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15

Pünktlich traf Frances Moreland in jenem Restaurant in Soho ein, wohin Sidney Howlett sie eingeladen hatte. Mit einem nachdenklichen Blick musterte sie die Gäste und die Talmieleganz des Lokals, die ihr aus jenen Tagen bekannt war, als sie und Sidney Howlett hier Stammgäste waren:

»Es muß doch schon ein Jahr her sein, seit wir zum letzten Male hier waren, Sidney?« wandte sie sich an Mr. Howlett, ihren Begleiter.

»Ja, die Zeit vergeht«, sagte Howlett mit einem kleinen Seufzer.

»Ein paar Tage nur fehlen an einem Jahr«, wiederholte Frances.

Er warf einen Blick in den Spiegel, der an der gegenüberliegenden Wand die ganze Fläche bedeckte.

»Nun, wir haben alle beide ganz gut abgeschnitten,« stellte er befriedigt fest. »Wir haben manches dazu gelernt, was wir früher nicht wußten, nicht wahr? Wenn du deine Augen offen hältst, kommt dir vieles in den Weg, womit sich Geld verdienen läßt.«

»Was meinst du damit?«

»Nun, Geldverdienen, ohne sich dabei anzustrengen«, erklärte er ihr. »Ich komme auf die Sache noch zurück. Bin ich älter geworden?«

»Nicht viel, und ich?« fragte sie zurück.

»Du hast etwas an dir, Frances, was anderen Mädchen fehlt. Du weißt schon, welche Sorte ich meine: die Mädchen, die man so für einen Abend zu Tanz mitnimmt. Trotz aller feinen Kleider und Schminke können sie dir doch nicht das Salz zum Brot reichen. Früher hielt ich dich für altmodisch. Aber ich bin jetzt anderer Meinung geworden. Schick hast du wahrhaftig, das muß dir der Neid lassen. Gott, was bin ich erschrocken, als ich dich gestern abend auf einmal neben dem reichen Amerikaner sitzen sah?! Ich bildete mir sonst etwas darauf ein, daß ich mir Ciro leisten konnte, und auf einmal sehe ich dich Champagner wie Wasser trinken.«

»Es war ein herrlicher Abend«, sagte Frances nachdenklich.

Er runzelte die Stirn und fragte heftig: »Bestehen zwischen euch beiden etwa intimere Beziehungen?«

»Nein, nur eine gewisse Freundschaft. Ich hoffe wenigstens.«

»Siehst du, Frances, du bist nicht so erfahren in der Welt. Dir fehlt meine Menschenkenntnis Der junge Mann gehörte voriges Jahr zu den Polo-Champions und jetzt zur Botschaft. Diese Art Leute müssen in Schach gehalten werden, sonst werden sie Damen gegenüber zu frech. Habe ich nicht recht?«

»Bei Mr. van Stratton bestimmt nicht«, lächelte Frances. Sie hatte einen bittern Zug um den Mund.

»Hast du ihn seit jenem Abend wieder getroffen?«

»Ja, heute morgen im Büro. Ich habe sogar mit ihm gesprochen. Er fragte mich, wann ich wieder mit ihm essen ginge.«

»Na, und was hast du ihm erwidert?«

»›So oft es ihm passe‹, habe ich gesagt!«

»Das geht auf keinen Fall«, rief Sidney Howlett erregt. »Ich verstehe dich nicht! Du warst doch sonst nicht so, Frances! Du kannst doch unmöglich mit mehreren Männern zu gleicher Zeit verkehren!«

»Ach, das ist mir neu. Ich stelle mir das ganz leicht und einfach vor. Und du hast dich ja schließlich ein Jahr lang nicht um mich gekümmert.«

»Ich weiß, ich habe schuld daran«, gab er zu. »Ich freue mich, daß du offen mit mir sprichst. Wenn ich einen Fehler begangen habe, gebe ich ihn immer ohne weiteres zu. Wir hatten uns das letztemal ein bißchen in den Haaren. Ich hielt es danach für besser, erst einmal Gras über die Sache wachsen zu lassen. Und hatte ich nicht damit recht?«

