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V. Theoretisches. Decken der Farbstoffe, beruhend auf Spiegelung und Lichtbrechung. Einfluss des Mittels

Lieber Freund!

Ihr Herr Kollege hat zu früh triumphiert. Es ist allerdings vollkommen richtig, dass meine letzten Briefe ausschliesslich praktische Anweisungen und Rezepte geben. Ich habe aber theoretische Erläuterungen nicht deshalb vermieden, weil ich sie nicht zu geben wüsste, sondern weil mir daran lag, Leser wie Ihr Herr Kollege einer ist, davon zu überzeugen, dass theoretische Kenntnisse kein Hindernis für die Ausarbeitung praktischer Vorschriften sind. Ich muss im Gegenteil betonen, dass alle meine Anweisungen auf theoretischen Grundlagen beruhen, ja, dass ich die einzelnen Seiten des Verfahrens nach theoretischen Überlegungen aufgesucht und verbessert habe, und zum Nachweise hiervon will ich die Einzelheiten unter allgemeinen Gesichtspunkten nochmals erörtern.

Wir beginnen mit der Tatsache, dass die Pastellfarbe deckende Eigenschaften hat, d. h. dass ein Auftrag von Pastellfarbe die darunter liegende Farbe, sei es des Grundes, sei es eines früheren Auftrages von Farbstoff, mehr oder weniger vollständig zudeckt, so dass nur oder fast nur die oberhalb liegende Farbschicht das Aussehen der Stelle bestimmt. Die Theorie des »Deckens« ist von grösster Wichtigkeit für die Beurteilung der meisten Verhältnisse in der Malerei, auch bei anderen Techniken, und ich erbitte mir daher für sie alle Ihre Aufmerksamkeit. Zunächst seien die Erscheinungen bei weissen Farbstoffen erklärt.

Alle weissen Farbstoffe, also auch die Schlemmkreide, bestehen aus sehr kleinen Körnchen eines Stoffes, welcher an sich farblos und durchsichtig ist. Dass farblos durchsichtige Stoffe durch feine Zerteilung undurchsichtig weiss werden, ist eine sehr leicht zu beobachtende Tatsache. Schnee besteht aus Kriställchen des durchsichtigen Eises, der weisse Schaum der Meereswogen besteht aus Blättchen durchsichtigen Wassers. Doch ist die feine Zerteilung nicht allein die Ursache der weissen Farbe, sondern daneben ist notwendig die gleichzeitig vorhandene häufige Abwechslung zwischen zwei farblosen Stoffen von sehr verschiedener Lichtbrechung, wie Eis, bezw. Wasser und Luft. Mischt man z. B. Glaspulver, welches aus gleichem Grunde weiss und »deckend« ist, mit einem Stoffe von annähernd gleicher Lichtbrechung, wie Terpentinöl, so erhalt man ein fast durchsichtiges Gemenge, welches nicht mehr deckt.

Die Ursache dieser Verschiedenheiten liegt in der Spiegelung oder Zurückwerfung des Lichtes. Um selbst zu sehen, um was es sich hierbei handelt, nehmen Sie eine gewöhnliche farblose Glastafel zur Hand und beobachten Sie die nachfolgenden Erscheinungen:

Wenn Sie dem Fenster den Rücken wenden und die Glasplatte aufrecht und etwas seitlich halten, so werden Sie bald ein Spiegelbild des Fensters erblicken, das von der vorderen Oberfläche des Glases zurückgeworfen wird. Dieses Bild ist nicht so hell, wie eines in einem wirklichen Spiegel, und Sie erkennen daraus, dass nicht alles Licht von der Oberfläche des Glases zurückgeworfen wird. Ein Teil dringt auch in das Innere des Glases, denn bei einiger Aufmerksamkeit werden Sie auch ein zweites, gegen das erste ein wenig verschobenes Spiegelbild des Fensters erblicken, welches noch schwächer ist. Dies entsteht durch das Licht, welches in das Glas eingedrungen und an der hinteren Fläche des Glases zurückgeworfen ist. Indessen ist auch dort, wo die beiden Spiegelbilder übereinander liegen, das Bild lange nicht so hell wie in einem wirklichen Spiegel, und daraus folgt, dass ausserdem noch ein Teil des Lichtes durch das Glas gegangen ist. Dass dieser Teil sogar der grösste ist, erkennen Sie, wenn Sie sich dem Fenster zuwenden und die Glasscheibe zwischen das Auge und das Fenster bringen: der von der Glasscheibe optisch bedeckte Teil des Fensters ist nur wenig dunkler als der freie.

Nehmen Sie nun statt der einen Glasscheibe einen ganzen Stoss aufeinander liegender Scheiben, so werden Sie leicht erkennen, dass das gespiegelte Licht stärker, das durchgelassene demgemäss schwächer wird. Die Spiegelung in einem solchen Stoss, namentlich wenn die einzelnen Scheiben recht dünn und klar sind, gewinnt einen »metallischen« Charakter, d. h. das Licht wird bedeutend vollständiger zurückgeworfen. Dies ist leicht zu verstehen, denn von dem Lichte, das durch die erste Scheibe gegangen ist, wird ein Teil von der zweiten zurückgeworfen, und die dritte tut das gleiche mit dem noch weitergegangenen. Je mehr Scheiben übereinander liegen, um so mehr Licht wird also zurückgeworfen und um so weniger kann durchgehen. Schliesslich kann man sich vorstellen, dass, wenn das vorhandene Glas in unbegrenzt viele, unbegrenzt dünne Platten gespalten würde, gar kein Licht mehr durch könnte, weil alles zurückgeworfen wird. Man kann dies nahezu erreichen, wenn man ein klares Stückchen Glimmer stark erhitzt. Hierbei springt das Mineral in zahllose dünne Blättchen, die locker aneinander haften, und man erhält eine silberartig aussehende Platte, die sehr stark das Licht zurückwirft, aber keines mehr durchlässt.

