Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Erster Theil
Henriette Paalzow

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Die Audienz hatte länger gedauert, als zu erwarten stand. Der Graf befahl dem Kutscher nach dem Wiener Viertel, auf den Hof, in das Profeß-Haus der Jesuiten zu Maria Königin der Engel zu fahren, und trotz dem, was er eben erlebt, und trotz der großen Lebhaftigkeit, mit der er es erlebt, war es doch in dem Augenblick, als er den Weg nach dem Profeß-Hause einschlug, rein aus seiner Seele verschwunden, und nur was Georg Prey ihm über die Fürstin Morani zu sagen haben könnte, erfüllte seine Seele.

Aber Georg Prey hatte den Grafen nicht erwarten können. Er hielt einen Vortrag über Polemik und durfte sein Auditorium nur in der gebräuchlichen Pause verlassen. Der Graf harrte in der quälendsten Unruhe im Vorzimmer, mit dem Auge die Thür bewachend, aus der Georg Prey hervortreten sollte.

Endlich öffnete sie sich; aber mit ihm kamen mehrere seiner Zuhörer, die zugleich Bekannte des Grafen waren, da dies Kollegium auch von Laien besucht ward. Georg Prey, der nicht das kleinste Geschick besaß, sich aus Verlegenheiten zu ziehen, stand in diesem Kreise mit unruhigen Mienen und Bewegungen. Schon läutete die Glocke zum Anfange des zweiten Theils der Vorlesung, als der Graf sich rasch aus der Unterhaltung mit seinen Bekannten losmachte, gerade auf Georg Prey zuging, diesen am Arm nahm und ihn in eine Fensternische führte.

»Gottlob! daß Sie mich erlöst!« rief der arme geängstigte Pater, »doch haben wir gar wenig Zeit zu unserm wichtigen Gespräch, deßhalb hören sie mich schnell an. Die Fürstin hat hinter meinem Rücken bei dem Herrn Erzbischof von Wien Schritte gethan, um ihre Aufnahme bei den Karmeliterinnen zu bewirken. Da hierzu aber noch kaiserliche Verfügung und sowohl weltliche – als Zeugnisse des jedesmaligen Beichtvaters von nöthen sind, war die Fürstin in dem Falle, sich an mich wenden zu müssen, und so erfuhr ich – wie ich hoffe zur rechten Zeit – ihr Vorhaben, welches ich seitdem redlich bekämpft habe, da es gegen meine Ueberzeugung ist, daß sie in dem damaligen Zustande ihres Herzens sich zur frommen Gemeinschaft in diesem heiligen Hause eignet. Da ich glaubte, Sie, Herr Graf, könnten auch bei lang bestehender Freundschaft einen näheren Antheil an dieser Nachricht nehmen, wollte ich sie Ihnen nicht vorenthalten. Vielleicht daß in Ihrer Stimmung für die Fürstin das wirksamste Gegenmittel so gewagter Schritte liegt, welches ich Ihrer Einsicht überlasse, doch jede zweckdienliche Hülfe dabei im Voraus verspreche.«

Abermals läutete die Glocke. Der Vorsaal war bereits leer – und der Graf drückte bis zum Schmerze die Hände des treuen Freundes. »Steht mir bei – ich eile jetzt zu ihr – hoffentlich berede ich sie, dem Kloster zu entsagen, und dann sind wir Alle glücklich!«

Ein Lächeln – diese seltene Erscheinung auf dem ehrlichen Gesichte Georg Prey's – glitt darüber hin und er eilte mit kleinen kurzen Schritten schnell von dem Grafen fort und in den Hörsaal zurück. Dieser stieg in seinen Wagen und trat bald darauf in den uns bekannten Gartensaal der Fürstin Morani ein.

Die Fürstin saß in dem Hintergrunde des Saales, auf den jetzt die Sonne ihre glühenden Strahlen senkte. Aber der kühle Marmor der Wände und des Fußbodens sicherte selbst in dieser heißesten Jahreszeit den Bewohnern einen lieblichen Aufenthalt. Die Fürstin saß in derselben Kleidung wie am vergangenen Abend vor einem kleinen Tischchen und schien zu lesen, behauptete diesen Schein jedoch nicht länger, als der Graf eintrat, sondern zeigte ihm unverhohlen ihr erröthendes Gesicht.

»Claudia! liebe Claudia!« rief dieser lebhaft und zärtlich und saß im selben Augenblick neben ihr und küßte die Hand, die sie ihm entgegenstreckte. »Gottlob!« fuhr er fort – »daß ich Sie allein finde! Ich habe Ihnen viel zu sagen.«

»O! erst von der Kaiserin!« sprach die Fürstin, »ich hoffe doch, es ist Ihnen nichts unangenehmes begegnet? Ich habe Sorge empfunden – ich konnte sie nicht beherrschen,« fuhr sie fort, indem plötzlich ihre Augen in Thränen schwammen.

Der Graf erblickte diese Zeugen ihres tiefen Gefühls mit einer süßen Befriedigung, und ehe sie Zeit hatte, sich zu fassen, rief er überwältigt: »Claudia! Sie wollen mich verlassen und lieben mich doch! In ein Kloster wollen Sie gehen und wissen, daß ich unglücklich werde, wenn Sie mein Schicksal von dem Ihrigen trennen!«

Die Fürstin verhüllte ihr Gesicht und schluchzte laut. »Ich bin entschlossen,« fuhr der Graf nun ernst und bewegt fort, »nicht eher Sie zu verlassen, als bis ich Ihre Einwilligung zu unserer Verlobung habe. Ich besitze bereits das Theuerste – das Nöthigste – Sie können nicht zurücknehmen und Sie werden so grausam nicht sein, zurücknehmen zu wollen, was Sie mir in Ihrer Liebe gegeben. Sie können an der meinigen nicht zweifeln; Sie wissen, daß sie begründet ist in Ihrem Werth und gesichert durch meinen festen Charakter. Welche Scrupel sind es, mit denen Sie immer wieder aufs Neue mein Glück verzögern, da die Notwendigkeit, der Welt unser Verhältniß darzulegen, von Tag zu Tag dringender wird; da das Bedürfniß, Ihnen Schutz und ausreichender Beistand zu werden, immer mehr hervortritt?«

»Ach!« rief die Fürstin – »das ist es – das verführt Sie eben! Sie fühlen, wie elend, wie unglücklich und verlassen ich in der Welt da stehe – und Mitleiden täuscht Sie über unser Verhältniß!«

»Nein, Claudia!« sagte der Graf fest – »nicht Mitleiden, sondern das egoistische Gefühl, ohne Sie nicht mehr glücklich sein zu können! Mein Verstand, mein Herz, meine ganze Denkungsweise ist so mit der Ihrigen verwebt, daß ich oft kaum weiß, ob Sie oder ich das Eine oder das Andere geäußert; uns von einander trennen, hieße, den vollkommensten Seelenbund auflösen, den je Menschen knüpften, die nicht durch die Bande der Natur auf einander angewiesen sind!«

»Dies empfinde ich auch,« stammelte die Fürstin – »und ich bin deshalb so weit gegangen, Ihnen die Schwäche meines Herzens zu bekennen. Aber dies Gefühl schließt noch nicht die Notwendigkeit einer näheren Verbindung in sich, denn diese würde gerade den Gegensatz hervorheben – die Ungleichheit, die in unseren äußeren Verhältnissen liegt. Mein Alter – meine Kränklichkeit – der Mangel jedes äußern Reizes – ja lassen Sie mich hinzusetzen – meine Armuth! Wo soll ich die Kraft hernehmen, diese Dinge gering zu achten? zu ertragen, wenn ich dadurch Ihr Leben, ihre Zukunft bedroht sehe? Sie betrogen halten muß um die Freuden der Jugend und eines Gesammtlebens, das Ihnen diese Ansprüche mit einer Ihrem Alter angemessenen Gefährtin in allen Beziehungen zu sichern vermöchte?«

