Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Entscheidungskampf.

Am nächsten Mittage meldete sich der Gurkha Tejbir beim General. Er brachte noch 8 Kulis mit, so daß im ganzen jetzt 20 Kulis hier den Führern der Expedition zur Verfügung standen. Der Dschongpen von Tingri hatte sich sehr diensteifrig gezeigt. Er hatte, damit die Lasten unter der Ungunst der Witterung nicht litten, ein leerstehendes Haus zu deren Unterbringung zur Verfügung gestellt und ebenso für gute Unterkunft und Verpflegung der Kulis und der Trag- und Reittiere gesorgt.

Dennoch war dem Gurkha aufgefallen, was er noch besonders dem General gegenüber betonte, als ob eine Art höhnischen Lächelns die Lippen des Dschongpen bei all seinen Ergebenheitsversicherungen umspielte, und als ob die Kulis mit einer Art Trotz ihm gegenüber auftraten. Der alte Unteroffizier kannte nun einmal die Leute genau und er hatte das Empfinden, als sei etwas nicht in Ordnung.

Zönlund und Kjel wechselten Blicke, als sie diesen Bericht mit anhörten, und letzterer hatte nachher noch lange mit Tejbir zu sprechen.

Das Wetter war inzwischen von Tag zu Tag schlechter geworden. Es stürmte, und aus den Regenböen war erst Hagel und dann Schnee geworden. Letzterer war fein wie Puder, irgendwelche Fußspuren hinterließ er nicht. An einigen Stellen ihrer Forschungsmärsche hatten Kallory und Gerving seltsame Fußspuren entdeckt, die etwas Menschenähnliches an sich hatten. Als zoologisch gebildete Männer wußten sie sofort, daß es sich um Wolfsfährten handelte. Und hier fanden sie die Lösung der alten Sage vom Himalajamenschen. Stets wurde seit Jahrhunderten erzählt, daß oben in den Eiswüsten der ungeheuren Gebirge eine Menschenart hause, die in voller Wildheit, wie Ungeheuer, dort lebe. Wenn sie talabwärts liefen, so schlugen sie über das Gesicht ihre langen Haare herunter, damit niemand ihr Antlitz sähe. Diese uralten Märchen wurden durch die kühnen Hochgebirgssteiger nun für immer nach einwandfreier Auffindung der Wolfsspuren erledigt.

Die Tage schlichen dahin.

»Scheußliche Zeit ist für uns gekommen«, sagte General Russe zu seinen Damen und Herren, als immer und immer wieder Regen- und Schneestürme wechselten, und damit jedes Vorwärtskommen unmöglich wurde. »Ich hatte alles genau berechnet, und jetzt machen uns die Wetterverhältnisse einen Strich durch alles, was wir voraussehen konnten.«

»Wir haben in den nächsten Tagen Mondwechsel,« sagte Zönlund, »und wenn auch viele Wetterkundige dies leugnen, so ist es doch eine alte Erfahrung, die größer ist als alle Wissenschaft, daß das Wetter dabei umschlägt.«

»Haben Sie das einmal praktisch beobachtet, Herr Doktor«, fragte Lady Alice den Arzt.

»Oft genug, meine Lady,« lautete die Erwiderung. »Auf meinen Hochtouren in Norwegen und in den Alpen, auf meinen vielen Jagden und Seereisen habe ich immer und immer diese Wahrnehmung gemacht. Und so hoffe ich auch, daß hier uns das Wetter im letzten Augenblicke zur Hilfe kommt.«

Und siehe da, es war als habe der Arzt ein prophetisches Wort gesprochen, denn nach zwei Tagen klärte sich plötzlich der Himmel auf. Die Luft wurde klar, die Schneefälle hörten auf.

»Wir werden«, sagte der General am dritten Tage nach dem Witterungsumschlage, »heute in der Nacht einen der nahen Gipfel besteigen, der zwischen dem Kama- und Kartatale liegt. Dort müssen wir einen Ausblick auf den Berg haben, dessen Sturm nun unmittelbar bevorsteht.«

Froh folgte die Gesellschaft dem Befehle, und um zwei Uhr nachts verließen die Damen und Herren, in winterliche Bergsteigegewänder gehüllt, die Zelte, um in das Märchenland, wie nachher der General begeistert sagte, hinauszutreten.

Und es war tatsächlich ein Gang in Wunder der Natur, wie nur wenige Auserwählte unter den Sterblichen ihn tun können.

