Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Erster Theil
Henriette Paalzow

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Als der letzte Schlag der alten rasselnden Uhr ausgeklungen, richtete sie sich auf und blieb sinnend und horchend vorgebeugt. Ein leises Knistern ward gehört – die Prinzessin schauderte und lehnte sich dann, fest in ihren Mantel gehüllt, in den Stuhl zurück.

Hinter ihrem Rücken schob sich die Wand unter dem mittlern Fenster von einander, und aus dem dunklen Raume, der sich jetzt zeigte, hob sich eine stämmige Gestalt hervor, an der nichts leuchtete, als ein breites Gesicht, dessen rothe Farbe von der Flamme des Kamins einen erhöhteren Glanz bekam. Die Gestalt blieb in gebückter Stellung lauschend stehen, unsicher, wie es schien, ob sie vorschreiten sollte, und nach allen Seiten vorsichtig das düstere Zimmer überblickend.

»Ich bitte Euch, macht Eure Rattenfalle schnell hinter Euch zu, ich fühle die Moderluft, die Euch nachzieht, bis hierher,« – so rief plötzlich die kalte verächtliche Stimme der Prinzessin – und alsbald stand der unterirdische Gast in dem Gemach und verschloß vorsichtig die hölzernen Wände.

»Nehmt Euch in Acht und streift nicht die Spinnweben mit Euren Aermeln von den Wänden! Spinnen sind das einzige Hausthier, was mir hier noch fehlt, und ich fürchte, Ihr bringt sie mit.«

»Ma déesse ist in bester Laune!« erwiederte eine rauhe, heisere Stimme mit kurzem Lachen, und die düster verhüllte Gestalt des Mannes trat nun hervor und näherte sich dem Stuhl der Prinzessin. Als sie ihn vor sich sah, überlief noch einmal ein Schauer ihren Körper und sie wandte das Haupt nach einer andern Seite.

»Lobt es nicht vor dem Ende,« sagte sie dann bitter; »meine Laune ist mir zwar die rechte, ob aber Euch die beste, werdet Ihr ausreichender beurtheilen, wenn Ihr Euren Rückzug antretet. Was soll es eigentlich bedeuten mit Eurer ewigen Belästigung? Ich bin ihrer herzlich satt und ließ Euch blos hierher kommen, um Euch dies zu sagen. Von morgen an wird man mir, wie ich nicht zweifeln darf, andere Zimmer anweisen, und dann sind wir ohnehin jeder Möglichkeit für solche Zusammenkünfte beraubt.«

»Ich bin ganz bestürzt über diese Erklärung,« erwiederte der Verhüllte – »wie soll ich dieselbe aufnehmen, nach dem unter uns bestehenden Verhältniß?«

»Verhältniß?« rief die Prinzessin. – »Es besteht allerdings ein solches, ich muß es einräumen; aber das Verhältniß verträgt sich eben genau mit dem, was ich gesagt habe, und eine andere Auslegung kenne ich nicht.«

Der Fremde zog bei diesen Worten den Lehnstuhl der alten Gräfin von Hautois vor den Sitz der Prinzessin, nahm ruhig Platz und sagte dann mit vieler Vertraulichkeit: »Nun, mein schönes, launisches Kind, so werde ich es Ihnen in Ihr Gedächtniß zurückrufen, denn zufällig bin ich auch etwas fester Sinnesart, gerade wie meine kleine Angebetete – daher auch keineswegs durch einige schnöde und launenhafte Redensarten aus dem Gleise zu bringen. Dies Verhältniß besteht in meiner förmlichen, aufrichtigen Bewerbung um die schöne Hand der Prinzessin von Z. – in einer Bewerbung, welche dieselbe nicht nur gestattet, sondern ich darf mit Stolz sagen, ermuntert, und dem gealterten Mann, dessen billige Schüchternheit der prangenden Schönheit gegenüber natürlich war, unumwunden ihre Bereitwilligkeit ausgedrückt hat, den alten Mann und das junge schöne Fürstentum – durch ihre Person zu beglücken.«

Die Prinzessin lachte bei dieser Rede heftig auf und rief mit höhnendem Uebermuth: »Wahrlich! wenn Ihr Recht habt, so ist das die brillanteste Thorheit meines Lebens.«

»Das wird sie erst werden, meine Gnädigste, wenn Sie sich einbilden, mit jenen Versprechungen so leichtsinnig umgehen zu können, wie vielleicht mit manchen früheren; denn ich bin fest entschlossen, meine bereits gewonnenen Rechte gegen Euer Gnaden sowol wie gegen die ganze Welt zu vertheidigen.«

»Und was denkt Ihr davon für Vortheil zu ziehen?« fragte die Prinzessin.

»Den Vortheil, den ich über Alles schätze, Euch, meine Gnädigste, zur Gemahlin zu besitzen und meinem verwaisten Lande legitime Nachkommen zu schenken.«

Die Prinzessin fuhr auf, als ob sie einen Stich fühlte. »Abscheulich! Abscheulich! Der Vater eines Erbprinzen, wie Ihr ihn besitzt! Nein! nein! Dazu werde ich nie das Werkzeug.«

Ein mißtönendes Lachen, welches die überdeckte Heftigkeit ihres Gegners verrieth, unterbrach ihre Antwort.

»Was, meine Huldin, war denn früher Ihre Absicht?« fuhr er fort – »Ihr werdet mich stolz machen. Sollte ich es wirklich mir allein zuzurechnen haben, daß Ihr früher mit so vielem Eifer meine Bewerbung aufnahmt? Ich also war es – ich also hatte dies feurige Herz so in Flammen gesteckt – Liebe also war es, was die schöne stolze Deutsche auf dem fröhlichen Boden Frankreichs so entgegenkommend machte? Denkt, in welchen Irrthum mich meine Bescheidenheit stürzte! Ich hatte den Verdacht, es mische sich so ein kleines Restchen von Rachlust in diese Vergünstigungen, da es eben der Erbprinz von S. war, der zehn Jahre früher sich der Ehre weigerte, der schönen Prinzessin Therese seine Hand zu geben! Bleibt ruhig sitzen, mein Engel!« sprach er höhnend weiter, als die Prinzessin hier in ihrer Heftigkeit aufsprang und sich raschen Schrittes aus seiner Nähe zu entfernen begann – »Personen, die in so nahe Verbindung treten werden, wie wir, sind genöthigt, sich die größte Offenheit zu bezeigen, und da ich jetzt überzeugt bin, daß meine holde Braut sich all der Gründe erinnert, die uns zu einander führen, wird sie es auch mit Vergnügen hören, daß Alles zu unserer Vermählung vorbereitet ist, und diese heutige Unterredung keinen andern Zweck haben sollte, als den der gemeinschaftlichen Übereinkunft des Hochzeittages.«

»Wißt Ihr auch,« rief hier die Prinzessin geisterbleich hervortretend – »daß der Erbprinz hier angekommen ist? Bereits seine erste ganz geheime Audienz beim Kaiser hatte – und ich es selbst hörte, wie er gegen die Kaiserin die Garantie für den Erbprinzen übernahm.«

»Wohl weiß ich das, meine Liebe! und ebendeshalb eilte ich, die letzten Schritte zu thun, an denen alsdann die Macht aller Majestäten scheitern wird, denn der listige Bube besitzt die Gabe der Rede – und Dero erlauchter Vetter Franz versteht sich viel besser auf Conto und Disconto, als auf die Kenntniß menschlicher Herzen!«

»Aber er selbst hat ein Herz, und ein edles Herz,« rief die Prinzessin. »Zutrauensvoll hat er mich hier an seinem Hofe aufgenommen und ich werde ihn nicht in dem Augenblick betrügen, wo er mich durch seine Güte an sich gefesselt glaubt.«

»Ein schönes, edles Zartgefühl! Aber wahrlich Prinzessin, Ihr kostet meinem Gedächtniß große Anstrengung! Gut, daß ich zu Hause Eure reizenden Briefe habe, voll der amnuthigsten Scherze über diesen lieben Franz, und über seine Gemahlin, in den abgetragenen spanischen Roben der Aeltermutter, worin Ihr sie so ähnlich am Rande abzeichnetet. Denn diese hochmüthig langweiligen Vormünder für ihre Anmaßung zu strafen – und gerade dafür zu strafen, sich unserer Vermählung widersetzt zu haben – das, denke ich, belebte unsere kleine Intrigue gerade so anmuthig und gab mir so bald die Mittel in die Hände, um zum Ziel zu gelangen.«

»Ihr seid durch und durch roh und unverschämt!« rief hier die Prinzessin mit überwallendem Zorn. »Vergeblich ist Euer Bemühen mich einzuschüchtern. Die Unbesonnenheit, mich einem gewissenlosen Manne übergeben zu haben, erkenne ich jetzt ganz. Ihr droht mir aber mit diesen Thorheiten vergeblich! Ihr habt Euch in meinem Karakter geirrt. Im äußersten Falle würde ich lieber alle diese meine jämmerlichen Handlungen eingestehn, als nach gewonnener anderer Ueberzeugung mich zu Verpflichtungen zwingen lassen, die ich nicht mehr in mir anerkenne. Vergeßt nicht, daß ich manche Eurer Umtriebe in Frankreich kenne, vielleicht besser als Ihr denkt, da ich zu dem Spielzeug der Frau Marquise von Pompadour gehörte. Denkt, daß ein Wort dieser Art an der rechten Stelle, mich augenblicklich sichern würde, und Eure jetzige ungünstige Lage am Hofe in eine Verbannung – wenn nicht schlimmere Ahndung verwandeln würde.«

Die Prinzessin konnte mit ihrer scharfen Beobachtung wohl sehen, daß diese Worte nicht ganz ohne Eindruck blieben und ihr Gegner einen Augenblick überrascht, die wahre Auslegung des Gehörten auf ihrem Gesicht zu suchen trachtete. Aber bald hatte er sich gefaßt und ihrem aufmerkenden Auge die Richtung seiner Gedanken entzogen.