»Claudia!« sagte der Graf ruhig – »ich höre diese Einwürfe eines uneigennützigen Selbstgefühls nicht zum ersten Male. O! sein Sie nicht zu stolz auf meine Unkosten – dann will ich Ihnen noch einmal wiederholen, was Sie jedoch schon wissen: es wäre mir unmöglich, eine jüngere Frau ohne Reife des Charakters zu lieben. Der hochmüthige Wunsch der meisten Männer, ein junges unentwickeltes Wesen zu wählen, um sich gewissermaßen einen Spielball ihrer Launen zu erziehn, und in der Unerfahrenheit, in der geringen Bildungsstufe eines solchen unmündigen Wesens sich den Tribut für eine Anerkennung oder selbst Bewunderung zu sichern, die ihnen eine gereifte edle Frau versagen würde, diesen Wunsch habe ich nie gehegt – und wäre mit solchen Eigenschaften der höchste äußere Reiz verbunden – ich würde in seiner Befriedigung kein Glück finden. Ja! ich bin stolz genug zu glauben, daß ich die Nähe einer reifen und ausgezeichneten Frau nicht zu fürchten habe. O! Claudia – wollen Sie mich anders lehren?«

Die Fürstin schwieg – und der Graf fuhr fort: »Ihre Gesundheit wird sich erholen, wenn sie erst dem zärtlichsten, sorgsamsten Gatten die Pflege dafür überlassen werden. Ob Sie schön sind – oder nicht – ich weiß es nicht, theure Claudia! Aber das weiß ich, daß ich Sie mit unbeschreiblichem Vergnügen ansehe – daß in Ihren Zügen Ihr Karakter ausgedrückt ist – dieser schöne edle Karakter, der mir mein Glück verheißt, wenn Sie einwilligen, mir anzugehören. Auch bin ich vielleicht weniger für weibliche Schönheit empfänglich, als Andere meines Geschlechts; sie ist für mich erst dann vorhanden, wenn sie sich durch den innen wohnenden Geist belebt – und ich fand ihn noch nie mit Jugend und Schönheit vereinigt. Ich bin daher zu dem Glauben gekommen, daß die Eigenschaften, die mein Herz befriedigen können, sich nur im späteren Alter beisammen finden – und es scheint mir, daß diese Anforderung meinerseits einen Anspruch enthält, der viel seltener und schwerer zu befriedigen ist, als wenn meine Wahl von Jugend und Schönheit bedingt wäre.«

Noch immer schwieg die Fürstin; aber die Thränen versiegten. Der Graf nahm noch einmal das Wort: »Habe ich nun abermals Ihre Einwendungen besiegt? Werden Sie endlich jeden Zweifel beseitigt finden, oder wollen Sie es noch erwähnen, daß Sie mein fürstliches Vermögen nicht durch das Ihrige vermehren können?«

»Nein! nein!« rief die Fürstin lebhaft – »dies unverschuldete Unglück will ich mir nicht aufbürden. Mein Besitz war einst darin dem Ihrigen gleich und wie es mein Rang erfordert. Aber, theurer Freund! Sie – Sie sind achtundzwanzig Jahr! Das ist ein Einwurf, den Sie nicht zu beantworten vermögen – der wie die Zeit ein Geheimniß umschließt, dessen Entwickelung Sie nicht vorher sagen können. Jetzt! jetzt fühlen Sie dies Alles – jetzt ist alles Wahrheit in Ihnen. Aber – ich bin achtunddreißig Jahr – und als Frau habe ich Erfahrungen gesammelt, die mir sagen: Ein Mann erlebt erst nach diesem Alter seine volle, bestimmte Entwickelung; die Lebenserfahrungen gehen erst an, wenn die Studienjahre vorüber sind.«

Der junge Mann bekämpfte nicht ohne sichtliche Bewegung seine aufsteigende Empfindlichkeit. Doch sammelte er sich bald und sagte lebhaft: »Wenn dies wäre – wenn Sie mir blos die Erfahrungen eines Schulknaben zugestehn – was hat es mit meiner Bewerbung zu thun? Warum soll ich nicht an Ihrer Seite die Lebenserfahrungen machen können, die Sie für mich erst angehend glauben?«

»Weil diese Erfahrungen alsdann sehr leicht einer festen Verbindung mit mir sich feindlich zeigen können – und ist diese dann unauflöslich, – einen schmerzlichen Widerspruch erzeugen würden, den durch meine Einwilligung veranlaßt zu haben ich mir zum Vorwurf machen müßte!«

»Es ist genug, Claudia!« sagte der Graf, fast heftig aufspringend. »Ich fühle, worauf Sie hindeuten – ich habe umsonst an Ihrer Seite gelebt – Sie widerrufen das Zeugniß, das Sie mir einst zu geben pflegten – und das, was früher in Ihrem Herzen für mich redete, ist jetzt daraus verschwunden!«

Er hatte sich erhoben und von ihr gewendet. Sein Auge schaute glühend in den sonnenhellen Garten, der unter den heißen Strahlen, mit sich senkenden Blüten da stand – leidend unter dieser unentbehrlichen brütenden Hitze, die das Maaß des Bedürfnisses fast überschritt. Es rührte sich kein Lüftchen. Am unteren Horizont schwebte ein gelblicher Dunst, der die glühende Atmosphäre andeutete. Nur über den nächsten Punkten, wo die dunklen, kräftig entgegen stehenden Baumgruppen ihre Kronen erhoben, zeigte sich der Himmel im tiefen Blau ohne das leichteste Wölkchen. Des Grafen Gefühl war so gebildet für Naturschönheit, daß er unter allen Umständen ein Auge dafür behielt. Auch jetzt versenkte ihn dies reife, vollendete Sommerbild in ein wohlthätiges Träumen. Ein Zug Tauben flog wie glänzende Flocken über den Garten und bei der tiefen Stille, die ringsum herrschte, hörte man selbst die zahllos summenden Insekten, die jeden Kelch, jedes Blatt besuchten. Sonst regte sich nichts um die beiden tief bewegten Menschen, die – wie die Natur – der Glut ihrer Gefühle unterliegend, das Haupt in stummen Leiden neigten. Da hörte der Graf an dem Rauschen ihres Kleides, daß sich die Fürstin erhob. Er wendete sich rasch. »Lacy!« sagte sie kaum hörbar – und streckte ihm mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Liebe und Schmerz die Hand entgegen – »Lacy! soll ich Ihr Schicksal sein?«

»Wenn Sie wollen, daß es ein glückliches sei!« rief er – ihre Hand mit Freude strahlenden Blicken fassend.

Sie antwortete nicht, aber sie zitterte heftig, daß er sie umfaßte – und sie war nun nicht mehr allein! – Der Mann, den sie zuerst und mit dem Feuer der Jugend liebte – stützte ihre brechende Kraft und ihr Haupt ruhte an seiner Brust.