Am wolkenlosen Himmel stand die strahlende Scheibe des Vollmondes, deren Glanz das Dunkel der Nacht in helles Tageslicht verwandelte. Südlich des Lagers stiegen die Europäer – der Gurkha und Kjel halten im Lager zurückbleiben müssen, um dort auf Ordnung zu halten – steil einen 6500 Meter hohen Berg hinan, der über dem Kamatal emporragte. Es war 13° Kälte und tiefste Stille herrschte. Nur das rauschende Wasser der in der Ferne fliehenden Bergströme war der einzige Laut, der das menschliche Ohr traf. Die Täler in Tibet, die mächtige Schlucht des Arun, die Riesenwälder von Nepal, – alle verhüllte sie ein weißes Wolkenmeer. Und aus ihm stiegen die Gipfel der höchsten Berge heraus, als wären sie Inseln in einem Zaubersee. Klar und deutlich standen im Silberglanze des Mondes die Berge da, wie z. B. der hundert Meilen entfernte Kantschindschinga. Fern im Süden, über dem Wunderlande Indien, zuckten ununterbrochen Blitze auf. Russe und seine Begleiter standen jetzt 7000 Meter hoch auf einem scharfen Felsenkamme. Kein Hindernis stand mehr vor ihren Augen. Dann erhob sich in all der unbeschreiblichen Pracht des Sonnenaufganges das Tagesgestirn. Dicht vor den atemlos Schauenden erhob sich, über 8000 Fuß höher als sie, der Mount Everest, überwältigend in seiner ungeheuren Größe. Kalt, grau, todesfarben lag er da, hinter ihm spannte sich ein Himmel von tiefster Purpurfarbe. Plötzlich leuchtete die höchste Spitze in goldigem Blitzen auf, und gleich danach übergoß eine goldige Flut die höchsten Schneehänge und Grate des Bergriesen und ließ ihn so in seiner berückenden Schönheit erscheinen. Der purpurfarbene Hintergrund am Himmel verwandelte sich in leuchtendes Orange.

Der nächste Berg, der die goldenen Sonnenstrahlen auffing, war der Makalu. Höher und höher stieg der leuchtende Ball, der unserem Wandelsterne alles Leben spendet, und immer mehr streckte er seine goldgleißenden Lanzen aus. Jetzt trafen sie auf das weiße, wogende Wolkenmeer, und in allen Farben glühte es auf. Es wallte auf und nieder und langsam schwebten seine mächtigen Wellen gegen die Berggipfel, die wie Inseln aus ihm ragten.

»Das ist ein Anblick«, sagte General Russe von tiefen Schauern der Ehrfurcht vor dem Erhabenen der Natur ergriffen, »der selten einen Menschen gewährt wird. Wer einmal dies sah, kann es nie in seinem Leben vergessen.«

In den nächsten Tagen wurde ein neues Lager angelegt, 6000 Meter hoch, und Vorräte eifrig dorthingeschafft. Die Kulis arbeiteten jetzt wieder mit aller Kraft, denn der Gurkha wußte sie mit höchster Energie zusammenzuhalten. Auch die Damen ließen sich nicht abhalten, ihre Lasten zu tragen und widmeten sich mit dem größten Eifer jeder Arbeit.

Trotz der Höhe blühten an dem Lager noch farbige Blumen, aber eine ekle Zugabe bot der Platz: widerliche Ratten trieben in Menge dort ihr Unwesen. Sie drangen in die Zelte ein, und mit größter Aufmerksamkeit mußten die Vorräte bewacht werden, damit die frechen Unholde sie nicht benagten oder besudelten.

Unheimlich wirkte die ungeheure, schweigende Welt der Riesenalpen auf die Reisenden ein. Die Europäer wußten sich, ebenso wie Tejbir und Kjel, durch rastlose Arbeit über diese düstere Stimmung hinwegzubringen. Die Kulis versagten aber zum Teile völlig. Stumpfsinnig lagen oder hockten sie umher und klagten über Schwindelanfälle und Kopfschmerzen. Es regnete wieder, aber dennoch gelang es Zönlund unter ungeheuren Schwierigkeiten bis zum Lhapka La vorzudringen und dort Proviantlasten niederzulegen. Er wendete hierbei Schneeschuhe an, an die er sowohl wie sein Bursche von Norwegen aus auf das beste eingewöhnt war.

Die beiden Freunde waren indes, unterstützt von den Ladys, bei einer sehr interessanten und wichtigen Arbeit tätig.

Das Wetter war wieder ungünstig geworden: leiser Regen fiel dauernd hernieder. Aber der feine Wasserschleier ließ doch den Blick auf die Spitze des Tschomo-ligma frei, und vor allen Dingen lag der Grad, auf dem der Ansturm vor sich gehen sollte, stets den Blicken frei. Ja, er hob sich bei dem Regen wie ein schwarzer Strich aus den Eisfeldern heraus.

Kallory und Gerving beobachteten ihn nun mittelst des vorzüglichen Fernrohres, über welches die Expedition verfügte, auf das genaueste und suchten seinen Verlauf in flüchtigen Zügen zu Papier zu bringen. Diese einfachen Skizzen wurden von den Ladys dann genau ausgeführt, und so gelang es in einigen Lagen angestrengter Arbeit, eine verhältnismäßig gute Karte des Gebietes anzufertigen. Um das Lager mit den Vorräten, die Zönlund nach dem Passe (La-Paß) vorgeschoben hatte, neu zu versehen und es so als weiteren Rückhalt aufzufüllen, marschierte Tejbir mit 6 Trägern wieder nach Tingri und war zur vorgeschriebenen Zeit mit den Lasten wieder zurück. Besondere Meldungen brachte er nicht mit. –

Jetzt setzte Kälte ein. Fester Schnee war gefallen, die Luft klar. Nun war die Zeit zum Sturm auf den Riesen gekommen!

