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34

Mark fand Mr. Hugerson am folgenden Morgen im Kreise der jungen Botschaftsattachés, die mit dem alten Herrn während seiner kurzen Anwesenheit in Europa in Berührung gekommen waren. Er begrüßte Mark mit einem freundschaftlichen Händedruck:

»Gut, daß Sie kommen, junger Mann«, rief er ihm zu. »Ich habe soeben meine Abberufung erhalten. Ich schiffe mich heute abend in Southampton ein.«

»Das kam doch recht plötzlich, wie?« meinte Mark.

»Unser Siebener-Ausschuß scheint wütend geworden zu sein«, erwiderte Hugerson. »Ich soll sofort zurückkommen und Bericht erstatten. Viel ist nicht übrig geblieben. Sie wissen doch das meiste schon aus meinen schriftlichen Berichten. Einige Sachen habe ich aber doch noch in petto.«

Die anderen Herren verabschiedeten sich und Mark blieb mit Hugerson allein:

»Ich weiß, was sie von mir wollen«, nahm der alte Herr seine Mitteilungen wieder auf. »Drome macht ihnen Kopfzerbrechen. Jedesmal, wenn eine Konzession unseren großmächtigen Herren durch die Lappen geht, regen sie sich auf. Unsere Senatoren glauben, die ganze Welt sei nur für uns Amerikaner erschaffen und alle anderen Völker auf ihr würden nur von ihnen geduldet. Ja, gewiß doch: Die Ölkonzessionen waren unseren Leuten von der Dromer Regierung so gut wie zugesagt worden, aber wenn man sie nun eben doch an andere gegeben hat, dann können wir auch nichts dagegen machen.«

»Und eine diplomatische Demarche?« fragte Mark.

»Hat keinen Zweck, denn wir könnten ihr ja doch nicht die Tat folgen lassen. Schön und gut, wir sollen uns in europäische Angelegenheiten nicht einmischen. Aber, wenn dann ein anderer kommt und unseren Braten vor der Nase wegschnappt, dürfen wir uns auch nicht beschweren, als hätte man uns überfallen. Wenn ein Land etwas zu verkaufen hat, und es sind verschiedene Bewerber da, dann wird es seinen Reichtum eben jenem überlassen, der ihm auch in politischer Beziehung etwas zu bieten vermag. Ich beneide die amerikanischen Konsuln nicht.«

»Kann ich Ihnen vor Ihrer Abreise noch irgendwie dienlich sein, Mr. Hugerson?« erkundigte sich Mark.

»Nein, danke. Wenn Sie wollen, können Sie mich um drei Uhr zum Zug bringen. Ich war sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit, Mark. Sie waren mir ein wertvoller Mitarbeiter. Schreiben Sie mir, wenn Sie einen Fürsprecher brauchen; ich habe immer noch ein wenig Einfluß bei unseren Leuten zu Hause.«

»Besten Dank, Sir. Mir hat die Arbeit gefallen.«

Mr. Hugerson hatte das Zimmer verlassen, während Mark noch einige Augenblicke nachdenklich zurückblieb. Dann begab er sich in das Zimmer Miß Morelands. Sie saß in sich versunken vor ihrer Maschine und starrte auf den kleinen Streifen blauen Himmels, der sich von den dunklen Nachbargebäuden abhob. Sie nickte dem Eintretenden ernst zu.

»Nun«, begrüßte er sie. »Sind wir mit Mr. Hugerson fertig, Miß Moreland. Ein netter Kerl, wie? Sie hatten wohl die Sache auch über?«

»Ja, das muß ich zugeben. In wenigen Stunden werde ich diese Maschine endgültig zudecken.«

»Sie wollen uns verlassen?«

»Ja«, nickte sie. »Ich werde mich in wenigen Wochen mit Mr. Howlett verheiraten.«

»Endlich einmal eine gute Nachricht«, rief er aus. »Hoffentlich bekomme ich auch eine Einladung.«

»Reißen Sie sich lieber nicht darum«, warnte sie. »Sidney hat eine Unmenge Verwandte, und sie wollen alle kommen. Wir werden in Crouch End getraut.«

»Das ist ja großartig. Vergessen Sie ja nicht, mich einzuladen, sonst werde ich Ihnen ewig Vorwürfe machen.«

Sie lächelte zum erstenmal, seit er eingetreten war.

»Mr. van Stratton«, sagte sie, »Sie sind immer ein Mann gewesen, der wußte, was er mit sich anzufangen hatte. Helfen Sie mir aus meinem Dilemma.«

»Nun, was gibt es?«

»Mir macht etwas Sorgen. Ich weiß nämlich nicht, was ein Mensch alles tun darf, um sich selbst glücklich zu machen. Darf man die Grenzen der Sittlichkeit überschreiten, wenn es sich um unser Lebensglück handelt?«

