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18

Ein älterer, elegant livrierter Diener öffnete vor Mark die Tür, als er das elegante Empfangszimmer de Fontenays betrat.

»Monsieur befindet sich noch im Bad, mein Herr, wird aber bald kommen. Wollen Sie, bitte, Platz nehmen.«

Nach wenigen Minuten erschien der Oberst.

»Für einen Cocktail ist es eigentlich noch etwas früh am Tage«, begrüßte er den Besucher. »Willst du lieber einen Whisky haben?«

»Nicht deshalb kam ich her«, lehnte Mark ab. »Ich wollte mich mit dir ein paar Minuten unterhalten, wenn du nichts anderes vorhast.«

»Das ist der einzige Trost in meinem Müßiggang, daß ich mich jederzeit meinen Freunden mit Rat und Tat zur Verfügung stellen kann«, erwiderte der Oberst.

»Hat sich was mit ›Müßiggang‹«, spöttelte van Stratton. »Na, mich geht's ja nichts an, was du treibst, Raoul. Ich wollte mich mit dir wegen meines neuen Postens aussprechen und dich einiges über Miß Dukane fragen, wenn es dir recht ist.«

»Gibt es wirklich etwas, was du von ihr noch nicht weißt?« fragte der Hausherr mit leisem Spott.

»Ich hatte mit ihr eine kleine Meinungsverschiedenheit und ich wollte nur deine Ansicht hören, ob ich richtig gehandelt habe. Mir macht es den Eindruck, als hätte ich meine Liebe einer Unwürdigen geschenkt.«

»Sie hat dich wohl schlecht behandelt?«

»Unter aller Kritik.«

Der Oberst strich nachlässig die Asche von seiner Zigarette:

»Ich warnte dich schon einmal, daß du sie mißverstehst. Du, und auch Henry, verwöhnt die Frauen zu sehr. Darin liegt der Haken. Ihr gewöhnt sie daran, sich wichtiger zu fühlen, als ihnen wirklich zukommt. Erwartet kein Himmelreich, und ihr werdet nicht enttäuscht sein, wenn es sich herausstellt, daß sie ebenso Menschen sind, wie ihr seid!«

»Das sind Allgemeinplätze, die du mir da bringst, Raoul. Sie haben für mich gar keinen Zweck. Sage mir lieber, ob das Mädchen überhaupt eines tieferen Gefühls fähig ist?«

»Na, dann sage mir erst einmal, was los ist und dann will ich versuchen, deine Fragen zu beantworten. Eines kann ich dir aber jetzt schon verraten: Estelle hat nicht nur dir allein harte Nüsse zum Knacken aufgegeben. Auch ich habe mich im stillen über sie gewundert, und zwar lange Zeit, bevor du sie kennen lerntest. Ich habe einige Züge an ihr bemerkt, die mich trotz aller gegenteiligen Erfahrungen immer noch hoffen ließen, daß sie eines anständigen und aufrichtigen Mannes wert ist.«

»Und was gab dir dieses Gefühl?« fragte der Amerikaner gespannt.

»Also hör zu! Ich traf Miß Dukane vor einigen Jahren in Florenz, wo sie mit ihrem Vater weilte. Eines Tages unternahm ich einen zeitigen Spaziergang und besuchte dabei zu ungewohnt früher Stunde die Uffizien. Im Saal der ›Raffael‹ sah ich sie vor einem Gemälde ›Madonna und ihr Kind‹ so in sich versunken sitzen, daß ich unwillkürlich den Schritt verhielt, um sie zu beobachten. Dabei bemerkte ich in ihren Augen, die sie auf das Madonnenbild gerichtet hielt, ein so tiefes Gefühl der Sehnsucht und Wehmut, daß ich noch heute mit Rührung daran denke. Das überzeugte mich, daß Miß Dukane keine herzlose Kokette sei. Bist du nun zufrieden?«