»Ja, aber du vergißt, daß die ganze Streiterei nur daraus stammte, daß du meintest, mit den sechs Pfund, die ich brachte, und die acht, die du in der Woche verdientest, nicht durchkommen zu können. Du sagtest, du wolltest dir meinen Vorschlag, zu heiraten, durch den Kopf gehen lassen, ließest dann aber über zwei Monate nichts mehr von dir hören. Dann ludst du mich zum Tee ein. Aber du hättest es lieber nicht getan!«

»Laß die alten Geschichten ruhen«, bat er. »Ich war eben der Meinung, daß wir ohne Ersparnisse nicht heiraten sollten.«

»Du wußtest aber, daß ich über zweihundert Pfund auf der Bank hatte. Wenn du nichts aufzuweisen hattest, dann warst du selbst schuld daran und durftest mich nicht darunter leiden lassen«, sagte Frances etwas gereizt.

»Nun wird es schon werden«, vertröstete er sie. »Wir werden bald mehr haben, als wir verbrauchen können. Komm, laß uns essen; die Suppe sieht gut aus.«

Und nun aßen sie beide. Erst als sie satt waren, nahmen sie die Unterhaltung wieder auf.

»Freust du dich, daß wir wieder zusammen sind?« fragte Howlett.

»Nun, ja, obwohl es mir beinahe als Gewohnheit erscheint, mir dir zusammen zu sein.«

»Eigentlich ein minderwertiges Lokal, wenn man es mit Ciro vergleicht, nicht wahr?«

»Ich halte dieses Lokal für unseren Geldbeutel für geeigneter als Ciro«, antwortete sie.

»Ich weiß nicht recht«, murmelte Howlett und zog sich seine Krawatte zurecht. »Man muß eben alles kennenlernen, sonst kommt man in der Welt nicht vorwärts. Ciro gefällt mir, ich fühle mich dort sehr wohl. Wir werden vielleicht dort noch Stammgäste werden.«

»Vielleicht«, stimmte sie ihm interesselos zu.

»Das Essen ist doch ganz gut hier«, meinte er. »Und wenn man die ganze Woche gearbeitet hat, schmeckt es famos!«

»Du bist ja ein vorzüglicher Gesellschafter geworden, Sidney,« stellte sie fest. »Du bist wohl bei den Damen Hamilton in die Lehre gegangen?«

»Du mußt mir glauben, daß ich mit den Leuten Schluß gemacht habe«, versicherte er ihr ernst. »Du weißt, daß mir der Alte allerlei hat zukommen lassen, und ich freute mich, ihn als Kunden zu haben. Zwanzigtausend Pfund bekommt jedes von den beiden Mädchen mit; es sind Jüdinnen. Aber, was glaubst du, was mir passiert wäre, wenn ich dumm genug gewesen wäre, um ihre Hand anzuhalten? Hinausgeworfen hätten sie mich!«

»Schade. Die Kleine würde, wenn sie nicht so schielte, ein ganz nettes Mädchen sein. Die andere sieht aus wie eine davongelaufene Schaufensterpuppe.«

Howlett hüstelte verlegen; er hatte im stillen die Kleidung der Damen Hamilton für außerordentlich schick gehalten.

»Na, die Sache ist ja nun erledigt«, beendete er das Thema. »Wichtiger ist: Was soll aus uns werden, Frances?«

»Aus uns? Wieso?«

Die Ankunft des »poule en marmite« unterbrach die intime Unterhaltung. Erst als auch dieses und der Salat gegessen waren, kam Howlett wieder auf die Frage zurück:

»Nur noch eine Platte und dann den Nachtisch«, kündete er. »Es ist sonst noch alles beim alten mit uns, was, Frances?«

»Ja, es scheint so. Wir sind die einzigen, die sich verändert haben.«

»Ich nicht«, beteuerte er. »Ich hege dir gegenüber dieselben Gefühle wie vorher.«

»Ich kann das von mir nicht behaupten, Sidney, ich habe ein sehr schweres Jahr hinter mir.«

»Wie meinst du das? Ich habe dich doch so oft in den ›Illustrierten‹ abgebildet gesehen. ›Die Privatsekretärin des Ministers.‹ Du bist berühmt geworden. Nun arbeitest du wieder für einen Mann wie Hugerson. Ein schweres Jahr?! So siehst du aus!«

»Woher wußtest du, daß ich für einen Mr. Hugerson arbeite?« fragte sie.