»Gott, welch eine schwerwiegende Frage.«

»Um eine Verheiratung meinerseits zu ermöglichen, habe ich etwas begangen, was unehrlich ist. Was es war, möchte ich jetzt nicht näher erklären. Ob man meine Tat als Diebstahl bezeichnen würde, weiß ich nicht, wohl aber, daß sie unmoralisch war. Hätte ich sie nicht begangen, dann hätte ich wohl als alte Jungfer sterben müssen und die einzige Gelegenheit versäumt, mich aus meinem Jammerdasein herauszuarbeiten. Ich hatte es mir lange überlegt. Ich kannte eine Unmenge Menschen, die ihr ganzes Leben ehrlich waren und doch zu nichts gekommen sind. Am Schluß starben sie einsam und arm. Möglich, daß ich unrecht gehandelt habe, aber ich gelangte zu dem Entschluß, alle moralischen Vorschriften außer acht zu lassen und nur für meine Zukunft zu arbeiten.«

»Jeder sittliche Standpunkt muß Schwankungen unterworfen sein«, erklärte Mark nach einem Augenblick des Nachdenkens. »Stand Ihre eigene Zukunft auf dem Spiel und konnten Sie keinen anderen Weg gehen, glücklich zu werden, dann haben Sie recht gehandelt, wenn Sie Ihrem Glück den Vorschriften der Gesellschaft den Vorzug gaben.«

»Ihr Standpunkt beruhigt mich einigermaßen«, entgegnete sie.

»Weil er gesund und logisch ist. Wenn Sie etwas begangen haben, was nicht ganz einwandfrei ist und Sie haben damit Ihren Zweck erreicht, dann dürfen Sie nicht mehr darüber nachdenken oder es bereuen. Schlagen Sie sich alle derartigen Gedanken aus dem Kopf und werden Sie endlich glücklich.«

Nun lachte sie:

»Ich ahnte es, daß mir eine kurze Unterredung mit Ihnen Beruhigung verschaffen würde«, vertraute sie ihm an. »Ganz vergessen werde ich ja meine Handlungsweise nicht können, aber hoffentlich rechtfertigt künftiges Glück alles. Lieber eine Mischung von Reue und Glück als nur Leid.«

»Das ist die richtige Auffassung«, stimmte er ihr zu.

Einen Augenblick war er versucht, ihr mitzuteilen, daß er alles, was sie bedrückte, wußte. Als er einen Blick durch das Fenster warf, sah er unten auf dem Bürgersteig Mr. Howlett auf und ab spazieren.

»Wie lange haben Sie hier mit dem Aufräumen zu tun?« fragte er.

»Höchstens eine halbe Stunde. Mein Bräutigam wartet schon auf mich, und Geduld gehört nicht zu seinen Eigenschaften. Wir wollen Möbel kaufen gehen.«

»Ich gehe jetzt und werde ihm Bescheid sagen«, erbot sich Mark.

»Besten Dank.«

Mr. Sidney Howlett begrüßte ihn ein wenig mißtrauisch.

»Nun, alles in Ordnung?« fragte er.

»Ja, alles«, beruhigte ihn Mark. »Ich wollte noch ein paar Worte mit Ihnen sprechen, Mr. Howlett. Kommen Sie, wir bummeln ein wenig über die Mall. Rauchen Sie?«

Der andere brannte sich eine Zigarette an.

»Sie haben also für Ihre Hochzeit alles vorbereitet, wie?« erkundigte sich der junge Attaché.

»Ja, es ist alles fest im Gang. Am fünfzehnten nächsten Monats wollen wir heiraten. Sie trinken doch ein Gläschen mit uns, nicht wahr? Die Trauung wird im Hause meiner Tante stattfinden. Ja, in Crouch End.«

»Wenn ich in England bin, werde ich bestimmt kommen. Haben Sie Ihren neugierigen Freund wiedergesehen?«

»Nicht eine Spur von ihm. Ich suchte ihn damals auf und teilte ihm mit, daß meine Braut nicht für alles Gold der Welt ihm weitere Kohlepapiere liefern würde. Ich habe kurz und bündig mit ihm Schluß gemacht.«

»Schön. Ich glaube, Miß Moreland macht sich über ihre Handlungsweise Vorwürfe. Wir müssen sie beruhigen. Behandeln Sie sie gut, Howlett.«

»Sie brauchen deshalb keine Angst zu haben«, beruhigte ihn der andere. »Wir sind beide nicht mehr die Jüngsten und werden, was die Hauptsache ist, ein sorgenfreies Leben führen können. Eigenes Haus, ein paar Pfennige auf der Bank und keine Sorgen. Das ist doch sehr wichtig.«

»Sie wird ja die Wahrheit noch erfahren«, meinte Mark, »aber bis dahin müssen Sie dicht halten. Das Mädchen verdient, glücklich zu werden.«

Mit einem kurzen Nicken verabschiedete sich Mark, denn er hatte Frances aus dem Botschafterpalais treten sehen. Howlett eilte ihr entgegen:

»Komm, Kind, wir wollen ins Trocadero zum Lunch. Die Möbel können solange warten. Wir wollen den Tag feiern; ich habe mir frei geben lassen.«

Die Freude, sie wiederzusehen, leuchtete aus seinen Augen und war so offensichtlich, daß auch Frances sich von ihrer Aufrichtigkeit überzeugen konnte. Sie seufzte glücklich auf und folgte ihm.


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