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XVI. Verbesserung der Mittel. Physiologische Seite der Technik. Blendungswirkungen. Objektive Darstellung subjektiver Erscheinungen. Nachbilder. Ausblicke auf geschichtliche Tatsachen. Der fleckige Himmel

Lieber Freund!

Es ist zweifellos richtig, dass man auch mit unvollkommenen Mitteln Bilder schaffen kann, deren Wirkung auch als Darstellung der Wirklichkeit, des Lichtes und der Luft in der Landschaft etwa, sehr gross ist. Ihre Frage, ob alsdann die Mühe um die Verbesserung der Mittel nicht überflüssig sei, muss ich allerdings verneinen. Schon die Tatsache, dass die meisten grossen Maler, und insbesondere solche, welche weitgehende optische Wirkungen in ihren Bildern hervorzubringen gewusst haben, sich sehr eingehend um die Verbesserung ihrer Mittel gekümmert haben, beweist die wirkliche Bedeutung derselben. Aber man wird auch ganz allgemein sagen können, dass wenn ein Mann schon mit geringen Mitteln Erhebliches leisten kann, er mit besseren Mitteln entsprechend weiter kommen wird.

Dass die besseren Mittel aber nicht in jedermanns Hand auch schönere Kunstwerke ergeben, liegt natürlich daran, dass auch die besten Mittel nichts helfen, wenn man sie nicht zweckmässig verwendet. Der Maler hat nun allen Grund, sich über die Wirkungen, die er mit seinen Mitteln erreichen kann, klar zu werden, denn wie ich Ihnen früher dargelegt habe, übertrifft der Umfang der Lichtreihe in der Natur bei weitem den, welcher dem Maler zur Verfügung steht. Wenn dieser also helle Lichterscheinungen zu malen hat, so sieht die Aufgabe anfangs nahezu hoffnungslos aus. Betrachtet man aber andererseits gewisse Bilder, die mit Benutzung der erforderlichen Kenntnisse und Geschicklichkeiten auf einen derartigen Effekt gemalt sind, so erstaunt man über die blendende Wirkung, die der Maler mit seinem schwachen gemalten Licht hervorzubringen weiss.

In meinem Zimmer hangt an der hellsten Stelle eine Landschaft von Jespersen, den Sonnenuntergang über einer Heide darstellend. Die Sonne ist ziemlich tief am Horizont, aber noch nicht von Nebeln bedeckt; am Himmel befinden sich verstreute Wölkchen. Beim Betrachten des Bildes empfindet man ein ganz ähnliches Gefühl der Blendung, das die Betrachtung der wirklichen Sonne in dem dargestellten Zustande, wo man sie eben ansehen darf, hervorrufen wurde. Dabei ist die Sonne nicht einmal mit dem allerhellsten Weiss gemalt, sondern gelblich; in der Mitte befindet sich, wie man bei genauerem Zusehen erkennt, ein violettrötlicher Fleck; auch hat der Maler auf pastosen Auftrag verzichtet. Es ist also mit mässigen Mitteln ein ähnlicher Eindruck erreicht, den die unverhältnismässig viel grösseren Helligkeitsunterschiede der Wirklichkeit hervorbringen.

Analysiert man die Hilfsmittel im einzelnen, so ergeben sich folgende Besonderheiten. Die Heide und der Himmel sind in der Nähe der Sonne viel heller, als sonst gemalt; unmittelbar unter der Sonne ist der Horizont fast ebenso hell, wie der Himmel und die Sonne. Bei der wirklichen Erscheinung hat man den gleichen Eindruck; es rührt dies von der Überstrahlung oder Irradiation her. Dies ist eine Eigenschaft unseres Auges, vermöge deren sich jedes helle Gebiet scheinbar über die angrenzenden Dunkelheiten hinaus verbreitet, und zwar umso mehr, je grösser der Helligkeitsunterschied ist. Hier ist er sehr gross, der Maler hat dementsprechend ein sehr weites Überstrahlungsgebiet gemalt. Man könnte einwenden, dass diese Überstrahlung im Bilde durch dieselben Mittel hervorgebracht werden müsste, wie in der Natur, nämlich durch Nebeneinandersetzen von Hell und Dunkel. Hier aber findet der Maler seine sehr enge Grenze an dem viel zu geringen Helligkeitsunterschied seiner äussersten Farbstoffe: sein bestes Weiss neben seinem besten Schwarz gibt nur eine sehr unbedeutende Überstrahlung, die mit der der Sonne gegen den Horizont gar nicht zu vergleichen ist. Deshalb hat er sich dadurch geholfen, dass er die Erscheinung, die in Wirklichkeit nur subjektiv im Auge des Beschauers entsteht, objektiv in sein Bild gemalt hat. Indem er dadurch im Auge einen ähnlichen Zustand hervorruft, als finde eine tatsächliche Überstrahlung statt, bewirkt er bei dem Beschauer die Empfindung der blendenden Helligkeit, die erfahrungsgemäss die Ursache einer Überstrahlung ist.