Er lächelte geheimnisvoll:

»Warten wir, bis wir mit dem Nachtisch fertig sind, Frances.«

Sie zuckte wegwerfend die Achseln:

»Ich meinte es natürlich nicht wörtlich, als ich dir sagte, ich hätte ein schlimmes Jahr hinter mir«, sagte sie. »Ich bezog mich auf mein persönliches Dasein, das ich einsam wie noch nie zuvor verbringen mußte.«

»Das tut mir so leid, mein Armes!«

»All mein Leben war mit Arbeit ausgefüllt. Für Bücher hatte ich wenig übrig, und zum Nachdenken fehlte mir die Zeit. Seit einem Jahr aber scheint mir das Leben alles das vor Augen führen zu wollen, was ich bisher versäumt habe. Wahrscheinlich liegt das daran, daß ich empfindlicher geworden bin. Niemals vermutete ich, daß unser kurzes Dasein so viel Trauriges enthält. Ich bin erst seit einem Jahr zu dem Bewußtsein alles dessen, was mir verloren gegangen ist, erwacht.«

Er blickte sie verstohlen an, doch schien sie durch ihn hindurchzublicken.

»Mein armer Liebling«, murmelte er. »Ich hätte dich nicht so lange allein lassen dürfen.«

»Nein, Sidney, an dir lag es nicht; nur die Dinge, die du mir durch deine Gesellschaft zugängig machtest – die fehlten mir. Seit zwei oder drei Jahren verkehrten wir miteinander und mit der Engstirnigkeit, die eine Eigenschaft von uns Frauen zu sein scheint, vergaß ich, daß es außer dir noch andere Männer in der Welt gibt. Als du deine Besuche einstelltest und ich mich verlassen fühlte, war es für mich zu spät.«

Der junge Mann schien sich durch diese Bemerkungen des Mädchens geschmeichelt zu fühlen. Er strich selbstbewußt über den militärisch geschnittenen Schnurrbart, den er, weil es die Mode vorschrieb, trug.

»Wir holen das Versäumte wieder ein, Frances«, versprach er großmütig. »Wenn du auf meine Vorschläge, die ich dir gleich machen werde, eingehst, können wir in sechs Monaten verheiratet sein, ein eigenes kleines Haus besitzen und sorglos in die Zukunft blicken. Auf den Straßen, die nach Norden führen, wird jetzt stark gebaut, und wir könnten uns dort ein Häuschen kaufen. Wie gefällt dir der Gedanke, Liebling?«

Sie lächelte verhalten vor sich hin; nicht einen Augenblick kam dem Mann der Gedanke, daß sich im Herzen des Mädchens ein Kampf zwischen der Sehnsucht nach dem Glück und der Trauer nach unwiederbringlich Verlorenem abspielte:

»Was spinnst du für Pläne, Sidney?« fragte sie ihn verwundert.

»Warte, bis wir allein sein werden. Hier gibt es zu viele Lauscher.«

Sie verbrachten noch eine Viertelstunde im Lokal und brachen dann auf. Als sie Oxford Street erreichten, sagte Howlett:

»Ich wollte eigentlich mit dir ins Kino gehen, Frances, aber es ist wichtiger, daß ich dir eine große Mitteilung mache.«

»Spanne mich nicht so auf die Folter!« sagte sie.

Er lachte. »In wenigen Augenblicken wirst du wissen, was ich meine.«

Sie nahmen in einem überfüllten Omnibus Platz, der nach Battersea fuhr. Frances ließ einen Seufzer der Erleichterung hören, als sie endlich am Ziel waren.

»Kommst du mit hinauf?« fragte sie.