Der General berief seinen Stab zu einer Beratung, bei der endgültig der Angriffsplan festgelegt werden sollte.

Nach einigen einleitenden Worten des Generals bat Kallory um Gehör und sprach, als ihm das Wort erteilt war, wie folgt:

»Verehrter Herr General! Im Namen meines Freundes Gerving bitte ich, mit ihm zusammen den Sturm eröffnen zu dürfen. Sie selbst, als das Haupt unseres Unternehmens, müssen nach meiner und meines Freundes unmaßgeblichen Ansicht zunächst hier bleiben, im und als Mittelpunkt des ganzen Angriffes. Daß mein Freund Gerving und ich die Ehre uns erbitten, beim Sturme die Ersten zu sein, wird Dr. Zönlund verstehen. Die Expedition geht von unserem geliebten Vaterlande aus. Wir sind mit Stolz Engländer und möchten nun auch an der Spitze kämpfen. Dazu kommt noch, daß wir schon mehrfach hier gekämpft haben, also uns doch eine gewisse Erfahrung im Kampfe mit dem Riesen zur Verfügung steht. Ich bitte nochmals, daß Sie unsere Darlegungen, die vorzutragen ich die Ehre hatte, billigen und genehmigen.«

»Und was leisten Marta und ich?« fiel die lebhafte Alice Wildermoore ein.

»Wenn der Herr General mir erlaubt, ein Wort zu sagen,« sprach Gerving in seiner bescheidenen Weise, »so ist hier für die Ladys eine sehr wichtige Aufgabe zu erfüllen.«

»Bitte, sprechen Sie, lieber Gerving«, erwiderte der General, während die Damen und Zönlund hoch aufhorchten.

»Die Ladys«, fuhr Gerving fort, »sind an die Fernbeobachtung gewöhnt. Sie können uns auf unserem Wege dank des vorzüglichen Fernrohres, das wir bei uns führen, stets im Auge behalten. Wir müssen die Lasten möglichst klein machen, denn unter den Tibetanern haben wir nur wenig Leute, die trotz allen Übens für die Hochtour geeignet sind. Kallory und ich wissen genau, wem wir von den Leuten etwas zumuten können, und wir werden höflichst bitten, daß wir selbst die Kulis aussuchen, die wir mitnehmen.«

»Zugestanden,« sagte Russe lächelnd, »allerdings nur für den Fall, daß die beiden Herren wirklich die Spitze unserer Angriffskolonnen übernehmen. Nun, und was haben Sie mir und unserem wackeren Kameraden Zönlund zugedacht? Ich soll hier, wie Kallory so schön sagte, als Mittelpunkt des Ganzen thronen. Den Ladys ist ihr Posten zugewiesen. Was soll aber Zönlund, der sich so überaus gut bewährt hat, für eine Rolle in dem Entscheidungskampfe spielen?«

Kallory und Gerving wechselten einige Blicke. Dann sprach ersterer sehr ernst:

»Oft erleidet die Vorhut einen Mißerfolg. Dann müssen die Ersatztruppen eingreifen, und sie erfechten den Sieg!«

Russe blickte sinnend vor sich hin. Dann sprach er:

»Sie denken noch immer an die Verschwörung, die Zönlund in Lhasa entdeckte.«

Die beiden Offiziere verneigten sich bejahend, während Lady Heresford sich verfärbte.

»Ja,« fuhr Russe fort, »ein anderer Grund konnte nicht vorliegen, da Sie zu den besten Hochtouristen der Erde gehören. Die Natur müssen Sie beide überwinden, davon bin ich überzeugt.«

»Aber Menschenlist und Tücke auch,« fragte Lady Marta leise.

»Auch die, beste Lady«, entgegnete der General, »Übrigens glaube ich nicht mehr an einen Überfall der Verschworenen. Dazu hätten sie eher und an günstiger gelegenen Plätzen Zeit gehabt. Denken Sie daran, wie sich trotz des gefälschten Briefes die Dschongpen in jeder Weise gefällig benahmen. Vergessen Sie nicht, wie der Dschongpen in Tingri nach Tejbirs Meldung ein besonderes Haus für unsere Lasten zur Verfügung stellte!«

»Ja,« fiel Zönlund ruhig ein, »und wollen Sie, Herr General, daran sich erinnern, daß Tejbir und Kjel meldeten, was sie im Benehmen des Dschongpen von Tingri sowohl wie der Kulis Verändertes und Seltsames beobachtet haben wollen?«

Der General schwieg eine kurze Zeit und sah mit seinen klugen, scharfen Augen wie träumend in die Ferne. Vor seinem geistigen Blicke ging das große Werk, an dem er seit Jahren arbeitete, vorüber. Alles, was er selbst geleistet und gewagt seit der Zeit, als er den Kampf mit dem Riesen aufgenommen hatte, erstand noch einmal wie ein abrollender Film vor ihm.

Schweigend sahen seine Begleiter ihn an. Kein Laut war zu vernehmen.

