Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Erster Theil
Henriette Paalzow

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Auch in dem armen Hüttchen der Frau Mora sank der Schlaf wohlthuend auf die Augen der Müden nieder, und es war eine sonnenhelle Morgenstunde, als Frau Mora erwachte und Hedwiga noch so sanft schlafend an ihrer Seite fand, daß sie sich leise wegschlich, um nach Egon und der Ziege zu sehn. Wie lange auch der Knabe wachend ausgehalten haben mochte, endlich hatte ihn doch die Ruhe der Nacht überwältigt. Er lag tief eingeschlafen auf dem Bündelchen Heu, was er vielleicht kurz zuvor für die Ziege aufgeschüttelt hatte.

Diese lag dicht neben ihm; sein einer Arm, der jetzt zurückgesunken war, hatte sie wahrscheinlich gestützt; ihr Kopf lag auf seiner Brust, aber die steif ausgestreckten Pfoten ließen Mora ahnen, was hier geschehen. Sie bog sich nieder – das arme Thier war kalt, kein Athem hob mehr den Körper, sie war in Egons Armen während seines Schlafes gestorben. Wie tief mußte der arme Knabe, der dies Unglück verschuldet hatte, sein Vergehen empfinden! Sie blickte mit Theilnahme auf den sanft schlummernden, den die Ruhe und der Schlaf verschönte, und neben den Seufzern ihrer Brust drangen auch die Thränen aus ihren Augen. Doch that es ihr weh, den Knaben neben dem todten Thiere liegen zu sehn; sie hob den Leichnam auf, trug ihn aus dem Stalle und legte ihn leicht mit Heu überschüttet neben der Hütte ins hohe Gras. Jetzt war Egon unruhig geworden; er arbeitete sich aus dem Schlafe empor und saß, gerade mit dem Erwachen kämpfend, aufrecht, als Mora zurückkehrte.

Sogleich kam ihm die Besinnung wieder – er blickte neben sich, und als er die Ziege vermißte, sprang er auf und rief freudig, auf Mora zustürzend: »O! sagt, ist sie wie der gesund – ist sie auf der Weide?«

»Nein, Egon,« erwiederte ihm Mora – »sie geht nicht mehr nach der Weide.«

»So hol' ich ihr künftig den Klee und füttre sie sie satt, als wenn sie auf der Weide wäre. O, liebe Mora. sie soll es recht gut haben die arme alte Ziege – recht gut, und Adrian wird mir Salbe geben für ihre kranken Füße!«

»Sie hat es schon gut, Egon, und bedarf der Salbe nicht mehr. Aber willst Du jetzt wohl dran denken, daß Du Dich immer weniger von mir leiten läßt und Dein Starrsinn und Dein heftiges Wesen immer zunimmt? Weißt Du auch, daß mir alle Menschen sagen, Du thätest nicht mehr gut im Hause? Ich soll Dich hinaus thun unter Männer-Zucht, wo Du gehorchen lernst und Dich in Anderer Weise schicken.«

Egon hörte mit klugen Augen aufmerksam der Rede zu, dann sagte er: »Du willst aber nicht, daß ich dienen soll – wo soll ich das nun erfahren, was Du willst, daß ich lerne?«

»Wär' es nur eine rechte Stelle,« seufzte Mora – »so möchte es drum sein! Was kann ich dagegen? Es wächst Alles an, und wenn die Frucht reif ist, dann will sie fort vom Stamme. Aber unter den rohen Gesellen beim Guntram, was soll da aus Dir werden?«

»Aber Guntram selbst« – rief Egon – »zu Guntram ginge ich am liebsten, wenn Du mich fortschicken willst.«

»Willst?« rief Mora fast ängstlich – »ich will nicht! Aber Du zwingst mich dazu. Lange schon sehe ich Dir den Sinn über Gebühr wachsen, und immer ließ ich es hingehn. Aber gestern da ist es mir selbst sicher geworden, daß Du mir entwachsen bist; auch werde ich Dich schwerlich ernähren können, wenn uns die Ziege fehlt, und gut wäre es, wenn Du Nahrung und Kleidung bekämest. Hedwiga bringe ich mit meiner Hände Arbeit eher durch.«

Egon ließ sie ausreden, denn obwohl er jetzt ahnte, die Ziege sei todt, so war er doch so erschüttert, daß er eine Zeitlang schweigen mußte. Er kam sich wie ein Mörder vor – und seine Sünden schienen ihm das Maaß zu sehr zu überschreiten, um verziehen werden zu können.

»Ja! ja!« rief er endlich abgebrochen – »laßt mich fort; ich will dienen – ich will arbeiten für Dich, Mora, für Hedwiga – denn ich habe Alles verschuldet – die Ziege umgebracht – und bin ein Bösewicht!«

Er warf sich auf die Erde in das Heu des kleinen Stalles, der das Sprachzimmer dieser betrübten Menschen war – und der Schmerz schüttelte seinen ganzen Körper. Mora sah ihm stilltraurig zu; der Augenblick betrübte sie weniger, weil sie mehr auf das sah, was ihr nun nah gerückt war, was ihr Trennung von dem ungestümen Liebling verkündete, wenn auch die Art und Weise noch dunkel vor ihr lag.

Jetzt kam Hedwiga leise herbeigeschlichen, und als auch sie den Tod der Ziege erfahren, stillte Egon seine Thränen, um Hedwiga zu beruhigen, und bald verließen Alle den kleinen Stall, den Schauplatz ihrer Leiden, und als sie hinaustraten, da lag der Sommermorgen mit seinem ganzen Reichthum um die ärmliche Hütte! Die Linde duftete mit ihren vollen Blüthen – und die Vögel sangen in ihren Zweigen. Von der Wiese herüber wogte ein thauiger Nebel empor, und auf der Schulter des steinernen Christophorus, dessen Figur über den Bretterzaun ragte, leuchtete das Christuskind von der Morgensonne vergoldet. In der Klosterkirche aber, zu deren Füßen sich die kleine Ansiedlung befand, ertönten die ersten leisen Akkorde der Orgel und des Gesanges, womit die frommen Frauen des Ursulinerstifts ihre Frühmesse begingen.

Das arme bekümmerte Weib, die traurigen Kinder blickten umher und es ward milde unter ihnen, sie wußten vielleicht nicht, warum. Hedwiga zeigte lächelnd, noch mit Thränen in den Augen, nach dem kleinen Neste in den untern Zweigen der Linde was beide Kinder wie ihren Schah behüteten und worin eben ein lebhaftes Gezwitscher zwischen den zahlreichen Insassen desselben entstanden war. Mora aber legte die gefalteten Hände auf die Bretterwand und richtete ein inbrünstiges Gebet an das glühende Bild des kleinen Erlösers, während Egons Augen sich von Einem zum Andern wandten und er seinen kräftigen Geist aufrief, Hülfe zu schaffen für die Uebel, die er verschuldet.

In diesen Gedanken hörte er es vielleicht zuerst, daß auf dem Pachthofe der Frau Oberhofer sich die Ställe öffneten und Adrian der alte Schweizerknecht die Kühe ins Freie trieb. Augenblicklich flog er ins Haus, kam mit einem Töpfchen zurück und war nun mit einem Satze über den Zaun, um seinen alten Freund Adrian aufzusuchen. Frau Mora sah still zu, was der Knabe vollführte; wußte sie sich doch keinen besseren Rath, um ihren armen Kindern das nöthige Frühstück zu verschaffen. Auch hatte Adrian das Vertrauen des Knaben nicht getäuscht. Er kam sogar mit ihm und trug einen kleinen Milcheimer voll eben gemolkener Milch, der das Töftschen Egons mehrere Male zu füllen versprach, und reichte ihn der Frau Mora hinüber, während er selbst bedächtig nachstieg, um die Ziege zu untersuchen, über deren plötzlichen Tod er nicht geringes Bedauern und Erstaunen ausdrückte.

