nicht fertig. Aber Lacy's Brust kämpfte mit einem Unwillen, mit einem Schmerz über die schonungslose Weise der Kaiserin, welche die Farbe auf dem hinsterbenden Gesicht der armen Claudia so schnell wechseln machte, daß er plötzlich die tief verletzte Geliebte in seine Arme faßte – und sie gegen einen Stuhl führend, mit dem höchsten Ausdruck seines Gefühls rief: »Wollen Eure Majestät sie tödten?«

Die Fürstin verlor einen Augenblick alle Besinnung und sank todtenbleich auf den Stuhl, wohin Lacy sie geführt. Die Kaiserin blickte erstaunt auf Beide – aber ihr gutes edles Herz siegte, und obwohl dies Verfahren in den meisten Fällen die Ungnade des Betheiligten würde herbeigezogen haben, entschied sie hier anders. »Gehen Sie, Graf Lacy,« sagte sie mild – »das versteht eine Frau besser! Holen Sie mein Flacon von jenem Tisch.« Während dieser Worte umschlang sie die Fürstin selbst und lehnte ihren Kopf in ihren Arm. »Armes Kind,« sagte sie – »habe ich Dich erschreckt? Wir haben so viel Unrecht zu hindern – für die Folgen jeder Unbesonnenheit einzustehn, welche um uns her geschieht, daß wir eine Gefahr leichter sehn als Andere – ohne dabei in Abrede stellen zu wollen, daß ein redlicher Wille von der einen Seite und besondere Tugenden von der andern Seite auch einen solchen Schritt wohl mit gutem Erfolg krönen können.«

Lacy beugte ein Knie vor der Kaiserin, als er ihr das Flacon reichte. »Euer Majestät haben mir meinen Ungestüm vergeben, ich fühle es in Ihren gnädigen Worten. Möge mein Schmerz bei dem Bilde, welches Euer Majestät darstellten und durch welches diese edle Dulderin so erschüttert wurde – zugleich eine Bürgschaft sein für die wohlgeprüfte Stärke unseres Gefühls und meiner sicheren Ueberzeugung, daß solches Elend von mir nie verschuldet werden wird – die edle Fürstin es durch mich nie erfahren kann!«

»Recht schön – ich bin ganz zufrieden!« entgegnete die Kaiserin und zog den Arm zurück, da die Fürstin ihre augenblickliche Schwäche überwunden hatte und still weinend sich auf die Hand der Kaiserin niederbeugte, die sie wiederholt küssen durfte. – »Auch muß ich Euch sagen, Graf Lacy, – obgleich Ihr die dehors gegen Eure Kaiserin überschritten habt – ist es doch der vielleicht einzige Fall, wo dieser Euer Fehler Eure Sache thätlich vertreten hat. Wir vergeben Euch demnach – und wollen Eurem selbst gewählten Glücke durch unsere Scrupel nicht weiter hinderlich werden, sondern Euch Beiden im Gegentheil unsere Glückwünsche ertheilen. – Doch müssen wir bemerken, daß uns unsere Pendule Vorwürfe macht, indem wir uns heute schon sehr viel mit unserm Vergnügen beschäftigten und unser Staatsrath uns erwarten wird. Wir nehmen daher Abschied und rathen Euch, die Fürstin heute allein zu lassen, daß sie sich völlig von der Erschütterung erhole, welche wir verschuldet.« Sie lächelte dabei mit der Güte einer Mutter und küßte die Fürstin zum Abschiede.

Lacy verließ aber an diesem Tage die Fürstin keine Stunde, und wußte durch sein ganzes innig verehrendes Betragen die Wunden zu heilen, die sie empfangen.

Nach ihrem Diner mit Georg Prey erschien der Baron von Pölten mit dem jungen Architekten Valacro, der mit den übrigen die Wanderung durch das ganze Palais antrat.

