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13

Als Mark seine Begleiterin den Aufgang zu Ciro hinaufgeleitete, mußte er sie immer wieder anblicken, so erstaunt war er über die Veränderung, die mit ihr in der Zwischenzeit vorgegangen war. Es war möglich, daß das schwarze Kleid, das sie trug, bessere Tage gesehen haben mochte, aber es kleidete sie ohne jeden Zweifel ganz ausgezeichnet. Obwohl das Mädchen keinerlei Schmuck an sich trug, bot sie doch einen eleganten Anblick.

»Hoffentlich gefällt es Ihnen nun auch hier«, sagte er, als sie Platz nahmen. »Ich war wirklich im Zweifel, in welcher Kleidung Sie hier auftauchen würden und habe deshalb, weil ich nicht wollte, daß Sie sich beengt fühlen sollten, einen etwas abgelegenen Tisch reservieren lassen. Sie haben mich schön auf die Leimrute geführt, Miß Moreland.«

Sie lachte ihn dankbar an:

»Hier ist es herrlich. Gerade das Abgelegene gefällt mir«, versicherte sie ihm nach einem Blick über die Brüstung. »Hier kann man alles beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Tatsächlich, Mr. van Stratton, mein Kleid ist, ob Sie es nun glauben oder nicht, beinahe sieben Jahre alt. Die Mode kehrt eben immer wieder zurück, und ich hatte ja bisher wenig Gelegenheit, es abzutragen.«

Er reichte ihr die Karte:

»Nun stellen Sie einmal das Menü zusammen«, bat er.

Sie legte den eleganten Karton hilflos auf den Tisch.

»Das muß ich Ihnen überlassen«, erklärte sie. »Ich war noch niemals in solch einem eleganten Lokal. Bestellen Sie nur, ich esse alles.«

Er wandte sich an den Kellner, der in diskreter Entfernung auf die Bestellung wartete:

»Zwei Cocktails, extra dry. Dann eine Flasche 1911er Pommery. Zu essen.«

Er traf, nach verschiedenen fragenden Blicken auf das junge Mädchen, seine Auswahl.

»Sie waren Sekretärin eines großen Mannes, nicht wahr?« fragte er sie, nachdem sie ihre Erfrischungen getrunken hatten.

»Ja, im Krieg. Ich war auch in Paris mit ihm. Leider hatte ich dort gar keine Bekannten; und mit den Leuten, die in meiner Umgebung zu tun hatten, spann ich kein besonders gutes Garn. Sie hatten ja alle ihre Beziehungen und kümmerten sich um mich nur wenig. Ich war froh, als ich wieder in London war.«

»Das kann ich verstehen«, gab er zu.

Sie lächelte ihm zu. Ihre weißen Zähne stachen von den frischroten Lippen in schönstem Farbengegensatz ab:

»Ich war ja selbst daran schuld, daß ich mich in Paris nicht amüsierte«, gestand sie. »In der Frühzeit meines Mädchentums war ich zu wählerisch; keiner war mir gut genug. Natürlich wollte ich auch einen Mann haben; aber ich wollte ihn mir selbst auswählen. Wahrscheinlich habe ich meine Blicke auf Männer gerichtet, die über mir standen. Plötzlich wachte ich auf; ich war nahe an die dreißig und immer noch – frei.«

»Das ist doch kein Alter«, tröstete er sie.