»Nu! nu! Frau Mora,« sagte er tröstend – »laß Sie sichs nicht so zu Herzen gehn. Alt war sie – die Milch hat den Kindern nicht mehr g'taugt – das ist alles Schickung – damit der Ueberfluß bei uns nicht umkomme!«

»Adrian,« erwiederte Mora – »ich danke Euch heute für die Aushülfe – doch jeder sorge für sich – der Ueberfluß bleibt für Euch.« Adrian kannte dergleichen abweichende Erwiderungen und ließ sie lieber ohne Antwort, da er nach Art aller Viehzüchter neugierig war, den Tod der Ziege zu ergründen. Er untersuchte den Körper hin und her und erklärte endlich, der Leib sei stark geschwollen – sie habe nach der fetten Weide sich beim Falle etwas im Leibe gesprengt und dies sei wohl die nächste Ursach' ihres Todes, obwohl der Bruch beider Beine ihn später doch veranlaßt hätte.

Die Kinder sahen traurig der Todtenschau zu, und es schien ihnen nun erst sicher und gewiß; die Ziege werde nicht wieder erwachen. Doch Adrian wollte sie trösten und sagte, beim Schreiner auf dem Klosterhofe stünden drei Ziegen; der wolle gern eine verkaufen, und das würde sich schon passen.

»Ja,« sagte Frau Mora mit etwas rauhem Ton und mit dem Unwillen, den der Dürftige empfindet, wenn ihm zu der leichtesten Art, erfahrne Noth abzuhelfen, die der Wohlhabende vorschlägt, die Mittel fehlen. – »Ja! Adrian, – das ist Aushülfe für die Reichen, nicht für Mora, die dazu noch keinen Batzen liegen hat.«

Da war Egon mit der gährenden Angst in seinem Innern bis zum Entschluß durchgedrungen. Er ergriff den Arm des alten Schweizers – »Hör', Arian,« sagte er hastig – »frag, was die Ziege kosten soll – Mora soll eine Ziege haben – wenn ich weiß, wie viel Geld wir dazu brauchen, gehe ich zur Fürstin Morani und lasse es mir geben – und dann diene ich es ab – und werde Page bei ihr, oder Laufer, oder Gärtner, oder was sie will! Das kann man thun – davon hat mir Guntram oft erzählt.«

»Ach,« rief Hedwiga – »warum gehst Du nicht lieber zu dem schönen guten Herrn, der Dich fragte, ob Du bei ihm dienen wolltest? Der giebt Dir Alles, was Du brauchst und mir auch. Mora, bitte ihn, daß er zu dem schönen jungen Herrn geht, denn er wollte Egon sogleich in Dienst nehmen.«

»Ich aber will ihm nicht dienen!« rief Egon – »ich will nur der Fürstin dienen, und Du brauchst ihn gar nicht so lieb zu haben – und er soll Dir nichts geben – gar nichts; hörst Du?«

Erschrocken über seine Heftigkeit, flog Hedwiga zu Mora, und diese hatte jetzt genug durch den Knaben gelitten. »Ungerathner Bube!« rief sie heftig – »kann all' das Unglück Dich nicht beugen, was Du angerichtet? Mußt Du immer noch Dich wie toll gebärden? Ja, fort mußt Du – fort sollst Du, unter scharfe Zucht – nicht wieder unter Weiberhand!« Erzürnt wandte sie ihm den Rücken und trat in das Haus zurück.

Die beiden kleinen, einander so nah gerückten Familien sollten zu einer und derselben Zeit eine Unterbrechung ihrer Lebensordnung erfahren. Zwar hätte man Magda unverändert nennen müssen, wenn man nur flüchtig beobachtend dem Wesen des jungen Mädchens zusah; denn wie gewöhnlich stand sie früher auf als Frau Barbara Hülshofen und traf noch mit der aufwartenden Magd zusammen, die den Fußboden des Zimmers kehrte. So wie sie ging, trat Magda's Wirksamkeit ein. Sie stellte die verschobenen Stühle und Tische an ihren Platz, und mit schnellen leichten Schritten umherstreifend, säuberte sie mit geschickter Hand alle Gegenstände vom Staube. Dann breitete sie ein seines gewirktes Tuch über den großen Tisch und schlüpfte nun nach der Küche, die eine Tasse Kaffee zu bereiten, die Frau Hülshofen sich jeden Morgen zum Frühstück erlaubte, während für Magda die frisch gemolkene Milch bereit stand.

Als nun neben der kleinen Tasse von Meißner Porzellan die frischen Waizenbrödchen lagen und auf dem Lehnstuhl das Andachtsbuch, schlüpfte sie die kleine Stiege hinauf in das Schlafgemach der Frau Barbara und legte die letzte Hand an den Putz der alten Dame. Denn nie verließ Frau Barbara dieses Zimmer, ohne jene feste steife Kleidung der damaligen Zeit angelegt zu haben, und es verstärkte den Eindruck ihrer kalten abgeschlossenen Erscheinung, daß man sie nie anders im Hause sah, als mit der blendend weißen steifen Flügelhaube und dem sauber in Falten gelegten Halstuche, mit dem schweren bauschigen Rock von gesteppter Serge, und der dazu gehörigen Kontusche mit breit über den Rücken auslaufenden Falten. Um den Hals trug sie aber eine anschließende Erbskette von reinem Dukatengolde, an der ein goldnes Schaustück hing.

Nachdem an jenem Morgen Frau Hülshofen ihrer Nichte gegenüber saß und das Frühstück der Andacht gefolgt war, erhoben sich die ernsten Blicke der alten Frau zuweilen mit besonderem Ausdruck zu Magda, und ihr selbst wollte dünken, das Mädchen habe die gestern erfahrene Erschütterung verschlafen, denn diese zarten rundlichen Formen, diese tiefen warmen Augen – alles war so unverändert, so ohne Eindruck! daß der Wassertropfen nicht spurloser über das liebliche Gesicht hätte gleiten können. Auch aß und trank sie mit gutem Appetit und schwatzte leichthin ein paar Worte – Alles schien dasselbe und Frau Barbara erwog noch einmal in ihrem Geiste, ob es wirklich nöthig sei, sich von ihrem Lieblinge zu trennen – denn diesen großen und schweren Entschluß hatte sie während der Nacht gefaßt und ihn sogleich einzuleiten gedacht. Doch schien es, als bemerke Magda ihre nachdenklichen Blicke und als errege dies in ihr nun erst Unruhe; denn das Licht ihrer Wangen fing an zu wechseln zwischen Blässe und Röthe, und dieser Anblick trieb die Worte fast unwillkürlich aus Barbara 's Munde.

»Schon vor einigen Tagen hatte ich einen Brief von meinem Bruder, Magda – er fordert sein Eigenthum zurück – die Zeit sei gekommen, meint er! Sage es den Klosterfrauen und der Frau Aebtissin Gnaden, denn ich gebe meine Einwilligung.«

Magda sah mit der größten Spannung in die Augen der alten Barbara – höher und höher stieg das Roth auf ihren Wangen – plötzlich fuhr sie auf – »Du mißtraust mir, Base! darum schickst Du mich fort, ehe die Klosterfrauen abschließen. Du fürchtest, daß ich ihn wiedersehe, da Du nun weißt, wie ich von ihm denke!«

»Ich weiß nicht, wie Du von ihm denkst,« erwiederte Barbara, »und was nutzt es, wenn ich es wüßte. Mir ist keine Gewalt gelassen über Dich und die Pläne des starren Mannes! Was ich in Deine Seele legte von grader Ansicht der Dinge, ist was ich Dir nutzen konnte: Warnungen sind Spreu, die der Wind der Leidenschaften verweht – wir leugnen, was wir erlebt, oder andere erleben sahn, um zu thun, was uns behagt, und die Erfahrung höhnt den Klügsten! In einer andern Kappe erkennen wir das oft gesehene nicht wieder oder überreden uns, so gerade mit ihm fertig werden zu können. Drum halte ich Dich nicht auf und mag nicht einschreiten, denn es ist müßige Arbeit!«

»Ich aber,« rief Magda, »weiß, was Du meinst! Lieber höre ich auf Deinen Bruder, denn er steht mir viel näher als Du und Dein begrenztes Bürgerleben, und was mir da alles lästig nah kömmt, das möchte ich mit einem Sprunge überholen! Aber doch bist Du mir sicherer; ich kann denken, man müßte das immer behalten, was Du für besser hältst, wenn man nur Andere auch gern hat. Doch laß das nur gehn; wenn ich viel mehr wünsche als Du, und es mich oft ganz ungeduldig macht, wie Du fest sitzest – doch gehöre ich Deinem Bruder nicht so ganz an, daß ich nicht wüßte, Du wärst sogar mäßiger als er. Aber leben muß ich erst – und weiß noch nicht wie – vielleicht anders, als Ihr Beide wollt!«

