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XIV. Umfang der Lichtskale. Der weisse Untergrund ermöglicht den weitesten Umfang. Leim-Gipsgrund. Farbenpracht der vlämischen Meister. Tiefenlicht ohne Oberflächenlicht. Luftverschlechterung und Luftperspektive. Gemaltes »Licht«. Möglichste Ausdehnung der Skale nach der hellen Seite. Böcklins Praxis

Lieber Freund!

Ich habe die Frage nach dem Malgrunde keineswegs vergessen, nur wollte ich sie in meinem letzten Briefe noch nicht behandeln, da die Auseinandersetzungen über die Lasur bereits einen zu breiten Raum eingenommen hatten. Heute will ich meinen damaligen Ausspruch rechtfertigen.

Der Maler beabsichtigt meist, mit seinem Bilde einen Eindruck zu erzielen, welcher dem der natürlichen Erscheinung möglichst nahe kommt oder möglichst eindringlich an diese erinnert. Hierbei steht ihm die fundamentale Schwierigkeit entgegen, dass der Umfang des Lichtes, über welchen er verfügt, ganz unverhältnismässig viel kleiner ist, als in der natürlichen Erscheinung. Denn das Bild wird im Zimmer bei mittlerem Licht betrachtet; das weisseste Bleiweiss kann nicht mehr davon zurückwerfen, als darauf fällt, und dieses sehr mässige Licht ist das hellste, was der Maler zur Darstellung der wiederzugebenden Erscheinung zur Verfügung hat. Andererseits ist es nicht möglich, die Reihe etwa nach der anderen Seite zu verlängern, denn dunkler als ein Ort in der natürlichen Erscheinung, von welchem kein Licht kommt (etwa ein Kellerloch), ist auch das schwärzeste Schwarz auf der Palette nicht; vielmehr ist es wegen des nie ganz zu vermeidenden Oberflächenlichtes nicht unerheblich heller.

Es ist also aller Grund vorhanden, mit den vorhandenen Mitteln sparsam umzugehen, wenn man beabsichtigt, in seinem Bilde Farbe und Licht zu wesentlicher Wirkung zu bringen. Verzichtet man hierauf, hat man also in erster Linie die abstrakte Wirkung einer Zeichnung im Sinne, so fällt allerdings diese Ursache für die Wahl eines weissen Malgrundes fort; doch wird alsdann ein solcher meist ohnedies gewählt.

Denken wir uns, Sie wollen ein recht reines und feuriges Rot in Ihrem Bilde anbringen, etwa zur Darstellung eines sonnedurchleuchteten farbigen Kirchenfensters. Sie werden Ihr Ziel am besten erreichen, wenn Sie auf weissem Untergrunde mit abwechselnden Schichten gelber und roter Lasurfarbe arbeiten, bis Sie das Oberflächenlicht beseitigt und nur rotes Tiefenlicht nachbehalten haben. Wieviel Licht dann überhaupt noch von der Stelle ausgeht, hängt wesentlich davon ab, wieviel Licht der Untergrund zurückwerfen kann, und daraus folgt unmittelbar, dass Sie mit rein weissem Untergrunde die grösste Lichtmenge erzielen werden. Es folgt weiter daraus, dass für solche Wirkungen ein Kreidegrund zunächst ungünstiger erscheint, als einer aus einer starker brechenden weissen Farbe, etwa Bleiweiss. Denn wenn das Bindemittel der Lasurfarbe eindringt, so wird die Zurückwerfung des Lichtes seitens des Untergrundes um so mehr geschädigt, je kleiner dessen Brechungskoeffizient ist. Indessen gibt es ein Mittel, diesen Nachteil zu vermeiden. Wenn nämlich der Untergrund das Eindringen des Bindemittels der Lasurfarbe verhindert, so kann auch die Verdunkelung durch dieses nicht eintreten, und man erreicht das Gewünschte auch mit schwächer brechenden weissen Farben.