»Wenn du gestattest!«

Als sie die Wohnung des Mädchens betreten hatten, wandte sie sich ihm mit einer Geste des Bedauerns zu:

»Früher hatte ich ja immer eine Flasche Whisky für dich da, heute abend mußt du aber mit einer Tasse Kaffee vorliebnehmen!«

»Er wird mir, von deiner Hand bereitet, großartig schmecken. Komm, setz dich, Frances.«

Als sie neben ihm Platz genommen hatte, begann er:

»Weiß du, ich verkehre in einem kleinen Kaffeehaus, wo alle möglichen Menschen hinkommen. Und dort lernte ich einen komischen Alten kennen. Engländer scheint er nicht zu sein. Er beherrscht zwar ziemlich gut unsere Muttersprache, aber hier und da sucht er doch nach passenden Ausdrücken, woran ich merkte, daß er Ausländer ist. Vor einigen Tagen fragte er mich plötzlich, wo ich denn die junge Dame gelassen hätte, mit der ich früher immer zusammen gewesen wäre. Ich war über diese Frage natürlich sehr überrascht und sagte ihm, daß wir uns schon einige Zeit nicht mehr getroffen hätten. Da lachte er mich schallend aus.«

»Wie können Sie nur so dumm sein, eine junge Dame im Stich zu lassen, die Ihnen ein Vermögen einbringen könnte!« sagte er.

»Was? Ich soll dir ein Vermögen einbringen können? Hat er das gesagt?« fragte Frances erstaunt.

»Ja, das hat er gesagt. Ich fragte ihn natürlich gleich, was er mit dieser Andeutung sagen wolle. Da druckste er erst ein bißchen herum. Und schließlich erzählte er mir seinen Plan. Ich kann dir gar nicht sagen, wie überrascht ich war! Er kennt dich ganz genau, weiß, wie du heißt, wo du arbeitest. Er weiß sogar, wie der Amerikaner heißt, für den du tätig bist, kurz, er sprach wie ein zweibeiniges Auskunftsbüro. Denk mal, er kennt sogar die Arbeit, die du bei Hugerson zu erledigen hast. Da staunst du, nicht wahr!«

»Na, und, was hat er gesagt«, fragte Frances etwas ungläubig.

»Du hättest eine Niederschrift von Hugersons Berichten über die Eindrücke auf seinen europäischen Reisen anzufertigen, die Unterredungen, die er mit Staatsmännern hat, die Auszüge aus Konsularberichten, kurz alles, was für das Auswärtige Amt der Amerikaner von Interesse sein könnte. Der Alte sagte mir außerdem, daß das Wichtigste überhaupt erst kommen würde; es handelte sich um einen Geheimvertrag zwischen Italien und Drome, der weiter nichts zum Ziel haben sollte, als das amerikanische Kapital aus diesem Land zu verdrängen. Was sagst du dazu, Frances?«

»Na, ich bin sprachlos. Wer ist denn der Mann, der dir das alles mitgeteilt hat?« fragte Frances starr vor Staunen.

»Also hat er recht!?«

»Ziemlich.«

»Wer er ist, kann ich dir wahrhaftig nicht sagen«, gab Howlett zu. »Aber daß er ausgezeichnet unterrichtet ist, hast du ja eben selbst zugegeben.«

»Das ist er, bei Gott!« bestätigte das Mädchen. »Und er weiß mehr, als gut ist.«

»Vor einigen Tagen bekannte er Farbe. Er lud mich zu Frascati ein und machte mir dort seinen Vorschlag. Nun bitte ich dich, Frances, rege dich über das, was ich dir jetzt sagen werde, nicht auf. Wir sind Menschen wie andere auch und müssen leben. Erst kommen wir und unser Wohlbehagen. So leicht verdient man heutzutage sein Geld nicht mehr, daß man einen Vorschlag, wie ihn mir der alte Herr machte, so ohne weiteres ablehnen könnte. Geld ist Macht und öffnet uns alle Türen. Deshalb, Frances, bleibe vernünftig und höre gut zu, ehe du mich unterbrichst!«

»Nun schieße endlich los, Howlett. Nach dieser Einleitung wird mich nichts mehr überraschen.«