»Das weiß ich zu meinem Trost!« sagte Barbara besonders erweicht. – »Denn wenn ich fest halte an meiner Weise, und mir bewußt bin, sie ist eine von den tüchtigen Stützen der gebrechlichen Welt, möchte ich nicht die Jugend in selber Art abschließen sehn. Ich war nicht immer wie heute, und Du darfst vielleicht nicht jetzt sein wie ich. Es sind viele Wege zum Ziele – wir versuchen oft verschiedene – wir glauben, bald dieser, bald jener sei der nächste – dann verirren wir uns – das thut am Ende Alles nicht viel, die Hauptsache ist, daß wir ein Ziel unverrückt im Auge haben.«

»Ich kann Dich gut verstehen, Base!« nahm Magda wieder das Wort – »Du hast in Deiner Art, was mir so recht nach Sinn ist; ich glaube, Dich hat kein Mensch gewendet, wenn Du dachtest, es sei recht. Fest möchte ich auch sein – und furchtlos dazu! Gestern, Base! bin ich mir in keinem Stücke recht gewesen – das werde ich mir nicht vergeben und Du brauchst mich nicht zu schelten – ich hab's Alles von selber. Ganz anders, dachte ich, müßte es sein, wenn ich ihn zuerst sähe und hundertmal hatte ich mir's überlegt, wie's zusammentreffen sollte – und nun schleppt mich Egon wie ein Bündel ans Land und wie ich denke, mit der guten alten Fürstin zu lachen, – da steht er mit eins da! Sieh! grad' als ob das Bild von seinem Oheim, wie der auch noch jung und schön war – als ob der aus dem Rahmen träte. Da habe ich mich denn sicher zuerst gegraut, denn Du glaubst nicht, wie mir wurde, und dann wollte ich davon laufen – denke nur l ich drehte mich um und wollte fort – ins Wasser hinein –»ertrunken war' ich am liebsten – so heiß und angst war mir! Ich glaube, sie hielten mich; aber wie ich mich umsah, stand er wieder da, und nun wußte ich, daß er es war und Alles fiel mir zugleich ein! Ach und daß Keiner wußte, was mir einfiel – daß ich ganz allein, ganz verlassen dastand – nein, Base! das war mir, als zerschnitte es mir das Herz. Als mich dann die gute alte Fürstin wegführte und mich fragte, warum ich mich so vor dem guten Grafen Lacy erschrocken hätte, da mußte ich weinen, als wäre Alles todt und begraben und wir gingen zur Leiche!«

»Häßlich! häßlich!« sagte Barbara – »was ist das für ein wüster Zustand! Du mußt Dir recht lästig damit sein.«

»Ja, Base! so lästig, daß ich heute Alles todt mache in mir; und nicht ungelegen kommt es mir, daß Du mich fortschickst, denn ich mag zur Fürstin nicht – und thust Du's nur nicht aus Mißtrauen, da ist es mir ganz recht! Sieh! lange Reden halte ich dem Großvater schon in Gedanken; da kann's denn nicht schaden, daß eine an ihn kömmt.«

»Was das träumt!« sagte Barbara, unwillkürlich die Augen gen Himmel schlagend – »Du wirst seinen Sinn nicht beugen.«

»Wer weiß, ob ich das wollen werde,« entgegnete Magda. »Denn sieh! lieb habe ich ihn sehr, den alten prächtigen Großvater! Warm wird mir's vom Kopfe bis zum Fuß, wenn ich nur an ihn denke. Was mir bei dem einfällt, fällt mir nirgends ein; vier Ohren möchte ich haben, um Alles zu hören; über meinen Kopf noch einen drauf, der mir denken hülfe – denn er hat Verstand für zwei. Und dann, wie lustig kann man sein! und dann das schöne alte Dohlennest – die Thürmchen – die schönen Bilder – die kostbaren Meubles und Geschirre – sieh! das ist Alles viel mehr nach meinem Sinn als hier, und ich denke immer: Etwas möchte ich davon behalten mein ganzes Leben lang!«

»Ja! ja!« sagte Barbara – »es liegt Dir im Blut! Ich hab' mein Blut wo anders her – es hat mich nie dahin getrieben.«

»Ja!« sagte Magda, »sonst könntest Du's haben wie Einer! Aber soll ich Dir sagen, wie ich denke? Es ist mir was werth, daß Du ganz anders bist. Dein Leben kann ich nicht leiden, es ist mir zu gering; aber Du selbst bist so – ich weiß nicht, wie ich sagen soll – Dein Leben wird was, weil Du es führst! Ich seufze oft, wie Alles so beschränkt ist – sehe ich Dich aber an, dann ist es mir so lieb, als wäre es was Rechtes. Du thust so eigen mit Allem, und ich muß oft lachen, wenn ich Dir's nachmache – denn wenn Du's für was hältst, habe ich ordentlich Achtung davor; doch blos, weil Du es so ansiehst.«

Barbara hatte ein weiches Gesicht unter Magda's Worten bekommen. »Laß Dir den Eindruck lieb sein; er hilft Dir einmal irgendwo,« sagte sie.

»So ist es schon,« antwortete Magda. – »Nie denke ich öfter und lieber an Dich, als dort, wo es so viel schöner ist. Da liebe ich Deinen kleinen knappen Haushalt recht und die Ruhe, die bei Dir ist, wo man sich ordentlich gut vorkömmt! Denn hier, wo ich so gern das Geringe arbeite, weil es für Dich ist, bleibt Alles in mir ruhig – aber dort, wo ich Alles gethan bekomme und mit dem Finger tippe, oder rufe, oder befehle und dann Alles da ist, ohne daß ich mich bemühe, werde ich oft unruhig, denn ich weiß, Du sähest dem mit Widerwillen zu.«

»Du mußt nicht so leicht über etwas unruhig werden – das ist immer vom Uebel und heißt den Dingen Gewalt geben über uns. Auch solchen Zuständen, wie die dortigen, mußt Du gelassen zusehn; wenn's Dir gefällt, so lasse Dir dienen; es ist nicht größerer Schaden dabei als bei manchem Andern. Nur die Unruhe muß man abhalten.«

Magda versank in Gedanken. Dann sagte sie: »Wie mir jetzt Alles dort vorkommen wird, nun ich ihn gesehen habe? Heute Morgen, ehe ich die Augen aufthat, dachte ich: Wie wird's nur heute aussehn! Ich glaubte, es müßte Alles anders sein!«

»Und da wirst Du denn gesehen haben, daß es Alles beim Alten ist.« Es hing mehr erwartende Frage an diesen Worten Barbara's, als sie selbst verrathen wollte.

»Doch blos darum, weil ich es will!« sagte Magda rasch, fast heftig. »Ich zwinge mich, daß Alles dasselbe sein soll – aber mir schwindelt oft der Kopf. Sag, Base! wann soll ich fort? und zieht Käthe auch indessen zu Dir?