»Meine Schönheit,« fuhr er sogleich fort – »die kleinen Unterhaltungen, die ich mit der Madame de Pompadour hatte, waren gerade so zugeschnitten, wie sie für den kleinen, stets überfließenden Mund einer solchen Dame paßten – ich fürchte die Mittheilungen an ihr liebenswürdiges Schooßkind nicht!«

»Leicht möglich, daß Ihr vorsichtig genug ward. Aber die Sache, die Ihr damals wieder aufzuregen trachtetet, war von der staatsklugen Frau genau gekannt. Thomas Thyrnau, der berühmte Advokat, hatte diese Angelegenheit, die unter Karls des Sechsten Regierung unbesonnen – zu Maria Theresia's Zeit ein Frevel war – in die Hände der edlen Herzogin von Chateauroux gelegt und sie durch sie beendigt. Der König Ludwig lernte durch sie die heimlich angestiftete Thorheit kennen und die Marquise Pompadour wußte all diese Dinge durch den König selbst bis auf jeden einzelnen Namen.«

»Es ist so übel nicht, daß Ihr von diesen Dingen unterrichtet seid,« erwiederte er, »Ihr werdet finden, daß Ihr da noch Andere als mich zu schonen habt. Ihr interessirt Euch, denke ich, für diesen Thomas Thyrnau – für den Namen Lacy. Sie fehlen jener Liste nicht, und als Unterthanen Ihrer Majestät möchte es sich für sie anders herausstellen, wenn die bewußte Sache höheren Orts zur Sprache käme.«

»Thomas Thyrnau gehörte zur Zeit Maria Theresias diesem Komplott nicht mehr an,« rief die Prinzessin; »er suchte im Gegentheil auch den Namen Lacy aus diesen Verwickelungen zu reißen. Ihr habt Recht! Ihn würde ich schonen, und es kann sein auch den Namen Lacy. Denn ihm, dem Einzigen, der mich verstand, der sich bemühte – wenn auch vergeblich – mich von gefahrvollen Wegen abzulenken, ihn würde ich schonen, wenn es nöthig wäre. Aber es ist nicht nöthig; er ist unschuldig.«

»Wenn er es beweisen kann,« rief der Fremde stolz. »Ich aber weiß, er kann es nicht.«

»Traut nicht so fest darauf und fürchtet meine Entschlossenheit. Ihr tragt den bittern Haß im Herzen gegen diese Lacy's – gegen diesen Thyrnau, der Euch am Verbrechen hinderte. Nie vergebt Ihr ihm den Schutz, den Euer edles verfolgtes Weib von ihm erhielt – nie die kluge Umsicht, mit der er die Beweise führte für die Legitimität Eures Sohnes, mit der er zugleich den Namen dieses Lacy frei sprach. – Ihr würdet für Euch selbst die Gefahr dieser Entdeckung bereitwillig bestehn, wenn Ihr damit Schande, Unglück und Verfolgung über diese Namen bringen könntet.«

»Und ich schwöre Euch, ich werde es vollbringen, wenn Ihr Euch weigert, mein Weib zu werden!« unterbrach sie hier im wildesten Ausbruch des Zornes der Fremde. »Heuchelt jetzt, so viel Ihr wollt, Ihr wollt dasselbe, was ich will! Ja, Rache will ich an dem langen Zwang, unter dem ich geseufzt – Rache an dem Bastard, der mein Feind war seit der Geburt, die ihn zu meinem Sohne erlog – Rache an Thomas Thyrnau, der ihn auf diesem Platze erhielt – Rache an diesem stolzen österreichischen Hofe, der unabhängige Fürsten in ihrem Reiche zu beschränken wagt, und sie will zittern machen durch den Schuh, den er sich unterfängt, ihren Widersachern zu verleihen – Rache will ich, und kann sie am besten durch Euch erzielen. Darum will ich Euch!«

»Weich' von mir, Ungeheuer!« rief die Prinzessin zurückfahrend, als er jetzt wie ein wildes Thier auf sie einstürzte. Da stand plötzlich eine Gestalt zwischen ihnen, die den in lange weiße Gewänder gehüllten Arm drohend zu ihm aufhob. Er wich zurück und sah erschrocken in die alten bleichen Züge, die ihm einem Gespenste zu gleichen schienen. »Fort! fort von hier! Denke an Claudia de Hautois und glaube, daß sie sich zwischen jedes Gelingen Deines Lebens mit ihrem Fluche drängen wird.«

Der starke Mann erbebte und verlor die Kraft des Willens, die ihn bis hieher beherrschte. Er wich noch immer vor der langsam vorschreitenden Gestalt zurück, welche ihn so gegen die Fensterthür des geheimen Ausgangs trieb. Hier jedoch, als er die Feder mit dem Fuße aufgedrückt, blieb er widerstrebend stehn. »Welch ein Höllenspuk hier getrieben wird, ich weiß es nicht! Aber er schreckt mich nicht,« rief er mit bebender Stimme – »ich gebe meine Ansprüche nicht auf – und seid sicher, ich durchschaue Euren nächsten Plan, bloß um ihn zu vereiteln. Der sogenannte Erbprinz wird nicht Euer Gemahl! ich gelobe es.« – »Fort! fort!« rief dumpf die drohende Gestalt – und die Thüren schlossen sich hinter dem unheimlichen Gast.

Die Prinzessin Therese stürzte vor und befestigte schnell eine kleine metallne Schraube vor dem schlau verborgenen Schloß der Thür, welche das Oeffnen von Außen hinderte. Dann erst wandte sie sich und flog in die Arme ihrer alten Freundin, der Gräfin von Hautois, die, in ihre Nachtkleidung gehüllt, zum Schutz des Lieblings herbeigekommen war, und durch die Kenntniß einer schmachvollen Jugendperiode des Bedrohten, im Stande gewesen war, ihn zu erschüttern und zu vertreiben.

»O Du liebes prächtiges Gespenst,« rief die Prinzessin so heiter, als hätte sie nichts Anderes erlebt – »wie gut stand Dir Dein Pathos! O dieses grenzenlosen Jubels, das alte Unthier so von ein paar weißen Lappen verschüchtert zu sehn! Nun wahrlich! und wenn ich ihn liebte, wie einst seinen Sohn – jetzt jagte ich ihn mit meinem seidnen Pantoffel zum Tempel hinaus. Ein Mann, der sich vor Gespenstern fürchtet! O diese Scene giebt mir ein unbezahlbares Uebergewicht – doch hoffe ich freilich, ihn nie wieder zu sehen!«

»Ach, Therese!« seufzte die alte Dame – »was ihn erschütterte, warm nicht allein diese weißen Gewänder – es war das besteckte Gewissen, was von meinen Worten aufgeschreckt ward. Claudia von Hautois war die Schwester meines Gemahls – er verführte sie unter anderm Namen – und verließ sie als Prinz. Sie starb – und vorher verfluchte sie ihn!«

»Ha! so will ich diese Claudia an ihm rächen!« rief die Prinzessin. –

»Verzeih,« erwiederte die Gräfin – »diese Rache fällt nur mit Deinen Absichten zusammen – täusche Dich darüber nicht. – Auch ich zweifle keinen Augenblick, Du hast jetzt andere Pläne. Entweder beschäftigt Dich dieser Graf Lacy oder der Erbprinz.«

