Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12. Verworrene Fäden

Wenn auch in Hertas Verkehr mit ihrer Freundin Margot nichts von einem wirklichen Zerwürfnis zutage trat, wenn sie auch ruhig und freundlich miteinander sprachen, so würde das Auge eines scharfen Beobachters doch unschwer wahrgenommen haben, daß sich hinter dieser abgemessenen Freundlichkeit eine mit jedem Tage wachsende Spannung und Entfremdung verbarg. Die junge Frau hatte seit der Stunde, wo sie von Margots abendlicher Zusammenkunft mit Theodor Neuhoff erfahren, nach Möglichkeit jedes längere Alleinsein mit ihrer Gesellschafterin vermieden, und Margots Benehmen hätte sicherlich keine andere Bezeichnung weniger verdient, als die der Aufdringlichkeit. Sie verbrachte die meisten Stunden des Tages allein in ihrem Zimmer und zeigte ihrer jungen Gebieterin, wenn ein kurzes Beisammensein bei den Mahlzeiten und bei anderen Gelegenheiten sich nicht vermeiden ließ, eine so verschlossene, undurchdringliche Miene, daß allein durch ihr Aussehen jede vertrauliche Herzensergießung von vornherein unmöglich gemacht worden wäre.

Um so mehr mußte es die junge Frau überraschen, als Margot am Morgen nach dem Tage, an welchem Herta ihre so bedeutsame freiwillige Aussage vor dem Untersuchungsrichter abgegeben, ohne vorheriges Anklopfen das Zimmer betrat, in dem die Dame des Hauses, die schon seit dem gestrigen Nachmittag wieder von ihrem qualvollen Kopfschmerz gepeinigt wurde, auf der Chaiselongue lag. Die Gesellschafterin hielt ein entfaltetes Zeitungsblatt in der Hand, und obwohl ihr Hertas leidender Zustand unmöglich entgehen konnte, schien es ihr doch nicht notwendig, ihr rücksichtsloses Eindringen zu entschuldigen.

Mit finster zusammengezogenen Brauen, die ihrem schönen Gesicht einen Ausdruck von Zorn und Leidenschaftlichkeit gaben, trat sie auf die Ruhende zu.

»Hast du diesen schmachvollen Artikel schon gelesen, Herta?«

Betroffen von dem herrischen, beinahe drohenden Ton ihrer Frage, richtete sich die junge Frau aus den Polstern auf.

»Nein! Du weißt ja, daß ich es nicht mehr über mich gewinne, eine von diesen schrecklichen Zeitungen in die Hand zu nehmen.«

»In diesem Ausnahmefall aber wirst du dich doch wohl dazu entschließen müssen, denn was hier steht, geht dich so nahe an, daß du es nicht ruhig hinnehmen darfst, wenn es sich, wie ich annehmen muß, um eine dreiste Lüge handelt.«

Widerwillig und zögernd, von einem geheimen Bangen durchzittert, nahm Herta das Blatt aus ihrer Hand entgegen und ließ ihre Augen über die Stelle hingleiten, die Margot ihr bezeichnet hatte. Die Farbe kam und ging auf ihren Wangen, während sie las. Aber als sie zu Ende gekommen war, hatte sie auch ihre Fassung wiedergewonnen.

»Es ist keine Lüge, Margot! Genau das, was hier wiedergegeben ist, habe ich gestern dem Untersuchungsrichter gesagt.«

»Ah!«

Nicht wie ein Ausruf des Erstaunens, sondern wie ein Aufschrei war es von den Lippen der Gesellschafterin gekommen. Für die Dauer einer Sekunde verzerrten sich die Züge ihres Gesichts zu einer Grimasse der Wut. Und auch als sie sich wieder so weit in der Gewalt hatte, um sich äußerlich zu scheinbarer Ruhe zu zwingen, blieb in ihren Augen ein Unheil verkündendes Flimmern.

»Und du – du hättest damit die Wahrheit gesprochen, Herta?«

»Gewiß! Die volle Wahrheit.«

»Mit anderen Worten: dieser Neuhoff hat mich auf das schändlichste betrogen und hintergangen! Während er sich mir gegenüber den Anschein gab, dich um deines Treubruchs willen zu verachten, brannte er in Wahrheit darauf, hinter dem Rücken deines ahnungslosen Mannes die alten Beziehungen wieder aufzunehmen. Und du – du hast es über dich gewonnen, es mir zu verschweigen? Ist das deine Freundschaft?«

»Du darfst mich nicht nach diesen Dingen fragen, Margot! Ich kann dir über die Veranlassung meiner Zusammenkunft mit Theodor Neuhoff und über das, was ich mit ihm gesprochen, nicht mehr mitteilen, als ich bereits dem Untersuchungsrichter gesagt habe. Und ich hoffe, daß du mich gut genug kennst, um mir keine Schlechtigkeit zuzutrauen.«

Die Gesellschafterin lachte kurz und schneidend auf.