»Der Großvater wartet auf Anwort. Doch kannst Du mit Hieronymus, dem Arzte, bis Prag reisen. Von dort machst Du's ja in wenigen Stunden, und der Großvater schickt Dir die eignen Leute. Du bist dann früher da, als er Dich erwartet – Käthe zieht zu mir, so bald ich's fordere!«

»So will ich auch noch recht bei Dir bleiben die kurze Zeit,« rief Magda. »Auch nach dem Kloster gehe mit mir; die Nonnen werden's nicht gern sehen, daß ich reise. Ich habe was gelernt die Zeit! Da war die Wahl auf mich gefallen – ich sollte der Frau Kaiserin das Gedicht sagen, wenn sie zum Dank für den Klosterkäse hieher kömmt – und gern hätt' ich's gethan. Es geht mir nichts über ihre große Augen und wie sie lächelt – und wenn sie geht und der schöne lange Hals so wogt. Gern hätt' ich ein Lächeln und einen Blick ganz für mich allein gehabt!«

»Das kannst Du Dir überlegen und nach Gefallen einrichten; der Großvater erwartet Dich noch nicht.«

Nach diesem Gespräch trat die alte Ruhe und Leichtigkeit des Verständnisses zwischen beiden Frauen wieder ein, und als Magda geschickt und rasch die kleinen Dienste des Hauses verrichtete, und Barbara's Auge mit dem Geleitsbrief irgend einer unbedeutenden Anrede dem lieblichen Wesen zu folgen trachtete, sagte sie sich tröstend: »Sie wird nie ganz unglücklich werden; sie hat Lust, das Leben zu handhaben. Es wird in ihr einen gefaßten Gegner finden!«


Der Graf von Kaunitz hatte die Verlobungsanzeige des Grafen Lacy von ihm selbst empfangen, und es gehörte die kalte Ruhe des großen Staatsmannes dazu, um das Erstaunen zu unterdrücken, welches Jeder bei der Nachricht einer so ungleichen Verbindung empfinden mußte. Er kannte die Fürstin und war in früheren Zeiten mit dem Vater derselben vertraut gewesen. Wie Jeder, der diese gute Tochter beobachten konnte, mußte auch er ihr das Zeugniß eines edlen Karakters und eines mit Kenntnissen bereicherten Geistes ertheilen. Aber ihr vorgeschrittenes Alter, ihr stets reizloses Aeußere schien doch selbst dem Grafen, obwohl er wenig solche Dinge beachtete, ein auffallendes Mißverhältniß.

Der Graf von Lacy bemerkte sehr wohl den Anflug von Erstaunen auf dem Gesichte seines von ihm so wahrhaft hochverehrten Gönners – aber er hatte diesen Schritt zu oft mit zu großer Ruhe in allen seinen Folgen überlegt, als daß er jetzt etwas unerwartetes erfahren konnte, und diese Sicherheit, diese innige Zufriedenheit drückte sich so bestimmt in seinem Wesen aus, daß der Graf sie bald mit ihm zu theilen begann. Nach den erfolgten Beglückwünschungen bat ihn Lacy, der Kaiserin die vorläufige Anzeige zu machen, und in Folge dessen um eine Audienz für sich und die Fürstin zu bitten. Als ihm der Graf auch dies versprochen, schien Lacy dennoch nicht am Ende mit seinen Wünschen, und Kaunitz, der den Grafen als seinen wohlgerathenen Schüler fast zu sich zählte, fragte er, was er noch wünsche, und erinnerte ihn, daß so eben die Stunde geschlagen habe, die ihn zur Kaiserin riefe. Gedrängt von dieser offenen Anmahnung, sich zu erklären, überwand Lacy jede Bedenklichkeit.

»Euer Gnaden wissen, in welcher Lage der Fürst Morani seine Tochter hinterlassen hat, und Sie sind es bis jetzt gewesen, der den dringendsten Mangel von der edlen Dulderin abgehalten haben. Es gehört nicht zu den kleinsten Freuden, welche mir die Zukunft an ihrer Seite verspricht, sie in alle Verhältnisse wieder einführen zu können, die Geburt und Erziehung ihr anweisen, denn die Lacy's besitzen ein fürstliches Einkommen. Aber jetzt – in diesem Augenblick leidet sie Mangel – an dem Notwendigsten Mangel! Denn die Schulden des Fürsten bis auf die kleinste Anforderung zu tilgen, war die großmüthige Aufgabe der edlen Tochter; und sie hat sich von Allem nachgerade losgemacht, was noch einen Werth hatte, und steht jetzt in jeder Beziehung von jedem Bedürfniß ihres Ranges, wenn sie als Braut in der Welt erscheinen soll, entblößt da.«

»Der Fürst Morani hat dem Staate stets mit der großartigen Liberalität, der sein Karakter war – zu verschiedenen Zeiten an fremden Höfen gedient. »»Unerledigte Verbindlichkeiten gegen denselben«« das war, denke ich, die Form, unter der Euer Gnaden schon damals der Tochter die Pension zahlen ließen, die ihre Armuth verbergen half. Sollte nicht jetzt sich noch im Auswärtigen Bureau eine unbeachtete Verpflichtung finden, die vielleicht vier bis fünf Tausend Gulden – die ich hier bei mir führe – der Fürstin gerade jetzt in die Hände spielte?«

Der Graf war bei den letzten Worten so glühend roth geworden, daß Kaunitz sich einen Augenblick umwendete, um das verletzte Zartgefühl des jungen Mannes zu schonen. Aber lebhaft eilte ihm Lacy nach. »Graf Kaunitz,« rief er – »keinem Menschen auf der ganzen Erde würde ich ein ähnliches Vertrauen schenken! Es mußte der edelste, der ehrenhafte Mann sein, den ich kenne, um ein so edles Wesen wie die Fürstin Morani in ihren Verhältnissen Preis zu geben.«

Der Graf Kaunitz wendete sich zu ihm. Die schöne Wärme des Wohlwollens lag auf seinem Gesicht – er reichte dem gebeugt vor ihm stehenden Lacy die Hand. »Sie haben die Fürstin in keine Gefahr gebracht. Ihr Vertrauen, wie Ihr Wunsch – obgleich seltsam genug – findet bei mir eine verstehende Aufnahme. Die Form würde sich auch finden lassen zu der Ausführung – aber eins muß ich als Bedingung hinzufügen – ich muß Freiheit behalten, im Fall die Sache das Ohr der Kaiserin erreicht, mich durch die Wahrheit gegen sie erklären zu dürfen.«

Lacy schwieg. »Und ist dies als bestimmt zu erwarten?« fragte er nach einer Pause.

»Nein,« erwiederte der Staatskanzler. »Im Gegentheil! Sie haben, denke ich, mit ihrem Freunde gesprochen, nicht mit dem Minister der Kaiserin. Ich werde die Form daher so einrichten können, daß sie wie ein Privatgeschäft von der Fürstin angesehen wird, und eine Andeutung möchte hinzuzufügen sein, die jede Danksagung gegen die Kaiserin zurückhält.«

»Euer Gnaden werden mir damit eine schwere Last vom Herzen nehmen, und zu den großen Verpflichtungen der Dankbarkeit, welches mein ganzes vergangenes Leben bereits enthält, eine neue nicht minder große hinzufügen. Alles Uebrige überlasse ich ohne Einschränkung Ihrem Ermessen.«

Mit großem Wohlwollen entließ der Staatskanzler den Grafen und am Abend desselben Tages erhielt die Fürstin Morani ein Taschenbuch mit 5000 Gulden und eine Berechnung über den nothwendigen gesandtschaftlichen Aufwand des Fürsten, als er nach dem Tode des letzten Medicis, als Bevollmächtigter des damaligen Herzogs von Lothringen, des jetzigen Kaisers, nach Toscana gesandt ward, welche Liquidation vom Fürsten großmüthig vergessen worden war und jetzt mit den landesüblichen Zinsen gerade die überschickte Summe betrug, über die der Graf Kaunitz, da er sie als ein Versäumniß seinerseits ansehen müsse – ohne weitere Erwähnung, blos um die Unterzeichnung einer beigefügten Quittung bat, welche nichts enthielt, als die Bescheinigung: Aus den Händen des Grafen von Kaunitz 5000 Gulden empfangen zu haben.

Wer es kennen gelernt hat, auf einem Höhepunkte der bürgerlichen Gesellschaft zu stehen, und mit Ansprüchen verfolgt zu werden, die zu wurzeln scheinen, wo sie einmal angenommen sind, der wird sich des qualvollen Zustandes bewußt sein, wenn die Mittel verschwunden sind, die einst diese Anforderungen befriedigten, und ein sich immer wiederholendes Eingeständniß der Armuth verlangt wird, wogegen sich die stolzen Gewohnheiten eines früheren Lebens sträuben.

Die edle Fürstin hatte nicht minder diesen Widerspruch empfunden, weil sie ihn mit der größten Ergebung zu ertragen versucht hatte, und die kurze Dauer ihres jetzigen Brautstandes ließ sie die Belästigung nur tiefer fühlen, da ihre bisherige strenge Zurückgezogenheit sie nicht der Beobachtung blos gestellt hatte. Es war daher, als sie die Sendung des edlen Grafen von Kaunitz empfangen, als ob ein Stein sich von ihrem Herzen wälzte, und sie dankte Gott für eine Schickung, die das Andenken ihres Vaters ferner vor dem Spott oder Tadel der Welt zu schützen verhieß.