»Beide! meine Theure! Beide werden Lust haben, mir zu widerstehn. An Beiden muß ich mich versuchen. Sage, daß ich hungern, dursten oder sterben soll – ich will mich darein fügen – sage aber nicht, daß ich Beiden ihr hochmüthiges Uebersehen schenken soll! Das kann ich nicht, denn ich will es nicht.«

»Ich kenne das Geheimniß der Hölle, was Dich bindet,« rief die alte Gräfin. – »Man hat Dich langsam daran gewöhnt.«

»So ist es. Gute Nacht! Schicke meine Frauen – ich glaube, die Vögel fangen schon an zu singen. Wer kann auch hier daran denken, daß es schon Juli ist!«


Es war nicht möglich, liebenswürdiger zu sein als die Prinzessin Therese. Man hätte von ihr sagen können, daß sie die Kunst der Coquetterie bis zur höchsten Vollkommenheit entwickelt habe. Ihr schönes Naturell kam ihr dabei zu Hülfe. Sie war gefühlvoll, der edelsten Gesinnungen fähig. Diese Naturgaben, die sie über die Schwächen ihres Geschlechts hätten erheben können, waren jetzt untergeordnet unter den alles beherrschenden Geist der Intrigue und des unbezwingbaren Hanges, die Beherrscherin aller Männer zu werden. Aber sie schimmerten dennoch, die Frivolität ihrer Besitzerin oft selbst überraschend, durch die Thorheiten ihrer Handlungen hindurch und veranlagen das getheilte Urtheil über sie, welches zwischen »Gut« und »Böse«« noch immer schwankte. Ihr glänzender Verstand ward dagegen durch die Gabe des Witzes nur noch hervorleuchtender, und dieser überwucherte – unbehindert von weiblichem Zartgefühl oder schonender Güte – zuletzt fast alle ihre Gedanken. Es gab namentlich kein Ereigniß, was ihr lästig war, oder ihrer Eitelkeit, ihrem Egoismus gefährlich, gegen welches sie nicht augenblicklich die Waffen ihres Witzes richtete. Sie kannte die oberflächliche Erregbarkeit der Masse zu gut, um nicht zu wissen, wie ihr dadurch der Sieg des Augenblicks fast immer zufiel, da ein gedankenloses Lachen im besten Falle, eine kleine befriedigte Bosheit bei den Meisten, dem kühnen oder beißenden Worte lohnt – und das moralische Erröthen der Besseren doch selten von dem muthigen Wort der Zurückweisung begleitet ist.

Sie kannte sehr wohl diese tugendhafte Schwäche der Gesellschaft und wagte sich, wie der lustigste Freibeuter, bis unter die Kanonen der gerüstetsten Festung, sicher, daß man viel zu viel Zeit zum »Richten« und »Feuern« bedürfen würde, um den weiter schwärmenden Feind noch erreichen zu können. »Ach,« rief sie oft lachend – »wenn diese tugendhaften Leute doch nur nicht mit ihren Schätzen von Redensarten wie hinter verquollenen Thüren eingesperrt säßen! Sie hören, wie wir sie mit unsern losen Witzen zur Vertheidigung herausfordern, und wissen, sie dürfen nur ihre vorräthigen Waffen ergreifen und heraus stürmen, so sind wir geliefert – aber sie kommen eben nicht heraus! Sie rennen gegen die verquollenen Thüren und prallen gleich wieder zurück – denn eben zu selten geöffnet zum Kampfe, widerstehen sie. Glücklich, wenn sie ganz drin bleiben; denn längst ist der neckende Feind entsprungen, wenn sie mit erbostem Antlitz ihm noch nachsprengen wollen und die Nachbarn schon vergessen haben, wer gejagt werden soll, und ihr Zorn dann gerade zur unpassendsten Stunde hervortritt. Müssen denn doch tugendhafte Leute existiren, so müßten sie Alle zur Fähigkeit schneller Gegenrede erzogen werden. Der Boshafte müßte über sie nicht den kleinsten Vortheil erringen. Wenn ich alt sein werde,« pflegte sie hinzu zu sehen – »dann werde ich eine Erziehungsart proklamiren, wie tugendhafte Leute den Muth behalten können, der leichtfertigen Bosheit gegenüber ihre schwer fertigen Worte hervortreten zu lassen; denn ich werde ihnen beweisen, daß der Böse Recht behalten wird, so lange sie blos innerlich zürnen.«

Ihre große Schönheit hatte ihr ein langmüthiges Publikum geschaffen. Sie war so rücksichtslos den größten Verführungen Preis gegeben gewesen, daß eben dies ursprünglich edle und stolze Naturell dazu gehörte, um sie auch über das Laster in gewissem Sinne herrschen zu lassen und ihr selbst den Ruf einer tugendhaften Prinzessin zu erhalten.

Dieser Ruf sicherte ihr eine ehrenvolle Aufnahme, als sie an den Hof ihres Verwandten, des Kaisers, geschickt ward, um den Bewerbungen des Fürsten v. S. entzogen zu werden. Beide Majestäten hatten sich über die mögliche Annahme solcher Anträge so mißfällig geäußert, daß sie abgebrochen wurden, aber zugleich die Wünsche des Fürsten v. Z., »der Prinzessin eine Zeitlang den Besuch des Kaiserlichen Hofes zu gestatten,« huldvoll gewahrt. Die Prinzessin hielt, gepeinigt von Langerweile, trotz ihres Schmollens diesen Aufenthalt doch für eine leidlichere Position als den kleinen Hof ihres Vaters.

Sie hatte mit dem größten Scharfblick sogleich ihre Stellung erkannt und übte eigentlich über Alle eine Herrschaft aus, der sich nach und nach Niemand zu entziehen wußte. Selbst Maria Theresia lag etwas unter dem Bann dieses schönen Dämons, der auch ihr schnell die schwachen Seiten abgelauscht hatte. Sie war durch ihre Stellung als Verwandte über manche Etikette erhaben und benutzte dies, um die Kaiserin mit einem Freimuth und einer Sicherheit ihrer Ansprüche zu überraschen, worauf diese nicht vorbereitet sein mochte, und die, einmal aus Ueberraschung ihr zugestanden, ihr nicht wieder zu entreißen waren, da sie die gewöhnlichen Versuche dazu, wie völlig ihr nicht geltend, auch gar nicht beachtete. Die Kaiserin, welche die Verwandte von ihren Hofleuten nicht angreifen wollte, ließ dem wunderlichen Wesen dies seltsame Treiben, gewöhnte sich zuletzt daran, und konnte späterhin förmlich auf die Scherze der stets munteren Therese warten, da es denn nicht selten vorkam, daß sie sich nach einer kleinen Unterbrechung der tödtenden Hofredensarten sehnte, mit denen von früh bis spät ihre ceremoniösen Hofleute sie bedienten. Dies ging so weit, daß man die Kaiserin fast hätte bemüht nennen können, die launige Muhme in guter Stimmung zu erhalten. Denn, hatte die sanguinische Natur der Kaiserin sie hingerissen, auch der Prinzessin ihr Mißfallen zu bezeigen, so war sie die Erste, die ihr wieder Worte oder Scherze abzugewinnen verstand, unbeschadet, daß diese dann oft ein wohl berechnetes Schmollen eintreten ließ, was jedoch zur rechten Zeit in die alte gute Laune überging. Die neidischen Beobachter, die Verstand genug hatten, dies Verhältniß zu beurtheilen, sagten: Die Kaiserin bemühe sich um die gute Meinung der Prinzessin. Und etwas war daran! Die Kaiserin mußte von Kaunitz so viel von der geschickten Handhabung des Lebens in Frankreich hören, sie sah diesen ernsten Geist, der die Interessen Oesterreichs über jedes Andere stellte, doch so imponirt von den häuslichen und geselligen Annehmlichkeiten und den wohnlichen Einrichtungen dieses Landes, daß – wie es schien – der Mangel dieser Vorzüge, den er im Vaterlande immer rügte, ihn bis zur Unduldsamkeit empfindlich machte, und ihn, in seinem Hause wenigstens, alles nach jenen Vorbildern hatte umwandeln lassen, die ihm allein zur würdigen Umgebung eines hohen Standes geziemend erschienen. Nun reizte es die Neugier der Kaiserin, eine Prinzessin zu beobachten, die eine so lange Zeit an diesem eleganten Hofe gelebt, dort ein besonderes Ansehn erlangt und gewiß die Geheimnisse dieser von Kaunitz angebeteten Eleganz inne hatte. Mit dieser hervorzutreten und jeden Mangel der Kaiserlichen Haushaltung dadurch wie von selbst an's Licht zu ziehn, gehörte nur zu den kleinen schlau benutzten Ergötzlichkeiten der Prinzessin. Hier war es, wo die weibliche Eitelkeit der erhabenen deutschen Kaiserin einen kleinen Streich spielte, denn sie suchte ganz in der Stille manchem Mangel feinerer Ausstattung nachzuhelfen und pflegte wol, wenn sie zum Bewußtsein ihres Verfahrens kam, zu sagen: Man muß auch von seinem Feinde lernen! Da bei Maria Theresia aber hinter dem, was der Beurtheilung vor Augen lag, sehr häufig noch ein höherer und feinerer Beweggrund ihrer Handlungen ruhte, über den die Menge unaufgeklärt blieb, so war es auch diesmal der Fall, und die Prinzessin zu schlau, um die hohe, offne, deutsche Frau nicht in dem schwierigsten Kampfe mit ihren Gefühlen bald errathen zu haben.