»Vergib, wenn ich diese Berufung auf unsere lange Bekanntschaft unter solchen Umständen ein wenig komisch finde. Natürlich ist es dein gutes Recht, zu tun, was dir gefällt, und du bist sicherlich niemandem weniger Rechenschaft über deine Handlungen schuldig, als einer bezahlten Dienerin, wie ich es in deinen Augen doch wohl bin. Aber ich sehe nicht ein, weshalb es dir und ihm dann noch der Mühe wert erschien, mir eine umständliche und unbequeme Komödie vorzuspielen. Und wenn es mir an der Befugnis fehlt, dir einen Vorwurf zu machen – dem Nichtswürdigen, der mir eine leidenschaftliche Zuneigung erheuchelte, um dann aus meinen Armen geradewegs in die deinigen zu eilen – ihn darf ich doch wohl bei dem Namen nennen, den er verdient.«

Herta hatte den schmerzenden, wirbelnden Kopf auf das Kissen zurücksinken lassen, dessen Linnenüberzug nicht weißer war als ihr leidvolles Antlitz. Sie hatte sich gestern feierlich gelobt, tapfer zu sein; aber was da auf sie eindrang, ging doch beinahe über ihre Kraft.

»Habe Mitleid mit mir, Margot!« bat sie. »Du kannst ja nicht ahnen, was ich leide. Und glaube mir, daß sich eines Tages alles in ganz anderer Weise aufklären wird, als du es jetzt vermutest. Wenn Theodor Neuhoff dir gesagt hat, daß er dich liebt, so hat er damit gewiß nur die Wahrheit gesprochen. Seine Zusammenkunft mit mir bedeutete weder eine Wiederaufnahme unserer alten Beziehungen, noch war dabei mit einem einzigen Worte von Liebe die Rede.«

Ein böses, ärgerliches Lächeln umspielte Margots Lippen.

»Da du es sagst, muß es wohl wahr sein. Und es kommt mir natürlich nicht zu, zu fragen, wovon ihr euch wohl sonst in einsamer Nacht zwei Stunden lang unterhalten haben mögt. Daß mir Theodor Neuhoff den Brief, den er mir für den nächsten Tag verheißen hat, nicht geschrieben – daß er seine Verpflichtungen gegen mich offenbar vollständig vergessen hat, es muß also irgend eine andere Ursache haben. Seine nächtliche Zwiesprache mit dir hatte daran keinen Anteil.«

»Nein, sicherlich nicht, Margot! Es waren wirklich nicht diese Dinge, von denen wir sprachen.«

Mit matter, fast ersterbender Stimme hatte die gequälte junge Frau diese Versicherung abgegeben, und etwas so Verzweifeltes, Erbarmen Heischendes war in dem Tonfall ihrer Worte gewesen, daß sich Margot davon wohl ganz eigenartig berührt gefühlt haben mußte. Denn sie schaute befremdet auf und ließ ihre Augen, die heute etwas beinahe unheimlich Stechendes hatten, sekundenlang auf dem bleichen Gesicht der armen Freundin ruhen, ohne ein Wort zu sprechen. Und dabei ging in ihren Zügen allgemach eine eigentümliche Veränderung vor. Es zuckte darüber hin, wie es in den Gesichtern von Menschen aufzuckt, denen eine plötzliche Offenbarung wichtige Dinge jäh in ganz neuem Lichte erscheinen läßt. Und mit einem Schlage änderte sich von diesem Augenblick an auch ihr Benehmen. Die leidenschaftliche Erregung, die noch eben in jedem Ton ihrer Rede gezittert, war urplötzlich derselben kühlen Ruhe gewichen, die sie während der letzten Tage in ihrem Verkehr mit Herta gezeigt hatte, und es klang gar nicht mehr ironisch, als sie nach langer Pause erwiderte:

»Ich habe nicht das mindeste Interesse daran, zu erfahren, welcher Art diese anderen Dinge gewesen sind. Und ich bitte dich um Entschuldigung, wenn ich mich in meiner ersten Erregung vielleicht zu Aeußerungen hinreißen ließ, die dich verletzt haben könnten. Du bist leidend, wie ich sehe, und ich will dir darum nicht länger lästig fallen. Kann ich irgend etwas zu deiner Erleichterung tun?«

Sie wußte, daß die Antwort eine verneinende sein würde, und sie hatte sich auch schon zum Gehen gewendet, noch ehe sie erfolgt war. Nun verließ sie mit einem Wunsche für gute Besserung das Zimmer, draußen aber blieb sie stehen, und ihre Brust hob sich in einem tiefen Atemzuge.

»Daß ich auch nicht früher darauf gekommen bin! Aber ihr sollt die Frucht eures Verbrechens nicht genießen – bei Gott, ihr sollt nicht! Ich werde das Mittel finden, es zu verhindern!«

Ihr selber wohl unbewußt, hatten ihre Lippen es gemurmelt. Das Stubenmädchen aber, das ihr gleich darauf begegnete, meinte in der Stille seines Herzens, dem Fräulein müsse wohl etwas ganz Besonderes begegnet sein, da sie mit einem so seltsam leeren Blick vor sich hinschaute, während zugleich ein höhnisch triumphierendes Lächeln bemerkbar war.

.


 << zurück weiter >>