Nur ihm, der ihre ganze Lage kannte, an dessen zarte Sorgfalt sie, von dem Gedanken ihrer Hilflosigkeit geängstigt, denken mußte – nur ihm wollte sie diese Erleichterung mittheilen, und zwar mit dem edlen Stolze, sie ihrem Vater zu danken!

Nie war eine großmüthige Täuschung besser gelungen, nie mehr zur rechten Zeit auf dem schonendsten Wege Hülfe erreicht – und dennoch konnte Lacy kaum diese Unterredung ertragen; sie beugte ihn nieder wie einen Verbrecher, und hätten Zweifel über seine Theilnahme bei der Fürstin entstehen können, sein verlegenes ausweichendes Betragen hätte es vollständig gerechtfertigt.

Sie hörte mit mehr Fassung als bei der ersten Erwähnung, daß die Kaiserin bereits ihr Verhältniß zum Grafen kenne und am Ende der eben angetretenen Woche eine Privat-Audienz für Beide erlaubt habe. Noch an demselben Tage hatte sie eine Unterredung mit Georg Prey, der ihr, eben so erheitert als sie selbst, versprach, die theuren Gegenstände aus dem Schmuck ihrer Mutter, die sie zuletzt geopfert, um die noch übrig gebliebenen Forderungen zu tilgen, wieder zu verschaffen. Sie durfte ihre alte Kammerfrau aus dem Küchenzwange erlösen, und der alte Hieronymus, der in der kaiserlichen Küche nicht acht Tage ausgehalten hatte, nahm ihre Stelle wieder ein. Ja es fanden sich, nach den Wanderungen der hochbeglückten Kammerfrau durch die Kaufläden Wiens, die verschiedensten Handelsleute mit den reichen Kleiderstoffen ein, die damals zur Ausstattung einer Frauenkleidung nöthig waren, und die Fürstin wählte mit dem ihr eigentümlichen Geschmacke Spitzen und Stickereien, wie sie zu ihrer damaligen Lage paßten, und wußte dabei in Farbe und Schnitt mit großem Takt die feine Grenzlinie zwischen Jugend und Alter zu halten, und den unverkennbaren Wunsch zu gefallen, mit edler weiblicher Bescheidenheit zu vereinigen.

So kam es, daß der Graf von Lacy, als er an dem zur Audienz bei der Kaiserin bestimmten Morgen im glänzenden Hof-Kostüm zu ihr eintrat, von ihrem Anblick überrascht stehen blieb, und mit Entzücken auf sie zueilend rief, indem er ihre Hand küßte: »Ich wußte nicht, daß Sie so schön wären!«

Claudia bebte vor der süßen Schmeichelei zusammen. Es war eine späte Jugend, die, von dem heiß geliebten Manne erweckt, ihr schwellendes Herz fast überwältigte. Lacy sah sie schnell erblassen – und als er sie nach einem Sessel führte und besorgt nach ihrem Befinden fragte, traten Thränen in ihre Augen.

»Fürchten Sie nicht,« sagte sie sanft lächelnd – »mich allzu glücklich zu machen? Dies Herz mußte auf einem kalten Boden leben lernen – jetzt – beschienen von der Sonne des Glücks, treibt es Keime empor, die es fast überfüllen. Ich kann denken, daß ich an diesen Empfindungen sterben könnte.«

»Claudia!« rief der Graf zärtlich – »müssen Sie mit einem so schmerzlichen Schlusse Ihrer Worte das Glück halb zurücknehmen, was mir der Anfang derselben gab?«

»Ach!« sagte die Fürstin – »so zu sterben – so im vollen Besitz Ihrer Liebe – unberührt vom Leben – von der Einmischung der Welt – vergeben Sie, Lacy, wenn ich träume, es wäre das Höchste, was die arme Claudia erleben könnte!«

»Nein, Claudia!« rief der Graf mit dem heitersten Tone der Liebe – »ich kann Ihre nonnenhafte Schwärmerei nicht theilen. Meine Hoffnungen gehören dem Leben – dem langen Leben mit Ihnen an. Nicht fertig bin ich, wie glücklich auch schon heute, mit meinen Wünschen; ich habe so viel vor, in Alles sind Sie verwebt, überall bedarf ich Sie, und fühle Alles, was ich besitze, erst recht in seinem Werthe, wenn ich denke, daß es Ihnen gehören wird, wie mir. Morgen, Claudia, lege ich Ihnen die Pläne eines geschickten Architekten vor über die Ausschmückung dieses schönen kleinen Palastes; Sie sollen annehmen und verwerfen; Ihnen will ich es, Ihrem Geschmacke verdanken, wenn ich mich hier von allen Schätzen der Kunst und Industrie umgeben sehe. Ich bin sehr reich und habe seit langem wenig gebraucht; es liegen große Revenüen aufgehäuft, die sich sehnen, ihre Verwandlung zu erfahren, in diese einzig werthvollen Schätze, und Sie, theure Claudia, sollen die Zauberin sein, die das todte Metall verwandelt. Dann entwerfen wir unsern Lebensplan – wir müssen vertraut werden mit den Besitzungen, die uns in Böhmen gehören. Nicht wahr, Claudia, wir wollen nicht in vornehmer Kälte am Hofe die Einkünfte verzehren, die uns aus einem unbekannten Besitze zuströmen? An Ort und Stelle wollen wir die Quellen sehen, aus denen unser Wohlstand fließt; wir wollen den Boden und seine Bewohner lieben lernen und ihnen etwas sein – und was wir Gutes in uns tragen, dort ins Leben rufen. Doch eben so wollen wir dem großen Sterne nahe bleiben, der über unserm Vaterlande steht. Maria Theresia muß ich zu meinem Leben rechnen können und eine Zeit des Jahres bringen wir in Wien zu. Und jetzt zu ihr, theure Claudia! und nicht wahr, mit leichtem Herzen!«

Der Blick der Fürstin, mit dem sie sich erhob und ihm ihre Hand reichte, sagte, daß sie seine gelehrige Schülerin gewesen war.


Der Kaiser hatte in einer frühen Morgenstunde dem Erbprinzen von S. in seinem Kabinet eine Audienz zugesagt. Das Gefolge und die Hofchargen hatten Befehl erhalten, im Vorzimmer die Herrschaften zu erwarten.

Der Erbprinz von S. kam aus Italien. Man wußte, daß der Kaiser seine endliche Rückkehr veranlaßt habe. Beide waren seit ihren jüngeren Jahren innig befreundet, und da aus der langen Abwesenheit des Erbprinzen Uebelstände zu erwachsen anfingen, hatte der Kaiser – zur Vermittlung aufgefordert – es übernommen, den Erbprinzen aufmerksam darauf zu machen und seine Rückkehr zu bewirken.

Der Erbprinz war, ohne sein Vaterland zu berühren, nach Wien gekommen, da er selbst sich gegen den Kaiser vertheidigen wollte über die Anschuldigungen, die seiner dort warteten. Er hatte in Folge ihres alten innigen Verhältnisses eine Privat-Audienz vom Kaiser erbeten, und ihm war diese frühe Morgenstunde, die Franz der Erste immer seinen eigenen Angelegenheiten widmete, bestimmt worden.

Die Hofchargen, die den Erbprinzen von S. im Namen des Kaisers bewillkommten, erklärten ihn für einen der schönsten Männer. Er war einige dreißig Jahr, und die kräftigste Gesundheit erhöhte die Schönheit regelmäßiger Gesichtszüge und einer hohen edlen Gestalt. Er trug die österreichische Generals-Uniform, denn er hatte in dem verflossenen Kriege ein bedeutendes Commando gehabt. Sein Ausdruck war, wenn er schwieg, sehr ernst, ja streng; beim Sprechen milderte er sich und verwandelte sich oft in die anziehendste Freundlichkeit; dann blieb nur ein Hauch von Schwermuth, der auf frühen Kummer schließen ließ und ihn nur noch anziehender machte. Er genoß bei Allen, die ihn näher kannten, die höchste Achtung; er flößte eine Liebe und Hingebung ein, die er kaum zu fordern, noch seltner zu erwiedern schien. Seine Tapferkeit, seine Umsicht als Anführer war anerkannt; seine wissenschaftliche Bildung sollte ihn auch in diesem Gebiete auszeichnen.