»Doch, für eine Frau, die noch niemals geliebt hat, ist es alt. Ich hatte Aussicht, mich zu verheiraten, aber den betreffenden Mann hätte ich mir erst kaufen müssen, das heißt, ich hätte ihn und mich ernähren müssen. Ich sehe ihn öfter einmal.«

»Also doch eine Hoffnung«, stellte er lächelnd fest. »Erzählen Sie mir etwas über ihn.«

»Ich wüßte nichts, was außergewöhnlich wäre«, sagte sie mit trübem Lächeln. »Er ist irgendwo in der Stadt angestellt und ungefähr meines Alters. Hübsch? Ja, hübscher als er es bei seiner Lebensweise verdient. Er hat ein gutes Gehalt, verbraucht aber jeden Pfennig und noch mehr. Ersparnisse? Nein, nichts. Früher habe ich ihn öfter getroffen, öfter, als es für den Frieden meiner Seele gut war. Intim waren wir niemals; er war zwar nicht mein Typ, aber er gefiel mir jedenfalls besser als die hundert anderen, mit denen ich in Berührung gekommen war. Als ich ihn das letztemal traf, teilte er mir mit, daß er sich nach einer Frau mit Geld umsehen müsse. Ohne Geld könne er nicht heiraten.«

»Ich könnte nicht behaupten«, stellte Mark fest, »daß das, was Sie mir bisher von ihm erzählt haben, meine Achtung für ihn steigen ließe. Schalten Sie ihn aus Ihrem Leben aus, Miß Moreland, er verdient Sie nicht.«

»Das ist es ja eben, was ich nicht fertig bringe«, klagte sie. »Er ist der einzige Mann, von dem ich mich heiraten lassen würde. Er macht sich nicht viel aus mir, wenigstens nicht, solange ich arm bleibe. Also, warum soll ich mir weiter den Kopf über ihn zerbrechen?«

»Na, Sie werden noch viele passende Partien in Ihrem Leben kennen lernen«, tröstete er.

»Ich habe dazu keine Gelegenheit«, stellte sie trocken fest. »Früher habe ich mich nur meiner Arbeit gewidmet und vergessen, daß außerdem noch andere Dinge in der Welt existierten. Ich wachte auf, als es zu spät war. Nun habe ich Furcht vor der Einsamkeit.«

»Nun, heute abend können Sie diese Furcht beiseite legen«, scherzte er, um sie auf andere Gedanken zu bringen. »Hier kommt auch schon der Kaviar. Haben Sie schon einmal Kaviar gegessen?«

»Niemals!« gestand sie. »Sieht das Zeug nicht furchtbar aus?«

Er lachte.

»Warten Sie ab, bis ich Ihnen etwas davon auf das geröstete Brot gegeben habe. Vielleicht werden Sie dann anderer Meinung.«

Sie unterhielten sich nun über gleichgültigere Dinge und Frances Moreland beobachtete mit großem Interesse die zahlreichen Paare, die sich im Saal im Takt der Musik bewegten.

»Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, Mr. van Stratton«, sagte das junge Mädchen und schlürfte den Wein. »Ich habe so viel von solchen mondänen Lokalen gehört, doch nie hatte ich das Glück, eingeladen zu werden.«

»Das verstehe ich einfach nicht«, erklärte van Stratton.

»Die Männer scheinen vor mir Angst gehabt zu haben«, seufzte Frances. »Zum Flirten bin ich mir zu schade, und um als ernsthafte Bewerberin für die Ehe betrachtet zu werden, zu häßlich. Ich weiß nicht einmal, Mr. van Stratton, ob ich nicht eine lockere Stelle in meinem Charakter habe, die mich zu einer Koketten machen würde. Ich habe zu viel Ernstes im Leben erfahren, um so schnell aus meiner Haut herauszukönnen. Glauben Sie, wenn ich mir das Haar brennen, die Lippen schminken und das Gesicht pudern würde, daß ich imstande wäre, mir einige Anbeter heranzuziehen?«

»Das vermag ich nicht zu beurteilen, aber ich weiß, daß Sie auf diese Weise einen Anbeter verlieren würden. Ihre Lippen sind ohne Schminke rot genug und die Blässe Ihres Gesichts ist große Mode. Nur Frauen, die die Nacht statt im Bett in Lokalen, wie dieses hier, verbringen, haben es nötig, sich zu pudern und zu schminken.«

»Sie flößen mir Mut ein«, gestand sie. »Wie herrlich schmeckt es mir hier. Seit dem Waffenstillstandstag habe ich keinen Champagner mehr getrunken.«

»Haben Sie denn gar keine Verwandten?« fragte er.