Kaunitz war seit dem Aachner Frieden mit der völligen Umgestaltung der bis dahin befolgten österreichischen Politik beschäftigt und fest entschlossen, die Kaiserin zu seiner Ansicht überzuführen, hörte er nicht auf, sie zu den nöthigen Schritten zu bereden.

Der Krieg, den der Aachner Friede endigte, hatte diesen klugen Staatsmann die betheiligten Mächte näher kennen gelehrt. Die Bundesgenossen hatten nicht immer treu – die Feinde nicht immer feindselig gehandelt. Um der Niederlande willen hatte Oesterreich bisher die Freundschaft Englands und Hollands gesucht und gepflegt, und es thun müssen. Allein schon im spanischen Successionskriege hatte eine theure Erfahrung gezeigt, daß beide Mächte mehr darauf bedacht waren, durch die Niederlande sich als Oesterreich zu schützen. Ueberdies waren diese abgerissenen, entfernten Lande gewöhnlich früher erobert als vertheidigt, und so glaubte Kaunitz die allzu theuren Vertheidiger entbehren zu können, wenn das feindliche Verhältnis zu Frankreich aufgehoben sei. Um diese Umwandlung aller bisher befolgten politischen Prinzipien zu bewirken, war die Bekämpfung tief eingeprägter und durch lange Gewohnheit befestigter National-Vorurtheile nöthig. Kaunitz mußte sich gestehn, daß er die Patrioten beider Länder gegen sich haben werde, und daß das Versailler Kabinet überdies von der Marquise von Pompadour, der eitelsten, intriguantesten Frau, beherrscht sei, die der Kaiserin als Frau zu grollen wage und jeden entgegen kommenden Schritt Oesterreichs zurückweisen werde, so lange die stolze Verachtung der Kaiserin gegen sie daure. Seine Anwesenheit in Paris hatte ihn alle die Schwierigkeiten vollkommen erkennen lassen. Aber sie konnten seinen entschlossenen und unermüdlichen Sinn nicht von dem Verfolgen dieses ihm so wichtig erscheinenden Planes abwendig machen, und er rechnete – für die erste Beseitigung der größten Schwierigkeiten – auf zwei gleich hartnäckige Frauen – die er jedoch Beide mit den verschiedensten Mitteln zu gewinnen hoffte.

»Vieles wird nicht gewagt, weil es schwer scheint – weit mehr ist nur dann schwer, weil es nicht gewagt wird!«

Das waren die tiefsinnigen Worte, mit denen er den erschrockenen Muth seiner erhabenen Kaiserin für die ihr so fremd scheinenden Ansichten zu beleben suchte, gegen die fast ein angeborner Widerwille in ihr kämpfte. Er wußte, sie war jedes Opfers fähig für die Sicherheit und Ruhe ihres Landes, und einsichtig und staatsklug genug, um die bedeutenden Vortheile, wenn er ihre Erreichung ihr möglich zeigte, einzusehen. Aber die Kaiserin war zugleich eine auf ihre Tugend stolze Frau, von den reinsten weiblichen Gesinnungen und von einem unerschütterlichen Abscheu gegen die Sitten des französischen Hofes und seiner jetzigen Beherrscherin – der Madame de Pompadour – erfüllt. Dennoch war an kein Gelingen dieser Unterhandlungen zu denken, so lange die Kaiserin nicht ihrer Widersacherin selbst einige versöhnende Schritte entgegen that. Hierzu bearbeitete Kaunitz sie mit allen Werkzeugen seiner schlauen Politik, und hierzu war ihm die Prinzessin Therese eine willkommene Alliirte; denn die übermüthige Schöne zögerte nicht, in Gegenwart der Kaiserin von Madame de Pompadour als von einer ausgezeichneten Frau – der Retterin Frankreichs wie des willenlosen Königs – zu sprechen und ihre Eigenschaften zu einer solchen Ungewöhnlichkeit zu erheben, daß ihre Schattenseiten sich dagegen in den Hintergrund drängten. Gewiß hätte Niemand unter andern Umständen dasselbe wagen dürfen, und die nächsten Umgebungen, die das Staatsgeheimniß, das noch nicht den Hof erreicht hatte, nicht ahneten, sahen voll Erstaunen, wie die Kaiserin nicht allein die übermüthige Redeweise der Muhme nicht strafte, sondern mit halb scherzendem Widerspruch immer mehr aus dem freigebigen Munde heraus sprudeln ließ. Die erhabene Frau prüfte aber in der Stille, und mehr wie alles Andere erschütterten diese Gespräche in etwas die an Abscheu grenzende Abneigung gegen die Marquise.

Obwol nun die Prinzessin durch Kaunitz von seiner Absicht, diese Versöhnung zu erreichen, unterrichtet war, wurde sie doch nicht sein Werkzeug, sondern trieb auch dies, weil es ihr zusagte, und wie es ihr zusagte, und hielt den feinen Mann in beständiger Spannung und Ungewißheit über ihr Verfahren. Doch verriethen mehrere Aeußerungen der Kaiserin ihm ihre mildere Stimmung und er erkannte durch sie die Wirksamkeit der Prinzessin. Alles mußte sich immer vereinigen, die leichtsinnige Fürstin in ihren Intriguen zu unterstützen. Auch bei dieser Angelegenheit sah sie sich in ihrem persönlichen Interesse gefördert, denn auch sie war eine entschiedene Feindin des Abbé Bernis, des damaligen französischen Premier-Ministers, der sich einer früher von ihr begünstigten Intrigue entgegen gestellt. Sie hatte ihm in ihrem Uebermuthe gedroht, er solle binnen zwei Jahren aufgehört haben Premier-Minister zu sein und dagegen Choiseul an seine Stelle treten. Diese Drohung, die er damals wie die Possen eines unartigen Kindes verlacht hatte, wollte sie jetzt um jeden Preis in Erfüllung bringen, denn sie wußte, daß jede Unterhandlung des Wiener Kabinets mit Bernis Entlassung beginnen müßte.

Als die Prinzessin am Morgen nach jener stürmischen Nacht, ihr Frühstück einzunehmen, in eine reizende Kapuze von rosa Seidenstoff gehüllt, in ihrem Armstuhl ruhte und wie ein Kind von vier Jahren ihre seidenen Pantoffeln auf den kleinen Füßen hüpfen ließ, ward ihr Frau Gutenberg, die allvermögende Kammerfrau der Kaiserin, angemeldet, und kaum hatte sie die Schwelle überschritten, so lief ihr die Prinzessin mit offnen Armen entgegen und küßte sie auf das Zärtlichste, obwol ihr jeder Kuß unendlich erschwert ward durch die tiefen Verbeugungen der alten ceremoniösen Dame. »Mein Mütterchen,« rief sie dabei – »sag mir doch, wie Du so lieb und gut sein kannst, in diese Katakomben herabzusteigen? Ich bitte Dich, setze Dich in meinen Lehnstuhl und thu' mir die Liebe und trinke von meiner französischen Chocolade. Ich schwör' Dir, sie ist besser als Deine stark gewürzte spanische, die den Teint verdirbt und im dreißigsten Jahre rothe Nasen macht! Nun setz' Dich – ich bitte Dich!«

Fast mit Gewalt ward die alte wohlgefällig lächelnde Dame in den Armstuhl der Fürstin gedrückt, und diese zog ein Rollstühlchen für sich der alten Dame so nah, daß sie den Zwieback, womit sie ihre Chocolade verbrauchen wollte, wie ein spielendes Kind auf die Kniee der Frau Gutenberg legte.