Gewiß war dies keine geringe Anforderung an die Standhaftigkeit der Fürstin, denn diese völlig leeren Räume zeigten nur zu deutlich den gänzlichen Verfall ihrer Glücksumstände. Aber sie überwand diese Schwäche und gab nun selbst an, welche Bestimmungen die Räume früher gehabt hatten, und indem sie dies that, fühlte Jeder, der gebildete Geschmack des seligen Fürsten habe überall so zweckmäßig entschieden, daß ihm bei den neuen Einrichtungen nur nachzukommen sei, wenn man das Palais seiner schönen früheren Bestimmung zurückgeben wolle. Dies hob das Gefühl der Fürstin, und Lacy, der nur zu wohl die edle Tochter errieth, verstärkte dies Gefühl, so viel es seine Ueberzeugung zulassen wollte.

Dieser Uebersicht folgte eine Berathung über die nächsten Ankäufe von Kunstwerken, welche zur ersten Auswahl dem jungen Architekten überlassen wurden. Später, als die Liebenden allein waren, trug Lacy darauf an, mit der Aufnahme der beiden Kinder nicht länger zu zögern, und erbot sich, sie selbst aufzusuchen, um sich an Ort und Stelle von ihrer ganzen Lage zu überzeugen. »Und glauben Sie,« fuhr er fort – »daß das seltsame schwarze Mädchen mit zu ihnen gehört?«

»Nein,« sagte die Fürstin – sie ist, glaube ich, bei einer Verwandten, und von Mangel ist dort nicht die Rede, das ist sichtlich! Die Kinder hängen wie Geschwister aneinander und ich glaube, sie sehn sich oft – wo aber – das hab' ich nicht gefragt, vermuthe aber, Magda wohnt in der Nähe und giebt eine Art Lehrerin für Hedwiga ab.«

»Nun,« rief der Graf, lebhaft aufstehend – »auf keinen Fall nehmen wir dies Mädchen auch ins Haus! Bedarf sie es, so können wir sie unterstützen – aber nur nicht ins Haus.«

»Macht sie Ihnen einen unangenehmen Eindruck?« fragte die Fürstin überrascht. »Ich hatte ein Gefühl für dieses Mädchen, wie ich es nicht beschreiben kann. Ihre Schönheit ist ein Räthsel für mich, worin ich mich ganz vertiefen könnte. Dabei ihre Sprache – dies Mienenspiel – ich könnte mir denken, daß sie, auf einem hohen Standpunkt geboren, eine Kaiserin sein könnte wie die unsrige. Sie dürfen meinen Liebling nicht so verwerfen! Sehn Sie dies herrliche Gesicht nur erst recht an, und lassen Sie sich die Laune nicht verderben durch die häßliche puritanische Haube!«

»Ja!« rief Lacy – »die Haube wird es sein! Nein! nein! verlangen Sie nicht, daß ich das Mädchen ansehe – ich will sie, wenn's möglich ist, gar nicht wiedersehen – aber Alles für die andern Kinder thun, was nur Ihr Herz erfreuen kann.«

»Gut,« entgegnete die Fürstin heiter – »fangen wir damit an. Vielleicht versöhne ich Sie später mit meiner Magda.«

Als der Graf die Fürstin verließ, lag der späte Abend mit seinen Schatten um ihn ausgebreitet. Zu dunklen Massen waren die Laub- und Blumenpartieen des Weges verschmolzen; die kleinen Häuser, die dazwischen standen, verloren sich, und nur gegen den hellen, von tausend schimmernden Sternen belebten Horizont zeichneten sich ihre bescheidenen Conturen ab. Der Graf war jederzeit ein aufmerksamer Beobachter der Natur – er ging langsam – er blieb zuweilen stehn – er sog den Duft ein, den das Meer von Blüten um ihn her in leichtem Nachtschlummer träumend anhauchte. Es machte ihm Freude, trotz der Dunkelheit die ihre lieblichen Gestaltungen verhüllte, sie Alle an ihren Düften zu erkennen, und er mußte sie, vorüberwandelnd, innerlich anrufen, wie man geliebte Schäfer ruft, nicht um sie zu wecken, sondern in dem beglückenden Gefühle ihrer Nähe. Doch begleitet die Natur nur das Innere des Menschen, wie das Seitenspiel die Worte des Sängers – die Accorde werden verschlungen von der Bedeutung des Textes. – So war die Natur die begleitende Melodie, welche sich der Stimmung des Grafen anschloß, aber sie wirkte nicht allein in ihm. Die Einsamkeit macht an bessere Menschen immer zuerst den Anspruch, in sich einzukehren und dem Verständnisse mit sich selbst nachzufragen. So gingen die Bilder des jüngst Erlebten an seinem Innern vorüber, wie die Blumen und Gebüsche des Weges an dem langsam vorüber Wandelnden.