»Heute verlasse ich Sie nicht wieder,« rief Lacy, nachdem der heilige Ernst des ersten Augenblicks in jugendliche Heiterkeit übergegangen war. »Lassen Sie mich zu Gertraud und zu dem alten Bernhard gehen; sie sollen mein Glück erfahren, und Gertraud muß ihren Küchenzettel für den geringen Appetit erweitern, den mir die Freude gelassen hat.«

»So bin ich denn also gänzlich verrathen?« sagte die Fürstin lächelnd. »Auch meinen neuen Koch kennen Sie schon?«

Nichts Seligeres für ein weibliches Herz, als in der Nähe des Geliebten eine kurze Trennung! Nach vollständig erlangter Sicherheit ein einsames Ausruhn in dem Gefühl des Besitzes! – Die Fürstin fühlte erst, wie der Graf sich entfernte, den ganzen zauberhaften Ursprung ihres Lebens. Sie enteilte in ihr Kabinet und sank vor ihrem Betpult nieder – und ihre Gedanken – ihr klopfendes Herz waren Gebete! Sie fühlte sich namenlos selig. – Sie schaute umher und grüßte die ganze Welt mit dem Gruß der Liebe und Versöhnung. Selbst ihr Wunsch nach Jugend und Schönheit schien erfüllt; sie fühlte sie in sich; sie dachte nicht mehr daran, wie viel oder wenig ihr nach Außen zugetheilt war. Als ob von ihm, dem überschwenglich Reichen, auch diese Gaben abhängen würden, so vertrauensvoll übertrug sie Alles in das Gefühl, ihm anzugehören.

Der Graf sandte seine Equipage nach dem Profeßhause an Georg Prey, denn die alte glückliche Gertraude erklärte, auch den ehrwürdigen Herrn Pater noch satt machen zu können. Nachdem die beiden treuen Diener durch des Grafen Vermittlung der theuren Gebieterin ihren Glückwunsch dargebracht, ergriff sie wirklich der alte Geist des Hauses, die Verschwendung; denn während Gertraud alles zu braten und zu kochen begann, was ihr in den Weg kam, sammelte Bernhard die Reste ehemaliger Tafelausstattung, und chinesische Vasen, freilich von ungleicher Größe, mit den reichen Blumen des Gartens geschmückt, standen neben Sèver Porzellantellern und Maißner Püppchen, die in Blumenkörben Salz und Pfeffer hielten; dazwischen gespartes Silbergeschirr – »und Gottlob!« seufzte er – »noch drei silberne Bestecke!«

Das schöne Obst des Gartens ließ die Tafel sogar reich erscheinen, und in dem Eise, das der lang vergessene Eiskeller spendete, kühlten sich ein paar staubige Flaschen aus einem kleinen Winkel der sonst reich gefüllten Kellergewölbe.

»Ich bin selbst von meinem Reichthum überrascht!« sagte die Fürstin freundlich lächelnd, als sie zwischen Lacy und Georg Prey Platz genommen hatte. »Ich sehe, mein ehrwürdiger Freund, wir haben noch viel übrig gelassen! Graf Lacy bekommt eine reiche Braut.«

»Sie spotten zwar,« rief Lacy – »aber ich muß gleich mit dem Bekenntniß herausrücken, daß ich mich der Mitgabe freue, die Sie hoffentlich nicht entziehen werden – ich meine den Palast Morani! Ich liebe dies schöne kleine Palais ganz vorzüglich oder sehe es nie, ohne es in Gedanken mit meinen Bau- und sonstigen Plänen in Verbindung zu bringen. Ich bin Enthusiast für diese alten kostbaren Architekturen, und wie willig ich auch den Tadel des Sachverständigen anhöre – über darin enthaltene Ueberladung – vermischte Ordnung – verfehlte Verhältnisse, – es raubt mir nicht das innige Wohlbehagen, womit ich mich an der glücklichen Laune des Erbauers ergötze, der an nichts zu denken genöthigt schien, als an das Zusammenhäufen von allem, was die Welt an Motiven wie an Material und Form im Schönen darzubieten vermochte, und es unbekümmert neben einander Platz nehmen ließ – eine bunte und dennoch nicht reizlose Erinnerung alles bekannten Schönen! Die schwerfälligen Genien, die ihre verzeichneten Beine in die Luft strecken und die großen Blumenketten, wie Wurfscheiben gefaßt haltend, auf uns damit zu zielen scheinen, sind lächerlich, unschön sogar; aber sie machen an dem unförmlichen Kuppelgewölbe, das plötzlich oben abdacht, in der Gesammtheit einen reichen, belebten Eindruck. Ich weile dann mit um so mehr Genuß auf den herrlichen Masken, die dazwischen wie Wappenschilder angebracht wurden und den schönsten Motiven des Alterthums entnommen sind. Diese Thurmstücke, die mit der Decke korrespondiren, auf buntem Grunde ihre Schnörkel von weißem oder grauem Marmor tragen und irgend ein Familienbildniß umkränzen, um dessen Schönheit oder Aehnlichkeit man sich wenig zu kümmern geschienen hat, zeigen plötzlich zwischen dem Wahnsinn allegorischer Attribute, Raphaelische Verzierungen, dem Vatikan entraubt, die sich mit der höchsten Anmuth und Schönheit hindurch schlingen. Ja selbst diese Wellenlinien in den Façaden, welche wie halbe Erker, unfertige Tempel erscheinen und dem gebildeten Baukünstler Konvulsionen machen – wie anmuthig stellen sie sich im Innern zum Bedürfniß des Wohnens zurecht! Man könnte denken, ein behaglicher Besitzer habe im übermüthigen Bestreben, von dem Mittelpunkte seines Gemaches in die Runde schauen zu können, die Wände langsam vorgedrängt – gerade so viel, um drei Ansichten zu gewinnen – und wenig genug, um den klimatischen Nachtheilen entzogen zu bleiben. Ja! unser Klima und zugleich unsere ehrenwerthe deutsche Bildung, die mit keinem Vorzug des Auslandes unbekannt blieb, hat diese kleinen Verschrobenheiten, glaube ich, erzeugt! Die gothischen, zehn Fuß dicken Mauern, in denen man freilich auf Felsspitzen schwebend gegen Sturm und Wetter gesichert war, mußten mit der Übersiedelung unserer Vorfahren nach den Städten sich verlieren, wo aller Grund für diese Bauart aufhörte. Mit den leichteren, helleren Räumen dieser späteren Wohnungen traten Bedürfnisse der Ausstattung ein, die wir alle schon in dem durch seinen ewig klaren Himmel und seine alte Kultur begünstigten Italien vorfanden. Da zogen wir nun herüber, was uns bei unserm empfänglichen Bildungstriebe ansprach, und hier an Ort und Stelle traten die Beschränkungen erst hervor, denen wir uns, von Klima und abweichendem Bedürfniß erzeugt, unterwerfen mußten.