Hiermit ist ein ungeheuer wichtiges und der mannigfaltigsten Anwendungen fähiges Prinzip ausgesprochen, von dem die Künstler unbewusst oder bewusst beständig Anwendung machen: man malt die subjektiven Nebenerscheinungen der Lichtwirkung ins Bild, um den Eindruck zu erwecken, als wären deren objektive Ursachen vorhanden. Auf dem beschriebenen Bilde finden sich noch mehrere Anwendungen des gleichen Prinzips. Jener rötliche Fleck in der Mitte der Sonne vertritt die Tatsache, dass die Mitte unseres Gesichtsfeldes eine etwas weniger lichtempfindliche Stelle enthält, als ihre nächste Umgebung ist. Dieser Umstand kommt beim gewöhnlichen Gebrauch des Auges gar nicht zur Empfindung, wohl aber bei der Blendung, und darum hat ihn der Maler auch nur in die Sonne gemalt.

Das Verschmitzteste ist aber folgender Umstand. Wenn man in die Sonne gesehen hat, so behält man im Auge während einiger Zeit das Nachbild der Sonne, das durch eine Reihe von ziemlich lebhaften Farben »abklingt«. Und zwar erscheint dies Nachbild, das in einer Veränderung des Augenhintergrundes an der Stelle, wo die Blendung stattgefunden hatte, besteht, überall dort, wohin man den Blick richtet, es ist also mit dem Auge beweglich. Der Maler hat nun derartige farbige Nachbilder der Sonne an verschiedene Stellen seines Bildes gesetzt und ist dabei so vorsichtig verfahren, dass man die farbigen Flecken als solche nicht unmittelbar empfindet, sondern erst beim genaueren Zusehen unterscheiden kann. Demgemäss bemerkt der unvorbereitete Zuschauer überhaupt nicht, dass der Maler die Nachbilder hingemalt hat; er hat nur in seinem Auge, das auf irgend welchen anderen Stellen des Bildes ruht, die gleiche farbige Erscheinung, als hatte er das Nachbild der Sonne im Auge, und da er diese Empfindung wiederfindet, wenn er seinen Blick auf andere Stellen des Bildes richtet, so gesellt sich dazu der Eindruck, dass dies Nachbild mit dem Blicke wandert, gerade wie ein richtiges Nachbild. Da er derartiges nur von der Blendung des Auges durch grosse Lichtunterschiede herkennt, so wird alsbald der Eindruck bewirkt, solche Helligkeitsunterschiede seien tatsachlich vorhanden.