»Du benutzt doch für deine Schreibarbeiten Kohlepapier, nicht wahr? Bei jeder neuen Seite ein neues Blatt? Also, der Alte will dir das Kohlepapier, das du nach jeder Seite wechselst, abkaufen. Die Sache ist völlig gefahrlos. Du sollst ihm nicht etwa einen Durchschlag deiner Berichte anfertigen! Nein! Nur die Kohleblätter, die ja dann doch weggeworfen oder verbrannt würden, sollst du ihm geben. Das heißt, nur so lange, bis Hugerson seinen Bericht beendet hat. Und für diese kleine Gefälligkeit will er uns – nun halte dich fest, Frances – sage und schreibe zehntausend Pfund Sterling bezahlen! Na, was sagst du jetzt?«

Ohne eine Bewegung hatte Frances den Wortschwall ihres Begleiters über sich ergehen lassen. Es war ihr unmöglich, ihren Gefühlen über diesen Vorschlag Ausdruck zu geben. Endlich raffte sie sich zu der Frage auf:

»Aber sage mal, Howlett, was will er mit den Kohlepapieren denn anfangen?«

»Er sagte mir, ein Freund von ihm besäße eine Vorrichtung, mit der man, unter Anwendung großen Druckes, eine Art Mater der Beschriftung der Kohleblätter anfertigen könne. Es soll eine ausländische Erfindung sein.«

Frances versank wieder in Schweigen. Während des Krieges, vor vielen Jahren, war einmal ein Mann an sie herangetreten und wollte sie veranlassen, Berichte über die vertraulichen Briefe zu geben, die sie als Sekretärin des Ministers in die Hände bekam. Sie erinnerte sich mit wehem Lächeln an die Abfuhr, die sie dem Manne erteilt hatte. Die große Empörung, die sie damals empfunden hatte, fehlte ihr heute bei dem ähnlichen Vorschlag. Inzwischen fuhr Howlett fort, ihr die Zukunft in verlockendsten Farben auszumalen:

»Denk mal, Frances: Zehntausend Pfund Sterling!! Das bedeutet für uns eine sorgenfreie Zukunft! Wir können uns ein Haus, ein Motorrad, vielleicht sogar ein kleines Auto kaufen. Die übrigen sieben- bis achttausend Pfund könnten wir in einer Bank anlegen und von den Zinsen leben. Mit dieser Reserve als Sicherheitsfonds kann uns nichts mehr passieren. Du kannst dir ein Mädchen nehmen und wie eine große Dame deine Tage verbringen. Du brauchst nicht mehr zu arbeiten. Willst du weiter arbeiten, von morgens bis abends? – Oder willst du das? – Gott, ich habe nichts dagegen. Später wird es aber wohl nicht mehr in Frage kommen.«

»Bitte, schweig, Sidney. Ich muß mir die Sache durch den Kopf gehen lassen.«

Er warf seine Zigarre in das flackernde Kaminfeuer und brannte sich mit zitternder Hand eine Zigarette an. Er war nervös in diesem Augenblick, wo ihre Entscheidung über Wohl und Wehe fallen würde.

Frances erinnerte sich ihrer Worte, die sie van Stratton gegenüber geäußert hatte, jedes Verbrechen zu begehen, nur um der entsetzlichen Einsamkeit ihres Daseins ein Ende zu bereiten. Nun war der Augenblick da, wo sie nur zuzugreifen brauchte. Bilder eines gemütlichen Heims tauchten vor ihr auf, sie sah das süße Antlitz eines Kindes vor sich auftauchen – ihr Kind! Mit einem tiefen Seufzer erhob sie sich und ging zum Fenster. Sie starrte in die trübe Regennacht hinaus. Die kühle Luft vertrieb den Nebel der Ungewißheit, der bisher ihr Hirn eingehüllt hatte; die Empörung, die sie über den Vorschlag Sidneys einen Augenblick empfunden hatte, verschwand. Warum sollte sie dem Manne dort zürnen?

»Kennst du den Auftraggeber des alten Mannes?« fragte sie Howlett, der gespannt nach Frances hinsah.

»Nein, ich kenne ihn nicht. Aber ich habe auch keine Sehnsucht, ihn kennenzulernen«, antwortete er.