Für mich ist ein solcher Palast – und der Palast Morani ist gerade ein solcher – eine Geschichte unserer Kultur in der anmuthig verschlungenen Chiffre-Sprache dieser vermischten Motive.«

»Sie erinnern mich daran,« sagte die Fürstin – »wie ich nach meiner Rückkehr aus Italien, wo mein Vater die Herstellung seiner Gesundheit hoffte, von dem Anblick dieses Palastes mich überrascht fühlte, obwohl ich ihn von Kindheit an bewohnt und mich an seine Eigentümlichkeit gewöhnt hatte. Jetzt erst war mir das Auge geschärft für diese barocke Mischung, und ich beschäftigte mich oft damit unter dem Wust verschrobener Auffassungen die schönen Vorbilder heraus zu finden, die darin verschlungen waren. Doch wissen Sie, daß ich kaum noch ein gesichertes Anrecht daran habe? Der edle Graf von Kaunitz, dessen gnädiger Verwendung ich meine Pension von der Kaiserin verdanke, fühlte wohl, daß sie nicht ausreichen würde, den Palast Morani auf festen Füßen zu erhalten. Er sagte mir daher, daß die Kaiserin wünsche, ihrer Stadt Wien den Schmuck dieses schönen Hauses zu sichern, und da ich als Frau mit baulichen Gegenständen wenig Bescheid wissen würde, habe sie ihrem Hof-Bau-Amt aufgetragen, ihn unter Aufsicht zu nehmen. In Folge dieser gütigen Weise, mir meine Last zu erleichtern, haben sich denn in verschiedenen Zwischenräumen Arbeiter aller Art eingefunden, um das Ganze klopfend und hämmernd im wohnlichen Zustande zu erhalten.«

»Nun,« sagte der Graf lächelnd – »wenn die Kaiserin erst mein Recht an die Besitzerin kennt, wird sie, denke ich, nicht abgeneigt sein, mich auch als Bau-Commission anzuerkennen.«

»O! Graf! woran erinnern Sie mich« – rief die Fürstin – »das unerträgliche Aufsehen, was unsere Verbindung machen wird – wie soll ich es überstehn!«

»Deshalb nehmen Sie meinen früheren Vorschlag an, und gehen Sie nach Schloß Tein, wo Sie in der Ruhe des Landlebens ungestört die erste Bekanntmachung unserer Verlobung abwarten können, während ich hier alle Verhältnisse so stelle, wie sie Ihnen alsdann bequem sein können.«

»Thun Sie das, Frau Fürstin!« sagte Georg Prey – »und damit sich Ihre Scrupel über die Schicklichkeit des Schrittes heben mögen, will ich mich zu Ihrem Begleiter anbieten; denn mein demüthiges Gesuch an meine hochwürdigen Oberen, mich meinem Lehramte zu entbinden, um mich ungestört dem Studium der zu sammelnden Urkunden überlassen zu können, ist mir huldreichst gerade heutigen Tages bewilligt worden. Da ein vorläufiges Copiren alter Handschriften mir zunächst liegt, welche mir voll Vertrauen zu einem längeren Gebrauch überlassen sind – denke ich – werden sich diese nach Schloß Tein mitführen lassen, und unter Ihrem wohlgewogenen Schutz möchten sich Landluft und grüne Wiesen erquicklich zeigen für meine etwas angestrengten Augen.«

Wirklich hörte die Fürstin diesen Vorschlag mit ungemeinem Vergnügen. Sie wünschte, sich dem ersten Aufsehn zu entziehn, dem sie nicht entgehn zu können einsah, – und fürchtete doch, indem sie das Schloß des Grafen zu ihrem Landaufenthalt wählte, einen unzarten Schritt zu thun, der sie der Nachrede aussetzen könnte.

»Um so weniger wird dies der Fall sein,« fuhr der Graf mit seinen Ueberredungen fort – »wenn wie es meine jetzige Stellung erfordert, mich alle Welt am Hofe gegenwärtig sieht; wobei wir nicht unterlassen dürfen, uns die Billigung der Kaiserin zu sichern, womit dann der Masse augenblicklich die Ansicht gegeben ist. Erlauben Sie mir daher nur, diesen einen höchst wichtigen Schritt einzuleiten, so sollen Sie mit allem Uebrigen verschont bleiben.«

Die Fürstin willigte ein, alles der Kaiserin anheim zu geben, und der Graf bat nun, ihm eine genauere Darlegung seiner Lage zu erlauben, da sich für den Augenblick einige sonderbare Umstände zeigten, die, wenn auch ohne eigentlichen Einfluß, dennoch der theuren Braut nicht unbekannt bleiben durften.

Da aber indessen die Sonne den Garten verlassen hatte und ein leichter Ostwind die Luft kühlte, verließ die kleine Gesellschaft den Eßsaal und stieg in den Garten hinab, dessen sanft gesenkter Boden an einer Brüstung endete, über die man in den breiten wasserreichen Graben sah, der, als eine Ableitung der Donau, beständig einen schönen Wasserspiegel hatte. Am andern Ufer zeigten sich Wiesen, Felder und kleine Wohnungen, die, wenn sie von geringerem Werth waren, außerhalb der Festungslinie der Vorstädte angelegt werden durften, und die zwischen leicht wachsenden Fruchtbäumen und niederem Weidengebüsch gar anmuthig gelagert erschienen.

In einer seitwärts erquickend geordneten Schattenpartie des Gartens befand sich auf der Mauerbrüstung ein tempelartig herausgebauter Balkon, den der sel'ge Fürst zum Angeln benutzt hatte. Noch jetzt war er ein wohl erhaltener Aufenthalt für seine Tochter, den der alte Bernhard nicht versäumte sorgsam zu säubern, mit blühenden Gewächsen zu schmücken, die alten brokatnen Kissen, mit denen die Marmorsitze belegt wurden, vorsichtig zu hegen und nur während der Stunden auszulegen, wo er den Besuch der Fürstin daselbst erwarten durfte. Auch jetzt fanden die langsam diesem Lieblingssitz entgegen Wandelnden den alten Bernhard schon ihrer wartend, indem er ihnen den trefflich duftenden Kaffee bereit hielt.

Man nahm Platz, und als Bernhard entlassen war, erzählte der Graf seinen aufmerksamen Zuhörern von den sonderbaren Ansprüchen des Herrn Thomas Thyrnau und von seiner hinzugefügten Drohung.

Weit weniger, als wir vielleicht mit dem gewissenhaften und ängstlichen Karakter der Fürstin verträglich finden möchten, wirkte diese Nachricht auf sie. Wer jedoch die Zeit beachten will, in der die Fürstin ihre Erziehung erhalten hatte und in der sie lebte, wird begreifen, daß ihr eine Vermählung des Grafen Lacy mit der Enkelin des Advokaten Thyrnau so durchaus unmöglich schien, daß sie die Sache selbst kaum der Ueberlegung werth halten konnte, diese auch gar nicht bei der Fortsetzung des Gesprächs erwähnte, sondern nur über die Sonderbarkeit eines Mannes wie Thomas Thyrnau, dessen Werth sie schon längst durch den Grafen kannte, ihr Erstaunen äußerte. »So muß ich es auch ansehn!« entgegnete der Graf. – »Eine unbegreifliche Sonderbarkeit ist es – die ich nur erklären kann, wenn ich des einzigen Fehlers – seiner großen Eitelkeit gedenke, die ihn hartnäckig gegen den Unterschied der Stände ankämpfen ließ und die ewige, ungelöste Streitfrage zwischen meinem Oheim und ihm war – und wozu ihm sein allerdings großer eigner Werth viel Veranlassung gab.«

»Wer wollte auch die Möglichkeit einzelner, bevorzugter Menschen in jenen Kreisen der Gesellschaft leugnen!« sagte die Fürstin. »Besonders danken wir den Männern der Wissenschaften und Künste recht schätzenswerthe Zeugnisse ihrer gleichen Geistesbegabtheit; und auch Frauen zeigten auf ihrem Platze Verdienst und Würde, die ihnen unbestritten verblieben; aber dies kann doch kein Grund werden, sie für unsere Zirkel passend zu halten, für die ihnen immer die angeerbte Gewohnheit höherer Gesinnungen und äußerer Formen fehlen muß.«