Vieles hatte sich nun nach seinem Wunsche, nach lang gehegter Absicht gestaltet. Eine süße Befriedigung ging durch seine Seele, wenn er sich sagte: Claudia's Leben sei nun endlich sicher gestellt, sie sei gerettet aus allen Kämpfen und Widersprüchen ihrer unglücklichen Lage, und ihre Aufopferung, ihre Liebe gegen den egoistischen Vater werde nun belohnt werden. Um so weniger konnte er der Kaiserin ihr heutiges Einschreiten verzeihn. Er wollte nicht wissen, daß ein Anderer das denken könne, was er nur der Geliebten gestattet hatte zu sagen, mit der Gewißheit siegreicher Widerlegung. Auf diesem Punkte ruhig und überzeugt, blickte er auf Thomas Thyrnau's wunderliche Ansprüche vielleicht mit etwas zu viel Ruhe hin. Immer mehr geneigt, sie für eine Grille zu halten, die sich werde beschwichtigen lassen, hoffte er von einer mündlichen Besprechung mit dem alten sonderbaren Manne eine genügende Ausgleichung. Die gestörte Audienz bei der Kaiserin hatte ihm die gehoffte Erwähnung der böhmischen Angelegenheiten nicht gestattet, und er sah sich abermals zu einem müßigen Warten verdammt: da er seinen edlen Gönner, den Grafen Kaunitz, den er ungewöhnlich beschäftigt wußte, mit der Betreibung dieser Audienz unmöglich behelligen konnte. Tröstlich war ihm daher die Abreise des Baron Pölten; doch wollte er ihn morgen noch etwas über seine Pläne ausholen. Denn so edel und gut der junge Mann im Ganzen war, so wenig es ihm an Ernst fehlte, wo er ihn haben wollte, so ausgelassen und muthig, ja abenteuerlich konnte er zuweilen in seinen Plänen und gelegentlichen Handlungen sein und mit den gedankenlosesten Leichtsinn die Folgen übersehn, wenn sie ihm eine augenblickliche Aussicht zu abenteuerlichen Vergnügen darbot. Er hatte Andeutungen gemacht, die dem Grafen aufgefallen waren – die ihn fürchten ließen, es habe sich in seinem Kopfe irgend ein toller Plan entwickelt; denn er hatte ihm das Wort abgenommen, in der ganzen Zeit, bis er selbst es ihm anders anzeigen werde, nicht direkt an Thomas Thyrnau zu schreiben, damit er nicht gegen das, was er auszurichten gedenke, ungeschickt einwirke. Ebenso wolle er keine Briefe von ihm empfangen – sie sollten wenigstens nicht nach Tein geschickt, sondern in Prag deponirt werden, woher er sie sich durch eigne Boten von Zeit zu Zeit zu verschaffen hoffe. Dies Alles war unter Lachen und Scherzen aus dem leichtsinnigen Munde des liebenswürdigen jungen Mannes hervorgegangen, und der Graf glaubte den Schalk dahinter verborgen erkannt zu haben. Um keinen Preis aber wollte er den Freund seines Oheims auf irgend eine Weise der Willkür eines jugendlichen Scherzes ausgesetzt sehn, und wenn ihm Pölten nicht sein Ehrenwort gäbe, seinen Muthwillen bei Seite zu schieben, damit die ausgezeichneten Gaben des Herzens wie des Verstandes bei ihm hervortreten könnten, wollte er ihm die ganze Sache ausreden, wozu er ihn leicht zu stimmen hoffte. Pölten mußte seine Reise nach Tein mit einem großen Umwege machen, weil ihm in Ungarn, dem Vaterlande seiner Mutter, plötzlich die Hoffnung zu einer kleinen Erbschaft gemacht war, die er bei geringem Vermögen nicht versäumen durfte zu erreichen, da sich ihm vielleicht zu einer vortheilhaften Heirat dabei Gelegenheit zeigte, welches ein Hauptwunsch des sonderbaren jungen Mannes war.