»Ich glaube auch nicht, daß sie herzlos ist, aber ich begreife nicht, weshalb sie mir immer nur die frivole Seite ihres Charakters zeigt!«

»Ach, die Launen einer Frau dürfen nicht auf der Goldwaage gewogen werden, Mark. Du hast ja auch schon Erfahrung mit den Frauen und wirst selbst die Beobachtung gemacht haben, daß nichts sie so langweilt, wie fortdauernde Liebesbeweise eines Mannes, für den sie sich eben erst interessieren. Um meine Landsmänninnen zu erobern, mußt du ihnen den Herrn zeigen. Du darfst ihnen nicht zeigen, daß du sie ernst nimmst. Sentimentalität langweilt sie nur. Schwinge ein paar wohlgelungene Phrasen und lasse deine ellenlangen Liebesseufzer zu Hause. Dann wirst du mehr erreichen.«

»Du scheinst dir einzubilden, die Frauen ganz genau zu kennen, mein lieber Raoul«, bemerkte Mark sarkastisch.

»Und dir scheint ein Cocktail in deiner gegenwärtigen Stimmung besonders zu fehlen, Mark. Nun habe ich alles versucht, um dein niedergebranntes Hoffnungslichtlein neu aufflammen zu lassen! Und das ist der Erfolg!? Scherz beiseite: Miß Dukane hat sicherlich recht liebenswerte Charaktereigenschaften, die sie aber aus irgendwelchen Gründen verbergen will. Doch ich rate dir nochmals, Mark: Spiele nicht den Sentimentalen ihr gegenüber. Am besten wäre es, du ließest dich eine ganze Woche lang nicht sehen!«

Das Gespräch wurde durch den Eintritt des Dieners unterbrochen, der die bestellten Cocktails servierte. Als er das Zimmer verlassen hatte, nahm Raoul die Unterhaltung wieder auf:

»Hattest du mir nicht noch etwas mitzuteilen, Mark?«

»Ja. Mich interessiert meine neue Arbeit. Leider muß ich feststellen, daß ich recht wenig von ihr verstehe. Was ist denn eigentlich mit eurem Franken los?«

»Einfach genug«, erwiderte der Franzose, dessen Stirn sich verfinstert hatte. »Eine Anzahl von Spekulanten hat sich mein Land als Opfer auserkoren. Ich weiß, wir haben viele Feinde und sie haben es sich zum Ziel gemacht, unsere Währung zu ruinieren.«

»Aber warum denn nur?«

»Es ist nicht das erstemal, daß man dieses Spiel bei uns versucht. Wir sind eines der fleißigsten Völker, haben eine blühende Industrie, exportieren mehr als jedes andere Land und verdienen trotzdem nicht genug, um leben zu können. Die Preise für Fertigfabrikate sind infolge der fallenden Frankenkurse so niedrig, daß die eingehenden Gelder nicht einmal reichen, neue Rohstoffe zu bezahlen. Nun hat diese Hausse sogar schon auf die notwendigsten Nahrungsmittel übergegriffen.«

»Aber, warum ist das alles? Wer verdient an dieser Spekulation?«

»Jeder, der Frankreich feindlich gesinnt ist. Eine Rotte von Verschwörern. Deshalb halte ich mich hier in London auf. Es gibt ja verschiedene Kriegsarten. Der aber, den Frankreich jetzt ausfechten muß, ist der hinterlistigste und gemeinste, der ersonnen werden konnte. Vor einigen Wochen haben wir einen dieser Maulwürfe gefaßt; er wird niemals mehr gegen uns arbeiten. Hunderte aber sind uns unbekannt und treiben ihr frevles Spiel weiter.«

»Ich verstehe von derartigen Dingen wenig, obwohl ich der Sohn eines Bankiers bin. Könnt ihr denn mit der Gesellschaft nicht fertig werden?«

»Ach, laß uns davon schweigen. Ich bin nicht unparteiisch genug, um hier ein Urteil abzugeben. Wie geht es mit deiner Arbeit?«