»Claudia! Claudia!« rief der Graf lächelnd – »fordern Sie mich nicht in die Schranken, daß ich Ihnen entgegne, was ich von Thomas Thyrnau gelernt habe! Ganz stehe ich dem alten Freigeist nicht ab – und Sie, meine edle Freundin, dürfen Ihren schönen Schwestern aus dem Bürgerstande noch manche Rechte zugestehn, ohne an Ihrem hohen Stande zur Verrätherin zu werden.«

»Ich bin gewiß nicht abgeneigt, mich besser zu unterrichten,« entgegnete die Fürstin – »und danke Ihnen schon eine große Erweiterung meines Gesichtskreises. Die Schranken, welche die Erziehung um mich gezogen, sind in vieler Hinsicht eng gewesen; ich bin mehr mit den ergrauten Geschichten der Völker bekannt, wie mit der Geschichte unserer Tage, und endlich mehr vertraut mit Italiens jetzigem Zustande, als mit dem meines Vaterlandes.«

»Sie dürfen auch Italien eben so gut Ihr Vaterland nennen, wie dies alte Kaiserreich,« sagte Georg Prey. – »Schon der Name verräth den Ursprung, und die hochselige Frau Fürstin war ja von venetianischen Nobilis abstammend.«

»Auch habe ich oft und lange in diesem schönen Lande gelebt,« sagte die Fürstin – »und meine Liebe dafür ist gewiß treu, denn sie ist mit meinen Jugenderinnerungen verwebt.«

»Machen Sie mich nicht eifersüchtig, Claudia!« sagte der Graf, von seiner inneren Zufriedenheit zum Scherz getrieben – »ich verlange, dies soll Ihre Jugendzeit sein – hier sollen Ihre liebsten Erinnerungen wurzeln!«

»Es wird sein, wie Sie wünschen, lieber Lach! Ich will die späte Blüthe meines Lebens gewiß nicht niederbeugen, weil sie etwas die Zeit versäumt hat; denn ich fühle es, sie ist darum doch aus meinem tiefsten Dasein entsprossen und trägt alle Elemente ihrer Entwickelung in sich – als wäre es Frühling!« setzte sie lächelnd hinzu. »Wenn Gott fortfährt, sie mit etwas Sonnenschein zu begünstigen, soll sie neben den Besten gelten können.«

Der Graf küßte fast mit Andacht die Hand der geliebten Braut. Man fuhr dann fort, die näheren Umstände ihrer beiderseitigen Verhältnisse zu bereden, und der Graf sah mit großer Erleichterung, daß die Fürstin Morani durch das geheimnißvolle Andringen von Thomas Thyrnau gar nicht beunruhigt ward und ihm daher nur die eigne Sorge übrig blieb.

Diese Unterredung war plötzlich durch einen langsam näher rückenden dreistimmigen Gesang unterbrochen, der von der Wasserseite herkam. Es hörte sich bald heraus, daß es Kinderstimmen waren, die unentwickelt, blos richtig sangen. Und doch lag ein Zauber in dem Gesange! Die jugendliche Kraft der Töne, die durch keine Kunst gemildert war und die aus der Tiefe hervordringend, wie das Geschmetter der Nachtigall, in der ganzen Herausgabe ihrer Töne sich kaum genug zu thun schien, diese Jugendlust, die darin lag, fesselte die Zuhörer in lautlosem Aufhorchen! – Es war eins von den eigentümlichen Volksliedern der Oestreicher, die zwischen neckender Naivität und sentimentalem Ernst mitten inne stehn. Der Refrain war immer: »Frag' nur den Kuckuck, der sagt Dir Dein Glück.«

Die Fürstin begleitete lächelnd und mit dem Fächer Takt schlagend das Lied; als es aber unter dem Balkon verhallte, erhob sie sich lebhaft und ihr ganzes Gesicht erheiterte sich, als sie nach dem Wasser hinunter blickte.

»Dürfen wir? dürfen wir?« schallte es von unten herauf. »O ja! Kommt geschwind!« rief die Fürstin – während Lacy schon an ihrer Seite stand und erstaunt den Inhalt eines kleinen hölzernen Nachens betrachtete, der sich eng und gebrechlich, so schwankend und unsicher erschien, daß er das ängstliche Gesicht der gütigen Claudia vollkommen begriff, die halb scheltend, halb zur Vorsicht ermahnend, unruhig dem Landen einer kleinen Gesellschaft zusah.

Es waren drei Kinder von verschiedenem Alter – ein Knabe, ein älteres und ein jüngeres Mädchen. Erst hob man das kleine Mädchen heraus, dann enstand ein Streit zwischen den beiden Zurückbleibenden, die in gleichem Alter sein konnten, wodurch aber gerade das Mädchen sich mehr dünkte, und verlangte, der Knabe solle zuerst folgen – was das Leichtere war – sie wollte den Kahn mit dem Ruder festhalten. Doch mit der ganzen knabenhaften Wildheit setzte sich jener zur Wehre und nach einem kurzen Kampf um das Ruder, was Beide hielten, ließ der Knabe plötzlich los, und als das Mädchen dadurch taumelte, umschlang er sie im selben Augenblicke mit Kraft und Geschick, und trotz des lauten Schrei's aus ihrem Munde, that er mit ihr einen gewagten aber glücklichen Sprung bis auf die erste Stufe der Marmortreppe, die zu dem Balkon empor führte.

»Du wirst sie umbringen!« schrie die Kleinere, die voran gekommen war. »Ich werde es Frau Barbara sagen, wie abscheulich Du bist gegen die arme Magda; die wird sehr böse sein.«

»Kinder sprechen nicht mit!« rief der Knabe freudig und triumphirend umher blickend. »Es ist ihr kein Leid geschehen und sie soll schon sehen, was meine Arme vermögen!«

»Artig! rief Magda, die Aelteste. »Es ist nun so gut! Aber künftig wird Herr Egon nicht vergessen, mit wem er es zu thun hat.«

»Mit einem Mädchen!« rief lachend der Knabe – »die wol nicht stärker sein will als ich?«

Alle lachten wie Kinder, die schnell mit ihrem Witze zufrieden sind – dann flogen sie die Treppe hinauf, der Fürstin entgegen. Die Mädchen standen leuchtend vor Freude und knixend vor ihr, während der Knabe, mit einem Fuße in der Hand, auf dem andern vor Lust und Freude hüpfte.

Der Graf konnte nun auf ebenem Boden die Gruppe betrachten, und sein Erstaunen war in mehr als einer Hinsicht sehr groß. Die Kinder schienen aus den niedrigsten Ständen; ihre Kleidung war ganz gering, obwol bei der Aelteren, wie aus dem Bürgerstande. Aber was hatte dagegen die Natur für Reichthümer über sie ausgeschüttet! Das kleine Mädchen mochte zehn Jahre alt sein. Sie war sehr fein und schmächtig gebaut und ihr Engelsantlitz hatte die verrätherische Feinheit und Farbe, die den Keim körperlicher Schwäche andeutet. Aber wer hätte an spätere Gefahr denken können, wer ihr ins Antlitz sah! Diese weiße mit blauen Adern durchzogne Stirn, an welcher die kleine durchsichtig feine Nase mit plastischer Schärfe angeschlossen war; dieser Engelsmund, voll und roth; die Grübchen in Kinn und Wangen, und die dicken goldblonden Locken, die nicht zusammen gehalten von der kleinen rothen Tuchkappe, die darüber saß, diese fast vergruben. Aber vor allem ihre blauen Augen mit dem großen schwarzen Augensterne – dieser runde volle Schnitt und der lachende Blick! – Das Röckchen war kurz, von schwarz und grauer Wolle, wie arme Leute selbst spinnen und zu weben pflegen; das Mieder war von grobem blauem Tuche, ihr fehlte das Jäckchen; ein weißes aber grobes Hemdchen war um den Hals zugebunden und an den Armen in einen Aufschlag über den Oberarm gelegt. Blaue, grobe Strümpfe und schwere Schuhe mit dicken Sohlen machten ihren ganzen Anzug aus, von dem man noch außerdem das Gefühl hatte, es sei ihr bester, denn er trug keine Spur von Gebrauch. Das Kind war sauber, bis zu der geschwärzten Sohle des großen Schuhes.

