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10

Als Mark am selben Abend im Zweisitzer vor seinem Haus vorfahren wollte, fand er den Platz von einer großen Limousine eingenommen. Er parkte mit seinem Wagen dahinter und betrat das Haus. Doch auf der Schwelle blieb er stehen, erstaunt über den Anblick, der sich ihm bot: Auf der kleinen Diele des Erdgeschosses stand Estelle Dukane und versuchte den Diener Andrews zu bewegen, ihr den Weg in die obere Etage freizugeben. Die Treppe wurde von Roberts bewacht, der zähe an dem Geländer festhielt, das die nach oben führende Treppe einfaßte. Auf dem Treppenabsatz des ersten Stockes stand die Krankenschwester. Als Roberts Mark sah, entrang sich seinen Lippen ein erleichternder Seufzer. Estelle wandte sich Mark zu, der sie im ersten Augenblick gar nicht erkannte. Unzweifelhaft befand sich das junge Mädchen in höchster Erregung. Die Augen, sonst so sanft, funkelten in unheilverkündendem Licht, die Lippen waren so fest zusammengepreßt, daß sie eine schmale Linie in dem schneeweißen Gesicht bildeten. Sobald Miß Dukane des Eintretenden ansichtig wurde, verschwanden die Spuren des Ärgers, und sie streckte ihm lächelnd ihre Rechte entgegen:

»Mein lieber Freund«, beklagte sie sich, »Ihre Diener haben mich sehr unhöflich behandelt. Sie wollten mich abhalten, Ihren Kranken zu besuchen. Sie wissen ja, daß er ein Freund von mir ist und ich sehnte mich danach, ihn zu sprechen.«

»Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, daß der Mann niemand empfangen darf«, entgegnete Mark, während er dem Diener Hut und Stock reichte.

»Dann läßt es sich eben nicht ändern«, beschied sich die Besucherin. »Hier also wohnen Sie, Mr. van Stratton? Recht nett!«

»Wollen Sie nicht einen Augenblick näher treten?«

»Warum nicht? Wenn Sie meine Huld ganz und gar verdienen wollen, dann lassen Sie mir, bitte, eine Tasse Tee bringen. Ich habe ein wenig Kopfschmerz, denn heute scheinen es alle darauf abgesehen zu haben, mich zu ärgern. Ihre Diener sind wirklich nicht zu gebrauchen.«

Er folgte ihr ins Zimmer, und sie sank in einen der Lehnstühle, die in malerischer Unordnung umherstanden. Während sie sich zurücklehnte, bot sie den Anblick eines kaum den Kinderschuhen entwachsenen Mädchens. Die Augen, die sie auf den Hausherrn gerichtet hielt, hatten jedoch nichts Jugendliches in sich, sondern funkelten in unmißverständlichem Hohn:

»Wundern Sie sich nicht, mich hier angetroffen zu haben?« fragte sie ihn.

»Ich wundere und freue mich«, erklärte er.

Plötzlich runzelte sie die Stirn:

»Ich brannte darauf, Ihren Patienten zu sprechen«, sagte sie. »Wird er gesund werden?«

»Ich glaube ja, doch schwebt er noch immer in Lebensgefahr. Gerade deshalb darf niemand zu ihm.«

Sie schnitt eine spöttische Grimasse:

»Das ist vielleicht einer der Gründe«, meinte sie. »Wahrscheinlich liegt aber noch ein weiterer vor, den Mann ungestört zu lassen, wie?«

»Nun ja«, gab Mark zu. »Er bat mich, jeden Besuch aus seinem Zimmer fernzuhalten. Er hält seine Tür dauernd verschlossen, und da er hier als mein Gast weilt, ist mir sein Wunsch Befehl. Sie müssen bedenken, daß ich ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen habe.«

»Ihre Schuld war es ja nicht«, verwies ihn Miß Dukane. »Nur wir, das heißt, Vater und ich, waren an seinem ›Unfall‹ schuld. Ihr Patient gehört zu jenen Leuten, die sich täglich in Lebensgefahr befinden. Er hat eben einen gefährlichen Beruf erwählt, und der Tod kann jeden Augenblick seine Hand nach ihm ausstrecken. Komisch, daß Sie ihn gegen uns verteidigen.«

»Was wollen Sie denn von ihm?« erkundigte er sich. »Genügte Ihnen denn der erste Versuch, ihn zu beseitigen, nicht?«