Indessen kehrten Lacy's Gedanken bald zu seinen nächsten Angelegenheiten zurück, und bei dem liebsten Theil derselben verweilend, bei dem Glücke, womit er Claudia überschütten wollte, lehnte er sich an eine Linde, die ihre schweren Blütenzweige über ihn bog, und seine Gedanken blieben stehn vor Lust, als neben ihm in dem niedrigen Gezweige junger Buchen plötzlich eine Nachtigall ihre einzelnen, süßen, langgezogenen Töne hören ließ. Es war dem Grafen, als höre er sie zum ersten Male – er folgte dem überschwänglichen Gefühl von Liebe in diesem Tone, als würde sie ihn das unergründlich tiefe Geheimniß eines ganz hingegebenen Herzens lehren – und wenn die kleine Kehle mit der Athemkraft, die keine Menschenbrust umschließt, ihren pulsirend bewegten Ton in einem Crescendo erhob, als wolle sie ihr ganzes Leben dahinein ausströmen, so war es dem Grafen, als höre er die Geschichte der Liebe erzählen – als wären die Worte dazu: – Mein ganzes Dasein löst sich auf in der Hingebung an das Deinige!

Er fühlte ein Entzücken, welches seine Brust fast eben so überschwänglich spannte. Er wollte an Claudia denken – die Nachtigall sang noch immer denselben Ton – zwei braune Augen traten aus seiner Erinnerung hervor – jetzt wußte er das Räthsel, das er nicht ergründen gekonnt. Diese tiefen Augen, die unaufhaltsam bis in jeden Raum des Innern eindrangen – diese Augen waren wie die Töne der Nachtigall – sie hatte einen Urtext – und warum sie ihn angeblickt – das glaubte er plötzlich zu wissen. Da schwieg die Nachtigall und der Graf fuhr auf, als erwache er aus einem tiefen Traum. Verstört blickte er umher – er streckte den Arm vor sich hin, als wehre er von sich etwas ab. Er raffte sich auf und richtete sich so kühn empor, als erwarte er einen Feind, und als er aus dieser unwillkürlichen Aufregung zurückkehrte, that er einen ernsten vorwurfsvollen Blick in sein Inneres. Ihm graute vor den Tiefen der menschlichen Brust, wie neben dem Einen, was wir laut nennen und zu dem wir uns mit allen Kräften bekennen, das Andere sich leise einschleicht und stumm, wie um nie zu erwachen, sich schlafend niederlegt, bis der Ton von Außen eindringt, der es weckt, und wir es wie sanfte stehende Blicke fühlen, die fragen, ob es bleiben dürfe, und die uns jetzt erst erkennen lassen, daß wir es beherbergten, ohne uns seines Einzugs bewußt geworden zu sein.

»Ha!« rief der Graf – »aber ich bin es noch selbst – gerüstet sollst Du mich finden, denn mich gelüstet nach dem Streite mit der feigen Schwäche! Nein, Kaiserin – Du wirst nicht Recht haben – und Du – Du – !« Er nannte Claudia's Namen nicht – aber sie stieg wie eine Heilige so eben auf den Thron seines Herzens.