Gleich war zu erkennen, daß der Knabe ihr Bruder sei. Die Ähnlichkeit trat hervor; auch er war blond, nur hatte er die Färbung der Gesundheit, die man in der Luft bekommt, und das gebräunte Gesicht zeigte sich desto auffallender gegen den blendend weißen kräftigen Hals, den das offene Hemd verrieth. Er hatte nicht, wie die Schwester, die hohe verklärte Stirn; im Gegentheil karakterisirte dies seine Eigentümlichkeit, daß seine Stirn kräftig gewölbt, aber niedrig war, und die glühenden blauen Augen zu drücken schien. Dies gab ihm aber gerade etwas außergewöhnliches – etwas geheimnisvolles. – Es war ein Zug, an welchem man oft durch viele Generationen hindurch die Mitglieder einer Familie erkennt. Auch Lacy fragte sich, wo er diese Züge schon gesehen? – Der Knabe hatte von demselben Wollenzeug wie seine Schwester ein kurzes Höschen und eine kleine offne Jacke an; die Strümpfe waren auch von blauem Zwirn, die Schuhe grob und auf die Dauer gemacht. Auch ihm fehlte jede Ausstattung der Wohlhabenheit; keine Schnallen an den Knieriemen und Schuhen, keine blanken Knöpfe, die damals kaum dem Geringsten fehlten. Diese Kinder schienen nichts der äußeren Zuthat verdanken zu sollen und ihre Schönheit war nur um so auffallender.

Eben so bei dem Größeren der Mädchen. Sie war älter als ihre beiden Gefährten und in dem ersten Aufblühen jungfräulicher Schönheit, aber wunderlich verpuppt in einer fast puritanischen Kleidung. Sie hatte eine große gesteifte Haube von Kammertuch auf, die mit Backen, die steif betollt waren, fast bis auf den Hals reichte. Aus diesem Vollwerke nun blickte ihr zaubervolles bräunliches Angesicht hervor, mit einem Saum von rabenschwarzem glänzendem Haar eingefaßt, dessen Fülle den bauschigen Haubenkopf veranlaßt hatte, durch den man in einander gedrehte Zöpfe schimmern sah. Ihr ganzer Kopf, von der Stirn bis zum Kinn wie gemeißelt, hatte die eirunde Form, über deren Schönheit uns die Antike belehrt; alle inneren Theile waren fein und regelmäßig; vorzüglich war die Nase gerade und vollendet schön; nur der Mund war fast zu geschlossen, und die Mundwinkel senkten sich etwas. Man verstand diesen festen Mund aber erst, wenn man die tiefen, ernsten braunen Augen sah, die klug und seelenvoll blickend, wie die Verkündigung eines ungewöhnlichen Karakters aussahen. Ihr Kleid war von schwarzer Serge; es war ziemlich lang und in steife Falten gelegt; das Mieder schien noch immer zu weit für die schlanke Taille, und über die sein gerundete Büste war ein sauberes weißes Tuch von gesteifter Leinwand fest mit Nadeln gesteckt. Die Aermel reichten bis zur Hand, die braun und ungeschont, aber vollkommen schön und länglich schmal war.

»Aber« – rief die gütige Fürstin, Allen ihre Hände zum ehrerbietigen Kusse überlassend – »wieder seid Ihr auf dem gebrechlichen Kahn gekommen. Habt Ihr Euch denn nicht vor Schelte gefürchtet?«

»Er ist ja nicht gebrechlich,« rief der Knabe – »Ihr denkt es nur, weil Ihr es nicht versteht. Der Meister Guntram gäbe ihn uns gar nicht, wenn er nicht sicher wäre!«

»Und daß Ihr nicht schelten solltet,« rief Hedwiga, das kleinere Mädchen, mit einem zärtlichen Anschmiegen ihres Köpfchens – »darum sangen wir. War das nicht schön?«

Die Fürstin lachte so versöhnlich, daß sie das gute Einverständniß nicht zu bezweifeln schien; aber indem sie sich von Hedwiga aufrichtete, gewahrte sie mit einigem Erstaunen, daß Magda wie angewurzelt stand und ihre ernsten dunklen Augen unverwandt auf den Grafen Lacy richtete, während ein geheimnißvoller Ausdruck von Forschen, Schrecken und Verwirrung ihre Augenlieder zitternd auf und nieder hob.

»Magda! Magda!« rief die Fürstin zwei Mal, ehe das Mädchen sie hörte. Dann fuhr sie erschrocken zusammen, sah Alle im Kreise lebhaft an, wandte sich um und machte einen Versuch, die kleine Stiege nach dem Wasser hinunter zu laufen.

Doch Egon warf sich ihr in den Weg, die Fürstin rief sie mit Hedwiga vereint, und wie zur Besinnung kommend, sah man – obwohl sie noch mit dem Rücken nach Allen gewendet stand – daß sie sich aufrichtete, wie um Athem zu schöpfen; dann drehte sie sich rasch auf dem Absatz um, an Allen vorüber schaute sie noch einmal auf den Grafen Lacy, und dann deckte Purpurröthe ihr Angesicht; und sie sah zur Erde – und ihr kämpfender Busen zeigte eine heftige innere Erregung.

Mitleidig, obwohl nicht wenig überrascht, stellte sich die Fürstin vor sie hin und hob ihr liebliches Gesicht, worauf ein Chaos von Gefühlen spielte, sanft empor. »Du hast mir sicher von der Frau Aebtissin etwas zu bestellen,« sagte sie liebreich, und sie umschlingend führte sie das bebende Mädchen in den Schatten der nächsten Gebüsche.

Indessen war der Graf nicht minder von dem kleinen Vorfall überrascht; seine Augen folgen den beiden Davongehenden, und als er von hinten den eulenartigen Putz des jungen Mädchens sah, rief er fast laut: »Wer sollte dieses Engelsantlitz in der tollen Verpuppung suchen!«

Doch Georg Prey, der mit der Zeit eine eifersüchtige Oekonomie trieb, hatte ein kleines Büchelchen und einen Silberstift zur Hand genommen, denn es schien ihm, daß er hier ganz überflüssig werde. So sah sich der Graf mit seinem Ausruf und den beiden andern Kindern allein, auf die er schnell zuging, denn sie schienen ihm alle reizende Wesen. Der Knabe lag hinten über die Brüstung des Balkons und schlug mit einer Weidenruthe in die Luft. Sein Ausdruck war düster und trotzig, und seine Augen hafteten auf dem Gebüsche, in der seine junge Gefährtin so eben mit der Fürstin verschwunden war. Hedwiga aber hatte sich neben ihm gebückt und holte durch die durchbrochene Brüstung eine weiße Windranke herein.

»Bist Du denn schon ein alter Bekannter von der Fürstin Morani?« fragte der Graf den Knaben, während er Hedwiga scherzend an ihren dicken Locken zog.