»Doch, eine Tante in Australien. Ich bin in Jersey gebürtig, und war das einzige Kind meiner Eltern. Beide, Vater und Mutter, sind dort beerdigt. Als ich achtzehn wurde, reiste ich nach London und wohnte in einem Frauenheim. Von dort aus habe ich dann meine Laufbahn als Stenotypistin angetreten. Ja, ich war erfolgreich. Bisher hat die Arbeit die einzige Rolle in meinem Leben gespielt.«

»Leider kann ich das von mir nicht behaupten«, seufzte er. »Erst seit drei Wochen weiß ich, was sie bedeutet.« Sie lachte ihn aus:

»Wollen Sie das, was Sie betreiben, wirklich ›Arbeit‹ nennen?« neckte sie ihn.

»Nun, heute habe ich nicht viel getan«, gab er zu. »Aber daran ist Mr. Hugerson schuld; er wollte, daß ich mit ihm im Zimmer bliebe, während er Ihnen diktierte. Ganz interessant, nicht wahr, das, was er niederschreiben ließ?«

Sie war plötzlich verstummt, und ihr Kopf bewegte sich zum Takte der Musik. Sie warf einen scheuen Blick nach unten, wo zahlreiche Paare tanzten:

»Sie haben wohl Lust, Ihr Tanzbein zu schwingen?« fragte er.

»Ich kann gar nicht tanzen«, gestand sie.

»Haben Sie denn niemals versucht, es zu lernen?«

»Doch, aber nur mit einer Freundin.«

»Also, los«, forderte er sie auf. »Ich werde es Ihnen schon beibringen.«

Sie wollte gar nicht wieder aufhören. Als sie endlich wieder an ihren Tisch zurückkehrten, glänzten die Augen des Mädchens wie Diamanten:

»Herrlich schön war es«, seufzte sie.

»Gleich geht es weiter. Sie tanzen großartig«, lobte er.

Wieder starrte Miß Moreland auf die tanzenden Paare:

»Da unten tanzt der Mann, von dem ich Ihnen erzählte«, sagte sie und wies nach unten. »Wahrscheinlich wird er Ihnen nicht gefallen. Ich weiß selbst nicht, warum ich ihn gern mag.«

»Meinen Sie den Herrn mit dem hellen Schnurrbart, der eben um jene alte Dame und die beiden jungen Mädchen herumspaziert?«

»Ja, das ist er. Schreckliche Leute. Ich kenne sie. Sie wohnen in St. Johns Wood; der Alte soll reich sein und ihn ausgiebig mit Aufträgen versorgen. Er glaubt immer noch, daß man ihm gestatten würde, eine der Töchter zu heiraten. Ich glaube aber, daß er sich irrt, denn sie sind orthodoxe Juden.«

Mark warf einen prüfenden Blick auf den jungen Mann. Er mochte etwa dreißig Jahre alt sein, machte aber mit seinem verlebten Gesicht, das alle Anzeichen eines Schwächlings verriet, einen bedeutend älteren Eindruck. »Er sieht gar nicht so schlecht aus«, urteilte van Stratton, »doch ich bezweifle, daß er zu Ihnen paßt. Er scheint ein Luftikus zu sein.«

Sie warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu:

»Habe ich Ihnen nicht den ganzen Abend schon erzählt, daß ich mich nach Frivolität sehne?« fragte sie. »Ach, könnte ich mich nur dazu aufschwingen, gleichfalls leichtsinnig zu werden! Es soll nur ein Mann kommen; ich würde mit ihm kokettieren, daß sich die Balken biegen. Habe ich nicht meine besten Lebensjahre dadurch verdorben, daß ich das Dasein zu ernst auffaßte?«