Als er am andern Morgen erwachte, belächelte er die Aufregung des vergangenen Abends, wie man sich an Fieberphantasien erinnert, die in den wirklich vorhandenen Zuständen keinen Grund haben. Er fühlte eine reine und innige Hingebung an Claudia und beschloß, nach dem Besuche beim Baron von Pölten sich nach dem Klosterhofe zu begeben, um ihr wo möglich noch heute Hedwiga zuzuführen.

Doch ward er in der Wohnung des Baron von Pölten sehr unangenehm durch die Nachricht überrascht, derselbe sei in der Nacht bereits abgereist. In dem Briefe, den er für ihn zurückgelassen, fand er die Ursache dieser schnellen Abreise nur flüchtig erwähnt, aber in Zusammenhang stehend mit den aus Ungarn erhaltenen Nachrichten, über jene Erbschafts-Angelegenheit. Außerdem äußerte er mit naiver Sicherheit seine Freude, daß sie am Abend vorher über die spätere Reise nach Böhmen alles Nöthige besprochen hätten, weshalb seine Abreise jetzt ohne Zögerung hätte vor sich gehen können.

So wenig nun der Graf diese Meinung theilte, mußte er sich doch entschließen, die Sache aufzugeben. Er nahm sich dagegen vor, seine Willensmeinung sogleich in einem Brief nach Prag zu senden, wohin der Baron zuerst gehen wollte, und in seinem Palais, wo er auszuruhn versprochen, noch zeitig genug von seinen Bitten erreicht werden konnte.

Langsam wandte er sich um nach den Wall-Linien, worin das Ursuliner-Kloster mit den Vorderhöfen lag, in denen er seine jungen Schützlinge suchen sollte. Der vornehme junge Herr erregte bei seinem Eintritt in den mit spielenden Kindern angefüllten Klosterhof kein geringes Erstaunen, und als er nach Hedwiga und Egon fragte, waren wohl zwanzig kleine Führer bereit, ihm den Weg zu zeigen. Denn schon mit ihm gehen zu können, schien eine Gunst und Lacy's Liebe zu Kindern, die sich in jedem Blick, in jeder neckenden oder liebkosenden Bewegung zeigte, war nicht dazu gemacht, die kleinen Nachzügler zu verscheuchen. So hatten sie bald den schmalen Weg zwischen der Hecke von Bäbili's Garten und der Klostermauer erreicht, und Lacy vergaß jetzt alles um sich her, als die kleine stallartige Hütte, in welcher die bezaubernde Schönheit Hedwiga's blühte, vor seinen Augen lag.

Allein gelassen von den Kindern, die selbst unter seinem Geleit nicht Muth hatten, der strengen Frau Mora näher zu kommen, schritt Lacy der Hütte entgegen, und fand sie bei seinem Eintritt völlig leer. Egon war zum Klostervoigt gegangen – Mora und Hedwiga zu Frau Bäbili.

Nachdem er mit wehmüthigen Blicken die tiefe Armuth der Hütte überschaute, schritt er zur offenen Hofthür hinaus auf den Lindenbaum zu, und hier hatte die Natur eine so liebliche Einrichtung für die Armen getroffen, daß Lacy sich daran erholte und die Augen umherschweifen ließ nach allen Richtungen. Vor sich sah er den Wiesengrund, auf der andern Seite den schönen Chor der Klosterkirche mit der daran stoßenden dunklen Taxuswand und als er sich wendete, erstaunte er über die große Bronze-Statue des heiligen Christophorus, der mit seiner heiligen Bürde über den Bretterverschlag glänzend herüber leuchtete.

Er trat näher – die Augen empor gehoben und sich auf den Rand des Zaunes lehnend, blickte er, sich ganz vertiefend auf das liebliche Kinderantlitz des kleinen Christus. Die ruhige Stille des Morgens ließ ihn jetzt das Plätschern des Brunnens hören, und die Bestimmung der Statue errathend, senkte er das Auge zu dem großen steinernen Becken, worin sie in der Mitte der kleinen Quellen stand.