»Nun, liebe Alte,« rief die Prinzessin endlich, nachdem sie unter tausend Possen der guten Dame die Chocolade eingenöthigt hatte – »jetzt sage mir, was Du eigentlich willst, denn so umsonst, oder um mich in Pantoffeln und Nachtkontusche zu sehn, hast Du auch nicht die weite Reise hierher gemacht.«

»Ach, meine Allergnädigste Durchlaucht, wahrlich nicht! So kühn zu sein würde ich mir nie erlauben, und meine gnädigste Prinzessin haben es sich selbst mit ihrem unwiderstehlichen agrémento zuzurechnen, wenn ich mir einen großen Fehler habe zu Schulden kommen lassen, denn ich bin auf Befehl meiner allergnädigsten Frau Kaiserin hier und hätte billig von nichts Anderem reden sollen als von ihren Befehlen.«

»Du erschreckst mich, meine liebe alte Aja! Bin ich unartig gewesen, kommst Du, um mich zu schelten! Will meine erhabene Muhme mich hier einschließen lassen bei Wasser und Brod?«

»O, liebe scherzhafte Durchlaucht,« entgegnete Frau Gutenberg sehr belustigt – »welch ein Verdacht gegen die Zärtlichkeit der Frau Kaiserin! Mein beglückender Auftrag dreht sich wieder blos um das Wohlbefinden der lieben Durchlaucht, die Serenissime wie eine geliebte Tochter in ihrem Herzen tragen. Es ist nämlich der Majestät zu maaßlosem Erstaunen kund geworden, daß ihre liebe Muhme Durchlaucht in den ersten Absteigegemächern verblieben sind, welche blos zur ersten Entrée aus dem Reisewagen angewiesen waren.«

»Du scherzest, liebe Gutenberg,« rief die Prinzessin. – »Solche Gunst macht mich schwindeln – besonders nach den Erlebnissen dieser Nacht, die ich fast im Sturmhut und mit der Hellebarde bewaffnet zubrachte. Wahrlich Du gehst mit Deinem gnädigen Auftrag – wenn nämlich das Ende mich aus dieser gefahrvollen Wohnung erlösen soll – wie die Sonne an meinem düstern Morgen auf, denn was war das bisher Erlebte – verstockte Kleider, verschimmelte Pantoffeln, beschlagne Juwelen, die liebe Gesellschaft von Ratten und Mäusen, Fröschen und Spinnen, woran man sich zuletzt doch gewöhnt und seine Freude daran hat – was war das Alles gegen die Gefahren dieser Nacht?«

»Barmherziger Gott!« schrie Frau Gutenberg – »was war es denn, Durchlauchtigste? Das ist ja hier eine wahre Vorhölle!«

»Ja, wer könnte sagen, was es war! Aber entweder waren es Geister, die ihr ehemaliges Revier wieder einnehmen wollten, oder – noch schrecklicher – Diebe, wenn nicht gar Mörder! Denn sieh! es hat dort unter dem Fenster geruschelt und geknackt, die Zweige sind gebrochen, als wenn ein Bär sich durch den Wald schleicht. Dann habe ich Menschentritte gehört, die von großen plebejischen Füßen herrührten – dann hat es an der Holzwand geschoben und gedreht – –«

»Um Gotteswillen, Prinzessin, schweigen Sie,« rief hier die alte Gräfin Hautois eintretend und sehr erschrocken über die dreiste Spötterin.

»Du siehst,« fuhr die Prinzessin lachend fort – »die Gräfin wird halb ohnmächtig bei der bloßen Erinnerung! Und nun kannst Du denken, wie sie in der Nacht war – ein leibhaftiges Gespenst! Fest entschlossen war ich, den Majestäten heute einen Fußfall zu thun, um zu bitten, daß sie einige Hellebardiere die Nacht hierher postiren möchten, da ich unmöglich Nachts meinen eignen Nachtdienst besorgen kann!«

»Nun ist mir alles klar!« rief Frau Gutenberg – »Mein Gott, wie werden Serenissime erschrecken! Als nämlich heute Morgen der Nachtrapport überbracht ward, lautete der Bericht, daß nach diesem Flügel zu sich eine verdächtige Person über die Mauer des Burggartens geschwungen habe, und der Runde, nachdem sie augenblicklich geeilt, den Baumplatz zu durchsuchen, dennoch spurlos entkommen sei. Doch behauptet eine der aufgestellten Wachen, nach Verlauf einer Stunde eine ähnliche Gestalt gesehn zu haben, welche an der Mauer entlang mit großer Schnelligkeit forteilte und den Anruf der Wachen nicht beantwortete.«

»O mein Gott!« rief die Gräfin Hautois – »sei uns gnädig!«

»Siehst Du!« rief dagegen die Prinzessin frohlockend – »das konnte ich mir vorher denken! Es war ja Mondschein, und so hell wie bei Tage. Nichts gewisser, als daß die Wachen den Strauchdieb entdecken mußten. Das war gleich mein Trost und ich deshalb entschlossen, die Kaiserin um Schutz anzusprechen. Doch muß dies Zimmer untersucht werden – es finden sich gewiß geheime Zugänge, die vermauert werden müssen. Ehe sehe ich keine Sicherheit in diesen Räumen.«

»Gewiß – gewiß! Durchlauchtchen! Alles wird geschehn, um Sicherheit herzustellen. Aber Euer Gnaden werden nicht mehr drunter leiden, denn die Frau Kaiserin haben befohlen, daß Ihnen augenblicklich die Zimmer weiland des Herrn Herzogs Franz von Lothringen – jetzt unserer geliebten kaiserlichen Majestät – übergeben werden sollen. Dieselben liegen ungemein lustig und heiter und stehen in genauer Verbindung mit der großen Treppe zu den kaiserlichen Gemächern.«

»Ja! das weiß ich wohl,« – sagte die schöne Schmeichlerin – »wenn Dich die liebe Frau Kaiserin schickt, dann hat sie immer einen recht angenehmen Auftrag auszurichten, denn Niemand thut so gern andern was zu Liebe, als meine alte Gutenberg. Ich werde meiner theuren Majestät die Hand küssen. Schildere Du ihr mein Entzücken, nachdem ich eine schlaflose Nacht unter tausend Aengsten verbracht habe.«

Es war nicht genau zu erkennen, ob die Kaiserin die Erzählung der alten Frau Gutenberg, die übrigens das Vorrecht hatte, ihr Alles sagen zu dürfen, eben so gläubig aufnahm, als diese sie aus dem Munde der holden Verführerin empfangen hatte. Ihr fehlte vielleicht die Laune, von der Prinzessin viel zu hören, denn sie hatte ihr halb gezwungen diesen Morgen die Begünstigung der neuen Einrichtung zugestehen müssen und wollte nicht überführt sein, daß das bisher Gewährte wirklich tadelnswürdig zu nennen war. Die Kaiserin zeigte sich nur bei großen Staatszwecken, und für die Männer, die ihr dabei dienten, freigebig. Im Gegensatz konnte sie auch mit Gunst und Gaben karg sein. Die Freude kannte sie nicht, die den eigentlich wohlwollenden und hingebenden Karakter bezeichnet: über das Notwendige hinaus, auch das blos Erfreuliche, den Wunsch, die Phantasie des Andern zu befriedigen. Diesen Reiz des Lebens gestand sie weder Andern zu, noch fand sie ihn für sich in solcher Freigebigkeit. Sie hatte kein Auge für dies feinere Bedürfniß des Glücks, und oft eine übellaunige Wahrnehmung, wo es ihr aufgenöthigt ward, die frostige Härte, mit der sie solche Anforderungen unter die unnützen Dinge der Erde verweisen konnte, hätte über die Güte ihres Herzens Zweifel erregen können, hätte nicht, wie billig, ihre großartige Stellung in der Welt ihr zur Entschuldigung gereichen müssen, wenn sie diesen feineren Sinn für kleinere Interessen von sich abhielt. Doch war es gewiß, daß sie den Anspruch machte, daß ihr keine Einsicht der Art abgehe und daß sie jeden Beweis dagegen mit großer Härte zurück wies, und es für ihre Umgebungen sehr gewagt machte, ein solches Versäumniß aufzudecken. Nun hatte der Kaiser diesmal selbst die Wohnungs-Angelegenheit der Prinzessin zur Sprache gebracht, und die Kaiserin hatte mit ihrem besondern Takt augenblicklich ihrem Gemahl beigestimmt und andere Einrichtungen befohlen, zugleich jedoch es ganz in Abrede gestellt, daß die bisherige Wohnung derselben so schlecht gewesen sei, wie die Lustigkeit der Prinzessin es herausstellte; denn Recht mußte sie wenigstens behalten, wenn sie auch nachgab, und wohl ließ sie es an einem gewissen übellaunigen Schweigen nicht fehlen, welches hinreichend bezeugte, ihre Meinung sei eine andere.