Es ist sehr zu beachten, dass der Blendungseindruck dieses Bildes auf den Unvorbereiteten sehr gross ist; er verschwindet aber ein wenig, wenn man die Mittel genauer untersucht hat und ist bei mir, der ich dies oft getan habe, bereits ziemlich viel geringer geworden, als er anfangs war. Dies ist ein natürlicher und unvermeidlicher Vorgang, der ein grosses Licht auf gewisse geschichtlich beglaubigte Tatsachen wirft, die uns sonst schwer verständlich sind. Solange der Beschauer nur solche Nachbilder kennt, die durch eine wirkliche Blendung entstehen, müssen die gemalten, von deren Existenz er noch keine Erfahrung hat, ausserordentlich überzeugend wirken, indem sie ihm das Vorhandensein einer wirklichen Blendung suggerieren. In dem Masse, als er aber lernt, dass es auch gemalte Nachbilder gibt, wird der Schluss von den Nachbildern auf die Blendung immer weniger bindend und die Wirkung schwächt sich ab. Diesen eben geschilderten Vorteil der unwiderstehlichen Suggestion hat offenbar ein jeder Maler, der als erster eine derartige Nachahmung der Natur entdeckt und anzuwenden weiss. Der Beschauer, der diese Verhältnisse nicht kennt, unterliegt der Suggestion um so sicherer, je weiter abliegend vom Gewohnten die neue Erwerbung ist, während die späteren Beschauer, denen das neue Mittel durch vielfache Anwendungen, die sie in Bildern gesehen haben, geläufig geworden ist, von jener zwingenden Suggestion nichts mehr empfinden. So erklären sich die enthusiastischen Berichte aus dem Altertum über die ausserordentliche Natürlichkeit der von den damaligen Malern erreichten Wirkungen, während wir nach dem, was wir von jenen Malereien wissen, sie zwar vermutlich nach anderen Seiten sehr schön, aber nichts weniger als naturalistisch hervorragend finden wurden. Neulich wurde ich von einem Freunde gefragt, wie die zeitgenössischen Berichte über die ausserordentliche Natürlichkeit der Landschaften Giottos zu erklären seien, da doch, wie der Augenschein lehrt, diese Landschaften für uns von einer kindlichen Hilflosigkeit in der Auffassung und Darstellung sind. Die Antwort ist eben, dass jene Zeitgenossen neben den Gesichtseindrücken der wirklichen Natur ähnliche, durch Kunst hervorgebrachte nicht kannten und daher von der Annäherung, die Giotto als erster erreicht hatte, in derselben Weise suggestiv beeinflusst wurden, wie der heutige Beschauer von dem scharfsinnigen Nachbildermaler Jespersen.

Was ich Ihnen hier für die Blendungserscheinungen entwickelt habe, gilt natürlich allgemein von allen subjektiv empfundenen Wirkungen des äusseren Lichtes auf das Auge. Um Ihnen noch ein anderes Beispiel vorzuführen und Ihnen dadurch die ganz ausserordentliche Allgemeinheit und Fruchtbarkeit dieses Prinzips zu zeigen, will ich noch einen Fall erörtern, den des fleckigen Himmels. Seit einer nicht grossen Anzahl von Jahren fühlte ich mich durch eine dumme Manier, den Himmel zu malen, geärgert: sie bestand darin, dass man verschiedene blaue und rötliche grobe Striche kreuzweise nebeneinander setzte. Da ich den Himmel niemals so gesehen hatte, betrachtete ich die Sache als eine (sehr verbreitete) Mode, bis ich einmal auf ein Bild stiess, in welchem dies Prinzip sachgemäss und nicht äusserlich mechanisch benutzt worden war. Hier waren die beiden Farbtöne, ein grünblauer und ein rötlichvioletter, sorgfältig so gegeneinander abgestimmt, dass ihre Helligkeit gleich war und ihre gegenseitigen Grenzen dadurch sich nur sehr schwer erkennen liessen. Wenn man eine derart behandelte Fläche betrachtet, so weiss man nicht recht, auf welche von beiden Farben man das Auge einstellen soll, denn da das Auge nicht vollständig achromatisch ist, so braucht es für verschiedene Farben eine etwas verschiedene Einstellung. Eine ähnliche Unsicherheit empfindet man, wenn man in den ganz klaren Himmel schaut, in dessen Tiefe sich kein Gegenstand befindet, der vermöge seiner bestimmten Entfernung eine bestimmte Einstellung der Augen veranlasst, und daher rührt die Tiefenwirkung jenes gemalten Himmels.

Mit diesen Betrachtungen sind wir nun in ein neues Gebiet der Technik eingetreten, denn wir haben es nicht mehr mit dem Malmaterial an sich zu tun, sondern mit der Verwendung, die es zur Erzeugung bestimmter Wirkungen findet. Allerdings ist dies neue Gebiet mit dem früheren durch stetige Übergänge verbunden, denn Farbstoff und Bindemittel, Deckung und Lasur sind ja auch nur Mittel, von der Bildfläche aus im Auge des Beschauers einen Eindruck hervorzubringen, der dem der natürlichen Erscheinung nahekommt. Der Unterschied liegt nur in der zunehmenden Verwicklung und Vermannigfaltigung der Erscheinung. War es bisher nur die Farbe selbst ohne Rücksicht auf ihre Begrenzung und gegenseitige optische Beeinflussung, die wir betrachtet haben, so sind nunmehr die Übereinstimmungen und Verschiedenheiten zur Sprache gekommen, welche diese Farben in ihrer Wirkung auf das Auge im Vergleich zu der natürlichen Erscheinung zeigen.


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