Als er langsam durch die Vorzimmer ging, Bekannte begrüßte, Fremde sich vorstellen ließ, bezauberte er Alle durch die ruhige Wahrheit und natürliche Würde seines Wesens, die Jeden ehrte und Keinen verletzte, und als sich die Thüren des Kabinets öffneten und man noch Zeit behielt, zu sehn, daß der Kaiser ihn wie einen Bruder umarmte, fand Jeder die Auszeichnung erwünscht und natürlich.

Beide Männer waren gerührt, als sie sich aus den Armen ließen und in die Augen blickten, »Ernst!« sagte Franz der Erste – »vergiß den Kaiser – laß uns hier wenigstens die alten Jugendfreunde sein!«

Der Prinz war tief erschüttert, als er sich ehrfurchtsvoll verbeugte. Sehr verschieden war Beider Vergangenheit gewesen! Weckte die Erinnerung beim Kaiser nur heitre Bilder – schien sie im Prinzen einen Strudel leidenschaftlicher Bewegung aufzuregen. Die Adern der Stirn schwollen ihm und seine Farbe wechselte, obwohl der Mann sichtlich in ihm rang, die Herrschaft zu gewinnen. Mit kaum hörbarer Stimme begann er zu sprechen: »Dies Wohlwollen, diese alten theuren Gefühle, die uns als Jünglinge verbanden – ich scheine sie doppelt nöthig zu haben, und ich zitterte, sie gestört zu finden nach den Bemühungen, die man versucht hat, um mich bei Euer Majestät zu verdächtigen.«

»Darum bist Du ja hier, Ernst!« rief der Kaiser und zog ihn vertraulich zu einem Fenstersitze, von wo aus ihnen ein großartiger Anblick Wiens gestattet war – »darum nimmt Dich zuerst der Freund an und dieser soll erst den Kaiser lehren, was zu thun ihm gebührt. Bist Du damit zufrieden?«

»O!« rief der Prinz, »mein edler, großmüthiger Herr« – – –

»Und Freund! hoffe ich,« setzte der Kaiser hinzu. »Ich weiß, wie Du bist; wie es mir immer zufiel, Dich erst zu erwärmen, ehe unsere Seelen in Fluß kamen. Du bist noch nicht hingebender, wie mir scheint; Dein Antlitz hat traurige Spuren, daß Du noch abgezogener, noch finsterer geworden bist.«

»Ich muß um Vergebung bitten,« sagte der Prinz – »ich hielt mich für stärker, als ich bin. Das Wiedersehen Eurer Majestät überwältigt mein schwer bekämpftes Herz. Ich möchte grade hier wie ein Mensch empfinden können, und das Aufleben so vieler theuren Gefühle erstickt mich – denn sie sind alle der Fluch meines Daseins geworden und hätten mich zum Bösewicht gemacht, wenn Gottes Hand den Unschuldigen nicht beschirmt hätte.«

»Fasse Dich!« sagte der Kaiser nach einer ernsten Pause und zog die Hand des Prinzen von seinem erhitzten Gesicht, »ich habe viel über Dich gehört, aber der Zusammenhang fehlt mir, denn ich konnte leicht fühlen, daß mir nur gesagt ward, was mich zu ihren Zwecken stimmen sollte. Von Dir werde ich Wahrheit hören – und dann gedenke des mächtigen Schutzes, der Dir sicher ist, sowohl von mir, wie von meiner Gemahlin!«

»Ach!« er ist machtlos gegen das unwiderrufliche Elend der Vergangenheit!« rief der Prinz ungestüm. »Er ist machtlos für meine elende Zukunft, denn ich darf das ewig stachelnde Gefühl des erlittenen Unrechts nicht rächen, ich muß dem entschiedensten Verbrechen gegenüber schweigen und darf weder Hülfe suchen noch annehmen, denn – ich habe einen Mann zu schonen, den die Welt meinen Vater nennt!«

»Ernst! mein Freund!« rief der Kaiser erschüttert. – Du bist außer Dir – Du weißt nicht, was Du sprichst!«

»Ich fühle mit Beschämung meine Stimmung,« erwiederte der Prinz, mit großer Anstrengung sich fassend – »sie ist nicht gemacht, das Vertrauen Euer Majestät zu gewinnen und sie ist mir um so schmerzlicher, da sie mich selbst überrascht. Bezähmter hielt ich den Gram in meiner Brust; aber ich erfahre die herbe Lehre, daß die Schmerzen, die wir nicht versöhnen, ihren Stachel behalten; daß sie durch Schweigen und Abwenden zwar zurücktreten – aber alsdann aufs Neue berührt mit vollen Kräften wie Dämonen aus der Tiefe aufspringen.«

»Erzähle mir,« sagte der Kaiser, »erzähle mir Alles, was Du erfahren, seit wir uns trennten; Vertrauen wird Dich ruhiger machen und ich hoffe, Du fühlst nichts in Dir, was sich gegen dies Vertrauen sträubt.«

»Mein gnädigster Herr!« rief der Prinz – »es ist mein ehrlicher wahrhaftiger Wille, so Ihr es erlaubt, mein ganzes Herz vor Eurer Majestät auszuschütten. Ich will die Wahrheit sagen, wo sie meine Fehler darthut, und will sie nicht verschweigen, wo sie die Verbrechen Anderer enthüllt. Dann treffe mich der Tadel, – das Mitleid, weiß ich, kann mir nicht ausbleiben!«

Der Kaiser drückte ihm die Hand und neigte das Haupt, der Prinz begann:

»Eure Majestät kennen meine Jugend, meine Erziehung! Ich hätte sie nicht nöthig zu erwähnen, aber je älter wir werden, je mehr sich die Begebenheiten unsers Lebens hinter uns sammeln, je öfter führt uns unser Nachdenken auf die Zeit hin, die wie der Aufzug auf dem Webstuhl die Fäden anknüpft, durch welche nachher das Webschiff des Lebens fliegt und das Gewebe entstehen läßt, wie der Aufzug es bedingt! – Bei mir lagen rauhe harte Fäden, mit seinen, glänzend weichen, traurig verknüpft – und so ist auch das Gewebe geworden – verzeihen Euer Majestät die Gleichnißrede – so bin auch ich zwischen Böse und Gut herangewachsen, und Gott lasse das Erstere nicht das Stärkere sein. Aber, wenn ich noch beten kann, so ist es, weil das Engelsantlitz meiner Mutter sich vom Himmel zu mir niederbeugt – wenn ich der Jahre gedenke, wo sie meine kleinen Hände in einander legte und mich Gebete lehrte, die noch jetzt in schweren Stunden wie Engel, die sie sendet, zu mir treten – und – ich erröthe nicht, es einzugestehn, wo ich dann diese Kindergebete wieder bete, und wo sie oft viel mit fortnehmen! – Meine unglückliche Mutter war eine Prinzessin aus dem Hause D. Das kleine Fürstenthum hatte wenig Ansprüche zu machen, und es war Hoffnung, daß meine Mutter ihrem Herzen würde folgen können und die Gemahlin des Grafen Lacy werden, den sie, von ihm aufs Heißeste geliebt, wieder liebte. Schon waren durch die geschickten Unterhandlungen eines Freundes und sehr gewandten Advokaten die Hoffnungen Beider der Erfüllung nah, da sah mein Vater, der damalige Erbprinz, meine Mutter bei einem Besuche, den er von Prag aus, wo er mit dem Grafen Lacy und dem Bruder meiner Mutter sich in demselben Erziehungs-Institute befand, von Beiden begleitet an dem D.schen Hofe machte. Er sah die Liebe von Lacy und meiner Mutter! Ja er war im Vertraun – aber er gab sich dessen ungeachtet der wildesten Leidenschaft zu ihr hin. Er bewarb sich trotz seiner großen Jugend um sie, und sein Antrag zeigte so große und unerwartete Vortheile, daß meine Mutter nach langem Widerstreben endlich ihrer Familie das Opfer brachte und, nur ein Jahr jünger als er selbst, die Gemahlin des neunzehnjährigen Prinzen ward. Aber er dankte es ihr nicht! Obwohl Lacy das Vaterland floh und meine Mutter wie eine Heilige lebte, verfolgte doch entehrendes Mißtrauen ihre Schritte – und dieses Mißtrauen traf auch mich! Von Jugend auf hatte ich in dem Vater einen Feind, einen grausamen Verfolger. Als ob bitterer Haß an die Stelle der sonst natürlichen Liebe getreten, so zitterte ich als Knabe bei seinem Anblick und vergalt als Jüngling mit bitterem Trotz das eingeleitete Mißverhältniß. Als die Mutter aus dem martervollen Leben, das sie führte, hinweg genommen ward, blieb ich allein, ohne Trost, ohne Anhalt dem übelwollenden Vater gegenüber. Ihr Tod verhärtete seinen natürlichen Charakter noch mehr; er ward dem armen Lande eine Geißel, und nur wer seinen Leidenschaften diente, konnte um ihn bleiben.