Frau Gutenberg habe aber einmal das Vorrecht, Alles aussprechen zu dürfen; die Kaiserin ward durch nichts, was sie sagte, erzürnt oder ungeduldig, obwol sie ihr oft auf ihre längsten Mittheilungen keine Antwort gab, als einen Blick, ein Schütteln oder Nicken des Hauptes. Dies störte aber die Laune der alten Dame nicht, denn sie wußte sich, wo es galt, auf eine merkwürdige Weise Antwort zu verschaffen und fand dann bei ihrem hohen Pflegekinde oft größere Nachgiebigkeit, als irgend ein Anderer sich rühmen durfte. Deshalb war die Gutenberg im ganzen Lande, ja selbst an fremden Höfen, wohlbekannt und nach Umständen geliebt und gefürchtet. Denn ihre Treue war unbestechlich, und obwol sie oft die größten Geschenke erhielt und annahm, trug sie dieselben doch sogleich der Kaiserin zur Ansicht zu und pflegte dann zu sagen: »Majestätchen muß das wissen – ich kenne die Capacitäten nicht – wollen vielleicht was durch mich erluchsen.« Sagte nun die Kaiserin: »Behalts nur und erinnere mich gelegentlich daran,« dann hatte sie ihre Freude darüber und zeigte sich gern erkenntlich. Sagte aber die Kaiserin: »Pfui! die wollen Dich bestechen – ich will nichts von ihnen wissen,« – dann wanderte das schönste und kostbarste Geschenk in derselben Stunde noch desselbigen Wegs zurück, und sie nannte den Namen nicht mehr. Doch hatte sie, wie begreiflich, ihre Lieblinge und ihre Antipathieen – und zu den Ersteren gehörte jetzt Prinzessin Therese, deren unwiderstehliche und tändelnde Laune die alte Dame in beständig angenehmer Aufregung erhielt. Durch ihren Beifall hatte sie auch eigentlich in der Gunst der Kaiserin zuerst Platz genommen.

»Sie sind eine kleine verwöhnte Person!« sagte die Kaiserin am Abend, als die Prinzessin ihr die Hände küßte, um sich zu bedanken. – »Von den eingebildeten oder wirklichen Uebelständen ihrer Wohnung sind Sie nun befreit; dagegen wünsche ich mir lebhaft, nichts mehr von Geistern, Räubern oder Dieben zu hören. Zu derlei Dingen ist Frankreich ein passenderer Boden und ich werde meinen Hellebardieren befehlen, auf Jeden Feuer zu geben, der zur unpassenden Stunde bei Ihren Gemächern gesehen wird.«

»Gottlob!« rief die Prinzessin – »welch' ein Leben wird das werden in dieser Sicherheit künftig! Ich habe förmlich abgenommen wegen der Nachtwachen, und immer die Nachtmütze auf einem Ohr gehabt, um die nahende Gefahr nur besser hören zu können! Glauben Euer Majestät aber wirklich, daß so erschreckliche Dinge in Frankreich vorgehn?«

Die unverschämte Frage beantwortete die Kaiserin mit einer vollen Ladung ihrer schönen drohenden Augen, dann sagte sie kalt: »Ich habe wenig nachgefragt, was sich in Frankreich zuzutragen pflegt, denn jedenfalls weicht es sehr ab von deutscher Sitte. Doch wünsche ich, die Personen, die mich hier umgeben, mögen das dort vielleicht Erlernte nicht anzuwenden suchen, denn der gerade deutsche Blick sieht scharf, und es sind uns viele Dinge Gottlob! hier noch ein Unrecht, die in Frankreich zu den blos geselligen Scherzen gehören.«

»Ja wohl! ja wohl!« rief die Prinzessin – »wie tief fühle ich diesen schönen Unterschied! Ich versichere Euer Majestät, ich bin hier schon so vorsichtig und bedenklich geworden, daß ich heute Morgen erschrak, wie die Gutenberg eintrat, weil ich eben meine Pantoffeln auf den Fußspitzen hatte gegen einander tanzen lassen. Ich dachte, sie würden sich bei der lieben Alten beklagen und ich würde Schelte bekommen.«

»Sie sind ein unverbesserlicher Leichtsinn,« sagte die Kaiserin, und konnte das Lachen nicht unterdrücken. »Ich sehe nicht ein, warum ich mir die Laune durch Ihre Thorheiten soll verderben lassen!«

In diesem Augenblick nahte sich der Graf von Kaunitz, vielleicht in der Hoffnung, von der Kaiserin angeredet zu werden. Sie erhob auch sogleich die Stimme und rief mit heiterm Tone: »Wahrlich, Kaunitz! ich habe hier ein Pröbchen Eurer angebeteten französischen Manieren. Da sehe ich wohl, wir armen deutschen Hausfrauen können das nicht mehr lernen – und es thut wahrlich nicht gut und gereicht Euren Plänen nicht zum Vortheil, daß ich meine lustige Muhme aus Frankreich hier so in der Nähe kennen lerne. Was könnte mich wohl reizen, mit einem Lande Freundschaft zu schließen, das über Alles lacht und scherzt?«

»Das, wozu Euer Majestät überhaupt in Europa berufen sind!« erwiederte der Graf – jedem Lande, jedem Regenten ein Vorbild all der Tugenden zu werden, die einen Thron zieren sollten. Je weniger ein Land, ein Regent davon zu haben scheint, je mehr bedarf es der Allianz mit solchen Vorbildern; und je weniger haben Euer Majestät zu fürchten – denn die moralische Kraft, in der ein Land mit seinem Herrscher zusammen wächst, ist die unüberwindliche Armada dem Auslande gegenüber.«

»Das klingt wohl schön!« sagte die Kaiserin – »aber ist sehr auf Schrauben gestellt und macht uns zu einer Art Gouvernante, pour le fautes des pays étrangérs. Auch will uns gerade diesem Lande gegenüber nicht aus den Gedanken kommen, daß vor nicht gar langer Zeit der hochselige Kaiser – mein gnädiger Herr Vater – ein Pröbchen von den langen Fingern des lieben Frankreichs zu erleben hatte. Wahrlich, ihre Liebhaberei war nicht Schuld daran, wenn in unserm wankelmüthigen Böhmen uns nicht einer von ihren vielen illegitimen oder legitimen Prinzen – wer, darüber war nie Licht zu bekommen – mit der Krone dieses Landes geziert und eine Musterkarte sehr unbesonnener Bewilligungen präsentirend, uns als unberufener Nachbar überraschte! So was vergißt sich nicht, mein Herr Graf von Kaunitz!«

Der Staatskanzler wußte, daß, auf diesen Punkt zurück gekommen, der Kaiserin jedesmal die Galle überlief, und diese fast nie vollständig bewiesene Intrigue des französischen Hofes noch immer ihr Mißtrauen und ihren Widerwillen gegen eine Allianz mit Frankreich unterhalten half. Auch wäre der Graf von Kaunitz vielleicht nicht so leichtsinnig über diesen Gegenstand gewesen, der seine sonst wohl überlegende Ruhe hätte aufregen müssen. Da allerdings erwiesene Thatsachen für das Dasein einer solchen Verschwörung vorhanden waren, hätte er nicht mit einem gewissen Stolz angenommen, daß, selbst bei dem Fortbestehen solcher Absichten, diese doch in sich selbst zusammen fallen müßten unter der gegenwärtigen Regierung. Sie hatte sich an die Spitze aller Fortschritte gestellt und offen und ehrlich Raum gewährt für die mit Verbesserungen und Abhülfen beschwerten Köpfe. Er konnte daher bei dieser Angelegenheit ungeduldig genannt werden, besonders da die Kaiserin wieder durch seine leichte Behandlung der Sache gereizt ward, und zum Gegensatz größeres Mißtrauen zeigte.

Seit ihrer Thronbesteigung hatte die Kaiserin mehrere Male auf anonymen Wegen Warnungen bekommen, Hinweisungen, als ob eine derartige Aufregung noch nicht, wie Kaunitz glauben wollte, zu den Träumen exaltirter Köpfe gehörte, die man am Besten nicht zu beachten habe, um ihnen zum Verdampfen Zeit zu gönnen. Sie traute Kaunitz über diesen Punkt nicht mehr, hatte die Mittheilungen für sich behalten und suchte, ihn umgehend, sich über diese Warnungen Aufschluß zu verschaffen, zu ihrem Verdruß aber bis jetzt ohne Erfolg. Daß die Kaiserin jedoch immer noch mit diesem Gedanken beschäftigt war, mußte Kaunitz häufig erfahren. Sie benutzte dies und Anderes, um ihre Empfindlichkeit zu äußern, wenn Kaunitz sie mit seiner höheren, freieren politischen Ansicht, zu der sie sich erst nach und nach erhob, überraschte, und mit ihrem richtigen Verstände das Urtheil abnöthigte, er sei ihr in seiner Weltanschauung voraus. Da sie die edle Herrschaft über sich besaß, ihn anzuerkennen und ihm zu folgen, wo sie den Nutzen einsah, gestand sie sich für diese Selbstbeherrschung um so sicherer den kleinen mißtrauischen Tadel zu, den er bald hier, bald dort für einen Leichtsinn, oder gelegentliche Versäumniß, oder zu raschen und zu wenig überlegten Fortschritt hinnehmen mußte.