Hier saß Magda. Mit beiden Händen hielt sie ein Buch auf ihren Knien fest, als wollte sie sich seine Gegenwart sichern, während ihr Auge tief sinnend darüber weg in die kleinen springenden Quellen des Brunnens blickte. Hals und Nacken waren gebogen, ihr Kopf gesenkt; nur die reine Linie ihres Profils war sichtbar, und ihr Mund, halb geöffnet, zeigt das kindliche Lauschen der Lippen – den Zug einsamen Nachdenkens.

Ihr Anzug war ganz verändert, und der Graf mußte sie länger betrachten, als er sonst gemocht hätte, denn er wußte zu Anfang nicht, ob sie es wirklich sei. Dann dachte er darüber nach, daß ihre Tracht die der Prager Bürgermädchen sei, welche er oft beobachtet hatte mit der Bemerkung, daß sie sich stets nach dem Geschmack der Trägerin oder nach ihrem Reichthum zu fügen hatte, doch bei allen Veränderungen immer die Grundidee höchst reizend beibehielt. Schöner glaubte er sie nie gesehen zu haben.

Ein Theil von Magda's langen glänzenden Flechten war am Hinterkopf in einen griechischen Knoten geschlungen und darüber ein Netz von starken Goldfäden gespannt, was mit feinem reichen Inhalt auf dem schönen schlanken Halse ruhte. Dicht schloß sich die halbe Haube an, an welcher die ganze Hochmuth eines Prager Bürgermädchens zu haften pflegte, und der auch hier über Magda's Vermögen keinen Zweifel ließ. Es war ein flacher handbreiter Streifen von Goldbrokat, der aufs reichste gestickt mit einzelnen, in Blumen gefaßten farbigen Steinen, Perlen und erhabener Goldarbeit verziert war. Bei Magda war dieser Streifen, der, genau an das Netz sich wie eine halbe Kappe anschließend, den Kopf umspannte, mit einem Rande von Perlen besetzt, der über den Schläfen durch eine kleine goldene Klammer an dem glänzend glatt gekämmten Scheitel befestigt war. Ueber dem Ohr wurden von reichen Enden des Vorderhaares die Flechten in eine Schnecke gedreht und mit einer goldenen Nadel durchstochen und unterhalten; die langen schweren goldenen Ohrgehänge vollendeten den Kopfputz. Die Kleidung war schwarz, das Mieder von starkem Seidenzeuge mit Gold gestickt; aus seinem Rande hob sich in seinen Falten ein gesteiftes Tuch vom feinsten Linon, das in sehr saubern Kniffen hinten auf dem Nacken zusammengesteckt war. Drüber saß die anschließende Jacke, die Magda von schwarzen Sammt trug, mit purpurothem Damast gefüttert; die engen Aermel reichten etwas über den Ellenbogen, waren mit weißen Spitzen besetzt und am Rande eben so wie alle Nähte mit Gold gestickt. Der Rock war schweres schwarzes Seidenzeug mit durchbrochener Goldborte, die Strümpfe von schwarzer Seide mit rothen Zwickeln und die Schuhe von schwarzem Sammt mit goldnen Haken und blitzenden Schnallen. Dazu gehörte noch eine reichgestickte Bügeltasche, die an einer kostbaren goldnen Spange seitwärts niederfiel.

Graf Lacy brauchte vielleicht eben so viel Zeit, die Einzelnheiten dieser schönen Kleidung zu prüfen, als wir sie zu schildern, und vorzüglich blickte er voll Bewunderung auf die schöne Linie des Profils, die sich auf der dunklen Steinlehne der rund um den Brunnen laufenden Bank absetzte. Ihre Farbe war vielleicht von dem ungewöhnlichen Putz ein wenig erhöht, und das Dunkle ihrer reinen schönen Hautfarbe ward dadurch gehoben, – sie war vergraben in Gedanken, und gewiß sah sie die kleinen schäumenden Sprudel nicht, auf denen ihre Augen ruhten.