»Na, Sie übertreiben«, machte er sie aufmerksam. »Ich nehme das, was Sie sagen, selbstverständlich nicht ernst, aber warum sollten Sie sich an einen Menschen wegwerfen, der nicht zu Ihnen paßt?«

»Das kümmert mich nicht«, erklärte sie ungeduldig. »Ich bin es müde, ein gutes Kind zu sein. Ich habe es lange genug versucht! Und was war mein Gewinn? Langeweile und Einsamkeit! Hätte ich eine Erziehung genossen, die mich Freude an Bildern, Büchern und anderen Kunstdingen empfinden ließe, dann wäre es vielleicht anders. So aber, als berufstätiges Mädchen, kann ich mir derartiges nicht leisten. Ich habe kein Geld, um unabhängig meinen Neigungen leben zu können und muß mich deshalb anderen Dingen zuwenden.«

»Sie werden eines Tages von mir eine Vorlesung über Lebenskunst hören müssen«, drohte er. »Aber jetzt wollen wir noch einmal tanzen.«

Als sie wieder am Tisch Platz genommen hatten, winkte Frances dem unten stehenden jungen Mann, der ihr erstaunt nachgeblickt hatte, triumphierend zu.

»Mein erstes gesellschaftliches Auftreten war unstreitig ein Erfolg. Mein Ehemaliger hatte mich einmal zum Tanz nach Hammersmith mitgenommen. Als er aber erfuhr, daß ich von diesem Sport keine blasse Ahnung hatte, versetzte er mich schleunigst wieder.«

»Ich zerbreche mir den Kopf«, meinte van Stratton, »ob man für den jungen Mann nicht etwas tun könnte, um ihn zur Vernunft zu bringen. Was für ein Geschäft betreibt er denn?«

»Er ist Papierreisender. Wohl schon drei oder vier Jahre bei einer Grossistenfirma in Clerkenwell tätig. Sie wollten ihn mir wohl zum Geburtstag kaufen?« fragte sie bitter.

»Möchten Sie, daß ich es tue?«

»Eigentlich eine ganz gute Idee. Gegenwärtig will ich aber nichts von ihm wissen. Wir sprechen Unsinn«, unterbrach sie sich. »Ist das nicht dort unten der berühmte Felix Dukane? Man hatte mir doch erzählt, daß er sich nirgends sehen ließe?«

Wieder durchschoß Mark der kurze Schmerz, den er jedesmal, wenn er die liebreizende Gestalt Estelles sah, empfand. An einem bestellten Tisch, bewacht von dem großen Mario selbst und seinen Myrmidonen, hatte eine kleine Gesellschaft Platz genommen: Prinz Andropulos, gepflegt und geputzt wie ein kleines Kätzchen; an seiner Rechten Estelle, lachend und scherzend und mit gewohntem Liebreiz. Ihr gegenüber saß, vierschrötig und finster wie stets, der Finanzmagnat und studierte aufmerksam die Weinkarte.

»Ja«, beantwortete Mark die Frage Frances', »das ist Felix Dukane. Die anderen sind seine Tochter und Prinz Andropulos von Drome.«

»Kennen Sie die Leute?«

»Ja.«

Sie betrachtete ihn verwundert:

»Hoffentlich schämen Sie sich nicht meiner Gesellschaft«, sagte sie.

»Reden Sie keinen Unsinn«, bat er sie. »Ich hasse den Kerl da unten, diesen Prinzen!«

Estelle blickte eben zur Galerie empor und nickte Mark mit einem fragenden Blick auf seine Begleiterin zu. Ob ihn Dukane erkannt hatte, vermochte der junge Attaché nicht festzustellen. Der Prinz klemmte sein hornumrandetes Monokel ein und blickte gleichfalls nach oben. Mark hatte sich jedoch bereits abgewandt:

»Welch ein merkwürdiges Kleeblatt«, sagte er zu seiner Tischdame. »Sehen Sie sich die Dukanes an: In jeder Gesellschaft würde man sie willkommen heißen. Sie lassen sich aber nirgends sehen. Für den Alten existiert nur eine wichtige Sache in der ganzen Welt: das Geld.«

»Wie entsetzlich«, murmelte Frances. »In Versailles hatte er den Beinamen ›Der Gewissenlose‹. Man sagt ihm nach, daß er ein Heer von Spionen beschäftige; wenn er die Auskünfte, die er haben will, nicht auf geradem Weg bekommen kann, kauft er sie sich. Welches Vergnügen kann jenem Mann sein immenses Vermögen gewähren?«

»Er ist bedürfnislos. Nur ein Ziel hat er: Seine Pläne sollen erfolgreich sein. Am sonderbarsten ist jedoch seine Tochter.«

Miß Moreland warf einen prüfenden Blick auf sein finster gewordenes Gesicht:

»Interessieren Sie sich für die junge Dame?« fragte sie.

Er nickte bejahend.

»Das tut mir leid«, erklärte das Mädchen. »Ich kenne sie zwar nicht näher, aber bedaure es trotzdem.«

»Warum?« wollte er wissen. »Ist sie nicht hübsch?«

»Zu hübsch. Keine hier im Saal kommt ihr gleich, aber –«

»Nun? Genieren Sie sich nicht. Ich kenne sie erst seit wenigen Wochen und sie macht sich nicht viel aus mir.«

»Sie scheint mir keines jener Mädchen zu sein, die irgendein tieferes Gefühl für einen Mann aufbringen können. Ich habe nur selten in meinem Leben Menschen kennen gelernt, die man als völlig herzlos bezeichnen könnte, aber – Miß Dukane gehört bestimmt zu ihnen.«

Nachdenklich trank Mark sein Glas aus:

»Sie sind nicht die erste, die mir das sagt«, entgegnete er. »Aber, was soll ich tun? Man kann eben nicht gegen seine Gefühle ankämpfen. Ich bin älter als Sie und habe mich schon öfter verliebt, aber das, was ich jenem Mädchen gegenüber empfinde, ist auch mir neu. Es schmerzt mich mehr, als es mir wohltut. Wahrscheinlich kommt das davon, daß ich die Berechtigung aller Warnungen meiner Freunde selbst zugeben muß, ohne mich gegen meine Leidenschaft wehren zu können.«

»Sie tun mir leid«, bedauerte sie ihn.

»Ihr junger Mann verschlingt Sie beinahe mit seinen Augen«, machte er sie aufmerksam.

»Es sieht so aus, als wolle er hier heraufkommen, um sich mit mir zu unterhalten«, meinte Frances. »Er stand schon auf dem Sprung; ich winkte ihm aber energisch ab. Werden Sie ihn sehr unhöflich empfangen, wenn er kommt?«

Mark lachte laut auf:

»Lassen Sie ihn ruhig kommen«, bat er. »Ich werde ihm sogar gestatten, Sie zum Tanzen aufzufordern.«

»Ich ziehe es aber vor, mit Ihnen zu tanzen«, meinte sie schelmisch lächelnd. »Auch wenn Sie in eine andere verliebt sind, wie Sie mir eben gebeichtet haben.«

»Enttäuschen Sie ihn nicht«, entgegnete er und wandte sich vor den bittenden Blicken seines Gastes ab. »Er ist schon auf dem Weg hierher. Ganz wohl scheint er sich in seiner Haut nicht zu fühlen.«

»Sidney Howlett«, so stellte sich der Verehrer von Miß Moreland vor. Er schien seine Verlegenheit durch lautes Sprechen verbergen zu wollen:

»Ich glaubte meinen Augen nicht trauen zu dürfen, als ich Sie beide hier sitzen sah«, rief er aus. »Seit wann machst du dir denn etwas aus dem Tanzen? Von dieser Seite kannte ich dich doch gar nicht, Frances.«

»Mir wurde wenig Gelegenheit geboten, mich von meiner Tanzkunst zu überzeugen«, sagte das junge Mädchen schnippisch.