Dies ist die Ursache für die gute Wirkung des Leim-Gipsgrundes, den die älteren Tafelmaler angewendet haben, und zu dem Böcklin auch seinerseits zurückgekehrt ist. Gips ist ein Stoff von nicht sehr erheblicher Lichtbrechung, etwa 1.5 bis 1.6, ähnlich der Kreide, und würde daher durch Öl oder Firnis ziemlich durchscheinend werden. Dadurch, dass er mit Leim vermischt ist, wird aber das Öl am Eindringen verhindert und die Lichtreflexion der weissen Schicht bleibt erhalten.

Durch die Ausnutzung dieser Grundsätze sind die genannten Maler dazu gelangt, ihren Bildern die viel bewunderte Tiefe und Pracht der Farbe zu geben. Wenn oft behauptet wird, dass dies für den gewöhnlichen Sterblichen unerreichbar sei, so gilt dies nur für solche Sterbliche, welche die optischen Bedingungen und die Mittel zu ihrer Erfüllung nicht kennen. Ich bin aber ganz sicher, dass durch dies einfache Rezept: möglichst durchsichtige Lasur auf möglichst weissem Grunde, dasselbe und noch mehr, optisch gesprochen, erreicht werden kann, was jene Meister zu stande gebracht haben. Will man sich davon überzeugen, so hefte man nur eine gefärbte Gelatinefolie, wie solche zu allerlei Zwecken benützt werden, auf rein weisses Papier oder sonst einen gut weissen Grund und versuche, die Wirkung mit Deckfarbe nachzuahmen. Es gelingt nicht, und zwar einfach deshalb nicht, weil man bei der Deckfarbe nicht das Oberflächenlicht ausschliessen kann, das hier ausgeschlossen ist. Mit Lasurfarbe dagegen gelingt es, denn die gefärbte Gelatine ist ja optisch gesprochen nichts als eine Lasur.

Dem heutigen Maler kommt es allerdings oft genug auf diese Art der Wirkung nicht an. Denn ersichtlicherweise ist für ein naturalistisches Bild ein solches Mittel nur dort am Platze, wo auch die Naturerscheinung Tiefenlicht ohne Oberflächenlicht gibt. Die alten Maler waren darauf aus, ihren Heiligen, Marieen usw. so schönfarbige Gewänder zu malen, als sie nur fertigbringen konnten, und sie bekümmerten sich nicht darum, ob diese Gewänder irgendwelchen wirklichen Kleiderstoffen ähnlich aussahen. Heute aber handelt es sich im Bilde meist um Oberflächenlicht. Die sehr weit fortgeschrittene Luftverschlechterung in den modernen Städten hat nämlich die Menschheit und insbesondere die Maler auf die optischen Wirkungen der trüben Luft aufmerksam gemacht, und unsere heutige schöngeistige Kunstliteratur ist dadurch voll von unklaren Phrasen über das »Licht, das aller Körper umflutet« und dergleichen geworden. Tatsächlich ist das Licht, das durch ein farblos durchsichtiges Mittel, wie die Luft geht, für uns gänzlich unsichtbar und kann daher weder noch braucht es gemalt zu werden. Was sichtbar ist, sind die trübenden Teilchen, Russ und Staub in der Luft. Indem diese das auf sie fallende Licht nach allen Seiten zerstreuen, bringen sie ein entsprechendes graues oder blaues Licht zur Wirkung, das um so deutlicher wird, je dicker die wirksame Schicht ist. Hierdurch werden die dunkelsten Stellen der Gegenstände um so mehr bläulich oder grau aufgehellt, je weiter sie vom Beschauer entfernt sind. Diese seit Jahrhunderten bekannten und mehr oder weniger glücklich ausgedrückten Wirkungen der sogenannten Luftperspektive treten nun bei um so geringerer Entfernung in die Erscheinung, je staubiger die Luft ist, und darum gibt es tatsächlich in unserer Zeit sehr viel mehr Luftlicht zu sehen und zu malen, als in früheren Jahrhunderten. In Leipzig zeigen meist bei aufmerksamer Betrachtung die auf der anderen Seite der Strasse liegenden Schwärzen bereits deutliches Luftlicht, während ich auf Rügen oft noch in der Entfernung von mehreren Kilometern die Gegenstände in ihrer Eigenfarbe und nur mit den ersten Spuren des Luftlichtes ausgestattet gesehen habe. Wenn man also sorgfältig darauf achtet, dass die jeweils dunkelste Farbe sich nach der zunehmenden Entfernung ins Hellere abstuft, und dies bereits bei geringen Distanzen zum Ausdruck bringt, so erzielt man ohne weiteres das »umflutende Licht«.