»Erlassen mir Euer Majestät, ein Bild weiter zu vollenden, in welchem ich mit tiefem Schmerze zuletzt doch meinen Vater erkennen müßte. Alles, was ich stumm mit ansah, erregte eine steigende Erbitterung gegen Verfolgung und Willkür in mir, und unverholen sprach ich aus, was in mir gährte. Mir war von der Mutter ein liebebedürftiges Herz gegeben! Ich sehnte mich unaussprechlich nach einem Ruhepunkte, einem Anhalt zur Ausgleichung so vieler Schmerzen. Auch blieb mir Zeit, der eignen Neigung nachzugehn, denn da mein Vater den Geist des Widerspruchs in mir sich rühren sah, da Alles, was ich that, theils von ihm selbst, theils von denen, die ihm gern im Bösen dienten, entstellt ward, folgte eine Art von Verbannung vom Hofe, und ich lebte an anderen Höfen oder auf einem Schlosse unfern der Hauptstadt, wenn diese Reisen ihm noch eine zu große Gunst erschienen. In diese Zeit fällt meine erste unvergeßliche Bekanntschaft mit Franz von Lothringen, die der römische Kaiser nicht vergessen hat!«

»Es waren schöne Jahre!« rief der Kaiser – »und damals besiegte Dein froher Jugendmuth noch die Last, die Du daheim zu tragen hattest. Du ließest mich nicht fremd mit dem Zwiespalt in der Heimat, und wir Alle kannten Deinen Vater; ja! oftmals hatten sich schon Unterthanen-Klagen bis zum Throne meines Schwiegervaters erhoben, und gern sah der Kaiser, daß Du mildere Sitten an seinem Hofe kennen lerntest und in Deinem ganzen Wesen dafür empfänglich warst.«

»Zurückgerufen nach einer so glücklichen Zeit,« nahm der Prinz die Erzählung wieder auf – »mußte ich bei Hofe erscheinen und fand hier einen berühmten Rechtsgelehrten, der als Abgesandter von dem benachbarten Fürsten von Z. gekommen war, um eine Streitigkeit auszugleichen, die meinen Vater schon lange beschäftigte. Sie betraf unbegreiflicher Weise eine gegenseitige Successionsfrage, die mein Vater als höchst wichtig ansah, zu reguliren, und zwar eine Frage, wodurch nach meinem Ableben das Land an Z. überging, da der umgekehrte Fall, wenn auch stipulirt, doch fast nicht anzunehmen war, da der Fürst von Z. zehn blühende Kinder und unter ihnen sechs Söhne hatte. Da ich der einzige Sohn war, blieb die Möglichkeit der Erledigung unserer Seits allerdings wahrscheinlicher, aber gewiß mußte es auffallen, daß ein Fürst, der einen gesunden herangewachsenen Erbprinzen besitzt, mit dem verwandten Hofe Verhandlungen anfängt, die an das Ableben dieses Sohnes erinnern und jener andern Linie den Besitz sichern sollen. »Dieser Abgesandte des Z.schen Hofes war Thomas Thyrnau, der berühmte Rechtsgelehrte, der vielleicht selbst Euer Majestät nicht ganz unbekannt geblieben ist. Sein Name war auch mir nicht fremd. Er kannte meinen Vater, der zur Zeit seiner Jugend mit mehreren vornehmen jungen Adeligen in der noch unter Lobkowitz entstandenen Stiftung des alten Caspar Thyrnau, seines Vaters, einen längeren Aufenthalt zu Prag machte, der dazu bestimmt war, jungen Männern, die später Land und Leute zu erwarten hatten, in den Rechtsstudien und im Staatshaushalte eine belehrende Uebersicht zu geben. Von dieser Zeit datirte sich die Bekanntschaft meines Vaters mit dem Sohne, eben diesem Thomas Thyrnau. Schon mehrere Male waren Beide wieder zusammengetroffen, denn meine unglückliche Mutter hatte diesen Mann auch zu ihren Freunden gezählt, und er hatte ihr bei einem wichtigen Streit, den die Unglückliche gegen meinen Vater führen mußte, um meine Rechte zu schützen, bedeutende Dienste geleistet. Es war derselbe junge Advokat, der Freund ihres früheren Geliebten, des Grafen Lacy, der damals ihre gehoffte Vermählung bei ihren Eltern fast bis zum Abschluß durchgesetzt hatte.

Dessenungeachtet behielt er einen günstigen Einfluß auf meinen Vater, der von ihm noch am meisten geneigt war sich lenken zu lassen, und so wählte ihn denn auch der Fürst von Z. mit ganzer Zustimmung meines Vaters.

»Bis jetzt hatte Thomas Thyrnau mich nur als Kind und in meinen ersten Jugendjahren gesehen. Nun erst sollte er mich kennen lernen. Da mein Vater zur selben Zeit an den heftigsten Gichtanfällen litt, blieb uns zu einem näheren Umgange Muße genug, und dieser Umgang wurde für mein ganzes übriges Leben entscheidend. Er suchte mich über die Folgen der Verhandlungen zu beruhigen, die ihm sehr wenig ersprießlich für den Hof von Z. schienen, und denen blos die Absicht meines Vaters zum Grunde lag, mich zu kränken, und bei meiner erlangten Majorennität mich in eine möglichst größere Abhängigkeit zurückführen. Auch hoffte Thyrnau, mich mit der Prinzessin Therese, der jüngsten Tochter des Fürsten von Z., zu vermählen und schlug mir diese jüngste Tochter vor, die damals noch ein Kind war, um mir durch dies Verlöbniß noch mehrere Jahre der Freiheit zu sichern. »»Ich habe meinem Hofe die Unwahrscheinlichkeit eines zu erringenden Vortheils dargelegt,« sagte er mir, »aber einmal angeregt, sieht derselbe dennoch in dem öffentlich ausgesprochenen Vertrage eine sein Ansehn vermehrende Stellung und wünscht die Unterhandlungen fortzusetzen. Diese werden sich aber sehr in die Länge ziehn und um so mehr, da ich nach dem Wunsche Ihres Vaters bei dieser Gelegenheit einige zweifelhafte Grenzstreitigkeiten untersuchen soll, wozu auch mein Hof seine Zustimmung gegeben hat, da er dies schon als in seinem Interesse liegend ansteht.««

»Diese Verzögerungen bestimmten Thomas Thyrnau, seine Familie nachkommen zu lassen, welche in einer Tochter und einer alten Verwandten bestand. Die Erstere ward bei einem Hoffeste in dem Range als Tochter eines Bevollmächtigten vom Z.´schen Hofe meinem Vater vorgestellt und machte durch ihre ausgezeichnete Schönheit, durch den bezaubernden Ausdruck ihrer Züge und durch ihr ganzes Betragen einen solchen Eindruck auf meinen Vater, daß der alternde Mann für alles Uebrige jede Theilnahme verlor.« – Der Prinz hielt hier ein – heftig hob sich seine Brust – schmerzliche Erinnerungen schienen ihn fast niederzubeugen, und der Kaiser fühlte, er sei an den Punkt gekommen, der dem Leben des Freundes so verhängnißvoll geworden. Nach einer Pause rief der Prinz: Lassen mich Euer Majestät in Sprüngen erzählen – ich kann, ich darf mich nicht in die Einzelnheiten vertiefen, die das Glück und das Elend meines ganzen Lebens geworden sind! Der Sohn und der Vater liebten zugleich denselben Gegenstand. Als es Thomas Thyrnau gewahr wurde, entsagte er dem Glück, die Tochter um sich zu haben – sie verschwand vom Hofe unter dem Vorwande einer nöthigen Krankenpflege im Hause einer Verwandtin. – Mein Vater vertröstete sich mit der Hoffnung ihrer Rückkehr, denn er häufte Ehren und Auszeichnungen auf Thomas Thyrnau und gab die Absicht nicht auf, ihn ganz seinem Staate zu gewinnen, obwol er beständige abschlägige Antworten erhielt und Thomas Thyrnau sich seine volle Unabhängigkeit bewahrte.