»Großartig.«

»Weißt du, warum du den Posten bekommen hast?«

»Dimsdale soll sich in die Nesseln gesetzt haben und Rawlison ist erkrankt. Außerdem war Hugerson ein Freund meines Vaters.«

»Rawlison wird niemals wieder in den Dienst zurückkehren«, meinte Raoul. »Seine Karriere ist beendet.«

»Rawlisons?« fragte Mark erstaunt. »Warum?«

»Seine Spekulationen an der Börse haben ihm den Hals gebrochen. Alle Kreise sind von dieser Seuche angesteckt. Dimsdales besonderes Verbrechen kenne ich nicht, weiß aber, daß man von Rawlison alle Schriftstücke kaufen konnte, die man wollte. Er ging mit ihnen sozusagen hausieren.«

»Ekelhaft. Ich kannte Rawlison gut. Ich studierte mit ihm!«

»Er war, als er hierher kam, ein ganz netter Mensch, geriet aber in Kreise, für die seine Einkünfte als Attaché nicht zureichten. Dein Chef hat ihn immer noch anständig behandelt, und auch ich hätte nichts von seinem Unheil erzählt, wenn es nicht doch in nächster Zeit herauskommen würde.«

Mark konnte sich bei dieser Erzählung des Obersten des Gedankens nicht erwehren, daß er bisher das Leben von seiner leichtesten Seite kennengelernt hatte. Wie viele Tragödien spielten sich wohl in seiner Umgebung täglich ab, ohne daß er es ahnte.

»Raoul«, sagte er nachdenklich, »ich glaube, ich bin bisher ein großes Schaf gewesen. Warum machen sich die Menschen das Leben selbst so sehr zur Last? Solange man den Krieg erwartete, hatte man sich auf ihn einstellen können. Jetzt aber, wo überall Friedensschalmeien ertönen, was hat das ganze Verschwörergetriebe für einen Zweck?«

Müde lächelte der Gefragte:

»Offener, männermordender Krieg ist unmodern geworden, Mark«, erwiderte er. »Grausamer und tödlicher wütet eine andere Seuche auf unserem Kontinent – die Geldgier. Jedes Land in Europa glaubt durch den Frieden übervorteilt worden zu sein. Die Großbanken, für die der Krieg eine Goldmine war, müssen andere Erwerbsmöglichkeiten suchen. Gegenwärtig haben sie alle ihre Machenschaften auf mein Vaterland konzentriert. Ich mache dir kein Hehl daraus, daß ich oder ein anderes Mitglied unseres Geheimdienstes den Mann, der für all das Elend in Frankreich verantwortlich ist, wie den niedrigsten Spion behandeln werden, wenn wir ihn finden! Heute steht der französische Frank auf einhundertsechzig pro Pfund, während der Friedenskurs fünfundzwanzig war. Jemand muß dreißig Millionen Pfund ausgegeben haben, um ihn so herunterzuziehen. Wenn dieser Mann entdeckt wird, so hat er weniger Chancen, leben zu bleiben, als der Verräter von Nauberge, der die Pläne der Festung verkaufte.«

Plötzlich stieg ein entsetzlicher Verdacht in Mark auf.

Raoul streckte ihm die Hand entgegen.

»Nenne keine Namen, Mark«, bat er. »Ich warnte dich von Anfang an vor ihm. Erst gestern abend habe ich einen telephonischen Bericht von Paris –«

Er schwieg unvermittelt und schien angestrengt zu horchen. Plötzlich öffnete sich die Tür zum Korridor und Estelle Dukane trat über die Schwelle ins Zimmer.

Lächelnd wie immer streckte sie Mark die Hand entgegen und nickte de Fontenay freundlich zu:

»Bitte, verschließen Sie diese Tür«, bat sie. »Es treiben sich hier zu viele Neugierige herum.«


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