Kaunitz hatte eine sehr hochmüthige Geduld für diese Neckereien, denn er rechnete sie zu den unumgänglich nothwendigen Schwächen einer Frau, die keine Beachtung verdienten, und liebte diese Frau, die er in ihrem vollen Werthe anerkannte, doch mit der ganzen Zärtlichkeit und Begeisterung eines großen Staatsmannes und treuen Unterthans; denn wie gehoben auch sein eignes Selbstgefühl sein mochte, wußte er doch eben so genau, daß er ohne eine Herrscherin, wie Maria Theresia, den Geist, der ihn trieb, in Fesseln sehen würde. Er wußte, daß sie in ihrem ganzen Reiche immer die Erste war, die ihn verstand, ja er ließ ihr die Gerechtigkeit widerfahren, daß sie seine eignen Ideen oft zur Entwicklung brachte und die Ausführung mit männlicher Energie und mit dem tiefen eigentümlichen Seherblick einer Frau betrieb.

Was konnten ihm daher im Allgemeinen diese kleinen Kriege thun, die er überdies in Frieden zu verwandeln tausend Mittel hatte, und dabei eben so oft den verwöhnten, unentbehrlichen Staatsmann zeigte, als den gelenkigen Hofmann.

Er mußte sie an jenem Abend für besonders aufgeregt halten, da er sie den Morgen mit der französischen Allianz gedrängt hatte und namentlich mit dem notwendigsten ersten Schritt, mit dieser verabscheuten Annäherung an die Marquise Pompadour. Er hatte dabei auf die Prinzessin Therese, deren kluger Einsicht zu vertrauen sei, hingewiesen und die Kaiserin aufgefordert, ihre Kenntniß der dortigen Zustände zu benutzen, um über die ungewöhnliche Frau – wie er die Marquise nannte – ein unparteiisches weibliches Urtheil zu hören. Als er die Kaiserin mit der Prinzessin antraf und ihre laute Anrede an ihn hörte, war er sicher, sie wolle eben den Gegenstand erörtern, dem sie sich abgeneigt zeigte, und er winkte der Prinzessin, ihr zu folgen, da die Kaiserin in dem Gesellschaftskreise, der sie umgab, ihre Umwandlung hielt und eben damit fertig, wie es schien, einer tiefen Nische zuschritt, in welcher ihr Lehnstuhl stand, den sie an Abenden einnahm, wo sie nicht spielte, und wohin ihr nur auf Einladung der Eine oder Andere folgen durfte.

Als sie sich niedergelassen, schien sie nicht überrascht, daß Kaunitz ihre Absicht errathen; sie winkte der Prinzessin, sich auf ein Tabouret neben ihr niederzulassen, während Kaunitz an der andern Seite stehen blieb, und sagte sogleich mit vieler guter Laune: »Habt Ihr denn zugesehen, Muhme, wie mein Gesandter Kaunitz sich damals anstellte, als er in die Frau Marquise – Ihr wißt schon – verliebt war?«

»Ach!« rief die Prinzessin – ungeschickt wie immer! Wie soll ihm wohl die Liebe stehn? Wenn er ihre Hand küßte, sah man ihm an, er berechnete, wie viel tausend Mann Truppen oder wie viel Millionen Subsidien dieser weiße Flaum wohl den Muth haben würde, für Österreich zu unterschreiben – küßte er gar ihre schönen Lippen, so war es, als wollte er ihnen alle diplomatischen Pfiffigkeiten einhauchen, daß sie meinen Vetter Ludwig mit Allianz-Gedanken anstecken sollten beim ersten Morgengruß – genug, ich hätte einem solchen Liebhaber ein Contobuch statt einem Billet-doux überreicht.«

Die Kaiserin lachte und sah Kaunitz von der Seite an, der mit seiner Rolle ungemein zufrieden war, und der listigen Prinzessin heimlich dankte, denn er wußte sehr wohl, daß die Kaiserin wissen wollte, ob er wirklich in die französische Schöne verliebt gewesen sei.

»Jeder hat seine Weise, Prinzessin,« sagte Kaunitz – »und könnt Ihr leugnen, daß dies Verfahren meiner schönen Marquise oft sehr schmeichelhaft war?«

»Ja! sie hatte besondern Geschmack,« entgegnete die Prinzessin – »und eine kuriose Ambition, in den Berichten des Herrn Gesandten zu paradiren. Wenn er ihr des Morgens ein Billet schickte auf rosa Atlaspapier, die Ränder mit Blumen bemalt und mit dem Ambra des Orients durchduftet, lachte die Marquise wohlgefällig und ließ den Kammerherrn des Königs, der fragen wollte, wie ihr die Chokolade bekommen, im Vorzimmer stehen, um dies Billet zu lesen und zu beantworten. »»Ach,«« rief sie, wenn es ihr gebracht ward – »»eine Österreichische Depesche!«« – Aber was stand drin? Ob Jocco, der grüne Papagei, nicht an der Mandel gestorben sei, die er Tags vorher entwendet – ob Prinz Biron, dem Affen, der Splitter operirt wäre, den er gestern beim Tanzen eingetreten? Dann kamen einige schwere dunstige Komplimente. Man wollte zweifeln, daß so viel Witz, Schönheit und Geist, als gestern in einer Sterblichen vereinigt gewesen, etwas anders als ein durch Zaubermittel gewonnener vorübergehender Zustand gewesen – man seufzte, Depeschen schreiben zu müssen, da man die ganze Nacht von den beiden Grübchen geträumt habe, welche die Begleiter des himmlischesten Lächelns gewesen.«

Die Kaiserin lachte wieder. »Und das ließ sich die hochmüthige Närrin bieten?« rief sie dann mit einem gewissen Triumph.

»Was hätte sie sich nicht bieten lassen um der Hoffnung willen, Kaunitz werde ihren Namen in einer Depesche an Eure Majestät nennen! Ich glaube, sie hielt es möglich, er könne eins ihrer antwortenden Billets einschicken, denn wahrlich, sie wendete zu viel Witz und Anmuth daran, als daß ich denken könnte, es hätte Kaunitz gegolten.«

»Hielt sie es denn für möglich, daß dies mein Minister wagen würde? Daß überhaupt von einer solchen Person gegen mich die Rede sein dürfte?«

Die Prinzessin wagte es, hier so gegen den Respekt zu lachen, daß die Kaiserin fast über diese Unverschämtheit erschrak. Da sie aber aus Erfahrung wußte, wie wenig mit diesem unverbesserlichen Wesen anzufangen war, überwand sie sich und sagte blos zu Kaunitz: »So etwas bewundert Ihr nun?«

»Lassen mir denn Euer Majestät ein Recht zum Gegentheil?« erwiederte Kaunitz.

Als die Kaiserin sich wieder zur Prinzessin wandte, fuhr diese aus ihrem Lachen auf, als habe sie nichts bemerkt, und setzte hinzu: »Wer das schöne mächtige Frankreich beherrscht, und seinem Könige alle Tage vorschreibt, was er thun oder lassen soll, der hält sich für wichtig genug, um in den Kabinetten der andern Mächte eine Rolle zu spielen. Aber er hält nicht jedes Kabinet der Ehre werth, sich hierzu wichtig genug zu erachten.«

»Abscheulich! Abscheulich!« rief die Kaiserin – »bei so tiefer Verderbtheit diese Anmaßung, diese auf die grausamste Schwäche basirte Wichtigkeit! Wohin muß der König, wohin das Land unter solchen Umständen kommen – der Abgrund muß schon aufgedeckt sein, der es verschlingen wird.«

»Und wenn es von dem Sprunge hinein noch aufgehalten werden sollte, so wird dies die kleine, seidenweiche Hand eben dieser Marquise bewirken,« sagte die Prinzessin gemächlich – »denn das Beste, was seit hundert Jahren in Frankreich geschehen ist, das bewirkt eben diese – wie mein Herr, der Graf von Kaunitz sagt – diese ungewöhnliche Frau.«

Kaunitz verneigte sich lächelnd. Er wollte nicht mit einreden; Alles, was sie sagte, war ihm recht und besonders war ihm lieb, daß es ein Anderer als er selbst sagte.