Der Knabe sah zum Grafen empor – so trotzig und wild, als wollte er ihm nicht Rede stehen. Mißmuthig und rauh sagte er dann nach einem Weilchen und warf den Kopf dabei in die Höhe: »Lang genug!«

Der Graf lächelte. Er bog sich nieder und half Hedwiga die Ranke herein ziehen. Freudig schlug diese in die Hände, als er sie ihr abgepflückt reichte, und er setzte sich nun und zog die Kinder an sich heran.

»Erzähl' mir doch, Hedwiga – hast Du noch Aeltern? – Wo wohnst Du denn?« »Am Walle« – rief Hedwiga – »bei Frau Bäbili, der Klosterpächterin, welche die Kühe hält. Wir haben Mora – aber nicht unsere Mutter.«

»Aber Egon ist Dein Bruder?« fuhr der Graf fort.

»Komm' Hedwiga,« rief der Knabe auffahrend – »wir wollen nach Hause!«

»Ohne Magda?« fragte die Kleine erschrocken und ergriff des Grafen Arm – »Du willst doch nicht ohne Magda fort?«

»Doch! doch!« sagte Egon und schaute glühend und unverwandt in das Gebüsch. »Magda ist ganz thöricht – ich habe ihr nichts gethan – nein! nein! nicht einmal gedrückt habe ich sie – und da läuft sie fort und thut so böse mit uns!«

»Magda war ja nicht bös« – sagte begütigend Lacy – »gleich kommt sie wieder.«

»Warum sah sie Euch denn so starr an« – rief hervorbrechend der Knabe – »was habt Ihr denn mit ihr? Warum hat sie sich denn vor Euch erschrocken?«

Der Graf blickte erstaunt auf den wilden Knaben, der plötzlich sein ganzes Innere und vielleicht mehr als er selbst wußte, verrieth, und mit dem Scharfsinn seiner kindischen Liebe für Magda auf den Blick eifersüchtig war, den sie dem Grafen gegönnt.

»Du bist ein tyrannischer Bursche!« sagte der Graf lachend. »Dir thäte wohl gut, in strengere Zucht zu kommen! Hast Du einen Herrn, oder was treibst Du? Sitte fehlt Dir noch!«

Der Knabe schlug sein glühendes Auge auf, vielleicht noch mit der Neigung zu trotziger Erwiderung. Aber es lag in dem Aeußern des Grafen eine Mischung von Strenge und Güte, die den Uebermuth niederdrückte. Er wandte sich daher blos halb zur Seite und blickte stumm auf seine Schwester.

»So sprich doch!« sagte Hedwiga. »Wir sind bei Mora, und Egon lernt Lesen beim Klostervoigt – und dann helfen wir Mora Wolle krempeln – und Guntram, der Waffenschmied, lehrt ihn die Waffen schmieden, und dann fechten sie mit den Degen, die Guntram schmiedet.«

»So!« sagte der Graf und vertiefte sich in die himmlischen Augen des jungen Kindes, dessen klare Engelsblicke ihn ganz bezauberten. Er glaubte nun Alles zu verstehen – die hilflose Armuth der Kinder, welche die Fürstin in ihrer Lage nicht erleichtern konnte – und doch, von den reizenden Wesen angezogen, ihnen ihre Liebe geschenkt hatte. Schnell dachte er an Mittel, ihr zu Hilfe zu kommen; er blickte noch einmal auf den trotzigen Knaben und ihre Augen begegneten sich. Sein schönes anziehendes Gesicht war wieder ruhiger geworden; die geheimnißvolle Stirn zog den Grafen an, als müsse er sie ergründen. Es lag so viel Kraft und Entschiedenheit in diesem Wesen – und sein erfahrner Blick erkannte den ächten Jünglingssinn. Er bedachte seine Worte – ihm nur erst Rede abzugewinnen, schien ihm das Nöthigste.

»Du liebst also, die Waffen zu schmieden?« sagte er freundlich.

»Ja, Herr!« erwiederte der Knabe – »aber ich liebe mehr, damit zu fechten, als sie zu schmieden.«

»Du bist klug!« sagte der Graf lachend. »Damit wirst Du es aber in Deiner Kunst nicht weit bringen. Bist Du in der Lehre beim Meister Guntram?«

»In der Lehre?« fragte der Knabe erstaunt – »Wo denkt Ihr hin? Nein, ich besuche ihn und lerne ihm manches ab – und ruht er aus, dann fechten wir.«

»Willst Du denn nicht etwas Tüchtiges lernen? Du bist doch alt genug dazu! Hast Du denn keine männliche Verwandte?«

»Das ist es eben. Mora will von nichts hören« – erwiederte der Knabe, immer offener und freier sich dem erweckten Interesse hingebend. »Wäre sie ein Mann, würde sie mich schon in der Kriegskunst üben lassen, damit ich auch dabei wäre, wenn sie wieder kämen die Herren Preußen und Franzosen. Das sollte was werden!«

»Ich bin der Graf Lacy – willst Du in meine Dienste treten?« sagte dieser rasch entschlossen.

»In Ihre Dienste?« fragte der Knabe wieder ganz erstaunt. – »Ich diene nicht« – setzte er bestimmt hinzu.

»Nun Du bist ein merkwürdiger Gesell« – rief Lacy, fast unangenehm überrascht.

»Aber« – unterbrach ihn der Knabe – »ich will Mora fragen, ob ich einem Grafen dienen kann?«

»Thue das!« entgegnete Lacy, »höre, ob Du Deine erhabene Person so weit herablassen darfst?«

Der Knabe fühlte den Spott und ward roth. Doch plötzlich zeigte sich die Fürstin mit Magda: er sah sie früher als der Graf und schien im selben Augenblick alles andere zu vergessen.

Magda hatte ihre gleichmäßige bräunliche Gesichtsfarbe mit einem glühenden Roth der Wange vertauscht. Die Augenwimpern glänzten in kaum getrockneten Thränen und die schöne Eigentümlichkeit dieser länglichen Augen – mit den halbgeschlossenen Augenliedern lieblich zu zucken, als ob kleine Blitze herausführen – war noch auffallender nach den deutlichen Spuren vergossener Thränen.

Sie ging auf Egon zu, legte ihre Hand auf seinen Arm und sagte: »Egon, willst Du wohl gleich wieder mit mir nach Hause fahren? Ich – ich habe etwas zu besorgen.«

Der Graf horchte auf jedes Wort dieses kleinen Geheimnisses. Die Stimme war ängstlich gepreßt, aber von einer Melodie, daß er jedes Wort klingen fühlte. Er nahte sich ihr und sagte: »Liebes Mädchen – Du hast einen jungen trotzigen Freund! Willst Du ihn mir nicht geneigt zu machen suchen? Du hast wohl mehr Gewalt über ihn als Andere?«

Das Mädchen erstarrte bei Lacy's Anrede wieder zur Bildsäule. Dann schüttelte sie hastig den Kopf und sagte: »Nein! nein! ich habe keine Gewalt über ihn! Er ist blöde – nicht trotzig – Ihr könnt leicht mit ihm verkehren.«

Die Fürstin schritt hier ein. »Geht jetzt, liebe Kinder,« sagte sie. Man sah sich nach Hedwiga um. Sie saß neben Georg Prey, und ihre Lieblichkeit hatte selbst den abgeschlossenen Denker aufgestört. Er zeigte ihr das Titelblatt des kleinen Buches, in welchem er gelesen, das mit Vergoldung und bunten Farben ein schönes Wappen und große Schrift zeigte. Entzückt sah sie bei jeder Erklärung zu ihm auf, und er blickte erstaunt in ihre blauen Augen, und seine versteinerten Züge waren glatt und weich vor Wohlgefallen; er hielt sorgfältig die Ranke, die sie ihm zum Halten gegeben und stützte sie selbst, damit sie bequem sehen könne.