»Ich zerbreche mir den Kopf, wer wohl Interesse an diesen Berichten haben könnte.«

»Ich weiß es auch nicht. Und, offen gestanden, mir ist das eigentlich vollkommen gleichgültig. Als ich dem Alten zu verstehen gab, daß ich ihn für etwas verdreht hielte, schob er mir einen Hundertpfundschein zu, um mich zu überzeugen, daß er es ernst meinte. Hier hast du die Hälfte davon, Frances.«

Sie schob den Schein zurück und sagte nachdenklich:

»Einer unserer Attachés wurde bereits entlassen, weil er seinen Mund nicht halten konnte. Man erzählt sich auch, daß ein italienischer Botschaftsangestellter sich aus diesen Gründen erschossen hätte.«

»Du brauchst deshalb keine Angst zu haben«, beruhigte Howlett. »Wer wird wohl auf die Idee kommen, daß du die Kohleblätter weggibst?«

»An mein Risiko denke ich gar nicht«, entgegnete sie. »Ich möchte nur wissen, wer an dem Bericht so viel Interesse hat, um ein Vermögen dafür hinzugeben. Wer kann wissen, was für ein Schaden entsteht, wenn ich deinem Vorschlag folge.«

»Aber warum zerbrichst du dir nur darüber den Kopf! Für grüblerische Naturen hat die Welt heutzutage keinen Platz mehr. Wir müssen Egoisten sein; Altruisten verhungern. Wir haben eine Chance, wie sie uns nie wieder geboten wird, Frances. Wir brauchen nur zuzugreifen!«

»Und was willst du machen, wenn man dich mit dem Geld hinters Licht führt?« gab sie zu bedenken. »Zehntausend Pfund sind ein Vermögen!«

»Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen! Fünftausend bekommen wir bei der ersten Ablieferung und den Rest, wenn Hugerson seine letzte Seite diktiert. Morgen könnte ich dem Alten schon die erste Ablieferung bringen. Fünftausend Pfund sind dann unser! Du hast doch die Kohleblätter nicht etwa schon weggeworfen, wie?«

»Nein, ich habe sie alle noch«, gab sie zu.

»Du sagtest mir einmal, daß du bei jeder Seite ein neues Kohleblatt nähmest. Stimmt das?«

»Ja, ich nehme jedesmal ein frisches.«

»Dann geht ja alles in Ordnung«, seufzte er erleichtert auf. »Der Alte sagte zwar über die bereits abgesandten Berichte nichts. Aber wenn du sie noch hast, können wir sie auch abliefern. Damit du siehst, daß ich es aufrichtig mit dir meine, werde ich dir die ersten Fünftausend vollkommen überlassen. Sobald ich morgen das Geld bekomme, bringe ich es dir. Was wir davon ausgeben, geht auf gemeinschaftliche Rechnung. Paßt dir das?«

»Ja, es klingt gut.«

Sie setzte sich wieder.

»Wenn ich nun mitmache, Sidney –?«

»Ich erwarte dich morgen«, unterbrach er sie. »Du gibst mir die Papiere. Das ist dann alles, was du zu tun hast. Das andere werde ich dann schon erledigen. Am Abend essen wir zusammen und ich gebe dir die ersten Fünftausend! Ich hätte dich ja meinem Freund gern vorgestellt. Aber es ist bestimmt richtiger, wenn du in der ganzen Sache gar nicht in Erscheinung trittst.«

»Gut«, seufzte sie nach kurzer Überlegung. »Treffen können wir uns ja auf jeden Fall, auch wenn ich nicht mitmache. Ich glaube aber nicht, daß ich dir ablehnenden Bescheid geben werde.«

Sie küßten sich.

»Liebst du mich noch, Frances?« flüsterte er.

»Ja, Geliebter«, sagte sie und führte ihn zur Tür. »Ich liebe dich, aber noch mehr die Dinge, die du mir bieten kannst.«

Sie horchte, bis seine Schritte unten verhallten. Dann trat sie ins Zimmer und verschloß hinter sich die Tür.


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