Dann atmete Russe tief auf und sprach:

»Lieber Zönlund! Erweisen Sie mir den Gefallen und machen Sie nochmals die Runde um unser Zelt, ehe wir zum Schlusse unserer Besprechung kommen. Bitte, stellen Sie Tejbir und Ihren Kjel so am Zelte auf, daß kein Lauscher sich uns nähern kann. Wir wollen, wenn Dr. Zönlund wieder zu uns eintritt, alle Verhandlungen norwegisch pflegen. Denn auch der Gurkha ist ein Inder! Hoffentlich tue ich ihm mit meinem Verdachte, der unwillkürlich jetzt in mir aufsteigt, unrecht. Ich lebe ja der Hoffnung nicht nur, nein, es ist meine Überzeugung, daß unsere Regierung auf meinen Bericht von Lhasa her, der längst in Kalkutta ist, zugepackt und die Verschwörung im Keime erstickt hat. Aber trotzdem können die Herren das Richtige getroffen haben, und ich darf keinen Rat versäumen, der unseren Sieg über den Riesen sichert. Setzen wir also die Beratung aus, bis Dr. Zönlund meine Bitte erfüllt hat und von der Runde um das Zelt zurückkehrt.«

Zönlund erhob sich und verließ nach einer Verbeugung das Zelt.

Still und schweigend saßen die Zurückgebliebenen, jedem war das Mächtige und Gewaltige der Stunde zum vollsten Bewußtsein gekommen. Alle wußten, daß sie jetzt vor einer Stunde standen, in der der Schlag der Uhr der Weltgeschichte hörbar wurde. –

Wenige Minuten vergingen so, während im Beratungszelte stilles, ernstes Schweigen herrschte.

Dann trat Zönlund wieder in das Zelt und meldete:

»Die befohlenen Posten stehen. Am Zelteingange habe ich Tejbir aufgestellt, hinter dem Zelte steht mein Kjel. Wenn er auch wirklich, Herr General, ein norwegisches Wort erlauscht, so trete ich doch voll für ihn ein, denn er ist ein Europäer, ein Weißer, wie wir. Der Gurkha kann an der Tür des Zeltes wohl kaum etwas hören, und – wir sprechen ja norwegisch!«

»Sie haben als kluger und vorsichtiger Offizier gehandelt, lieber Zönlund«, sagte der General. »Nun, meine Damen und Herren, wir sind gegen alle Spione gesichert, und ich kann demgemäß meine Befehle geben!«

Jetzt war er ganz der General, der Führer, der Leiter des ungeheuren Unternehmens. Voll Begeisterung sahen ihm seine Leute in das scharf geschnittene, ausdrucksvolle Antlitz.

Die Minute war da, die den Befehl zum letzten Ansturm auf den Riesen, zum größten naturwissenschaftlichen Wagnis der Erde brachte!

General Russe stand von seinem Stuhle auf. Die anderen Herrschaften erhoben sich gleichfalls. Auf einen Wink des Generals nahmen sie wieder Platz.

»Meine Damen und Herren,« begann der General mit fast feierlicher Stimme, »aus der Sanduhr des Weltalls sind die Körner abgelaufen, die uns die Sekunden anzeigen, welche uns vor die große Aufgabe stellen, deren Lösung unsere Ehrenpflicht ist. Sie, lieber Zönlund, haben sich so treu bewährt, daß ich heute uns hier, wie einst Nelson bei Trafalgar, zurufen kann: England erwartet, daß jeder seine Schuldigkeit tue! Und in diesem Sinne befehle ich als Leiter der Expedition nach reiflicher Erwägung nun, was folgt:

1. Herr Kallory und Gerving brechen morgen auf. Sie nehmen den Gurkha und sechs Träger mit, die Sie selbst aussuchen. Tejbir gebe ich Ihnen nach reiflicher Überlegung mit. Ich kenne ihn von den früheren Expeditionen als unbedingt zuverlässigen Mann, der mit einer unbeschreiblichen Treue an uns hängt. Ferner ist er ein riesenstarker Mensch, der besonders die neuen Sauerstoffapparate mit Leichtigkeit trägt. Ich habe ihn gestern beobachtet, wie er mit Dr. Zönlunds Kjel um die Wette nicht nur vierzylindrige, sondern sogar sechszylindrige Sauerstoffapparate zu tragen suchte. Und es gelang beiden. Sie wissen, meine geehrten Herrschaften, daß der Sauerstoff in diesen Höhen noch nötiger ist, als das Brot. Wir können die Kulis nur mit zweizylindrigen Apparaten ausrüsten. Tejbir muß also Reservelasten tragen. Und er kann es!

2. Die Herren dringen morgen bis zum Tschang La vor. Dort werden sie die erste Nacht zubringen.

3. Am nächsten Tage beginnt der Aufstieg über den Nordostgrad, der zur höchsten Spitze, zum Siege über den Riesen führt. Auf diesem Wege können wir die Herren mit dem Fernrohre verfolgen.

4. Die Lasten müssen auf das allergeringste Maß beschränkt werden. Kleinste Zelte, Schlafsäcke und Lebensmittel müssen mitgeführt werden.