Aus diesem Anschauen weckte sich der Graf mit der Betrachtung, sie werde sicher wissen, wo die Kinder zu finden wären, die er suchte. Aber er wußte nicht, wie er sie anreden sollte. Das arme, abenteuerlich verpuppte Mädchen, die Gefährtin armer Kinder, war das nicht mehr – auch zeigte ihre Schönheit wol das Alter von sechszehn Jahren an. – »Mein Kind!« – so konnte er sie nicht anrufen – »Magda!« – beim Vornamen nannte man nur ganz geringe oder ganz befreundete Mädchen. Zwischen dem Sinnen darüber blickte er sie immer an – und dann zerstreute ihn ihre tiefe Ruhe – er fürchtete einen so seltenen Zustand – einen so anmuthigen Anblick zu stören. Wie es endlich kam, daß er dennoch ihren Namen nannte, wußte er wol selbst nicht. Magda hörte den leisen Ruf ihres Namens – sie beugte sich aber dem Becken des Brunnens zu und ein Lächeln umspielte ihren Mund, als glaube sie, die kleinen Quellen haben sie gerufen.

Jetzt rief der Graf noch einmal – vielleicht etwas lauter. – Wie ein gescheuchtes Reh sprang Magda auf und schaute rasch umher – da sah sie ihn über den Zaun herüber gelehnt. Einen Augenblick blieb sie unbeweglich stehen und sah ihn fest an, dann senkte sie die Augen und er rief noch einmal: »Liebe Magda! willst Du mir wol über etwas Auskunft geben?«

Magda legte das Buch zusammen und auf den Steinsitz. Leicht und anmuthig schritt sie dann gerade auf ihn zu, so, daß, als sie in ihrer ganzen Pracht immer näher kam, der Graf zurückwich und sich unwillkürlich vor ihr verneigte.

»Ihr wollt die Kinder haben« – sagte sie leise, aber fest, »Hedwiga kann ich Euch schicken, aber Egon, um den's sein wird, der ist beim Klostervoigt.«

»Da will ich zuerst zum Voigt gehn,« – entgegnete Lacy, »und komme mit ihm hierher zurück, während Du, liebes Mädchen, Hedwiga herbei rufst.«

»Macht das lieber anders,« sagte Magda nachsinnend. »Mit Egon ist schwer thun, wie man will – und besser, Ihr sprecht erst Mora und sie willigt ein, den Knaben zu rufen.«

»Sollte er denn nicht geneigt sein, mit mir zu gehn? Ich will ihn ganz mit nehmen, ihn erziehen, seinen Fähigkeiten nach, und dann weiter für ihn sorgen.«

»Eure gute Meinung wird Euch nichts helfen,« erwiederte Magda – »denn er will zu Euch nicht gehn – eben zu Euch nicht.«

»Ist es möglich!« rief der Graf. – »Was habe ich denn dem störrigen Knaben gethan? Weißt Du, warum er Widerwillen gegen mich hat?«

Magda erglühte bei diesen Worten bis in den Nacken hinein. Ihre bis jetzt mit Ruhe auf den Grafen gerichteten Augen sanken zur Erde, doch dauerte der Kampf nicht lange. Als sie aufsah, war sie wieder gesammelt. »Ich weiß es« – sagte sie – »aber ich werde es nicht sagen, denn es ist unnöthig, daß Ihr es wißt, und der Knabe würde es leugnen.«