»Ich trachte ihm nicht nach dem Leben«, entgegnete sie. »Mir ist es völlig gleichgültig, ob er lebt oder stirbt. Ich versuche nur, ihm den Mund zu stopfen. Mein Vater hätte ihm eben sein Geheimnis rechtzeitig abkaufen sollen. Darf ich mir eine Zigarette nehmen?«

Er bot ihr das Etui und Feuer. Erst als sie mit einem Seufzer des Behagens die duftenden Rauchwolken ausstieß, nahm sie die Unterhaltung wieder auf:

»Haben Sie das Haus möbliert gemietet?«

»Nein, denn von fremden Sachen bin ich kein Freund.«

»Wirklich, ich muß zugeben, daß Sie hier Geschmack bewiesen haben. Alles ergänzt sich, und einige der Gegenstände sind wirkliche Kunstwerke. Ich sehe, Sie haben auch französische Bücher in Ihrer Bibliothek? Verstehen Sie denn diese Sprache?«

»Ja, es ist die einzige, die ich beherrsche. Ich habe schon vor dem Krieg in Paris gelebt. Außerdem nahm ich ja in den ersten Monaten des Feldzugs als französischer Armeeflieger an ihm teil.«

»Ich scheine Ihnen doch Unrecht getan zu haben«, gestand sie. »Sie werden mir jeden Augenblick sympathischer. Vollenden Sie Ihr Werk, indem Sie mir ein Stück Kuchen anbieten lassen, und Sie werden erreicht haben, mein Herz zu gefährden.«

Sie hatte den Wunsch kaum ausgesprochen, als auch bereits der Diener eintrat und den Teetisch vorbereitete. Estelle klatschte freudig in die Hände:

»Wie appetitlich doch diese Kuchen aussehen«, rief sie aus, als der Diener das Zimmer verlassen hatte. »Und diese Torte! Warum, o mein Gott«, klagte sie, »wußte ich gestern abend nichts davon, daß Sie so herrlich wohnen und solche entzückende Tees zu geben verstehen? Und ich Unglückliche tanzte mit Ihnen wie mit jedem anderen Sterblichen!!«

»Sie werden, wenn Sie mich länger kennen, noch mehrere solcher Überraschungen erleben«, prophezeite ihr der Gastgeber. »Mein Haus in Beaulieu ist ein Traum und mein Landgut in Hampshire ein Gedicht.«

»Haben Sie auch ein Haus in Paris?« erkundigte sie sich voll Interesse.

»Leider nur ein Junggesellenquartier. Ich bin ja glücklicherweise an keinen bestimmten Ort gebunden. Wenn Sie mich geheiratet haben werden, können Sie sich ja entscheiden, wo Sie wohnen wollen.«

»Die Ehe ist eine ernste Sache«, philosophierte sie, während sie sich ein Biskuit mit Butter bestrich.

»Jedoch unabwendbar für das Weib. Ein Mann mag oder kann Junggeselle bleiben; für die Frauen jedoch ist das Alleinleben ein Unding.«

Sie lehnte sich zurück und musterte den Mann, der diese Ansichten geäußert hatte, eingehend. Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als spotte sie über seine Weisheit:

»Ich wundere mich über mich selbst«, gestand sie. »Manchmal fühle ich mich wie jedes andere Weib, aber – vor der Ehe fürchte ich mich! Mit einem Mann, wie Sie sind, verheiratet zu sein, bedeutet das Ende aller eigenen Geltung! Sie sind so – wie soll ich mich ausdrücken? – allumfassend! Ich habe mich so daran gewöhnt, allein zu handeln, daß ich mir kaum vorstellen kann, wie es anders sein könnte. Zwar ist mein Vater der Hauptmatador, doch auch ich habe mich mit seinen Geschäften befaßt und manches erreicht, was er übersehen hatte.«

»Wohin aber soll das Leben, das Sie so loben, führen?« fragte er. »Geld haben Sie zur Genüge, was ich selbst am meisten bedaure. Ich habe genug für beide. Was also wollen Sie erreichen?«

Sie lachte; ein ironischer Unterton schwang in ihrem Lachen mit:

»Sie sind wirklich manchmal noch ein rechtes Kind«, stellte sie immer noch lachend fest. »Sie haben eine fixe Idee: Sie wollen mich heiraten! Das ist zwar für mich sehr schmeichelhaft, macht Sie aber gegen alles andere blind. Ich bin wie ein Urwaldjäger: Nicht des Wildes wegen jage ich und begebe mich in Gefahr, sondern der Sport der Sache reizt mich. So ist es auch in meinem Zusammenarbeiten mit Vater: Einen Tag sind wir in New York. Dann fort! Nach Konstantinopel! Dann folgt Paris, Wien, Berlin. Und immer, auch während der Fahrt, sind wir inmitten unserer Geschäfte. Das Geld, mein lieber Herr van Stratton, ist, ganz abgesehen von seinem Kaufwert, eine Sache, die immer ihren Reiz auf uns ausübt. Jeder Staat, jeder Kaufmann, jeder Mensch trachtet nach dem Gelde. Vater und ich spinnen unsere Netze, wir hören, sehen, was in der Welt vorgeht. Wenn die Zeit für einen Schlag gekommen ist, ziehen wir das Netz zu. In ganz Europa gibt es keine Bank, die den Kampf mit uns aufnehmen kann. Kraft, Macht pulsieren in dem Leben, das Vater und ich führen.«

»Ich will mich mit Ihnen nicht herumstreiten«, erklärte van Stratton. »Ich beschränke mich auf die Feststellung, daß Ihre Logik hinkt. Sie haben Ihr Leben einem Sport gewidmet, den man kaum als solchen bezeichnen kann. Gewiß, die Hochfinanz mag auf manche Leute einen gewissen Reiz ausüben, mit Schönheit, wie Sie sie repräsentieren, hat sie gewiß nichts zu tun. Verbringen Sie Ihr Dasein inmitten alles Schönen, was die Welt zu bieten hat; widmen Sie Ihr Leben mir, und ich werde es besser anwenden, als Sie es bisher getan haben.«

»Sie lassen mich wirklich aus dem Staunen nicht herauskommen«, meinte sie und drückte ihre Zigarette aus. »Scheinbar liegt in Ihnen noch manches, was ich noch nicht erkannt hatte. Wissen Sie«, fügte sie, ernst geworden, hinzu, »daß ich mich oft danach gesehnt habe, es möchte jemand kommen, der mich aus diesem materiellen Dasein herausheben würde? Bisher habe ich jedoch vergeblich darauf gewartet. Glauben Sie, daß Sie der Mann dazu sind?«

»Davon bin ich sogar fest überzeugt«, versicherte er. »Man sagt ja, daß die Liebe uns göttergleich macht, und, dessen könnten Sie versichert sein, Miß Dukane: Niemand würde Sie so lieben können, wie ich Sie liebe!«

»Bisher haben Sie von dieser Liebe noch nichts erwähnt«, stellte sie fest.

»Aber nur deshalb, weil ich wußte, wie sehr die Frauen es hassen, der Liebe eines Mannes versichert zu werden, dem sie dieses Gefühl noch nicht erwidern.«

»Sie scheinen zu viele Liebesgeschichten gelesen zu haben«, verspottete sie ihn.

»Ich glaube nicht, daß das zutrifft«, wies er die Anspielung zurück.

»Jedenfalls aber betrachten Sie die Dinge von einem ganz falschen Standpunkt. Schlagen Sie sich vorläufig jede Hoffnung aus dem Kopf. Ich denke nicht ans Heiraten. Vielleicht werde ich es mir später anders überlegen, gegenwärtig liegt der Fall für Sie hoffnungslos. Ich habe andere Dinge im Kopf!«

»Und die wären?«

»Ich möchte sicher sein, daß der Mann dort oben vor seinem Tod – wenn er überhaupt stirbt – seine Kenntnisse nicht an Dritte verrät.«

»Was befürchten Sie von ihm?«

»Ich habe Angst, daß ein Plan meines Vaters, bei dem ich ihm helfe, durch Ihren Gast gestört wird. Ihr Patient ist der einzige, der ihn zunichte machen könnte. Ich habe Vater Vorwürfe gemacht, weil er zur unrechten Zeit sich ihm gegenüber vergessen hatte. Sie meinten eben, ich liebte Sie nicht; Sie hatten mit Ihrer Ansicht recht. Aber – ich liebe auch keinen anderen und eines Tages könnte doch der Augenblick kommen, wo sich mein Herz Ihnen zuwenden würde, und zwar – auf dem Weg über die Dankbarkeit. Sie könnten mir, wenn Sie nur wollten, helfen.«