»Na, komm schon. Wir wollen es auch einmal probieren«, schlug Mr. Howlett vor.

Ehe sie dem Manne ihrer Sehnsucht folgte, warf Frances noch einen fragenden Blick auf ihren Tischherrn, der ihr kurz zunickte. Er war froh, einige Augenblicke allein bleiben zu können, um den Ärger zu überwinden, der in ihm aufgewallt war. Was wollte Estelle hier in diesem Lokal, und noch dazu in Begleitung jenes Verhaßten? Sahen die beiden, der Prinz und die Tochter des Finanziers, nicht aus, als wären sie ein Brautpaar? Scherzend und lachend unterhielten sie sich, ohne dem Mann, der sie von der Galerie beobachtete, auch nur einen Blick zuzuwerfen. Plötzlich jedoch schien sich in die Gesellschaft da unten Langeweile eingeschlichen zu haben; Estelle klopfte taktschlagend mit dem Finger auf die Tischplatte und starrte vor sich hin. Mark faßte all seinen Mut zusammen. Er erhob sich und schritt nach unten.

»Darf ich mir erlauben, Miß Dukane um einen Tanz zu bitten?« fragte er, sich vor Estelles Vater verbeugend.

Dukane blickte ihn finster an. Ohne die Erlaubnis abzuwarten, streckte Mark seine Hand aus. Auch Estelle schien es sich noch überlegen zu wollen, ob sie der Aufforderung ihres Anbeters folgen sollte. Sie wandte sich an den Prinzen:

»Gestatten Sie mir einen Augenblick, mich zu entfernen?« fragte sie ihn.

Er murmelte etwas in seinen Bart, da er augenblicklich mit einem neuen, eben servierten Gang beschäftigt war. Ohne sonderliche Begeisterung zu verraten, folgte Miß Dukane der Aufforderung Marks und schmiegte sich in dessen Arme.

»Warum mußten Sie jenen Menschen um Erlaubnis fragen, ob Sie tanzen dürfen?« fragte Mark erregt.

Sie lachte:

»Vielleicht wollte er selbst mit mir tanzen«, sagte sie. »Sie waren doch, wenn man es richtig betrachtet, ein Eindringling in unserer Gesellschaft, nicht wahr? Das müssen Sie doch zugeben?«

»Leider bin ich noch lange nicht unverschämt genug«, stellte er reuelos fest.

»Sie verdienen eigentlich gar nicht, daß ich mit Ihnen tanze«, konstatierte sie. »Ich müßte Ihnen die kalte Schulter zeigen. Wenn ich Sie um etwas bitte, lehnen Sie ab. Ich brannte darauf, Ihren Kranken zu besuchen und Sie verboten es mir.«

»Meinen Invaliden soll der Teufel holen«, rief er aus. »Wie wundervoll Sie tanzen, Estelle!«

»Na, Sie können es auch ganz gut«, lobte sie ihn. »Wer ist denn Ihre Begleiterin? Es interessiert mich, etwas über sie zu erfahren.«

»Ich habe sie in der Botschaft kennengelernt. Sie ist dort Sekretärin und außerordentlich klug. Sie hilft Mr. Hugerson, meinem augenblicklichen Chef.«

Sie schien überrascht.

»Hugerson? Der außerordentliche Gesandte von Washington?«

»Ja, das ist er. Ein alter Freund meines Vaters.«

»Wie klein ist doch die Erde?« philosophierte sie.

»Klein ist sie, da haben Sie recht. Es leben aber doch zu viele überflüssige Leute auf ihr. Als Beispiel nenne ich Ihnen Ihren Prinzen! Wo kann ich Sie morgen treffen?«

»Warum gerade morgen?«

»Weil ich Sie jeden Tag sehen möchte, und morgen der nächste Tag ist.«

»Sind Sie wirklich sehr zudringlich oder bilde ich es mir nur ein«, wies sie ihn zurecht.