Der Graf schwieg, in physiognomische Betrachtungen vertieft. Er wollte das süße ernste Räthsel – das holde Geheimniß in den Zügen des Mädchens lesen. – Diese fuhr fort: »Mir liegt aber viel daran, daß die Kinder fortkommen, ehe ich sie selbst verlassen muß, denn sie thun hier nicht gut bei Mora; also will ich Euch helfen, wenn Ihr mir versprecht, für die Hedwiga auch zu sorgen. Ihr könntet mir den Gang abnehmen zu der guten alten Fürstin Morani; der wollte ich Hedwiga gern empfehlen, aber ich mag nicht wieder hingehn, wo es mir das letzte Mal so weh that.« Wieder ward Magda roth. Dann blickte sie mit großen in Thränen schwimmenden Augen zu ihm auf und sagte mit Heftigkeit: »Ich will Euch um Verzeihung bitten, da ich Euch nun doch wiedersehe – später sollt Ihr erfahren, warum ich so vor Euch erschrak und mich wie ein albernes Kind betrug. Jetzt vergebt mir, ohne den Grund zu kennen.«

Es war ein dringender, heftiger, fast befehlender Ton, in dem sie sprach. Aber es war nur für ihre innere Beschämung, für ihren sich beugenden weiblichen Stolz die ungeschickte Sprache. Lacy verstand das und blickte mit Rührung auf das Mädchen, in der es so ungestüm aufbrauste im Streite mit ihrer Willenskraft.

»Mein liebes Mädchen,« sagte er sanft – »versprich mir, daß Du ruhig sein willst. Wie könnte ich Dir etwas zu verzeihen haben? Wol verstehe ich nicht, wie ich Dir Schrecken einflößen konnte – aber ich habe ja kein Recht, Dir angenehm zu sein – und vielleicht, weil Du mich nicht bei der Fürstin erwartetest – –«

»Das weiß Gott!« sagte Magda ihn unterbrechend, »daß ich Euch nicht erwartete. Aber laßt das jetzt« – fuhr sie ruhig und sanft fort – »wir werden wol darüber einmal mehr sprechen. Jetzt sind die Kinder die Hauptsache. Egon wollte auch zur Fürstin, wollte ihr Page werden, dafür sollte sie an Mora eine Ziege schenken, weil er die vorige mit seinem Ungestüm getödtet hat. – Da hat die Kaiserin gestern Hedwiga die Ziege versprochen, und nun wollen sie Alle wieder beisammen bleiben, und das will ich eben nicht leiden, weil ich fort muß und die Kinder dann vor Niemand Respekt haben.«

Lacy würde zu jeder andern Zeit über das junge Kind gelächelt haben, das sich hier mit so ruhigem Selbstgefühl als einzigen Gegenstand des Respektes verkündigte, aber er fragte, dies überspringend: »Wo willst Du hin, liebe Magda? Warum bleibst Du nicht hier?«

Das Mädchen sah ihm lang und tief in die Augen, dann wandte sie den Kopf mit einem schweren Athemzuge Weg und sagte: »Ich bin hier nicht zu Hause.«

»Du trägst die schöne Tracht der Prager Bürgermädchen; – bist Du eine Böhmin?«

»So ist es,« sagte Magda gepreßt und sich immer mehr zur Seite wendend.

»Wie heißest Du!« fragte der Graf und seine Stimme bebte, ihm unbewußt.

Magda blickte ihn rasch an, als wollte sie ihm heftig entgegnen – dann faßte sie sich – »Magda Matielli nennt man mich,« sagte sie – und indem sie sich wandte, grüßte sie den Grafen stolz mit dem Neigen des Kopfes und ging auf den Pachthof zu, um Hedwiga zu rufen.

Der Graf blieb unbeweglich stehen. Er sah ihr nach und bewunderte den sichern leichten Schritt des jungen Mädchens. »Das ist ein sehr ungewöhnliches Wesen,« sagte er dann zu sich selbst. – »Es ist gut, daß sie ihren Platz in der Welt gefunden hat – und daß sie wohlhabend ist – wer könnte diesem Mädchen ein Almosen anbieten? Nie richtig hat Claudia sie geschätzt! man könnte denken, sie wäre eine Fürstin und die Tracht des Bürgerstandes erhöht bei ihr fast den Ausdruck einer stolzen Bestimmung.


 << zurück weiter >>