All dieses Luftlicht ist nun Oberflächenlicht, und es ist klar, dass dieses nicht mittels durchsichtiger Lasur-, sondern mittels Deckfarbe ausgedrückt werden muss. Man kann die Wirkung in feinster und naturgemässester Weise durch eine trübe Lasur von sehr dünner weisser Farbe erreichen; die sachgemässe Ausführung dieses Verfahrens ist indessen nicht ganz leicht. Hier tritt der Fall ein, wo ein Weiss von kleinem Brechungskoeffizienten zweckmässiger ist, als eines von grösserem, denn die aufzutragende Schicht wird um so dicker sein können, bis die gleiche Wirkung erreicht ist, je näher sich die Brechungen des Farbstoffes und des Bindemittels liegen. Daher wenden die erfahrenen Maler für derartige Zwecke an Stelle des Bleiweisses das weniger brechende Zinkweiss an, denn je dicker die aufzutragende Schicht sein darf (es handelt sich hier um äusserst dünne Schichten), um so weniger technische Schwierigkeiten macht die Herstellung. Es wäre daher ganz zweckmässig, mit dem Brechungskoeffizienten dieses »Luftweiss« noch weiter herabzugehen und etwa Gips oder künstlich hergestellten kohlensauren Kalk (Kreide ist meist zu gelblich durch einen kleinen Eisengehalt) für diesen Zweck zu verwenden.

Durch diese Berücksichtigung des Luftlichtes verkürzt der Maler nun wieder seine Lichtreihe nach der Seite des Schwarz, denn er gelangt nur zu einem abgestuften Grau, das er nicht überschreiten darf, wenn nicht die Luftwirkung gestört werden soll. Somit hat er auch in diesem Falle ein lebhaftes Interesse daran, die Reihe nach der anderen, hellen Seite so lang zu halten, als möglich, d. h. sein Weiss möglichst lichtreich und unbeschmutzt zu bewahren. Dies gelingt am leichtesten, wenn er auf weissem Grunde arbeitet, damit er nicht überall, wo er die grösste Helligkeit braucht, dicke Schichten von Bleiweiss anbringen muss. Dass dieser Umstand nicht berücksichtigt wird, ist die Ursache, weshalb Luft und Wolken bei so vielen heutigen Lichtmalern so schwer und massig aussehen, als bestanden sie aus dickem Ton. Auf weissem Grunde sind diese dicken Schichten entbehrlich.

Sehr viel Lehrreiches sieht man in dieser Beziehung an den Bildern Böcklins. Durchsichtige Dinge, insbesondere Luft und Wasser, malt er mit Lasurfarben auf weissem Grunde. Die gleiche Technik ergibt ihm die optische Wirkung des durchscheinenden Marmors und nasser Steine. Wo aber Luftlicht ins Spiel kommt, treten Deckfarben auf. Ich will nicht behaupten, dass dies überall genau durchgeführt ist; insbesondere geraten ihm seine Felsen wegen reichlicher Anwendung der Lasurfarbe namentlich in der späteren Zeit oft ein wenig zu unkörperlich. Doch ich will schliessen. Die Verfolgung dieser Betrachtungen, die im wesentlichen schon von Ludwig angestellt worden sind (der sie nur mit seiner unglücklichen Petroleummalerei und seiner nicht minder unglücklichen Einseitigkeit im Kunsturteil verquickt hat) führt in die mehr psychophysischen Seiten der Technik hinein, von denen erst später einmal die Rede sein soll.


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