Alles darf aber nur auf das geringste Maß beschränkt werden, wie ich wiederhole!

5. Wir können Sie von hier aus, sobald Sie den Aufstieg über den Nordostgrad beginnen, im Auge behalten. Sobald wir sehen, daß Hindernisse Ihnen in den Weg treten, folge ich Ihnen mit Dr. Zönlund und Kjel nach. Die Damen werden dann als echte Engländerinnen sich selbst hier schützen. Vergessen Sie aber eins nicht: die Thermosflaschen. Denn in der dünnen Luft oben liegt der Siedepunkt so tief, daß Sie, ohne es zu merken, die Hand in siedendes Wasser stecken können.

Wir wollen den Angriff wagen und ein günstiges Geschick gebe Alt-England den Sieg über den Riesen.«

Er gab allen Anwesenden, deren Züge von heiliger Begeisterung leuchteten, die Hände. Dann wurden der Gurkha und Kjel in das Zelt gerufen und beiden ihre Aufgaben für die nächsten Tage mitgeteilt.

Tejbir strahlte vor Freude. Seine schönen, ernsten Züge übergoß eine Flut erhabenen Stolzes. Er sah, daß man ihm unbedingt vertraute. Und wäre die militärische Erziehung nicht gewesen, die bei ihm bis in das Knochenmark hinein gedrungen war, so wäre er dem General zu Füßen gefallen und hätte dessen Hände geküßt.

Kjel stand steif und ernst wie immer da. Als er Dr. Zönlund in den Schlafsack hineinhalf, meinte er:

»Herring, wie sitten hier nich slecht. Awer, dat glöw ick, allto lange nich. Dann möt wie achter an! En gut En'n nimmt dat nich. Gaut is, dat de ol Tejbir bi is. Hei paßt höllschen up. Na, wie möten töwen, wat dorna noch kümmt. Dat segg ick Sei: ick höll de Uhren höllschen stief!«

»Dat is gaud, mien Jünging,« erwiderte der Doktor, »ick paß ok up. Dor kümmt noch wat dorna. Nu slop di god ut!« –

Am anderen Morgen stand zu früher Stunde der Angriffstrupp bereit. Es waren Kallory, Gerving, der Gurkha und sechs erprobte Kulis bereit, den Entscheidungskampf mit dem Riesen aufzunehmen.

Abenteuerlich genug, fast wie Fabelwesen aus einer fremden Welt anzusehen, waren die Leute gekleidet. Pelzkappen, -röcke und -kniehosen bedeckten den Leib, Pelzstiefel, deren Sohlen mit scharfen Stacheln beschlagen waren, schützten die Unterschenkel. Die Schneebrille hütete die Augen vor dem blendenden Glanze des frischgefallenen und in der Sonne wie Silber strahlenden Schnees. Starke Leinen waren aufgerollt um den Leib gewunden, und wie Tornister drückten den Rücken die frischgefüllten Sauerstoffapparate, die Lebensträger in jenen ungeheuren Höhen. Von den Apparaten gingen unter den Armen hindurch auf beiden Seiten Metallringrohre, die fest und dauerhaft, aber dabei beweglich den Sauerstoff in die Maske leiteten, die als Zubringer vor dem Munde befestigt war. So war vom Gesichte der Hochtouristen so gut wie nichts zu sehen. Unförmliche Pelzhandschuhe bedeckten die Hände, und die Rechte war mit dem scharfen, schweren Eispickel ausgerüstet, um, wo es not tat, Stufen in das Eis zu schlagen und sich weiter und höher zu arbeiten, dem Gipfel entgegen. Die Kulis trugen nur einrohrige Sauerstoffapparate, während Kallory und Gerving zweirohrige auf dem Rücken hatten, und der riesige Gurkha ja sogar mit einem vierzylindrigen ausgerüstet war. Die drei letzgenannten waren sogar noch in den Taschen ihrer Pelzjacken mit vorzüglichen Schnelladepistolen und der nötigen Munition versehen. Dr. Zönlund hatte ihnen außerdem verschiedene Medikamente mitgegeben, so daß sie im Notfalle die erste Hilfe leisten konnten. Tejbir trug noch eine zusammengerollte englische Flagge, den Union Jack, das doppelte Rote Kreuz im blauen Felde, um sie auf dem obersten Punkte des herrlichen Berges aufzupflanzen, als Zeichen, daß Großbritannien vom höchsten Punkte des Erdballes Besitz genommen habe.

Die Lasten der Kulis waren auf das geschickteste verteilt, für Ergänzung und Nachschub war auf das beste gesorgt. So war alles geschehen, was in Menschenkräften stand, um den Riesen im nun beginnenden Entscheidungskampfe zu besiegen.

Punkt 10 Uhr vormittags meldete Kallory seine Leute als fertig angetreten. Der General musterte sie kurz, war mit allem Angeordneten einverstanden und sagte dann, indem er seinen Offizieren ernst in die Augen sah:

»Und nun gehen Sie in den Kampf, meine Herren. Und möge das alte Glück der englischen Armee bei Ihnen sein!«

Der Trupp marschierte ab. Herrlich schien die Sonne, ja, sie brannte den Abrückenden geradezu auf die Pelze.