Lacy und die Fürstin wechselten lächelnd Blicke des Einverständnisses, als sie die Gruppe gewahrten; Georg Prey erröthete, bis an die Schläfe, als er sich so beobachtet sah und wollte eben Hedwiga auf die Erde heben, als diese – jetzt hörend, daß sie Abschied nehmen sollte – ihren Arm um seinen Hals schlang und ihm einen Kuß auf die Stirn gab.

Georg Prey prallte zurück, als habe er einen Stich bekommen. Hedwiga aber fuhr herzlich fort, ihm zu danken und fragte, ob er immer hier sei – und sagte, sie werde bald wiederkommen – und was des kindischen Geschwätzes mehr war, wobei sie so lieblich lächelte, daß Georg Prey alles vergaß und immer mit dem Kopfe nickend sagte: »Komm nur – komm! ich werde schon da sein.«

Jetzt sprang sie zur Fürstin, die sie mit den andern Kindern entließ. Aber als der kleine gebrechliche Nachen nun abfuhr, war Egon der einzige Thätige. Magda saß stumm und unbeweglich mit dem Rücken nach dem Balkon gewendet; nur Hedwiga hielt sie mit den Händen vor sich fest. Aber vergeblich bat diese, noch einmal zu singen. Die kleine Gesellschaft blieb stumm und entschwand bald den Augen der Nachschauenden.

Es schien, als müsse erst dem Auge ganz genügt werden. Denn Beide, Lacy und die Fürstin, blieben stumm, bis der kleine Nachen verschwunden war – dann rief der Graf zuerst: »Aber um Gotteswillen, beste Claudia, wo haben Sie diese drei Feenkinder her? Die haben die Elfen aus einer Königswiege gestohlen, und sie dem armen Manne zugetragen. Haben Sie größere Schönheit und mehr wie dies, größeren geistigen Zauber gesehn? Das braune Mädchen – und Hedwiga dieses Engelsbild – und Egon – er hat mich zwar behandelt, als wäre er meines Gleichen und könne mich zum Zweikampf fordern – aber welch' ein prächtiger Junge ist es! Wo haben Sie denn die Götterkinder gefunden?«

»Das freut mich! das freut mich!« rief Claudia – »den Eindruck erwartete ich. Eben so groß war mein Erstaunen, als ich sie zuerst sah. Sie kamen singend auf dem Kahn hier vorüber; und als sie zu mir heraufsahen, verloren sie die Richtung des Kahns und stießen an die Treppe. Ich hatte keine andere Hülfe als mich selbst, ich lief hinunter; Magda reichte mir augenblicklich Hedwiga, während Egon den Kahn aufrecht zu halten suchte. Doch rief ich Bernhard zu Hülfe und ließ sie Alle aussteigen. Wie ich sie vor mir sah, war mein Erstaunen so groß als das Ihrige, ich war ganz bezaubert und quälte sie mit Fragen, die aber wenig eintrugen. Es sind keine Feenkinder, lieber Graf! Die Wiege des armen Mannes ist von der Natur mit diesen Schätzen beschenkt worden. Alle wohnen im Bereich des Ursulinerhofes: Magda bei einer Base, die sie Frau Barbara nennt. Die Kinder nennen ihre Pflegerin Mora, wahrscheinlich die kindische Umdrehung eines andern Namens. Ob Magda arm ist, weiß ich nicht; die Geschwister sind es, das ist gewiß; doch fragte ich nicht weiter nach – ich wollte nicht Armuth kennen, die ich nicht zu lindern vermochte,« setzte sie sanft und wehmüthig hinzu. »Aber unsere Freundschaft war seitdem entschieden, und oft kommen sie singend daher geschwommen; dann ist immer eine große Freude unter uns, denn so schön sie sind, so wohlgesittet sind sie zugleich, und bei aller naiven Unkenntniß unserer Formen scheint ihnen doch das Gemeine völlig fremd zu sein.«

Der Graf schwieg, denn er konnte nichts Anderes sprechen; seine Gedanken hingen wie gebannt an dem eben Erlebten, und er wünschte noch eine Frage zu thun: aber eine ihm selbst unerklärliche Scheu hielt die Worte in ihm zurück. Doch sah er plötzlich, über seine Zerstreuung verlegen, vom Boden auf zur Fürstin und diese – sei es, daß sie ihn errieth, sei es, daß es sie selbst trieb – sagte: »Und heute das wunderliche Wesen von Magda! Sie haben Wohl gesehen, welche Bewegung Ihr Anblick ihr erregte – aber ich habe nicht erfahren, was es war. Sie war so verlegen, daß sie weinte; aber so entschieden sie sonst ist, es kam keine verständige Antwort heraus.«

»Das ist nicht schmeichelhaft für mich!« sagte Lacy erröthend. »War meine Erscheinung ihr so abschreckend, so muß ich eine schlechte Meinung von mir fassen.«

»Das war es nicht. Sie sagte ein paar Mal: »»Ihr seid sonst immer allein, und ich weiß nicht, warum ich ihn kenne – und warum er so aussieht wie ein Bekannter.«« Doch ließ ich bald das Fragen und trachtete nur danach, ihre Thränen zu stillen, indem ich ihr Blumen zeigte, die sie liebt. Aber dennoch bat sie mich immer, ich solle sie fort lassen, sie schäme sich so sehr. – Erinnern Sie sich des Mädchens?« fragte die Fürstin dann, zum Grafen gewendet. – »Sahen Sie das liebe Kind schon?«

»Nein! nein!« erwiederte Lacy – »ich sah sie gewiß nie, denn man kann sie nicht vergessen, wenn man sie einmal sah. Ich glaube, sie ist wunderschön – und doch ist ihre Farbe so ungewöhnlich braun.«

»Aber die dunkeln Augen und das schwarze Haar erklären dies hinreichend« – fuhr die Fürstin fort. Sie ist eine von den Schönheiten Italiens, die wir Nordländer zu Anfang gar nicht begreifen, eben weil ihnen der Farbenreiz fehlt, den wir erst nach und nach in dieser braunen Färbung entdecken lernen. Wie rein sind die Formen ihres Kopfes und vorzüglich ihre antike Nasenbildung. Hedwiga dagegen ist die vollständige Blüte des Nordens – diese Farbenpracht – diese goldnen Locken und die großen blauen Augen.«

»Daß ihr Zauber mächtig ist,« erwiederte der Graf, »sahen wir an Georg Prey. Gesteht es, ehrwürdiger Herr, das kleine Engelsmädchen wird sich in Eure frommen Betrachtungen drängen. Und vollends der Kuß – der Kuß! Ihr müßt ihn beichten gehn und einige Pönitenz dafür diktirt bekommen.«

Georg Prey lächelte zu dem gutmüthigen Scherze und sagte dann: »Wenig habe ich das Weib in seiner vielerwähnten Schönheit zum Gegenstande meiner Betrachtungen gemacht; aber wenn solche Augen nicht unter den Versuchungen des heiligen Antonius waren, so konnte er schon siegen! Das wäre ein Köpfchen zu einem Bilde der heiligen Katharina – das findet sich nicht oft.«

Scherzend über die besondere Bewunderung des ehrwürdigen Herrn, verließ man den Garten und trennte sich für den Rest des Abends.


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