»Ach,« entgegnete die Kaiserin – »was so eine junge Person Alles beurtheilen will! – Ihr Friseur und ihre Kammerjungfer werden die Würden des Reichs vertheilen – wenn ihre Affen tanzen lernen, so wird sie glauben, die Künste zu beleben – für gelehrt wird sie den halten, der ihre Sünden am besten vertheidigt, und ihm werden die Belohnungen zufallen. Das heißt dann eine ungewöhnliche Frau!«

»Ich habe nie an ihrer Einsicht gezweifelt,« sagte die Prinzessin gleichgültig – »denn sie hat mich versichert, die Kaiserin Maria Theresia wäre die erste Herrscherin auf einem Throne und sie wäre ihr in allen ihren Regententugenden ein Vorbild, welches sie mit dem bittersten Neide und dem glühendsten Nacheifer erfüllte.«

»Es ist weit gekommen,« sagte die Kaiserin merklich milder – »daß wir, die eingeborne Fürstin eines Reiches, uns als ein Vorbild denken müssen für die Maitresse eines pflichtvergessenen französischen Königs.«

»Ja, das dachte ich auch,« rief die Prinzessin – »und verschwieg es ihr nicht. Aber da ward sie so wüthend, daß sie ihren Fußschemel umstieß und ihr heiße Thränen ausbrachen. Sie nannte mich, glaube ich, ein Tigerherz, einen kalten deutschen Marmelstein, daß ich nicht gleich fühlen könne, wie viel größer ihr Verdienst sei, da jedem guten Willen, jeder höheren Einsicht, die sie ins Leben wolle übergehen lassen, dieser ewige Makel aufgedrückt sei und einen Widerspruch erzeuge, der immer da am stärksten hervortrete, wo die schädlichsten Mißbräuche aufgehoben werden sollten, die in dem Eigennutze Einzelner zu wurzeln pflegten. Wie sie wohl Schmähungen und Vorwürfe für die Uebel erlitte, die sie nicht verschuldet, aber keinen Dank, keinen Segen ernte für das Gute, was sie hervorgerufen.« Die Prinzessin fuhr fort, als sie sah, daß die Kaiserin aufmerksam zuhörte und sogar einige Sätze mit dem Nicken ihres Kopfes zu begleiten anfing. »Ich wußte in ganz Paris keinen schicklicheren Platz als hinter ihrem Armstuhl. Was war das für ein Vergnügen, solchen Morgen mit ihr zu durchleben! Was da Alles vorkam – die alte Amme, die in schwarze Serge gekleidet an ihrem Stabe die Höhlen des Unglücks und der Schande durchstreifte, und jeden Morgen den leeren seidenen Beutel wiederbrachte, den sie gefüllt mit sich nahm. Diese Berathung, ob nicht noch andere Hülfe als Geld nöthig wäre – und der Polizei-Lieutenant, der dann seine Aviso's bekam, oder Berichte machte – und dann der schleichende Abbé Bernis, der sich seine Instruktionen holte und den sie tausend Mal mit ihrem glänzenden Geist überflügelte, um die Maaßregeln zu hindern, die eigentlich nur zu seinem Vortheil ergriffen werden sollten. Dann der liebenswürdigste Sterbliche in der Gestalt eines rasirten Pavians – ich meine Voltaire – der mit seinem universen Geist, mit seinen göttlichen Poesien und dem nie versiegenden Quell ewig neuen frischen Witzes in ganz Frankreich nur in ihr das nöthige Verständniß findet, und stets eine Liste von neuen Vergünstigungen für Künste und Wissenschaften in der Tasche hat, die sie ins Leben rufen soll. Glaubt man sie von dem Eifer ermüdet, womit sie sich allen diesen Interessen hingiebt, dann tritt sie in einen Saal – da liegen Stoffe und Erfindungen vor ihr ausgebreitet und Berichte machend stehen Fabrikanten, Mechaniker und Handwerker aller Art um sie her; sie läßt sich belehren und prüft und unterscheidet und giebt Urtheile, die oft den Gewandtesten überraschen. Und wenn sie den Troß entläßt, so verbreiten sich von diesem kleinen Salon, wie von dem Knäul des Webers, die Fäden weit hinaus, und neue Kraft – neue Thätigkeit erwacht!«

Die Kaiserin hatte mit so steigendem Beifall zugehört, daß sie nicht mehr wußte, von wem die Rede war. Jetzt siel ihr der Fächer hin – als die Prinzessin ihn aufhob, rief sie, wie aus einem Traume erwachend: »Was! was, Muhme! von wem redet Ihr? Wer soll das sein, den Ihr so geschildert?«

»Die Marquise de Pompadour,« erwiederte die Prinzessin obenhin.

»Kaunitz,« sagte die Kaiserin – »Ihr habt es sie auswendig gelehrt!«

»Die Prinzessin Therese lernt nur, was ihr eigner Kopf ihr berichtet,« erwiederte Kaunitz – »selbst wenn ich des kleinlichen Mittels fähig wäre.«

Die Kaiserin fühlte die Wahrheit dieser Entgegnung. »Dann ist diese Marquise Pompadour,« sprach sie aufstehend – »ein unglückliches Weib, dem wir unsere Theilnahme nicht versagen können!« Sie hatte das göttliche Leuchten des Blickes, welches stets nach einem innern Siege, nach irgend einem edlen erhebenden Eindruck so entzückend schön hervortrat. Sanft nickte sie dem Grafen und der Prinzessin zu, und ihr Hofstaat trat hervor, in dessen Mitte sie die Gesellschaftszimmer verließ.

»Das wird Ihnen Oesterreich einst danken, und Kaunitz wird sich an Macht und Einfluß noch zu arm halten, wenn die Prinzessin Therese jemals einen Wunsch für ihn hat,« rief er fast mit Entzücken – und die Prinzessin sah, mit ironischem Lächeln ihn musternd, daß dies die Liebeserklärung eines Ministers war.

»Ich verliere meine Schuhschnalle,« rief sie und stemmte den schönsten Fuß so ungestüm auf den Fußschemel der Kaiserin, daß davon vielleicht eben die Zacken aufsprangen. Da beugte Kaunitz den geraden stolzen Rücken und drückte die Schnalle zusammen. Als er wieder in die Höhe sah, lachte sie laut auf und rief: »Nicht auf Eure Art sollt Ihr mir huldigen, Herr Minister – sondern auf die, welche mir bequem ist! Was bildet Ihr Euch ein? Denkt Ihr, ich könnte es in Eurem langweiligen Deutschland aushalten, ohne meine lieben französischen Erinnerungen? Zu meinem Vergnügen habe ich mir das eben vorerzählt. Daß es gerade traf, ist mir ganz gleich. Ihr werdet doch zu allen Allianzen mit diesem Lande zu ungeschickt sein und ich will nichts damit zu thun haben.«

»Sie machen mir das nicht weiß, Durchlauchtigste,« sagte Kaunitz – »Sie wollen damit zu thun haben und bemühen sich bereits darum – wäre es auch nur, um sich an Monsieur de Bernis zu rächen! Diesmal gehen Sie wider Ihren Willen mit mir denselben Weg – und ich hoffe, wir haben den bösesten Theil desselben zurückgelegt. Wenn,« setzte er lächelnd hinzu, indem er sie scharf fixirte – »wenn nicht eine gewisse Verschwörung uns wieder aufhält.«

»Was brauchen Sie von dieser Verschwörung so geringschätzig zu sprechen, als sei es etwa eine Geistererscheinung, die in dem Kopfe eines liebekranken Mädchens entstanden. Hüten Sie sich! ich fürchte, sie macht Ihnen noch üble Laune!«

»Gewiß!« lächelte Kaunitz – »wenn sie auf das aller Entfernteste die Ruhe der schönsten Prinzessin stört – ja, wäre es auch nur die einer Ihrer Anbeter.«

»Pah!« rief die Prinzessin, indem sie aufstand und den Arm der Gräfin von Hautois nahm – »die Ruhe meiner Anbeter ist noch nie ein Gegenstand meiner Betrachtungen oder meiner Theilnahme geworden. Ich gebe sie Ihnen Alle Preis!«

»Armer Kaunitz!« rief der Minister lachend – »ich sehe, die Liebe steht mir hier so schlecht, wie in Frankreich!«

»Das macht,« erwiederte die Prinzessin – »weil die Liebe nur den ziert, der sich ihr um ihrer selbst willen ergiebt. Eure Liebe ist für Euch nichts Anderes als eins Eurer hundert tausend Mittel, irgend einen Zweck zu erreichen, und wenn Eure diplomatische Feinheit die ganze Welt betrügt, werdet Ihr doch von einem Weibe errathen werden, selbst wenn sie ein Neuling – eine von ihrer ersten Liebe so eben erst Genesene wäre.«

»Wie viel mehr also« – ergänzte Kaunitz. Doch die Prinzessin brachte ihn um den Triumph seiner boshaften Entgegnung – denn sie war verschwunden.


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