Die Ladys waren in ihr Zelt gegangen. Alice hatte Marta zärtlich umschlungen, die kreidebleich an ihrer Brust lehnte und bitterlich weinte.

Schon nach kurzer Zeit faßte sie sich und sprach zu Alice: »Eine Britin darf sich nicht vergessen, wenn es ihres Vaterlandes Ruhm und Ehre gilt. Vergib, Alice, mir meine Weichheit.«

Die Freundin streichelte ihr blasses Gesicht, drückte einen Kuß auf ihre Stirn und sagte:

»Ich verstehe dich, Marta. Komm an die Arbeit. Sie ist die beste Trösterin.«

Kurze Zeit darauf standen beide am Fernrohre und beobachteten umschichtig den Trupp, der in ziemlich schnellem Marsche vorwärts ging. An der Spitze marschierten die beiden Offiziere, danach kamen die Träger, den Schluß machte der Gurkha.

So konnten sie Stunden hindurch den Zug verfolgen. Zwischendurch nahmen sie die Mahlzeiten ein, für deren Zubereitung Kjel sorgte. Die Nahrungsmittel bestanden jetzt ausschließlich aus Konserven, die heiß gemacht wurden, aus Tee und Hartbrot. Kjel wollte es immer so scheinen, und er machte Zönlund wiederholt darauf aufmerksam, daß die Kulis ein geradezu freches Benehmen zur Schau trügen. Es war gerade so, als wenn nur der riesige Gurkha sie in Zucht gehalten hätte, und als ob nach dessen Weggange sie sich sicher fühlten.

Plötzlich gab ihnen Zönlund einige Befehle in tibetanischer Mundart, was er bis dahin noch nie getan hatte.

Die Kulis zuckten sichtlich erschreckt zusammen, und sahen scheu zu dem Doktor hinüber. Das hatten sie sicher nicht erwartet, daß ihre Mundart einem der Europäer bekannt war.

Zönlund hatte aber den Eindruck, daß die von ihm entdeckte Verschwörung doch noch wirke, und daß der Expedition im letzten Augenblicke vor der Entscheidung der Siegeskranz noch durch Verrat und Hinterlist entrissen würde. Er teilte seine Beobachtungen Russe in der Stille mit, und dieser sah darauf sehr ernst darein. Es wurde beschlossen und sofort von ihm angeordnet, daß Zönlund und Kjel zu ihm für die Nacht in das Zeit ziehen sollten. Einer von ihnen sollte immer zwei Stunden wachen.

Aber es sollte für das kleine Lager eine furchtbare Nacht kommen.

Der Mond ging mit rötlichem Glanze auf. Aber es zogen eilende Wolken an ihm vorüber, phantastisch geformt, wie Ungeheuer einer anderen Welt. In rasender Eile schossen sie dahin. Immer neue seltsame Bilder zogen an dem milden Hirten der Sterne vorüber, dessen sonst so freundliches Bild heute auch anders aussah als sonst, und wie ein grimmiges Götzenantlitz auf die Europäer niedersah.

General Russe, dem die klimatischen und Witterungsverhältnisse des Landes wohl bekannt waren, hatte mit sorgenvollem Blick das Wetter beobachtet.

»Ich fürchte, wir bekommen in der Nacht einen Schneesturm«, sagte er zu Zönlund. »Wir wollen deshalb noch die Zeltbefestigungen so viel wie möglich verstärken.«

Sofort ging es an die Arbeit. Zönlund gab den Tibetanern in ihrer Landessprache die nötigen Befehle, und bald war alles in vollster Tätigkeit. Die Europäer legten selbst mit Hand an, und sogar die beiden Damen halfen mit ihren zarten Händen die Zeltleine fester anziehen und die Zeltpflöcke und -stangen tiefer in den gefrorenen Erdboden eintreiben. Ferner wurde der Lagerplatz möglichst schneefrei gemacht, und die Lasten zu einer Art Wall aufgehäuft. Da jetzt weit mehr Lasten als Kulis da waren, konnten diese ihr Zelt durch Anbau an die Lasten noch verstärken.

Diese Arbeiten waren mit größter Schnelligkeit ausgeführt worden, und es sollte sich bald zeigen, wie nötig die Vorsichtsmaßregeln des Generals gewesen waren.

Kjel hatte als erster etwa um 9 Uhr abends die Wache übernommen. Er umschritt das kleine Lager und beobachtete als alter Seemann aufmerksam den Nachthimmel. Der Mond war verschwunden, ein ungeheures Wolkenmeer bedeckte den ganzen Himmelsbogen. Die mächtigen Berge erschienen als düstere Schatten, die Spitze des heiligen Berges mit seinen drei Graten war nicht zu erkennen. Nach kurzer Zeit machte der Sturm sich auf, und tobend raste die Windsbraut daher und machte sich an den Zelten zu schaffen. Heulende, pfeifende Töne gellten, als sei eine trunkene Musikbande der Hölle losgelassen und spiele den Dienern des Fürsten aller Schlechtigkeit zum Tanze auf. Kjel sah, wie der Sturm immer stärker wurde. Schon fielen einzelne Schneeflocken, bald war das Gewirbel des Schneesturmes da. Jetzt hielt er die Stunde für gekommen, den General zu wecken. Dieser war sofort aufgesprungen, sah zum Zelte heraus und befahl, das Lager zu alarmieren.