»Der Mann ist Gast meines Hauses«, erwiderte er fest. »Er wird, solange er unter meinem Dach weilt, sicher sein.«

»Mißverstehen Sie mich nicht«, bat sie ihn. »Ich wünsche dem Manne nichts Böses. Hätte sich mein Vater nicht so gehen lassen, so würden wir alle diese Sorgen nicht nötig haben. Käme Vater jetzt zu Brennan, ich glaube nicht, daß er mit ihm verhandeln würde. Seine Papiere interessieren mich; der Mann gar nicht. Vielleicht kann ich sie ihm abkaufen! Bitte, Mr. van Stratton, führen Sie mich zu ihm. Ich möchte mit ihm sprechen.«

»Ich bedaure, Ihrem Wunsch nicht Folge leisten zu können«, lehnte Mark ab.

»Auch nicht, wenn ich Sie darum bitte?«

»Auch dann nicht!«

Eine kurze Stille folgte. Das Gesicht des jungen Mädchens verzog sich zu einer höhnischen Grimasse, als sie jetzt die Zigarette wegwarf:

»Ich sehe keinen Grund, die Unterredung weiter fortzusetzen«, erklärte Miß Dukane.

»Höchstens deshalb, weil ich mich freue, Sie hier zu sehen.«

Sie quittierte die Schmeichelei ohne ein Lächeln:

»Hat er Ihnen sein Geheimnis schon anvertraut?« begnügte sie sich zu fragen.

»Vorläufig nicht«, entgegnete Mark. »Er sagte mir aber, daß er es mir unter gewissen Bedingungen anvertrauen würde. Verliert er sein Gedächtnis – was ja bei dem Schlag, der ihm versetzt wurde, nicht aus dem Bereich der Möglichkeiten liegt – oder stirbt er, dann werde ich sein Erbe und Testamentsvollstrecker sein.« Mit ernster Stimme fügte er hinzu: »Und, glauben Sie mir, ich würde das Vertrauen, das er in mich setzt, rechtfertigen.«

Sie erhob sich:

»In welchem Winkel Ihres Herzens, mein sehr verehrter Herr, haben Sie die Liebe, die Sie angeblich für mich empfinden, vergraben?«

»Sie liegt neben meiner Ehre und der Gewissenhaftigkeit, die jeder anständige Mensch besitzen sollte. Ein Flecken auf meiner Ehre würde für mich einer Befleckung meiner Liebe für Sie gleichkommen.«

Sie ließ sich in ihren Mantel helfen:

»Rührend«, flüsterte sie, »aber ein klein wenig zu dramatisch. Ich zürne Ihnen zwar wegen Ihrer Dickköpfigkeit, aber – eines Tages werde ich doch wohl Sie oder Ihren Freund Henry Dorchester heiraten. Gestern noch hätte ich ihm den Vorzug gegeben, heute, wo Sie so ungezogen zu mir waren, habe ich Sie in den Kreis meiner Kandidaten aufgenommen. Wie hat sich denn seither Ihre Karriere entwickelt, Mr. van Stratton?«

»In einer Weise, die mich sprachlos macht«, gestand er ihr. »Gestern noch war ich weiter nichts als eine zahme Hauskatze, eine bessere Art von Adressenschreiber, ein diplomatischer Hausknecht, der weiter nichts zu tun hatte, als die Einladungen auszusenden und Unerwünschte hinauszukomplimentieren. Heute bin ich Privatsekretär eines Mr. Hugerson, der in besonderer Mission von Washington herübergekommen ist.«

Sie ließ den Pelzmantel fallen, in den sie eben hineinschlüpfen wollte.

»Ist das wahr?« fragte sie erregt.

»Bestimmt«, versicherte er. »Mr. Hugerson ist ein alter Freund meines verstorbenen Vaters gewesen, und da Rawlison, der den Posten bei ihm haben sollte, krank geworden ist, wurde ich eingeschoben.«

»Allem Anschein nach«, murmelte sie, »wird es eines Tages doch noch so weit kommen, daß ich Sie heiraten werde.«

Seine Arme legten sich um ihre Schultern und einen Augenblick schien es, als wollte sie seine Liebkosung erwidern. Plötzlich richtete sie sich auf:

»Bitte«, wehrte sei ihn ab: »Vorläufig ist es noch nicht so weit. Der arme Prinz Andropulos! Ich habe ihn ganz vergessen! Er sitzt unten in meinem Wagen.«


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