Ich suchte und fand die Geliebte. Da ihre strenge Verwandtin nicht mehr bei ihr war, lebte sie mit ihrer Dienerschaft allein in einem Landhause auf der Grenze des Z.´schen Fürstentums. Ich hatte nur einen Gedanken – sie mir für immer zu sichern und sie den unlauteren Plänen meines Vaters zu entziehn! Der Erzieher meiner ersten Jugend, den meine Mutter einst wählte und nur wenige Jahre gegen die Verfolgungen meines Vaters mir zu erhalten vermochte, lebte jetzt im Z.'schen Lande als Geistlicher. Ihn überredete ich, mir nach dem Aufenthalte der Geliebten zu folgen; er und Joseph von Lacy, der Sohn des Mannes, der einst meine Mutter liebte, den ich, von allem andern Verkehr mit der Welt getrennt, doch aus ganz besondern Gründen als einen treuen Freund der Geliebten kennen lernte, waren die Zeugen dieser kirchlichen Einsegnung. Vorläufig folgte sie dem Grafen nach seinem einsamen Gute in Böhmen, und ich suchte ihren Vater zu versöhnen, welcher damals nicht mehr an dem Hofe meines Vaters anwesend war, weshalb ich ihm schriftlich unser Geheimniß entdecken mußte. Es war eine schwere Aufgabe, ihn zu versöhnen, denn gewiß bleibt es, daß er anfänglich an der Rechtlichkeit meiner Gesinnungen, an der Heiligkeit dieser Ehe zweifelte. Als er anfing, ruhiger darüber zu werden, stützte ihn sein Selbstgefühl, denn er hielt die Tochter so hoch, daß er sie jedes Thrones werth geachtet hätte.

Nachdem sie das erste Kind auf dem Gute des Grafen Lacy geboren hatte, ertrug ich die weite Trennung nicht länger. Sie folgte mir nach dem Schlosse, wohin ich zuweilen verbannt ward, und das immer unbeachtet von der ganzen Welt, mir überlassen blieb. Da genoß ich fürs ganze Leben das höchste aber kurze Glück!

Mein Vater hatte nie aufgehört, dem Gegenstande, der ihn so spät entzündet hatte, nachzuspüren, und die Vergeblichkeit seiner Nachforschungen steigerte nur seinen ungestümen Sinn. Er fing an, Thomas Thyrnau zu mißtrauen und wendete sich wieder zu seinen alten Günstlingen. Sie waren nur zu geschickt, ihm zu dienen! Meine Gemahlin hatte mir eine Tochter und dann einen Knaben geboren – da ward ihr Aufenthalt meinem Vater entdeckt, und er erkannte jetzt in dem nie geliebten Sohne den Nebenbuhler. Sein Zorn war ungemessen, aber man hielt die Machtgebote, die ihm die wünschenswerthesten waren, zurück. Man fürchtete den mündigen Erbprinzen. Mein Vater selbst hatte Wahrnehmungen an mir gemacht, die fürchten ließen, ich könne, bei offnem Angriff, offnen Widerstand leisten, und schon war mir die Gnade Eurer Majestät ein Schutz, den man ungern hervor gerufen hätte. So wurden andre Waffen versucht. Ich erhielt Befehl, mich mit der Prinzessin Therese zu vermählen, deren große Jugend man nicht mehr gelten lassen wollte – die ich nie gesehn hatte und aus allen diesen Gründen öffentlich und ganz bestimmt verwarf. Euer Majestät kennen diese Angelegenheit, ich mußte damals auch dem gnädigsten Befehl widerstreben, und meine bestimmte Weigerung überzeugte jetzt den Fürsten, daß ich vermählt sei. Er hatte mich nicht fangen können und hätte dies lieber gethan, als das Weib angreifen, das er nicht vergessen konnte – gegen das er jede Gewaltthat zurückhielt.«

»Da hatte man mit unbegreiflicher List unter die treuen Diener, die meine Gemahlin umgaben, einige andere zu mischen gewußt. Eines Abends lagen meine beiden Kinder nach genossener Milch im Sterben! In derselben Stunde kam ich an – und, wie es immer meine Gewohnheit war, von meinem treuen Arzte begleitet – er erklärte sie für vergiftet – und rettete nur den Knaben, der am wenigsten genossen – mein ältestes blühendes Mädchen erwachte nicht mehr! Meine Gemahlin hatte durch Zufall von der täglichen Speise nicht genossen!«

Der Prinz sprang auf und öffnete das Fenster. Der Kaiser trat zu ihm und faßte ihn in seine Arme. »Ernst!« sagte er dann – »ich bemitleide Dich aus voller Seele – und ich hoffe, Deine Erzählung ist am Ende!«

»Nein! nein!« schrie der Prinz und schlug sich verzweifelt an die Stirn – »sie ist nicht zu Ende! Ich entfloh mit Weib und Kindern nach Böhmen – unter dem Schutz des Grafen Lacy wollte ich sie retten! Er hatte bis dahin von seiner Familie getrennt, noch immer einsam auf einem Schlosse in Böhmen gelebt. Ich fand seine Leiche.«

»Maria Theresia hatte indessen den Thron ihrer Väter bestiegen. Bedrängt von Seiten ihrer treulosen Feinde wüthete der Krieg schon mehrere Jahre und erforderte das Aufgebot aller Mittel! Ehrenvoll und unabweislich riefen mich Euer Majestät zur Armee. In einer kleinen deutschen Landstadt barg ich die trostlose Mutter mit ihren Kindern. Eine Zeit lang erhielt ich nur gute Nachricht – sie hatte mir noch eine Tochter geboren – dann verfiel die Gesundheit der erschütterten Mutter. Während einer kleinen Pause des Krieges, als die Armeen ruhten, nahm ich Urlaub und eilte nach dem Landgute, welches sie später bezogen. Das Haus war verödet – und nur ein alter, an schwerer Krankheit darnieder liegender Diener erzählte mir das Ende. Mein Vater hatte den Aufenthalt meines Weibes entdeckt und war selbst gekommen, sie zu sehen. Was bei dieser Zusammenkunft geschehen, wußte Niemand. Nach acht Tagen war ein Abgeordneter erschienen – er hatte Antwort gefordert, weiter wußte der Greis mir nichts zu sagen. Meine Gemahlin fing an, ihrer ganzen Dienerschaft zu mißtrauen – Tag und Nacht behütete sie ihre Kinder allein – nur von einer geringen Kinderfrau und dem alten Diener unterstützt. Es half ihr nichts. Jetzt haßte mein Vater sie auch, und plötzlich endete sie unter Konvulsionen ihr Dasein – aber als sie verschied, lagen schon meine Kinder vor ihr im Sterben.«

»Entsetzlich! entsetzlich!« rief der Kaiser und verhüllte sein Gesicht. Der Prinz sank zusammen und schien der Erinnerung zu unterliegen.

»Und ihr Vater?« fragte der Kaiser – »Thomas Thyrnau – wo war er?«

»Er war noch immer in Frankreich – er hatte dort Geschäfte, und ich erfuhr nicht, wo er war. Der Krieg trennte gänzlich jede Verbindung – er erfuhr die veränderten Verhältnisse, die er völlig gesichert hielt, erst als Alles verloren war.«

»Es ist genug, um die Seele eines Mannes zu trüben,« sagte der Kaiser mit tiefer Wehmuth. »Armer Ernst, Dein Leben ist früh erschüttert. Doch ermanne Dich! Ich weiß, Du bist mit Deiner Erzählung noch nicht fertig; aber ich begreife schon im Voraus, wie das Verhältniß zu Deinem Vater so schlimm werden konnte.«


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