Im Nu war alles auf den Beinen. Auch die Ladys kamen, in lange Pelze gehüllt, zum General, der vor seinem Zelte stand und in das furchtbare Tosen der Natur herausschaute.

Der Schnee fiel in solchen Massen, daß man nicht einen Meter weit sehen konnte. Die Kulis hockten eng zusammengedrängt unter ihrem Zelte. Zönlund gab ihnen den Befehl, die Schneemassen, die in kürzester Frist herunterstürzten, unten an die Zeltwände heranzuschieben und diese, indem so eine Art kleiner Wälle um sie angelegt wurde, noch fester gegen die Angriffe des Sturmes zu machen. Voll Angst vor dem Wüten der entfesselten Elemente arbeiteten die Kulis. Aber so recht wollte das Werk nicht vorwärts gehen, bis Kjel plötzlich eingriff.

Er hatte einige der Kommandoworte des Gurkhas sich gemerkt und mit diesen donnerte er plötzlich die entsetzten Kulis an. Die abergläubischen Menschen glaubten an Zauber und Spuk. Etwas Derartiges hatten sie nie erwartet, und so beugten sie sich willenlos der Macht, die offenbar stärker war als sie.

Die Stunden gingen schnell vorüber, denn das Toben der Natur schlug all die Menschen, die davon umgeben waren, unwiderstehlich in ihren Bann. Etwa um 3 Uhr nachts hatte Russe etwas warme Milchkonservensuppe kochen und sie an alle verteilen lassen. Die Labung wurde dankbar entgegen genommen. Noch immer stieg das Wüten des Sturmes, und gewaltige Schneemassen stürzten herab. Der Sturm häufte sie zu wahren Bergen. Wie Sanddünen am Strande der Ostsee türmten die Schneemassen sich auf. Das kleine Lager schien geradezu in ihnen zu versinken.

Und bei den Europäern tauchte immer wieder eine Frage auf, die bis jetzt niemand aussprach, die aber in den Augen und den sorgenvollen Zügen der Damen und Herren und auch in denen des sonst stets ruhigen Kjels zu lesen war.

Und diese Frage hieß: »Wie werden unsere Kameraden, die aus dem Marsche sind, diese Nacht überstehen?« – –

Weiter tobte der Schneesturm; beispiellos war seine Heftigkeit.

Am frühen Morgen, gegen 5 Uhr, gelang es ihm, das kleine Zelt der Damen zu zerreißen und die Zeltbahnen weit weg, in die Lüfte zu führen. Die wertvollen Instrumente, Aufzeichnungen und das Gepäck wurden geborgen, und die Damen selbst fanden im Herrenzelte Unterkunft, während Russe, Zönlund und Kjel aus ihren Schlafsäcken beim Lager der Kulis sich eine Art Schutzwand zu bauen suchten.

Es war 6 Uhr morgens, als plötzlich der Schneefall nachließ. Der Sturm wurde geringer, es schien, als habe das größte Wüten der Natur ausgetobt. Wieder verging eine Stunde. Statt des Schnees fiel Regen, mit Hagel gemischt. Knatternd und prasselnd schlug er wie Maschinengewehrfeuer gegen die Zeltwand. Die Hagelkörner waren bohnen- bis taubeneigroß, und wer von ihnen getroffen wurde, hatte schmerzhafte Stellen da, wo sie hinschlugen. Ihre Größe und Härte waren ein Beweis für die starke Kälte noch in den oberen Luftschichten.

Aber allmählich ließ der eisige Sturmwind nach. Das Tagesgrauen brachte eine Aufklärung am Himmel, die ungeheuren Wolkenmassen zerrissen. Wieder ein paar Stunden später stand wie eine blecherne Scheibe, glanz- und glutlos die Sonne am Himmel. Es regnete und schneite nicht mehr, der Sturm war zum sanften Winde geworden, die Luft war wohl kalt, aber dennoch verhältnismäßig weich.

Der General hatte ein warmes Frühstück bereiten lassen, denen alle, auch die sehr erschöpften Ladys, tüchtig zusprachen. Übrigens fand sich nicht allzu weit von dem Lagerplatze an einigen Klippen das vom Sturme entführte Zelt der Damen, und unter Kjels Leitung wurde es bald wieder, so gut es ging, errichtet. Die Befestigungen wurden in jeder nur denklichen Weise verbessert, und man durfte hoffen, wieder für eine neue Abwehrschlacht des Tschomo-lugma gerüstet zu sein.

Wie aber hatte der erste Angriffstrupp, der keine Zelte bei sich hatte, die Nacht verbracht?

Diese Frage stand bang auf den Gesichtern der Europäer. Lebten die Freunde, oder waren sie in den furchtbaren Schrecken der Nacht zugrunde gegangen? Hatte der geheimnisvolle Berg seine ersten Angreifer getötet?