»Ich bin es, und ich werde es so lange sein, bis Sie mir Ihr Jawort gegeben haben«, warnte er sie. »Sie spielen mit mir, als ob ich mit Ihnen scherzte. Eines Tages aber werden Sie merken, daß ich es vollständig ernst meine.«

»Wieso?«

»Genügt es Ihnen, wenn ich erkläre, daß Sie die erste Frau sind, in die ich mich wirklich verliebt habe«, flüsterte er ihr ins Ohr.

Einen Augenblick lang schien es. als habe er sie aus der Ruhe gebracht. Sie blickte ihn an, ganz anders als bisher. Ein weiches Licht flimmerte in ihren bildschönen, nußbraunen Augen. Dann wandte sie sich mit einem kurzen Lachen wieder von ihm ab:

»Was soll ich Ihnen darauf antworten?« fragte sie.

»Die einzig richtige Antwort wäre: Kommen Sie und sprechen Sie mit Papa!«

»Sie wissen doch«, hielt sie ihm vor, »daß ›Papa‹ ein merkwürdiges Geschick hat, mit unerwünschten Besuchern fertig zu werden?! Ich würde Ihnen den schriftlichen Verkehr anraten.«

»Sie gestatten mir also die Anfrage?« erkundigte er sich.

»Seien Sie kein Kind! Ich denke gar nicht ans Heiraten, das heißt, ich weiß noch nicht, ob ich Sie, Henry Dorchester oder den Prinzen nehmen werde. Vorläufig kann mich mein Vater gar nicht entbehren. Wären Sie nicht ein wirklich vorzüglicher Tänzer, dann müßten Sie mich sofort zum Prinzen zurückführen, der sowieso schon finstere Blicke auf uns wirft. Wir wollen noch eine Zugabe tanzen, kommen Sie!«

Nach kurzem Schweigen eröffnete sie das Gespräch von neuem:

»Erzählen Sie mir von Mr. Hugerson«, bat sie.

»Ich kann Ihnen nur das erzählen, was jeder weiß; nämlich, daß er eben vom Festland zurückgekommen ist.«

»Sie brauchten nur zu wollen, dann würden Sie mir interessantere Dinge von ihm und über ihn mitteilen können«, stachelte das Mädchen ihn an.

»Möglich. Aber ich weiß, daß Sie mich nicht danach fragen werden.«

»Sie fangen rechtzeitig an, den Diplomaten herauszukehren«, stellte sie etwas spöttisch fest. »Sie sind der größte Dickkopf, den ich je kennen gelernt habe.«

»Aber treu«, versicherte er ihr.

»Ein Anglo-Sachse, wie er im Buche steht. Die Treue gehört, so viel ich weiß, nicht zu den gallischen Tugenden.«

»Wir haben genug Nonsense geplaudert. Der Tanz geht zu Ende, und wir müssen uns klar werden, wo und wann ich Sie morgen treffen kann. Darf ich bei Ihrem Vater, wenn es nötig ist, schriftlich, um Ihre Hand anhalten?« Mark machte ein ernstes Gesicht.

»Sie sind zum Lachen! Wer sagt Ihnen, ob ich Sie morgen überhaupt sehen will? Ich weiß noch gar nicht, was morgen los sein wird. Sie wollen mir ja von Mr. Hugerson auch nichts erzählen. Bitte, gehen Sie jetzt und bedanken Sie sich bei mir für die schönen Tänze.«

Er führte sie an den Tisch zurück und verbeugte sich. Als sie sein Mißbehagen bemerkte, in das ihn ihre Antwort versetzt hatte, lachte sie:

»Man sollte es kaum glauben«, flüsterte sie ihm zu, »daß Sie jemals in Paris gelebt haben. Ihnen geht jedes Verständnis für Französinnen ab.«


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