Nun machen Sie aber einen Hauptversuch. Teilen Sie Ihren Stoss Glasplatten in zwei gleiche Hälften und legen Sie die Platten der einen Hälfte aufeinander, nachdem Sie jede von ihnen mit Wasser benetzt haben. In diesem Stosse werden also die einzelnen Platten voneinander nicht durch Luft, sondern durch Wasser getrennt sein. Sie sehen auf den ersten Blick, dass der nasse Stoss viel mehr Licht durchlässt und viel weniger spiegelt als der trockene. Damit ist vergleichbar, dass nasse Kreide viel dunkler aussieht und viel schlechter deckt als trockene. Die Theorie dieser Erscheinung ist die folgende:

Damit an der Grenzfläche zweier durchsichtiger Schichten eine Spiegelung stattfindet, müssen diese beiden Schichten von verschiedener Beschaffenheit sein, wie etwa Glas und Luft oder Luft und Wasser. Wo beispielsweise Wasser an Wasser, also gleich an gleich grenzt, tritt nie eine Spiegelung ein. Die Grösse nun, von welcher der Betrag des zurückgeworfenen Lichtes abhängt, heisst die Lichtbrechung, und es besteht das Gesetz, dass unter sonst gleichen Verhältnissen um so mehr Licht zurückgeworfen wird, je grösser der Unterschied der Lichtbrechung in den aneinander grenzenden Schichten ist. Betrachtet man nun folgende Zahlen für die Lichtbrechung: Luft 1.00, Wasser 1.33, Öl 1.48, Glas 1.53, Kreide 1.57, Barytweiss 1.64, Zinkweiss 1.90, Bleiweiss 2.00, so ist der Unterschied zwischen Luft und Glas 0.53, während der zwischen Wasser und Glas nur 0.20 ist; dies gibt also Rechenschaft von der sehr viel kleineren Spiegelung im Innern des nassen Stosses. Gleichzeitig sieht man, dass alle anderen Stoffe nächst dem Glas eine grössere Lichtbrechung haben; sie würden also bei einer entsprechenden Anordnung weniger Licht durchlassen und mehr spiegeln.

Ganz ähnliche Verhältnisse finden nun statt, wenn an Stelle des Stosses ebener Platten eine Ansammlung von unregelmässigen Stückchen tritt. Zwar verschwindet mit der ebenen Grenzfläche auch die regelmässige Spiegelung, aber die Zurückwerfung des Lichtes bleibt bestehen, und weil diese nun von und nach allen Richtungen stattfindet, erscheint die Oberfläche gleichförmig weiss. Das ist also die Ursache, warum Schnee, Wasserschaum, gepulvertes Glas usw. weiss aussehen.

Gleichzeitig erkennen wir, wovon es abhängt, wie gut ein derartiges Pulver deckt. Denken wir uns die verschiedenen weissen Pulver auf einen schwarzen Grund zu solcher Höhe aufgetragen, dass eben die schwarze Farbe des Grundes zugedeckt wird, so ist dazu erforderlich, dass das auffallende Licht praktisch vollständig zurückgeworfen wird. Da dies in unserem Plattenversuch um so vollständiger geschah, je zahlreicher die Platten und je grösser der Brechungsunterschied der aneinander grenzenden Schichten war, so werden wir schliessen: ein weisser Farbstoff deckt um so besser, je feiner er zerteilt ist und je grösser seine Lichtbrechung ist. Daneben sehen wir aber auch, dass die Deckung vermindert und die Farbe grauer werden muss, wenn statt der Luft zwischen den Teilchen des Farbstoffes sich irgend ein anderer Stoff, wie Wasser oder Öl, befindet. Und zwar wirkt Öl stärker die Deckung vermindernd als Wasser, weil es eine höhere Lichtbrechung hat als Wasser. Bleiweiss hat die grösste Lichtbrechung, deckt also am besten und wird darin auch von Öl am wenigsten beeinträchtigt; Kreide deckt am wenigsten und wird am stärksten durch Bindemittel wie Wasser oder Öl nach Grau geführt.

Hieraus ergibt sich nun auch die Erklärung aller Erscheinungen, die beim Fixieren der Pastellbilder auftreten. Wenn das Fixierwasser aufgebracht wird, erscheint das Bild viel dunkler, weil das Licht von der nassen Kreide viel weniger zurückgeworfen wird als von der trockenen. Nach dem Verdunsten des Wassers und Weingeistes bleibt aber das Bild nicht unverändert zurück, denn zwischen den Körnchen der Farbe ist das Caseïn nachgeblieben, welches an vielen Stellen »optische Brücken« zwischen den Körnchen schafft, durch welche Licht geht, so dass der Auftrag weniger deckt als vorher. Ein Fixiermittel wird also das Bild um so weniger ändern, je kleiner seine Lichtbrechung ist und je geringer die Mengen sind, die man zur ausreichenden Befestigung der Körnchen aneinander braucht. Beide Bedingungen werden recht gut vom Caseïn erfüllt, und daher rühren also die befriedigenden Eigenschaften des angegebenen Mittels. Doch ist es ganz denkbar, dass noch vorteilhaftere Kombinationen der beiden erforderlichen Eigenschaften vorhanden sind. Niemals wird man aber ein Fixiermittel herstellen können, welches das Bild völlig unverändert lässt, denn ein Verkleben der Körnchen ohne die Herstellung optischer Brücken ist physisch unausführbar.

Mit diesem praktischen Ergebnis schliesse ich für heute den theoretischen Brief.


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