Keiner konnte die Frage beantworten.

Inzwischen war es 11 Uhr vormittags geworden. Das Wetter hatte sich völlig aufgeklärt, nirgends mehr war Nebel, man sah deutlich die Grate, die als schwarze Striche aus dem blendendweißen, schneebedeckten Gipfel des Bergriesen hervorleuchteten.

»Wir können den Versuch machen, mit dem Fernrohr zu beobachten. Vielleicht sind unsere Freunde erhalten und schon beim weiteren Aufstiege.«

Mit wahrem Jubel wurde der Vorschlag des Generals, der gleichzeitig ein Befehl war, aufgenommen, und in kürzester Zeit war das Fernrohr aufgestellt. Lady Heresford zeigte hierbei besonderen Eifer und sie war auch die erste, die das Instrument mit größter Gewandtheit auf den Nordostgrat eingestellt hatte.

Die Luft war, wie es sich bald herausstellte, zur Beobachtung völlig geeignet. Der Grat zeigte sich als breites schwarzes Band im Fernrohre und jeder Punkt ließ sich mit größter Deutlichkeit genau erkennen.

Umschichtig wurde die Beobachtung durchgeführt, indem die Herrschaften sich untereinander ablösten. Viertelstunde um Viertelstunde verrann. Höhnisch grinsend kauerten die Kulis in der Schutzhütte, die sie sich aus Schneeblöcken, den Lasten und Zeltbahnen errichtet halten. Für sie stand es fest, und Zönlund hatte dies auch aus hingeworfenen Bemerkungen der Leute gehört, daß sie davon überzeugt waren, die »Mutter der Erde« habe sich gewehrt und den Angriff abgeschlagen. Daß ihre Volksgenossen dabei zugrunde gegangen seien, kümmerte sie nicht. Sie waren nur Opfer für die große Sache der Freiheit. Wenn nur die verhaßten Engländer und der noch mehr gehaßte, ja verabscheute Gurkha den Tod fanden! War doch letzterer für die Kulis ein Abtrünniger und Verräter ärgster Sorte!

Die Viertelstunden schlichen dahin, nichts zeigte sich im Bilde des Fernrohres. Es war ½12 Uhr mittags geworden. Lady Marta hatte den Platz am Fernrohre wieder eingenommen und beobachtete. Sie war die Geübteste des ganzen Expeditionsstabes in dieser Arbeit, zu der vor allen Dingen höchste Ruhe und ein sehr sicheres Auge gehörten. Über beides verfügte die Lady im reichsten Maße.

Wie eine Bildsäule stand sie am Fernrohre und beobachtete. Plötzlich belebten sich ihre wie aus Marmor gemeißelten Gesichtszüge, noch einige Schraubendrehungen am Apparate, dann rief sie, die sonst so stille, ernste Dame:

»Ich sehe die Freunde! Sie klimmen den Grat empor! O, bitte, General, sehen Sie selbst zu. Kallory und Gerving gehen voran, dann folgen die Kulis, den Schluß bildet Tejbir!«

Wie ein Jubelschrei hatte die Lady diese Worte herausgestoßen. Die Dame schien völlig verändert, eine große, innige Freude erfüllte offenbar ihr ganzes Wesen.

Sofort auf den Anruf war Russe zu dem Fernrohr gesprungen und sah aufmerksam hindurch. Seine Getreuen umgaben ihn. Die Kuli, so beobachtete Zönlund, erschienen sehr aufgeregt und sprachen eifrig durcheinander. Einige, die Englisch verstanden, hatten den Ruf der Lady gehört. Einer aber von ihnen, der älteste, sprach beruhigend auf die Leute ein. Zönlund hörte deutlich, während die anderen Herrschaften mit dem Fernrohre beschäftigt waren:

»Wenn Tschomo-lugma sich nicht allein wehrt, helfen ihr die Diener des Unsagbaren!« –

Wieder und wieder sahen die Herrschaften durch das Fernrohr. «Jeder hatte jetzt wiederholt den Sturmtrupp gesehen, und mit Freuden beobachtet, wie die kühnen Bergsteiger sich ohne Aufenthalt ihrem Ziele näherten.

Selbst der gute Kjel hatte auf Zönlunds Bitten durch das Fernrohr sehen dürfen und hatte voll Freude das ganze Bild überblickt. In seinem Eifer sprach er zu Zönlund:

»Kiek eins, wat oll Tejbir vor Schritte nimmt. Na, ick seg' man, dei klümt baben rup!«

Nochmals musterte der General aufmerksam durch das Fernrohr die Bergsteiger. Er nickte zufrieden. Dann wandte er sich zu seinen Getreuen. Eine hehre Freude verschönte seine ernsten Züge, wie köstlicher Sonnenglanz eine mächtige Felsenlandschaft belebend bestrahlt. Dann reckte er stolz seine mächtige Gestalt empor und sprach feierlich:

»Wir stehen vor Gewaltigem! Ein weltgeschichtlicher Augenblick scheint uns nahe zu sein. Nach menschlichem Ermessen wird der Riese diesmal im Kampfe besiegt!«


 << zurück weiter >>